BB_Preimesberger_Code Alpha_160x230mm_2.Aufl_2022 Leseprobe
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HARTER SCHIFFSALLTAG –<br />
TRÜGERISCHE ILLUSIONEN<br />
Mit 20 anderen Teilnehmern aus allen Erdteilen werde ich über Verhaltens-<br />
und Bordregeln unterrichtet. Ich durchlaufe eine Art „Brain Washing“<br />
(Gehirnwäsche), das mir einen kleinen Vorgeschmack über das<br />
Bordleben vermittelt. Fast schon bizarr die Verhaltensregeln auf amerikanischen<br />
Kreuzfahrtschiffen, für Europäer völliges Neuland (Richtung weisen mit der ganzen<br />
Hand statt mit dem Zeigefinger, aggressive Gastfreundschaft, Gästen muss alles ermöglicht<br />
werden).<br />
Nach drei Tagen Einführungsunterricht über „does and donts“ (Gebote und Verbote)<br />
besteige ich in Port Canaveral den Ozeanriesen. Ich bin beeindruckt von der<br />
Größe des Schiffs und seiner Ausstattung. Es wird Wochen dauern, mich zurechtzufinden<br />
und zu orientieren. Das Medical Center ist bestens ausgestattet; es verfügt<br />
über drei Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit, ein komplettes Labor und<br />
Röntgen. Unser Team besteht aus vier Schwestern, der Ärztin Anna, Südafrikanerin,<br />
38 Jahre alt, und Gabriel, ebenfalls aus Südafrika, der ab der nächsten Woche seinen<br />
wohlverdienten Urlaub antreten wird.<br />
Hinter Gabriel liegt eine sehr anstrengende Zeit; akribisch hat er die Minuten,<br />
die ihn vom Urlaubsantritt getrennt haben, gezählt. Die amerikanischen Schwestern,<br />
deren Äußeres vollends dem Klischee der Amerikaner (Übergewicht!) entspricht,<br />
haben ihn nicht akzeptiert. Erst nach sechs Wochen hat er seine Linie im Team gefunden,<br />
um auf so wenig Widerstand wie nur möglich zu stoßen. Die Schwestern<br />
beschreibt er folgendermaßen: „Sie sind arrogant und akzeptieren ausländische Ärzte<br />
nicht.“ Den Anweisungen Gabriels haben sie nur wenig Folge geleistet, ihn als kompetenten<br />
Arzt ständig in Frage gestellt oder kritisiert, medizinische Anweisungen, die<br />
nicht mit amerikanischen Guidelines konform gewesen sind, nicht befolgt. Gabriel<br />
macht auf mich einen netten Eindruck. Er ist bereits zweimal geschieden, hat zwei<br />
erwachsene Kinder; das hohe Lohnniveau auf amerikanischen Kreuzfahrtschiffen hat<br />
ihn auf die hohe See geführt.<br />
Von Anna und von Gabi, einer in Österreich geborenen, seit ihrer frühen Kindheit<br />
in Kanada lebenden Krankenschwester, die kurzzeitig für eine Woche eingesprungen<br />
ist, erhalte ich wertvolle Tipps: „Freunde Dich mit den Schwestern an. Amerikaner<br />
sind nicht sehr intelligent, aggressiv und sind erst zufrieden, wenn sie bekommen,<br />
was sie wollen.“<br />
Wenig später erteilt mir das Schicksal eine wichtige Lehre, um nicht zu sagen,<br />
es etabliert ein wegweisendes Exempel für meinen weiteren Umgang mit der ame-<br />
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