wuw_2011-03.pdf - Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
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K 2132 F<br />
Wirtschaft<br />
<strong>Wissenschaft</strong><br />
Heft 3/<strong>2011</strong>
Warum wir im <strong>Stifterverband</strong> sind.<br />
„Wir sind ein Hightech-Unternehmen und unser Land ist ein Hightech-Land. Unser Wohlstand<br />
hängt von den guten Ideen bestens ausgebildeter <strong>Wissenschaft</strong>ler, Forscher und Ingenieure<br />
ab. Für ihre Ausbildung brauchen wir exzellente Hochschulen. Damit unsere hervorragende<br />
<strong>Wissenschaft</strong>slandschaft erhalten bleibt und immer besser wird, engagiert sich<br />
TRUMPF im <strong>Stifterverband</strong>.“<br />
Nicola Leibinger-Kammüller • TRUMPF Gruppe<br />
Der <strong>Stifterverband</strong> verkörpert seit 1920 <strong>die</strong> gemeinsame Verantwortung der Wirtschaft <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und Bildung in<br />
Deutschland. Er entwickelt Förderprogramme und unterstützt Initiativen, <strong>die</strong> zur Lösung von strukturellen Problemen im<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ssystem beitragen. Er erhebt das Engagement der Wirtschaft <strong>für</strong> Forschung und Entwicklung und betreut nahezu<br />
500 Stiftungen mit einem jährlichen Fördervolumen von über 120 Millionen Euro.<br />
Foto: Jürgen Altmann
Prolog<br />
Als unsere Autorin Corina Niebuhr am Ende eines schwül-heißen Sommertages<br />
damit begann, <strong>die</strong> Berliner <strong>Wissenschaft</strong>lerin Jutta Allmendinger zu interviewen,<br />
krachte es plötzlich. Was aber nicht am überschäumenden Temperament Allmendingers<br />
lag, sondern an einem heftigen Gewitter, das an jenem Abend über Berlin<br />
niederging. Als sei <strong>die</strong> Hitze nicht allein<br />
schon anstrengend genug, hatte unmittelbar<br />
vor dem Interview unser Fotograf Peter<br />
Himsel alle Register gezogen, um <strong>die</strong> zu<br />
Interviewende spektakulär ins Bild zu setzen.<br />
Schließlich erwartet der anspruchsvolle<br />
Leser heutzutage nicht nur starke<br />
Worte, sondern auch starke Bilder. Jutta<br />
Allmendinger enttäuschte Peter Himsel und<br />
uns nicht, schließlich ist <strong>die</strong> Frau ein Profi.<br />
Das Gewittergrollen kann man in unserem<br />
gedruckten Interview naturgemäß nicht<br />
hören, wohl aber in jener Bewegtbild-Langfassung<br />
des Interviews, <strong>die</strong> man im webTV<br />
des <strong>Stifterverband</strong>es sehen kann. Me<strong>die</strong>n<br />
wachsen immer mehr zusammen beziehungsweise<br />
ergänzen sich. In sehr vielen<br />
Beiträgen <strong>die</strong>ser Ausgabe wird das deutlich: Oft gibt es vertiefendes Material auf<br />
unseren Webseiten, sei es in Form von Audiopodcasts oder in bewegten und unbewegten<br />
Bildern. Dies wird sich wohl noch rasant weiterentwickeln, vor allem durch<br />
den Siegeszug der Tabletcomputer und des mobilen Internets. Multimedia wird<br />
unseren Alltag wie selbstverständlich begleiten und reine Printprodukte werden<br />
uns wahrscheinlich ziemlich bald ziemlich langweilig vorkommen.<br />
Doch noch ist es nicht so weit: Noch halten Sie ein – hoffentlich – interessantes<br />
Magazin aus der guten alten Kohlenstoffwelt in der Hand. Was ja auch seine unbestrittenen<br />
Stärken hat: Sie können es riechen, fühlen und nach der Lektüre weitergeben.<br />
An Interessierte, <strong>die</strong> uns vielleicht noch nicht so gut kennen. Wir würden uns<br />
darüber freuen. Denn <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> braucht so viele Unterstützer wie möglich.<br />
Empfehlen Sie uns weiter.<br />
MICHAEL SONNABEND<br />
Trotz Gewitter eine entspannte<br />
Atmosphäre: <strong>Wissenschaft</strong>lerin<br />
Jutta Allmendinger (li.) im<br />
Gespräch mit Autorin Corina<br />
Niebuhr.<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong> 3
4<br />
Inhalt<br />
Faktenhuberei<br />
6 Infografik: Die deutsche Hochschulwelt<br />
Infothek<br />
8 Moderner Auftritt • Umfrage: Zwangsexmatrikulation • Sagen<br />
Sie uns Ihre Meinung! • Das besondere Bild • Standpunkte:<br />
Umstrittenes Kontrollorgan<br />
Schwerpunkt<br />
10 Biete Vielfalt<br />
Initiativen<br />
24 Talentschuppen Ruhrgebiet<br />
Wie nutzt man vorhandene Vielfalt? Der Kongress „Talent -<br />
MetropoleRuhr“ gab Antworten darauf.<br />
26 Wege zu mehr Innovation<br />
Wie Wirtschaft und <strong>Wissenschaft</strong> fruchtbar zusammen arbeiten.<br />
28 Süddeutschland stark<br />
Die Forschungskapazitäten der Wirtschaft verteilen sich immer<br />
ungleicher auf <strong>die</strong> Bundesländer.<br />
28 Stiftungen unterstützen Journalisten<br />
Stu<strong>die</strong> untersuchte Stiftungsaktivitäten in<br />
den USA.<br />
29 Regeln wahren Unabhängigkeit<br />
<strong>Stifterverband</strong> veröffentlicht Empfehlungen <strong>für</strong> Kooperationen<br />
von Unternehmen und Hochschulen bei Stiftungsprofessuren.<br />
30 Jagd nach Plagiaten<br />
<strong>Deutsche</strong> Hochschulen suchen Mittel und Wege im Kampf<br />
gegen Abschreiber.<br />
32 „Wir beobachten <strong>die</strong> Wirkung sehr genau“<br />
Förderarbeit und Resonanz: Interview mit Volker<br />
Meyer-Guckel, Programmleiter und stellvertretender<br />
Generalsekretär des <strong>Stifterverband</strong>es.<br />
34 Ausstellung geht unter <strong>die</strong> Haut<br />
Kieler Forscher gewinnen „<strong>Wissenschaft</strong><br />
interaktiv“.<br />
Schwerpunkt<br />
Biete Vielfalt<br />
Heterogener, bunter, vielfältiger – <strong>die</strong><br />
Gesellschaft in Deutschland verändert ihr<br />
Gesicht. Doch der Kulturwandel vollzieht<br />
sich nur gemächlich. Auch Hochschulen<br />
und Unternehmen kommen nur langsam<br />
auf ihrem Weg voran, <strong>die</strong> Vielfältigkeit<br />
unserer Gesellschaft sinnvoll <strong>für</strong> sich zu<br />
nutzen – und Kapital daraus zu schlagen.<br />
Sie stecken fest zwischen endlosen Diskussionen<br />
um Integration, Frauenquote und<br />
Bildungschancen. Die W&W zeigt<br />
Schwachstellen auf – und Lösungswege.
10 Biete Vielfalt<br />
Diversity-Management ist eine Notwendigkeit.<br />
Doch in Deutschland werden eher <strong>die</strong> Hürden<br />
gesehen als <strong>die</strong> Chancen.<br />
18 Willkommen im Club<br />
Programm „Ungleich besser!“: Ausgewählte<br />
Hochschulkonzepte begreifen Verschiedenheit<br />
als Chance.<br />
20 Ohne Diversity wird es teuer<br />
Der Mittelständler Teckentrup zwischen kulturellen<br />
Missverständnissen und produktiver<br />
Arbeitsatmosphäre.<br />
Foto: Standout.de<br />
Initiativen<br />
35 Mathe-Gold <strong>für</strong> Lisa Sauermann<br />
Schülerin aus Dresden ist alleinige Rekordhalterin.<br />
36 Dem Schmerz auf der Spur<br />
W&W-Serie Stiftungsprofessuren: Martin Schmelz ist Experte der<br />
Schmerztherapie.<br />
38 <strong>Deutsche</strong>r Zukunftspreis: Innovationen gesucht<br />
Ausschreibung <strong>für</strong> 2012 gestartet.<br />
38 Ingenieurin mit Auszeichnung<br />
Katrin Baumann <strong>für</strong> Diplomarbeit geehrt.<br />
39 Ideenpool füllen<br />
Junge Akademie startet Wettbewerb „UniGestalten“.<br />
Interview<br />
40 „Weibliche Spitzenkräfte gehören in Top-Positionen“<br />
Soziologin Jutta Allmendinger plä<strong>die</strong>rt im W&W-Interview <strong>für</strong><br />
mehr Diversität.<br />
Essay<br />
44 Die Farbe des Geldes und der<br />
Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong><br />
Ein Essay von Peter Strohschneider.<br />
Service<br />
48 Publikationen • Termine • Ansprechpartner •<br />
Personen • In eigener Sache • Impressum<br />
Frisch im Web<br />
51 Gut vernetzt<br />
Hochschulperle<br />
52 Innovative Hochschulprojekte<br />
3-<strong>2011</strong><br />
5
Faktenhuberei<br />
Die deutsche Hochschulwelt<br />
Hochschulen in Deutschland<br />
Hochschulen insgesamt: 379<br />
staatliche Hochschulen: 240<br />
nichtstaatliche,<br />
staatlich anerkannte: 139<br />
Stu<strong>die</strong>rende<br />
2010/11<br />
Stu<strong>die</strong>rende insgesamt: 2,22 Mio.<br />
Stu<strong>die</strong>ngänge<br />
<strong>2011</strong><br />
Stu<strong>die</strong>ngänge insgesamt: 14.744<br />
Bachelor:<br />
6.353<br />
Absolventen<br />
Master<br />
Master<br />
Master<br />
Master<br />
2009<br />
Absolventen insgesamt: 338.656<br />
Grafik Nr. 3 | Thema: Hochschullandschaft<br />
<strong>2011</strong><br />
Frauen: 1,16 Mio.<br />
Männer: 1,06 Mio<br />
Master<br />
Frauen: 172.757<br />
Master<br />
Master: 5.864<br />
Staatsprüfungen: 1.895<br />
Männer: 165.899<br />
davon private: 99<br />
davon kirchliche: 40<br />
Anteil ausländischer Stu<strong>die</strong>render: 11,3 %<br />
Diplom (Uni): 293<br />
Diplom (FH): 118<br />
Diplo Diplo Ma Magister: 60<br />
Anteil ausländischer Absolventen: 9,6%<br />
Promotionen: 25.084<br />
Habilitationen: 1.820
Forschung<br />
2008<br />
Ausgaben der Hochschulen <strong>für</strong> FuE insgesamt: 11,1 Mrd. €<br />
Drittmitteleinnahmen insgesamt: 4,9 Mrd. €<br />
Personal<br />
2009<br />
Personal insgesamt: 573.364<br />
<strong>Wissenschaft</strong>liches und künstlerisches Personal: 301.042<br />
Internationalität<br />
Ausländische Stu<strong>die</strong>rende in Deutschland insgesamt (2008): 181.249<br />
Polen: 8.467<br />
Bulgarien: 8.266<br />
<strong>Deutsche</strong> Stu<strong>die</strong>rende im Ausland insgesamt (2009/10): 102.143<br />
Drittmittel je Professor (Hochschulen insgesamt) 133.000 €<br />
Österreich: 20.019<br />
Niederlande: 18.972<br />
UK: 12.895<br />
Schweiz: 11.005<br />
USA: 9.679<br />
Frankreich: 6.071<br />
Verwaltungs- und Technik-Personal: 272.322<br />
China: 22.779<br />
Russland: 9.764<br />
Infografik: Dieter Duneka | Quellen: HRK, Statistisches Bundesamt
8<br />
Infothek<br />
Foto: Jack Hollingsworth/Photodics/Thinkstock.com<br />
Moderner Auftritt<br />
Neues Logo, neue Website, neue Projekte – es<br />
tut sich viel bei Bildung & Begabung, dem deutschen<br />
Zentrum <strong>für</strong> Begabungsförderung. Nach<br />
der Überarbeitung des Corporate Designs ist<br />
nun der neue Internetauftritt der Initiative mit<br />
Nachrichten, Veranstaltungsankündigungen<br />
und Ansprechpartnern online. In den kommenden<br />
Monaten wird <strong>die</strong><br />
Website nun durch<br />
weitere Elemente<br />
ergänzt, allen voran<br />
durch ein umfangreiches<br />
Informationsportal. Es ist<br />
als zentrale Anlaufstelle <strong>für</strong><br />
Eltern und Lehrer konzipiert<br />
Zwangsexmatrikulation<br />
Die Universität Köln hat nach einer mehrjährigen Übergangszeit <strong>die</strong> letzten Diplomund<br />
Magisterstu<strong>die</strong>ngänge eingestellt. Ende August wurden 32 Langzeitstudenten<br />
zwangsexmatrikuliert, <strong>die</strong> noch in einem der alten Stu<strong>die</strong>ngänge steckten. Doch ist<br />
<strong>die</strong>ser Rauswurf richtig? Das meinten <strong>die</strong> Nutzer von stifterverband.de:<br />
51 Prozent: Ja.<br />
Wer in 16 Semestern<br />
sein Physikvordiplom<br />
nicht schafft,<br />
sollte besser etwas<br />
anderes machen.<br />
1,5 Prozent: Weiß nicht.<br />
Jetzt entscheiden eh <strong>die</strong> Gerichte.<br />
47,5 Prozent: Nein.<br />
Wer lange stu<strong>die</strong>rt, weil<br />
er sich in der Hochschulpolitik<br />
engagiert oder<br />
An gehörige pflegt, darf<br />
dadurch keine Nachteile<br />
haben.<br />
und bündelt <strong>die</strong> wichtigsten Informationen zu<br />
Stipen<strong>die</strong>n, Beratungsstellen, Lehrmaterialien<br />
und den verschiedenen Förderprogrammen von<br />
Bildung & Begabung wie dem bundesweiten<br />
Mathematik-Wettbewerb, dem Bundeswettbewerb<br />
Fremdsprachen und der <strong>Deutsche</strong>n SchülerAkademie.<br />
Über Facebook und Twitter können<br />
sich Interessierte zusätzlich mit dem Zentrum<br />
<strong>für</strong> Begabungsförderung vernetzen. Bildung<br />
& Begabung ist eine Initiative des <strong>Stifterverband</strong>es<br />
und wird vom Bundesministerium<br />
<strong>für</strong> Bildung und Forschung gefördert.<br />
&<br />
www.bildung-und-begabung.de<br />
„Unser Wohlstand basiert nicht auf natürlichen<br />
Rohstoffen. Unser Rohstoff – das sind <strong>die</strong> Ideen,<br />
<strong>die</strong> Kreativität, der Erfindergeist unserer Menschen.“<br />
Stand: 19.09.<strong>2011</strong><br />
Ekkehard D. Schulz, Mitglied des Aufsichtsrates der ThyssenKrupp AG<br />
Sagen Sie uns<br />
Ihre Meinung!<br />
Massenbeschallung oder notwendiges<br />
Lehrmittel? Kein Student kommt ohne <strong>die</strong><br />
Vorlesung durchs Studium. Aber hat <strong>die</strong>se<br />
klassische Lehrform an Hochschulen überhaupt<br />
noch eine Zukunft?<br />
Schicken Sie uns Ihr Statement (max. 450<br />
Zeichen) bitte bis zum 15. Oktober an:<br />
<strong>wuw</strong>@stifterverband.de (Betreff: Umfrage)<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
Umstrittenes Kontrollorgan<br />
Standpunkte. In allen Bundesländern mit Ausnahme von Bremen sind Hochschulräte mittlerweile fest in der Univer -<br />
sitätskultur verankert – allerdings nicht unumstritten. Welche Chancen und Herausforderungen bieten Hochschulräte<br />
in unserer <strong>Wissenschaft</strong>sgesellschaft?<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Ulrich Müller,<br />
Projektleiter, Centrum<br />
<strong>für</strong> Hochschulentwicklung<br />
gGmbH<br />
„Ein Hochschulrat richtet unter Um -<br />
ständen mehr Schaden als Nutzen an,<br />
wenn man ihn unpassend besetzt, falsch<br />
konstruiert – zum Beispiel als Landeshochschulrat<br />
– oder mit den falschen<br />
Aufgaben betraut. Zum echten Gewinn<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochschule wird er, wenn seine<br />
Rolle sinnvoll definiert ist, wenn kundige<br />
und engagierte Externe sich auf ein<br />
konstruktiv-kritisches Miteinander mit<br />
Hochschulleitung und Senat einlassen<br />
– und wenn <strong>die</strong> Arbeitsstrukturen adäquat<br />
gestaltet sind.“<br />
Das besondere Bild<br />
Alles im Blick hat <strong>die</strong>ses Erdmännchen – eingefangen von dem deutschen Fotografen<br />
Solvin Zankl. Mit seinen preisgekrönten Fotoreportagen versucht er, typisches Tierverhalten<br />
zu dokumentieren: Erdmännchen zum Beispiel stehen bei der Nahrungssuche auf<br />
Erhöhungen Wache, um Artgenossen vor tierischen Feinden zu warnen.<br />
Johannes Zylka,<br />
Promotionsstipendiat an<br />
der Pädagogischen Hochschule<br />
Weingarten<br />
„Hochschulräte sind zum derzeitigen<br />
Zeitpunkt eine essenzielle Einrichtung<br />
an der Schnittstelle von Hochschulen,<br />
Wirtschaft sowie Ländern und bewirken<br />
hochschulintern wie auch -extern wertvolle<br />
Impulse. Die Sinnhaftigkeit von<br />
Hochschulräten differiert jedoch in<br />
Abhängigkeit von Ländern und einzelnen<br />
Hochschultypen deutlich, beispielsweise<br />
zwischen dem <strong>für</strong> eine Hochschule<br />
zuständigen Aufsichtsrat und einem <strong>für</strong><br />
mehrere Hochschulen zuständigen Universitätsrat.“<br />
Andreas Keller,<br />
Vorstandsmitglied der<br />
Gewerkschaft Erziehung<br />
und <strong>Wissenschaft</strong><br />
„Über Hochschulräte nehmen demokratisch<br />
nicht legitimierte Vertreter von<br />
Unternehmerinteressen übermäßig starken<br />
Einfluss auf <strong>die</strong> Hochschulentwicklung.<br />
Hochschulräte sollten daher durch<br />
Kuratorien ersetzt werden, <strong>die</strong> plural mit<br />
Repräsentanten unterschiedlicher gesellschaftlicher<br />
Interessen besetzt sind. Sie<br />
sollten <strong>die</strong> Hochschulen beraten und mit<br />
gesellschaftlichen Anforderungen konfrontieren,<br />
statt in <strong>die</strong> akademische<br />
Selbstverwaltung einzugreifen.“<br />
Fotos: CHE, privat<br />
Foto: Solvin Zankl<br />
9
Biete Vielfalt
Diversity. In Deutschland vollzieht sich der Kulturwandel<br />
nur zögerlich. Frauenquote, Integration,<br />
Bildungschancen – es wird viel geredet, aber nur<br />
wenig gehandelt. Ob <strong>die</strong> Gesellschaft künftig Vielfältigkeit<br />
und Andersartigkeit zu schätzen und nutzen weiß,<br />
hängt auch ganz zentral von den Hochschulen ab.<br />
VON CORINA NIEBUHR<br />
er nicht reinpasst, bleibt<br />
draußen. Soll <strong>die</strong> Person<br />
doch drängen wie ein<br />
Stürmer vorm Tor und<br />
<strong>die</strong> auf Emporkömmlinge<br />
spezialisierte Abwehrkette überwinden.<br />
Man selbst jedenfalls ist sportlich.<br />
Personen ausgrenzen? So kann<br />
man es nicht formulieren: Es geht um<br />
Topleistungen! Und zu denen ist nicht<br />
jeder fähig.<br />
Seit Jahrzehnten dümpeln in<br />
Deutschland <strong>die</strong> Diskussionen um <strong>die</strong><br />
Frauenquote, Integration von Migranten<br />
und Bildungschancen von Arbeiterkindern<br />
dahin. Passiert ist wenig. Die<br />
Abwehrketten stehen vielerorts: in Vorständen<br />
großer Konzerne und Führungszirkeln<br />
der Finanzwelt, in Studentenbildungswerken<br />
und Stu<strong>die</strong>ngängen<br />
der TU9, in Präsi<strong>die</strong>n von Hochschulen<br />
und öffentlichen Forschungseinrichtungen,<br />
in Personalbüros und Auswahlgremien,<br />
ja schon in Kindergärten<br />
und Schulen.<br />
Es wird sortiert, ausgesiebt, ausgegrenzt.<br />
Nach welchem Muster, geben<br />
meist einförmige Eliten vor, einförmig<br />
in Herkunft, Ausbildung und Denkmustern.<br />
Dabei greift <strong>die</strong> Vorliebe <strong>für</strong> das<br />
Altbekannte oft unbewusst, wie das Beispiel<br />
der deutschen Begabtenförderungswerke<br />
zeigt: 72 Prozent der Stipendiaten<br />
der Begabtenförderungswerke kommen<br />
aus gehobenen oder außerordentlich<br />
hohen sozialen Verhältnissen; nur<br />
neun Prozent der Stipen<strong>die</strong>n gehen an<br />
Bewerber mit sozial niedrigem Status.<br />
Deutschland öffnet sich nur langsam den<br />
Potenzialen von Vielfalt und Verschiedenartigkeit:<br />
Integrationskindergärten<br />
werden prämiert und wieder vergessen,<br />
Migrantenkinder zu Schulabschlüssen<br />
motiviert und später im Berufsbewerbungsverfahren<br />
ignoriert, weibliche Führungstalente<br />
angeworben und mit der<br />
Mutterschaft ins mittlere Management<br />
abgeschoben. Fast schon, so scheint es,<br />
verlaufen <strong>die</strong> Prozesse widerwillig. Ein<br />
wirklicher Kulturwandel lässt weiter auf<br />
sich warten, kaum einer scheint mit dem<br />
Herzen dabei. Diversity-Management ist<br />
vor allem eine Notwendigkeit: demografischer<br />
Wandel, internationale Märkte,<br />
Fachkräftemangel, Frauenquote, Bolo -<br />
gna. Es werden <strong>die</strong> Hürden gesehen und<br />
viel weniger <strong>die</strong> Chancen.<br />
Weltweite Märkte und vernetzte Wissensgesellschaften<br />
können nur von<br />
Menschen mit kultureller Kompetenz<br />
erfolgreich be<strong>die</strong>nt werden. Menschen,<br />
<strong>die</strong> Andersartigkeit verstehen und wertschätzen<br />
und nicht reflexartig ausklammern.<br />
Vielfalt ist längst Normalität. Sie<br />
nimmt nicht nur in der Arbeitswelt stetig<br />
zu, auch in Bildung, Me<strong>die</strong>n, Kultur<br />
und Unterhaltung. Hinzu kommt der<br />
Wertewandel auf dem Arbeitsmarkt und<br />
in der Gesellschaft, den <strong>die</strong> nächsten<br />
Generationen mit ihrem Wunsch nach<br />
Individualisierung vorantreiben werden.<br />
Wer <strong>die</strong>se jungen Talente der Generationen<br />
Y und Z gewinnen möchte, wird mit<br />
einengenden Hierarchien, ausufernder<br />
Bürokratie, überholten Statussymbolen<br />
und ausgrenzenden Unternehmensphilosophien<br />
nicht weit kommen.<br />
Die Entwicklungen sind bereits<br />
rasant. Wie weit Deutschland anderen<br />
Gesellschaften hinterherhinkt, wird spätestens<br />
sichtbar, wenn der demografische<br />
Wandel greift. Nicht nur wegen des Fachkräftemangels:<br />
Ein Haupttreiber hin zu<br />
mehr Vielfalt ist <strong>die</strong> Digitalisierung. So<br />
wird das Enterprise 2.0 – Steckenpferd<br />
der jüngeren Unternehmenskulturen –<br />
<strong>die</strong> klassischen Hierarchien ablösen.<br />
12<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Foto: Stockbyte/Thinkstock.com
Während deutsche Mittelständler vielerorts<br />
noch überlegen, ob sie dunkelhäutige<br />
oder ausländisch aussehende Mitarbeiter<br />
überhaupt zu ihren Kunden schicken<br />
können, sind in Netz-Communitys<br />
und internationaler Businesskultur <strong>die</strong><br />
Grenzen zwischen Nationalitäten, Kulturen,<br />
Religionen, Alter und Ge schlecht<br />
längst verwischt.<br />
Dabei reicht <strong>die</strong> Wirkung von Enterprise<br />
2.0 weit über moderne Unternehmensanwendungen<br />
hinaus. Über<br />
<strong>die</strong> Nutzung von Open-Innovation-Prozessen<br />
zum Beispiel können Unternehmen<br />
weltweit mit Tausenden von For-<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Vielfalt ist längst Normalität. Sie nimmt<br />
nicht nur in der Arbeitswelt zu, auch in<br />
Bildung, Me<strong>die</strong>n, Kultur und Unterhaltung.<br />
schern und Entwicklern zusammenarbeiten,<br />
beobachtet Thomas Sattelberger,<br />
Personalvorstand der <strong>Deutsche</strong>n Telekom<br />
AG: „Mit Enterprise 2.0 werden in<br />
den Gesellschaften auch völlig andere<br />
Freelancer-Kulturen entstehen, mit komplett<br />
