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wuw_2011-03.pdf - Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

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K 2132 F<br />

Wirtschaft<br />

<strong>Wissenschaft</strong><br />

Heft 3/<strong>2011</strong>


Warum wir im <strong>Stifterverband</strong> sind.<br />

„Wir sind ein Hightech-Unternehmen und unser Land ist ein Hightech-Land. Unser Wohlstand<br />

hängt von den guten Ideen bestens ausgebildeter <strong>Wissenschaft</strong>ler, Forscher und Ingenieure<br />

ab. Für ihre Ausbildung brauchen wir exzellente Hochschulen. Damit unsere hervorragende<br />

<strong>Wissenschaft</strong>slandschaft erhalten bleibt und immer besser wird, engagiert sich<br />

TRUMPF im <strong>Stifterverband</strong>.“<br />

Nicola Leibinger-Kammüller • TRUMPF Gruppe<br />

Der <strong>Stifterverband</strong> verkörpert seit 1920 <strong>die</strong> gemeinsame Verantwortung der Wirtschaft <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und Bildung in<br />

Deutschland. Er entwickelt Förderprogramme und unterstützt Initiativen, <strong>die</strong> zur Lösung von strukturellen Problemen im<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ssystem beitragen. Er erhebt das Engagement der Wirtschaft <strong>für</strong> Forschung und Entwicklung und betreut nahezu<br />

500 Stiftungen mit einem jährlichen Fördervolumen von über 120 Millionen Euro.<br />

Foto: Jürgen Altmann


Prolog<br />

Als unsere Autorin Corina Niebuhr am Ende eines schwül-heißen Sommertages<br />

damit begann, <strong>die</strong> Berliner <strong>Wissenschaft</strong>lerin Jutta Allmendinger zu interviewen,<br />

krachte es plötzlich. Was aber nicht am überschäumenden Temperament Allmendingers<br />

lag, sondern an einem heftigen Gewitter, das an jenem Abend über Berlin<br />

niederging. Als sei <strong>die</strong> Hitze nicht allein<br />

schon anstrengend genug, hatte unmittelbar<br />

vor dem Interview unser Fotograf Peter<br />

Himsel alle Register gezogen, um <strong>die</strong> zu<br />

Interviewende spektakulär ins Bild zu setzen.<br />

Schließlich erwartet der anspruchsvolle<br />

Leser heutzutage nicht nur starke<br />

Worte, sondern auch starke Bilder. Jutta<br />

Allmendinger enttäuschte Peter Himsel und<br />

uns nicht, schließlich ist <strong>die</strong> Frau ein Profi.<br />

Das Gewittergrollen kann man in unserem<br />

gedruckten Interview naturgemäß nicht<br />

hören, wohl aber in jener Bewegtbild-Langfassung<br />

des Interviews, <strong>die</strong> man im webTV<br />

des <strong>Stifterverband</strong>es sehen kann. Me<strong>die</strong>n<br />

wachsen immer mehr zusammen beziehungsweise<br />

ergänzen sich. In sehr vielen<br />

Beiträgen <strong>die</strong>ser Ausgabe wird das deutlich: Oft gibt es vertiefendes Material auf<br />

unseren Webseiten, sei es in Form von Audiopodcasts oder in bewegten und unbewegten<br />

Bildern. Dies wird sich wohl noch rasant weiterentwickeln, vor allem durch<br />

den Siegeszug der Tabletcomputer und des mobilen Internets. Multimedia wird<br />

unseren Alltag wie selbstverständlich begleiten und reine Printprodukte werden<br />

uns wahrscheinlich ziemlich bald ziemlich langweilig vorkommen.<br />

Doch noch ist es nicht so weit: Noch halten Sie ein – hoffentlich – interessantes<br />

Magazin aus der guten alten Kohlenstoffwelt in der Hand. Was ja auch seine unbestrittenen<br />

Stärken hat: Sie können es riechen, fühlen und nach der Lektüre weitergeben.<br />

An Interessierte, <strong>die</strong> uns vielleicht noch nicht so gut kennen. Wir würden uns<br />

darüber freuen. Denn <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> braucht so viele Unterstützer wie möglich.<br />

Empfehlen Sie uns weiter.<br />

MICHAEL SONNABEND<br />

Trotz Gewitter eine entspannte<br />

Atmosphäre: <strong>Wissenschaft</strong>lerin<br />

Jutta Allmendinger (li.) im<br />

Gespräch mit Autorin Corina<br />

Niebuhr.<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong> 3


4<br />

Inhalt<br />

Faktenhuberei<br />

6 Infografik: Die deutsche Hochschulwelt<br />

Infothek<br />

8 Moderner Auftritt • Umfrage: Zwangsexmatrikulation • Sagen<br />

Sie uns Ihre Meinung! • Das besondere Bild • Standpunkte:<br />

Umstrittenes Kontrollorgan<br />

Schwerpunkt<br />

10 Biete Vielfalt<br />

Initiativen<br />

24 Talentschuppen Ruhrgebiet<br />

Wie nutzt man vorhandene Vielfalt? Der Kongress „Talent -<br />

MetropoleRuhr“ gab Antworten darauf.<br />

26 Wege zu mehr Innovation<br />

Wie Wirtschaft und <strong>Wissenschaft</strong> fruchtbar zusammen arbeiten.<br />

28 Süddeutschland stark<br />

Die Forschungskapazitäten der Wirtschaft verteilen sich immer<br />

ungleicher auf <strong>die</strong> Bundesländer.<br />

28 Stiftungen unterstützen Journalisten<br />

Stu<strong>die</strong> untersuchte Stiftungsaktivitäten in<br />

den USA.<br />

29 Regeln wahren Unabhängigkeit<br />

<strong>Stifterverband</strong> veröffentlicht Empfehlungen <strong>für</strong> Kooperationen<br />

von Unternehmen und Hochschulen bei Stiftungsprofessuren.<br />

30 Jagd nach Plagiaten<br />

<strong>Deutsche</strong> Hochschulen suchen Mittel und Wege im Kampf<br />

gegen Abschreiber.<br />

32 „Wir beobachten <strong>die</strong> Wirkung sehr genau“<br />

Förderarbeit und Resonanz: Interview mit Volker<br />

Meyer-Guckel, Programmleiter und stellvertretender<br />

Generalsekretär des <strong>Stifterverband</strong>es.<br />

34 Ausstellung geht unter <strong>die</strong> Haut<br />

Kieler Forscher gewinnen „<strong>Wissenschaft</strong><br />

interaktiv“.<br />

Schwerpunkt<br />

Biete Vielfalt<br />

Heterogener, bunter, vielfältiger – <strong>die</strong><br />

Gesellschaft in Deutschland verändert ihr<br />

Gesicht. Doch der Kulturwandel vollzieht<br />

sich nur gemächlich. Auch Hochschulen<br />

und Unternehmen kommen nur langsam<br />

auf ihrem Weg voran, <strong>die</strong> Vielfältigkeit<br />

unserer Gesellschaft sinnvoll <strong>für</strong> sich zu<br />

nutzen – und Kapital daraus zu schlagen.<br />

Sie stecken fest zwischen endlosen Diskussionen<br />

um Integration, Frauenquote und<br />

Bildungschancen. Die W&W zeigt<br />

Schwachstellen auf – und Lösungswege.


10 Biete Vielfalt<br />

Diversity-Management ist eine Notwendigkeit.<br />

Doch in Deutschland werden eher <strong>die</strong> Hürden<br />

gesehen als <strong>die</strong> Chancen.<br />

18 Willkommen im Club<br />

Programm „Ungleich besser!“: Ausgewählte<br />

Hochschulkonzepte begreifen Verschiedenheit<br />

als Chance.<br />

20 Ohne Diversity wird es teuer<br />

Der Mittelständler Teckentrup zwischen kulturellen<br />

Missverständnissen und produktiver<br />

Arbeitsatmosphäre.<br />

Foto: Standout.de<br />

Initiativen<br />

35 Mathe-Gold <strong>für</strong> Lisa Sauermann<br />

Schülerin aus Dresden ist alleinige Rekordhalterin.<br />

36 Dem Schmerz auf der Spur<br />

W&W-Serie Stiftungsprofessuren: Martin Schmelz ist Experte der<br />

Schmerztherapie.<br />

38 <strong>Deutsche</strong>r Zukunftspreis: Innovationen gesucht<br />

Ausschreibung <strong>für</strong> 2012 gestartet.<br />

38 Ingenieurin mit Auszeichnung<br />

Katrin Baumann <strong>für</strong> Diplomarbeit geehrt.<br />

39 Ideenpool füllen<br />

Junge Akademie startet Wettbewerb „UniGestalten“.<br />

Interview<br />

40 „Weibliche Spitzenkräfte gehören in Top-Positionen“<br />

Soziologin Jutta Allmendinger plä<strong>die</strong>rt im W&W-Interview <strong>für</strong><br />

mehr Diversität.<br />

Essay<br />

44 Die Farbe des Geldes und der<br />

Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong><br />

Ein Essay von Peter Strohschneider.<br />

Service<br />

48 Publikationen • Termine • Ansprechpartner •<br />

Personen • In eigener Sache • Impressum<br />

Frisch im Web<br />

51 Gut vernetzt<br />

Hochschulperle<br />

52 Innovative Hochschulprojekte<br />

3-<strong>2011</strong><br />

5


Faktenhuberei<br />

Die deutsche Hochschulwelt<br />

Hochschulen in Deutschland<br />

Hochschulen insgesamt: 379<br />

staatliche Hochschulen: 240<br />

nichtstaatliche,<br />

staatlich anerkannte: 139<br />

Stu<strong>die</strong>rende<br />

2010/11<br />

Stu<strong>die</strong>rende insgesamt: 2,22 Mio.<br />

Stu<strong>die</strong>ngänge<br />

<strong>2011</strong><br />

Stu<strong>die</strong>ngänge insgesamt: 14.744<br />

Bachelor:<br />

6.353<br />

Absolventen<br />

Master<br />

Master<br />

Master<br />

Master<br />

2009<br />

Absolventen insgesamt: 338.656<br />

Grafik Nr. 3 | Thema: Hochschullandschaft<br />

<strong>2011</strong><br />

Frauen: 1,16 Mio.<br />

Männer: 1,06 Mio<br />

Master<br />

Frauen: 172.757<br />

Master<br />

Master: 5.864<br />

Staatsprüfungen: 1.895<br />

Männer: 165.899<br />

davon private: 99<br />

davon kirchliche: 40<br />

Anteil ausländischer Stu<strong>die</strong>render: 11,3 %<br />

Diplom (Uni): 293<br />

Diplom (FH): 118<br />

Diplo Diplo Ma Magister: 60<br />

Anteil ausländischer Absolventen: 9,6%<br />

Promotionen: 25.084<br />

Habilitationen: 1.820


Forschung<br />

2008<br />

Ausgaben der Hochschulen <strong>für</strong> FuE insgesamt: 11,1 Mrd. €<br />

Drittmitteleinnahmen insgesamt: 4,9 Mrd. €<br />

Personal<br />

2009<br />

Personal insgesamt: 573.364<br />

<strong>Wissenschaft</strong>liches und künstlerisches Personal: 301.042<br />

Internationalität<br />

Ausländische Stu<strong>die</strong>rende in Deutschland insgesamt (2008): 181.249<br />

Polen: 8.467<br />

Bulgarien: 8.266<br />

<strong>Deutsche</strong> Stu<strong>die</strong>rende im Ausland insgesamt (2009/10): 102.143<br />

Drittmittel je Professor (Hochschulen insgesamt) 133.000 €<br />

Österreich: 20.019<br />

Niederlande: 18.972<br />

UK: 12.895<br />

Schweiz: 11.005<br />

USA: 9.679<br />

Frankreich: 6.071<br />

Verwaltungs- und Technik-Personal: 272.322<br />

China: 22.779<br />

Russland: 9.764<br />

Infografik: Dieter Duneka | Quellen: HRK, Statistisches Bundesamt


8<br />

Infothek<br />

Foto: Jack Hollingsworth/Photodics/Thinkstock.com<br />

Moderner Auftritt<br />

Neues Logo, neue Website, neue Projekte – es<br />

tut sich viel bei Bildung & Begabung, dem deutschen<br />

Zentrum <strong>für</strong> Begabungsförderung. Nach<br />

der Überarbeitung des Corporate Designs ist<br />

nun der neue Internetauftritt der Initiative mit<br />

Nachrichten, Veranstaltungsankündigungen<br />

und Ansprechpartnern online. In den kommenden<br />

Monaten wird <strong>die</strong><br />

Website nun durch<br />

weitere Elemente<br />

ergänzt, allen voran<br />

durch ein umfangreiches<br />

Informationsportal. Es ist<br />

als zentrale Anlaufstelle <strong>für</strong><br />

Eltern und Lehrer konzipiert<br />

Zwangsexmatrikulation<br />

Die Universität Köln hat nach einer mehrjährigen Übergangszeit <strong>die</strong> letzten Diplomund<br />

Magisterstu<strong>die</strong>ngänge eingestellt. Ende August wurden 32 Langzeitstudenten<br />

zwangsexmatrikuliert, <strong>die</strong> noch in einem der alten Stu<strong>die</strong>ngänge steckten. Doch ist<br />

<strong>die</strong>ser Rauswurf richtig? Das meinten <strong>die</strong> Nutzer von stifterverband.de:<br />

51 Prozent: Ja.<br />

Wer in 16 Semestern<br />

sein Physikvordiplom<br />

nicht schafft,<br />

sollte besser etwas<br />

anderes machen.<br />

1,5 Prozent: Weiß nicht.<br />

Jetzt entscheiden eh <strong>die</strong> Gerichte.<br />

47,5 Prozent: Nein.<br />

Wer lange stu<strong>die</strong>rt, weil<br />

er sich in der Hochschulpolitik<br />

engagiert oder<br />

An gehörige pflegt, darf<br />

dadurch keine Nachteile<br />

haben.<br />

und bündelt <strong>die</strong> wichtigsten Informationen zu<br />

Stipen<strong>die</strong>n, Beratungsstellen, Lehrmaterialien<br />

und den verschiedenen Förderprogrammen von<br />

Bildung & Begabung wie dem bundesweiten<br />

Mathematik-Wettbewerb, dem Bundeswettbewerb<br />

Fremdsprachen und der <strong>Deutsche</strong>n SchülerAkademie.<br />

Über Facebook und Twitter können<br />

sich Interessierte zusätzlich mit dem Zentrum<br />

<strong>für</strong> Begabungsförderung vernetzen. Bildung<br />

& Begabung ist eine Initiative des <strong>Stifterverband</strong>es<br />

und wird vom Bundesministerium<br />

<strong>für</strong> Bildung und Forschung gefördert.<br />

&<br />

www.bildung-und-begabung.de<br />

„Unser Wohlstand basiert nicht auf natürlichen<br />

Rohstoffen. Unser Rohstoff – das sind <strong>die</strong> Ideen,<br />

<strong>die</strong> Kreativität, der Erfindergeist unserer Menschen.“<br />

Stand: 19.09.<strong>2011</strong><br />

Ekkehard D. Schulz, Mitglied des Aufsichtsrates der ThyssenKrupp AG<br />

Sagen Sie uns<br />

Ihre Meinung!<br />

Massenbeschallung oder notwendiges<br />

Lehrmittel? Kein Student kommt ohne <strong>die</strong><br />

Vorlesung durchs Studium. Aber hat <strong>die</strong>se<br />

klassische Lehrform an Hochschulen überhaupt<br />

noch eine Zukunft?<br />

Schicken Sie uns Ihr Statement (max. 450<br />

Zeichen) bitte bis zum 15. Oktober an:<br />

<strong>wuw</strong>@stifterverband.de (Betreff: Umfrage)<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


Umstrittenes Kontrollorgan<br />

Standpunkte. In allen Bundesländern mit Ausnahme von Bremen sind Hochschulräte mittlerweile fest in der Univer -<br />

sitätskultur verankert – allerdings nicht unumstritten. Welche Chancen und Herausforderungen bieten Hochschulräte<br />

in unserer <strong>Wissenschaft</strong>sgesellschaft?<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Ulrich Müller,<br />

Projektleiter, Centrum<br />

<strong>für</strong> Hochschulentwicklung<br />

gGmbH<br />

„Ein Hochschulrat richtet unter Um -<br />

ständen mehr Schaden als Nutzen an,<br />

wenn man ihn unpassend besetzt, falsch<br />

konstruiert – zum Beispiel als Landeshochschulrat<br />

– oder mit den falschen<br />

Aufgaben betraut. Zum echten Gewinn<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochschule wird er, wenn seine<br />

Rolle sinnvoll definiert ist, wenn kundige<br />

und engagierte Externe sich auf ein<br />

konstruktiv-kritisches Miteinander mit<br />

Hochschulleitung und Senat einlassen<br />

– und wenn <strong>die</strong> Arbeitsstrukturen adäquat<br />

gestaltet sind.“<br />

Das besondere Bild<br />

Alles im Blick hat <strong>die</strong>ses Erdmännchen – eingefangen von dem deutschen Fotografen<br />

Solvin Zankl. Mit seinen preisgekrönten Fotoreportagen versucht er, typisches Tierverhalten<br />

zu dokumentieren: Erdmännchen zum Beispiel stehen bei der Nahrungssuche auf<br />

