BB_Preimesberger_Code Alpha_160x230mm_2.Aufl_2022 Leseprobe
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oder Hinweise auf einen Halswirbelbruch oder Bandscheibenvorfall. Ich dokumentiere<br />
alles akribisch, fertige ein Röntgen an, um eine Fraktur (Bruch) auszuschließen,<br />
und komme zur Diagnose einer Halswirbelsäulenprellung. Die Therapie besteht<br />
in einer symptomatischen Schmerztherapie bzw. temporären Ruhigstellung mittels<br />
Halskrause. Zufrieden verlässt der Patient das Medical-Center und beteuert, in seinem<br />
Jahre zurückliegenden Urlaub in Österreich vor allem an der dortigen Gastfreundschaft<br />
und Freundlichkeit große Freude gefunden zu haben. Es vergehen Wochen,<br />
dann erreicht mich der Anruf meines sehr wohlhabenden Chefs, Phil Edelstein,<br />
Professor für Emergency Medicine, der sein Rentendasein mit der Einrichtung von<br />
Medical-Centern bzw. Recruiting von qualifizierten Schiffsärzten auf Kreuzfahrtschiffen<br />
aufbessert. Er fragt, ob mir der Fall eines Patienten nach einem Halswirbelsäulentrauma<br />
ein Begriff sei. Wochen später sei der Passagier mit der Klage, von<br />
mir inadäquat behandelt worden zu sein, an die Reederei herangetreten. In seinem<br />
Beschwerdebrief schreibt er, ich hätte einen Halswirbelbruch bzw. Bandscheibenvorfall<br />
übersehen und er hätte sich deshalb einer komplizierten Wirbelsäulenoperation<br />
unterziehen müssen. „Mach Dir keine Sorgen! Seine Schreibweise deutet darauf hin,<br />
dass er es auf eine freie Kreuzfahrt abgesehen hat. Ich werde die beweisenden Befunde<br />
von ihm anfordern.“ – Mein erster Vorfall mit der „Sueing Society“ (Verklägergesellschaft)<br />
in den USA, der mich unzählige schlaflose Nächte kostet. Angesichts der<br />
freundlichen Art des Patienten habe ich mit Derartigem überhaupt nicht gerechnet.<br />
Die Sache vorläuft im Sand. Mein Chef hat glücklicherweise Recht behalten.<br />
Vorfälle dieser Art werden, wie sich in den nächsten Wochen unter Beweis stellt,<br />
fester Bestandteil meiner Arbeit. Unvergesslich die lehrenden Worte von Phil: „Die<br />
Amerikaner sind so. Man kann sie nicht ändern. Pass Dich an und dokumentier alles<br />
akribisch genau.“<br />
Diesbezüglich werde ich groteske, haarsträubende Erfahrungen machen. Amerikaner<br />
scheinen keine Scheu bzw. nicht einen Funken Anstand zu haben und lassen<br />
nichts unversucht, um schnell zu Geld zu kommen.<br />
Nach einer Pediküre mit Fußmassage im Wellnessbereich findet sich eine stark<br />
übergewichtige Amerikanerin im Medical-Center ein. Sie klagt über starke Schmerzen<br />
im Mittelfußbereich und führt dies auf die Behandlung zurück. Mittlerweile<br />
genervt und abgebrüht, antworte ich kurz entschlossen: „Die Schmerzen sind unmöglich<br />
von der Massage, sondern vom Plattfuß. Ich empfehle Ihnen passende Einlagen.“<br />
– „Ich habe derartige Probleme noch nie zuvor gehabt. Es ist definitiv von der<br />
Massage. Ich werde die Reederei verklagen.“ Mit diesen Worten hat sie erzürnt unsere<br />
Abteilung verlassen. Ob sie mit ihrer Forderung durchgekommen ist, werde ich leider<br />
nie erfahren. Die Gier der Amerikaner kennt diesbezüglich keine Grenzen. Das<br />
System hat viele Amerikaner zu habgierigen Monstern geformt, die ohne Rücksicht<br />
auf Verluste jede Gelegenheit nutzen, um zu Geld zu kommen. Rechtsanwälte sind<br />
kostenlos. Ihr Verdienst beträgt die Hälfte des Streitwerts. Als Kläger kann man somit<br />
nichts verlieren, sondern nur gewinnen. Für mich werden die Bilder von lauernden<br />
Rechtsanwälten vor Krankenhäusern auf der Suche nach potenziellen Klienten<br />
verständlich. Reedereien reagieren mit unzähligen Kameras und Sicherheitsbeamten.<br />
Jahre später, auf einem anderen amerikanischen Kreuzfahrtschiff, wird dies Mirjana,<br />
einer kroatischen Krankenschwester, den Job retten. Ein Patient findet sich nach<br />
einer medizinischen Konsultation lautstark am Guest Relations Schalter ein mit der<br />
Unterstellung, im Medical-Center $ 200 bar bezahlt zu haben. Barzahlungen werden<br />
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