neuen Lebensentwürfen und proteus-ähnlichen<br />
Karriereverläufen, ohne<br />
fixe Bindung an einen Arbeitgeber.“ Freelancer-Kulturen,<br />
<strong>die</strong> ganz anderen Bindungs-<br />
und Entkopplungsmechanismen<br />
folgen, seien im Kommen, meint auch<br />
Gunter Dueck, Chief Technology Officer<br />
bei der IBM Deutschland GmbH.<br />
Homogene Teams sind überholt<br />
und weltfremd, schon jetzt. Sie sind zwar<br />
leichter zu führen, bringen da<strong>für</strong> aber in<br />
der globalisierten und digitalisierten Welt<br />
wenig Spannendes hervor. Dazu sind sie<br />
unterm Strich erheblich teurer und<br />
erfolgloser, wie bereits mehrere Stu<strong>die</strong>n<br />
führender Beratungsunternehmen<br />
><br />
13
14<br />
Interview<br />
„Hochschulen sind gesellschaftliche Labore“<br />
Klimawandel, Finanzkrise, Energiewende –<br />
<strong>die</strong> Herausforderungen des 21. Jahrhunderts<br />
sind vor allem eines: komplex und global.<br />
Sie sehen <strong>die</strong> deutschen Hochschulen als Pioniere<br />
auf dem Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit<br />
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft,<br />
kritisieren aber, dass sie <strong>die</strong>ser Aufgabe längst<br />
nicht gerecht werden.<br />
Hochschulen sind gesellschaftliche<br />
Labore, Werkstätten <strong>für</strong> Zukunftsmodelle<br />
und somit potenzielle Nachhaltigkeitspioniere.<br />
Sie nehmen sich jedoch<br />
der damit verbundenen Aufgabe nicht<br />
genügend an. Stu<strong>die</strong>rende werden <strong>die</strong><br />
Entscheidungsträger, <strong>die</strong> Meinungsmacher<br />
von morgen sein und müssen auf<br />
<strong>die</strong> großen Herausforderungen vorbereitet<br />
werden, <strong>die</strong> unsere Zukunft mit<br />
sich bringt. Daher haben wir vom Netzwerk<br />
der studentischen Nachhaltigkeitsinitiativen<br />
im Juni <strong>2011</strong> <strong>die</strong> Petition „Eine<br />
Hochschullandschaft in nachhaltiger<br />
Entwicklung“ verfasst, deren Ergebnisse<br />
wir im Oktober auf einer Tagung in Hildesheim<br />
diskutieren wollen.<br />
Was fehlt aus Ihrer Sicht in den Curricula?<br />
Es geht vor allem um drei wichtige Fragen:<br />
Wie gehe ich mit hochkomplexen<br />
Themen um, wie handele ich unter der<br />
Bedingung der Unsicherheit und wie<br />
werde ich zu einer Gestalterin zukünftiger<br />
Gesellschaftsformen? Nachhaltige<br />
Entwicklung kann <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Fragen eine<br />
Mandy Singer-Brodowski,<br />
Doktorandin an der Leuphana Universität Lüne-<br />
Himsel<br />
burg und zweite Sprecherin <strong>für</strong> das bundesweite<br />
Peter<br />
Netzwerk studentischer Nachhaltigkeitsinitiativen Foto:<br />
gute Plattform sein. Die Stu<strong>die</strong>renden<br />
sollten viel intensiver als bislang lernen,<br />
wie interkulturelle und interdisziplinäre<br />
Arbeit funktioniert, wie man vielfältige<br />
Hintergründe erkennt und ausbalanciert<br />
und wie man diverse Kulturen<br />
wertschätzt.<br />
Es geht also zentral auch um diversity?<br />
Diversity spielt auf mehreren Ebenen<br />
eine Rolle und ist eine zentrale Voraussetzung<br />
da<strong>für</strong>, dass Nachhaltigkeit und<br />
Chancengleichheit funktionieren können.<br />
Wer sich mit diversity auseinandersetzt,<br />
schärft seinen Blick <strong>für</strong> das eigene<br />
Wissen, den eigenen Hintergrund, <strong>die</strong><br />
eigenen Grenzen. Letztendlich entwickeln<br />
sich in <strong>die</strong>sem Prozess Schlüsselkompetenzen,<br />
<strong>die</strong> wir später als verantwortungsvolle<br />
Entscheider in der<br />
Arbeitswelt dringend brauchen.<br />
Die diverse Stu<strong>die</strong>rendenschaft wäre aus<br />
Ihrer Sicht ein gutes Experimentierfeld zur<br />
interkulturellen Kompetenzentwicklung –<br />
wenn <strong>die</strong> Hochschuldozenten mehr auf <strong>die</strong><br />
Unterschiede eingehen würden.<br />
Hochschule ist der perfekte Raum, um<br />
unterschiedliche Kulturen zu reflektieren.<br />
Generationen vor uns haben das<br />
noch intensiver getan als wir, sich beispielsweise<br />
abends beim Bier darüber<br />
unterhalten, dass der Student aus<br />
Afghanistan, der mit im Seminar sitzt,<br />
eigentlich coole Ansichten hat. Mit<br />
Bologna und dem strafferen Lehrplan<br />
ist weniger Raum <strong>für</strong> solche informellen<br />
Gespräche da. Hochschullehrende<br />
sollten deshalb kulturelle Unterschiede<br />
der Stu<strong>die</strong>renden im Seminar transparent<br />
machen und <strong>für</strong> <strong>die</strong> Seminargestaltung<br />
nutzen.<br />
Sie sind als Studentin Mutter geworden.<br />
Damit weichen Sie vom Bild der Normstu<strong>die</strong>renden<br />
ab – wie hat Ihr studentischer Alltag<br />
mit Kind funktioniert? Fühlten Sie sich<br />
diskriminiert?<br />
Es gab gute und schlechte Erfahrungen.<br />
Zunächst habe ich schon auch Vorurteile<br />
erlebt, Professoren beispielsweise,<br />
<strong>die</strong> mich schwanger gesehen haben und<br />
dann sagten: „Oh nein, nicht Sie!“ Alles<br />
steht und fällt mit dem Netzwerk um<br />
einen herum. Die Universität Erfurt war<br />
dabei alles in allem hilfreich. Interessant<br />
fand ich, wie bereichernd meine<br />
Tochter in ernsten Gesprächssituationen<br />
sein konnte, in Vorlesungen oder<br />
bei Terminen. Sie hat <strong>die</strong> ganze Atmosphäre<br />
aufgeheitert, plötzlich etwas<br />
Menschliches reingebracht. Ein Aspekt,<br />
der vielleicht allzu oft vergessen wird.<br />
INTERVIEW: CORINA NIEBUHR
elegen. Umso unverständlicher ist, dass<br />
ausgerechnet <strong>die</strong> auf Innovationen angewiesene<br />
deutsche Gesellschaft, anders<br />
als beispielsweise <strong>die</strong> skandinavischen<br />
Länder, sich dem Thema nur zögerlich<br />
annähert.<br />
Was ist der Grund? Selbstüberschätzung<br />
oder <strong>die</strong> Angst vor der Andersartigkeit?<br />
Oder wissen <strong>Deutsche</strong> bislang<br />
nicht, wie sie den Kulturwandel angehen<br />
sollen, fehlen also positive Erfahrungen<br />
und Vorbilder? Antworten sind<br />
schwer zu finden, da auch <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
das Wesen des deutschen Diversity-Managements<br />
bislang kaum ergründet<br />
hat. Auffällig ist, dass <strong>Deutsche</strong> den<br />
Umgang mit Vielfalt größtenteils erst im<br />
Berufsleben lernen, meist in international<br />
agierenden Großkonzernen. Im deutschen<br />
Bildungssystem bleibe das Thema<br />
noch weitestgehend ausgeblendet, wie<br />
Jutta Allmendinger erläutert, Bildungsforscherin<br />
und Präsidentin des <strong>Wissenschaft</strong>szentrums<br />
Berlin <strong>für</strong> Sozialforschung<br />
(WZB): „Der deutsche Begriff<br />
von diversity ist absolut eingeschränkt,<br />
weil er sich alleine auf <strong>die</strong> betriebliche<br />
Ebene bezieht und erst ziemlich spät im<br />
Alter stattfindet.“<br />
Paradox ist bislang auch der<br />
Umgang mit diversity in der deutschen<br />
Industrie. Obwohl nach einer aktuellen<br />
Stu<strong>die</strong> der Roland Berger Strategy Consultants<br />
80 Prozent der befragten international<br />
agierenden Großkonzerne<br />
diversity als wichtig <strong>für</strong> den Geschäftserfolg<br />
erachten – geführt und gestaltet<br />
werden <strong>die</strong>se Unternehmen trotzdem<br />
durchweg von in <strong>die</strong> Jahre gekommenen<br />
Herren aus ähnlicher Bildungsschicht<br />
und mit frappierend ähnlichen<br />
Biografien. Laut Hans-Böckler-Stiftung<br />
standen im Januar <strong>2011</strong> in den 160 bör-<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
sennotierten Unternehmen im Vorstand<br />
nur 21 Frauen 647 Männern gegenüber.<br />
Self cloning ist ebenso in Aufsichtsräten<br />
wie Führungsetagen weiter an der<br />
Tagesordnung.<br />
Ein Großteil der Dax-Konzerne<br />
will unter dem Druck der angedrohten<br />
Frauenquote zwar nachbessern. Spott<br />
und Alarmmeldungen in der parallel laufenden<br />
öffentlichen Debatte geben aber<br />
Hinweise, mit welchem Bauchgefühl viele<br />
der Entscheider wohl handeln. Da heißt<br />
es: Deutschland rutsche nun in <strong>die</strong> Mittelmäßigkeit<br />
ab und verliere seine jungen<br />
männlichen Spitzenkräfte, Quotenfrauen<br />
kämen sowieso nur auf Positionen<br />
ohne Entscheidungsgewalt und<br />
längst aussortierte Politikerinnen wür-<br />
den <strong>die</strong> Vorstände auch nicht besser<br />
machen. Radikale Reaktionen auf eine<br />
brachiale Öffnung?<br />
Die aufgeheizte deutsche Quotendebatte<br />
zeigt jedenfalls deutlich: Diversity<br />
ist nicht <strong>die</strong> harmlose und oft belächelte<br />
Weltverbesserungsstrategie. Ernsthaft<br />
angegangen, schlägt <strong>die</strong>ses Thema durch<br />
bis ins Zentrum der Macht. Und es sind<br />
<strong>die</strong> Personen dort, <strong>die</strong> sich <strong>für</strong> diversity<br />
öffnen müssen, damit der ganze Prozess<br />
überhaupt gelingt. Ein Dilemma, denn<br />
geschlossene Systeme gelten als hartnäckige<br />
Gegner von Vielfalt. Ihre tief verwurzelten<br />
Gesellschaftsstrukturen, Stereotypen<br />
und Mentalitäten wie auch ihr stillschweigendes<br />
Handeln und ihre expli-<br />
Ein Großteil der Dax-Konzerne will<br />
unter dem Druck der angedrohten<br />
Frauenquote nachbessern.<br />
><br />
Foto: Yuri Arcurs/Shutterstock.com<br />
Schwerpunkt
16<br />
ziten Codes, müssen <strong>für</strong> eine fundamentale<br />
Kulturreform hinterfragt werden. Unschönes<br />
käme dabei zutage, wie Gefälligkeiten<br />
oder interner Nepotismus, <strong>die</strong> Förderung<br />
oder Beförderung von Gleichgesinnten<br />
und Nahestehenden. Dieses Vorgehen sei<br />
in geschlossenen Systemen allgegenwärtig,<br />
sagt Thomas Sattelberger. Man könne<br />
geschlossene Systeme mit Glaubensbrüderschaften<br />
zur Abwehr fremder Einflüsse<br />
vergleichen, mit Systemen, in denen teils<br />
das eigene Selbst als Übermensch gedeutet<br />
werde. Die Managementliteratur der<br />
1990er-Jahre sei hier<strong>für</strong> ein Beispiel, so<br />
der Telekom-Personalvorstand Sattelberger:<br />
was es hieß, Manager des Jahres zu<br />
sein oder Heroe der US-Wirtschaft.<br />
Welche Rolle Hochschulen im<br />
Bezug auf geschlossene Systeme spielen<br />
können, zeigt das Beispiel Fukushima.<br />
Foto: Digital Vision/Thinkstock.com<br />
Den deutschen Hochschulen wird eine Schlüsselfunktion<br />
zuteil, ob <strong>die</strong> Gesellschaft zukünftig<br />
mehr Vielfalt leben und wertschätzen wird.<br />
Nach einem Bericht des „Spiegels“ offenbarte<br />
das Atomunglück, dass <strong>die</strong> japanische<br />
Atombranche von einer abgeschotteten<br />
Elite beherrscht wird, zu der nicht<br />
nur <strong>die</strong> Atomabteilungen von Tepco und<br />
<strong>die</strong> zuständigen Bereiche des Industrieministeriums<br />
gehören, sondern ebenfalls<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler, Politiker und Journalisten<br />
– stu<strong>die</strong>rt haben alle an derselben<br />
Topuniversität in Tokio. Auch in Deutschland<br />
wird den deutschen Hochschulen<br />
eine Schlüsselfunktion zuteil, ob <strong>die</strong><br />
Gesellschaft zukünftig mehr Vielfalt leben<br />
und wertschätzen wird oder ob homogene<br />
Gruppen <strong>die</strong> Gesellschaft weiterhin<br />
dominieren und in ihrer Entwicklung<br />
beschränken. Hier<strong>für</strong> müsse sich aber<br />
zunächst <strong>die</strong> Hochschullandschaft selbst<br />
differenzieren und entgrenzen, erklärt Volker<br />
Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär<br />
des <strong>Stifterverband</strong>es. Der Prozess<br />
befinde sich noch ganz am Anfang.<br />
Da, wo bereits zu wenige „Normstu<strong>die</strong>rende“<br />
zu finden sind, entwickelten sich<br />
<strong>die</strong> Pionierprojekte.<br />
So öffnen sich Hochschulen in den<br />
neuen Bundesländern oder im Ruhrgebiet<br />
bereits explizit solchen Stu<strong>die</strong>rendengruppen,<br />
<strong>die</strong> nicht mehr in<br />
das Raster der klassischen Qualifikationen<br />
passen. Sind <strong>die</strong>se Gruppen deshalb<br />
automatisch weniger <strong>für</strong> ein Studium qualifiziert<br />
beziehungsweise weniger erfolgreich<br />
als Abiturienten? Fragen, <strong>die</strong> noch<br />
beantwortet werden müssen. Schon jetzt<br />
zeigen aber Angebote wie <strong>die</strong> Dualen Stu<strong>die</strong>ngänge,<br />
dass <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong> es<br />
vermeintlich „nicht bis zum Abitur<br />
geschafft haben“, durchaus exzellente Leistungen<br />
vorweisen können und noch dazu<br />
eine Abbruchquote abliefern, <strong>die</strong> gegen<br />
null geht. Das Abiturzeugnis, ein Mythos?<br />
Die Diskussionen und Ausdifferenzierun-<br />
gen haben gerade erst begonnen. Anders<br />
als Unternehmen können Hochschulen<br />
nicht einfach nur einen Top-down-Ansatz<br />
zur Implementierung von Diversity-<br />
Management anwenden, was <strong>die</strong> Prozesse<br />
erschwert. „Hochschulen sind weitaus<br />
weniger dirigistisch als Unternehmen.<br />
Wenn sie nicht ebenso Bottom-up-Ansätze<br />
wählen, werden sie <strong>Wissenschaft</strong>ler und<br />
Stu<strong>die</strong>rende nur schwer <strong>für</strong> den Prozess<br />
gewinnen“, so Daniela De Ridder, Projektmanagerin<br />
der CHE Consult GmbH.<br />
Der Weg in Richtung diversity ist<br />
noch weit: Welche Strategie passt zur<br />
Hochschule, wo liegt das eigene Profil?<br />
Welche Hochschulkultur ergibt sich<br />
daraus und wie organisiert man darauf<br />
aufbauend Studium und Lehre? Wie kann<br />
man hier<strong>für</strong> das wissenschaftliche und<br />
administrative Personal sensibilisieren?<br />
Wie müssen <strong>die</strong> internen und externen<br />
Kommunikationsströme organisiert sein,<br />
damit der Chancenprozess gelingt? „Auch<br />
auf anderen Ebenen gibt es noch keine<br />
Kategorisierung <strong>für</strong> das Thema diverse<br />
Hochschulen“, bemerkt Volker Meyer-<br />
Guckel. Zentrales Thema sei hier <strong>die</strong> Mittelzuweisung;<br />
neue Fördertöpfe müssten<br />
neben denen <strong>für</strong> Forschung und Lehre<br />
entstehen. Professor Bernd Kriegesmann,<br />
Präsident der Fachhochschule Gelsenkirchen,<br />
vergleicht <strong>die</strong> finanzielle Situation<br />
der Hochschulen, <strong>die</strong> sich auf <strong>die</strong> Vielfalt<br />
ihrer Stu<strong>die</strong>renden einlassen, mit einem<br />
100-Meter-Lauf: „Wir starten bei minus<br />
zehn Metern, andere Hochschulen bei plus<br />
zehn Metern – damit ist klar, wer schlechtere<br />
und bessere Chancen hat.“<br />
&<br />
Mehr zum Thema diversity im webTV<br />
des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />
www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/2<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
Interview<br />
„Das Ruhrgebiet hat großes Potenzial“<br />
Welche Dimension hat das Thema diversity<br />
<strong>für</strong> Sie als Hochschulpräsidenten?<br />
Wir können in Deutschland unseren<br />
Wohlstand auf Dauer nur erhalten,<br />
wenn es auch Hochschulen gelingt, neue<br />
Zielgruppen zu erschließen und zu Fachkräften<br />
auszubilden. Wie macht man<br />
das? Indem man <strong>die</strong> Talente gewinnt,<br />
<strong>die</strong> es in der Region gibt und deren<br />
Berufsweg bislang – aus den unterschiedlichsten<br />
Gründen – an der Hochschule<br />
vorbeiging. Wir haben gerade<br />
hier im Ruhrgebiet <strong>die</strong> Potenziale, solche<br />
Fachkräfte zu gewinnen. Bislang<br />
wird <strong>die</strong>ses enorme Potenzial aber von<br />
der Bildungspolitik übersehen.<br />
Woran machen Sie <strong>die</strong>s fest?<br />
Man verteilt <strong>die</strong> Bildungsinvestitionen<br />
weiter ausschließlich nach dem Modell<br />
des Normstu<strong>die</strong>renden und ignoriert<br />
dabei <strong>die</strong> Diversität der Hochschulen, <strong>die</strong><br />
regionalen Unterschiede, <strong>die</strong> Zusammensetzung<br />
der Stu<strong>die</strong>rendenschaft. Dabei<br />
haben Hochschulen in bildungsbürgerlich<br />
geprägten Regionen ganz andere<br />
Themen zu bespielen als Hochschulen in<br />
Ballungsgebieten mit einem hohen Anteil<br />
an Arbeiter- und Migrantenkindern. Stu<strong>die</strong>n<br />
belegen, dass rund 80 Prozent der<br />
Akademikerkinder an <strong>die</strong> Hochschule<br />
gehen, aber nur 20 Prozent der Arbeiterkinder.<br />
Das führt uns vor Augen, wo <strong>die</strong><br />
Bildungsinvestitionen eigentlich zuvor-<br />
derst hinfließen sollten: dorthin, wo sich<br />
sehr viele Kinder und Eltern bislang eine<br />
Hochschulkarriere nicht vorstellen können,<br />
wo das Wort Hochschule in den Biografien<br />
der Familie überhaupt nicht auftaucht<br />
– wo also enorme Entwicklungspotenziale<br />
mit entsprechendem Einsatz<br />
aktiviert werden könnten.<br />
Wie gewinnen Sie hochschulferne Talente<br />
<strong>für</strong> ein Studium?<br />
Diese bildungsbiografischen Vorprägungen<br />
zu durchbrechen, ist nicht trivial<br />
und richtige Wühlarbeit. Unsere Maxime<br />
ist: hingehen und ansprechen. Wir probieren<br />
neue Kommunikationswege aus.<br />
Aktuell ist <strong>die</strong> FH Gelsenkirchen so intensiv<br />
im Schulbereich aktiv, wie sie es noch<br />
nie war. Wir sprechen beispielsweise<br />
Lehrer auf Kinder an, <strong>die</strong> mit ihrem<br />
Talent auffallen, <strong>die</strong> aber vermutlich<br />
ohne spezielle Ansprache nie stu<strong>die</strong>ren<br />
würden. Zudem sehen wir, dass bei einer<br />
anderen Klientel <strong>die</strong> direkte Ansprache<br />
der Kinder nicht funktioniert. Bei Migranten<br />
beispielsweise finden wir den<br />
Zugang vor allem über <strong>die</strong> Eltern, weshalb<br />
<strong>die</strong> FH Gelsenkirchen jetzt auch<br />
eine Elternakademie aufbaut. Wir wollen<br />
Eltern einladen und ihnen im kleinen<br />
Kreis vermitteln, was eine Hochschule<br />
ist, was ein Studium mit sich bringt und<br />
wie es sich anfühlt, wenn das eigene<br />
Kind dort eine Karriere startet.<br />
Schwerpunkt<br />
Bernd Kriegesmann, Präsident der<br />
Fachhochschule Gelsenkirchen Foto: Lichtblick/Guido Frebel<br />
Die Stu<strong>die</strong>renden haben unterschiedliche<br />
Lernniveaus, ihre Lernstrategien können je<br />
nach Kultur und sozialer Prägung stark variieren.<br />
Wie begegnen Sie <strong>die</strong>sen Herausforderungen?<br />
An der FH Gelsenkirchen gibt es keine<br />
Abschlüsse im Discountbereich – an der<br />
Qualitätsschraube wird nicht gedreht.<br />
Wir haben aber <strong>die</strong> Verantwortung, <strong>die</strong><br />
Heterogenität junger Menschen aufzugreifen,<br />
<strong>die</strong>se Verantwortung nehmen<br />
wir ernst. Lücken in der Einstiegsqualifikation,<br />
<strong>die</strong> zwangsläufig durch <strong>die</strong><br />
unterschiedlichen Zugangsformen entstehen,<br />
versuchen wir mithilfe unserer<br />
im Wintersemester 2010/11 gestarteten<br />
Einstiegsakademie auszugleichen.<br />
Was bieten Sie hier genau an?<br />
Es ist eine Art Gesamtpaket, wo <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden<br />
in Kleingruppen mit studentischen<br />
Tutoren üben, Defizite aufholen,<br />
Inhalte nachbereiten oder sich teilweise<br />
erst neu erschließen, weil <strong>die</strong>se Inhalte<br />
in ihren Zugangsformen so nicht vorkamen.<br />
Dabei läuft <strong>die</strong> Einstiegsakademie<br />
begleitend das ganze erste Stu<strong>die</strong>njahr<br />
und kann damit auch viel mehr leisten<br />
als eine dreiwöchige Blockveranstaltung<br />
zum Studiumsbeginn. Wir verstehen<br />
unsere Akademie als eine tagtägliche<br />
Unterstützung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong><br />
ihre Defizite wirklich ausgleichen wollen.<br />
INTERVIEW: CORINA NIEBUHR<br />
17
Willkommen im Club<br />
n deutschen Hochschulen<br />
ist das The -<br />
ma diversity ein weites,<br />
offenes Feld. Es<br />
gibt hier und da An -<br />
sätze, aussagekräftige Benchmarks<br />
aber fehlen. „Mancherorts wird<br />
diversity im Sinne von ,jedem Tierchen<br />
sein Pläsierchen‘ verstanden.<br />
Viel spannender sind aber Konzepte,<br />
<strong>die</strong> Eigenheiten oder Besonderheiten<br />
von bestimmten Stu<strong>die</strong>renden(gruppen)<br />
sichtbar ma chen, bei<br />
denen es darum geht zu entwickeln,<br />
welche Potenziale in <strong>die</strong>sen Besonderheiten<br />
stecken und wie alle von<br />
<strong>die</strong>sen Potenzialen profitieren können“,<br />
sagt Bettina Jorzik, <strong>die</strong> im <strong>Stifterverband</strong><br />
den Programmbereich<br />
Lehre und akademischer Nachwuchs<br />
leitet. Doch wann ist eine<br />
Hochschule diversityorientiert und<br />
wann nicht? Welche Standards sollten<br />
mindestens erfüllt werden?<br />
Orientierung soll der vom<br />
<strong>Stifterverband</strong> 2010 initiierte und in<br />
Kooperation mit CHE Consult<br />
durchgeführte Benchmarking-Club<br />
Diversity bieten. Beteiligt sind acht<br />
Hochschulen, ausgewählt im Rahmen<br />
des Programms „Ungleich besser!<br />
Verschiedenheit als Chance“.<br />
„Unser Benchmarking-Club ist ähnlich<br />