Erhöhungen Wache, um Artgenossen vor tierischen Feinden zu warnen.<br />

Johannes Zylka,<br />

Promotionsstipendiat an<br />

der Pädagogischen Hochschule<br />

Weingarten<br />

„Hochschulräte sind zum derzeitigen<br />

Zeitpunkt eine essenzielle Einrichtung<br />

an der Schnittstelle von Hochschulen,<br />

Wirtschaft sowie Ländern und bewirken<br />

hochschulintern wie auch -extern wertvolle<br />

Impulse. Die Sinnhaftigkeit von<br />

Hochschulräten differiert jedoch in<br />

Abhängigkeit von Ländern und einzelnen<br />

Hochschultypen deutlich, beispielsweise<br />

zwischen dem <strong>für</strong> eine Hochschule<br />

zuständigen Aufsichtsrat und einem <strong>für</strong><br />

mehrere Hochschulen zuständigen Universitätsrat.“<br />

Andreas Keller,<br />

Vorstandsmitglied der<br />

Gewerkschaft Erziehung<br />

und <strong>Wissenschaft</strong><br />

„Über Hochschulräte nehmen demokratisch<br />

nicht legitimierte Vertreter von<br />

Unternehmerinteressen übermäßig starken<br />

Einfluss auf <strong>die</strong> Hochschulentwicklung.<br />

Hochschulräte sollten daher durch<br />

Kuratorien ersetzt werden, <strong>die</strong> plural mit<br />

Repräsentanten unterschiedlicher gesellschaftlicher<br />

Interessen besetzt sind. Sie<br />

sollten <strong>die</strong> Hochschulen beraten und mit<br />

gesellschaftlichen Anforderungen konfrontieren,<br />

statt in <strong>die</strong> akademische<br />

Selbstverwaltung einzugreifen.“<br />

Fotos: CHE, privat<br />

Foto: Solvin Zankl<br />

9


Biete Vielfalt


Diversity. In Deutschland vollzieht sich der Kulturwandel<br />

nur zögerlich. Frauenquote, Integration,<br />

Bildungschancen – es wird viel geredet, aber nur<br />

wenig gehandelt. Ob <strong>die</strong> Gesellschaft künftig Vielfältigkeit<br />

und Andersartigkeit zu schätzen und nutzen weiß,<br />

hängt auch ganz zentral von den Hochschulen ab.<br />

VON CORINA NIEBUHR<br />

er nicht reinpasst, bleibt<br />

draußen. Soll <strong>die</strong> Person<br />

doch drängen wie ein<br />

Stürmer vorm Tor und<br />

<strong>die</strong> auf Emporkömmlinge<br />

spezialisierte Abwehrkette überwinden.<br />

Man selbst jedenfalls ist sportlich.<br />

Personen ausgrenzen? So kann<br />

man es nicht formulieren: Es geht um<br />

Topleistungen! Und zu denen ist nicht<br />

jeder fähig.<br />

Seit Jahrzehnten dümpeln in<br />

Deutschland <strong>die</strong> Diskussionen um <strong>die</strong><br />

Frauenquote, Integration von Migranten<br />

und Bildungschancen von Arbeiterkindern<br />

dahin. Passiert ist wenig. Die<br />

Abwehrketten stehen vielerorts: in Vorständen<br />

großer Konzerne und Führungszirkeln<br />

der Finanzwelt, in Studentenbildungswerken<br />

und Stu<strong>die</strong>ngängen<br />

der TU9, in Präsi<strong>die</strong>n von Hochschulen<br />

und öffentlichen Forschungseinrichtungen,<br />

in Personalbüros und Auswahlgremien,<br />

ja schon in Kindergärten<br />

und Schulen.<br />

Es wird sortiert, ausgesiebt, ausgegrenzt.<br />

Nach welchem Muster, geben<br />

meist einförmige Eliten vor, einförmig<br />

in Herkunft, Ausbildung und Denkmustern.<br />

Dabei greift <strong>die</strong> Vorliebe <strong>für</strong> das<br />

Altbekannte oft unbewusst, wie das Beispiel<br />

der deutschen Begabtenförderungswerke<br />

zeigt: 72 Prozent der Stipendiaten<br />

der Begabtenförderungswerke kommen<br />

aus gehobenen oder außerordentlich<br />

hohen sozialen Verhältnissen; nur<br />

neun Prozent der Stipen<strong>die</strong>n gehen an<br />

Bewerber mit sozial niedrigem Status.<br />

Deutschland öffnet sich nur langsam den<br />

Potenzialen von Vielfalt und Verschiedenartigkeit:<br />

Integrationskindergärten<br />

werden prämiert und wieder vergessen,<br />

Migrantenkinder zu Schulabschlüssen<br />

motiviert und später im Berufsbewerbungsverfahren<br />

ignoriert, weibliche Führungstalente<br />

angeworben und mit der<br />

Mutterschaft ins mittlere Management<br />

abgeschoben. Fast schon, so scheint es,<br />

verlaufen <strong>die</strong> Prozesse widerwillig. Ein<br />

wirklicher Kulturwandel lässt weiter auf<br />

sich warten, kaum einer scheint mit dem<br />

Herzen dabei. Diversity-Management ist<br />

vor allem eine Notwendigkeit: demografischer<br />

Wandel, internationale Märkte,<br />

Fachkräftemangel, Frauenquote, Bolo -<br />

gna. Es werden <strong>die</strong> Hürden gesehen und<br />

viel weniger <strong>die</strong> Chancen.<br />

Weltweite Märkte und vernetzte Wissensgesellschaften<br />

können nur von<br />

Menschen mit kultureller Kompetenz<br />

erfolgreich be<strong>die</strong>nt werden. Menschen,<br />

<strong>die</strong> Andersartigkeit verstehen und wertschätzen<br />

und nicht reflexartig ausklammern.<br />

Vielfalt ist längst Normalität. Sie<br />

nimmt nicht nur in der Arbeitswelt stetig<br />

zu, auch in Bildung, Me<strong>die</strong>n, Kultur<br />

und Unterhaltung. Hinzu kommt der<br />

Wertewandel auf dem Arbeitsmarkt und<br />

in der Gesellschaft, den <strong>die</strong> nächsten<br />

Generationen mit ihrem Wunsch nach<br />

Individualisierung vorantreiben werden.<br />

Wer <strong>die</strong>se jungen Talente der Generationen<br />

Y und Z gewinnen möchte, wird mit<br />

einengenden Hierarchien, ausufernder<br />

Bürokratie, überholten Statussymbolen<br />

und ausgrenzenden Unternehmensphilosophien<br />

nicht weit kommen.<br />

Die Entwicklungen sind bereits<br />

rasant. Wie weit Deutschland anderen<br />

Gesellschaften hinterherhinkt, wird spätestens<br />

sichtbar, wenn der demografische<br />

Wandel greift. Nicht nur wegen des Fachkräftemangels:<br />

Ein Haupttreiber hin zu<br />

mehr Vielfalt ist <strong>die</strong> Digitalisierung. So<br />

wird das Enterprise 2.0 – Steckenpferd<br />

der jüngeren Unternehmenskulturen –<br />

<strong>die</strong> klassischen Hierarchien ablösen.<br />

12<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Foto: Stockbyte/Thinkstock.com


Während deutsche Mittelständler vielerorts<br />

noch überlegen, ob sie dunkelhäutige<br />

oder ausländisch aussehende Mitarbeiter<br />

überhaupt zu ihren Kunden schicken<br />

können, sind in Netz-Communitys<br />

und internationaler Businesskultur <strong>die</strong><br />

Grenzen zwischen Nationalitäten, Kulturen,<br />

Religionen, Alter und Ge schlecht<br />

längst verwischt.<br />

Dabei reicht <strong>die</strong> Wirkung von Enterprise<br />

2.0 weit über moderne Unternehmensanwendungen<br />

hinaus. Über<br />

<strong>die</strong> Nutzung von Open-Innovation-Prozessen<br />

zum Beispiel können Unternehmen<br />

weltweit mit Tausenden von For-<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Vielfalt ist längst Normalität. Sie nimmt<br />

nicht nur in der Arbeitswelt zu, auch in<br />

Bildung, Me<strong>die</strong>n, Kultur und Unterhaltung.<br />

schern und Entwicklern zusammenarbeiten,<br />

beobachtet Thomas Sattelberger,<br />

Personalvorstand der <strong>Deutsche</strong>n Telekom<br />

AG: „Mit Enterprise 2.0 werden in<br />

den Gesellschaften auch völlig andere<br />

Freelancer-Kulturen entstehen, mit komplett<br />

neuen Lebensentwürfen und proteus-ähnlichen<br />

Karriereverläufen, ohne<br />

fixe Bindung an einen Arbeitgeber.“ Freelancer-Kulturen,<br />

<strong>die</strong> ganz anderen Bindungs-<br />

und Entkopplungsmechanismen<br />

folgen, seien im Kommen, meint auch<br />

Gunter Dueck, Chief Technology Officer<br />

bei der IBM Deutschland GmbH.<br />

Homogene Teams sind überholt<br />

und weltfremd, schon jetzt. Sie sind zwar<br />

leichter zu führen, bringen da<strong>für</strong> aber in<br />

der globalisierten und digitalisierten Welt<br />

wenig Spannendes hervor. Dazu sind sie<br />

unterm Strich erheblich teurer und<br />

erfolgloser, wie bereits mehrere Stu<strong>die</strong>n<br />

führender Beratungsunternehmen<br />

><br />

13


14<br />

Interview<br />

„Hochschulen sind gesellschaftliche Labore“<br />

Klimawandel, Finanzkrise, Energiewende –<br />

<strong>die</strong> Herausforderungen des 21. Jahrhunderts<br />

sind vor allem eines: komplex und global.<br />

Sie sehen <strong>die</strong> deutschen Hochschulen als Pioniere<br />

auf dem Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit<br />

in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft,<br />

kritisieren aber, dass sie <strong>die</strong>ser Aufgabe längst<br />

nicht gerecht werden.<br />

Hochschulen sind gesellschaftliche<br />

Labore, Werkstätten <strong>für</strong> Zukunftsmodelle<br />

und somit potenzielle Nachhaltigkeitspioniere.<br />

Sie nehmen sich jedoch<br />

der damit verbundenen Aufgabe nicht<br />

genügend an. Stu<strong>die</strong>rende werden <strong>die</strong><br />

Entscheidungsträger, <strong>die</strong> Meinungsmacher<br />

von morgen sein und müssen auf<br />

<strong>die</strong> großen Herausforderungen vorbereitet<br />

werden, <strong>die</strong> unsere Zukunft mit<br />

sich bringt. Daher haben wir vom Netzwerk<br />

der studentischen Nachhaltigkeitsinitiativen<br />

im Juni <strong>2011</strong> <strong>die</strong> Petition „Eine<br />

Hochschullandschaft in nachhaltiger<br />

Entwicklung“ verfasst, deren Ergebnisse<br />

wir im Oktober auf einer Tagung in Hildesheim<br />

diskutieren wollen.<br />

Was fehlt aus Ihrer Sicht in den Curricula?<br />

Es geht vor allem um drei wichtige Fragen:<br />

Wie gehe ich mit hochkomplexen<br />

Themen um, wie handele ich unter der<br />

Bedingung der Unsicherheit und wie<br />

werde ich zu einer Gestalterin zukünftiger<br />

Gesellschaftsformen? Nachhaltige<br />

Entwicklung kann <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Fragen eine<br />

Mandy Singer-Brodowski,<br />

Doktorandin an der Leuphana Universität Lüne-<br />

Himsel<br />

burg und zweite Sprecherin <strong>für</strong> das bundesweite<br />

Peter<br />

Netzwerk studentischer Nachhaltigkeitsinitiativen Foto:<br />

gute Plattform sein. Die Stu<strong>die</strong>renden<br />

sollten viel intensiver als bislang lernen,<br />

wie interkulturelle und interdisziplinäre<br />

Arbeit funktioniert, wie man vielfältige<br />

Hintergründe erkennt und ausbalanciert<br />

und wie man diverse Kulturen<br />

wertschätzt.<br />

Es geht also zentral auch um diversity?<br />

Diversity spielt auf mehreren Ebenen<br />

eine Rolle und ist eine zentrale Voraussetzung<br />

da<strong>für</strong>, dass Nachhaltigkeit und<br />

Chancengleichheit funktionieren können.<br />

Wer sich mit diversity auseinandersetzt,<br />

schärft seinen Blick <strong>für</strong> das eigene<br />

Wissen, den eigenen Hintergrund, <strong>die</strong><br />

eigenen Grenzen. Letztendlich entwickeln<br />

sich in <strong>die</strong>sem Prozess Schlüsselkompetenzen,<br />

<strong>die</strong> wir später als verantwortungsvolle<br />

Entscheider in der<br />

Arbeitswelt dringend brauchen.<br />

Die diverse Stu<strong>die</strong>rendenschaft wäre aus<br />

Ihrer Sicht ein gutes Experimentierfeld zur<br />

interkulturellen Kompetenzentwicklung –<br />

wenn <strong>die</strong> Hochschuldozenten mehr auf <strong>die</strong><br />

Unterschiede eingehen würden.<br />

Hochschule ist der perfekte Raum, um<br />

unterschiedliche Kulturen zu reflektieren.<br />

Generationen vor uns haben das<br />

noch intensiver getan als wir, sich beispielsweise<br />

abends beim Bier darüber<br />

unterhalten, dass der Student aus<br />

Afghanistan, der mit im Seminar sitzt,<br />

eigentlich coole Ansichten hat. Mit<br />

Bologna und dem strafferen Lehrplan<br />

ist weniger Raum <strong>für</strong> solche informellen<br />

Gespräche da. Hochschullehrende<br />

sollten deshalb kulturelle Unterschiede<br />

der Stu<strong>die</strong>renden im Seminar transparent<br />

machen und <strong>für</strong> <strong>die</strong> Seminargestaltung<br />

nutzen.<br />

Sie sind als Studentin Mutter geworden.<br />

Damit weichen Sie vom Bild der Normstu<strong>die</strong>renden<br />

ab – wie hat Ihr studentischer Alltag<br />

mit Kind funktioniert? Fühlten Sie sich<br />

diskriminiert?<br />

Es gab gute und schlechte Erfahrungen.<br />

Zunächst habe ich schon auch Vorurteile<br />

erlebt, Professoren beispielsweise,<br />

<strong>die</strong> mich schwanger gesehen haben und<br />

dann sagten: „Oh nein, nicht Sie!“ Alles<br />

steht und fällt mit dem Netzwerk um<br />

einen herum. Die Universität Erfurt war<br />

dabei alles in allem hilfreich. Interessant<br />

fand ich, wie bereichernd meine<br />

Tochter in ernsten Gesprächssituationen<br />

sein konnte, in Vorlesungen oder<br />

bei Terminen. Sie hat <strong>die</strong> ganze Atmosphäre<br />

aufgeheitert, plötzlich etwas<br />

Menschliches reingebracht. Ein Aspekt,<br />

der vielleicht allzu oft vergessen wird.<br />

INTERVIEW: CORINA NIEBUHR


elegen. Umso unverständlicher ist, dass<br />

ausgerechnet <strong>die</strong> auf Innovationen angewiesene<br />

deutsche Gesellschaft, anders<br />

als beispielsweise <strong>die</strong> skandinavischen<br />

Länder, sich dem Thema nur zögerlich<br />

annähert.<br />

Was ist der Grund? Selbstüberschätzung<br />

oder <strong>die</strong> Angst vor der Andersartigkeit?<br />

Oder wissen <strong>Deutsche</strong> bislang<br />

nicht, wie sie den Kulturwandel angehen<br />

sollen, fehlen also positive Erfahrungen<br />

und Vorbilder? Antworten sind<br />

schwer zu finden, da auch <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

das Wesen des deutschen Diversity-Managements<br />

bislang kaum ergründet<br />

hat. Auffällig ist, dass <strong>Deutsche</strong> den<br />

Umgang mit Vielfalt größtenteils erst im<br />

Berufsleben lernen, meist in international<br />

agierenden Großkonzernen. Im deutschen<br />

Bildungssystem bleibe das Thema<br />

noch weitestgehend ausgeblendet, wie<br />

Jutta Allmendinger erläutert, Bildungsforscherin<br />

und Präsidentin des <strong>Wissenschaft</strong>szentrums<br />

Berlin <strong>für</strong> Sozialforschung<br />

(WZB): „Der deutsche Begriff<br />

von diversity ist absolut eingeschränkt,<br />

weil er sich alleine auf <strong>die</strong> betriebliche<br />

Ebene bezieht und erst ziemlich spät im<br />

Alter stattfindet.“<br />

Paradox ist bislang auch der<br />

Umgang mit diversity in der deutschen<br />

Industrie. Obwohl nach einer aktuellen<br />

Stu<strong>die</strong> der Roland Berger Strategy Consultants<br />

80 Prozent der befragten international<br />

agierenden Großkonzerne<br />

diversity als wichtig <strong>für</strong> den Geschäftserfolg<br />

erachten – geführt und gestaltet<br />

werden <strong>die</strong>se Unternehmen trotzdem<br />

durchweg von in <strong>die</strong> Jahre gekommenen<br />

Herren aus ähnlicher Bildungsschicht<br />

und mit frappierend ähnlichen<br />

Biografien. Laut Hans-Böckler-Stiftung<br />

standen im Januar <strong>2011</strong> in den 160 bör-<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

sennotierten Unternehmen im Vorstand<br />

nur 21 Frauen 647 Männern gegenüber.<br />

Self cloning ist ebenso in Aufsichtsräten<br />

wie Führungsetagen weiter an der<br />

Tagesordnung.<br />

Ein Großteil der Dax-Konzerne<br />

will unter dem Druck der angedrohten<br />

Frauenquote zwar nachbessern. Spott<br />

und Alarmmeldungen in der parallel laufenden<br />

öffentlichen Debatte geben aber<br />

Hinweise, mit welchem Bauchgefühl viele<br />

der Entscheider wohl handeln. Da heißt<br />

es: Deutschland rutsche nun in <strong>die</strong> Mittelmäßigkeit<br />

ab und verliere seine jungen<br />

männlichen Spitzenkräfte, Quotenfrauen<br />

kämen sowieso nur auf Positionen<br />

ohne Entscheidungsgewalt und<br />

längst aussortierte Politikerinnen wür-<br />

den <strong>die</strong> Vorstände auch nicht besser<br />

machen. Radikale Reaktionen auf eine<br />

brachiale Öffnung?<br />

Die aufgeheizte deutsche Quotendebatte<br />

zeigt jedenfalls deutlich: Diversity<br />

ist nicht <strong>die</strong> harmlose und oft belächelte<br />

Weltverbesserungsstrategie. Ernsthaft<br />

angegangen, schlägt <strong>die</strong>ses Thema durch<br />

bis ins Zentrum der Macht. Und es sind<br />

<strong>die</strong> Personen dort, <strong>die</strong> sich <strong>für</strong> diversity<br />

öffnen müssen, damit der ganze Prozess<br />

überhaupt gelingt. Ein Dilemma, denn<br />

geschlossene Systeme gelten als hartnäckige<br />

Gegner von Vielfalt. Ihre tief verwurzelten<br />

Gesellschaftsstrukturen, Stereotypen<br />

und Mentalitäten wie auch ihr stillschweigendes<br />

Handeln und ihre expli-<br />

Ein Großteil der Dax-Konzerne will<br />

unter dem Druck der angedrohten<br />

Frauenquote nachbessern.<br />

><br />

Foto: Yuri Arcurs/Shutterstock.com<br />

Schwerpunkt


16<br />

ziten Codes, müssen <strong>für</strong> eine fundamentale<br />

Kulturreform hinterfragt werden. Unschönes<br />

käme dabei zutage, wie Gefälligkeiten<br />

oder interner Nepotismus, <strong>die</strong> Förderung<br />

oder Beförderung von Gleichgesinnten<br />

und Nahestehenden. Dieses Vorgehen sei<br />

in geschlossenen Systemen allgegenwärtig,<br />

sagt Thomas Sattelberger. Man könne<br />

geschlossene Systeme mit Glaubensbrüderschaften<br />

zur Abwehr fremder Einflüsse<br />

vergleichen, mit Systemen, in denen teils<br />

das eigene Selbst als Übermensch gedeutet<br />

werde. Die Managementliteratur der<br />

1990er-Jahre sei hier<strong>für</strong> ein Beispiel, so<br />

der Telekom-Personalvorstand Sattelberger:<br />

was es hieß, Manager des Jahres zu<br />

sein oder Heroe der US-Wirtschaft.<br />

Welche Rolle Hochschulen im<br />

Bezug auf geschlossene Systeme spielen<br />

können, zeigt das Beispiel Fukushima.<br />

Foto: Digital Vision/Thinkstock.com<br />

Den deutschen Hochschulen wird eine Schlüsselfunktion<br />

zuteil, ob <strong>die</strong> Gesellschaft zukünftig<br />

mehr Vielfalt leben und wertschätzen wird.<br />

Nach einem Bericht des „Spiegels“ offenbarte<br />

das Atomunglück, dass <strong>die</strong> japanische<br />

Atombranche von einer abgeschotteten<br />

Elite beherrscht wird, zu der nicht<br />

nur <strong>die</strong> Atomabteilungen von Tepco und<br />

<strong>die</strong> zuständigen Bereiche des Industrieministeriums<br />

gehören, sondern ebenfalls<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler, Politiker und Journalisten<br />

