wuw_2011-03.pdf - Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
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Talentierten und exzellent ausgebildeten Frauen steht<br />
<strong>die</strong> Welt offen. In Deutschland aber wird ihr Wunsch, in<br />
Führungsetagen und Vorstände vorzudringen, hitzig diskutiert.<br />
Harte Kritiker postulieren: Wenn <strong>die</strong> Frauenquote<br />
kommt, geht es bergab mit der deutschen Wirtschaft,<br />
dann wandern besser qualifizierte Männer aus. Parallel<br />
verankern immer mehr Dax-Konzerne eigene Frauenquoten<br />
und Diversity-Ziele in ihrer Firmenphilosophie. Was<br />
passiert da gerade?<br />
Was uns aktuell bei der Frauenquotendebatte entgegenschlägt,<br />
ist dem Thema völlig unangemessen<br />
und rückwärtsgewandt. Initiativen mit merkwürdigen<br />
Frauen- und überholten Rollenbildern schießen<br />
plötzlich wie Pilze aus dem Boden und finden in den<br />
Me<strong>die</strong>n Gehör; Managerinnen wehren <strong>die</strong> Frauenquote<br />
ab, wohl wissend, dass sie vermutlich selbst<br />
Quotenfrauen sind; und all dem schaut unser topausgebildeter<br />
weiblicher Nachwuchs zu und wundert<br />
sich, was andere alles über ihr Innerstes zu wissen<br />
scheinen. Dabei geht <strong>die</strong>se unschöne Debatte<br />
ihnen ziemlich unter <strong>die</strong> Haut. Und ich frage mich, ob<br />
wir mit all <strong>die</strong>sem Getöse womöglich in eine Phase<br />
der Re-Traditionalisierung rutschen.<br />
Sind Quoten der richtige Weg zu mehr Chancengleichheit?<br />
Für eine Übergangszeit sind Frauenquoten sinnvoll,<br />
um mehr weibliche Spitzenkräfte da zu zeigen, wo sie<br />
hingehören: in Toppositionen. Diese Vorbilder werden<br />
<strong>die</strong> gläserne Decke durchbrechen und weitere talentierte<br />
Frauen nach sich ziehen. Damit wird auch <strong>die</strong><br />
Qualität der deutschen Führungskräfte insgesamt<br />
steigen. Aktuell verengen wir nämlich den Pool, aus<br />
dem wir unsere Führungskräfte schöpfen, künstlich:<br />
Frauen schreiben beachtliche Abschlussarbeiten,<br />
glänzen mit innovativen Ideen – <strong>die</strong> Arbeitswelt ruft<br />
<strong>die</strong>se Potenziale aber gar nicht ab. Das müssen wir<br />
dringend ändern. Quoten werden in Deutschland<br />
zudem zu negativ und einseitig gesehen. In den USA<br />
beispielsweise ist das anders, da ist man stolz auf<br />
Quoten, <strong>die</strong> zu mehr Diversität führen, man wirbt<br />
mit ihnen. Ich gehöre derzeit dem Beirat einer Privatuniversität<br />
an, wo nur 33 Prozent der Stu<strong>die</strong>renden<br />
Frauen sind. Ein amerikanischer Kollege wies<br />
mich darauf hin, dass man mit <strong>die</strong>sem geringen Frauenanteil<br />
gute Chancen habe, hochtalentierte Ame-<br />
rikanerinnen anzuziehen – man müsste damit nur<br />
explizit in den USA werben. Hintergrund sind <strong>die</strong><br />
Geschlechterquoten an den Top-Universitäten wie<br />
Stanford oder Harvard, wo sich mittlerweile weitaus<br />
mehr Frauen als Männer bewerben und Frauen<br />
der Zugang nun aufgrund der gewünschten Chancengleichheit<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Geschlechter erschwert wird.<br />
Bleiben wir beim internationalen Vergleich. Wie divers<br />
ist unser Bildungssystem?<br />
In Deutschland war diversity nie stark verankert. Wir<br />
verstehen <strong>die</strong>ses Thema immer noch nicht richtig.<br />
Wir sind weiter sehr stark auf einen Bildungsbegriff<br />
fixiert, der an den kognitiven Kompetenzen hängt, an<br />
Wissen. Kompetenzen rund um das Thema diversity<br />
tun wir lapidar als soft skills ab, obgleich es genau<br />
<strong>die</strong>se Fähigkeiten sind, <strong>die</strong> unsere Gesellschaft heute<br />
am meisten benötigt. Genau betrachtet nehmen wir<br />
<strong>die</strong> kulturellen Kompetenzen sogar systematisch aus<br />
unserem Bildungssystem heraus: Im Schulsystem<br />
fällt das Auslandsjahr raus, der komprimierte Lehrplan<br />
an Schulen und Hochschulen verengt den Raum<br />
<strong>für</strong> Fächer jenseits der harten Fakten, auch der Bachelor<br />
und der Master werden bei uns weitaus weniger<br />
breit angelegt verstanden. In Deutschland beginnt<br />
Diversität im Grunde erst mit dem Berufseintritt in<br />
einen international ausgerichteten Konzern.<br />
Diversity-Management wird in deutschen Unternehmen<br />
immer stärker Thema. Hintergrund sind <strong>die</strong> globalen<br />
Geschäfte, aber auch der demografische Wandel und der<br />
drohende Fachkräftemangel. Frauen werden dabei als<br />
größtes Potenzial gesehen. Wie bewerten Sie <strong>die</strong> Öffnung<br />
hin zu kreativeren Arbeitszeitmodellen?<br />
Das ist ein Fortschritt, ohne Frage. Ich sehe in Deutschland<br />
aber bislang keinen wirklichen Kulturwandel<br />
weg vom vergötterten Alleinver<strong>die</strong>nermodell, das<br />
sich ja auch im Renten- und Krankenkassensystem<br />
widerspiegelt. Es gibt vereinzelt kreative Arbeitsangebote,<br />
<strong>die</strong> gut ausgebildete Arbeitskräfte mittlerweile<br />
auch einfordern. Aber <strong>die</strong>se Angebote werden<br />
von den Unternehmen längst nicht so überzeugend<br />
und leidenschaftlich umgesetzt und gelebt wie in<br />
den USA, in England oder den skandinavischen Ländern,<br />
wo man in den vergangenen Jahren <strong>die</strong>sbe-<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Fotos: Peter Himsel