vielfältig wie <strong>die</strong> deutsche Hochschullandschaft“,<br />
erklärt Bettina Jorzik.<br />
Vertreten sind Hochschulen, <strong>die</strong><br />
sich hinsichtlich ihres Typus, Alters<br />
und Selbstverständnisses wie auch<br />
ihrer Größe und regionalen Lage un -<br />
terscheiden. Sie sollen nun bis Mitte<br />
2012 Qualitätsstandards <strong>für</strong> ein<br />
Diversity-Auditierungsverfahren entwickeln.<br />
&<br />
Mehr Informationen auf der Website<br />
des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />
www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/3<br />
Fachhochschule Brandenburg<br />
Grenzen überschreiten – diversity ermöglichen & gestalten<br />
Die FH Brandenburg lotet aus, wie Stu<strong>die</strong>nformate zeitlich und<br />
organisatorisch flexibler gestaltet werden können, insbesondere<br />
<strong>für</strong> ein berufsbegleitendes Studium. Zentraler Baustein: ein(e)<br />
Mentor(in), <strong>die</strong> mit den Stu<strong>die</strong>renden eine individuelle, berufs -<br />
begleitende Stu<strong>die</strong>nverlaufsplanung erarbeitet.<br />
Universität Bremen<br />
Vielfalt als Tradition und Zukunft<br />
Die Universität will diversity in der Breite fördern. Mitarbeiter<br />
der Stu<strong>die</strong>nberatung stehen im Fokus einer Sensibilisierung<br />
und Schulung, <strong>für</strong> <strong>die</strong> der Grundlagenbaustein „Vielfältig<br />
starkes Studium“ entwickelt wird. Darüber hi naus<br />
entstehen ein Beratungsleitfaden und ein Diversity-Modul<br />
<strong>für</strong> Tutoren- und Mentorenschulungen.<br />
Technische Universität Dortmund<br />
DiWiki<br />
An der Universität entwickeln Stu<strong>die</strong>rende, Lehrende<br />
und Mitarbeiter aus der Verwaltung <strong>die</strong><br />
internetbasierte Plattform „Diversity-Wiki“. Sie soll<br />
neben Basiswissen auch Umgangsbeispiele mit<br />
Verschiedenheit sowie Diversity-Initiativen abbilden.<br />
Ihre Mitarbeit bekommen Stu<strong>die</strong>rende und<br />
Lehrkräfte als Stu<strong>die</strong>nleistung beziehungsweise<br />
hochschuldidaktische Weiterbildung anerkannt.<br />
18 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
Folkwang Universität der Künste<br />
Diversität als didaktisches Prinzip im hochschulischen<br />
Lehr-Lern-Kontext<br />
Im Mittelpunkt der Initiative stehen internationale<br />
Stu<strong>die</strong>rende, <strong>die</strong> über 30 Prozent der Stu<strong>die</strong>rendenschaft<br />
ausmachen. Eine qualitative Erhebung wird<br />
ihre verschiedenen Lernerwartungen, Lernstile und<br />
Lernstrategien dokumentieren. Vorlieben und Be -<br />
darfe sollen in eine zukünftige Hochschullehre einfließen.<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Evangelische Hochschule Ludwigsburg<br />
Netzwerk <strong>für</strong> Antidiskriminierung und diversity<br />
Sie ist <strong>die</strong> einzige Hochschule in nichtstaatlicher Trägerschaft<br />
im Benchmarking-Club; ihre Initiative fokussiert<br />
das Thema „sexuelle Orientierung“. Ziel sind der<br />
Ausbau diversitybezogener Lehrangebote, wie im Be -<br />
reich Sexualpädagogik oder Interkulturelle Mediation,<br />
und der Aufbau einer Antidiskriminierungshotline von<br />
Stu<strong>die</strong>renden <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende.<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg<br />
Die hörsensible Universität<br />
Die Universität greift das Diversity-Merkmal „körperliche<br />
Beeinträchtigung“ auf und entwickelt sich weiter in Richtung<br />
hörsensible Universität. Hier<strong>für</strong> entstand bereits eine<br />
Clearingstelle <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende mit Problemen beim Hörverstehen,<br />
<strong>die</strong> ausgebaut wird. Entstehen soll eine zusätzliche<br />
Beratung <strong>für</strong> internationale Stu<strong>die</strong>rende.<br />
Fachhochschule Gelsenkirchen<br />
FH-INTEGRATIV<br />
Die FH Gelsenkirchen will strategisch Stu<strong>die</strong>rende aus bildungsfernen<br />
und einkommensschwachen Familien gewinnen und fördern.<br />
Ein Schwerpunkt: Stu<strong>die</strong>rende mit Migrationshintergrund.<br />
Realisiert wird eine „Einstiegsakademie“, <strong>die</strong> das ganze erste<br />
Semester über Stu<strong>die</strong>rende mit gezielten Lernstrategien und<br />
Lehrangeboten beim Einstieg in <strong>die</strong> Hochschule unterstützt.<br />
Universität Osnabrück<br />
Virtuelles Lernen zur Diversitätsunterstützung<br />
an der Universität Osnabrück<br />
(ViDiOs)<br />
Ein Schwerpunkt der Universität liegt<br />
auf der Entwicklung von E-Learning-<br />
Angeboten. Diese werden jetzt im<br />
Zuge des Projektes an der Diversität<br />
der Stu<strong>die</strong>renden ausgerichtet, wobei<br />
der Fokus auf Stu<strong>die</strong>rende mit Kind<br />
oder pflege-bedürf tigen Angehörigen<br />
liegt.<br />
Schwerpunkt<br />
19
20<br />
Foto: Digital Vision/Thinkstock.com
Ohne Diversity<br />
wird es teurer<br />
Unternehmenskultur. Kulturelle Missverständnisse können <strong>die</strong> produktive Arbeitsatmosphäre<br />
im Betrieb schnell vergiften – weiß der Mittelständler Kai Teckentrup.<br />
In seinem Unternehmen stehen Offenheit und Wertschätzung deshalb an erster<br />
Stelle. Er selbst geht dabei mit gutem Beispiel voran.<br />
VON CORINA NIEBUHR<br />
erstehe mal einer <strong>die</strong><br />
Schweden, denen kann<br />
man aber leicht auf den<br />
Schlips treten! Die Polen<br />
lassen sich viel Zeit mit<br />
dem Bezahlen, typisch. Und <strong>die</strong> Chinesen<br />
wollen alles doppelt erklärt bekommen,<br />
fangen in Besprechungen einfach<br />
wieder ganz von vorne an, wo bleibt da<br />
<strong>die</strong> Effektivität?<br />
<strong>Deutsche</strong> Unternehmer stoßen<br />
schnell an ihre Grenzen, wenn sie sich<br />
ausländische Märkte und Kunden ganz<br />
nach der Maxime Kaiser Wilhelms II.<br />
erschließen wollen: „Am deutschen<br />
Wesen soll <strong>die</strong> Welt genesen.“ Dabei weiß<br />
man es oft zunächst nicht besser. Diese<br />
Erfahrung machte auch Kai Teckentrup.<br />
Mit 26 Jahren stieg er in den väterlichen<br />
Betrieb Teckentrup ein, einen Produktionsbetrieb<br />
<strong>für</strong> Tore und Türen im ostwestfälischen<br />
Verl, ganz in der Nähe von<br />
Gütersloh. Und weil damals, Ende der<br />
1990er-Jahre, <strong>die</strong> inländische Kaufkraft<br />
schwächelte, erschien dem Jungunternehmer<br />
der Export sofort als sinnvolle Alternative.<br />
Von den vielen Stolpersteinen im<br />
Auslandsgeschäft wusste er damals noch<br />
nichts: „Unsere ersten Gehversuche in<br />
Polen verliefen ziemlich schlecht.“ Schnell<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
war klar: Das Unternehmen braucht Mentalitätsübersetzer,<br />
Menschen, <strong>die</strong> nicht<br />
nur das jeweilige Land gut kennen, sondern<br />
ebenso <strong>die</strong> deutschen Verhältnisse –<br />
sonst wird das nichts. Heute könnte der<br />
Mittelständler stundenlang von den kleinen<br />
Unterschieden in Kultur und Mentalität<br />
erzählen, vom Spaß beim Erobern<br />
ausländischer Märkte, von der Leichtigkeit,<br />
wie man das Vertrauen ausländischer<br />
Mitarbeiter im eigenen Betrieb gewinnt.<br />
Diversity! Kai Teckentrup ist <strong>die</strong>ses Thema<br />
längst ans Herz gewachsen. In Unternehmerkreisen<br />
ist der 39-Jährige nun selbst<br />
ein Übersetzer und Erklärer, ein Pionier<br />
auf dem Experimentierfeld, welche Diversity-Management-Tools<br />
<strong>für</strong> den Mittelstand<br />
sinnvoll sind. Andere Unternehmer<br />
hören ihm interessiert zu, weil Te ckentrup<br />
bereits kann, was sich alle wünschen:<br />
den ökonomischen Erfolg seiner Diversity-Maßnahmen<br />
mit Zahlen und Beispielen<br />
belegen. Und das ist angesichts solcher<br />
Maßstäbe wie Wertschätzung, Wohlfühlfaktor<br />
oder Offenheit eine echte<br />
Herausforderung. Wie fühlt sich ein Anatole,<br />
der nicht zugeben möchte, dass er<br />
Moslem ist, und das Beschneidungsfest<br />
seines Sohnes verschweigt; wie fühlt sich<br />
eine Frau, wenn sie in ihrem technischen<br />
Beruf von ihren männlichen Kollegen<br />
ständig übergangen wird; wie fühlen sich<br />
Lesben oder Schwule, <strong>die</strong> in den Pausen<br />
oder bei Betriebsfesten nie von ihren Part-<br />
„In kleinen Unternehmen braucht es keine<br />
groß artigen Strukturen, es braucht nur<br />
einen Chef, der vom Thema begeistert ist.“<br />
Kai Teckentrup<br />
ner erzählen können? Teckentrup sieht<br />
hier den Schlüssel zum Erfolg: Diversity<br />
werde vom Mittelstand erst wenig beachtet,<br />
eben weil ein Großteil der Mittelständler<br />
sich das alles zunächst nicht vorstellen<br />
kann – man selbst ist eher klassisch<br />
><br />
Schwerpunkt<br />
21
22<br />
geprägt, um <strong>die</strong> 50 Jahre alt, regional verankert,<br />
Vater von zwei Kindern, katholisch<br />
oder evangelisch. Umso interessanter<br />
sei, wie schnell der Mittelstand Diversity-Maßnahmen<br />
implementieren und<br />
nutzen könnte: „In kleinen Unternehmen<br />
braucht es keine großartigen Strukturen,<br />
es braucht nur einen Chef, der vom<br />
Thema begeistert ist.“ Die Begeisterung<br />
von Kai Teckentrup schwappt bereits über.<br />
Mehr als 80 Mittelständler sind in der von<br />
ihm mitgegründeten regionalen Initiative<br />
„Unternehmen Vielfalt Ostwestfalen-<br />
Lippe“ aktiv. Ein Kernteam entwickelt<br />
Monat <strong>für</strong> Monat neue, meist kleine Diversity-Tools,<br />
<strong>die</strong> dann alle anwenden können.<br />
„Wir sind auch gerne bereit, unsere<br />
Erfahrungen an andere Regionen weiterzugeben“,<br />
sagt der 39-Jährige.<br />
Zunächst hatte er selbst gegrübelt,<br />
wie man <strong>die</strong>se „weichen“ Faktoren<br />
Wertschätzung und Offenheit messen<br />
kann. Die Erfahrungen im Exportgeschäft,<br />
wo er mithilfe seiner Mentalitätsübersetzer<br />
fünf Prozent mehr Absatz<br />
erzielen konnte, hatten ihn sensibilisiert:<br />
Gehen dem Betrieb womöglich ebenso<br />
Potenziale verloren aufgrund kultureller<br />
Missverständnisse und unterschwelliger<br />
Konflikte in den Produktionshallen,<br />
Werkstätten, Büros? Immerhin hatten<br />
rund 25 Prozent seiner heute 850<br />
Personen starken Belegschaft einen<br />
Migrationshintergrund. Er nahm sich ein<br />
Buch des US-amerikanischen Diversity-<br />
Papstes Taylor Cox zur Hand, fand dort<br />
Vorlagen <strong>für</strong> Mitarbeiterbefragungen,<br />
kopierte <strong>die</strong> Ideen und legte los. Die<br />
Ergebnisse hätten kaum eindeutiger sein<br />
können, erzählt Teckentrup in seinem<br />
lichtdurchfluteten Büro, eine große<br />
Buddha-Statue im Rücken: „Nahezu alle<br />
deutschen Mitarbeiter gaben an, es gäbe<br />
keine Probleme mit Kollegen; nahezu<br />
alle Mitarbeiter mit Migrationshintergrund<br />
sahen dagegen solche Probleme<br />
sehr wohl.“ Diesmal ging er selbst in <strong>die</strong><br />
Produktionshallen und Auf enthaltsräume,<br />
sprach auch mit den Mitarbeitern aus-<br />
führlich, <strong>die</strong> er sonst wahrscheinlich übersehen<br />
hätte. „Wir haben zu nächst <strong>die</strong><br />
Probleme, <strong>die</strong> im Unternehmen vorherrschen,<br />
überhaupt nicht erkannt. Da arbeiten<br />
ein Kroate und ein Serbe zehn Jahre<br />
lang sprachlos nebeneinander an einem<br />
Fertigungsband und man denkt: ,Na, <strong>die</strong><br />
sind wohl nicht <strong>die</strong> besten Freunde‘, und<br />
übersieht dabei den ständig herrschenden,<br />
unterschwelligen Konflikt, bis <strong>die</strong>ser<br />
vielleicht einmal in einer Schlägerei<br />
ausbricht.“<br />
Wie fühlen sich seine Mitarbeiter<br />
wirklich? Teckentrup wollte es wissen,<br />
kam aber zunächst nicht allzu weit: „Die<br />
meisten Mitarbeiter sagen natürlich dem<br />
Chef nicht, was los ist.“ Deshalb nahm er<br />
im nächsten Anlauf den Informationsweg<br />
über Verbündete, seine Vorarbeiter, und<br />
lernte, dass viele der Migrantengruppen<br />
im Unternehmen hierarchisch strukturiert<br />
sind, fast schon familiär. Langsam<br />
kristallisierten sich <strong>die</strong> Sprachrohre seines<br />
Betriebs heraus: Mitarbeiter, <strong>die</strong><br />
bestimmte Gruppen mit Informationen<br />
versorgten und betreuten, deren Vertrauen<br />
hatten. Teckentrup war erstaunt und<br />
erfreut: „Wenn man solche Sprachrohre<br />
kennt und zu nutzen weiß, ist <strong>die</strong>s ein<br />
erster wichtiger Schritt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Implementierung<br />
von Diversity-Maßnahmen.“<br />
Messbar war <strong>die</strong>se Wirkung erstmals<br />
beim Thema Deutschkurse, wo sich<br />
auf einen entsprechenden Aushang<br />
zunächst nur zwei Mitarbeiter angemeldet<br />
hatten. Mithilfe der „Sprachrohre“ waren<br />
es am Ende 60 Mitarbeiter – ein enormer<br />
Fortschritt findet der junge Geschäftsmann.<br />
Hintergrund sei, dass Mitarbeiter<br />
generell nur ungern Wissenslücken zu -<br />
gäben, weil sie Nachteile <strong>für</strong>chten. Es<br />
brauche also eine Vertrauensperson,<br />
erklärt Kai Teckentrup, <strong>die</strong> vermitteln<br />
kann, dass <strong>die</strong>ser Schritt wirklich Vorteile<br />
biete und keine Nachteile nach sich ziehe.<br />
Für ihn ist das Beispiel Deutschkurse auch<br />
hervorragend geeignet, um folgenden<br />
Punkt zu verdeutlichen: Diversity-Maßnahmen<br />
sind sehr effektiv und dazu billig.<br />
„Es kostet mehr, sich mit diversity nicht<br />
auseinanderzusetzen als es zu tun.“ Überhaupt<br />
<strong>die</strong> Sprachkenntnisse: Heute, wo<br />
Schätzt Offenheit und Wertschätzung: Geschäftsführer Kai Teckentrup.<br />
Foto: Kai Teckentrup GmbH & Co. KG
es in Deutschland Richtung Vollbeschäftigung<br />
gehe, sei er mehr denn je darauf<br />
angewiesen, dass <strong>die</strong> Migranten in seinem<br />
Betrieb besser Deutsch lernen – sonst gingen<br />
sie <strong>für</strong> den Pool möglicher interner<br />
Aufsteiger verloren. Auch von außerhalb<br />
dränge das Thema in den Betrieb. Arbeiter<br />
und Fachkräfte haben in Ostwestfalen-Lippe<br />
immer häufiger einen ausländisch<br />
klingenden Namen, der Anteil von<br />
Einwohnern mit Migrationshintergrund<br />
liegt bei rund 25 Prozent, Tendenz steigend.<br />
Fakten, <strong>die</strong> andere Geschäftsleute<br />
in der Region seufzen lassen.<br />
Die Firma Teckentrup sieht in Migranten<br />
ihr Hauptpotenzial. Zur Firmenstrategie<br />
gehört nun, <strong>die</strong>se Diversity-Gruppe<br />
stärker zu integrieren – über Deutschkurse,<br />
aber auch über Wertschätzung. Kai<br />
Teckentrup nimmt das Ergebnis seiner<br />
Umfrage ernst: Vor allem <strong>die</strong> Mitarbeiter<br />
mit Migrationshintergrund fühlten sich<br />
unwohl, teils diskriminiert, weshalb er in<br />
einem zweiten Schritt seine Führungskräfte<br />
da<strong>für</strong> sensibilisierte, wie eine Kul-<br />
tur der Offenheit und Wertschätzung <strong>die</strong>s<br />
ändern kann. Keine leichte Aufgabe,<br />
schließlich hatte sich <strong>die</strong> Ist-Situation über<br />
30, 40 Jahre in den Köpfen eingeschliffen.<br />
„Harte Fakten, wie eine Firmenstrategie,<br />
können sie schnell ändern, nicht<br />
aber <strong>die</strong> Mentalität ihrer Mitarbeiter – das<br />
braucht mindestens fünf Jahre Zeit und<br />
auch dann hat man nur einen Teil seiner<br />
Belegschaft wirklich überzeugt.“ Noch<br />
dazu ist <strong>die</strong> Wirkung von Offenheit und<br />
Wertschätzung nur schwer zu beschreiben.<br />
Der Firmenchef fand ein Bild: „Das<br />
Gefühl ist, wie wenn man an einem Tag<br />
aufsteht, draußen ist es kalt und dunkel,<br />
man will nicht rausgehen. Und dann<br />
macht jemand ein großes Fenster auf und<br />
<strong>die</strong> Sonne scheint rein.“<br />
Dabei ist Teckentrup wichtig zu<br />
betonen, dass er mit seinen Diversity-<br />
Zielen keine Weltverbesserungsstrategie<br />
verfolgt, sondern vielmehr ein ökonomisches<br />
Konzept: Die Produkte seines<br />
Unternehmens seien austauschbar. Ob<br />
ein Kunde kauft oder nicht, hänge vor<br />
allem von der Überzeugungskraft und<br />
Leistung der Mitarbeiter ab, der „Kernressource“<br />
des Betriebs. Und natürlich verkaufe<br />
ein zufriedener und motivierter<br />
Mitarbeiter weitaus effektiver als jemand,<br />
der sich ständig über seine eigene Situation<br />
düstere Gedanken mache. Tecken -<br />
trup versteht sich auf dem Weg der kleinen<br />
Schritte selbst als Vorbild, setzt Zeichen<br />
im Unternehmen, indem er den<br />
Diversity-Gedanken vorlebt, beispielsweise<br />
diskriminierende Witze oder Streitereien<br />
nicht toleriert, kulturelle Besonderheiten<br />
auf Firmenfesten thematisiert<br />
oder sich über <strong>die</strong> unterschiedlichen Feiertage<br />
informiert und dann den entsprechenden<br />
Mitarbeitern dazu in angemessener<br />
Weise gratuliert, wie zum islami-<br />
schen Zuckerfest. Von seinen Führungskräften<br />
verlangt er heute genau das Gleiche,<br />
Offenheit und Wertschätzung gehören<br />
zum Kernelement ihrer Arbeit. Sich<br />
nicht daran zu halten, wäre ein No-Go,<br />
erklärt der Geschäftsführer. Probleme<br />
<strong>die</strong>ser Art gebe es aber nur am Rande:<br />
„Hauptproblem war das Informationsdefizit<br />
meiner Führungskräfte und nicht,<br />
dass sie sich gesperrt hätten.“<br />
Offenheit und Wertschätzung gehören<br />
zum Kernelement der Arbeit bei Teckentrup.<br />
Aus seiner Sicht ist diversity noch viel<br />
zu sehr eine „Stilblüte am Rande“ –<br />
nicht nur im Mittelstand, auch an den<br />
deutschen Hochschulen. Dreimal versuchte<br />
der Unternehmer Abschlussarbeiten<br />
von Stu<strong>die</strong>renden regionaler Hochschulen<br />
zum Thema diversity zu betreuen<br />
– sie scheiterten alle drei daran, dass sich<br />
kein Professor da<strong>für</strong> interessierte. Die Stu<strong>die</strong>renden<br />
dagegen fänden das Thema<br />
durchaus spannend. Kai Teckentrup weiß<br />
<strong>die</strong>s aus seinen Diversity-Management-<br />
Vorlesungen, <strong>die</strong> er seit acht Jahren im<br />
Rahmen der Initiative „Stu<strong>die</strong>rende und<br />
Wirtschaft“ an der Universität Bielefeld<br />
gibt. Die Überzeugungsarbeit geht weiter,<br />
auch in den Produktionshallen. Eine weitere<br />
Mitarbeiterumfrage gab dem Ge -<br />
schäftsführer kürzlich erneut Rückenwind.<br />
Drei Jahre nach der ersten Befragung<br />
reagieren seine deutschen Mitarbeiter<br />
nun sensibler auf ihr Umfeld: Diesmal<br />
gab ein Teil von ihnen an, dass es Probleme<br />
unter Kollegen gebe. Gleichzeitig<br />
war unter den Migranten <strong>die</strong> Zahl derer,<br />
<strong>die</strong> Probleme sahen, gesunken.<br />
&<br />
Ein Interview mit Kai Teckentrup gibt<br />
es im webTV des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />
www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/4<br />
Schwerpunkt<br />
23
Foto: Standout.de<br />
Talentschuppen Ruhrgebiet<br />
Kongress. Das Ruhrgebiet ist ein Schmelztiegel der unterschiedlichsten Menschen,<br />
Kulturen und Religionen. Wie kann man angesichts des viel beschworenen Fachkräftemangels<br />
<strong>die</strong> vorhandene Vielfalt nutzen und Talentschätze heben? Der vom<br />
<strong>Stifterverband</strong> mitorganisierte Kongress „TalentMetropole Ruhr“ versuchte Antwort<br />
zu geben.<br />
VON ROLF-MICHAEL SIMON<br />
Angesichts der heute dichtesten<br />
Hochschullandschaft in Deutschland,<br />
vielleicht gar in Europa, mag<br />
erstaunen, dass es erst 50 Jahre her ist,<br />
dass der Landtag von Nordrhein-Westfalen<br />
im Juli 1961 den Beschluss fasste,<br />
<strong>die</strong> erste Universität im damaligen Kohlenpott<br />
zu errichten. Die Ruhr-Universität<br />
Bochum gab den Startschuss zu<br />
einer atemberaubenden Entwicklung.<br />
Entscheidende Bedeutung gewannen <strong>die</strong><br />
Hochschulgründungen der ersten Jahre<br />
damit, jungen Menschen im Ballungsraum<br />
Ruhrgebiet den Zugang zu akademischer<br />
Bildung zu erschließen, den<br />
<strong>die</strong>se sich sonst nie hätten leisten können.<br />
Erst <strong>die</strong> „Uni um <strong>die</strong> Ecke“ machte<br />
es möglich.<br />
50 Jahre später. Angesichts eines beispiellosen<br />
Strukturwandels, der demografischen<br />
Entwicklung und eines dramatischen<br />
Fachkräftemangels ist das Ruhrgebiet<br />
– seiner Hochschuldichte und der<br />
großen Zahl Stu<strong>die</strong>render zum Trotz –<br />
weiterhin <strong>die</strong> Region der unerschlossenen<br />
Potenziale, der unentdeckten Talente,<br />
auf <strong>die</strong> zu verzichten das Land sich nicht<br />
leisten kann.<br />
Talente fördern<br />
Nejla Akan hätte beinahe dazugehört.<br />
Mit sieben kam sie hierher, Asylbewerberin.<br />
Die Mutter: Analphabetin, der<br />
Vater: Arbeiter mit drei Jahren Schulbesuch,<br />
Unterbringung: ein Asylbewerberheim,<br />
intellektuelle Anregung: Fehlan-<br />
zeige. Das junge Mädchen absolviert<br />
Grundschule und Hauptschule. Und<br />
dann macht der Leiter der Diakonie sie<br />
mit dem Gedanken vertraut, dass es ein<br />
Weiterlernen nach dem Hauptschulabschluss<br />
geben könne. „Ich wusste gar<br />
nicht, was ein Abitur war – oder gar ein<br />