– stu<strong>die</strong>rt haben alle an derselben<br />

Topuniversität in Tokio. Auch in Deutschland<br />

wird den deutschen Hochschulen<br />

eine Schlüsselfunktion zuteil, ob <strong>die</strong><br />

Gesellschaft zukünftig mehr Vielfalt leben<br />

und wertschätzen wird oder ob homogene<br />

Gruppen <strong>die</strong> Gesellschaft weiterhin<br />

dominieren und in ihrer Entwicklung<br />

beschränken. Hier<strong>für</strong> müsse sich aber<br />

zunächst <strong>die</strong> Hochschullandschaft selbst<br />

differenzieren und entgrenzen, erklärt Volker<br />

Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär<br />

des <strong>Stifterverband</strong>es. Der Prozess<br />

befinde sich noch ganz am Anfang.<br />

Da, wo bereits zu wenige „Normstu<strong>die</strong>rende“<br />

zu finden sind, entwickelten sich<br />

<strong>die</strong> Pionierprojekte.<br />

So öffnen sich Hochschulen in den<br />

neuen Bundesländern oder im Ruhrgebiet<br />

bereits explizit solchen Stu<strong>die</strong>rendengruppen,<br />

<strong>die</strong> nicht mehr in<br />

das Raster der klassischen Qualifikationen<br />

passen. Sind <strong>die</strong>se Gruppen deshalb<br />

automatisch weniger <strong>für</strong> ein Studium qualifiziert<br />

beziehungsweise weniger erfolgreich<br />

als Abiturienten? Fragen, <strong>die</strong> noch<br />

beantwortet werden müssen. Schon jetzt<br />

zeigen aber Angebote wie <strong>die</strong> Dualen Stu<strong>die</strong>ngänge,<br />

dass <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong> es<br />

vermeintlich „nicht bis zum Abitur<br />

geschafft haben“, durchaus exzellente Leistungen<br />

vorweisen können und noch dazu<br />

eine Abbruchquote abliefern, <strong>die</strong> gegen<br />

null geht. Das Abiturzeugnis, ein Mythos?<br />

Die Diskussionen und Ausdifferenzierun-<br />

gen haben gerade erst begonnen. Anders<br />

als Unternehmen können Hochschulen<br />

nicht einfach nur einen Top-down-Ansatz<br />

zur Implementierung von Diversity-<br />

Management anwenden, was <strong>die</strong> Prozesse<br />

erschwert. „Hochschulen sind weitaus<br />

weniger dirigistisch als Unternehmen.<br />

Wenn sie nicht ebenso Bottom-up-Ansätze<br />

wählen, werden sie <strong>Wissenschaft</strong>ler und<br />

Stu<strong>die</strong>rende nur schwer <strong>für</strong> den Prozess<br />

gewinnen“, so Daniela De Ridder, Projektmanagerin<br />

der CHE Consult GmbH.<br />

Der Weg in Richtung diversity ist<br />

noch weit: Welche Strategie passt zur<br />

Hochschule, wo liegt das eigene Profil?<br />

Welche Hochschulkultur ergibt sich<br />

daraus und wie organisiert man darauf<br />

aufbauend Studium und Lehre? Wie kann<br />

man hier<strong>für</strong> das wissenschaftliche und<br />

administrative Personal sensibilisieren?<br />

Wie müssen <strong>die</strong> internen und externen<br />

Kommunikationsströme organisiert sein,<br />

damit der Chancenprozess gelingt? „Auch<br />

auf anderen Ebenen gibt es noch keine<br />

Kategorisierung <strong>für</strong> das Thema diverse<br />

Hochschulen“, bemerkt Volker Meyer-<br />

Guckel. Zentrales Thema sei hier <strong>die</strong> Mittelzuweisung;<br />

neue Fördertöpfe müssten<br />

neben denen <strong>für</strong> Forschung und Lehre<br />

entstehen. Professor Bernd Kriegesmann,<br />

Präsident der Fachhochschule Gelsenkirchen,<br />

vergleicht <strong>die</strong> finanzielle Situation<br />

der Hochschulen, <strong>die</strong> sich auf <strong>die</strong> Vielfalt<br />

ihrer Stu<strong>die</strong>renden einlassen, mit einem<br />

100-Meter-Lauf: „Wir starten bei minus<br />

zehn Metern, andere Hochschulen bei plus<br />

zehn Metern – damit ist klar, wer schlechtere<br />

und bessere Chancen hat.“<br />

&<br />

Mehr zum Thema diversity im webTV<br />

des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />

www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/2<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


Interview<br />

„Das Ruhrgebiet hat großes Potenzial“<br />

Welche Dimension hat das Thema diversity<br />

<strong>für</strong> Sie als Hochschulpräsidenten?<br />

Wir können in Deutschland unseren<br />

Wohlstand auf Dauer nur erhalten,<br />

wenn es auch Hochschulen gelingt, neue<br />

Zielgruppen zu erschließen und zu Fachkräften<br />

auszubilden. Wie macht man<br />

das? Indem man <strong>die</strong> Talente gewinnt,<br />

<strong>die</strong> es in der Region gibt und deren<br />

Berufsweg bislang – aus den unterschiedlichsten<br />

Gründen – an der Hochschule<br />

vorbeiging. Wir haben gerade<br />

hier im Ruhrgebiet <strong>die</strong> Potenziale, solche<br />

Fachkräfte zu gewinnen. Bislang<br />

wird <strong>die</strong>ses enorme Potenzial aber von<br />

der Bildungspolitik übersehen.<br />

Woran machen Sie <strong>die</strong>s fest?<br />

Man verteilt <strong>die</strong> Bildungsinvestitionen<br />

weiter ausschließlich nach dem Modell<br />

des Normstu<strong>die</strong>renden und ignoriert<br />

dabei <strong>die</strong> Diversität der Hochschulen, <strong>die</strong><br />

regionalen Unterschiede, <strong>die</strong> Zusammensetzung<br />

der Stu<strong>die</strong>rendenschaft. Dabei<br />

haben Hochschulen in bildungsbürgerlich<br />

geprägten Regionen ganz andere<br />

Themen zu bespielen als Hochschulen in<br />

Ballungsgebieten mit einem hohen Anteil<br />

an Arbeiter- und Migrantenkindern. Stu<strong>die</strong>n<br />

belegen, dass rund 80 Prozent der<br />

Akademikerkinder an <strong>die</strong> Hochschule<br />

gehen, aber nur 20 Prozent der Arbeiterkinder.<br />

Das führt uns vor Augen, wo <strong>die</strong><br />

Bildungsinvestitionen eigentlich zuvor-<br />

derst hinfließen sollten: dorthin, wo sich<br />

sehr viele Kinder und Eltern bislang eine<br />

Hochschulkarriere nicht vorstellen können,<br />

wo das Wort Hochschule in den Biografien<br />

der Familie überhaupt nicht auftaucht<br />

– wo also enorme Entwicklungspotenziale<br />

mit entsprechendem Einsatz<br />

aktiviert werden könnten.<br />

Wie gewinnen Sie hochschulferne Talente<br />

<strong>für</strong> ein Studium?<br />

Diese bildungsbiografischen Vorprägungen<br />

zu durchbrechen, ist nicht trivial<br />

und richtige Wühlarbeit. Unsere Maxime<br />

ist: hingehen und ansprechen. Wir probieren<br />

neue Kommunikationswege aus.<br />

Aktuell ist <strong>die</strong> FH Gelsenkirchen so intensiv<br />

im Schulbereich aktiv, wie sie es noch<br />

nie war. Wir sprechen beispielsweise<br />

Lehrer auf Kinder an, <strong>die</strong> mit ihrem<br />

Talent auffallen, <strong>die</strong> aber vermutlich<br />

ohne spezielle Ansprache nie stu<strong>die</strong>ren<br />

würden. Zudem sehen wir, dass bei einer<br />

anderen Klientel <strong>die</strong> direkte Ansprache<br />

der Kinder nicht funktioniert. Bei Migranten<br />

beispielsweise finden wir den<br />

Zugang vor allem über <strong>die</strong> Eltern, weshalb<br />

<strong>die</strong> FH Gelsenkirchen jetzt auch<br />

eine Elternakademie aufbaut. Wir wollen<br />

Eltern einladen und ihnen im kleinen<br />

Kreis vermitteln, was eine Hochschule<br />

ist, was ein Studium mit sich bringt und<br />

wie es sich anfühlt, wenn das eigene<br />

Kind dort eine Karriere startet.<br />

Schwerpunkt<br />

Bernd Kriegesmann, Präsident der<br />

Fachhochschule Gelsenkirchen Foto: Lichtblick/Guido Frebel<br />

Die Stu<strong>die</strong>renden haben unterschiedliche<br />

Lernniveaus, ihre Lernstrategien können je<br />

nach Kultur und sozialer Prägung stark variieren.<br />

Wie begegnen Sie <strong>die</strong>sen Herausforderungen?<br />

An der FH Gelsenkirchen gibt es keine<br />

Abschlüsse im Discountbereich – an der<br />

Qualitätsschraube wird nicht gedreht.<br />

Wir haben aber <strong>die</strong> Verantwortung, <strong>die</strong><br />

Heterogenität junger Menschen aufzugreifen,<br />

<strong>die</strong>se Verantwortung nehmen<br />

wir ernst. Lücken in der Einstiegsqualifikation,<br />

<strong>die</strong> zwangsläufig durch <strong>die</strong><br />

unterschiedlichen Zugangsformen entstehen,<br />

versuchen wir mithilfe unserer<br />

im Wintersemester 2010/11 gestarteten<br />

Einstiegsakademie auszugleichen.<br />

Was bieten Sie hier genau an?<br />

Es ist eine Art Gesamtpaket, wo <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden<br />

in Kleingruppen mit studentischen<br />

Tutoren üben, Defizite aufholen,<br />

Inhalte nachbereiten oder sich teilweise<br />

erst neu erschließen, weil <strong>die</strong>se Inhalte<br />

in ihren Zugangsformen so nicht vorkamen.<br />

Dabei läuft <strong>die</strong> Einstiegsakademie<br />

begleitend das ganze erste Stu<strong>die</strong>njahr<br />

und kann damit auch viel mehr leisten<br />

als eine dreiwöchige Blockveranstaltung<br />

zum Studiumsbeginn. Wir verstehen<br />

unsere Akademie als eine tagtägliche<br />

Unterstützung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong><br />

ihre Defizite wirklich ausgleichen wollen.<br />

INTERVIEW: CORINA NIEBUHR<br />

17


Willkommen im Club<br />

n deutschen Hochschulen<br />

ist das The -<br />

ma diversity ein weites,<br />

offenes Feld. Es<br />

gibt hier und da An -<br />

sätze, aussagekräftige Benchmarks<br />

aber fehlen. „Mancherorts wird<br />

diversity im Sinne von ,jedem Tierchen<br />

sein Pläsierchen‘ verstanden.<br />

Viel spannender sind aber Konzepte,<br />

<strong>die</strong> Eigenheiten oder Besonderheiten<br />

von bestimmten Stu<strong>die</strong>renden(gruppen)<br />

sichtbar ma chen, bei<br />

denen es darum geht zu entwickeln,<br />

welche Potenziale in <strong>die</strong>sen Besonderheiten<br />

stecken und wie alle von<br />

<strong>die</strong>sen Potenzialen profitieren können“,<br />

sagt Bettina Jorzik, <strong>die</strong> im <strong>Stifterverband</strong><br />

den Programmbereich<br />

Lehre und akademischer Nachwuchs<br />

leitet. Doch wann ist eine<br />

Hochschule diversityorientiert und<br />

wann nicht? Welche Standards sollten<br />

mindestens erfüllt werden?<br />

Orientierung soll der vom<br />

<strong>Stifterverband</strong> 2010 initiierte und in<br />

Kooperation mit CHE Consult<br />

durchgeführte Benchmarking-Club<br />

Diversity bieten. Beteiligt sind acht<br />

Hochschulen, ausgewählt im Rahmen<br />

des Programms „Ungleich besser!<br />

Verschiedenheit als Chance“.<br />

„Unser Benchmarking-Club ist ähnlich<br />

vielfältig wie <strong>die</strong> deutsche Hochschullandschaft“,<br />

erklärt Bettina Jorzik.<br />

Vertreten sind Hochschulen, <strong>die</strong><br />

sich hinsichtlich ihres Typus, Alters<br />

und Selbstverständnisses wie auch<br />

ihrer Größe und regionalen Lage un -<br />

terscheiden. Sie sollen nun bis Mitte<br />

2012 Qualitätsstandards <strong>für</strong> ein<br />

Diversity-Auditierungsverfahren entwickeln.<br />

&<br />

Mehr Informationen auf der Website<br />

des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />

www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/3<br />

Fachhochschule Brandenburg<br />

Grenzen überschreiten – diversity ermöglichen & gestalten<br />

Die FH Brandenburg lotet aus, wie Stu<strong>die</strong>nformate zeitlich und<br />

organisatorisch flexibler gestaltet werden können, insbesondere<br />

<strong>für</strong> ein berufsbegleitendes Studium. Zentraler Baustein: ein(e)<br />

Mentor(in), <strong>die</strong> mit den Stu<strong>die</strong>renden eine individuelle, berufs -<br />

begleitende Stu<strong>die</strong>nverlaufsplanung erarbeitet.<br />

Universität Bremen<br />

Vielfalt als Tradition und Zukunft<br />

Die Universität will diversity in der Breite fördern. Mitarbeiter<br />

der Stu<strong>die</strong>nberatung stehen im Fokus einer Sensibilisierung<br />

und Schulung, <strong>für</strong> <strong>die</strong> der Grundlagenbaustein „Vielfältig<br />

starkes Studium“ entwickelt wird. Darüber hi naus<br />

entstehen ein Beratungsleitfaden und ein Diversity-Modul<br />

<strong>für</strong> Tutoren- und Mentorenschulungen.<br />

Technische Universität Dortmund<br />

DiWiki<br />

An der Universität entwickeln Stu<strong>die</strong>rende, Lehrende<br />

und Mitarbeiter aus der Verwaltung <strong>die</strong><br />

internetbasierte Plattform „Diversity-Wiki“. Sie soll<br />

neben Basiswissen auch Umgangsbeispiele mit<br />

Verschiedenheit sowie Diversity-Initiativen abbilden.<br />

Ihre Mitarbeit bekommen Stu<strong>die</strong>rende und<br />

Lehrkräfte als Stu<strong>die</strong>nleistung beziehungsweise<br />

hochschuldidaktische Weiterbildung anerkannt.<br />

18 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


Folkwang Universität der Künste<br />

Diversität als didaktisches Prinzip im hochschulischen<br />

Lehr-Lern-Kontext<br />

Im Mittelpunkt der Initiative stehen internationale<br />

Stu<strong>die</strong>rende, <strong>die</strong> über 30 Prozent der Stu<strong>die</strong>rendenschaft<br />

ausmachen. Eine qualitative Erhebung wird<br />

ihre verschiedenen Lernerwartungen, Lernstile und<br />

Lernstrategien dokumentieren. Vorlieben und Be -<br />

darfe sollen in eine zukünftige Hochschullehre einfließen.<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Evangelische Hochschule Ludwigsburg<br />

Netzwerk <strong>für</strong> Antidiskriminierung und diversity<br />

Sie ist <strong>die</strong> einzige Hochschule in nichtstaatlicher Trägerschaft<br />

im Benchmarking-Club; ihre Initiative fokussiert<br />

das Thema „sexuelle Orientierung“. Ziel sind der<br />

Ausbau diversitybezogener Lehrangebote, wie im Be -<br />

reich Sexualpädagogik oder Interkulturelle Mediation,<br />

und der Aufbau einer Antidiskriminierungshotline von<br />

Stu<strong>die</strong>renden <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende.<br />

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg<br />

Die hörsensible Universität<br />

Die Universität greift das Diversity-Merkmal „körperliche<br />

Beeinträchtigung“ auf und entwickelt sich weiter in Richtung<br />

hörsensible Universität. Hier<strong>für</strong> entstand bereits eine<br />

Clearingstelle <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende mit Problemen beim Hörverstehen,<br />

<strong>die</strong> ausgebaut wird. Entstehen soll eine zusätzliche<br />

Beratung <strong>für</strong> internationale Stu<strong>die</strong>rende.<br />

Fachhochschule Gelsenkirchen<br />

FH-INTEGRATIV<br />

Die FH Gelsenkirchen will strategisch Stu<strong>die</strong>rende aus bildungsfernen<br />

und einkommensschwachen Familien gewinnen und fördern.<br />

Ein Schwerpunkt: Stu<strong>die</strong>rende mit Migrationshintergrund.<br />

Realisiert wird eine „Einstiegsakademie“, <strong>die</strong> das ganze erste<br />

Semester über Stu<strong>die</strong>rende mit gezielten Lernstrategien und<br />

Lehrangeboten beim Einstieg in <strong>die</strong> Hochschule unterstützt.<br />

Universität Osnabrück<br />

Virtuelles Lernen zur Diversitätsunterstützung<br />

an der Universität Osnabrück<br />

(ViDiOs)<br />

Ein Schwerpunkt der Universität liegt<br />

auf der Entwicklung von E-Learning-<br />

Angeboten. Diese werden jetzt im<br />

Zuge des Projektes an der Diversität<br />

der Stu<strong>die</strong>renden ausgerichtet, wobei<br />

der Fokus auf Stu<strong>die</strong>rende mit Kind<br />

oder pflege-bedürf tigen Angehörigen<br />

liegt.<br />

Schwerpunkt<br />

19


20<br />

Foto: Digital Vision/Thinkstock.com


Ohne Diversity<br />

wird es teurer<br />

Unternehmenskultur. Kulturelle Missverständnisse können <strong>die</strong> produktive Arbeitsatmosphäre<br />

im Betrieb schnell vergiften – weiß der Mittelständler Kai Teckentrup.<br />

In seinem Unternehmen stehen Offenheit und Wertschätzung deshalb an erster<br />

Stelle. Er selbst geht dabei mit gutem Beispiel voran.<br />

VON CORINA NIEBUHR<br />

erstehe mal einer <strong>die</strong><br />

Schweden, denen kann<br />

man aber leicht auf den<br />

Schlips treten! Die Polen<br />

lassen sich viel Zeit mit<br />

dem Bezahlen, typisch. Und <strong>die</strong> Chinesen<br />

wollen alles doppelt erklärt bekommen,<br />

fangen in Besprechungen einfach<br />

wieder ganz von vorne an, wo bleibt da<br />

<strong>die</strong> Effektivität?<br />

<strong>Deutsche</strong> Unternehmer stoßen<br />

schnell an ihre Grenzen, wenn sie sich<br />

ausländische Märkte und Kunden ganz<br />

nach der Maxime Kaiser Wilhelms II.<br />

erschließen wollen: „Am deutschen<br />

Wesen soll <strong>die</strong> Welt genesen.“ Dabei weiß<br />

man es oft zunächst nicht besser. Diese<br />

Erfahrung machte auch Kai Teckentrup.<br />

Mit 26 Jahren stieg er in den väterlichen<br />

Betrieb Teckentrup ein, einen Produktionsbetrieb<br />

<strong>für</strong> Tore und Türen im ostwestfälischen<br />

Verl, ganz in der Nähe von<br />

Gütersloh. Und weil damals, Ende der<br />

1990er-Jahre, <strong>die</strong> inländische Kaufkraft<br />

schwächelte, erschien dem Jungunternehmer<br />

der Export sofort als sinnvolle Alternative.<br />

Von den vielen Stolpersteinen im<br />

Auslandsgeschäft wusste er damals noch<br />

nichts: „Unsere ersten Gehversuche in<br />

Polen verliefen ziemlich schlecht.“ Schnell<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

