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Wolf-Friedrich Schäufele: Kirchengeschichte II: Vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart (Leseprobe)

Der Band behandelt in sieben großen Kapiteln die Geschichte des Christentums vom Spätmittelalter über die Reformation im deutschsprachigen Raum und in Europa, das Konfessionelle Zeitalter, das Zeitalter von Pietismus und Aufklärung, das »lange 19. Jahrhundert« und das »kurze 20. Jahrhundert«. Die Darstellung will vor allem die großen Zusammenhänge und Entwicklungslinien erschließen. Sie soll angehenden Pfarrerinnen und Pfarrern sowie Religionslehrerinnen und Religionslehrern ein historisch begründetes Verständnis jener Gestalt des Christentums eröffnen, mit der sie in ihrem Wirkungskreis aktuell zu tun haben. Zugleich vermittelt sie das zur Orientierung und für Examenszwecke nötige Grundgerüst der wichtigsten Namen und Daten.

Der Band behandelt in sieben großen Kapiteln die Geschichte des Christentums vom Spätmittelalter über die Reformation im deutschsprachigen Raum und in Europa, das Konfessionelle Zeitalter, das Zeitalter von Pietismus und Aufklärung, das »lange 19. Jahrhundert« und das »kurze 20. Jahrhundert«. Die Darstellung will vor allem die großen Zusammenhänge und Entwicklungslinien erschließen. Sie soll angehenden Pfarrerinnen und Pfarrern sowie Religionslehrerinnen und Religionslehrern ein historisch begründetes Verständnis jener Gestalt des Christentums eröffnen, mit der sie in ihrem Wirkungskreis aktuell zu tun haben. Zugleich vermittelt sie das zur Orientierung und für Examenszwecke nötige Grundgerüst der wichtigsten Namen und Daten.

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1. Kirche und Theologie im <strong>Spätmittelalter</strong><br />

1.5.1 John Wyclif und die Lollarden<br />

Der Engländer John Wyclif (gest. 1384), der eine akademische Laufbahn<br />

an der Universität Oxford einschlug und dort schließlich Theologieprofessor<br />

wurde, war ein scholastischer Philosoph und Theologe von Rang.<br />

Seine Lehre erhielt durch seine eigentümliche Metaphysik eine eindrucksvolle<br />

Geschlossenheit. Gegen die herrschende via moderna Ock -<br />

hams ging er auf einen Universalienrealismus <strong>zur</strong>ück, der die Allgemeinbegriffe<br />

auf ewige, notwendige Ideen im Denken Gottes <strong>zur</strong>ückführte;<br />

alles geschaffene Sein gründete demnach in einem idealen Sein<br />

in Gott. Besonders zeichnete sich Wyclif durch seine Hochschätzung der<br />

Bibel aus, die ihm bei seinen Anhängern den Beinamen »Doctor evangelicus«<br />

eintrug. Wyclif setzte die Heilige Schrift mit Christus als dem<br />

ewigen Wort Gottes gleich. Sie enthielt jegliche Wahrheit, vor allem<br />

aber das moralisch verstandene »Gesetz Christi«, das seine Jünger <strong>zur</strong><br />

Nachfolge in Armut und Demut verpflichtete. Die Konsequenz daraus<br />

war ein Biblizismus, der sich kritisch gegen die kirchliche Lehrautorität<br />

wenden ließ. Wyclif selbst kommentierte in mehrjähriger Arbeit die<br />

gesamte Bibel. Die Übersetzung der Bibel ins Englische, die er forderte,<br />

wurde später von seinen Schülern besorgt.<br />

Realismus und Biblizismus bildeten die Grundlage für Wyclifs Kirchenkritik.<br />

Ihm zufolge erforderte die katastrophale Abweichung des<br />

Klerus vom göttlichen Gesetz eine tiefgreifende Reform von Kirche und<br />

Klerus. Als kirchenpolitischer Berater des Herzogs von Lancaster entwickelte<br />

Wyclif das Programm einer umfassenden Enteignung und Rückführung<br />

der Kirche <strong>zur</strong> apostolischen Armut durch die weltlichen Herrscher.<br />

Mit der in seinem Buch »De ecclesia« entwickelten radikal-augustinischen<br />

Ekklesiologie, die die Kirche als unsichtbare Gemeinschaft der<br />

Prädestinierten verstand, relativierte er die Autorität der Amtsträger,<br />

von denen man nicht wissen konnte, ob sie der wahren Kirche angehörten.<br />

Die päpstliche Verurteilung seiner Lehren und der Ausbruch des<br />

Papstschismas 1378 führten Wyclif schließlich zu radikaler Kritik an der<br />

kirchlichen Hierarchie: Leben und Lehre der Kirche seien dem Irrtum<br />

verfallen, das Papsttum als Institution – also nicht nur dieser oder jener<br />

einzelne Papst – sei der endzeitliche Antichrist. Als Wyclif schließlich<br />

aus philosophischen Gründen die Lehre von der Transsubstantiation<br />

der Abendmahlselemente ablehnte – Brot und Wein konnten für ihn<br />

nicht einfach aufhören zu existieren –, verlor er seinen Rückhalt bei den

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