Stipendium“, gibt sie heute freimütig<br />
lächelnd zu. Die START-Stiftung ermöglichte<br />
Nejla Akan das Abitur, heute stu<strong>die</strong>rt<br />
sie an der TU Dortmund und will<br />
Lehrerin werden. Um ihren Schülern <strong>die</strong><br />
Möglichkeiten zu eröffnen, von denen<br />
sie damals nichts erfahren hat. Und so<br />
deren Talente zu erschließen, zu fördern.<br />
Sie weiß: „Ich muss Dolmetscherin<br />
werden – zwischen den Eltern und<br />
den Lehrern.“<br />
24 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
Tauschten sich im Audimax der Fachhochschule Gelsenkirchen über Talentschätze im Ruhrgebiet aus (v. l.): Dunja Hayali (ZDF-Moderatorin),<br />
Christiane Bainsky (Leiterin Hauptstelle RAA NRW), Ralf Blauth (Personalvorstand und Arbeitsdirektor Evonik Industries AG), Svenja Schulze<br />
(Ministerin <strong>für</strong> Innovation, <strong>Wissenschaft</strong> und Forschung in NRW), Volker Meyer-Guckel (stellvertretender Generalsekretär des Stifterver -<br />
bandes), Michael Schmidt (Mitglied des Vorstandes der BP Europe SE), Erich Staake (Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG und<br />
Ko-Moderator des Initiativkreises Ruhr) und Bernd Kriegesmann (Präsident der Fachhochschule Gelsenkirchen).<br />
Als Nejla Akan <strong>die</strong>se, ihre Geschichte<br />
erzählte, wurde es ziemlich still im neuen<br />
AudiMax der Fachhochschule Gelsenkirchen<br />
bei dem vom <strong>Stifterverband</strong> mitveranstalteten<br />
Kongress „TalentMetropole<br />
Ruhr“. Einvernehmen bestand unter den<br />
hochkarätigen Teilnehmern vom Start<br />
weg, dass bessere Förderung unumgänglich<br />
ist, „weil wir sonst in Zukunft Probleme<br />
haben werden“, wie Moderatorin<br />
Dunja Hayali (ZDF) feststellte, <strong>die</strong> souverän<br />
durch den Tag führte. Und eine<br />
Wortschöpfung besonderer Art vorschlug:<br />
„Da ja kaum jemand den gleichwohl viel<br />
strapazierten Begriff Migrationshintergrund<br />
mag – warum sagt man nicht besser<br />
Migrationsvordergrund ...?“<br />
Hayali selbst musste nicht als<br />
Talent „entdeckt“ werden, ihre Eltern<br />
drängten darauf, dass sie Abitur und Studium<br />
absolvierte. Aber was ist mit den<br />
ungezählten anderen, <strong>die</strong> nicht <strong>die</strong>sen<br />
Anstoß erhalten? Nur 17 Prozent der Kinder<br />
aus Arbeiterfamilien streben eine akademische<br />
Laufbahn an. Auch hier Einigkeit:<br />
Die Suche nach besonderen Begabungen<br />
darf nicht erst in der gymnasialen<br />
Oberstufe beginnen, sondern idealerweise<br />
bereits im Kindergarten – aber: Danach<br />
muss sie auch konsequent weitergeführt<br />
werden. Das Gesamtsystem und alle<br />
Akteure müssen ebenso sensibilisiert werden<br />
wie <strong>die</strong> Gesamtgesellschaft, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s<br />
(immer) noch nicht als Herausforderung<br />
erkannt hat. Dazu gehört ebenfalls, so <strong>die</strong><br />
jungen Teilnehmer der Tagung, der<br />
Appell an Jugendliche, <strong>die</strong> vorhandenen<br />
Angebote auch wahrzunehmen. „Alles<br />
steht und fällt mit der Einstellung der<br />
handelnden Personen“, resümierte Mi -<br />
chael Schmidt, Vorstandsmitglied des Mitveranstalters<br />
BP. Zu denen speziell in Mi -<br />
grantenfamilien <strong>die</strong> Eltern gehören, <strong>die</strong><br />
meist über <strong>die</strong> Zukunft der nächsten<br />
Generation entscheiden. Sie „abzuholen“,<br />
sie zu ermutigen, ihren Kindern neue<br />
Wege zu weisen, wäre ein entscheidender<br />
Schritt, <strong>die</strong> gerade im Ruhrgebiet vorhandene<br />
Vielfalt zu nutzen und verborgene<br />
Talentschätze zu heben.<br />
Hemmschwellen abbauen<br />
All das kostet Zeit und Geld, darauf wies<br />
Volker Meyer-Guckel hin, der stellvertretende<br />
Generalsekretär des <strong>Stifterverband</strong>es.<br />
Er appellierte zudem an <strong>die</strong> Politik,<br />
<strong>die</strong> Bemühungen der Hochschulen, neue<br />
Schichten <strong>für</strong> ein Studium zu erschließen,<br />
entsprechend zu honorieren. Zumal jeder<br />
Euro, der gerade hier in <strong>die</strong> Bildung fließt,<br />
wo Abitur und Studium nicht (noch<br />
nicht?) selbstverständlich sind, hervorragend<br />
investiertes Geld ist. Dass bereits<br />
einiges, zumindest ansatzweise, auf den<br />
Weg gebracht wurde, wusste Bernd Kriegesmann<br />
zu berichten, Präsident der FH<br />
Gelsenkirchen. Nur 30 Prozent seiner Stu<strong>die</strong>renden<br />
kommen mit dem „klassischen“<br />
gymnasialen Abitur an <strong>die</strong> Hochschule,<br />
aber mehr als zwei Drittel quasi „auf<br />
Umwegen“. Hier in Gelsenkirchen werden<br />
systematisch Hemmschwellen abund<br />
Einstiegsförderung aufgebaut. Dazu<br />
gehören auch duale Stu<strong>die</strong>ngänge, <strong>die</strong><br />
betriebliche Berufsausbildung mit Hochschulstudium<br />
verbinden. Sie eröffnen<br />
zudem Unternehmen neue Chancen, qualifizierten<br />
und motivierten Nachwuchs an<br />
sich zu binden. Kriegesmann ging noch<br />
einen Schritt weiter – mit einer Fachkräftegarantie<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Region: „Jedem Unternehmen,<br />
das sich mit uns in dualen Stu<strong>die</strong>ngängen<br />
engagieren will, garantieren<br />
wir entsprechende Stu<strong>die</strong>nplätze. Kein<br />
Unternehmen muss dann mehr den drohenden<br />
Fachkräftemangel <strong>für</strong>chten!“<br />
Ein weiteres Fazit des Kongresses:<br />
Das Ruhrgebiet darf im Bildungsbereich<br />
nicht nur Defizite beklagen (lassen),<br />
sondern muss aktiv <strong>die</strong> vorhandenen<br />
Potenziale heben und nutzen, muss<br />
Talentförderung zum Markenzeichen<br />
machen, Perspektiven und ein Klima<br />
schaffen, das zum Bleiben motiviert. Ein<br />
solches branding soll zum Zukunftsthema<br />
<strong>für</strong> den Initiativkreis Ruhrgebiet werden,<br />
wie dessen Ko-Moderator Erich Staake<br />
ankündigte.<br />
&<br />
Mehr Infos zum Kongress im Internet:<br />
www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/7<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong> 25
Wege zu mehr Innovation<br />
Kooperationen. Erfolgreiche Innovationen erfordern eine intensive Zusammenarbeit zwischen<br />
Wirtschaft und <strong>Wissenschaft</strong>. Doch welche Formen der Partnerschaft sind sinnvoll und<br />
wie passt hier der Gedanke einer unabhängigen <strong>Wissenschaft</strong> hinein? Die Konferenz „Enterprising<br />
Knowledge“ in der Britischen Botschaft Berlin setzte genau hier an.<br />
VON SUSANNE WEISS<br />
Arend Oetker, Präsident des <strong>Stifterverband</strong>es, bei seiner<br />
Rede.<br />
Wie so vieles Neue kommt auch<br />
ein besonders innovatives Zauberwort<br />
aus Kalifornien. An<br />
einer Business-School in Berkeley erkannte<br />
man, dass steigender Wettbewerb<br />
in der Globalisierung und kürzere Produktlebenszyklen<br />
einen enormen Druck<br />
erzeugen, schnell genug mit pfiffigen<br />
Der Britische Botschafter Simon McDonald (li.) im<br />
Gespräch.<br />
oder bahnbrechenden Dingen auf dem<br />
Markt zu sein. Nun ist es vielleicht kein<br />
Zufall, dass der Begriff open innovation<br />
an der US-amerikanischen Westküste das<br />
Licht der Welt erblickte, einer Gegend, in<br />
der man über gewisse Erfahrungen damit<br />
verfügt, wie man neue Erfindungen zu<br />
Geld macht.<br />
Referent Gordon Murray, University of Exeter<br />
Business School.<br />
„Innovationen zu Geld machen“ könnte<br />
man übersetzen mit enterprising know -<br />
ledge, und genau so hieß eine zweitägige<br />
Konferenz, <strong>die</strong> der <strong>Stifterverband</strong><br />
Mitte Juni <strong>2011</strong> zusammen mit der Britischen<br />
Botschaft in Berlin durchführte.<br />
Erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen<br />
Wirtschaft und <strong>Wissenschaft</strong>, Kern-<br />
26 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Fotos: David Ausserhofer
thema des <strong>Stifterverband</strong>es, betrifft aber<br />
längst nicht mehr nur klassische institutionelle<br />
Partnerschaften zwischen<br />
Unternehmen und Hochschule.<br />
Die Instrumente verfeinern sich,<br />
verästeln sich genau wie <strong>die</strong> sich ständig<br />
überlagernden und neu verknüpfenden<br />
Ströme von Kommunikation, <strong>die</strong><br />
heute <strong>die</strong> Welt umkreisen. „Nationale<br />
Grenzen verlieren ihre Bedeutung“, sagt<br />
Andrea Frank vom <strong>Stifterverband</strong>, „Partner<br />
findet man heute auf der ganzen<br />
Welt.“ Innovationen ebenfalls. Frank<br />
identifiziert <strong>die</strong> wichtigen Fragen:<br />
„Worüber denken Unternehmen nach,<br />
um ihre Innovationen zu beschleunigen,<br />
und welche Rolle spielt dabei <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>?“<br />
Wagenburgmentalität<br />
In Forschung und Entwicklung zu<br />
investieren, um <strong>die</strong> Produktion zu optimieren,<br />
ist nur <strong>die</strong> halbe Miete, warnen<br />
aber Experten wie Jonathan Haskel vom<br />
Imperial College in London. Und Joachim<br />
von Heimburg, Leiter eines großen<br />
industriellen Innovationsprogramms<br />
in Saudi-Arabien, betont, wie<br />
wichtig „Investitionen“ in eine innovationsfördernde<br />
Unternehmenskultur<br />
sind – auch wenn sich derlei nicht binnen<br />
Jahresfrist in der Bilanz niederschlägt.<br />
Eine Wagenburgmentalität, <strong>die</strong><br />
Mauern um Besitzstände zieht, wird<br />
jedes Unternehmen irgendwann vom<br />
lebensnotwendigen Blutkreislauf der<br />
internationalen, dezentralen und antihierarchisch<br />
zirkulierenden Ideen und<br />
der dazugehörenden Kommunikation<br />
abschneiden, weiß Theun Baller vom<br />
niederländischen Elektroriesen Philips,<br />
der längst <strong>die</strong> strategische Nutzung der<br />
Außenwelt in <strong>die</strong> Unternehmensphilosophie<br />
aufgenommen hat, um Innovationen<br />
zu Geld zu machen: open innovation.<br />
Gefährte der neuen Philosophie,<br />
und als Begriff ebenfalls gerade fünf<br />
Jahre alt, ist crowdsourcing. Es beschreibt<br />
ein Innovationsmodell, in dem Unternehmen<br />
ihre ungelösten Fragen potenziellen<br />
Forschern weltweit zugänglich<br />
machen und zur Entwicklung von<br />
Lösungsansätzen auffordern. So kann,<br />
erleichtert durch das Internet, Wissen<br />
weltweit mobilisiert werden.<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Bei soviel Offenheit lässt der Schmerzensschrei<br />
aus <strong>Wissenschaft</strong> und Wirtschaft<br />
nicht lange auf sich warten: Diebstahl,<br />
Spionage, unlauterer Wettbewerb,<br />
<strong>die</strong> Grundprinzipien der Forschung<br />
erschüttert. Derlei Sorgen beruhen auf<br />
einer Verwechslung, beruhigt Baller <strong>die</strong><br />
Zweifler: „Open innovation ist nicht dasselbe<br />
wie open source.“ Enterprising<br />
knowledge in einer grenzenlosen Welt<br />
heißt nicht, in einen rechtsfreien Raum<br />
hineinzusteuern. „Man muss den Rahmen<br />
definieren, der das Interesse der<br />
Unternehmen an den Schutzrechten und<br />
das Publikationsinteresse der <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
gleichermaßen berücksichtigt“,<br />
sagt Andrea Frank. Nach adäquaten Formen<br />
der Verständigung ist man nach wie<br />
vor auf der Suche.<br />
Wenn auch eine aktuelle Stu<strong>die</strong><br />
des <strong>Wissenschaft</strong>szentrums <strong>für</strong> Sozialforschung<br />
(WZB) in Berlin zeigt, dass deutsche<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler innovationsscheu<br />
sind und Erfindungen im akademischen<br />
Wettbewerb keine Reputation bringen,<br />
scheint sich in manchen Bereichen <strong>die</strong><br />
Lage doch insgesamt zu entspannen, ist<br />
Monika Lessl überzeugt. Lessl ist Leiterin<br />
der Abteilung Alliance Management<br />
Global Innovation Sourcing beim Pharmakonzern<br />
Bayer. „<strong>Wissenschaft</strong>ler haben<br />
inzwischen mehr Interesse an der Entwicklung<br />
von Produkten.“ Dass aber auch<br />
Firmen sich öffnen müssen, hält sie <strong>für</strong><br />
unumgänglich. „Bei alledem sollte man<br />
aber keinesfalls so tun, als gäbe es keinen<br />
Unterschied und keine Interessenkonflikte<br />
zwischen <strong>Wissenschaft</strong> und Wirtschaft“,<br />
beschreibt sie eine Grundlage<br />
guter Zusammenarbeit. „Wenn man offen<br />
über Ziele und Beweggründe spricht,<br />
kann jeder bleiben, wer er ist, und muss<br />
keine Abgrenzungsrituale fahren.“ Doch<br />
auch in der Welt globaler Kommunikation<br />
und Kooperation sei eines besonders<br />
wichtig: Der direkte persönliche Kontakt.<br />
„Nur dadurch entsteht Vertrauen.“ Das<br />
ist auch in Großbritannien, Gastgeberland<br />
der Konferenz, nicht anders, wie<br />
Ursula Roos, Senior Science and Innovation<br />
Adviser an der Britischen Botschaft,<br />
betont.<br />
Blick auf deutsche Stärke<br />
Beim Thema Innovation sieht sie aber<br />
durchaus kulturelle Unterschiede, <strong>die</strong><br />
sich ihrer Meinung nach gut ergänzen:<br />
„Deutschland ist gut in der ständigen<br />
Optimierung von Produkten und Prozessen,<br />
also der inkrementellen Innovation,<br />
<strong>die</strong> Briten stehen radikalen Neuerungen<br />
aufgeschlossener gegenüber“ –<br />
auch bei Innovationen in der <strong>Wissenschaft</strong>spolitik.<br />
Technologietransfer zwischen<br />
<strong>Wissenschaft</strong> und Wirtschaft wird<br />
groß geschrieben und durch guten<br />
Zugang zu Risikokapital gefördert.<br />
Der ökonomische Blick Großbritanniens<br />
richtet sich aber interessiert auf<br />
etwas, was man als spezielle deutsche<br />
Stärke und durchaus mit Bewunderung<br />
sieht: den starken Mittelstand. Nun gilt<br />
„In Forschung und Entwicklung zu investieren, um <strong>die</strong><br />
Produktion zu optimieren, ist nur <strong>die</strong> halbe Miete.“<br />
Jonathan Haskel, Imperial College London<br />
aber gerade der als innovationsfeindlich,<br />
provinziell und unfähig, dem stetig wachsenden<br />
Globalisierungsdruck standzuhalten.<br />
Der Bielefelder Wirtschaftshistoriker<br />
Werner Abelshauser hat genauer<br />
hingeschaut: „Für <strong>die</strong> deutsche Wirtschaft<br />
ist <strong>die</strong> regionale Verbundwirtschaft<br />
typisch. Das sind Cluster meist mittelständischer<br />
Unternehmen, <strong>die</strong> eng<br />
zusammenwirken, um <strong>für</strong> den Weltmarkt<br />
zu produzieren. Sie sind gegenseitig<br />
Zulieferer, Problemlöser und tauschen<br />
Innovationen und technologisches<br />
Know-how aus.“<br />
California dreaming auf schwäbisch,<br />
ostwestfälisch und hessisch ...<br />
&<br />
Einen Film zur Konferenz finden Sie im<br />
webTV des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />
www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/5<br />
Initiativen<br />
27
Süddeutschland stark<br />
Stu<strong>die</strong>. Die Forschungskapazitäten der Wirtschaft<br />
verteilen sich nach einer aktuellen Untersuchung des<br />
<strong>Stifterverband</strong>es <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
immer ungleicher auf <strong>die</strong> Bundesländer.<br />
Die Aufwendungen der deutschen<br />
Unternehmen <strong>für</strong> Forschung und<br />
Entwicklung (FuE) konzentrieren<br />
sich auf Baden-Württemberg, Bayern und<br />
Hessen. Die drei in der Industrieforschung<br />
führenden süddeutschen Bundesländer<br />
konnten zwischen 1999 und 2009 ihre<br />
hohen FuE-Quoten nochmals steigern.<br />
Während in Bayern und Hessen mittlerweile<br />
rund 2,4 Prozent des jeweiligen<br />
Bruttoinlandsprodukts (BIP) <strong>für</strong> FuE der<br />
Wirtschaft ausgegeben werden (vormals<br />
2,1 beziehungsweise 2,2 Prozent), liegen<br />
<strong>die</strong> Unternehmen Baden-Württembergs<br />
einsam an der Spitze: Von 3,0 auf 3,8 Prozent<br />
stieg <strong>die</strong> Quote des Wirtschaftssektors<br />
im Ländle während <strong>die</strong>ser Dekade. Das<br />
ergibt eine aktuelle Analyse des <strong>Stifterverband</strong>es<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong>.<br />
Die Konzentration der FuE-Aufwendungen<br />
wird durch sogenannte Clustereffekte<br />
vorangetrieben. Dort, wo <strong>die</strong><br />
Unternehmen bereits seit Langem hohe<br />
Forschungsausgaben tätigen, ist eine<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sinfrastruktur entstanden,<br />
<strong>die</strong> weitere Investitionen „geradezu magnetisch<br />
anzieht“, erläutert Stu<strong>die</strong>nautor<br />
Bernd Kreuels von der <strong>Wissenschaft</strong>sstatistik<br />
im <strong>Stifterverband</strong>. „Was der<br />
Analyst als Pareto-Verteilung bezeichnet,<br />
erklärt der Volksmund als ‚Der Teufel<br />
hofiert immer den größten Haufen‘<br />
– oder schlicht money makes money“, so<br />
Kreuels.<br />
Stiftungen unterstützen Journalisten<br />
Me<strong>die</strong>nanalyse. Eine<br />
Stu<strong>die</strong> der TU Dortmund<br />
und der University of<br />
Wisconsin-Madison<br />
ergab: US-Stiftungen<br />
fördern journalistische<br />
Kommunikation mit<br />
100 Millionen Dollar<br />
pro Jahr.<br />
Um den Qualitätsjournalismus im<br />
eigenen Land zu unterstützen,<br />
hat der gemeinnützige Sektor in<br />
den USA in den vergangenen zehn Jahren<br />
über eine Milliarde Dollar investiert.<br />
Das ist das Ergebnis einer aktuellen<br />
Stu<strong>die</strong> der University of Wisconsin-<br />
Madison, <strong>die</strong> der Lehrstuhl <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus<br />
an der TU Dortmund<br />
in Auftrag gegeben hat. Demnach belaufen<br />
sich <strong>die</strong> Fördermittel <strong>für</strong> journalistische<br />
Arbeit auf jährlich rund 100 Millionen<br />
Dollar. Ausgangspunkt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong><br />
war <strong>die</strong> Frage, ob und wie <strong>die</strong> internationale<br />
Finanz- und Wirtschaftskrise das<br />
Me<strong>die</strong>nsystem verändert hat. Kann der<br />
Journalismus seine ihm zugeschriebene<br />
Kritik- und Kontrollfunktion in der Demokratie<br />
noch erfüllen? Welche Rolle spielt<br />
hier der gemeinnützige Sektor und wo liegen<br />
<strong>die</strong> Grenzen der Stiftungsfinanzierung<br />
von journalistischer Arbeit? In den USA,<br />
wo Finanz- und Me<strong>die</strong>nkrise härter ausgefallen<br />
sind als in Europa, haben sich – so<br />
das zentrale Ergebnis der Stu<strong>die</strong> – neue<br />
Modelle <strong>für</strong> Qualitätsjournalismus entwickelt.<br />
Diese Modelle werden größtenteils<br />
von Stiftungen und Non-Profit-Organisationen<br />
getragen und lassen den Journalisten<br />
viel Freiraum <strong>für</strong> neue Ideen. Das<br />
wirkt sich unter anderem positiv auf den<br />
investigativen Journalismus und <strong>die</strong> lokale<br />
28 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
FuE-Quoten der drei führenden Bundesländer (in Prozent).<br />
Berichterstattung aus. Fördermittel halfen<br />
außerdem dabei, neue technische Möglichkeiten<br />
zu entwickeln und Ausbildungszentren<br />
<strong>für</strong> Journalisten aufzubauen.<br />
Initiator der Stu<strong>die</strong> war der Lehrstuhl<br />
<strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalistik an der<br />
TU Dortmund. Seit 2008 ist hier auch <strong>die</strong><br />
Geschäftsstelle der Initiative <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus<br />
ansässig, eine vom<br />
<strong>Stifterverband</strong>, der Robert Bosch Stiftung<br />
und BASF unterstützte Initiative zur Stärkung<br />
des Qualitätsjournalismus in<br />
Deutschland.<br />
&<br />
www.wissenschaftsjournalismus.org<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Regeln wahren<br />
Unabhängigkeit<br />
Der <strong>Stifterverband</strong> hat Empfehlungen zur Zusammenarbeit<br />
von Hochschulen und Unternehmen bei der<br />
Errichtung von Stiftungsprofessuren veröffentlicht. Der<br />
sogenannte code of conduct soll dazu <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> Unabhängigkeit<br />
der Hochschule zu wahren und <strong>die</strong> Freiheit<br />
von Forschung und Lehre zu gewährleisten. Er empfiehlt<br />
unter anderem, dass sich Hochschulen und Förderer<br />
einvernehmlich über das zu bearbeitende Forschungsfeld<br />
verständigen. Der Geldgeber hat dabei keinen<br />
Einfluss auf Forschung und Lehre sowie <strong>die</strong> Veröffentlichung<br />
von Forschungsergebnissen. Die Kritik<br />
an Stiftungsprofessuren kann Andreas Schlüter, Generalsekretär<br />
des <strong>Stifterverband</strong>es, nicht nachvollziehen.<br />
„Die private Finanzierung ermöglicht es den Hochschulen<br />
erst, sich neue Forschungsgebiete zu erschließen“,<br />
sagt Schlüter. Er macht allerdings auch klar, dass<br />
Stiftungsprofessuren kein Instrument zur Durchführung<br />
von Auftragsforschung sind. „Andere Formen der<br />
Kooperation zwischen Wirtschaft und <strong>Wissenschaft</strong><br />
folgen anderen Regeln. Die Kooperationspartner sind<br />
gut beraten, <strong>die</strong> unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit<br />
separat zu regeln“, empfiehlt Schlüter.<br />
Download des code of conduct unter:<br />
www.stiftungsprofessuren.de<br />