war klar: Das Unternehmen braucht Mentalitätsübersetzer,<br />

Menschen, <strong>die</strong> nicht<br />

nur das jeweilige Land gut kennen, sondern<br />

ebenso <strong>die</strong> deutschen Verhältnisse –<br />

sonst wird das nichts. Heute könnte der<br />

Mittelständler stundenlang von den kleinen<br />

Unterschieden in Kultur und Mentalität<br />

erzählen, vom Spaß beim Erobern<br />

ausländischer Märkte, von der Leichtigkeit,<br />

wie man das Vertrauen ausländischer<br />

Mitarbeiter im eigenen Betrieb gewinnt.<br />

Diversity! Kai Teckentrup ist <strong>die</strong>ses Thema<br />

längst ans Herz gewachsen. In Unternehmerkreisen<br />

ist der 39-Jährige nun selbst<br />

ein Übersetzer und Erklärer, ein Pionier<br />

auf dem Experimentierfeld, welche Diversity-Management-Tools<br />

<strong>für</strong> den Mittelstand<br />

sinnvoll sind. Andere Unternehmer<br />

hören ihm interessiert zu, weil Te ckentrup<br />

bereits kann, was sich alle wünschen:<br />

den ökonomischen Erfolg seiner Diversity-Maßnahmen<br />

mit Zahlen und Beispielen<br />

belegen. Und das ist angesichts solcher<br />

Maßstäbe wie Wertschätzung, Wohlfühlfaktor<br />

oder Offenheit eine echte<br />

Herausforderung. Wie fühlt sich ein Anatole,<br />

der nicht zugeben möchte, dass er<br />

Moslem ist, und das Beschneidungsfest<br />

seines Sohnes verschweigt; wie fühlt sich<br />

eine Frau, wenn sie in ihrem technischen<br />

Beruf von ihren männlichen Kollegen<br />

ständig übergangen wird; wie fühlen sich<br />

Lesben oder Schwule, <strong>die</strong> in den Pausen<br />

oder bei Betriebsfesten nie von ihren Part-<br />

„In kleinen Unternehmen braucht es keine<br />

groß artigen Strukturen, es braucht nur<br />

einen Chef, der vom Thema begeistert ist.“<br />

Kai Teckentrup<br />

ner erzählen können? Teckentrup sieht<br />

hier den Schlüssel zum Erfolg: Diversity<br />

werde vom Mittelstand erst wenig beachtet,<br />

eben weil ein Großteil der Mittelständler<br />

sich das alles zunächst nicht vorstellen<br />

kann – man selbst ist eher klassisch<br />

><br />

Schwerpunkt<br />

21


22<br />

geprägt, um <strong>die</strong> 50 Jahre alt, regional verankert,<br />

Vater von zwei Kindern, katholisch<br />

oder evangelisch. Umso interessanter<br />

sei, wie schnell der Mittelstand Diversity-Maßnahmen<br />

implementieren und<br />

nutzen könnte: „In kleinen Unternehmen<br />

braucht es keine großartigen Strukturen,<br />

es braucht nur einen Chef, der vom<br />

Thema begeistert ist.“ Die Begeisterung<br />

von Kai Teckentrup schwappt bereits über.<br />

Mehr als 80 Mittelständler sind in der von<br />

ihm mitgegründeten regionalen Initiative<br />

„Unternehmen Vielfalt Ostwestfalen-<br />

Lippe“ aktiv. Ein Kernteam entwickelt<br />

Monat <strong>für</strong> Monat neue, meist kleine Diversity-Tools,<br />

<strong>die</strong> dann alle anwenden können.<br />

„Wir sind auch gerne bereit, unsere<br />

Erfahrungen an andere Regionen weiterzugeben“,<br />

sagt der 39-Jährige.<br />

Zunächst hatte er selbst gegrübelt,<br />

wie man <strong>die</strong>se „weichen“ Faktoren<br />

Wertschätzung und Offenheit messen<br />

kann. Die Erfahrungen im Exportgeschäft,<br />

wo er mithilfe seiner Mentalitätsübersetzer<br />

fünf Prozent mehr Absatz<br />

erzielen konnte, hatten ihn sensibilisiert:<br />

Gehen dem Betrieb womöglich ebenso<br />

Potenziale verloren aufgrund kultureller<br />

Missverständnisse und unterschwelliger<br />

Konflikte in den Produktionshallen,<br />

Werkstätten, Büros? Immerhin hatten<br />

rund 25 Prozent seiner heute 850<br />

Personen starken Belegschaft einen<br />

Migrationshintergrund. Er nahm sich ein<br />

Buch des US-amerikanischen Diversity-<br />

Papstes Taylor Cox zur Hand, fand dort<br />

Vorlagen <strong>für</strong> Mitarbeiterbefragungen,<br />

kopierte <strong>die</strong> Ideen und legte los. Die<br />

Ergebnisse hätten kaum eindeutiger sein<br />

können, erzählt Teckentrup in seinem<br />

lichtdurchfluteten Büro, eine große<br />

Buddha-Statue im Rücken: „Nahezu alle<br />

deutschen Mitarbeiter gaben an, es gäbe<br />

keine Probleme mit Kollegen; nahezu<br />

alle Mitarbeiter mit Migrationshintergrund<br />

sahen dagegen solche Probleme<br />

sehr wohl.“ Diesmal ging er selbst in <strong>die</strong><br />

Produktionshallen und Auf enthaltsräume,<br />

sprach auch mit den Mitarbeitern aus-<br />

führlich, <strong>die</strong> er sonst wahrscheinlich übersehen<br />

hätte. „Wir haben zu nächst <strong>die</strong><br />

Probleme, <strong>die</strong> im Unternehmen vorherrschen,<br />

überhaupt nicht erkannt. Da arbeiten<br />

ein Kroate und ein Serbe zehn Jahre<br />

lang sprachlos nebeneinander an einem<br />

Fertigungsband und man denkt: ,Na, <strong>die</strong><br />

sind wohl nicht <strong>die</strong> besten Freunde‘, und<br />

übersieht dabei den ständig herrschenden,<br />

unterschwelligen Konflikt, bis <strong>die</strong>ser<br />

vielleicht einmal in einer Schlägerei<br />

ausbricht.“<br />

Wie fühlen sich seine Mitarbeiter<br />

wirklich? Teckentrup wollte es wissen,<br />

kam aber zunächst nicht allzu weit: „Die<br />

meisten Mitarbeiter sagen natürlich dem<br />

Chef nicht, was los ist.“ Deshalb nahm er<br />

im nächsten Anlauf den Informationsweg<br />

über Verbündete, seine Vorarbeiter, und<br />

lernte, dass viele der Migrantengruppen<br />

im Unternehmen hierarchisch strukturiert<br />

sind, fast schon familiär. Langsam<br />

kristallisierten sich <strong>die</strong> Sprachrohre seines<br />

Betriebs heraus: Mitarbeiter, <strong>die</strong><br />

bestimmte Gruppen mit Informationen<br />

versorgten und betreuten, deren Vertrauen<br />

hatten. Teckentrup war erstaunt und<br />

erfreut: „Wenn man solche Sprachrohre<br />

kennt und zu nutzen weiß, ist <strong>die</strong>s ein<br />

erster wichtiger Schritt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Implementierung<br />

von Diversity-Maßnahmen.“<br />

Messbar war <strong>die</strong>se Wirkung erstmals<br />

beim Thema Deutschkurse, wo sich<br />

auf einen entsprechenden Aushang<br />

zunächst nur zwei Mitarbeiter angemeldet<br />

hatten. Mithilfe der „Sprachrohre“ waren<br />

es am Ende 60 Mitarbeiter – ein enormer<br />

Fortschritt findet der junge Geschäftsmann.<br />

Hintergrund sei, dass Mitarbeiter<br />

generell nur ungern Wissenslücken zu -<br />

gäben, weil sie Nachteile <strong>für</strong>chten. Es<br />

brauche also eine Vertrauensperson,<br />

erklärt Kai Teckentrup, <strong>die</strong> vermitteln<br />

kann, dass <strong>die</strong>ser Schritt wirklich Vorteile<br />

biete und keine Nachteile nach sich ziehe.<br />

Für ihn ist das Beispiel Deutschkurse auch<br />

hervorragend geeignet, um folgenden<br />

Punkt zu verdeutlichen: Diversity-Maßnahmen<br />

sind sehr effektiv und dazu billig.<br />

„Es kostet mehr, sich mit diversity nicht<br />

auseinanderzusetzen als es zu tun.“ Überhaupt<br />

<strong>die</strong> Sprachkenntnisse: Heute, wo<br />

Schätzt Offenheit und Wertschätzung: Geschäftsführer Kai Teckentrup.<br />

Foto: Kai Teckentrup GmbH & Co. KG


es in Deutschland Richtung Vollbeschäftigung<br />

gehe, sei er mehr denn je darauf<br />

angewiesen, dass <strong>die</strong> Migranten in seinem<br />

Betrieb besser Deutsch lernen – sonst gingen<br />

sie <strong>für</strong> den Pool möglicher interner<br />

Aufsteiger verloren. Auch von außerhalb<br />

dränge das Thema in den Betrieb. Arbeiter<br />

und Fachkräfte haben in Ostwestfalen-Lippe<br />

immer häufiger einen ausländisch<br />

klingenden Namen, der Anteil von<br />

Einwohnern mit Migrationshintergrund<br />

liegt bei rund 25 Prozent, Tendenz steigend.<br />

Fakten, <strong>die</strong> andere Geschäftsleute<br />

in der Region seufzen lassen.<br />

Die Firma Teckentrup sieht in Migranten<br />

ihr Hauptpotenzial. Zur Firmenstrategie<br />

gehört nun, <strong>die</strong>se Diversity-Gruppe<br />

stärker zu integrieren – über Deutschkurse,<br />

aber auch über Wertschätzung. Kai<br />

Teckentrup nimmt das Ergebnis seiner<br />

Umfrage ernst: Vor allem <strong>die</strong> Mitarbeiter<br />

mit Migrationshintergrund fühlten sich<br />

unwohl, teils diskriminiert, weshalb er in<br />

einem zweiten Schritt seine Führungskräfte<br />

da<strong>für</strong> sensibilisierte, wie eine Kul-<br />

tur der Offenheit und Wertschätzung <strong>die</strong>s<br />

ändern kann. Keine leichte Aufgabe,<br />

schließlich hatte sich <strong>die</strong> Ist-Situation über<br />

30, 40 Jahre in den Köpfen eingeschliffen.<br />

„Harte Fakten, wie eine Firmenstrategie,<br />

können sie schnell ändern, nicht<br />

aber <strong>die</strong> Mentalität ihrer Mitarbeiter – das<br />

braucht mindestens fünf Jahre Zeit und<br />

auch dann hat man nur einen Teil seiner<br />

Belegschaft wirklich überzeugt.“ Noch<br />

dazu ist <strong>die</strong> Wirkung von Offenheit und<br />

Wertschätzung nur schwer zu beschreiben.<br />

Der Firmenchef fand ein Bild: „Das<br />

Gefühl ist, wie wenn man an einem Tag<br />

aufsteht, draußen ist es kalt und dunkel,<br />

man will nicht rausgehen. Und dann<br />

macht jemand ein großes Fenster auf und<br />

<strong>die</strong> Sonne scheint rein.“<br />

Dabei ist Teckentrup wichtig zu<br />

betonen, dass er mit seinen Diversity-<br />

Zielen keine Weltverbesserungsstrategie<br />

verfolgt, sondern vielmehr ein ökonomisches<br />

Konzept: Die Produkte seines<br />

Unternehmens seien austauschbar. Ob<br />

ein Kunde kauft oder nicht, hänge vor<br />

allem von der Überzeugungskraft und<br />

Leistung der Mitarbeiter ab, der „Kernressource“<br />

des Betriebs. Und natürlich verkaufe<br />

ein zufriedener und motivierter<br />

Mitarbeiter weitaus effektiver als jemand,<br />

der sich ständig über seine eigene Situation<br />

düstere Gedanken mache. Tecken -<br />

trup versteht sich auf dem Weg der kleinen<br />

Schritte selbst als Vorbild, setzt Zeichen<br />

im Unternehmen, indem er den<br />

Diversity-Gedanken vorlebt, beispielsweise<br />

diskriminierende Witze oder Streitereien<br />

nicht toleriert, kulturelle Besonderheiten<br />

auf Firmenfesten thematisiert<br />

oder sich über <strong>die</strong> unterschiedlichen Feiertage<br />

informiert und dann den entsprechenden<br />

Mitarbeitern dazu in angemessener<br />

Weise gratuliert, wie zum islami-<br />

schen Zuckerfest. Von seinen Führungskräften<br />

verlangt er heute genau das Gleiche,<br />

Offenheit und Wertschätzung gehören<br />

zum Kernelement ihrer Arbeit. Sich<br />

nicht daran zu halten, wäre ein No-Go,<br />

erklärt der Geschäftsführer. Probleme<br />

<strong>die</strong>ser Art gebe es aber nur am Rande:<br />

„Hauptproblem war das Informationsdefizit<br />

meiner Führungskräfte und nicht,<br />

dass sie sich gesperrt hätten.“<br />

Offenheit und Wertschätzung gehören<br />

zum Kernelement der Arbeit bei Teckentrup.<br />

Aus seiner Sicht ist diversity noch viel<br />

zu sehr eine „Stilblüte am Rande“ –<br />

nicht nur im Mittelstand, auch an den<br />

deutschen Hochschulen. Dreimal versuchte<br />

der Unternehmer Abschlussarbeiten<br />

von Stu<strong>die</strong>renden regionaler Hochschulen<br />

zum Thema diversity zu betreuen<br />

– sie scheiterten alle drei daran, dass sich<br />

kein Professor da<strong>für</strong> interessierte. Die Stu<strong>die</strong>renden<br />

dagegen fänden das Thema<br />

durchaus spannend. Kai Teckentrup weiß<br />

<strong>die</strong>s aus seinen Diversity-Management-<br />

Vorlesungen, <strong>die</strong> er seit acht Jahren im<br />

Rahmen der Initiative „Stu<strong>die</strong>rende und<br />

Wirtschaft“ an der Universität Bielefeld<br />

gibt. Die Überzeugungsarbeit geht weiter,<br />

auch in den Produktionshallen. Eine weitere<br />

Mitarbeiterumfrage gab dem Ge -<br />

schäftsführer kürzlich erneut Rückenwind.<br />

Drei Jahre nach der ersten Befragung<br />

reagieren seine deutschen Mitarbeiter<br />

nun sensibler auf ihr Umfeld: Diesmal<br />

gab ein Teil von ihnen an, dass es Probleme<br />

unter Kollegen gebe. Gleichzeitig<br />

war unter den Migranten <strong>die</strong> Zahl derer,<br />

<strong>die</strong> Probleme sahen, gesunken.<br />

&<br />

Ein Interview mit Kai Teckentrup gibt<br />

es im webTV des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />

www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/4<br />

Schwerpunkt<br />

23


Foto: Standout.de<br />

Talentschuppen Ruhrgebiet<br />

Kongress. Das Ruhrgebiet ist ein Schmelztiegel der unterschiedlichsten Menschen,<br />

Kulturen und Religionen. Wie kann man angesichts des viel beschworenen Fachkräftemangels<br />

<strong>die</strong> vorhandene Vielfalt nutzen und Talentschätze heben? Der vom<br />

<strong>Stifterverband</strong> mitorganisierte Kongress „TalentMetropole Ruhr“ versuchte Antwort<br />

zu geben.<br />

VON ROLF-MICHAEL SIMON<br />

Angesichts der heute dichtesten<br />

Hochschullandschaft in Deutschland,<br />

vielleicht gar in Europa, mag<br />

erstaunen, dass es erst 50 Jahre her ist,<br />

dass der Landtag von Nordrhein-Westfalen<br />

im Juli 1961 den Beschluss fasste,<br />

<strong>die</strong> erste Universität im damaligen Kohlenpott<br />

zu errichten. Die Ruhr-Universität<br />

Bochum gab den Startschuss zu<br />

einer atemberaubenden Entwicklung.<br />

Entscheidende Bedeutung gewannen <strong>die</strong><br />

Hochschulgründungen der ersten Jahre<br />

damit, jungen Menschen im Ballungsraum<br />

Ruhrgebiet den Zugang zu akademischer<br />

Bildung zu erschließen, den<br />

<strong>die</strong>se sich sonst nie hätten leisten können.<br />

Erst <strong>die</strong> „Uni um <strong>die</strong> Ecke“ machte<br />

es möglich.<br />

50 Jahre später. Angesichts eines beispiellosen<br />

Strukturwandels, der demografischen<br />

Entwicklung und eines dramatischen<br />

Fachkräftemangels ist das Ruhrgebiet<br />

– seiner Hochschuldichte und der<br />

großen Zahl Stu<strong>die</strong>render zum Trotz –<br />

weiterhin <strong>die</strong> Region der unerschlossenen<br />

Potenziale, der unentdeckten Talente,<br />

auf <strong>die</strong> zu verzichten das Land sich nicht<br />

leisten kann.<br />

Talente fördern<br />

Nejla Akan hätte beinahe dazugehört.<br />

Mit sieben kam sie hierher, Asylbewerberin.<br />

Die Mutter: Analphabetin, der<br />

Vater: Arbeiter mit drei Jahren Schulbesuch,<br />

Unterbringung: ein Asylbewerberheim,<br />

intellektuelle Anregung: Fehlan-<br />

zeige. Das junge Mädchen absolviert<br />

Grundschule und Hauptschule. Und<br />

dann macht der Leiter der Diakonie sie<br />

mit dem Gedanken vertraut, dass es ein<br />

Weiterlernen nach dem Hauptschulabschluss<br />

geben könne. „Ich wusste gar<br />

nicht, was ein Abitur war – oder gar ein<br />

Stipendium“, gibt sie heute freimütig<br />

lächelnd zu. Die START-Stiftung ermöglichte<br />

Nejla Akan das Abitur, heute stu<strong>die</strong>rt<br />

sie an der TU Dortmund und will<br />

Lehrerin werden. Um ihren Schülern <strong>die</strong><br />

Möglichkeiten zu eröffnen, von denen<br />

sie damals nichts erfahren hat. Und so<br />

deren Talente zu erschließen, zu fördern.<br />

Sie weiß: „Ich muss Dolmetscherin<br />

werden – zwischen den Eltern und<br />

den Lehrern.“<br />

24 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


Tauschten sich im Audimax der Fachhochschule Gelsenkirchen über Talentschätze im Ruhrgebiet aus (v. l.): Dunja Hayali (ZDF-Moderatorin),<br />

Christiane Bainsky (Leiterin Hauptstelle RAA NRW), Ralf Blauth (Personalvorstand und Arbeitsdirektor Evonik Industries AG), Svenja Schulze<br />

(Ministerin <strong>für</strong> Innovation, <strong>Wissenschaft</strong> und Forschung in NRW), Volker Meyer-Guckel (stellvertretender Generalsekretär des Stifterver -<br />

bandes), Michael Schmidt (Mitglied des Vorstandes der BP Europe SE), Erich Staake (Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG und<br />

Ko-Moderator des Initiativkreises Ruhr) und Bernd Kriegesmann (Präsident der Fachhochschule Gelsenkirchen).<br />

Als Nejla Akan <strong>die</strong>se, ihre Geschichte<br />

erzählte, wurde es ziemlich still im neuen<br />

AudiMax der Fachhochschule Gelsenkirchen<br />

bei dem vom <strong>Stifterverband</strong> mitveranstalteten<br />

Kongress „TalentMetropole<br />

Ruhr“. Einvernehmen bestand unter den<br />

hochkarätigen Teilnehmern vom Start<br />

weg, dass bessere Förderung unumgänglich<br />

ist, „weil wir sonst in Zukunft Probleme<br />

haben werden“, wie Moderatorin<br />

Dunja Hayali (ZDF) feststellte, <strong>die</strong> souverän<br />

durch den Tag führte. Und eine<br />

Wortschöpfung besonderer Art vorschlug:<br />

„Da ja kaum jemand den gleichwohl viel<br />

strapazierten Begriff Migrationshintergrund<br />

mag – warum sagt man nicht besser<br />

Migrationsvordergrund ...?“<br />

Hayali selbst musste nicht als<br />

Talent „entdeckt“ werden, ihre Eltern<br />

drängten darauf, dass sie Abitur und Studium<br />

absolvierte. Aber was ist mit den<br />

ungezählten anderen, <strong>die</strong> nicht <strong>die</strong>sen<br />

Anstoß erhalten? Nur 17 Prozent der Kinder<br />

aus Arbeiterfamilien streben eine akademische<br />

Laufbahn an. Auch hier Einigkeit:<br />

Die Suche nach besonderen Begabungen<br />

darf nicht erst in der gymnasialen<br />

Oberstufe beginnen, sondern idealerweise<br />

bereits im Kindergarten – aber: Danach<br />

muss sie auch konsequent weitergeführt<br />

werden. Das Gesamtsystem und alle<br />

Akteure müssen ebenso sensibilisiert werden<br />

wie <strong>die</strong> Gesamtgesellschaft, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s<br />

