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Wegbegleiter - Oktober 2021

Wegbegleiter - Ausgabe vom 22. Oktober 2021

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18 | <strong>Wegbegleiter</strong><br />

Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe<br />

Am Grab geht es zunehmend ums persönliche Statement –<br />

Der eine verabschiedet sich mit einem coolen Spruch, der andere lässt sich seine Gitarre darauflegen<br />

Der eine verabschiedet sich<br />

auf seinem Grabstein mit<br />

den Worten „Game Over“.<br />

Der andere verblüfft mit der<br />

Inschrift „Nur tiefergelegt“.<br />

Und noch einer: „Gestatten<br />

Sie, dass ich liegen bleibe.“<br />

Auch ansonsten geht es auf<br />

deutschen Friedhöfen immer<br />

bunter und individueller zu,<br />

haben die beiden Soziologen<br />

Thorsten Benkel und Matthias<br />

Meitzler herausgefunden.<br />

Musiker lassen sich nach<br />

ihrem Tod<br />

ihr Instrument aufs<br />

Grab legen, bei Sportlern<br />

finden sich Tennisschläger,<br />

Ruder, Fußbälle – oder sogar<br />

Fußballvereinswappen am<br />

Grabstein. „Das Klassische<br />

gibt es natürlich auch noch.<br />

Aber wir können beobachten,<br />

dass Trauer und Erinnerungskultur<br />

pluraler geworden<br />

sind“, sagt der gebürtige<br />

Kaiserslauterer Thorsten<br />

Benkel, der mit Meitzler an<br />

der Universität Passau rund<br />

um Tod und Trauer forscht.<br />

Fast 1100 Friedhöfe haben<br />

die Wissenschaftler bereits<br />

untersucht, vor allem quer<br />

durch Deutschland, aber auch<br />

in 20 anderen Ländern. „Wir<br />

haben inzwischen einen ganz<br />

guten Überblick.“ Dass neben<br />

Bibelvers und ewigem Licht<br />

immer mehr Alltagskultur<br />

auf den Friedhöfen zu finden<br />

sei, gehe auf einen zentralen<br />

Wandel zurück, der sich seit<br />

rund 20 Jahren vollziehe,<br />

sagt Meitzler. „Die Menschen<br />

schauen nicht mehr ins<br />

unsichere Jenseits, sondern<br />

werfen eher einen Rückblick<br />

auf ihr Leben – auch weil der<br />

religiöse Glaube nachlässt.“<br />

Für die Toten stellen Hinterbliebene<br />

gerne Vorlieben oder<br />

Leistungen in den Fokus und<br />

ziehen eine Art Lebensbilanz.<br />

So finden sich auf Grabsteinen<br />

in Rheinland-Pfalz und<br />

im Saarland beispielsweise<br />

Berufsbezeichnungen wie<br />

„Marionettenspieler“, Mathematikformeln,<br />

ein eingravierter<br />

Bagger – und auf dem<br />

Grab abgestellte Schuhe. An<br />

anderen Gräbern lesen sich<br />

auch kleinere Boshaftigkeiten:<br />

„Hier liegt meine Dicke“<br />

und „Familie King Size Dick“.<br />

Und es wird auch angeklagt:<br />

„Die Dummheit der Menschen<br />

hat mich umgebracht“ oder<br />

„Lasst mich in Ruhe“. Benkel:<br />

„Insgesamt findet sich die<br />

ganze Breite an Emotionen,<br />

die eine Rolle gespielt hat,<br />

auf dem Grabstein wieder.“<br />

Die große Palette an ungewöhnlichen<br />

Funden haben<br />

Benkel und Meitzler jüngst<br />

in ihrem Buch „Game Over“<br />

zusammengestellt, bereits ihr<br />

zweiter Band zu dem Thema.<br />

Und es tut sich noch mehr<br />

rund um Tod und Trauer. „Für<br />

viele Menschen verliert der<br />

klassische Friedhof an Bedeutung.<br />

Sie suchen alternative<br />

Orte der Trauer“, berichtet<br />

Meitzler aus seinen Forschungen.<br />

Wie etwa virtuelle Friedhöfe<br />

im Internet: „Da kann<br />

man rund um die Uhr Kerzen<br />

anzünden, Bilder und Videos<br />

hochladen, eine Art Trauerblog<br />

schreiben – und sich<br />

anders ausdrücken, als man<br />

es auf dem Friedhof kann.“<br />

Er meint, dass der digitale<br />

Trauerort in den nächsten<br />

Jahren noch an Bedeutung<br />

gewinnen wird. Es gebe auch<br />

zunehmend „QR“-Codes an<br />

Grabsteinen, über die Besucher<br />

mit ihren Smartphones<br />

FOTO: JENNY STURM - STOCK.ADOBE.COM

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