Initiativen<br />
Foto: Hemera/Thinkstock.ocm<br />
29
Jagd nach Plagiaten*<br />
*<strong>Wissenschaft</strong>. Plagiate sind das<br />
Gegenteil von selbstständiger<br />
wissenschaftlicher Arbeit – und<br />
deshalb im <strong>Wissenschaft</strong>s betrieb<br />
nicht gerne gesehen. Es<br />
gibt sie aber dennoch, wie meh -<br />
rere prominente Fälle in der ersten<br />
Jahreshälfte gezeigt haben.<br />
Die deutschen Hochschulen<br />
suchen jetzt verstärkt nach Mitteln<br />
und Wegen, Ab schreibern<br />
auf <strong>die</strong> Schliche zu kommen.<br />
Eine Bestandsaufnahme.<br />
VON KLAUS FECHNER<br />
Plagiatsjäger stehen hoch im Kurs.<br />
So hat <strong>die</strong> Internetplattform „GuttenPlag<br />
Wiki“ kürzlich einen<br />
Grimme Online Award gewonnen. Die<br />
Macher hatten wesentlich zur Aufdeckung<br />
der Plagiate in der Doktorarbeit des Ex-<br />
Verteidigungsministers zu Guttenberg beigetragen.<br />
Auch <strong>die</strong> Verantwortlichen an<br />
den deutschen Hochschulen haben den<br />
Kampf gegen Plagiate aufgenommen. Sie<br />
überlegen und diskutieren Maßnahmen,<br />
<strong>die</strong> das Abschreiben erschweren.<br />
Im Mittelpunkt steht dabei „das<br />
öffentliche Vertrauen in <strong>die</strong> Verfahren<br />
der <strong>Wissenschaft</strong>“, wie Markus Steinmayr,<br />
Geschäftsführer des Promovierenden-Forums<br />
an der Universität Duisburg-<br />
Essen, betont. Denn er be<strong>für</strong>chtet <strong>die</strong><br />
„Erosion der Aussagekraft“ und eine Ent-<br />
leerung des „Markenkerns“ des Doktortitels.<br />
Unterstützung erhält Steinmayr<br />
vom Präsidenten des <strong>Deutsche</strong>n Hochschulverbandes,<br />
Bernhard Kempen.<br />
Wichtig sei, <strong>die</strong> überwältigende Mehrzahl<br />
der Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong> sich ihren akademischen<br />
Abschluss auf sehr mühevolle<br />
Weise erarbeiten, zu schützen. „Sie und<br />
ihre Leistung dürfen nicht diskreditiert<br />
werden“, sagt Kempen.<br />
Ethisches Bewusstsein<br />
Um Plagiate zu verhindern, müssen Stu<strong>die</strong>rende<br />
in den ersten Semestern nicht<br />
nur wissenschaftliche Technik und Methodik<br />
lernen, sondern mehr als bisher wissenschaftliche<br />
Kultur und ethisches<br />
Bewusstsein vermittelt bekommen, so<br />
Kempen. Außerdem fordert er den Einsatz<br />
von technischen Hilfsmitteln wie Plagiatserkennungssoftware.<br />
Diesen Weg geht<br />
auch <strong>die</strong> TU Dresden. Dort sind Stichproben<br />
geplant, wie Rektor Hans Müller-<br />
Steinhagen bestätigt: „Wir wollen in<br />
Zukunft stichprobenartig Arbeiten auswählen<br />
und scannen. Somit besteht <strong>für</strong><br />
jeden Einzelnen das Risiko, dass <strong>die</strong> eigene<br />
Arbeit durchgeschaut werden könnte.“<br />
Viel Erfahrung mit dem Einsatz<br />
einer entsprechenden Software gibt es an<br />
der PH Freiburg. Dort besteht seit dem<br />
Wintersemester 2009 <strong>für</strong> alle Stu<strong>die</strong>renden<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit, ihre wissenschaftlichen<br />
Arbeiten in elektronischer Form<br />
einzureichen und untersuchen zu lassen.<br />
Die Texte werden automatisch mit<br />
Onlinequellen verglichen und auf Übereinstimmungen<br />
geprüft. Das erfolgreiche<br />
Pilotprojekt, das der <strong>Stifterverband</strong><br />
im Frühjahr mit der Hochschulperle ausgezeichnet<br />
hat, ist inzwischen in den<br />
Regelbetrieb übergegangen. Projektleiterin<br />
Kerstin Eleonora Kohl kennt aber<br />
auch <strong>die</strong> Grenzen <strong>die</strong>ses Ansatzes: Lei-<br />
der übersehe <strong>die</strong> Software viele abgekupferte<br />
Textstellen. Insbesondere interne<br />
Dokumente werden oft nicht im Internet<br />
publiziert. Auch leicht veränderte<br />
Übersetzungen ausländischer Texte seien<br />
vom Computer kaum zu entdecken.<br />
Auf technische Hilfsmittel ist also<br />
nur bedingt Verlass. Es muss mehr<br />
geschehen, um eine bessere Qualitätssicherung<br />
zu gewährleisten. Das weiß auch<br />
Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität<br />
zu Berlin. Er sieht in<br />
der öffentlichen Diskussion sogar etwas<br />
Positives. Die bisherigen Versuche, das<br />
Promotionswesen zu reformieren, würden<br />
nun forciert, <strong>die</strong> Verantwortlichen<br />
seien jetzt „aufgeschreckt“. Dazu gehört<br />
aus seiner Sicht auch das Schaffen einer<br />
fakultätsübergreifenden Rahmenpromotionsordnung.<br />
Die einzelnen Fakultäten<br />
müssten dann ihre eigenen Promotionsordnungen<br />
<strong>die</strong>sem Rahmen anpassen.<br />
Abhängigkeiten vermeiden<br />
Schon seit einigen Jahren gibt es an deutschen<br />
Hochschulen das Instrument der<br />
strukturierten Promotion. Die Promotionsphase<br />
wird dabei sinnvoll gegliedert<br />
und es stehen den Doktoranden mehrere<br />
Betreuer zur Seite. Markus Steinmayr<br />
(Universität Duisburg-Essen) sieht darin<br />
unter anderem den Versuch, „das Meister-<br />
Schüler-Verhältnis durch ein Betreuungsverhältnis<br />
zwischen verschiedenen Personen<br />
zu ersetzen“. Der Promovend ist<br />
nicht mehr von einem einzelnen Doktorvater<br />
oder einer Doktormutter abhängig.<br />
Die TU München hat an ihrer Graduate<br />
School einen weiteren Mechanismus<br />
eingeführt, um Plagiate zu erschweren.<br />
Alle Absolventen müssen Teile ihrer<br />
Arbeit international veröffentlichen, entweder<br />
in Fachjournalen oder auf Konferenzen.<br />
Sie stellen sich so einer unabhän-<br />
30 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
Foto: Robert Kneschke/Fotolia.com<br />
„Wir wollen in Zukunft stichprobenartig einige Arbeiten<br />
auswählen und scannen. Somit besteht <strong>für</strong> jeden<br />
Einzelnen das Risiko, dass <strong>die</strong> eigene Arbeit durchgeschaut<br />
werden könnte.“<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Hans Müller-Steinhagen, Rektor TU Dresden<br />
gigen Begutachtung. Für Ernst Rank, dem<br />
Direktor der TUM Graduate School, ist<br />
„kaum vorstellbar, dass ein Plagiat nicht<br />
erkannt und nicht zurückgewiesen<br />
würde“.<br />
Gründlichere Schulung<br />
Da es in den meisten Promotionsordnungen<br />
keine Verjährungsfristen <strong>für</strong> das Aufdecken<br />
von Plagiaten gibt, können auch<br />
noch Jahre später rechtliche Maßnahmen<br />
ergriffen werden, wie der Präsident der<br />
Universität Bayreuth, Rüdiger Bormann,<br />
betont: „Die Doktoranden müssen dauernd<br />
damit konfrontiert werden, dass ihre<br />
Vergehen nicht unerkannt bleiben und<br />
entsprechende Konsequenzen gezogen<br />
werden.“ Markus Steinmayr fordert darüber<br />
hinaus, in den Promotionsordnungen<br />
Sanktionen zu formulieren: „An der Universität<br />
Duisburg-Essen diskutieren wir<br />
beispielsweise, ob man von der ehrenwörtlichen<br />
Erklärung wegkommt und aus Plagiaten<br />
eine Ordnungswidrigkeit macht.“<br />
Damit hätte <strong>die</strong> Universität <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />
Bußgelder zu erheben.<br />
Die Verantwortlichen an den<br />
Hochschulen haben das Problem der Plagiate<br />
erkannt und Maßnahmen auf den<br />
Weg gebracht: eine gründlichere Schulung<br />
beim Verfassen wissenschaftlicher<br />
Arbeiten, Einsatz elektronischer Hilfsmittel,<br />
mehr Gutachter, strukturelle<br />
Änderungen beim Erarbeiten einer Promotion<br />
und Strafandrohungen bis hin<br />
zum Bußgeld. Wie erfolgreich <strong>die</strong> Jagd<br />
nach Plagiaten sein wird, bleibt abzuwarten.<br />
&<br />
Einen Podcast zum Thema gibt es auf der<br />
Webseite des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />
www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/6<br />
Initiativen<br />
31
„Wir beobachten <strong>die</strong><br />
Wirkung sehr genau“<br />
Programmarbeit. Die Mittel des <strong>Stifterverband</strong>es sollen eine größtmögliche Wirkung entfalten.<br />
Deshalb sichert der <strong>Stifterverband</strong> mit vielen Instrumenten <strong>die</strong> Qualität seiner<br />
Arbeit. Ein Gespräch mit Volker Meyer-Guckel, Programmleiter des <strong>Stifterverband</strong>es, über<br />
professionelle Förderarbeit, minimale Bürokratie und gesellschaftliche Resonanz.<br />
Stiftungen wird zuweilen vorgeworfen, ihre Aktivitäten<br />
seien zwar gut gemeint, aber leider nicht gut gemacht. Wie<br />
effektiv arbeitet der Stiftungssektor heute?<br />
Stiftungen arbeiten heute deutlich professioneller<br />
als noch vor einigen Jahren. Wir beim <strong>Stifterverband</strong><br />
definieren Standards <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Professionalisierung,<br />
<strong>die</strong> auch <strong>die</strong> Qualität unserer eigenen Arbeit bestimmen.<br />
Ob wir unserem hohen Anspruch gerecht werden,<br />
ermittelt zurzeit eine wissenschaftliche Stu<strong>die</strong>,<br />
bei der <strong>die</strong> geförderten Partner den <strong>Stifterverband</strong> im<br />
Hinblick auf Innovation, Leistungsfähigkeit und Transparenz<br />
seiner Arbeit bewerten.<br />
Welche Möglichkeiten nutzen Sie darüber hinaus <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Messung der Qualität ihrer Arbeit?<br />
Wir müssen unsere Förderer und Stifter täglich davon<br />
überzeugen, dass unsere Arbeit gut und effizient ist.<br />
Das Wachstum unseres Stiftungszentrums ist ein<br />
deutlicher Vertrauensbeweis <strong>für</strong> unser Qualitätssystem.<br />
Für <strong>die</strong> Programme des <strong>Stifterverband</strong>es gilt<br />
<strong>die</strong>s genauso. Wir finanzieren nur den geringeren<br />
Teil der Programme aus festen Mitgliedsbeiträgen.<br />
Programmbegleitende Qualitätssicherung<br />
Den Großteil der Mittel werben wir bei Unternehmen,<br />
Stiftungen und öffentlichen Geldgebern ein.<br />
Dazu müssen wir sie von der Qualität unserer Projekte<br />
stets aufs Neue überzeugen.<br />
Wie kann man Qualität messen?<br />
Indem man <strong>die</strong> Wirkung seiner Arbeit betrachtet.<br />
Wie ist <strong>die</strong> öffentliche Resonanz, beispielsweise in<br />
den Me<strong>die</strong>n? Gelingt es, Diskussionen anzustoßen?<br />
Die Attraktivität unserer Programme <strong>für</strong> den Hochschulbereich<br />
messen wir unter anderem an der Beteiligungsrate<br />
an unseren Ausschreibungen. Je nach<br />
Thema beteiligt sich ein Drittel bis <strong>die</strong> Hälfte aller<br />
Hochschulen in Deutschland. Für unser Programm<br />
„Exzellente Lehre“ haben sich 105 Hochschulen<br />
beworben, eine herausragende Resonanz.<br />
Eine große Zahl von Anträgen bedeutet aber auch viel<br />
Antragsprosa. Wie sichern Sie <strong>die</strong> Qualität bei der Auswahl<br />
von Anträgen?<br />
Wir führen immer ein mehrstufiges Auswahlverfahren<br />
auf Basis von Peer-Review-Beurteilungen durch.<br />
1. Auswahl 2. Begleitung 3. Abschluss 4. Transfer<br />
• Mehrstufiges<br />
Auswahlverfahren<br />
• Beurteilung durch<br />
Sachverständige<br />
• Öffentliche<br />
Auswahlveranstaltung<br />
• Projektpatenschaften<br />
• Mittelbewilligung nach<br />
externen Evaluationen<br />
• Moderierte<br />
Netzwerkarbeit<br />
• Abschlussberichte<br />
der Geförderten<br />
• Evaluation durch<br />
<strong>die</strong> Programmleiter<br />
• Befragung der Geförderten<br />
nach zwei Jahren<br />
• Öffentliche Veranstaltungen,<br />
Publikationen<br />
• Externe Programm -<br />
wirkungsanalysen<br />
• Ergebnistransfer in politische<br />
Entscheidungszirkel<br />
32 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
Unsere Jurys sind mit deutschen und ausländischen<br />
Persönlichkeiten aus <strong>Wissenschaft</strong> und Wirtschaft<br />
zusammengesetzt, <strong>die</strong> in dem jeweiligen Förderbereich<br />
anerkannte Experten sind. Im ersten Auswahlschritt<br />
werden <strong>die</strong> schriftlich eingereichten Anträge<br />
geprüft und in einer Sitzung <strong>die</strong> besten Anträge <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> zweite Runde ausgewählt. In der zweiten Runde bitten<br />
wir <strong>die</strong> Antragsteller, ihr Projekt persönlich vor der<br />
Jury zu erläutern und sich den kritischen Nachfragen<br />
zu stellen. In <strong>die</strong>sem Kreuzverhör stellt sich schnell<br />
heraus, ob das, was im Antrag beschrieben wird, auch<br />
wirklich an einer Hochschule gelebt wird. Daran ist<br />
schon manche Hochschule gescheitert. Transparenz<br />
ist uns dabei ganz wichtig: Die zweite Runde findet<br />
öffentlich statt, jeder Bürger kann teilnehmen.<br />
Was passiert danach? Es ist ja nicht unüblich, dass der<br />
Elan nach der Bewilligung der Mittel nachlässt.<br />
Wir haben da<strong>für</strong> ein systematisch aufeinander abgestimmtes<br />
Instrumentarium <strong>für</strong> <strong>die</strong> Qualitätssicherung<br />
entwickelt. Das reicht von Projektpatenschaften<br />
durch unsere Jurymitglieder über einen moderierten<br />
Benchmarking-Austausch unter den Geförderten bis<br />
hin zu qualitativen Berichten der Projektpartner zum<br />
Abschluss des Förderzeitraums und zwei Jahre<br />
danach. Wir überprüfen <strong>die</strong> Projektfortschritte zur<br />
Mitte der Förderlaufzeit. Die Bewilligung der zweiten<br />
Förderrate hängt beim <strong>Stifterverband</strong> von der<br />
positiven Einschätzung der Jury über <strong>die</strong> erzielten<br />
Projektfortschritte und <strong>die</strong> absehbare weitere Entwicklung<br />
des Projekts ab. Wenn ein Projekt <strong>die</strong>se<br />
Überprüfung nicht besteht, ziehen wir <strong>die</strong> Konsequenz<br />
und beenden <strong>die</strong> Förderung. Mit <strong>die</strong>ser strikten<br />
Kontrolle ist der <strong>Stifterverband</strong> sicher weiter als<br />
viele andere Stiftungen und auch öffentliche Fördereinrichtungen.<br />
Das klingt alles ziemlich aufwendig.<br />
Ist es aber nicht: Unsere Fördervereinbarungen mit<br />
den Hochschulen beschränken sich auf das absolute<br />
bürokratische Minimum. Die Hochschulen sollen<br />
„Wir haben ein systematisch aufeinander<br />
abgestimmtes Instrumentarium <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Qualitätssicherung entwickelt.“<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Volker Meyer-Guckel, <strong>Stifterverband</strong><br />
sich auf <strong>die</strong> Projekte konzentrieren und nicht auf<br />
Papierkram. Das schätzen <strong>die</strong> Geförderten übrigens<br />
sehr, denn in der öffentlichen Projektförderung<br />
machen sie hier ganz andere, völlig dysfunktionale<br />
und demotivierende Erfahrungen.<br />
Wie können Sie feststellen, ob <strong>die</strong> Wirkung der Förderung<br />
auch über <strong>die</strong> geförderte Institution hinausreicht?<br />
Wir beobachten sehr genau, welche Wirkung unsere<br />
Projekte entfalten. Werden unsere Themen in der<br />
politischen Landschaft aufgegriffen? Werden <strong>die</strong><br />
Modellprojekte an anderen Orten „kopiert“ oder<br />
übertragen? Wir konnten in den letzten Jahren als<br />
Agendasetter viele Erfolge verzeichnen. Nehmen Sie<br />
nur das Thema Hochschullehre, über das vor fünf<br />
Jahren kaum jemand gesprochen hat. Wir haben es<br />
damals mit Fördermaßnahmen auf <strong>die</strong> Agenda<br />
gesetzt. Inzwischen gibt es millionenschwere<br />
öffentliche Förderprogramme <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Lehre. Neun der zehn Hochschulen,<br />
<strong>die</strong> von uns initial gefördert<br />
wurden, waren übrigens nachher<br />
im öffentlichen Förderprogramm<br />
erfolgreich. Ob Spitzencluster-Förderung<br />
oder Hochschulautonomie:<br />
In vielen Themenfeldern<br />
können wir feststellen,<br />
dass <strong>die</strong> Politik unsere<br />
Themen aufgreift und zu ihren<br />
macht. Dann hat der <strong>Stifterverband</strong><br />
seine Ziele erreicht.<br />
INTERVIEW: MARCO TÜRCKER<br />
Foto: Peter Himsel<br />
Initiativen
Foto: Peter Pulkowski<br />
Beim Mainzer <strong>Wissenschaft</strong>ssommer gab es viel Spannendes zu entdecken.<br />
Ausstellung geht unter <strong>die</strong> Haut<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ssommer. Ein Forscherteam aus Kiel macht Hautgesundheit erlebbar und<br />
gewinnt den Publikumspreis „<strong>Wissenschaft</strong> interaktiv“.<br />
Sie atmet, fühlt, reguliert und<br />
schützt: Die Haut ist das größte<br />
Organ des Menschen. Wie sie<br />
funktioniert und wie man sie am besten<br />
pflegt, erklären <strong>die</strong> Dermatologin<br />
Regina Fölster-Holst und ihr Team in<br />
einer interaktiven Wanderausstellung.<br />
Da<strong>für</strong> haben <strong>die</strong> Forscher vom Universitätsklinikum<br />
Schleswig-Holstein,<br />
Campus Kiel, Anfang Juni auf dem<br />
Mainzer <strong>Wissenschaft</strong>ssommer den<br />
Publikumspreis „<strong>Wissenschaft</strong> interaktiv“<br />
gewonnen. Er wird jährlich<br />
gemeinsam vom <strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und von <strong>Wissenschaft</strong><br />
im Dialog vergeben und ist<br />
mit 10.000 Euro dotiert. Die Schering<br />
Stiftung fördert den Preis.<br />
„<strong>Wissenschaft</strong> interaktiv“ zeich -<br />
net Exponate aus, <strong>die</strong> Laien auf anschauliche<br />
Weise wissenschaftliche<br />
Zusammenhänge erklären. In einem<br />
spannenden Finale setzten sich <strong>die</strong> Sieger<br />
aus Kiel mit einer Ausstellung aus<br />
acht begehbaren Modellen durch. Die<br />
Exponate führen in <strong>die</strong> Eigenschaften<br />
der Haut ein, erklären ihre verschiedenen<br />
Schichten und zeigen, was bei<br />
Schädigungen passiert, beispielsweise<br />
durch Mückenstiche oder Tattoos. Ein<br />
weiteres Thema sind Hautkrankheiten<br />
Mit dem Publikumspreis gekürt (v. l.):<br />
Regina Fölster-Holst und Matthias Buchner<br />
vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.<br />
wie Neurodermitis. Geplant ist, <strong>die</strong> Ausstellung<br />
bundesweit in Kliniken, Einkaufszentren,<br />
Schulen und Naturkundemuseen<br />
zu zeigen. Der zweite Platz<br />
ging an ein Experiment der Berlin<br />
School of Mind and Brain der Humboldt-Universität.<br />
Mit einem riesigen<br />
dreidimensionalen Gehirnmodell zeigen<br />
<strong>die</strong> Forscher, welche Vorgänge sich<br />
im Kopf abspielen, wenn sich <strong>die</strong> Menschen<br />
zwischen gesundem Essen und<br />
verlockenden Süßigkeiten entscheiden<br />
müssen. Das DFG-Forschungszentrum<br />
Matheon und das Zuse-Institut Berlin<br />
kamen gemeinsam auf Platz 3. Sie entwickelten<br />
ein begehbares Proteinmodell,<br />
das <strong>die</strong> Rolle der Mathematik bei<br />
der Entwicklung neuer Medikamente<br />
verdeutlicht. Die nächste Ausschreibung<br />
des Wettbewerbs erfolgt im Herbst<br />
<strong>2011</strong>.<br />
&<br />
www.wissenschaft-interaktiv.de<br />
Foto: David Ausserhofer/WID
Foto: Generali Deutschland Holding AG/Jörg Carstensen<br />
Mathe-Gold <strong>für</strong> Lisa Sauermann<br />
Mathematik-Olympiade. Lisa Sauermann hat beim internationalen Mathe -<br />
matikwettstreit in Amsterdam alle Rekorde gebrochen.<br />
Sie ist eine wahre Rechenkünstlerin:<br />
Lisa Sauermann aus Dresden hat<br />
bei der Internationalen Mathematik-Olympiade<br />
(IMO) <strong>2011</strong> in Amsterdam<br />
<strong>die</strong> fünfte Medaille in Folge gewonnen.<br />
Mit viermal Gold und einmal Silber<br />
ist <strong>die</strong> 18-Jährige nun alleinige<br />
Rekordhalterin beim weltweit wichtigsten<br />
Mathe-Schülerwettbewerb. Das deutsche<br />
Team sicherte sich in Amsterdam<br />
insgesamt sechs Medaillen: Einmal Gold,<br />
dreimal Silber und zweimal Bronze.<br />
„Lisa Sauermann hat Großartiges<br />
geleistet, ihr Rekord wird sicher<br />
lange Bestand haben. Sie hat gezeigt,<br />
dass Spitzenmathematik keine Männerdomäne<br />
sein muss. Ich hoffe, dass sie<br />
möglichst viele Nachahmerinnen findet“,<br />
sagte Annette Schavan, Bundes-<br />
ministerin <strong>für</strong> Bildung und Forschung.<br />
Die Ministerin gratulierte auch dem<br />
gesamten deutschen Team zum elften<br />
Platz in der Medaillenwertung.<br />
Lisa Sauermann erzielte bei ihrer<br />
fünften Mathematik-Olympiade auch ihr<br />
persönlich bestes Ergebnis: Als einzige<br />
von allen IMO-Teilnehmern erreichte sie<br />
<strong>die</strong> volle Punktzahl (42). Die jeweils besten<br />
sechs Nachwuchsmathematiker aus<br />
101 Ländern sind bei der IMO in Amsterdam<br />
gegeneinander angetreten. An<br />
zwei Wettkampftagen mussten <strong>die</strong> Schüler<br />
in viereinhalb Stunden komplexe<br />
mathematische Probleme lösen. Die<br />
Internationale Mathematik-Olympiade<br />
wurde zum 52. Mal ausgetragen. Im<br />
kommenden Jahr findet sie in Buenos<br />
Aires statt.<br />
Das deutsche Team<br />
Initiativen<br />
Wie im Vorjahr in Kasachstan erreichten<br />
alle deutschen Olympioniken eine<br />
Medaille:<br />
Lisa Sauermann (Dresden): Gold<br />
Marius Graeber (Baden-Baden): Silber<br />
Achim Krause (Horb): Silber<br />
Bernhard Reinke (Bonn): Silber<br />
Michael Schubert (Karlsruhe): Bronze<br />
Florian Schweiger (Marktoberdorf): Bronze<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong> 35<br />
&<br />
Rechenkünstlerin und<br />
Rekordhalterin: Lisa Sauermann<br />
aus Dresden.