(immer) noch nicht als Herausforderung<br />

erkannt hat. Dazu gehört ebenfalls, so <strong>die</strong><br />

jungen Teilnehmer der Tagung, der<br />

Appell an Jugendliche, <strong>die</strong> vorhandenen<br />

Angebote auch wahrzunehmen. „Alles<br />

steht und fällt mit der Einstellung der<br />

handelnden Personen“, resümierte Mi -<br />

chael Schmidt, Vorstandsmitglied des Mitveranstalters<br />

BP. Zu denen speziell in Mi -<br />

grantenfamilien <strong>die</strong> Eltern gehören, <strong>die</strong><br />

meist über <strong>die</strong> Zukunft der nächsten<br />

Generation entscheiden. Sie „abzuholen“,<br />

sie zu ermutigen, ihren Kindern neue<br />

Wege zu weisen, wäre ein entscheidender<br />

Schritt, <strong>die</strong> gerade im Ruhrgebiet vorhandene<br />

Vielfalt zu nutzen und verborgene<br />

Talentschätze zu heben.<br />

Hemmschwellen abbauen<br />

All das kostet Zeit und Geld, darauf wies<br />

Volker Meyer-Guckel hin, der stellvertretende<br />

Generalsekretär des <strong>Stifterverband</strong>es.<br />

Er appellierte zudem an <strong>die</strong> Politik,<br />

<strong>die</strong> Bemühungen der Hochschulen, neue<br />

Schichten <strong>für</strong> ein Studium zu erschließen,<br />

entsprechend zu honorieren. Zumal jeder<br />

Euro, der gerade hier in <strong>die</strong> Bildung fließt,<br />

wo Abitur und Studium nicht (noch<br />

nicht?) selbstverständlich sind, hervorragend<br />

investiertes Geld ist. Dass bereits<br />

einiges, zumindest ansatzweise, auf den<br />

Weg gebracht wurde, wusste Bernd Kriegesmann<br />

zu berichten, Präsident der FH<br />

Gelsenkirchen. Nur 30 Prozent seiner Stu<strong>die</strong>renden<br />

kommen mit dem „klassischen“<br />

gymnasialen Abitur an <strong>die</strong> Hochschule,<br />

aber mehr als zwei Drittel quasi „auf<br />

Umwegen“. Hier in Gelsenkirchen werden<br />

systematisch Hemmschwellen abund<br />

Einstiegsförderung aufgebaut. Dazu<br />

gehören auch duale Stu<strong>die</strong>ngänge, <strong>die</strong><br />

betriebliche Berufsausbildung mit Hochschulstudium<br />

verbinden. Sie eröffnen<br />

zudem Unternehmen neue Chancen, qualifizierten<br />

und motivierten Nachwuchs an<br />

sich zu binden. Kriegesmann ging noch<br />

einen Schritt weiter – mit einer Fachkräftegarantie<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Region: „Jedem Unternehmen,<br />

das sich mit uns in dualen Stu<strong>die</strong>ngängen<br />

engagieren will, garantieren<br />

wir entsprechende Stu<strong>die</strong>nplätze. Kein<br />

Unternehmen muss dann mehr den drohenden<br />

Fachkräftemangel <strong>für</strong>chten!“<br />

Ein weiteres Fazit des Kongresses:<br />

Das Ruhrgebiet darf im Bildungsbereich<br />

nicht nur Defizite beklagen (lassen),<br />

sondern muss aktiv <strong>die</strong> vorhandenen<br />

Potenziale heben und nutzen, muss<br />

Talentförderung zum Markenzeichen<br />

machen, Perspektiven und ein Klima<br />

schaffen, das zum Bleiben motiviert. Ein<br />

solches branding soll zum Zukunftsthema<br />

<strong>für</strong> den Initiativkreis Ruhrgebiet werden,<br />

wie dessen Ko-Moderator Erich Staake<br />

ankündigte.<br />

&<br />

Mehr Infos zum Kongress im Internet:<br />

www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/7<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong> 25


Wege zu mehr Innovation<br />

Kooperationen. Erfolgreiche Innovationen erfordern eine intensive Zusammenarbeit zwischen<br />

Wirtschaft und <strong>Wissenschaft</strong>. Doch welche Formen der Partnerschaft sind sinnvoll und<br />

wie passt hier der Gedanke einer unabhängigen <strong>Wissenschaft</strong> hinein? Die Konferenz „Enterprising<br />

Knowledge“ in der Britischen Botschaft Berlin setzte genau hier an.<br />

VON SUSANNE WEISS<br />

Arend Oetker, Präsident des <strong>Stifterverband</strong>es, bei seiner<br />

Rede.<br />

Wie so vieles Neue kommt auch<br />

ein besonders innovatives Zauberwort<br />

aus Kalifornien. An<br />

einer Business-School in Berkeley erkannte<br />

man, dass steigender Wettbewerb<br />

in der Globalisierung und kürzere Produktlebenszyklen<br />

einen enormen Druck<br />

erzeugen, schnell genug mit pfiffigen<br />

Der Britische Botschafter Simon McDonald (li.) im<br />

Gespräch.<br />

oder bahnbrechenden Dingen auf dem<br />

Markt zu sein. Nun ist es vielleicht kein<br />

Zufall, dass der Begriff open innovation<br />

an der US-amerikanischen Westküste das<br />

Licht der Welt erblickte, einer Gegend, in<br />

der man über gewisse Erfahrungen damit<br />

verfügt, wie man neue Erfindungen zu<br />

Geld macht.<br />

Referent Gordon Murray, University of Exeter<br />

Business School.<br />

„Innovationen zu Geld machen“ könnte<br />

man übersetzen mit enterprising know -<br />

ledge, und genau so hieß eine zweitägige<br />

Konferenz, <strong>die</strong> der <strong>Stifterverband</strong><br />

Mitte Juni <strong>2011</strong> zusammen mit der Britischen<br />

Botschaft in Berlin durchführte.<br />

Erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen<br />

Wirtschaft und <strong>Wissenschaft</strong>, Kern-<br />

26 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Fotos: David Ausserhofer


thema des <strong>Stifterverband</strong>es, betrifft aber<br />

längst nicht mehr nur klassische institutionelle<br />

Partnerschaften zwischen<br />

Unternehmen und Hochschule.<br />

Die Instrumente verfeinern sich,<br />

verästeln sich genau wie <strong>die</strong> sich ständig<br />

überlagernden und neu verknüpfenden<br />

Ströme von Kommunikation, <strong>die</strong><br />

heute <strong>die</strong> Welt umkreisen. „Nationale<br />

Grenzen verlieren ihre Bedeutung“, sagt<br />

Andrea Frank vom <strong>Stifterverband</strong>, „Partner<br />

findet man heute auf der ganzen<br />

Welt.“ Innovationen ebenfalls. Frank<br />

identifiziert <strong>die</strong> wichtigen Fragen:<br />

„Worüber denken Unternehmen nach,<br />

um ihre Innovationen zu beschleunigen,<br />

und welche Rolle spielt dabei <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>?“<br />

Wagenburgmentalität<br />

In Forschung und Entwicklung zu<br />

investieren, um <strong>die</strong> Produktion zu optimieren,<br />

ist nur <strong>die</strong> halbe Miete, warnen<br />

aber Experten wie Jonathan Haskel vom<br />

Imperial College in London. Und Joachim<br />

von Heimburg, Leiter eines großen<br />

industriellen Innovationsprogramms<br />

in Saudi-Arabien, betont, wie<br />

wichtig „Investitionen“ in eine innovationsfördernde<br />

Unternehmenskultur<br />

sind – auch wenn sich derlei nicht binnen<br />

Jahresfrist in der Bilanz niederschlägt.<br />

Eine Wagenburgmentalität, <strong>die</strong><br />

Mauern um Besitzstände zieht, wird<br />

jedes Unternehmen irgendwann vom<br />

lebensnotwendigen Blutkreislauf der<br />

internationalen, dezentralen und antihierarchisch<br />

zirkulierenden Ideen und<br />

der dazugehörenden Kommunikation<br />

abschneiden, weiß Theun Baller vom<br />

niederländischen Elektroriesen Philips,<br />

der längst <strong>die</strong> strategische Nutzung der<br />

Außenwelt in <strong>die</strong> Unternehmensphilosophie<br />

aufgenommen hat, um Innovationen<br />

zu Geld zu machen: open innovation.<br />

Gefährte der neuen Philosophie,<br />

und als Begriff ebenfalls gerade fünf<br />

Jahre alt, ist crowdsourcing. Es beschreibt<br />

ein Innovationsmodell, in dem Unternehmen<br />

ihre ungelösten Fragen potenziellen<br />

Forschern weltweit zugänglich<br />

machen und zur Entwicklung von<br />

Lösungsansätzen auffordern. So kann,<br />

erleichtert durch das Internet, Wissen<br />

weltweit mobilisiert werden.<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Bei soviel Offenheit lässt der Schmerzensschrei<br />

aus <strong>Wissenschaft</strong> und Wirtschaft<br />

nicht lange auf sich warten: Diebstahl,<br />

Spionage, unlauterer Wettbewerb,<br />

<strong>die</strong> Grundprinzipien der Forschung<br />

erschüttert. Derlei Sorgen beruhen auf<br />

einer Verwechslung, beruhigt Baller <strong>die</strong><br />

Zweifler: „Open innovation ist nicht dasselbe<br />

wie open source.“ Enterprising<br />

knowledge in einer grenzenlosen Welt<br />

heißt nicht, in einen rechtsfreien Raum<br />

hineinzusteuern. „Man muss den Rahmen<br />

definieren, der das Interesse der<br />

Unternehmen an den Schutzrechten und<br />

das Publikationsinteresse der <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

gleichermaßen berücksichtigt“,<br />

sagt Andrea Frank. Nach adäquaten Formen<br />

der Verständigung ist man nach wie<br />

vor auf der Suche.<br />

Wenn auch eine aktuelle Stu<strong>die</strong><br />

des <strong>Wissenschaft</strong>szentrums <strong>für</strong> Sozialforschung<br />

(WZB) in Berlin zeigt, dass deutsche<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ler innovationsscheu<br />

sind und Erfindungen im akademischen<br />

Wettbewerb keine Reputation bringen,<br />

scheint sich in manchen Bereichen <strong>die</strong><br />

Lage doch insgesamt zu entspannen, ist<br />

Monika Lessl überzeugt. Lessl ist Leiterin<br />

der Abteilung Alliance Management<br />

Global Innovation Sourcing beim Pharmakonzern<br />

Bayer. „<strong>Wissenschaft</strong>ler haben<br />

inzwischen mehr Interesse an der Entwicklung<br />

von Produkten.“ Dass aber auch<br />

Firmen sich öffnen müssen, hält sie <strong>für</strong><br />

unumgänglich. „Bei alledem sollte man<br />

aber keinesfalls so tun, als gäbe es keinen<br />

Unterschied und keine Interessenkonflikte<br />

zwischen <strong>Wissenschaft</strong> und Wirtschaft“,<br />

beschreibt sie eine Grundlage<br />

guter Zusammenarbeit. „Wenn man offen<br />

über Ziele und Beweggründe spricht,<br />

kann jeder bleiben, wer er ist, und muss<br />

keine Abgrenzungsrituale fahren.“ Doch<br />

auch in der Welt globaler Kommunikation<br />

und Kooperation sei eines besonders<br />

wichtig: Der direkte persönliche Kontakt.<br />

„Nur dadurch entsteht Vertrauen.“ Das<br />

ist auch in Großbritannien, Gastgeberland<br />

der Konferenz, nicht anders, wie<br />

Ursula Roos, Senior Science and Innovation<br />

Adviser an der Britischen Botschaft,<br />

betont.<br />

Blick auf deutsche Stärke<br />

Beim Thema Innovation sieht sie aber<br />

durchaus kulturelle Unterschiede, <strong>die</strong><br />

sich ihrer Meinung nach gut ergänzen:<br />

„Deutschland ist gut in der ständigen<br />

Optimierung von Produkten und Prozessen,<br />

also der inkrementellen Innovation,<br />

<strong>die</strong> Briten stehen radikalen Neuerungen<br />

aufgeschlossener gegenüber“ –<br />

auch bei Innovationen in der <strong>Wissenschaft</strong>spolitik.<br />

Technologietransfer zwischen<br />

<strong>Wissenschaft</strong> und Wirtschaft wird<br />

groß geschrieben und durch guten<br />

Zugang zu Risikokapital gefördert.<br />

Der ökonomische Blick Großbritanniens<br />

richtet sich aber interessiert auf<br />

etwas, was man als spezielle deutsche<br />

Stärke und durchaus mit Bewunderung<br />

sieht: den starken Mittelstand. Nun gilt<br />

„In Forschung und Entwicklung zu investieren, um <strong>die</strong><br />

Produktion zu optimieren, ist nur <strong>die</strong> halbe Miete.“<br />

Jonathan Haskel, Imperial College London<br />

aber gerade der als innovationsfeindlich,<br />

provinziell und unfähig, dem stetig wachsenden<br />

Globalisierungsdruck standzuhalten.<br />

Der Bielefelder Wirtschaftshistoriker<br />

Werner Abelshauser hat genauer<br />

hingeschaut: „Für <strong>die</strong> deutsche Wirtschaft<br />

ist <strong>die</strong> regionale Verbundwirtschaft<br />

typisch. Das sind Cluster meist mittelständischer<br />

Unternehmen, <strong>die</strong> eng<br />

zusammenwirken, um <strong>für</strong> den Weltmarkt<br />

zu produzieren. Sie sind gegenseitig<br />

Zulieferer, Problemlöser und tauschen<br />

Innovationen und technologisches<br />

Know-how aus.“<br />

California dreaming auf schwäbisch,<br />

ostwestfälisch und hessisch ...<br />

&<br />

Einen Film zur Konferenz finden Sie im<br />

webTV des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />

www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/5<br />

Initiativen<br />

27


Süddeutschland stark<br />

Stu<strong>die</strong>. Die Forschungskapazitäten der Wirtschaft<br />

verteilen sich nach einer aktuellen Untersuchung des<br />

<strong>Stifterverband</strong>es <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

immer ungleicher auf <strong>die</strong> Bundesländer.<br />

Die Aufwendungen der deutschen<br />

Unternehmen <strong>für</strong> Forschung und<br />

Entwicklung (FuE) konzentrieren<br />

sich auf Baden-Württemberg, Bayern und<br />

Hessen. Die drei in der Industrieforschung<br />

führenden süddeutschen Bundesländer<br />

konnten zwischen 1999 und 2009 ihre<br />

hohen FuE-Quoten nochmals steigern.<br />

Während in Bayern und Hessen mittlerweile<br />

rund 2,4 Prozent des jeweiligen<br />

Bruttoinlandsprodukts (BIP) <strong>für</strong> FuE der<br />

Wirtschaft ausgegeben werden (vormals<br />

2,1 beziehungsweise 2,2 Prozent), liegen<br />

<strong>die</strong> Unternehmen Baden-Württembergs<br />

einsam an der Spitze: Von 3,0 auf 3,8 Prozent<br />

stieg <strong>die</strong> Quote des Wirtschaftssektors<br />

im Ländle während <strong>die</strong>ser Dekade. Das<br />

ergibt eine aktuelle Analyse des <strong>Stifterverband</strong>es<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong>.<br />

Die Konzentration der FuE-Aufwendungen<br />

wird durch sogenannte Clustereffekte<br />

vorangetrieben. Dort, wo <strong>die</strong><br />

Unternehmen bereits seit Langem hohe<br />

Forschungsausgaben tätigen, ist eine<br />

<strong>Wissenschaft</strong>sinfrastruktur entstanden,<br />

<strong>die</strong> weitere Investitionen „geradezu magnetisch<br />

anzieht“, erläutert Stu<strong>die</strong>nautor<br />

Bernd Kreuels von der <strong>Wissenschaft</strong>sstatistik<br />

im <strong>Stifterverband</strong>. „Was der<br />

Analyst als Pareto-Verteilung bezeichnet,<br />

erklärt der Volksmund als ‚Der Teufel<br />

hofiert immer den größten Haufen‘<br />

– oder schlicht money makes money“, so<br />

Kreuels.<br />

Stiftungen unterstützen Journalisten<br />

Me<strong>die</strong>nanalyse. Eine<br />

Stu<strong>die</strong> der TU Dortmund<br />

und der University of<br />

Wisconsin-Madison<br />

ergab: US-Stiftungen<br />

fördern journalistische<br />

Kommunikation mit<br />

100 Millionen Dollar<br />

pro Jahr.<br />

Um den Qualitätsjournalismus im<br />

eigenen Land zu unterstützen,<br />

hat der gemeinnützige Sektor in<br />

den USA in den vergangenen zehn Jahren<br />

über eine Milliarde Dollar investiert.<br />

Das ist das Ergebnis einer aktuellen<br />

Stu<strong>die</strong> der University of Wisconsin-<br />

Madison, <strong>die</strong> der Lehrstuhl <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus<br />

an der TU Dortmund<br />

in Auftrag gegeben hat. Demnach belaufen<br />

sich <strong>die</strong> Fördermittel <strong>für</strong> journalistische<br />

Arbeit auf jährlich rund 100 Millionen<br />

Dollar. Ausgangspunkt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong><br />

war <strong>die</strong> Frage, ob und wie <strong>die</strong> internationale<br />

Finanz- und Wirtschaftskrise das<br />

Me<strong>die</strong>nsystem verändert hat. Kann der<br />

Journalismus seine ihm zugeschriebene<br />

Kritik- und Kontrollfunktion in der Demokratie<br />

noch erfüllen? Welche Rolle spielt<br />

hier der gemeinnützige Sektor und wo liegen<br />

<strong>die</strong> Grenzen der Stiftungsfinanzierung<br />

von journalistischer Arbeit? In den USA,<br />

wo Finanz- und Me<strong>die</strong>nkrise härter ausgefallen<br />

sind als in Europa, haben sich – so<br />

das zentrale Ergebnis der Stu<strong>die</strong> – neue<br />

Modelle <strong>für</strong> Qualitätsjournalismus entwickelt.<br />

Diese Modelle werden größtenteils<br />

von Stiftungen und Non-Profit-Organisationen<br />

getragen und lassen den Journalisten<br />

viel Freiraum <strong>für</strong> neue Ideen. Das<br />

wirkt sich unter anderem positiv auf den<br />

investigativen Journalismus und <strong>die</strong> lokale<br />

28 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


FuE-Quoten der drei führenden Bundesländer (in Prozent).<br />

Berichterstattung aus. Fördermittel halfen<br />

außerdem dabei, neue technische Möglichkeiten<br />

zu entwickeln und Ausbildungszentren<br />

<strong>für</strong> Journalisten aufzubauen.<br />

Initiator der Stu<strong>die</strong> war der Lehrstuhl<br />

<strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalistik an der<br />

TU Dortmund. Seit 2008 ist hier auch <strong>die</strong><br />

Geschäftsstelle der Initiative <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus<br />

ansässig, eine vom<br />

<strong>Stifterverband</strong>, der Robert Bosch Stiftung<br />

und BASF unterstützte Initiative zur Stärkung<br />

des Qualitätsjournalismus in<br />

Deutschland.<br />

&<br />

www.wissenschaftsjournalismus.org<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Regeln wahren<br />

