Das Erlebnis Journal_2_2022
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INTERVIEW . im gespräch
KUNST
UND POLITIK
WIE HABEN SIE SICH SEIT BEGINN DER PANDEMIE VERÄNDERT?
Westernhagen: Mir wurde bewusst, was für ein Leben wir alle geführt
haben und wie sehr wir daran gewöhnt sind, dass es uns grundsätzlich
gut geht. Aber uns zerplatzen gerade Illusionen. In der Ukraine herrscht
Krieg, was zu umfassenden Sanktionen gegen Russland geführt hat.
Die hat es damals gegen Syrien so nicht gegeben. Aber da diesmal der
Krieg nah an uns dran ist, sind die Reaktionen ganz anders.
MUSS KUNST IN ZEITEN WIE DIESEN POLITISCH SEIN?
Westernhagen: Natürlich. Wir Künstler haben die Funktion des Hofnarren,
der die Wahrheit ausspricht. Man findet heute vielleicht noch
ein paar Ohren, in die dieses Virus einfach einsinkt. Das war in den
1960er und 1970er Jahren anders, als die Popmusik zu einer Kunstform
wie Jazz wurde. Schwierige Künstler wie Bob Dylan, Jimi Hendrix oder
Led Zeppelin wären heute nicht möglich. Das haben wir durch Geldgier
verspielt. Denen kann man nicht sagen: „Spring mal da durch den
brennenden Reifen!“ Die wollen ihr Ding machen, aber inzwischen
kann das kaum noch einer. Ich muss immer wieder meine Plattenfirma
loben, denn hier bei Sony gab es nie eine Diskussion über die Inhalte
meiner Songs. Schon als Dreikäsehoch, den keiner kannte, habe ich
bei meiner damaligen Plattenfirma Warner Music künstlerische Freiheit
eingefordert. Und die ist mir auch gewährt worden. Sie haben es ganz
offensichtlich nicht bereut.
WIRD VON PLATTENFIRMEN HEUTE EINE KÜNSTLERISCHE
LEBENSLEISTUNG NOCH HONORIERT?
Westernhagen: Nein. Heute wirst du danach beurteilt, wie viele Platten
du verkaufst, wie viele Klicks oder Rundfunkeinsätze du hast. Dadurch
wird der Popkultur jede Möglichkeit genommen, den Anspruch zu erheben,
Kunst zu produzieren. Zu einer Band wie Velvet Underground
würde man heutzutage sagen: „Ihr könnt nicht spielen. Geht nach
Hause!“ Es gibt in der gesamten Gesellschaft keine Leute mehr, die sagen:
„Scheiß drauf, ich zieh das durch, weil ich daran glaube und es für
mein Herz und meinen Kopf wichtig ist!“ Dafür muss man auch bereit
sein, Opfer zu bringen. Leidensfähigkeit ist ein großes Thema in der
Gesellschaft.
Persönliches entsteht, ist klar. Die sehr jungen Menschen von heute
sind so erzogen worden, dass Karriere das wichtigste und Geld das
höchste Gut ist. Nach meiner Lebenserfahrung macht dich das definitiv
nicht glücklicher.
© Peter Badge/Typos1; Universal Music
HAT POLITISCHE KUNST DAS POTENZIAL FÜR MEHR TIEFE?
Westernhagen: Ja klar. Aber man kann auch über sehr tiefe Gefühle
schreiben ohne dabei in Kitsch oder Pathos zu verfallen. Die Kunst ist
herausgefordert, die Wahrheit zu sagen. Kunst entsteht nur aus dir
selbst heraus und nicht aus der Meinung von 100 anderen Leuten. Bei
den meisten jungen Künstlern ist die Company heute vom ersten Ton
an involviert. Dass aus dieser Art von Kontrolle nichts zutiefst
SIE WAREN ERST 14, ALS IHR VATER STARB. WIE HAT ER SIE ERZOGEN?
Westernhagen: Mein Vater war sehr spirituell. Ich glaube, er hat etwas
in mir gesehen, weil er mir immer wieder einbläute: „Marius, egal wie
reich und berühmt du einmal wirst – bleib demütig und bescheiden!
Du bist nicht wichtiger oder besser als irgendjemand anders.“ Das hat
er als Saat gesetzt. Er hat mir gezeigt, dass es Grundsätze ethischer
und moralischer Natur gibt, die man nicht überschreitet.
on
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