Dem Schmerz auf der Spur<br />
Stiftungsprofessuren. Lange Zeit war <strong>die</strong> Schmerztherapie ein Stiefkind der Medizin –<br />
auch weil man nur wenig über Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von chronischen<br />
Schmerzen wusste. Die Arbeit von Martin Schmelz setzt genau hier an. Als Karl-Feuerstein-Stiftungsprofessor<br />
hat der Mediziner <strong>die</strong> Freiheit, sich ganz der Erforschung <strong>die</strong>ses<br />
komplexen Themas zu widmen.<br />
VON MONIKA GOETSCH<br />
Manche Schmerzen scheinen<br />
keine Ursache zu haben –<br />
jedenfalls keine, <strong>die</strong> man mit<br />
herkömmlichen Methoden erkennen<br />
könnte. Menschen, <strong>die</strong> unter solchen<br />
chronischen Reizungen auch ohne Nervenverletzung,<br />
Diabetes oder Gürtelrose<br />
leiden, werden häufig von Spezialist zu<br />
Spezialist geschickt, ohne Befund.<br />
Eine demütigende Odyssee, <strong>die</strong> in<br />
der Mannheimer Klinik <strong>für</strong> Anästhesiologie<br />
ein Ende finden könnte. Auch dort<br />
ist es zwar bislang nicht<br />
möglich, an chronischem<br />
Schmerz leidende Patienten<br />
zu heilen. Man hat<br />
ihnen aber eine entlastende<br />
Botschaft anzubieten:<br />
dass nämlich ihre<br />
Schmerzempfindung kein<br />
Fantasieprodukt ist, sondern<br />
auf einer ganz real im<br />
Körper feststellbaren Überempfindlichkeit<br />
der Nerven basieren kann.<br />
„Die Patienten spüren: Hier glaubt mir<br />
jemand!“, sagt Schmerzforscher Martin<br />
Schmelz. „Es hilft ihnen sehr zu erfahren,<br />
dass bei ihnen zum Beispiel ein Ionenkanal<br />
nicht richtig funktioniert.“<br />
Zusammen mit einem Team in<br />
Oslo gelang es dem <strong>Wissenschaft</strong>ler, Übererregbarkeit<br />
von Nervenfasern direkt beim<br />
Schmerzpatienten zu messen und das glei-<br />
Serie Serie<br />
che Muster auch experimentell zu erzeugen.<br />
Besonders wirksam war dabei ein<br />
Eiweiß, das <strong>für</strong> das Nervenwachstum und<br />
<strong>die</strong> Überempfindlichkeit der Nervenenden<br />
verantwortlich ist. Eine Zielstruktur,<br />
an der ein Medikament wirkungsvoll<br />
ansetzen könnte, steht damit fest.<br />
Tatsächlich werden derzeit Medikamente<br />
entwickelt, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Nervenwachstumsfaktor<br />
blockieren und wirksam<br />
chronische Schmerzen lindern. Die<br />
Erforschung des Nervenwachstumsfaktors<br />
ist <strong>für</strong> Schmelz einer der<br />
großen Erfolge seiner Zeit als<br />
Stiftungsprofessor. Seit 2002<br />
hat der heute 47-jährige Me -<br />
diziner <strong>die</strong> Karl-Feuerstein-<br />
Stiftungsprofessur zur Erforschung<br />
und Behandlung des<br />
Schmerzes inne, <strong>die</strong> in der<br />
Fakultät Mannheim der Universität<br />
Heidelberg eingerichtet<br />
wurde. Für Schmelz ist <strong>die</strong><br />
Professur ein besonderer Glücksfall, hat<br />
er doch auf <strong>die</strong>sem deutschlandweit einmaligen<br />
Posten <strong>die</strong> Freiheit, „genau das<br />
zu tun, was ich tun will, nämlich zwischen<br />
Grundlagenforschung und Klinikern<br />
und der Industrie vermitteln“.<br />
Schmelz hält das Modell der Stiftungsprofessur<br />
<strong>für</strong> vorbildlich: „Eine Stiftungsprofessur<br />
wie <strong>die</strong> meinige ist gerade<br />
in der Medizin von besonderer Bedeu-<br />
2<br />
tung“, sagt Schmelz. „Die Übertragung<br />
von klinischen zu Grundlageninhalten<br />
erfordert einen hohen Freiraum. Durch<br />
<strong>die</strong>se Art der Professur ist das Problem<br />
ideal gelöst.“<br />
Vorurteile überbrücken<br />
Im Zentrum seiner Forschung steht <strong>die</strong><br />
Interaktion zwischen Nervensystem,<br />
Gewebszellen und Entzündungszellen.<br />
Als herkömmlicher Professor, der forschungsbegleitend<br />
immer auch klinisch<br />
arbeiten müsste, hätte er es, meint<br />
Schmelz, sehr viel schwerer, seine Forschungsziele<br />
zu verfolgen. Sein Vorteil:<br />
„Ich behandle keine Patienten. Meine<br />
Forschungszeit ist definiert und bezahlt.<br />
Eine wichtige Voraussetzung, um sich<br />
ganz der Forschung und gemeinsamen<br />
Projekten mit Klinikern widmen zu können.“<br />
Nur unter vergleichbar klaren Verhältnissen<br />
sei <strong>die</strong> Qualität der medizinischen<br />
Forschung zu sichern.<br />
Bei genau definierten Rollen,<br />
davon ist Schmelz überzeugt, sei es einfacher,<br />
herkömmliche Vorurteile und<br />
Differenzen zu überbrücken. Dass Kliniker<br />
vor allem etwas von Patienten und<br />
der Relevanz bestimmter Fragen verstehen,<br />
Grundlagenforscher dagegen <strong>die</strong><br />
dahinterliegenden Mechanismen kennen,<br />
wird so zur gemeinsamen Ressource.<br />
Im engagierten Austausch entwi-<br />
36 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
ckelt Schmelz so Projekte von großer<br />
Relevanz <strong>für</strong> Forscher, Kliniker und<br />
Patienten. „Die Zusammenarbeit funktioniert<br />
durch <strong>die</strong> Trennung“, sagt<br />
Schmelz. Translationale Medizin lautet<br />
das inzwischen sehr in Mode gekommene<br />
Stichwort, Medizin also an der<br />
Schnittstelle zwischen präklinischer<br />
Forschung und klinischer Entwicklung.<br />
Spitzenforschung in Verbünden<br />
Erfahrungen damit sammelte der heutige<br />
Stiftungsprofessor schon in der Physiologie<br />
in Erlangen, wo ein Sonderforschungsbereich<br />
<strong>für</strong> Schmerzforschung<br />
aufgebaut wurde. „Sonderforschungsbereiche<br />
sind Garanten da<strong>für</strong>, dass Spitzenforschung<br />
in Verbünden gemacht<br />
wird.“ Bei Schmerz sei das besonders<br />
wichtig: „Wir können mit Zellen arbeiten,<br />
aber der Schmerz ist eine Empfindung,<br />
darum brauchen wir zu seiner<br />
Erforschung Patienten.“ Da Nervenuntersuchungen<br />
teuer sind, gilt es <strong>für</strong> den<br />
Professor auch, Gelder aufzutreiben,<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Netzwerke zu gründen, <strong>die</strong> Pharmaindustrie<br />
zu gewinnen – und dennoch <strong>die</strong><br />
Hoheit über <strong>die</strong> ermittelten Daten zu<br />
behalten. Das fällt dem kontaktfreudigen<br />
Mediziner, der seine Flexibilität liebt<br />
und doch sehr genau weiß, was er will,<br />
nicht schwer.<br />
Auch mit der Witwe Feuersteins<br />
trifft sich Schmelz, der in Fahrradnähe<br />
zum Klinikum wohnt, hin und wieder<br />
zum Kaffee. Dank <strong>die</strong>ser und anderer<br />
&<br />
Der Förderer<br />
Geht den Ursachen von Schmerzen auf<br />
den Grund: Stiftungsprofessor Martin<br />
Schmelz.<br />
Begegnungen weiß er, dass „Feuerstein<br />
eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit<br />
gewesen sein muss, und so ausgeprägt<br />
verbindend, dass sein Ruf weithin<br />
nachhallt.“ Zwischen entgegen -<br />
gesetzten Positionen zu vermitteln war<br />
Feuerstein ein großes Anliegen. Schmelz<br />
sieht darin nicht zuletzt eine Parallele<br />
zu seiner eigenen Position. Umso passender,<br />
dass seine Professur <strong>die</strong>sen ver<strong>die</strong>nstvollen<br />
Namen trägt.<br />
Die Karl-Feuerstein-Stiftungsprofessur zur Erforschung und Behandlung<br />
des Schmerzes wurde 2002 vom DaimlerChrysler-Fonds (heute<br />
Daimler-Fonds) gemeinsam mit dem <strong>Stifterverband</strong> eingerichtet. Sie ist<br />
dem gleichnamigen langjährigen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der<br />
Daimler-Benz AG/DaimlerChrysler AG gewidmet, dessen Tumorschmerzen<br />
am Universitätsklinikum Mannheim behandelt wurden, bevor er<br />
1999 verstarb.<br />
Foto: Thomas Hörner/Kraufmann&Kraufmann<br />
Initiativen<br />
37
38<br />
Foto: <strong>Deutsche</strong>r Zukunftspreis/Bayer AG<br />
Foto: Peter Dorn<br />
Zukunftspreis: Innovationen gesucht<br />
Der <strong>Deutsche</strong> Zukunftspreis – Preis<br />
des Bundes präsidenten <strong>für</strong> Technik<br />
und Innovation zeichnet hervorragende<br />
technische, ingenieur- oder<br />
naturwissenschaftliche Innovationen<br />
aus. Er wird jährlich vergeben und<br />
jetzt <strong>für</strong> das Jahr 2012 ausgeschrieben.<br />
Bis zum 31. Januar 2012 können<br />
vorschlagsberechtigte Institutionen<br />
jeweils bis zu drei Projekte bei der<br />
Geschäftsstelle des DZP in Essen einreichen.<br />
Der Preis des Bundespräsidenten<br />
<strong>für</strong> Technik und Innovation<br />
ist kein „Bewerbungspreis“. Zu den<br />
vorschlagsberechtigten Institutionen<br />
zählen <strong>die</strong> großen <strong>Wissenschaft</strong>s- und<br />
Wirtschaftsorganisationen in Deutschland.<br />
Ein Projekt kann eine Zulassung<br />
zur Auswahlrunde nur erlangen,<br />
wenn es <strong>die</strong> in den Statuten vorge-<br />
Ingenieurin mit Auszeichnung<br />
Ingenieurin Katrin Baumann lieferte aus<br />
Sicht der Jury <strong>die</strong> beste Dissertation ab.<br />
Der Bertha Benz-Preis <strong>2011</strong> geht an<br />
Katrin Baumann. Die Daimler und Benz<br />
Stiftung würdigt mit der Auszeichnung<br />
jedes Jahr deutsche Ingenieurinnen, <strong>die</strong><br />
in ihrem Fach eine herausragende Dissertation<br />
geschrieben haben.<br />
Ziel des Preises ist es, junge Frauen<br />
zu ermutigen, sich <strong>für</strong> eine wissenschaftliche<br />
Karriere in den Natur- und<br />
Ingenieurwissenschaften zu entscheiden.<br />
Wilfried Porth, Personalvorstand und<br />
Arbeitsdirektor der Daimler AG, überreichte<br />
den mit 10.000 Euro dotierten<br />
Preis Anfang Juli im Anschluss an <strong>die</strong><br />
Bertha Benz-Vorlesung in Heidelberg. Die<br />
Jury hatte <strong>die</strong> 30-Jährige unter 23 Kandi-<br />
Bundespräsident Christian Wulff bei<br />
einer Stippvisite im Labor des Siegerteams<br />
von 2009.<br />
schriebenen Kriterien erfüllt. Wesentlich<br />
sind innovative Leistung, <strong>die</strong><br />
Patentfähigkeit und <strong>die</strong> bereits erzielte<br />
oder sich abzeichnende Umsetzung,<br />
<strong>die</strong> langfristig auch zur Schaffung von<br />
Arbeitsplätzen führen muss. Mehr<br />
Informationen zur Ausschreibung gibt<br />
es auf der Internetseite zum <strong>Deutsche</strong>n<br />
Zukunftspreis www.deutscherzukunfts<br />
preis.de.<br />
datinnen ausgewählt. In der Begründung<br />
hieß es: „Die Dissertation von Katrin<br />
Baumann behandelt eines der zentralen<br />
Probleme des klassischen Maschinenbaus.<br />
(…) Ihre Ergebnisse sind <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Praxis von entscheidender Bedeutung.“<br />
Katrin Baumann hatte im November<br />
2010 an der Technischen Universität<br />
Darmstadt promoviert. Sowohl ihr<br />
Studium als auch ihre Promotion wurden<br />
von der Stu<strong>die</strong>nstiftung des deutschen<br />
Volkes gefördert. Für ihre Doktorarbeit<br />
„Dynamische Eigenschaften von<br />
Gleitlagern in An- und Auslaufvorgängen“<br />
erhielt sie das Prädikat „summa cum<br />
laude“.<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
Ideenpool füllen<br />
Universitäten. Die Junge Akademie startet mit dem <strong>Stifterverband</strong> den Ideenwettbewerb<br />
„Uni Gestalten“.<br />
In seinem Kernbereich „Programm und<br />
Förderung“ engagiert sich der <strong>Stifterverband</strong><br />
<strong>für</strong> ein weiteres Best-Practice-<br />
Projekt, um <strong>die</strong> Struktur des Hochschulsystems<br />
in Deutschland zu erneuern und<br />
<strong>die</strong> Rahmenbedingungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
zu verbessern. Der Ideenwettbewerb<br />
UniGestalten wird von der Jungen<br />
Akademie an der Berlin-Brandenburgischen<br />
Akademie der <strong>Wissenschaft</strong>en und<br />
der <strong>Deutsche</strong>n Akademie der Naturforscher<br />
Leopoldina konzipiert und findet<br />
im Herbst <strong>2011</strong> statt. Ziel der gemeinsamen<br />
Initiative ist es, einen Ideenpool mit<br />
konkreten Vorschlägen zu schaffen, <strong>die</strong><br />
den Alltag in Hochschulen durch neue<br />
Ansätze und Perspektiven erleichtern und<br />
verbessern. Dazu beobachtet UniGestalten<br />
das gesamte „UniVersum“, befragt <strong>die</strong><br />
Akteure direkt vor Ort, setzt auf <strong>die</strong> Innovationskraft<br />
von Personen sowie auf <strong>die</strong><br />
Lernfähigkeit der Organisation.<br />
Start am 17. Oktober<br />
UniGestalten richtet sich an alle, <strong>die</strong> das<br />
Leben und Arbeiten an der Hochschule<br />
prägen und weiterentwickeln wollen: Stu<strong>die</strong>rende<br />
aus allen Fachbereichen und<br />
Hochschultypen, Alumni, alle Beschäftigten<br />
aus Lehre, Forschung, Technik, Verwaltung<br />
und Projektpartner aus der Wirtschaft.<br />
Vom 17. Oktober bis zum 15.<br />
Dezember <strong>2011</strong> können sie auf dem<br />
Wettbewerbsportal www.unigestalten.de<br />
neue Ideen aufzeigen, diskutieren<br />
und weiterentwickeln. Eine<br />
unabhängige Jury bewertet an -<br />
schließend alle Einsendungen<br />
nach feststehenden und<br />
durchgängigen Kriterien<br />
und prämiert <strong>die</strong> besten<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Ideen. Der Wettbewerb ist mit insgesamt<br />
15.000 Euro dotiert. 5.000 Euro Hauptgewinn<br />
und 20 weitere Preise warten auf<br />
<strong>die</strong> innovativen Vordenker <strong>für</strong> den Uni-<br />
Alltag. Und bei UniGestalten „gewinnen“<br />
am Ende alle, denn UniGestalten erzeugt<br />
einen einzigartigen Datensatz zur aktuellen<br />
Situation der deutschen Hochschullandschaft.<br />
Ideen und Inspiration<br />
Das Ideenportal wird als Ideenpool aufbereitet<br />
und der Öffentlichkeit zur Verfügung<br />
gestellt. Hier können sich Teilnehmer<br />
und Interessierte von der Vielzahl an<br />
Möglichkeiten inspirieren lassen und ganz<br />
konkret Ideen aufgreifen, um ihren persönlichen<br />
und institutionellen Hochschulalltag<br />
zu verändern. Zusätzlich fasst <strong>die</strong><br />
Junge Akademie <strong>die</strong> Ergebnisse des Wettbewerbs<br />
in einer Publikation zusammen<br />
und formuliert Empfehlungen <strong>für</strong> Entscheider<br />
in <strong>Wissenschaft</strong> und Politik.<br />
Die Junge Akademie wurde im Jahr 2000<br />
als gemeinsames Projekt der Berlin-Brandenburgischen<br />
Akademie der <strong>Wissenschaft</strong>en<br />
(BBAW) und der <strong>Deutsche</strong>n Akademie<br />
der Naturforscher Leopoldina<br />
gegründet. Sie ist weltweit <strong>die</strong> erste Akademie<br />
des wissenschaftlichen Nachwuchses.<br />
Zu den vorrangigen Aufgaben der<br />
Jungen Akademie gehören <strong>die</strong> Pflege des<br />
interdisziplinären Diskurses unter herausragendenNachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und -wissenschaftlern sowie <strong>die</strong> Förderung<br />
von Initiativen an den Schnittstellen<br />
von <strong>Wissenschaft</strong> und Gesellschaft.<br />
Die Junge Akademie mit Sitz in Berlin<br />
zählt 50 Mitglieder und wird von den beiden<br />
Mutterakademien BBAW und Leopoldina<br />
getragen.<br />
&<br />
www.unigestalten.de<br />
Initiativen
„Weibliche Spitzenkräfte<br />
gehören in Top-Positionen“<br />
Kultur. Diversität ist in deutschen Schulen, Universitäten und Unternehmen noch zu<br />
wenig ausgeprägt – meint <strong>die</strong> Soziologin Jutta Allmendinger. Ein Gespräch über<br />
Frauen in Führungspositionen, Vielfalt im deutschen Bildungssystem und <strong>die</strong> Einführung<br />
von Quoten.<br />
Foto: Peter Himsel
42<br />
Talentierten und exzellent ausgebildeten Frauen steht<br />
<strong>die</strong> Welt offen. In Deutschland aber wird ihr Wunsch, in<br />
Führungsetagen und Vorstände vorzudringen, hitzig diskutiert.<br />
Harte Kritiker postulieren: Wenn <strong>die</strong> Frauenquote<br />
kommt, geht es bergab mit der deutschen Wirtschaft,<br />
dann wandern besser qualifizierte Männer aus. Parallel<br />
verankern immer mehr Dax-Konzerne eigene Frauenquoten<br />
und Diversity-Ziele in ihrer Firmenphilosophie. Was<br />
passiert da gerade?<br />
Was uns aktuell bei der Frauenquotendebatte entgegenschlägt,<br />
ist dem Thema völlig unangemessen<br />
und rückwärtsgewandt. Initiativen mit merkwürdigen<br />
Frauen- und überholten Rollenbildern schießen<br />
plötzlich wie Pilze aus dem Boden und finden in den<br />
Me<strong>die</strong>n Gehör; Managerinnen wehren <strong>die</strong> Frauenquote<br />
ab, wohl wissend, dass sie vermutlich selbst<br />
Quotenfrauen sind; und all dem schaut unser topausgebildeter<br />
weiblicher Nachwuchs zu und wundert<br />
sich, was andere alles über ihr Innerstes zu wissen<br />
scheinen. Dabei geht <strong>die</strong>se unschöne Debatte<br />
ihnen ziemlich unter <strong>die</strong> Haut. Und ich frage mich, ob<br />
wir mit all <strong>die</strong>sem Getöse womöglich in eine Phase<br />
der Re-Traditionalisierung rutschen.<br />
Sind Quoten der richtige Weg zu mehr Chancengleichheit?<br />
Für eine Übergangszeit sind Frauenquoten sinnvoll,<br />
um mehr weibliche Spitzenkräfte da zu zeigen, wo sie<br />
hingehören: in Toppositionen. Diese Vorbilder werden<br />
<strong>die</strong> gläserne Decke durchbrechen und weitere talentierte<br />
Frauen nach sich ziehen. Damit wird auch <strong>die</strong><br />
Qualität der deutschen Führungskräfte insgesamt<br />
steigen. Aktuell verengen wir nämlich den Pool, aus<br />
dem wir unsere Führungskräfte schöpfen, künstlich:<br />
Frauen schreiben beachtliche Abschlussarbeiten,<br />
glänzen mit innovativen Ideen – <strong>die</strong> Arbeitswelt ruft<br />
<strong>die</strong>se Potenziale aber gar nicht ab. Das müssen wir<br />
dringend ändern. Quoten werden in Deutschland<br />
zudem zu negativ und einseitig gesehen. In den USA<br />
beispielsweise ist das anders, da ist man stolz auf<br />
Quoten, <strong>die</strong> zu mehr Diversität führen, man wirbt<br />
mit ihnen. Ich gehöre derzeit dem Beirat einer Privatuniversität<br />
an, wo nur 33 Prozent der Stu<strong>die</strong>renden<br />
Frauen sind. Ein amerikanischer Kollege wies<br />
mich darauf hin, dass man mit <strong>die</strong>sem geringen Frauenanteil<br />
gute Chancen habe, hochtalentierte Ame-<br />
rikanerinnen anzuziehen – man müsste damit nur<br />
explizit in den USA werben. Hintergrund sind <strong>die</strong><br />
Geschlechterquoten an den Top-Universitäten wie<br />
Stanford oder Harvard, wo sich mittlerweile weitaus<br />
mehr Frauen als Männer bewerben und Frauen<br />
der Zugang nun aufgrund der gewünschten Chancengleichheit<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Geschlechter erschwert wird.<br />
Bleiben wir beim internationalen Vergleich. Wie divers<br />
ist unser Bildungssystem?<br />
In Deutschland war diversity nie stark verankert. Wir<br />
verstehen <strong>die</strong>ses Thema immer noch nicht richtig.<br />
Wir sind weiter sehr stark auf einen Bildungsbegriff<br />
fixiert, der an den kognitiven Kompetenzen hängt, an<br />
Wissen. Kompetenzen rund um das Thema diversity<br />
tun wir lapidar als soft skills ab, obgleich es genau<br />
<strong>die</strong>se Fähigkeiten sind, <strong>die</strong> unsere Gesellschaft heute<br />
am meisten benötigt. Genau betrachtet nehmen wir<br />
<strong>die</strong> kulturellen Kompetenzen sogar systematisch aus<br />
unserem Bildungssystem heraus: Im Schulsystem<br />
fällt das Auslandsjahr raus, der komprimierte Lehrplan<br />
an Schulen und Hochschulen verengt den Raum<br />
<strong>für</strong> Fächer jenseits der harten Fakten, auch der Bachelor<br />
und der Master werden bei uns weitaus weniger<br />
breit angelegt verstanden. In Deutschland beginnt<br />
Diversität im Grunde erst mit dem Berufseintritt in<br />
einen international ausgerichteten Konzern.<br />
Diversity-Management wird in deutschen Unternehmen<br />
immer stärker Thema. Hintergrund sind <strong>die</strong> globalen<br />
Geschäfte, aber auch der demografische Wandel und der<br />
drohende Fachkräftemangel. Frauen werden dabei als<br />
größtes Potenzial gesehen. Wie bewerten Sie <strong>die</strong> Öffnung<br />
hin zu kreativeren Arbeitszeitmodellen?<br />
Das ist ein Fortschritt, ohne Frage. Ich sehe in Deutschland<br />
aber bislang keinen wirklichen Kulturwandel<br />
weg vom vergötterten Alleinver<strong>die</strong>nermodell, das<br />
sich ja auch im Renten- und Krankenkassensystem<br />
widerspiegelt. Es gibt vereinzelt kreative Arbeitsangebote,<br />
<strong>die</strong> gut ausgebildete Arbeitskräfte mittlerweile<br />
auch einfordern. Aber <strong>die</strong>se Angebote werden<br />
von den Unternehmen längst nicht so überzeugend<br />
und leidenschaftlich umgesetzt und gelebt wie in<br />
den USA, in England oder den skandinavischen Ländern,<br />
wo man in den vergangenen Jahren <strong>die</strong>sbe-<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Fotos: Peter Himsel
„Die deutsche Unternehmenskultur hat<br />
in Sachen Vielfalt Scheuklappen auf.“<br />
züglich Sprünge vollzogen hat. Deshalb glaube ich<br />
auch, dass der Markt der internationalen Toptalente<br />
weiter an Deutschland vorbeigeht. Ein deutscher<br />
Kollege und junger Familienvater, der in Schweden<br />
lebt, hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: Warum<br />
soll ich nach Deutschland zurückkehren, wieder in<br />
eine Kultur reingehen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Scheuklappen hat,<br />
wo eine Anwesenheitskultur herrscht, <strong>die</strong> mir und<br />
meiner Frau eine Viertagewoche erschwert?<br />
Geraten <strong>die</strong> deutschen Hochschulen jetzt im Wettbewerb<br />
um <strong>die</strong> klügsten Köpfe ins Hintertreffen?<br />
Ja, <strong>die</strong>se Gefahr sehe ich durchaus. Gerade <strong>die</strong> weiblichen<br />
Arbeitskräfte stehen an deutschen Hochschulen<br />
oft schlecht da: systematische Unterbezahlung,<br />
eine hohe Kinderlosigkeit bei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen<br />
und Professorinnen, eine lange Ausbeutung<br />
des Mittelbaus auf der Grundlage von Drittmitteln.<br />
Wir sind noch dazu schlecht im Umwerben<br />
<strong>die</strong>ser Talente. Andernorts holt der Professor seinen<br />
wissenschaftlichen Nachwuchs vom Bahnhof ab, sagt<br />
„Great that you are here!“, und beide machen dann<br />
erst einmal einen Stadtbummel – das ist ein Unterschied<br />
wie Tag und Nacht. In Harvard wurde ich schon<br />
vor 25 Jahren als Studentin im Promotionsprogramm<br />
gefragt: Was braucht Ihr Partner, was brauchen Ihre<br />
Kinder? Dann das Thema dual career: In Deutschland<br />
werden Paare nur äußerst ungern an derselben Universität<br />
beschäftigt, schon gar nicht im selben Fachbereich.<br />
Ich finde es absurd, wie man auf <strong>die</strong>se Art<br />
und Weise Produktivitätspotenziale liegenlässt. Dabei<br />
lebt doch gerade <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> vom intensiven,<br />
leidenschaftlichen Austausch über Wissen und Forschungsergebnisse!<br />
Aber nicht nur <strong>die</strong> deutschen<br />
Hochschulen sind beim Thema Familie furchtbar verkrampft<br />
– <strong>die</strong> ganze deutsche Arbeitswelt ist es noch.<br />
Es gibt hier keinen gesunden, lebendigen Diskurs.<br />
Wir brauchen Arbeitgeber, <strong>die</strong> aus vollem Herzen<br />
sagen: Ja, bekommt Kinder, wir finden das gut, wir<br />
unterstützen Euch dabei.<br />
Sie sagen, in Deutschland gibt es nur eine Autobahn: <strong>die</strong><br />
Arbeit mit in <strong>die</strong> Familie zu bringen, aber nie umgekehrt.<br />
Da sind <strong>die</strong> kulturellen Unterschiede wirklich enorm.<br />
An Eliteuniversitäten wie Harvard oder der University<br />
of Wisconsin ist es Alltag, dass Professorinnen eine<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
große Vorlesung halten, während ihr Säugling im Kinderwagen<br />
danebensteht. Als ich an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />
in München 1994 als Professorin<br />
schwanger war, war das fast noch ein ungeheuerlicher<br />
Vorfall. Das ist eine meiner Lieblingsgeschichten:<br />
Ein wirklich liebenswerter und aufgeschlossener Kollege<br />
hat mir damals im siebten Monat auf den Bauch<br />
gehauen und gesagt: Da hast Du es Dir ja richtig gut<br />
gehen lassen im Urlaub! Eine Professorin und schwanger?<br />
Diese Kombination fehlte in den Köpfen komplett.<br />
Als ich dann meinen kleinen Sohn ganz nach<br />
amerikanischem Vorbild mutig mit in <strong>die</strong> Vorlesung<br />
nahm, traf das bei den Stu<strong>die</strong>renden auf Unverständnis.<br />
Viele fanden das völlig unmöglich.<br />
Anschließend wurde Ihr Lehrstuhl der fertilste Lehrstuhl<br />