Unabhängigkeit<br />

Der <strong>Stifterverband</strong> hat Empfehlungen zur Zusammenarbeit<br />

von Hochschulen und Unternehmen bei der<br />

Errichtung von Stiftungsprofessuren veröffentlicht. Der<br />

sogenannte code of conduct soll dazu <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> Unabhängigkeit<br />

der Hochschule zu wahren und <strong>die</strong> Freiheit<br />

von Forschung und Lehre zu gewährleisten. Er empfiehlt<br />

unter anderem, dass sich Hochschulen und Förderer<br />

einvernehmlich über das zu bearbeitende Forschungsfeld<br />

verständigen. Der Geldgeber hat dabei keinen<br />

Einfluss auf Forschung und Lehre sowie <strong>die</strong> Veröffentlichung<br />

von Forschungsergebnissen. Die Kritik<br />

an Stiftungsprofessuren kann Andreas Schlüter, Generalsekretär<br />

des <strong>Stifterverband</strong>es, nicht nachvollziehen.<br />

„Die private Finanzierung ermöglicht es den Hochschulen<br />

erst, sich neue Forschungsgebiete zu erschließen“,<br />

sagt Schlüter. Er macht allerdings auch klar, dass<br />

Stiftungsprofessuren kein Instrument zur Durchführung<br />

von Auftragsforschung sind. „Andere Formen der<br />

Kooperation zwischen Wirtschaft und <strong>Wissenschaft</strong><br />

folgen anderen Regeln. Die Kooperationspartner sind<br />

gut beraten, <strong>die</strong> unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit<br />

separat zu regeln“, empfiehlt Schlüter.<br />

Download des code of conduct unter:<br />

www.stiftungsprofessuren.de<br />

Initiativen<br />

Foto: Hemera/Thinkstock.ocm<br />

29


Jagd nach Plagiaten*<br />

*<strong>Wissenschaft</strong>. Plagiate sind das<br />

Gegenteil von selbstständiger<br />

wissenschaftlicher Arbeit – und<br />

deshalb im <strong>Wissenschaft</strong>s betrieb<br />

nicht gerne gesehen. Es<br />

gibt sie aber dennoch, wie meh -<br />

rere prominente Fälle in der ersten<br />

Jahreshälfte gezeigt haben.<br />

Die deutschen Hochschulen<br />

suchen jetzt verstärkt nach Mitteln<br />

und Wegen, Ab schreibern<br />

auf <strong>die</strong> Schliche zu kommen.<br />

Eine Bestandsaufnahme.<br />

VON KLAUS FECHNER<br />

Plagiatsjäger stehen hoch im Kurs.<br />

So hat <strong>die</strong> Internetplattform „GuttenPlag<br />

Wiki“ kürzlich einen<br />

Grimme Online Award gewonnen. Die<br />

Macher hatten wesentlich zur Aufdeckung<br />

der Plagiate in der Doktorarbeit des Ex-<br />

Verteidigungsministers zu Guttenberg beigetragen.<br />

Auch <strong>die</strong> Verantwortlichen an<br />

den deutschen Hochschulen haben den<br />

Kampf gegen Plagiate aufgenommen. Sie<br />

überlegen und diskutieren Maßnahmen,<br />

<strong>die</strong> das Abschreiben erschweren.<br />

Im Mittelpunkt steht dabei „das<br />

öffentliche Vertrauen in <strong>die</strong> Verfahren<br />

der <strong>Wissenschaft</strong>“, wie Markus Steinmayr,<br />

Geschäftsführer des Promovierenden-Forums<br />

an der Universität Duisburg-<br />

Essen, betont. Denn er be<strong>für</strong>chtet <strong>die</strong><br />

„Erosion der Aussagekraft“ und eine Ent-<br />

leerung des „Markenkerns“ des Doktortitels.<br />

Unterstützung erhält Steinmayr<br />

vom Präsidenten des <strong>Deutsche</strong>n Hochschulverbandes,<br />

Bernhard Kempen.<br />

Wichtig sei, <strong>die</strong> überwältigende Mehrzahl<br />

der Stu<strong>die</strong>renden, <strong>die</strong> sich ihren akademischen<br />

Abschluss auf sehr mühevolle<br />

Weise erarbeiten, zu schützen. „Sie und<br />

ihre Leistung dürfen nicht diskreditiert<br />

werden“, sagt Kempen.<br />

Ethisches Bewusstsein<br />

Um Plagiate zu verhindern, müssen Stu<strong>die</strong>rende<br />

in den ersten Semestern nicht<br />

nur wissenschaftliche Technik und Methodik<br />

lernen, sondern mehr als bisher wissenschaftliche<br />

Kultur und ethisches<br />

Bewusstsein vermittelt bekommen, so<br />

Kempen. Außerdem fordert er den Einsatz<br />

von technischen Hilfsmitteln wie Plagiatserkennungssoftware.<br />

Diesen Weg geht<br />

auch <strong>die</strong> TU Dresden. Dort sind Stichproben<br />

geplant, wie Rektor Hans Müller-<br />

Steinhagen bestätigt: „Wir wollen in<br />

Zukunft stichprobenartig Arbeiten auswählen<br />

und scannen. Somit besteht <strong>für</strong><br />

jeden Einzelnen das Risiko, dass <strong>die</strong> eigene<br />

Arbeit durchgeschaut werden könnte.“<br />

Viel Erfahrung mit dem Einsatz<br />

einer entsprechenden Software gibt es an<br />

der PH Freiburg. Dort besteht seit dem<br />

Wintersemester 2009 <strong>für</strong> alle Stu<strong>die</strong>renden<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit, ihre wissenschaftlichen<br />

Arbeiten in elektronischer Form<br />

einzureichen und untersuchen zu lassen.<br />

Die Texte werden automatisch mit<br />

Onlinequellen verglichen und auf Übereinstimmungen<br />

geprüft. Das erfolgreiche<br />

Pilotprojekt, das der <strong>Stifterverband</strong><br />

im Frühjahr mit der Hochschulperle ausgezeichnet<br />

hat, ist inzwischen in den<br />

Regelbetrieb übergegangen. Projektleiterin<br />

Kerstin Eleonora Kohl kennt aber<br />

auch <strong>die</strong> Grenzen <strong>die</strong>ses Ansatzes: Lei-<br />

der übersehe <strong>die</strong> Software viele abgekupferte<br />

Textstellen. Insbesondere interne<br />

Dokumente werden oft nicht im Internet<br />

publiziert. Auch leicht veränderte<br />

Übersetzungen ausländischer Texte seien<br />

vom Computer kaum zu entdecken.<br />

Auf technische Hilfsmittel ist also<br />

nur bedingt Verlass. Es muss mehr<br />

geschehen, um eine bessere Qualitätssicherung<br />

zu gewährleisten. Das weiß auch<br />

Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität<br />

zu Berlin. Er sieht in<br />

der öffentlichen Diskussion sogar etwas<br />

Positives. Die bisherigen Versuche, das<br />

Promotionswesen zu reformieren, würden<br />

nun forciert, <strong>die</strong> Verantwortlichen<br />

seien jetzt „aufgeschreckt“. Dazu gehört<br />

aus seiner Sicht auch das Schaffen einer<br />

fakultätsübergreifenden Rahmenpromotionsordnung.<br />

Die einzelnen Fakultäten<br />

müssten dann ihre eigenen Promotionsordnungen<br />

<strong>die</strong>sem Rahmen anpassen.<br />

Abhängigkeiten vermeiden<br />

Schon seit einigen Jahren gibt es an deutschen<br />

Hochschulen das Instrument der<br />

strukturierten Promotion. Die Promotionsphase<br />

wird dabei sinnvoll gegliedert<br />

und es stehen den Doktoranden mehrere<br />

Betreuer zur Seite. Markus Steinmayr<br />

(Universität Duisburg-Essen) sieht darin<br />

unter anderem den Versuch, „das Meister-<br />

Schüler-Verhältnis durch ein Betreuungsverhältnis<br />

zwischen verschiedenen Personen<br />

zu ersetzen“. Der Promovend ist<br />

nicht mehr von einem einzelnen Doktorvater<br />

oder einer Doktormutter abhängig.<br />

Die TU München hat an ihrer Graduate<br />

School einen weiteren Mechanismus<br />

eingeführt, um Plagiate zu erschweren.<br />

Alle Absolventen müssen Teile ihrer<br />

Arbeit international veröffentlichen, entweder<br />

in Fachjournalen oder auf Konferenzen.<br />

Sie stellen sich so einer unabhän-<br />

30 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


Foto: Robert Kneschke/Fotolia.com<br />

„Wir wollen in Zukunft stichprobenartig einige Arbeiten<br />

auswählen und scannen. Somit besteht <strong>für</strong> jeden<br />

Einzelnen das Risiko, dass <strong>die</strong> eigene Arbeit durchgeschaut<br />

werden könnte.“<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Hans Müller-Steinhagen, Rektor TU Dresden<br />

gigen Begutachtung. Für Ernst Rank, dem<br />

Direktor der TUM Graduate School, ist<br />

„kaum vorstellbar, dass ein Plagiat nicht<br />

erkannt und nicht zurückgewiesen<br />

würde“.<br />

Gründlichere Schulung<br />

Da es in den meisten Promotionsordnungen<br />

keine Verjährungsfristen <strong>für</strong> das Aufdecken<br />

von Plagiaten gibt, können auch<br />

noch Jahre später rechtliche Maßnahmen<br />

ergriffen werden, wie der Präsident der<br />

Universität Bayreuth, Rüdiger Bormann,<br />

betont: „Die Doktoranden müssen dauernd<br />

damit konfrontiert werden, dass ihre<br />

Vergehen nicht unerkannt bleiben und<br />

entsprechende Konsequenzen gezogen<br />

werden.“ Markus Steinmayr fordert darüber<br />

hinaus, in den Promotionsordnungen<br />

Sanktionen zu formulieren: „An der Universität<br />

Duisburg-Essen diskutieren wir<br />

beispielsweise, ob man von der ehrenwörtlichen<br />

Erklärung wegkommt und aus Plagiaten<br />

eine Ordnungswidrigkeit macht.“<br />

Damit hätte <strong>die</strong> Universität <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

Bußgelder zu erheben.<br />

Die Verantwortlichen an den<br />

Hochschulen haben das Problem der Plagiate<br />

erkannt und Maßnahmen auf den<br />

Weg gebracht: eine gründlichere Schulung<br />

beim Verfassen wissenschaftlicher<br />

Arbeiten, Einsatz elektronischer Hilfsmittel,<br />

mehr Gutachter, strukturelle<br />

Änderungen beim Erarbeiten einer Promotion<br />

und Strafandrohungen bis hin<br />

zum Bußgeld. Wie erfolgreich <strong>die</strong> Jagd<br />

nach Plagiaten sein wird, bleibt abzuwarten.<br />

&<br />

Einen Podcast zum Thema gibt es auf der<br />

Webseite des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />

www.stifterverband.info/<strong>wuw</strong>/6<br />

Initiativen<br />

31


„Wir beobachten <strong>die</strong><br />

Wirkung sehr genau“<br />

Programmarbeit. Die Mittel des <strong>Stifterverband</strong>es sollen eine größtmögliche Wirkung entfalten.<br />

Deshalb sichert der <strong>Stifterverband</strong> mit vielen Instrumenten <strong>die</strong> Qualität seiner<br />

Arbeit. Ein Gespräch mit Volker Meyer-Guckel, Programmleiter des <strong>Stifterverband</strong>es, über<br />

professionelle Förderarbeit, minimale Bürokratie und gesellschaftliche Resonanz.<br />

Stiftungen wird zuweilen vorgeworfen, ihre Aktivitäten<br />

seien zwar gut gemeint, aber leider nicht gut gemacht. Wie<br />

effektiv arbeitet der Stiftungssektor heute?<br />

Stiftungen arbeiten heute deutlich professioneller<br />

als noch vor einigen Jahren. Wir beim <strong>Stifterverband</strong><br />

definieren Standards <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Professionalisierung,<br />

<strong>die</strong> auch <strong>die</strong> Qualität unserer eigenen Arbeit bestimmen.<br />

Ob wir unserem hohen Anspruch gerecht werden,<br />

ermittelt zurzeit eine wissenschaftliche Stu<strong>die</strong>,<br />

bei der <strong>die</strong> geförderten Partner den <strong>Stifterverband</strong> im<br />

Hinblick auf Innovation, Leistungsfähigkeit und Transparenz<br />

seiner Arbeit bewerten.<br />

Welche Möglichkeiten nutzen Sie darüber hinaus <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Messung der Qualität ihrer Arbeit?<br />

Wir müssen unsere Förderer und Stifter täglich davon<br />

überzeugen, dass unsere Arbeit gut und effizient ist.<br />

Das Wachstum unseres Stiftungszentrums ist ein<br />

deutlicher Vertrauensbeweis <strong>für</strong> unser Qualitätssystem.<br />

Für <strong>die</strong> Programme des <strong>Stifterverband</strong>es gilt<br />

<strong>die</strong>s genauso. Wir finanzieren nur den geringeren<br />

Teil der Programme aus festen Mitgliedsbeiträgen.<br />

Programmbegleitende Qualitätssicherung<br />

Den Großteil der Mittel werben wir bei Unternehmen,<br />

Stiftungen und öffentlichen Geldgebern ein.<br />

Dazu müssen wir sie von der Qualität unserer Projekte<br />

stets aufs Neue überzeugen.<br />

Wie kann man Qualität messen?<br />

Indem man <strong>die</strong> Wirkung seiner Arbeit betrachtet.<br />

Wie ist <strong>die</strong> öffentliche Resonanz, beispielsweise in<br />

den Me<strong>die</strong>n? Gelingt es, Diskussionen anzustoßen?<br />

Die Attraktivität unserer Programme <strong>für</strong> den Hochschulbereich<br />

messen wir unter anderem an der Beteiligungsrate<br />

an unseren Ausschreibungen. Je nach<br />

Thema beteiligt sich ein Drittel bis <strong>die</strong> Hälfte aller<br />

Hochschulen in Deutschland. Für unser Programm<br />

„Exzellente Lehre“ haben sich 105 Hochschulen<br />

beworben, eine herausragende Resonanz.<br />

Eine große Zahl von Anträgen bedeutet aber auch viel<br />

Antragsprosa. Wie sichern Sie <strong>die</strong> Qualität bei der Auswahl<br />

von Anträgen?<br />

Wir führen immer ein mehrstufiges Auswahlverfahren<br />

auf Basis von Peer-Review-Beurteilungen durch.<br />

1. Auswahl 2. Begleitung 3. Abschluss 4. Transfer<br />

• Mehrstufiges<br />

Auswahlverfahren<br />

• Beurteilung durch<br />

Sachverständige<br />

• Öffentliche<br />

Auswahlveranstaltung<br />

• Projektpatenschaften<br />

• Mittelbewilligung nach<br />

externen Evaluationen<br />

• Moderierte<br />

Netzwerkarbeit<br />

• Abschlussberichte<br />

der Geförderten<br />

• Evaluation durch<br />

<strong>die</strong> Programmleiter<br />

• Befragung der Geförderten<br />

nach zwei Jahren<br />

• Öffentliche Veranstaltungen,<br />

Publikationen<br />

• Externe Programm -<br />

wirkungsanalysen<br />

• Ergebnistransfer in politische<br />

Entscheidungszirkel<br />

32 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


Unsere Jurys sind mit deutschen und ausländischen<br />

Persönlichkeiten aus <strong>Wissenschaft</strong> und Wirtschaft<br />

zusammengesetzt, <strong>die</strong> in dem jeweiligen Förderbereich<br />

anerkannte Experten sind. Im ersten Auswahlschritt<br />

werden <strong>die</strong> schriftlich eingereichten Anträge<br />

geprüft und in einer Sitzung <strong>die</strong> besten Anträge <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> zweite Runde ausgewählt. In der zweiten Runde bitten<br />

wir <strong>die</strong> Antragsteller, ihr Projekt persönlich vor der<br />

Jury zu erläutern und sich den kritischen Nachfragen<br />

zu stellen. In <strong>die</strong>sem Kreuzverhör stellt sich schnell<br />

heraus, ob das, was im Antrag beschrieben wird, auch<br />

wirklich an einer Hochschule gelebt wird. Daran ist<br />

schon manche Hochschule gescheitert. Transparenz<br />

ist uns dabei ganz wichtig: Die zweite Runde findet<br />

öffentlich statt, jeder Bürger kann teilnehmen.<br />

Was passiert danach? Es ist ja nicht unüblich, dass der<br />

Elan nach der Bewilligung der Mittel nachlässt.<br />

Wir haben da<strong>für</strong> ein systematisch aufeinander abgestimmtes<br />

Instrumentarium <strong>für</strong> <strong>die</strong> Qualitätssicherung<br />

entwickelt. Das reicht von Projektpatenschaften<br />

durch unsere Jurymitglieder über einen moderierten<br />

Benchmarking-Austausch unter den Geförderten bis<br />

hin zu qualitativen Berichten der Projektpartner zum<br />

Abschluss des Förderzeitraums und zwei Jahre<br />

danach. Wir überprüfen <strong>die</strong> Projektfortschritte zur<br />

Mitte der Förderlaufzeit. Die Bewilligung der zweiten<br />

Förderrate hängt beim <strong>Stifterverband</strong> von der<br />

positiven Einschätzung der Jury über <strong>die</strong> erzielten<br />

Projektfortschritte und <strong>die</strong> absehbare weitere Entwicklung<br />

des Projekts ab. Wenn ein Projekt <strong>die</strong>se<br />

Überprüfung nicht besteht, ziehen wir <strong>die</strong> Konsequenz<br />

und beenden <strong>die</strong> Förderung. Mit <strong>die</strong>ser strikten<br />

Kontrolle ist der <strong>Stifterverband</strong> sicher weiter als<br />

viele andere Stiftungen und auch öffentliche Fördereinrichtungen.<br />

Das klingt alles ziemlich aufwendig.<br />

Ist es aber nicht: Unsere Fördervereinbarungen mit<br />

den Hochschulen beschränken sich auf das absolute<br />

bürokratische Minimum. Die Hochschulen sollen<br />

„Wir haben ein systematisch aufeinander<br />

abgestimmtes Instrumentarium <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Qualitätssicherung entwickelt.“<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Volker Meyer-Guckel, <strong>Stifterverband</strong><br />

sich auf <strong>die</strong> Projekte konzentrieren und nicht auf<br />

Papierkram. Das schätzen <strong>die</strong> Geförderten übrigens<br />

sehr, denn in der öffentlichen Projektförderung<br />

machen sie hier ganz andere, völlig dysfunktionale<br />

und demotivierende Erfahrungen.<br />

Wie können Sie feststellen, ob <strong>die</strong> Wirkung der Förderung<br />

auch über <strong>die</strong> geförderte Institution hinausreicht?<br />

Wir beobachten sehr genau, welche Wirkung unsere<br />

Projekte entfalten. Werden unsere Themen in der<br />

politischen Landschaft aufgegriffen? Werden <strong>die</strong><br />

Modellprojekte an anderen Orten „kopiert“ oder<br />

übertragen? Wir konnten in den letzten Jahren als<br />

Agendasetter viele Erfolge verzeichnen. Nehmen Sie<br />

nur das Thema Hochschullehre, über das vor fünf<br />

Jahren kaum jemand gesprochen hat. Wir haben es<br />

damals mit Fördermaßnahmen auf <strong>die</strong> Agenda<br />

gesetzt. Inzwischen gibt es millionenschwere<br />

öffentliche Förderprogramme <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Lehre. Neun der zehn Hochschulen,<br />

<strong>die</strong> von uns initial gefördert<br />

wurden, waren übrigens nachher<br />

im öffentlichen Förderprogramm<br />

erfolgreich. Ob Spitzencluster-Förderung<br />

oder Hochschulautonomie:<br />

In vielen Themenfeldern<br />

können wir feststellen,<br />

dass <strong>die</strong> Politik unsere<br />

Themen aufgreift und zu ihren<br />

macht. Dann hat der <strong>Stifterverband</strong><br />

seine Ziele erreicht.<br />

INTERVIEW: MARCO TÜRCKER<br />

Foto: Peter Himsel<br />

Initiativen


Foto: Peter Pulkowski<br />

Beim Mainzer <strong>Wissenschaft</strong>ssommer gab es viel Spannendes zu entdecken.<br />

