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BB_Preimesberger_Code Alpha_160x230mm_2.Aufl_2022 Leseprobe

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ereich zu filmen – bei der Vielzahl der am ganzen Schiff stationierten Kameras<br />

stellt dies keinerlei Problem dar. Bei der darauf folgenden Sitzung zeigen ihn die<br />

aufgenommenen Bilder tanzend während einer Crewparty. Im nächsten Hafen hat<br />

er das Schiff verlassen.<br />

Ein weiteres Beispiel, eine im Service tätige Brasilianerin, die wegen rezidivierender<br />

Sehnenscheidenentzündungen ihrer Arbeit des Öfteren ferngeblieben ist. Trotz<br />

ausreichender Therapieversuche mit Schmerzmitteln und letztendlicher Ruhigstellung<br />

der betroffenen Extremität hat sich nur schleichend wenig bis keine Besserung<br />

eingestellt. Da sie ebenfalls schon länger als acht Monate am Schiff gearbeitet hat,<br />

steht ihr ein operativer Eingriff zu, den sie aber kategorisch ablehnt. Da die Sehnenscheidenentzündung<br />

nachweislich mit ihrer Tätigkeit als Kellnerin in Zusammenhang<br />

zu bringen ist, wird ihr der ausständige Betrag von drei Monaten ihres Vertrags<br />

ausbezahlt und sie vorzeitig nach Hause entlassen. Eine erneute Anstellung hat man<br />

aber auch nach Ausheilung ihrer Beschwerden ausgeschlossen. Monate später treffe<br />

ich sie zu meiner großen Verwunderung beim Einchecken in der Gangway. Sie beteuert,<br />

sich auf ihren neuen Vertrag zu freuen und nun wieder beschwerdefrei zu sein.<br />

In den Genuss, ihren Vertrag zu beginnen, ist sie jedoch nicht gekommen. Wie sich<br />

wenig später herausstellt, ist der Reederei beim Recruiting ein Fehler unterlaufen –<br />

noch am selben Tag ist sie zurück in ihre Heimat Brasilien geflogen.<br />

Einer Thailänderin kostet ein Landgang während einer Krankmeldung in Nassau<br />

ebenfalls den Job. Die Kreuzfahrtindustrie lebt nach strengen Regeln, das Angebot<br />

an Arbeitskräften angesichts der lukrativeren Bezahlungen ist sehr groß, frei<br />

werdende Stellen können problemlos bereits am nächsten Tag nachbesetzt werden.<br />

Ein Leben auf hoher See ist in keinerlei Hinsicht mit dem an Land vergleichbar.<br />

In Gesprächen mit Philippinos erhalte ich immer die gleiche Antwort. Sie arbeiten<br />

am Schiff, bis sie sich in ihrer Heimat ein eigenes Gewerbe aufbauen, ihrer Familie<br />

einen guten Lebensstandard und den Zugang zu einer guten Ausbildung finanzieren<br />

können – aber keinen Tag länger.<br />

Das Grundgehalt eines Kellners beträgt lächerliche 50 Dollar im Monat. Das Gehalt<br />

wird durch das Trinkgeld der Gäste finanziert. Um die Einsatzfreude der Crew<br />

zu erhöhen, werden innerhalb der gesamten Flotte Ratings in unterschiedlichen Bereichen<br />

wie Gästezufriedenheit oder Verkaufsmenge von alkoholischen Getränken<br />

erstellt und mit entsprechenden Bonuszahlungen honoriert.<br />

Selbstverständlich steigen damit die Motivation und der Einsatz des Bordpersonals.<br />

Vielleicht erfordern die Umstände, der eingeschränkte Lebensraum, die Vielzahl<br />

unterschiedlicher Kulturen und Mentalitäten und der hohe Arbeitsdruck ein<br />

derart strenges Regime.<br />

Mit Misstrauen, großer Vorsicht und – zugegeben – einer gehörigen Portion<br />

Angst bin ich an meine Arbeit als Schiffsarzt in amerikanischen Gefilden herangegangen.<br />

Geprägt von Medienberichten über Unsummen, die Amerikaner in sehr grotesken,<br />

für europäische Verhältnisse absolut unvorstellbaren Prozessen immer wieder<br />

erwirtschaften, trete ich meinen Dienst an. Die erste Negativerfahrung in dieser<br />

Hinsicht lässt nicht lange auf sich warten. Ein sympathischer, freundlicher und sehr<br />

redseliger Amerikaner in den Fünfzigern konsultiert mich wegen Nackenschmerzen.<br />

Beim Schwimmen im Meer sei er von einer Welle erfasst worden und am Strand mit<br />

dem Kopf unsanft aufgeschlagen. Der Untersuchungsbefund zeigt eine leicht eingeschränkte<br />

Beweglichkeit der Halswirbelsäule, jedoch keine neurologischen Ausfälle<br />

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