an der Universität.<br />
Es braucht positive Vorbilder, junge Frauen und Männer,<br />
<strong>die</strong> vorleben, dass es geht: Kinder bekommen, sich<br />
da<strong>für</strong> eine gewisse Auszeit nehmen und dennoch<br />
hochdotierte Mitarbeiterin, Führungskraft oder Professorin<br />
werden beziehungsweise bleiben. Dann fassen<br />
auch <strong>die</strong> anderen Mut. Am WZB beispielsweise<br />
sind gerade mehr Väter in Elternzeit als Frauen.<br />
INTERVIEW: CORINA NIEBUHR<br />
&<br />
Zur Person<br />
Jutta Allmendinger<br />
Jutta Allmendinger<br />
Ein Videointerview mit Jutta Allmendinger finden Sie<br />
im webTV des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />
www.stifterverbande.info/<strong>wuw</strong>/10<br />
Interview<br />
Mit ihren Forschungen zu den Themen Bildungsgerechtigkeit und Soziologie<br />
des Arbeitsmarktes gilt Jutta Allmendinger als eine der streitbarsten<br />
Soziologinnen Deutschlands. Ihre Karriere begann mit dem Studium in ihrer<br />
Heimatstadt Mannheim, später ging sie in <strong>die</strong> USA und promovierte<br />
schließlich in Harvard. Heute leitet sie als erste Frau das <strong>Wissenschaft</strong>szentrum<br />
Berlin <strong>für</strong> Sozialforschung (WZB). Gleichzeitig lehrt sie als Professorin<br />
<strong>für</strong> Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität<br />
in Berlin. Selbst Mutter, tritt sie seit Jahren <strong>für</strong> eine bessere Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf ein. 2009 erhielt sie <strong>für</strong> <strong>die</strong> herausragende<br />
öffentliche Vermittlung ihrer Forschungsarbeiten den Communicator-Preis.<br />
43
Die Farbe des Geldes und<br />
der Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong><br />
Systeme. Können <strong>Wissenschaft</strong>ler trotz des zunehmenden zeitlichen und finanziellen<br />
Drucks ihre Erkenntnisleidenschaften erhalten? Dieser Frage ging Peter Strohschneider<br />
auf der Jahresversammlung des <strong>Stifterverband</strong>es nach.<br />
VON PETER STROHSCHNEIDER<br />
Gesellschaften sind Felder vielfältig in Konflikt geratener Interessen,<br />
Ansprüche und Werte. Das gilt in besonderem Maße <strong>für</strong><br />
moderne, pluralistische, technisch hoch integrierte, zugleich<br />
weltgesellschaftlich dicht vernetzte <strong>Wissenschaft</strong>sgesellschaften wie<br />
<strong>die</strong> unsrige. Diesseits des Grundrechtskatalogs kennt sie kein Wahrheits-<br />
oder Legitimitätsmonopol. Und das heißt: Es existiert auch<br />
kein allgemein akzeptierter Perspektivpunkt, von dem aus sich das<br />
Ganze <strong>die</strong>ser Gesellschaft in den Blick bringen oder gar ordnen ließe.<br />
In <strong>die</strong>sem Sinne ist sie hochgradig komplex. Solche Hyperkomplexität<br />
lässt sich nicht auflösen, wohl aber bearbeiten: Die Gesellschaft<br />
bildet dazu viele, funktional voneinander unterschiedene Sphären<br />
sozialen Handelns aus. Nicht mehr Horden, Stämme, Familien oder<br />
Stände sind <strong>die</strong> maßgeblichen Teileinheiten des gesellschaftlichen<br />
Gesamtzusammenhangs, sondern Funktionssysteme, zwischen denen<br />
es keine eindeutige Rangordnung gibt. In Politik und Wirtschaft, Religion<br />
und Erziehung, Forschung, Me<strong>die</strong>n oder dem Rechtssystem<br />
Der Autor<br />
Peter Strohschneider<br />
Der Professor <strong>für</strong> Germanistische<br />
Mediävistik an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München war von<br />
2006 bis <strong>2011</strong> Vorsitzender des <strong>Wissenschaft</strong>srates.<br />
Seit 2010 ist er ordentliches<br />
Mitglied der Bayerischen<br />
Akademie der <strong>Wissenschaft</strong>en. Seine<br />
Arbeitsschwerpunkte sind Erzählliteratur<br />
und Lieddichtung des Mittelalters<br />
sowie <strong>Wissenschaft</strong>spolitik.<br />
Fotos: David Ausserhofer<br />
dominieren je andere Funktionsprimate, Handlungslogiken und<br />
Akteursinteressen. Und sie gehen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Individuen mit der Zumutung<br />
einher, stets sehr unterschiedliche Kontexte des eigenen Handelns<br />
koordinieren zu müssen: <strong>Wissenschaft</strong>liche Kommunikation im<br />
Medium von „Wahrheit“ ist etwas anderes als Politik im Medium von<br />
„Macht“ oder Ökonomie im Medium von „Zahlungen“. Und damit<br />
das so bleibt, stabilisieren sich <strong>die</strong> jeweiligen Funktionsbereiche in<br />
verschiedenen Eigenordnungen. Sie bilden Eigen-Räume aus und<br />
darin Leitinstitutionen wie Parlament, Börse, Kirche, Schule, Universität<br />
oder Gericht. Sie entwickeln „Eigen-Zeiten“ wie <strong>die</strong> Legislaturperiode,<br />
das Geschäftsjahr, den kirchlichen Jahreskreis oder das<br />
Semester. Und sie müssen ihren „Eigen-Sinn“ pflegen – weil anders<br />
<strong>die</strong> Komplexität der Gesellschaft tatsächlich überwältigend wäre. Fielen<br />
Recht und Mehrheit, Mehrheit und Wahrheit oder <strong>die</strong> Wahrheit<br />
der <strong>Wissenschaft</strong> mit derjenigen des Glaubens zusammen, dann wäre<br />
<strong>die</strong>s der Zusammenbruch gesellschaftlicher Ordnung.<br />
Der Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong><br />
Zwingend erforderlich also, dass auch <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> ihren<br />
Eigen-Sinn pflegt. Das <strong>Wissenschaft</strong>ssystem hat es mit speziell wissenschaftlichem<br />
Wissen zu tun. Und zwar genauer: mit der Tra<strong>die</strong>rung<br />
sowie mit der Erschütterung der je etablierten Ordnungen<br />
<strong>die</strong>ses Wissens durch neue Erkenntnisse. Wir nennen das abkürzend<br />
Innovation. Anders als zum Beispiel Alltagswissen ist <strong>die</strong>ses<br />
wissenschaftliche Wissen methodisch gewonnen; aber das gilt <strong>für</strong><br />
verschiedene Wissensformen, zum Beispiel auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Normen<br />
des Rechts. Entscheidend ist etwas anderes: Wissensansprüche<br />
können in der <strong>Wissenschaft</strong> allein im paradoxen Modus ihrer<br />
Selbstinfragestellung erhoben werden; während, um beim Beispiel<br />
zu bleiben, rechtliche Normen gerade ihre Fraglosigkeit voraussetzen.<br />
Das Wahrheitswissen der <strong>Wissenschaft</strong> ist stets mit einem<br />
Zeit- und mit einem Ungewissheitsvorbehalt versehen: Es gilt <strong>für</strong><br />
jetzt und <strong>für</strong> uns und wir müssen damit rechnen, dass andere es<br />
jetzt schon oder wir es künftig besser wissen können.<br />
44 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
Mit <strong>die</strong>ser epistemisch besonderen Form wissenschaftlichen Wissens<br />
hängen nun spezifische interne Spannungen zusammen, <strong>die</strong> den<br />
Eigen-Sinn des <strong>Wissenschaft</strong>ssystems prägen und <strong>die</strong> in der Perspektive<br />
anderer Gesellschaftsbereiche leicht als Ineffizienz oder Abgehobenheit<br />
verstanden, ja – obwohl es <strong>die</strong>s in der <strong>Wissenschaft</strong> selbstredend<br />
gibt – man muss sagen: missverstanden werden. Die Spannung<br />
zwischen der Vertretung eines Wissensanspruchs und seiner Infragestellung<br />
kehrt darin wieder, dass wissenschaftliche Wahrheitssuche<br />
reflektierte Irrtumsbereitschaft voraussetzt. Oder darin, dass es keine<br />
Umordnung von Wissensfeldern durch innovative Erkenntnis geben<br />
kann ohne Momente kognitiver Unordnung; Albert Einsteins Frisur<br />
ist da<strong>für</strong> zum Sinnbild geworden.<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Illustrationen: Andrzej Koston<br />
Essay<br />
Alle Funktionalität und Leistungsfähigkeit der <strong>Wissenschaft</strong> hängt<br />
nun aber eben daran, dass <strong>die</strong> Spannungen zwischen den hier angedeuteten<br />
Polen in der Balance gehalten, dass sie als der spezifische<br />
Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong> stabilisiert werden. Und das geht allein<br />
dann, wenn <strong>die</strong> sozialen Ordnungen und Organisationen des <strong>Wissenschaft</strong>ssystems<br />
nicht nur mit demjenigen planen, was planbar ist: auftragsgebundene<br />
Forschungsagenden, Curricula, Infrastrukturen undsoweiter.<br />
Sie müssen vielmehr immer zugleich auch mit dem rechnen,<br />
womit sie nicht – oder nur schwer – rechnen können: dem Bedarf<br />
auch an Freiheit von Zeitdruck und direkten Zwecken; dem Bedarf<br />
auch an Freiheit <strong>für</strong> Faszination und intellektuelle Autonomie. Neues<br />
Wissen, das mehr sein soll als bloß das zukünftige alte, ist stets ereignishaft<br />
unvorhersehbar. Wenn wir <strong>die</strong> Welt bereits im direkten Zugriff<br />
auf sie bewältigen könnten, dann würde sich so etwas wie Erkenntnisprozesse<br />
als analytische Abstandnahme von ihr gewiss nicht evolutionär<br />
entwickelt haben. Aber das ist schließlich eine Trivialität: In<br />
un-bekanntem Gelände – und <strong>Wissenschaft</strong> ist eine Form, <strong>die</strong> Welt<br />
<strong>für</strong> unbekanntes Gelände zu halten –, dort verbessern Umwege <strong>die</strong><br />
Ortskenntnis.<br />
Die Farbe des Geldes<br />
Sie mögen fragen: Was hat das mit der Farbe des Geldes zu tun? Nun:<br />
Zunächst spiele ich bloß auf eine Art von Parabel <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Spannung<br />
von Autonomie und Zwecksetzung an, nämlich den gleichnamigen<br />
Film Martin Scorseses von 1986. „Die Farbe des Geldes“ erzählt von<br />
balancierten Spannungen des hier angesprochenen Typs, indem sie<br />
zwei Billardspieler sich direkt gegenläufig entwickeln lässt. Oscarreif<br />
spielt Paul Newman den nun ehemaligen Profispieler Ed<strong>die</strong> Felson,<br />
der längst zum lässig eleganten Geschäftsmann geworden ist: ein bisschen<br />
zynisch und von jener coolen Abgebrühtheit, welche doch <strong>die</strong><br />
Narben vergangener Niederlagen nicht wirklich kaschiert. Ed<strong>die</strong><br />
bringt dem jungen Vincent Lauria, den Tom Cruise virtuos als in<br />
seine eigene Virtuosität verliebtes viriles Supertalent verkörpert, all<br />
das bei, was <strong>die</strong>ser im Gegensatz zur Spielperfektion erst noch lernen<br />
muss: wie man <strong>die</strong> Gegner „anfüttert“, wie man <strong>die</strong> eigene Stärke kalkuliert<br />
einsetzt und Schwäche vortäuscht, wie man dadurch den eigenen<br />
Marktwert manipuliert und wie man <strong>die</strong>serart über Mittelsmänner<br />
auch <strong>die</strong> Spielwetten einstreicht.<br />
Das ist, als Roadmovie durch <strong>die</strong> Billardsalons amerikanischer Vorstädte,<br />
eine Parabel übers Älterwerden. Es ist zugleich allerdings auch<br />
eine Parabel über <strong>die</strong> Spannung zwischen der ganz auf sich selbst<br />
bezogenen Lust am virtuosen Spiel einerseits und andererseits den finanziellen<br />
Zwecksystemen des Profigeschäfts. Seine hohe Kunst<br />
höchst kalkuliert auf <strong>die</strong>se Zwecke hin zu instrumentalisieren, das<br />
bringt Ed<strong>die</strong> dem jungen Vincent allmählich bei. Dabei allerdings<br />
wird – und <strong>die</strong>s macht das Niveau des Films aus – Ed<strong>die</strong> seinerseits<br />
schrittweise von Könnensleidenschaft, von einer ganz unmittelbaren,<br />
ganz selbstbezüglichen Lust am Spielen ergriffen, <strong>die</strong> ihm am Ende<br />
wichtiger ist als aller finanzielle Gewinn oder Verlust. Vincent wird<br />
><br />
45
46<br />
im Laufe des Films reifer, abgebrühter, älter. Paul Newmans alter<br />
Ed<strong>die</strong> hingegen wird immer jünger: Mit seinem „Hi, I’m back“ endet<br />
der großartige Film. Man muss <strong>die</strong> Spannungen, <strong>die</strong> er in <strong>die</strong>sen<br />
gegenläufigen Wegen von Vincent und Ed<strong>die</strong> in der Schwebe hält,<br />
nicht auf Formeln eindampfen. Gewiss aber zeigt Scorsese, dass <strong>die</strong><br />
Lust am Spiel ihren ökonomischen Zweck paradoxerweise allein<br />
dann erfüllen kann, wenn sie von <strong>die</strong>sem Zweck auch abzusehen in<br />
der Lage ist. Man muss das Grün des Billardtuches und das Grün der<br />
Dollarnoten auseinanderhalten können.<br />
Und das illustriert selbstverständlich ein Prinzip von Leidenschaft. Sie<br />
wird auch in Sach- und Zweckzusammenhängen benötigt, von denen<br />
sie, um funktionieren zu können, gerade nichts wissen darf. Billard<br />
gehört hierher – und wissenschaftliche Erkenntnis auch. In der Leidenschaft<br />
des Spiels wie in der Passion der Erkenntnissuche liegt eine<br />
Dimension des Nichtökonomischen, der Zweckfreiheit, des Eigen-<br />
Sinns, welche Dimension (um einen alten Kalauer über das Geld<br />
umzuwenden) gewiss nicht alles ist, ohne welche aber – hier jedenfalls<br />
– doch alles nichts ist.<br />
<strong>Wissenschaft</strong> und Finanzierungssysteme<br />
So verschiedenfarbig Billardkugeln, so gleichfarbig sind, unabhängig<br />
von ihrem Wert, <strong>die</strong> grünen Dollarnoten, <strong>die</strong> in dicken Bündeln den<br />
Besitzer wechseln und auf <strong>die</strong> sich der Filmtitel bezieht. Die „Farbe<br />
des Geldes“ ist also keine Metapher <strong>für</strong> Geldmengen, wie es in der<br />
Eurozone der Fall wäre, wo eine violette<br />
Banknote den fünffachen Wert<br />
einer grünen besitzt. Sie ist vielmehr<br />
eine Metapher <strong>für</strong> <strong>die</strong> Strukturen des<br />
Geldumlaufs, welche <strong>die</strong> Effekte des<br />
Geldes mit beeinflussen. Eben in <strong>die</strong>sem<br />
Sinne kommt es beim Billard auf<br />
<strong>die</strong> Farbe des Geldes an. Die Spieler<br />
kalkulieren in ihren Strategien<br />
ebenso wie mit den Spielzügen des<br />
Gegners mit den Regeln des Wettens,<br />
sodass <strong>die</strong>se Regeln den Verlauf<br />
des Spiels, obwohl sie ihm fremd<br />
sind, mit steuern. Finanzierungsstruktur<br />
und Spielregeln<br />
haben je ihren unabhängigen<br />
Eigen-Sinn. Und<br />
doch wirkt sich <strong>die</strong> Farbe des<br />
Geldes sehr direkt auf den Spielverlauf aus.<br />
In der <strong>Wissenschaft</strong> ist es nicht anders. Wir müssen also über Finanzierungsstrukturen<br />
reden – obwohl <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> auch darin ihren<br />
Eigen-Sinn pflegt, dass sie das Gespräch über Geld nicht selten <strong>für</strong> ein<br />
wenig indezent hält.<br />
Die <strong>Wissenschaft</strong> hat in den zurückliegenden Jahren im Verhältnis zu<br />
konkurrierenden Politikfeldern an Gewicht gewonnen. Man sieht das<br />
zumal an der Entwicklung der Einzeletats. Solchen außerordentlichen<br />
Erfolg zu sichern, wird eine herausragende Aufgabe der kommenden<br />
Jahre sein. Und keine leichte: Viele Bundesländer können aufgrund<br />
der Finanznot ihren Mitfinanzierungsanteil nicht mehr ohne Weiteres<br />
aufbringen – und das schon bevor <strong>die</strong> Schuldenbremse greift und der<br />
Solidarpakt ausgelaufen ist. Die Finanznot droht Kooperationen des<br />
Bundes mit den Ländern zu blockieren, während gleichzeitig <strong>die</strong> Verteilungskämpfe<br />
zwischen <strong>die</strong>sen offenkundig an Schärfe zunehmen.<br />
Aus solchen Verteilungskämpfen wird <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> nicht herauszuhalten<br />
sein. Zugleich macht ihr Eigen-Sinn sie in besonderer Weise<br />
darauf angewiesen, dass das Geld <strong>die</strong> richtige Farbe hat. Es ist also<br />
eine Frage der Finanzierungsstrukturen, von denen ich drei herausgegriffen<br />
habe.<br />
1. Drittmittel<br />
Die Verhältnisse zwischen stetiger Grund- und projektförmiger Drittmittelfinanzierung<br />
von <strong>Wissenschaft</strong> verschieben sich seit Jahrzehnten<br />
zulasten der Grundausstattung. Proportional zu ihr werben <strong>die</strong><br />
deutschen Universitäten mittlerweile mehr Drittmittel ein als <strong>die</strong><br />
Institute etwa der Max-Planck-Gesellschaft, <strong>die</strong> ihrerseits mit einer<br />
jährlich fünfprozentigen Steigerung ihrer Grundfinanzierung aus dem<br />
Pakt <strong>für</strong> Forschung planen können. Wenn <strong>die</strong> Drittmittelabhängigkeit<br />
der Universitäten steigt, <strong>die</strong>jenige der außeruniversitären Forschung<br />
im Vergleich dazu aber ab nimmt, dann<br />
entstehen systemische Asymmetrien:<br />
risikoreiche Forschung tut sich dann<br />
schwerer als der überraschungsarme<br />
Mainstream; Daueraufgaben wie Hochschulbau<br />
und -unterhalt, Infrastrukturen<br />
und akademische Lehre – bei über<strong>die</strong>s<br />
steigenden Stu<strong>die</strong>rendenzahlen,<br />
nota bene – drohen strukturell<br />
benachteiligt zu werden; langfristig<br />
angelegte Grundlagenforschung<br />
könnte sich aus der Universität<br />
zurückziehen; es könnte unklar<br />
werden, ob Drittmittel zur Beantwortung<br />
von Forschungsfragen<br />
gesucht werden, oder nicht umgekehrt<br />
Forschungsfragen zum<br />
Zwecke der Beantragung von<br />
Drittmitteln. Derartige Entwicklungen<br />
stellen <strong>für</strong> den produktiven Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong>, <strong>für</strong><br />
ihre Leistungskraft und Leistungshöhe ein Risiko dar. Ich muss das<br />
hier nicht weiter ausführen. Lassen Sie mich nur <strong>die</strong> prinzipielle –<br />
und einer ernsthaften Diskussion durchaus würdige – Frage hinzufügen,<br />
ob tatsächlich sich alles in der <strong>Wissenschaft</strong> den arbeitsteiligen<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
und kurzfristigen Organisationsformen von Forschungsprojekten<br />
fügt. Auch der Beweis der Riemann´schen Vermutung? – Und auch<br />
<strong>die</strong> akademische Lehre? Die Daueraufgaben der <strong>Wissenschaft</strong> verhalten<br />
sich sperrig zu jenem Eigen-Sinn, der <strong>die</strong> Politik ihrerseits prägt.<br />
Sie sind unspektakulär, sie helfen nicht zur Selbstbehauptung in den<br />
Aufmerksamkeitsökonomien des Me<strong>die</strong>nsystems. Junge Leute kommen<br />
ins Studium und verlassen es alsbald wieder: hoffentlich klüger,<br />
vielleicht weniger naiv, womöglich bereichert und nicht selten er -<br />
nüch-tert. Aber auch solcherlei Unspektakuläres ist <strong>für</strong> Zusammenhalt<br />
und Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft eine<br />
konstitutive Leistung. Und <strong>die</strong> Finanzierungsstrukturen müssen dem<br />
Rechnung tragen.<br />
2. Föderalismus<br />
Die angedeuteten Verschiebungen im Verhältnis der Farben des Geldes<br />
haben nicht allein, sie haben aber auch mit der föderalen Verteilung<br />
von Kompetenzen und Finanzkraft zu tun. Diese beschränkt <strong>die</strong><br />
institutionellen Finanzierungsmöglichkeiten des Bundes auf <strong>die</strong><br />
außeruniversitäre Forschung und legt ihn <strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochschulen auf<br />
<strong>die</strong> Projektfinanzierungsstrukturen von „Vorhaben“ (Art. 91b GG)<br />
fest. Das aber ist eine Krux: Staatliche Mittel können gerade nicht<br />
dort eingesetzt werden, wo nicht nur <strong>die</strong> Unterfinanzierung am größten<br />
ist, sondern auch der gesamtgesellschaftliche Nutzen es sein<br />
würde. Es ist deswegen eine, sagen wir: Nachbesserung der Föderalismusreform<br />
von 2006 erforderlich, <strong>die</strong> ein Zusammenwirken von<br />
Bund und Ländern auch bei der Finanzierung von Einrichtungen der<br />
<strong>Wissenschaft</strong> ermöglicht. Solche Einrichtungen könnten dann auch<br />
zum Beispiel in dem Sinne Bundesuniversität sein, dass etwa in der<br />
Exzellenzinitiative besonders hervorstechende Landesuniversitäten<br />
dauerhaft einen zusätzlichen, vom Bund getragenen Grundfinanzierungsanteil<br />
erhalten, der ihren Finanzierungsrückstand gegenüber<br />
den führenden europäischen Forschungsuniversitäten mindern und<br />
ihre Leistungskraft erhöhen würde.<br />
3. Nichtsstaatliche <strong>Wissenschaft</strong>sförderung<br />
Daneben wird staatliche <strong>Wissenschaft</strong>sfinanzierung in wachsendem<br />
Maße von nicht-staatlicher Förderung ergänzt werden müssen und<br />
dem <strong>Stifterverband</strong> kommt hierbei eine herausgehobene Rolle zu.<br />
Dabei versteht sich, dass auch <strong>die</strong> Farbe des privaten Geldes auf den<br />
Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong> abgetönt sein will; und zwar nicht<br />
zuletzt im wohlverstandenen Eigeninteresse der Stifter. Förderformate<br />
beeinflussen mindestens so sehr wie Fördervolumina <strong>die</strong> „Spiele“ der<br />
<strong>Wissenschaft</strong>. Sie haben strukturelle Folgen. Und beinahe bin ich<br />
dabei, mich zu wiederholen, wenn ich betone, dass auch <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sfinanzierung<br />
durch Unternehmen gut daran tut, solche Folgen<br />
zu reflektieren. Strukturell grundmittelähnliche Fördermittel, eine<br />
Entschleunigung der Förderperioden, ausreichende Overheads, damit<br />
nicht Drittmittel <strong>die</strong> Gestaltungsfreiheit der Grundmittel noch<br />
weiter abschnüren, oder auch <strong>die</strong> Ergänzung der Projektförderung<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong> 47<br />
Essay<br />
um <strong>die</strong> Förderung von Personen würden wichtige Themen einer solchen<br />
Reflexion sein. Manches davon haben wir im vergangenen<br />
November beim Villa-Hügel-Gespräch 2010 in einer Weise diskutieren<br />
können, an <strong>die</strong> sich konstruktiv anschließen ließe.<br />
Fazit<br />
Die gesellschaftliche Leistungskraft, <strong>die</strong> ökonomische und kulturelle<br />
Wirksamkeit von <strong>Wissenschaft</strong>, sie hängt daran, dass ihr Eigen-Sinn<br />
<strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> von anderen sozialen Handlungsfeldern unterscheidet.<br />
Es bedarf ihrer überhaupt nur in dem Maße, in welchem sie<br />
gerade anders operiert als Politik, Wirtschaft, Religion oder Me<strong>die</strong>n.<br />
Lassen Sie mich vor <strong>die</strong>sem Hintergrund zuletzt einem möglichen<br />
Missverständnis vorbeugen: Ich habe keineswegs gegen Drittmittel<br />
oder <strong>die</strong> Exzellenzinitiative, gegen den Föderalismus oder gegen<br />
staatliche <strong>Wissenschaft</strong>sfinanzierung argumentiert. Es ging mir vielmehr<br />
um ausbalancierte Relationen von Dritt- und Grundmitteln,<br />
von wettbewerblicher und institutioneller Förderung, um produktive<br />
Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern sowie von staatlichen<br />
und nichtstaatlichen Finanzierungsstrukturen. Und es ging<br />
darum, <strong>die</strong>se, <strong>die</strong> jeweilige Farbe des Geldes, im Interesse gesamtgesellschaftlicher,<br />
kultureller und ökonomischer Entwicklung möglichst<br />
präzise auf den Eigensinn von <strong>Wissenschaft</strong> abzustimmen.<br />
Und das ist kein Projekt. Das ist eine Daueraufgabe – und zwar der<br />
<strong>Wissenschaft</strong> selbst ebenso wie der <strong>Wissenschaft</strong>sförderung und der<br />
<strong>Wissenschaft</strong>spolitik: Es tun sich bei uns nicht nur <strong>die</strong> Infragestellung<br />
des Wissens institutionell schwerer als seine Behauptung und intellektuelle<br />
Autonomie schwerer als wissenschaftliche Zweckbindung.<br />
Es tut sich auch <strong>die</strong> akademische Lehre mit der Reproduktion des<br />
wissenschaftlichen Wissens politisch und finanziell entschieden<br />
schwerer als <strong>die</strong> Wissensproduktion und <strong>die</strong> Forschung. Dies aber<br />
muss sich ändern, wenn wir nicht neben den finanziellen und ökologischen<br />
auch jene wissenschaftlichen, intellektuellen, kulturellen Ressourcen<br />
zu einem übergroßen Teil schon heute verbrauchen wollen,<br />
von denen wir morgen werden leben müssen.<br />
Dem <strong>Stifterverband</strong> kommt bei der Bearbeitung <strong>die</strong>ser Daueraufgabe<br />
große, ich möchte sagen: besondere Verantwortung zu. So mäzenatisch<br />
üppig <strong>die</strong> Finanzvolumina bemessen sind, mit denen er <strong>Wissenschaft</strong><br />
in ihren vielfältigen Funktionen fördert: Den noch wichtigeren<br />
Einfluss nimmt der <strong>Stifterverband</strong> auf <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>spolitik, wirklich<br />
förderlich <strong>für</strong> den Eigen-Sinn der <strong>Wissenschaft</strong> wirkt er, indem er<br />
<strong>für</strong> das Geld <strong>die</strong> richtigen Farben wählt.<br />
Ich wünsche herzlich, dass das auch in Zukunft gelingen möge.