Ausstellung geht unter <strong>die</strong> Haut<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ssommer. Ein Forscherteam aus Kiel macht Hautgesundheit erlebbar und<br />

gewinnt den Publikumspreis „<strong>Wissenschaft</strong> interaktiv“.<br />

Sie atmet, fühlt, reguliert und<br />

schützt: Die Haut ist das größte<br />

Organ des Menschen. Wie sie<br />

funktioniert und wie man sie am besten<br />

pflegt, erklären <strong>die</strong> Dermatologin<br />

Regina Fölster-Holst und ihr Team in<br />

einer interaktiven Wanderausstellung.<br />

Da<strong>für</strong> haben <strong>die</strong> Forscher vom Universitätsklinikum<br />

Schleswig-Holstein,<br />

Campus Kiel, Anfang Juni auf dem<br />

Mainzer <strong>Wissenschaft</strong>ssommer den<br />

Publikumspreis „<strong>Wissenschaft</strong> interaktiv“<br />

gewonnen. Er wird jährlich<br />

gemeinsam vom <strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und von <strong>Wissenschaft</strong><br />

im Dialog vergeben und ist<br />

mit 10.000 Euro dotiert. Die Schering<br />

Stiftung fördert den Preis.<br />

„<strong>Wissenschaft</strong> interaktiv“ zeich -<br />

net Exponate aus, <strong>die</strong> Laien auf anschauliche<br />

Weise wissenschaftliche<br />

Zusammenhänge erklären. In einem<br />

spannenden Finale setzten sich <strong>die</strong> Sieger<br />

aus Kiel mit einer Ausstellung aus<br />

acht begehbaren Modellen durch. Die<br />

Exponate führen in <strong>die</strong> Eigenschaften<br />

der Haut ein, erklären ihre verschiedenen<br />

Schichten und zeigen, was bei<br />

Schädigungen passiert, beispielsweise<br />

durch Mückenstiche oder Tattoos. Ein<br />

weiteres Thema sind Hautkrankheiten<br />

Mit dem Publikumspreis gekürt (v. l.):<br />

Regina Fölster-Holst und Matthias Buchner<br />

vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.<br />

wie Neurodermitis. Geplant ist, <strong>die</strong> Ausstellung<br />

bundesweit in Kliniken, Einkaufszentren,<br />

Schulen und Naturkundemuseen<br />

zu zeigen. Der zweite Platz<br />

ging an ein Experiment der Berlin<br />

School of Mind and Brain der Humboldt-Universität.<br />

Mit einem riesigen<br />

dreidimensionalen Gehirnmodell zeigen<br />

<strong>die</strong> Forscher, welche Vorgänge sich<br />

im Kopf abspielen, wenn sich <strong>die</strong> Menschen<br />

zwischen gesundem Essen und<br />

verlockenden Süßigkeiten entscheiden<br />

müssen. Das DFG-Forschungszentrum<br />

Matheon und das Zuse-Institut Berlin<br />

kamen gemeinsam auf Platz 3. Sie entwickelten<br />

ein begehbares Proteinmodell,<br />

das <strong>die</strong> Rolle der Mathematik bei<br />

der Entwicklung neuer Medikamente<br />

verdeutlicht. Die nächste Ausschreibung<br />

des Wettbewerbs erfolgt im Herbst<br />

<strong>2011</strong>.<br />

&<br />

www.wissenschaft-interaktiv.de<br />

Foto: David Ausserhofer/WID


Foto: Generali Deutschland Holding AG/Jörg Carstensen<br />

Mathe-Gold <strong>für</strong> Lisa Sauermann<br />

Mathematik-Olympiade. Lisa Sauermann hat beim internationalen Mathe -<br />

matikwettstreit in Amsterdam alle Rekorde gebrochen.<br />

Sie ist eine wahre Rechenkünstlerin:<br />

Lisa Sauermann aus Dresden hat<br />

bei der Internationalen Mathematik-Olympiade<br />

(IMO) <strong>2011</strong> in Amsterdam<br />

<strong>die</strong> fünfte Medaille in Folge gewonnen.<br />

Mit viermal Gold und einmal Silber<br />

ist <strong>die</strong> 18-Jährige nun alleinige<br />

Rekordhalterin beim weltweit wichtigsten<br />

Mathe-Schülerwettbewerb. Das deutsche<br />

Team sicherte sich in Amsterdam<br />

insgesamt sechs Medaillen: Einmal Gold,<br />

dreimal Silber und zweimal Bronze.<br />

„Lisa Sauermann hat Großartiges<br />

geleistet, ihr Rekord wird sicher<br />

lange Bestand haben. Sie hat gezeigt,<br />

dass Spitzenmathematik keine Männerdomäne<br />

sein muss. Ich hoffe, dass sie<br />

möglichst viele Nachahmerinnen findet“,<br />

sagte Annette Schavan, Bundes-<br />

ministerin <strong>für</strong> Bildung und Forschung.<br />

Die Ministerin gratulierte auch dem<br />

gesamten deutschen Team zum elften<br />

Platz in der Medaillenwertung.<br />

Lisa Sauermann erzielte bei ihrer<br />

fünften Mathematik-Olympiade auch ihr<br />

persönlich bestes Ergebnis: Als einzige<br />

von allen IMO-Teilnehmern erreichte sie<br />

<strong>die</strong> volle Punktzahl (42). Die jeweils besten<br />

sechs Nachwuchsmathematiker aus<br />

101 Ländern sind bei der IMO in Amsterdam<br />

gegeneinander angetreten. An<br />

zwei Wettkampftagen mussten <strong>die</strong> Schüler<br />

in viereinhalb Stunden komplexe<br />

mathematische Probleme lösen. Die<br />

Internationale Mathematik-Olympiade<br />

wurde zum 52. Mal ausgetragen. Im<br />

kommenden Jahr findet sie in Buenos<br />

Aires statt.<br />

Das deutsche Team<br />

Initiativen<br />

Wie im Vorjahr in Kasachstan erreichten<br />

alle deutschen Olympioniken eine<br />

Medaille:<br />

Lisa Sauermann (Dresden): Gold<br />

Marius Graeber (Baden-Baden): Silber<br />

Achim Krause (Horb): Silber<br />

Bernhard Reinke (Bonn): Silber<br />

Michael Schubert (Karlsruhe): Bronze<br />

Florian Schweiger (Marktoberdorf): Bronze<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong> 35<br />

&<br />

Rechenkünstlerin und<br />

Rekordhalterin: Lisa Sauermann<br />

aus Dresden.


Dem Schmerz auf der Spur<br />

Stiftungsprofessuren. Lange Zeit war <strong>die</strong> Schmerztherapie ein Stiefkind der Medizin –<br />

auch weil man nur wenig über Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von chronischen<br />

Schmerzen wusste. Die Arbeit von Martin Schmelz setzt genau hier an. Als Karl-Feuerstein-Stiftungsprofessor<br />

hat der Mediziner <strong>die</strong> Freiheit, sich ganz der Erforschung <strong>die</strong>ses<br />

komplexen Themas zu widmen.<br />

VON MONIKA GOETSCH<br />

Manche Schmerzen scheinen<br />

keine Ursache zu haben –<br />

jedenfalls keine, <strong>die</strong> man mit<br />

herkömmlichen Methoden erkennen<br />

könnte. Menschen, <strong>die</strong> unter solchen<br />

chronischen Reizungen auch ohne Nervenverletzung,<br />

Diabetes oder Gürtelrose<br />

leiden, werden häufig von Spezialist zu<br />

Spezialist geschickt, ohne Befund.<br />

Eine demütigende Odyssee, <strong>die</strong> in<br />

der Mannheimer Klinik <strong>für</strong> Anästhesiologie<br />

ein Ende finden könnte. Auch dort<br />

ist es zwar bislang nicht<br />

möglich, an chronischem<br />

Schmerz leidende Patienten<br />

zu heilen. Man hat<br />

ihnen aber eine entlastende<br />

Botschaft anzubieten:<br />

dass nämlich ihre<br />

Schmerzempfindung kein<br />

Fantasieprodukt ist, sondern<br />

auf einer ganz real im<br />

Körper feststellbaren Überempfindlichkeit<br />

der Nerven basieren kann.<br />

„Die Patienten spüren: Hier glaubt mir<br />

jemand!“, sagt Schmerzforscher Martin<br />

Schmelz. „Es hilft ihnen sehr zu erfahren,<br />

dass bei ihnen zum Beispiel ein Ionenkanal<br />

nicht richtig funktioniert.“<br />

Zusammen mit einem Team in<br />

Oslo gelang es dem <strong>Wissenschaft</strong>ler, Übererregbarkeit<br />

von Nervenfasern direkt beim<br />

Schmerzpatienten zu messen und das glei-<br />

Serie Serie<br />

che Muster auch experimentell zu erzeugen.<br />

Besonders wirksam war dabei ein<br />

Eiweiß, das <strong>für</strong> das Nervenwachstum und<br />

<strong>die</strong> Überempfindlichkeit der Nervenenden<br />

verantwortlich ist. Eine Zielstruktur,<br />

an der ein Medikament wirkungsvoll<br />

ansetzen könnte, steht damit fest.<br />

Tatsächlich werden derzeit Medikamente<br />

entwickelt, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Nervenwachstumsfaktor<br />

blockieren und wirksam<br />

chronische Schmerzen lindern. Die<br />

Erforschung des Nervenwachstumsfaktors<br />

ist <strong>für</strong> Schmelz einer der<br />

großen Erfolge seiner Zeit als<br />

Stiftungsprofessor. Seit 2002<br />

hat der heute 47-jährige Me -<br />

diziner <strong>die</strong> Karl-Feuerstein-<br />

Stiftungsprofessur zur Erforschung<br />

und Behandlung des<br />

Schmerzes inne, <strong>die</strong> in der<br />

Fakultät Mannheim der Universität<br />

Heidelberg eingerichtet<br />

wurde. Für Schmelz ist <strong>die</strong><br />

Professur ein besonderer Glücksfall, hat<br />

er doch auf <strong>die</strong>sem deutschlandweit einmaligen<br />

Posten <strong>die</strong> Freiheit, „genau das<br />

zu tun, was ich tun will, nämlich zwischen<br />

Grundlagenforschung und Klinikern<br />

und der Industrie vermitteln“.<br />

Schmelz hält das Modell der Stiftungsprofessur<br />

<strong>für</strong> vorbildlich: „Eine Stiftungsprofessur<br />

wie <strong>die</strong> meinige ist gerade<br />

in der Medizin von besonderer Bedeu-<br />

2<br />

tung“, sagt Schmelz. „Die Übertragung<br />

von klinischen zu Grundlageninhalten<br />

erfordert einen hohen Freiraum. Durch<br />

<strong>die</strong>se Art der Professur ist das Problem<br />

ideal gelöst.“<br />

Vorurteile überbrücken<br />

Im Zentrum seiner Forschung steht <strong>die</strong><br />

Interaktion zwischen Nervensystem,<br />

Gewebszellen und Entzündungszellen.<br />

Als herkömmlicher Professor, der forschungsbegleitend<br />

immer auch klinisch<br />

arbeiten müsste, hätte er es, meint<br />

Schmelz, sehr viel schwerer, seine Forschungsziele<br />

zu verfolgen. Sein Vorteil:<br />

„Ich behandle keine Patienten. Meine<br />

Forschungszeit ist definiert und bezahlt.<br />

Eine wichtige Voraussetzung, um sich<br />

ganz der Forschung und gemeinsamen<br />

Projekten mit Klinikern widmen zu können.“<br />

Nur unter vergleichbar klaren Verhältnissen<br />

sei <strong>die</strong> Qualität der medizinischen<br />

Forschung zu sichern.<br />

Bei genau definierten Rollen,<br />

davon ist Schmelz überzeugt, sei es einfacher,<br />

herkömmliche Vorurteile und<br />

Differenzen zu überbrücken. Dass Kliniker<br />

vor allem etwas von Patienten und<br />

der Relevanz bestimmter Fragen verstehen,<br />

Grundlagenforscher dagegen <strong>die</strong><br />

dahinterliegenden Mechanismen kennen,<br />

wird so zur gemeinsamen Ressource.<br />

Im engagierten Austausch entwi-<br />

36 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


ckelt Schmelz so Projekte von großer<br />

Relevanz <strong>für</strong> Forscher, Kliniker und<br />

Patienten. „Die Zusammenarbeit funktioniert<br />

durch <strong>die</strong> Trennung“, sagt<br />

Schmelz. Translationale Medizin lautet<br />

das inzwischen sehr in Mode gekommene<br />

Stichwort, Medizin also an der<br />

Schnittstelle zwischen präklinischer<br />

Forschung und klinischer Entwicklung.<br />

Spitzenforschung in Verbünden<br />

Erfahrungen damit sammelte der heutige<br />

Stiftungsprofessor schon in der Physiologie<br />

in Erlangen, wo ein Sonderforschungsbereich<br />

<strong>für</strong> Schmerzforschung<br />

aufgebaut wurde. „Sonderforschungsbereiche<br />

sind Garanten da<strong>für</strong>, dass Spitzenforschung<br />

in Verbünden gemacht<br />

wird.“ Bei Schmerz sei das besonders<br />

wichtig: „Wir können mit Zellen arbeiten,<br />

aber der Schmerz ist eine Empfindung,<br />

darum brauchen wir zu seiner<br />

Erforschung Patienten.“ Da Nervenuntersuchungen<br />

teuer sind, gilt es <strong>für</strong> den<br />

Professor auch, Gelder aufzutreiben,<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Netzwerke zu gründen, <strong>die</strong> Pharmaindustrie<br />

zu gewinnen – und dennoch <strong>die</strong><br />

Hoheit über <strong>die</strong> ermittelten Daten zu<br />

behalten. Das fällt dem kontaktfreudigen<br />

Mediziner, der seine Flexibilität liebt<br />

und doch sehr genau weiß, was er will,<br />

nicht schwer.<br />

Auch mit der Witwe Feuersteins<br />

trifft sich Schmelz, der in Fahrradnähe<br />

zum Klinikum wohnt, hin und wieder<br />

zum Kaffee. Dank <strong>die</strong>ser und anderer<br />

&<br />

Der Förderer<br />

Geht den Ursachen von Schmerzen auf<br />

den Grund: Stiftungsprofessor Martin<br />

Schmelz.<br />

Begegnungen weiß er, dass „Feuerstein<br />

eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit<br />

gewesen sein muss, und so ausgeprägt<br />

verbindend, dass sein Ruf weithin<br />

nachhallt.“ Zwischen entgegen -<br />

gesetzten Positionen zu vermitteln war<br />

Feuerstein ein großes Anliegen. Schmelz<br />

sieht darin nicht zuletzt eine Parallele<br />

zu seiner eigenen Position. Umso passender,<br />

dass seine Professur <strong>die</strong>sen ver<strong>die</strong>nstvollen<br />

Namen trägt.<br />

Die Karl-Feuerstein-Stiftungsprofessur zur Erforschung und Behandlung<br />

des Schmerzes wurde 2002 vom DaimlerChrysler-Fonds (heute<br />

Daimler-Fonds) gemeinsam mit dem <strong>Stifterverband</strong> eingerichtet. Sie ist<br />

dem gleichnamigen langjährigen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der<br />

Daimler-Benz AG/DaimlerChrysler AG gewidmet, dessen Tumorschmerzen<br />

am Universitätsklinikum Mannheim behandelt wurden, bevor er<br />

1999 verstarb.<br />

Foto: Thomas Hörner/Kraufmann&Kraufmann<br />

Initiativen<br />

37


38<br />

Foto: <strong>Deutsche</strong>r Zukunftspreis/Bayer AG<br />

Foto: Peter Dorn<br />

Zukunftspreis: Innovationen gesucht<br />

Der <strong>Deutsche</strong> Zukunftspreis – Preis<br />

des Bundes präsidenten <strong>für</strong> Technik<br />

und Innovation zeichnet hervorragende<br />

technische, ingenieur- oder<br />

naturwissenschaftliche Innovationen<br />

aus. Er wird jährlich vergeben und<br />

jetzt <strong>für</strong> das Jahr 2012 ausgeschrieben.<br />

Bis zum 31. Januar 2012 können<br />

vorschlagsberechtigte Institutionen<br />

jeweils bis zu drei Projekte bei der<br />

Geschäftsstelle des DZP in Essen einreichen.<br />

Der Preis des Bundespräsidenten<br />

<strong>für</strong> Technik und Innovation<br />

ist kein „Bewerbungspreis“. Zu den<br />

vorschlagsberechtigten Institutionen<br />

zählen <strong>die</strong> großen <strong>Wissenschaft</strong>s- und<br />

Wirtschaftsorganisationen in Deutschland.<br />

Ein Projekt kann eine Zulassung<br />

zur Auswahlrunde nur erlangen,<br />

wenn es <strong>die</strong> in den Statuten vorge-<br />

Ingenieurin mit Auszeichnung<br />

Ingenieurin Katrin Baumann lieferte aus<br />

Sicht der Jury <strong>die</strong> beste Dissertation ab.<br />

Der Bertha Benz-Preis <strong>2011</strong> geht an<br />

Katrin Baumann. Die Daimler und Benz<br />

Stiftung würdigt mit der Auszeichnung<br />

jedes Jahr deutsche Ingenieurinnen, <strong>die</strong><br />

in ihrem Fach eine herausragende Dissertation<br />

geschrieben haben.<br />

Ziel des Preises ist es, junge Frauen<br />

zu ermutigen, sich <strong>für</strong> eine wissenschaftliche<br />

Karriere in den Natur- und<br />

Ingenieurwissenschaften zu entscheiden.<br />

Wilfried Porth, Personalvorstand und<br />

Arbeitsdirektor der Daimler AG, überreichte<br />

den mit 10.000 Euro dotierten<br />

Preis Anfang Juli im Anschluss an <strong>die</strong><br />

Bertha Benz-Vorlesung in Heidelberg. Die<br />

Jury hatte <strong>die</strong> 30-Jährige unter 23 Kandi-<br />

Bundespräsident Christian Wulff bei<br />

einer Stippvisite im Labor des Siegerteams<br />

von 2009.<br />

schriebenen Kriterien erfüllt. Wesentlich<br />

sind innovative Leistung, <strong>die</strong><br />

Patentfähigkeit und <strong>die</strong> bereits erzielte<br />

oder sich abzeichnende Umsetzung,<br />

<strong>die</strong> langfristig auch zur Schaffung von<br />

Arbeitsplätzen führen muss. Mehr<br />

Informationen zur Ausschreibung gibt<br />

es auf der Internetseite zum <strong>Deutsche</strong>n<br />

Zukunftspreis www.deutscherzukunfts<br />

preis.de.<br />

datinnen ausgewählt. In der Begründung<br />

hieß es: „Die Dissertation von Katrin<br />

Baumann behandelt eines der zentralen<br />

Probleme des klassischen Maschinenbaus.<br />

(…) Ihre Ergebnisse sind <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Praxis von entscheidender Bedeutung.“<br />

Katrin Baumann hatte im November<br />

2010 an der Technischen Universität<br />

Darmstadt promoviert. Sowohl ihr<br />

Studium als auch ihre Promotion wurden<br />

von der Stu<strong>die</strong>nstiftung des deutschen<br />

Volkes gefördert. Für ihre Doktorarbeit<br />

„Dynamische Eigenschaften von<br />

Gleitlagern in An- und Auslaufvorgängen“<br />

erhielt sie das Prädikat „summa cum<br />

laude“.<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


Ideenpool füllen<br />

Universitäten. Die Junge Akademie startet mit dem <strong>Stifterverband</strong> den Ideenwettbewerb<br />

„Uni Gestalten“.<br />

In seinem Kernbereich „Programm und<br />

Förderung“ engagiert sich der <strong>Stifterverband</strong><br />

<strong>für</strong> ein weiteres Best-Practice-<br />

Projekt, um <strong>die</strong> Struktur des Hochschulsystems<br />

in Deutschland zu erneuern und<br />

<strong>die</strong> Rahmenbedingungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

zu verbessern. Der Ideenwettbewerb<br />

UniGestalten wird von der Jungen<br />

Akademie an der Berlin-Brandenburgischen<br />

Akademie der <strong>Wissenschaft</strong>en und<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Akademie der Naturforscher<br />