Service<br />
Publikationen<br />
Stu<strong>die</strong>: Bestandsaufnahme des<br />
gemeinnützigen Sektors<br />
Die organisierte Zivilgesellschaft – der Dritte<br />
Sektor – bewegt 89 Milliarden Euro jährlich.<br />
2007 trugen gemeinnützige Organisationen<br />
mit 4,1 Prozent zur gesamtwirtschaftlichen<br />
Bruttowertschöpfung von rund 2.200 Milliarden<br />
Euro bei. Der Dritte Sektor ist damit in<br />
etwa so groß wie <strong>die</strong> deutsche Bauwirtschaft<br />
und halb so groß wie der öffentliche Sektor.<br />
Den größten Anteil an der Wertschöpfung im<br />
Dritten Sektor haben Organisationen aus den<br />
Bereichen Gesundheit und Soziales mit 51<br />
Milliarden Euro (58 Prozent). Dies sind einige<br />
der Ergebnisse einer Stu<strong>die</strong> vom Statistischen<br />
Bundesamt und dem Centrum <strong>für</strong> soziale<br />
Investitionen und Innovationen, das innerhalb<br />
des Projekts „Zivilgesellschaft in Zahlen“<br />
entstanden ist. Der Abschlussbericht des<br />
Projektmoduls 1 („Daten aus dem Unternehmensregister“)<br />
gibt unter anderem Auskunft<br />
über <strong>die</strong> Anzahl von Unternehmen und sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten, aufgeschlüsselt<br />
nach Bundesländern und Wirtschaftszweigen,<br />
sowie zur Wertschöpfung des<br />
Dritten Sektors. „Zivilgesellschaft in Zahlen“<br />
ist eine gemeinsame Initiative von <strong>Stifterverband</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, Bertelsmann<br />
Stiftung und Fritz Thyssen Stiftung.<br />
Sigrid Fritsch, Manfred Klose, Rainer Opfermann,<br />
Natalie Rosenski, Norbert Schwarz,<br />
Helmut K. Anheier und Norman Spengler:<br />
Bestandsaufnahme des gemeinnützigen Sektors.<br />
Berlin, Juni <strong>2011</strong>. Kostenloser Download<br />
auf www.stifterverband.de<br />
Nutzerhandbuch<br />
Zivilgesellschaftsdaten<br />
Wie viele Organisationen umfasst <strong>die</strong> Zivilgesellschaft?<br />
Über welche Ressourcen verfügen<br />
<strong>die</strong>se? Wie sind <strong>die</strong> gesellschaftlichen<br />
Selbstorganisationspotenziale von Zivilgesellschaft<br />
sozial und regional verteilt? Diese und<br />
andere Fragen versucht das Projekt „Zivilgesellschaft<br />
in Zahlen“ von <strong>Stifterverband</strong>, Bertelsmann<br />
Stiftung und Fritz Thyssen Stiftung<br />
zu klären. Das „Nutzerhandbuch Zivilgesellschaftsdaten“<br />
gibt einen ersten Einblick in<br />
<strong>die</strong> zivilgesellschaftlichen Zusammenhänge<br />
in Deutschland. Die enthaltenen Steckbriefe<br />
fokussieren dabei nicht auf <strong>die</strong> Bandbreite der<br />
Datenlage, sondern auf einzelne Datenquellen.<br />
Gefragt wird nach deren Beitrag und Nutzen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Zivilgesellschaftsforschung. Die Steckbriefe<br />
porträtieren Informationsquellen, <strong>die</strong><br />
Spotlights auf einzelne Organisationen werfen<br />
oder <strong>die</strong> Arbeit ganzer Bereiche dokumentieren.<br />
Sie bewerten Datenqualität sowie Aktualität<br />
und geben Beispiele sowie Hinweise, wo<br />
<strong>die</strong> Daten zu recherchieren sind.<br />
Timo Tamm, David-Karl Hubrich, Norman<br />
Spengler und Holger Krimmer: Nutzerhandbuch<br />
Zivilgesellschaftsdaten. Zivilgesellschaft<br />
in Zahlen – Band 3. 114 Seiten. ISBN:<br />
978-3-922275-46-6. Essen, April <strong>2011</strong><br />
Termine<br />
10. bis 12. November <strong>2011</strong><br />
Konferenz: Deutsch in den <strong>Wissenschaft</strong>en<br />
Ob Doktorarbeiten, Forschungsergebnisse<br />
oder Vorträge – Sprache spielt sowohl im wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisprozess als auch<br />
in der Vermittlung von Wissen und Ideen eine<br />
zentrale Rolle. Deutsch als <strong>Wissenschaft</strong>ssprache<br />
hat hier eine lange Tradition. Doch<br />
kann sich das <strong>Deutsche</strong> im Zeitalter der Globalisierung<br />
und des Vormarschs der englischen<br />
Sprache im <strong>Wissenschaft</strong>sbetrieb weiterhin<br />
durchsetzen? Dieser Frage gehen der<br />
<strong>Deutsche</strong> Akademische Austausch<strong>die</strong>nst<br />
(DAAD), das Goethe-Institut und das Institut<br />
<strong>für</strong> <strong>Deutsche</strong> Sprache (IDS) auf der Konferenz<br />
„Deutsch in den <strong>Wissenschaft</strong>en“ nach.<br />
Akteure aus Forschung, Politik und Kultur<br />
sind eingeladen, sich in Foren und Diskussionsrunden<br />
über das Thema auszutauschen.<br />
Ergänzt wird das Konferenzprogramm durch<br />
<strong>die</strong> Verleihung des Jakob- und Wilhelm-<br />
Grimm-Preises, den der DAAD jedes Jahr an<br />
einen <strong>Wissenschaft</strong>ler aus dem Ausland <strong>für</strong><br />
herausragende Arbeiten auf den Gebieten Germanistische<br />
Literatur- und Sprachwissenschaften,<br />
Deutsch als Fremdsprache sowie Deutschlandstu<strong>die</strong>n<br />
vergibt. Preisträger in <strong>die</strong>sem Jahr<br />
ist der polnische Linguist Leslaw Circo von<br />
der Universität Breslau.<br />
Veranstaltungsort: Eventhalle Casino Zeche<br />
Zollverein, Essen. Anmeldung auf der Webseite<br />
www.wissenschaftssprache-deutsch.de<br />
15. November <strong>2011</strong><br />
Stiftungsmodelle <strong>für</strong> Familienunternehmen<br />
im Spannungsfeld zwischen Altruismus und<br />
Nachfolgelösungen<br />
Von Unternehmen wird heute wie selbstverständlich<br />
erwartet, dass sie Verantwortung<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft übernehmen. Die Möglichkeiten<br />
sind dabei äußerst vielfältig. Unternehmen<br />
setzen sich <strong>für</strong> bessere Bildung, innovative<br />
Forschung, <strong>für</strong> soziale Zwecke, aber<br />
auch <strong>für</strong> lebendige Kultur ein. In einer Stiftung<br />
lässt sich <strong>die</strong>ses Engagement besonders<br />
48 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
gut bündeln. Die Tagung „Stiftungsmodelle<br />
<strong>für</strong> Familienunternehmen im Spannungsfeld<br />
zwischen Altruismus und Nachfolgelösungen“<br />
stellt verschiedene Arten und Ausprägungen<br />
von Stiftungen vor und erklärt, welche<br />
Funktionen und Vorteile sie <strong>für</strong> Familienunternehmen<br />
besitzen. So gelten Unternehmensstiftungen<br />
beispielsweise als identitätsstiftend<br />
und können auf <strong>die</strong>se Weise den<br />
Familiengeist über Generationen hinweg im<br />
Unternehmen bewahren. Das <strong>Deutsche</strong> Stiftungszentrum<br />
(DSZ) organisiert <strong>die</strong> Tagung<br />
gemeinsam mit dem Wittener Institut <strong>für</strong><br />
Familienunternehmen. Sie ist <strong>die</strong> dritte Veranstaltung<br />
in der Reihe „Stiftung & Unternehmen“.<br />
Veranstaltungsort: Universität Witten/Herdecke,<br />
Witten<br />
21. bis 23. November <strong>2011</strong><br />
WISSENSWERTE: Bremer Forum <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus<br />
Forschung und Innovation zu vermitteln, ist<br />
eine der großen Herausforderungen der<br />
modernen <strong>Wissenschaft</strong>. Dieser Herausforderung<br />
stellt sich seit 2004 <strong>die</strong> WISSENS-<br />
WERTE, das Bremer Forum <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus.<br />
Hier treffen sich Journalisten,<br />
Kommunikationsexperten sowie<br />
me<strong>die</strong>n-interessierte Forscher, um neueste<br />
Entwicklungen zu diskutieren. Der <strong>Stifterverband</strong><br />
unterstützt <strong>die</strong>se Leitmesse des <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus<br />
schon seit Jahren. Das<br />
Forum bietet prominent besetzte Podiumsdiskussionen,<br />
Vorträge führender <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
zu Trends der naturwissenschaftlichen<br />
und technischen Spitzenforschung sowie<br />
vielfältige Weiterbildungsangebote <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalisten<br />
und Kommunikationsprofis.<br />
In der begleitenden Fachausstellung<br />
„WissensCampus“ präsentieren sich Stiftungen,<br />
Institute und Forschungsabteilungen<br />
führender Unternehmen. <strong>2011</strong> wird der Arzt<br />
und Kabarettist Eckart von Hirschhausen den<br />
Eröffnungsvortrag halten. In den Diskussi-<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
onsrunden geht es unter anderem um Social<br />
Media <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalisten, Recherchieren<br />
unter Zeitdruck und <strong>die</strong> Fukushima-<br />
Katastrophe in den Me<strong>die</strong>n.<br />
Veranstaltungsort: Congress Centrum Bremen,<br />
Bremen. Teilnahme nach vorheriger<br />
Anmeldung unter www.wissenswertebremen.de.<br />
6. bis 8. Dezember <strong>2011</strong><br />
4. Forum <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation<br />
Wie kommunizieren <strong>Wissenschaft</strong> und Politik?<br />
Welches Bild hat <strong>die</strong> Gesellschaft von<br />
<strong>Wissenschaft</strong> und welche Chancen ergeben<br />
sich aus der Nutzung von Social-Media-Kanälen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> akademische Welt? Diese und<br />
andere Fragen stehen im Mittelpunkt des 4.<br />
Forums <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation. Der<br />
Themenschwerpunkt in <strong>die</strong>sem Jahr: Zwischen<br />
den Stühlen – <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation<br />
im Spannungsfeld von Politik,<br />
Gesellschaft und <strong>Wissenschaft</strong>. Die Veranstaltung<br />
richtet sich an alle, <strong>die</strong> täglich Themen<br />
aus <strong>Wissenschaft</strong> und Forschung vermitteln.<br />
Dazu zählen unter anderem Vertreter von<br />
Science Centern, Schülerlaboren, Hochschulen,<br />
Forschungseinrichtungen, aber auch <strong>Wissenschaft</strong>sjournalisten,<br />
Lehrer, <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
und Mitarbeiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.<br />
In Plenarvorträgen, Sessions<br />
und interaktiven Angeboten haben sie <strong>die</strong><br />
Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu<br />
kommen, sich auszutauschen und zu diskutieren,<br />
wie sich <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation<br />
in Zukunft weiterentwickeln wird. Das<br />
4. Forum <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation wird<br />
unterstützt von der Klaus Tschira Stiftung,<br />
dem <strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
und <strong>die</strong> Schering Stiftung.<br />
Veranstaltungsort: Gürzenich Köln. Anmeldung<br />
auf www.wissenschaft-im-dialog.de<br />
Fotos: David Ausserhofer/Standout.de<br />
Ansprechpartner<br />
Der <strong>Stifterverband</strong> ist <strong>die</strong> gemeinsame Initia -<br />
tive der Wirtschaft zur Förderung von <strong>Wissenschaft</strong>.<br />
Seine rund 3.000 Mitglieder und<br />
Förderer wenden pro Jahr rund 30 Millionen<br />
Euro <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verbesserung des Hochschul- und<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ssystems auf. Dazu entwickelt der<br />
<strong>Stifterverband</strong> Programme und Wettbewerbe.<br />
Die Stiftungen, <strong>die</strong> unter dem Dach des <strong>Stifterverband</strong>es<br />
arbeiten, fördern einzelne <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
und Forschungsprojekte. Fast 500<br />
Stiftungen wenden im Jahr über 120 Millionen<br />
Euro auf. Als einzige Institution in<br />
Deutschland erhebt und analysiert der <strong>Stifterverband</strong><br />
<strong>die</strong> Daten über <strong>die</strong> Aufwendungen<br />
der deutschen Wirtschaft im Bereich Forschung<br />
und Entwicklung. Der Sitz der Hauptverwaltung<br />
des <strong>Stifterverband</strong>es befindet sich in<br />
Essen, in Berlin führt er ein Hauptstadtbüro.<br />
Seit über 50 Jahren ist „Wirtschaft & <strong>Wissenschaft</strong>“<br />
das offizielle Organ des <strong>Stifterverband</strong>es.<br />
Redaktion und Verlag sind in Essen tätig.<br />
Ansprechpartner im <strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Themen <strong>die</strong>ses Heftes sind:<br />
Diversity<br />
Bettina Jorzik<br />
Tel.: (02 01) 84 01-1 03<br />
Enterprising Knowledge<br />
Andrea Frank<br />
Tel.: (0 30) 32 29 82-5 02<br />
Stiftungsprofessuren<br />
Melanie Schneider<br />
Tel.: (02 01) 84 01-1 70<br />
Programmarbeit<br />
Volker Meyer-Guckel<br />
Tel.: (0 30) 32 29 82-5 00<br />
49
50<br />
Service<br />
Personen<br />
Zolak Ter-Harutunian verstorben<br />
Mit Zolak Ter-Harutunian verliert der <strong>Stifterverband</strong><br />
eine Stifterpersönlichkeit, <strong>die</strong> durch<br />
ihr Engagement in Erinnerung bleiben wird,<br />
aber auch als Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts.<br />
Geboren am 21. Februar 1920 in Yerevan,<br />
Armenien, als Kind von Überlebenden des<br />
Genozids an den Armeniern im Osmanischen<br />
Reich (1915/16), wuchs er seit seinem zweiten<br />
Lebensjahr in Berlin auf. Die Erfahrung<br />
der 1930er-Jahre, <strong>die</strong> Verfolgung der Kommunisten,<br />
zu denen auch sein Bruder gehörte,<br />
<strong>die</strong> zunehmende Diskriminierung seiner jüdischen<br />
Freunde, schließlich der Kriegsausbruch,<br />
sollten ihn zutiefst prägen. Sein Engagement<br />
während des Krieges zur Rettung sowjetischer<br />
Kriegsgefangener hat er stets nur als<br />
biografische Episode verstanden und öffentliche<br />
Darstellungen gescheut. Nach einer Ausbildung<br />
als Kameramann verließ er nach dem<br />
Krieg Berlin, um in München und Düsseldorf<br />
selbstständig in der Wirtschaft tätig zu sein.<br />
1989 gründete er <strong>die</strong> Stiftung <strong>für</strong> Armenische<br />
Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> sich der Förderung von Forschung,<br />
Bildung und des Kulturaustauschs<br />
widmet. Die Stiftung wurde Träger des Instituts<br />
<strong>für</strong> Diaspora- und Genozidforschung an<br />
der Ruhr-Universität Bo chum. Ter-Harutunian<br />
starb am 19. April <strong>2011</strong> in Düsseldorf.<br />
Sein leises Engagement, seine charismatische<br />
Persönlichkeit und seine Sensibilität gegenüber<br />
jeder Form von Gewalt werden nachdrücklich<br />
in Erinnerung bleiben. Sein<br />
Wunsch, junge Stu<strong>die</strong>rende an <strong>die</strong> Erinnerung<br />
an <strong>die</strong> Kriege und <strong>die</strong> Gewalt des 20.<br />
Jahrhunderts heranzuführen, wird zukünftig<br />
über <strong>die</strong> Etablierung eines Zolak Ter-Harutunian-Stipendiums<br />
geehrt werden.<br />
In eigener Sache<br />
Neue Büros <strong>für</strong> den <strong>Stifterverband</strong><br />
Zentraler geht es kaum: Seit September <strong>2011</strong><br />
ist das Hauptstadtbüro des <strong>Stifterverband</strong>es<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong> am Pariser<br />
Platz zu finden. Die neuen, repräsentativen<br />
Büroräume mit Blick auf das Brandenburger<br />
Tor bieten mehr Platz als das alte Berliner<br />
Domizil. So wird im Hauptstadtbüro künftig<br />
auch <strong>die</strong> Expertenkommission Forschung<br />
und Innovation (EFI), <strong>die</strong> der <strong>Stifterverband</strong><br />
koordiniert, ansässig sein. Am Hauptsitz des<br />
<strong>Stifterverband</strong>es gibt es ebenfalls räumliche<br />
Veränderungen. Der alte Standort in Essen-<br />
Heidhausen ist zu klein geworden. Der <strong>Stifterverband</strong><br />
hat deshalb ein zusätzliches Büro in<br />
der Essener Innenstadt eröffnet. Hier werden<br />
in Zukunft das Generalsekretariat sowie <strong>die</strong><br />
Abteilungen Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Marketing und Akquisition, Programme<br />
und Förderungen sowie <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sstatistik<br />
ansässig sein.<br />
Hauptstadtbüro Berlin<br />
<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Pariser Platz 6<br />
10117 Berlin<br />
Standort Essen-Innenstadt<br />
Besucheradresse:<br />
<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Rellinghauser Straße 3<br />
45128 Essen<br />
Postadresse:<br />
<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Barkhovenallee 1<br />
45239 Essen<br />
Impressum<br />
Wirtschaft & <strong>Wissenschaft</strong>:<br />
Heft 3/<strong>2011</strong>, 19. Jahrgang<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Verlag:<br />
Edition <strong>Stifterverband</strong> – Verwaltungsgesellschaft<br />
<strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>spflege mbh, Essen<br />
Chefredakteur:<br />
Michael Sonnabend<br />
(verantwortlich <strong>für</strong> den Inhalt)<br />
Chefin vom Dienst:<br />
Simone Höfer<br />
Redaktion:<br />
Nadine Bühring, Cornelia Herting (Bild),<br />
Björn Quäck, Frank Stäudner<br />
Redaktionsanschrift:<br />
<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Barkhovenallee 1, 45239 Essen<br />
Tel.: (02 01) 84 01-1 59<br />
<strong>wuw</strong>@stifterverband.de<br />
Grafik und Layout<br />
SeitenPlan GmbH, Dortmund<br />
www.seitenplan.com<br />
Erscheinungsweise:<br />
4 x jährlich<br />
ISSN 0943-5123<br />
Klimaneutral gedruckt<br />
Print k ompensier ompensiert<br />
Id-Nr.<br />
1113464<br />
www.bvdm<br />
online.de<br />
Papier und Betrieb (Druckerei Schmidt,<br />
Lünen) FSC-zertifiziert<br />
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>
<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />
Frisch im Web<br />
Der <strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
erweitert seine Präsenz im Internet: Ganz nach<br />
dem Prinzip des Web 2.0 lädt er nun interessierte<br />
Internetnutzer ein, sich aktiv über <strong>die</strong> Themen<br />
Hochschule, <strong>Wissenschaft</strong> und Bildung auszutauschen.<br />
Seit Kurzem ist der <strong>Stifterverband</strong> beispielsweise<br />
auf dem sozialen Netzwerk Facebook<br />
vertreten. Hier können sich Facebook-Nutzer<br />
unter anderem über anstehende Veranstaltungstermine,<br />
Projekte und Wettbewerbe informieren,<br />
durch Bildergalerien klicken oder Videos aus der<br />
webTV-Reihe anschauen. Der gegenseitige Austausch<br />
steht dabei stets im Vordergrund. Aber<br />
auch <strong>die</strong> Hochschulperle, <strong>die</strong> der <strong>Stifterverband</strong><br />
einmal im Monat an innovative und beispielhafte<br />
Projekte an Universitäten vergibt, besitzt eine<br />
eigene Facebook-Seite.<br />
Gut vernetzt<br />
Schon etwas länger ist der <strong>Stifterverband</strong> bei Twitter<br />
aktiv. Dort gibt es kurz und kompakt Neuigkeiten<br />
und Wissenswertes rund um <strong>die</strong> deutsche<br />
Hochschul- und Forschungslandschaft. Darüber<br />
hinaus haben Internetnutzer <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />
Tagungen und Konferenzen des <strong>Stifterverband</strong>es<br />
live über Twitter zu verfolgen. Bis jetzt ist das<br />
Twitter-Netzwerk des <strong>Stifterverband</strong>es auf mehr als<br />
1.200 sogenannte Follower angewachsen –<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sorganisationen, Stiftungen, Hochschulen<br />
oder einfache Privatleute, <strong>die</strong> unsere<br />
Nachrichten (Tweets) täglich verfolgen, kommentieren<br />
oder Anregungen geben. Der <strong>Stifterverband</strong><br />
wiederum „verfolgt“ rund 600 Twitter-Nutzer. Ein<br />
riesiges Netzwerk, das ständig weiter wächst.<br />
&<br />
www.facebook.com/stifterverband<br />
www.twitter.com/stifterverband<br />
www.facebook.com/hochschulperle<br />
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Hochschulperlen sind innovative, beispielhafte Projekte und ein Vorbild <strong>für</strong> andere Bildungs- und<br />
Forschungseinrichtungen. Weil sie klein sind, werden sie jedoch jenseits der Hochschulmauern kaum<br />
wahrgenommen. Weil sie glänzen, können und sollten sie aber auch andere Hochschulen schmücken.<br />
Auch <strong>2011</strong> wählt der <strong>Stifterverband</strong> jeden Monat eine Hochschulperle aus und kürt zum<br />
Schluss <strong>die</strong> Hochschulperle des Jahres.<br />
Studentengeschichten aus Augsburg<br />
Organisiert, kulturell, streng, aber auch Bratwurst, Bier und Bayern München –<br />
<strong>die</strong>se Begriffe fallen ausländischen Stu<strong>die</strong>renden ein, wenn sie an Deutschland<br />
denken. Was sie sonst noch mit Deutschland verbinden, erzählen sie in dem<br />
zehnminütigen Podcast „Who is Germany“. „Student.stories“ heißen <strong>die</strong><br />
originellen Audiobeiträge im Internet, mit denen Augsburger Studenten <strong>für</strong><br />
ihre internationalen Kommilitonen über das Leben und Stu<strong>die</strong>ren in der<br />
Stadt berichten. In den mittlerweile mehr als 30 Folgen geht es um den Unialltag,<br />
<strong>die</strong> Wohnungssuche oder <strong>die</strong> Augsburger Puppenkisten. Wegen der<br />
Begleittexte in verschiedenen Sprachen sind <strong>die</strong> Podcasts auch <strong>für</strong> internationale<br />
Stu<strong>die</strong>rende leicht verständlich. Die Studenten der Universität Augsburg produzieren<br />
<strong>die</strong> Hörspiele selbst – unterstützt vom Institut <strong>für</strong> Me<strong>die</strong>n und Bildungstechnologie, das<br />
<strong>die</strong> Initiative gemeinsam mit dem Studentenwerk Augsburg betreut.<br />
Wunderbarer Waschsalon<br />
Obdachlosigkeit und Armut gefährden <strong>die</strong> Gesundheit. Nicht so in Hagen. Hier kümmern sich Medizinstudenten<br />
der Universität Witten/Herdecke in „Luthers Waschsalon“ darum, dass auch Menschen<br />
ohne Krankenversicherung eine adäquate Gesundheitsversorgung erhalten. Die angehenden<br />
Ärzte behandeln bedürftige Kranke kostenlos. Unter der Aufsicht eines erfahrenen Arztes<br />
erweitern sie dabei zudem ihre sozialen und kommunikativen Fähigkeiten, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> gute ärztliche<br />
Praxis wichtig sind. Wenn nötig, wird zum Spezialisten überwiesen. Bei dem Projekt arbeitet<br />
<strong>die</strong> medizinische Fakultät der Universität eng mit der Bahnhofsmission<br />
Hagen und der Lutherkirchengemeinde zusammen. Sie hatten den Waschsalon<br />
ursprünglich gegründet, um Wohnungslosen <strong>die</strong> Möglichkeit zu<br />
geben, sich zu waschen und zu duschen.<br />
Bochumer Studenten<br />
beraten Schüler<br />
Wie viele Stu<strong>die</strong>nabbrüche ließen sich<br />
wohl durch <strong>die</strong> richtige Beratung vor Stu<strong>die</strong>nbeginn<br />
verhindern? Und wer könnte<br />
Fragen zum Studium besser beantworten<br />
als <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> mittendrin stecken?<br />
Die Ruhr-Universität Bochum hat <strong>die</strong>sen<br />
Gedanken konsequent weitergedacht und<br />
das Projekt Mailmentoring Plus ins Leben<br />
gerufen. Mailmentoring Plus vermittelt<br />
E-Mail-Kontakte zwischen Abiturienten<br />
und Stu<strong>die</strong>renden. Stu<strong>die</strong>ninteressierte<br />
Schüler tauschen sich mit ihren studentischen<br />
Mentoren über Stu<strong>die</strong>nverlauf,<br />
Inhalte und Unialltag aus. Viele Mentorentandems<br />
treffen sich auch persönlich,<br />
erkunden das Campusleben oder besuchen<br />
sogar gemeinsam ein Seminar.<br />
& www.hochschulperle.de