Leopoldina konzipiert und findet<br />

im Herbst <strong>2011</strong> statt. Ziel der gemeinsamen<br />

Initiative ist es, einen Ideenpool mit<br />

konkreten Vorschlägen zu schaffen, <strong>die</strong><br />

den Alltag in Hochschulen durch neue<br />

Ansätze und Perspektiven erleichtern und<br />

verbessern. Dazu beobachtet UniGestalten<br />

das gesamte „UniVersum“, befragt <strong>die</strong><br />

Akteure direkt vor Ort, setzt auf <strong>die</strong> Innovationskraft<br />

von Personen sowie auf <strong>die</strong><br />

Lernfähigkeit der Organisation.<br />

Start am 17. Oktober<br />

UniGestalten richtet sich an alle, <strong>die</strong> das<br />

Leben und Arbeiten an der Hochschule<br />

prägen und weiterentwickeln wollen: Stu<strong>die</strong>rende<br />

aus allen Fachbereichen und<br />

Hochschultypen, Alumni, alle Beschäftigten<br />

aus Lehre, Forschung, Technik, Verwaltung<br />

und Projektpartner aus der Wirtschaft.<br />

Vom 17. Oktober bis zum 15.<br />

Dezember <strong>2011</strong> können sie auf dem<br />

Wettbewerbsportal www.unigestalten.de<br />

neue Ideen aufzeigen, diskutieren<br />

und weiterentwickeln. Eine<br />

unabhängige Jury bewertet an -<br />

schließend alle Einsendungen<br />

nach feststehenden und<br />

durchgängigen Kriterien<br />

und prämiert <strong>die</strong> besten<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Ideen. Der Wettbewerb ist mit insgesamt<br />

15.000 Euro dotiert. 5.000 Euro Hauptgewinn<br />

und 20 weitere Preise warten auf<br />

<strong>die</strong> innovativen Vordenker <strong>für</strong> den Uni-<br />

Alltag. Und bei UniGestalten „gewinnen“<br />

am Ende alle, denn UniGestalten erzeugt<br />

einen einzigartigen Datensatz zur aktuellen<br />

Situation der deutschen Hochschullandschaft.<br />

Ideen und Inspiration<br />

Das Ideenportal wird als Ideenpool aufbereitet<br />

und der Öffentlichkeit zur Verfügung<br />

gestellt. Hier können sich Teilnehmer<br />

und Interessierte von der Vielzahl an<br />

Möglichkeiten inspirieren lassen und ganz<br />

konkret Ideen aufgreifen, um ihren persönlichen<br />

und institutionellen Hochschulalltag<br />

zu verändern. Zusätzlich fasst <strong>die</strong><br />

Junge Akademie <strong>die</strong> Ergebnisse des Wettbewerbs<br />

in einer Publikation zusammen<br />

und formuliert Empfehlungen <strong>für</strong> Entscheider<br />

in <strong>Wissenschaft</strong> und Politik.<br />

Die Junge Akademie wurde im Jahr 2000<br />

als gemeinsames Projekt der Berlin-Brandenburgischen<br />

Akademie der <strong>Wissenschaft</strong>en<br />

(BBAW) und der <strong>Deutsche</strong>n Akademie<br />

der Naturforscher Leopoldina<br />

gegründet. Sie ist weltweit <strong>die</strong> erste Akademie<br />

des wissenschaftlichen Nachwuchses.<br />

Zu den vorrangigen Aufgaben der<br />

Jungen Akademie gehören <strong>die</strong> Pflege des<br />

interdisziplinären Diskurses unter herausragendenNachwuchswissenschaftlerinnen<br />

und -wissenschaftlern sowie <strong>die</strong> Förderung<br />

von Initiativen an den Schnittstellen<br />

von <strong>Wissenschaft</strong> und Gesellschaft.<br />

Die Junge Akademie mit Sitz in Berlin<br />

zählt 50 Mitglieder und wird von den beiden<br />

Mutterakademien BBAW und Leopoldina<br />

getragen.<br />

&<br />

www.unigestalten.de<br />

Initiativen


„Weibliche Spitzenkräfte<br />

gehören in Top-Positionen“<br />

Kultur. Diversität ist in deutschen Schulen, Universitäten und Unternehmen noch zu<br />

wenig ausgeprägt – meint <strong>die</strong> Soziologin Jutta Allmendinger. Ein Gespräch über<br />

Frauen in Führungspositionen, Vielfalt im deutschen Bildungssystem und <strong>die</strong> Einführung<br />

von Quoten.<br />

Foto: Peter Himsel


42<br />

Talentierten und exzellent ausgebildeten Frauen steht<br />

<strong>die</strong> Welt offen. In Deutschland aber wird ihr Wunsch, in<br />

Führungsetagen und Vorstände vorzudringen, hitzig diskutiert.<br />

Harte Kritiker postulieren: Wenn <strong>die</strong> Frauenquote<br />

kommt, geht es bergab mit der deutschen Wirtschaft,<br />

dann wandern besser qualifizierte Männer aus. Parallel<br />

verankern immer mehr Dax-Konzerne eigene Frauenquoten<br />

und Diversity-Ziele in ihrer Firmenphilosophie. Was<br />

passiert da gerade?<br />

Was uns aktuell bei der Frauenquotendebatte entgegenschlägt,<br />

ist dem Thema völlig unangemessen<br />

und rückwärtsgewandt. Initiativen mit merkwürdigen<br />

Frauen- und überholten Rollenbildern schießen<br />

plötzlich wie Pilze aus dem Boden und finden in den<br />

Me<strong>die</strong>n Gehör; Managerinnen wehren <strong>die</strong> Frauenquote<br />

ab, wohl wissend, dass sie vermutlich selbst<br />

Quotenfrauen sind; und all dem schaut unser topausgebildeter<br />

weiblicher Nachwuchs zu und wundert<br />

sich, was andere alles über ihr Innerstes zu wissen<br />

scheinen. Dabei geht <strong>die</strong>se unschöne Debatte<br />

ihnen ziemlich unter <strong>die</strong> Haut. Und ich frage mich, ob<br />

wir mit all <strong>die</strong>sem Getöse womöglich in eine Phase<br />

der Re-Traditionalisierung rutschen.<br />

Sind Quoten der richtige Weg zu mehr Chancengleichheit?<br />

Für eine Übergangszeit sind Frauenquoten sinnvoll,<br />

um mehr weibliche Spitzenkräfte da zu zeigen, wo sie<br />

hingehören: in Toppositionen. Diese Vorbilder werden<br />

<strong>die</strong> gläserne Decke durchbrechen und weitere talentierte<br />

Frauen nach sich ziehen. Damit wird auch <strong>die</strong><br />

Qualität der deutschen Führungskräfte insgesamt<br />

steigen. Aktuell verengen wir nämlich den Pool, aus<br />

dem wir unsere Führungskräfte schöpfen, künstlich:<br />

Frauen schreiben beachtliche Abschlussarbeiten,<br />

glänzen mit innovativen Ideen – <strong>die</strong> Arbeitswelt ruft<br />

<strong>die</strong>se Potenziale aber gar nicht ab. Das müssen wir<br />

dringend ändern. Quoten werden in Deutschland<br />

zudem zu negativ und einseitig gesehen. In den USA<br />

beispielsweise ist das anders, da ist man stolz auf<br />

Quoten, <strong>die</strong> zu mehr Diversität führen, man wirbt<br />

mit ihnen. Ich gehöre derzeit dem Beirat einer Privatuniversität<br />

an, wo nur 33 Prozent der Stu<strong>die</strong>renden<br />

Frauen sind. Ein amerikanischer Kollege wies<br />

mich darauf hin, dass man mit <strong>die</strong>sem geringen Frauenanteil<br />

gute Chancen habe, hochtalentierte Ame-<br />

rikanerinnen anzuziehen – man müsste damit nur<br />

explizit in den USA werben. Hintergrund sind <strong>die</strong><br />

Geschlechterquoten an den Top-Universitäten wie<br />

Stanford oder Harvard, wo sich mittlerweile weitaus<br />

mehr Frauen als Männer bewerben und Frauen<br />

der Zugang nun aufgrund der gewünschten Chancengleichheit<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Geschlechter erschwert wird.<br />

Bleiben wir beim internationalen Vergleich. Wie divers<br />

ist unser Bildungssystem?<br />

In Deutschland war diversity nie stark verankert. Wir<br />

verstehen <strong>die</strong>ses Thema immer noch nicht richtig.<br />

Wir sind weiter sehr stark auf einen Bildungsbegriff<br />

fixiert, der an den kognitiven Kompetenzen hängt, an<br />

Wissen. Kompetenzen rund um das Thema diversity<br />

tun wir lapidar als soft skills ab, obgleich es genau<br />

<strong>die</strong>se Fähigkeiten sind, <strong>die</strong> unsere Gesellschaft heute<br />

am meisten benötigt. Genau betrachtet nehmen wir<br />

<strong>die</strong> kulturellen Kompetenzen sogar systematisch aus<br />

unserem Bildungssystem heraus: Im Schulsystem<br />

fällt das Auslandsjahr raus, der komprimierte Lehrplan<br />

an Schulen und Hochschulen verengt den Raum<br />

<strong>für</strong> Fächer jenseits der harten Fakten, auch der Bachelor<br />

und der Master werden bei uns weitaus weniger<br />

breit angelegt verstanden. In Deutschland beginnt<br />

Diversität im Grunde erst mit dem Berufseintritt in<br />

einen international ausgerichteten Konzern.<br />

Diversity-Management wird in deutschen Unternehmen<br />

immer stärker Thema. Hintergrund sind <strong>die</strong> globalen<br />

Geschäfte, aber auch der demografische Wandel und der<br />

drohende Fachkräftemangel. Frauen werden dabei als<br />

größtes Potenzial gesehen. Wie bewerten Sie <strong>die</strong> Öffnung<br />

hin zu kreativeren Arbeitszeitmodellen?<br />

Das ist ein Fortschritt, ohne Frage. Ich sehe in Deutschland<br />

aber bislang keinen wirklichen Kulturwandel<br />

weg vom vergötterten Alleinver<strong>die</strong>nermodell, das<br />

sich ja auch im Renten- und Krankenkassensystem<br />

widerspiegelt. Es gibt vereinzelt kreative Arbeitsangebote,<br />

<strong>die</strong> gut ausgebildete Arbeitskräfte mittlerweile<br />

auch einfordern. Aber <strong>die</strong>se Angebote werden<br />

von den Unternehmen längst nicht so überzeugend<br />

und leidenschaftlich umgesetzt und gelebt wie in<br />

den USA, in England oder den skandinavischen Ländern,<br />

wo man in den vergangenen Jahren <strong>die</strong>sbe-<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Fotos: Peter Himsel


„Die deutsche Unternehmenskultur hat<br />

in Sachen Vielfalt Scheuklappen auf.“<br />

züglich Sprünge vollzogen hat. Deshalb glaube ich<br />

auch, dass der Markt der internationalen Toptalente<br />

weiter an Deutschland vorbeigeht. Ein deutscher<br />

Kollege und junger Familienvater, der in Schweden<br />

lebt, hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: Warum<br />

soll ich nach Deutschland zurückkehren, wieder in<br />

eine Kultur reingehen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Scheuklappen hat,<br />

wo eine Anwesenheitskultur herrscht, <strong>die</strong> mir und<br />

meiner Frau eine Viertagewoche erschwert?<br />

Geraten <strong>die</strong> deutschen Hochschulen jetzt im Wettbewerb<br />

um <strong>die</strong> klügsten Köpfe ins Hintertreffen?<br />

Ja, <strong>die</strong>se Gefahr sehe ich durchaus. Gerade <strong>die</strong> weiblichen<br />

Arbeitskräfte stehen an deutschen Hochschulen<br />

oft schlecht da: systematische Unterbezahlung,<br />

eine hohe Kinderlosigkeit bei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen<br />

und Professorinnen, eine lange Ausbeutung<br />

des Mittelbaus auf der Grundlage von Drittmitteln.<br />

Wir sind noch dazu schlecht im Umwerben<br />

<strong>die</strong>ser Talente. Andernorts holt der Professor seinen<br />

wissenschaftlichen Nachwuchs vom Bahnhof ab, sagt<br />

„Great that you are here!“, und beide machen dann<br />

erst einmal einen Stadtbummel – das ist ein Unterschied<br />

wie Tag und Nacht. In Harvard wurde ich schon<br />

vor 25 Jahren als Studentin im Promotionsprogramm<br />

gefragt: Was braucht Ihr Partner, was brauchen Ihre<br />

Kinder? Dann das Thema dual career: In Deutschland<br />

werden Paare nur äußerst ungern an derselben Universität<br />

beschäftigt, schon gar nicht im selben Fachbereich.<br />

Ich finde es absurd, wie man auf <strong>die</strong>se Art<br />

und Weise Produktivitätspotenziale liegenlässt. Dabei<br />

lebt doch gerade <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> vom intensiven,<br />

leidenschaftlichen Austausch über Wissen und Forschungsergebnisse!<br />

Aber nicht nur <strong>die</strong> deutschen<br />

Hochschulen sind beim Thema Familie furchtbar verkrampft<br />

– <strong>die</strong> ganze deutsche Arbeitswelt ist es noch.<br />

Es gibt hier keinen gesunden, lebendigen Diskurs.<br />

Wir brauchen Arbeitgeber, <strong>die</strong> aus vollem Herzen<br />

sagen: Ja, bekommt Kinder, wir finden das gut, wir<br />

unterstützen Euch dabei.<br />

Sie sagen, in Deutschland gibt es nur eine Autobahn: <strong>die</strong><br />

Arbeit mit in <strong>die</strong> Familie zu bringen, aber nie umgekehrt.<br />

Da sind <strong>die</strong> kulturellen Unterschiede wirklich enorm.<br />

An Eliteuniversitäten wie Harvard oder der University<br />

of Wisconsin ist es Alltag, dass Professorinnen eine<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

große Vorlesung halten, während ihr Säugling im Kinderwagen<br />

danebensteht. Als ich an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

in München 1994 als Professorin<br />

schwanger war, war das fast noch ein ungeheuerlicher<br />

Vorfall. Das ist eine meiner Lieblingsgeschichten:<br />

Ein wirklich liebenswerter und aufgeschlossener Kollege<br />

hat mir damals im siebten Monat auf den Bauch<br />

gehauen und gesagt: Da hast Du es Dir ja richtig gut<br />

gehen lassen im Urlaub! Eine Professorin und schwanger?<br />

Diese Kombination fehlte in den Köpfen komplett.<br />

Als ich dann meinen kleinen Sohn ganz nach<br />

amerikanischem Vorbild mutig mit in <strong>die</strong> Vorlesung<br />

nahm, traf das bei den Stu<strong>die</strong>renden auf Unverständnis.<br />

Viele fanden das völlig unmöglich.<br />

Anschließend wurde Ihr Lehrstuhl der fertilste Lehrstuhl<br />

an der Universität.<br />

Es braucht positive Vorbilder, junge Frauen und Männer,<br />

<strong>die</strong> vorleben, dass es geht: Kinder bekommen, sich<br />

da<strong>für</strong> eine gewisse Auszeit nehmen und dennoch<br />

hochdotierte Mitarbeiterin, Führungskraft oder Professorin<br />

werden beziehungsweise bleiben. Dann fassen<br />

auch <strong>die</strong> anderen Mut. Am WZB beispielsweise<br />

sind gerade mehr Väter in Elternzeit als Frauen.<br />

INTERVIEW: CORINA NIEBUHR<br />

&<br />

Zur Person<br />

Jutta Allmendinger<br />

Jutta Allmendinger<br />

Ein Videointerview mit Jutta Allmendinger finden Sie<br />

im webTV des <strong>Stifterverband</strong>es:<br />

www.stifterverbande.info/<strong>wuw</strong>/10<br />

Interview<br />

Mit ihren Forschungen zu den Themen Bildungsgerechtigkeit und Soziologie<br />

des Arbeitsmarktes gilt Jutta Allmendinger als eine der streitbarsten<br />

Soziologinnen Deutschlands. Ihre Karriere begann mit dem Studium in ihrer<br />

Heimatstadt Mannheim, später ging sie in <strong>die</strong> USA und promovierte<br />

schließlich in Harvard. Heute leitet sie als erste Frau das <strong>Wissenschaft</strong>szentrum<br />

Berlin <strong>für</strong> Sozialforschung (WZB). Gleichzeitig lehrt sie als Professorin<br />

<strong>für</strong> Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität<br />

in Berlin. Selbst Mutter, tritt sie seit Jahren <strong>für</strong> eine bessere Vereinbarkeit<br />

von Familie und Beruf ein. 2009 erhielt sie <strong>für</strong> <strong>die</strong> herausragende<br />

öffentliche Vermittlung ihrer Forschungsarbeiten den Communicator-Preis.<br />

43


Die Farbe des Geldes und<br />

der Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong><br />

Systeme. Können <strong>Wissenschaft</strong>ler trotz des zunehmenden zeitlichen und finanziellen<br />

Drucks ihre Erkenntnisleidenschaften erhalten? Dieser Frage ging Peter Strohschneider<br />

auf der Jahresversammlung des <strong>Stifterverband</strong>es nach.<br />

VON PETER STROHSCHNEIDER<br />

Gesellschaften sind Felder vielfältig in Konflikt geratener Interessen,<br />

Ansprüche und Werte. Das gilt in besonderem Maße <strong>für</strong><br />

moderne, pluralistische, technisch hoch integrierte, zugleich<br />

weltgesellschaftlich dicht vernetzte <strong>Wissenschaft</strong>sgesellschaften wie<br />

<strong>die</strong> unsrige. Diesseits des Grundrechtskatalogs kennt sie kein Wahrheits-<br />

oder Legitimitätsmonopol. Und das heißt: Es existiert auch<br />

kein allgemein akzeptierter Perspektivpunkt, von dem aus sich das<br />

Ganze <strong>die</strong>ser Gesellschaft in den Blick bringen oder gar ordnen ließe.<br />

In <strong>die</strong>sem Sinne ist sie hochgradig komplex. Solche Hyperkomplexität<br />

lässt sich nicht auflösen, wohl aber bearbeiten: Die Gesellschaft<br />

bildet dazu viele, funktional voneinander unterschiedene Sphären<br />

sozialen Handelns aus. Nicht mehr Horden, Stämme, Familien oder<br />

Stände sind <strong>die</strong> maßgeblichen Teileinheiten des gesellschaftlichen<br />

Gesamtzusammenhangs, sondern Funktionssysteme, zwischen denen<br />

es keine eindeutige Rangordnung gibt. In Politik und Wirtschaft, Religion<br />

und Erziehung, Forschung, Me<strong>die</strong>n oder dem Rechtssystem<br />

Der Autor<br />

Peter Strohschneider<br />

Der Professor <strong>für</strong> Germanistische<br />

Mediävistik an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München war von<br />

2006 bis <strong>2011</strong> Vorsitzender des <strong>Wissenschaft</strong>srates.<br />

Seit 2010 ist er ordentliches<br />

Mitglied der Bayerischen<br />

Akademie der <strong>Wissenschaft</strong>en. Seine<br />

Arbeitsschwerpunkte sind Erzählliteratur<br />

und Lieddichtung des Mittelalters<br />

sowie <strong>Wissenschaft</strong>spolitik.<br />

Fotos: David Ausserhofer<br />

dominieren je andere Funktionsprimate, Handlungslogiken und<br />

Akteursinteressen. Und sie gehen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Individuen mit der Zumutung<br />

einher, stets sehr unterschiedliche Kontexte des eigenen Handelns<br />

koordinieren zu müssen: <strong>Wissenschaft</strong>liche Kommunikation im<br />

Medium von „Wahrheit“ ist etwas anderes als Politik im Medium von<br />

„Macht“ oder Ökonomie im Medium von „Zahlungen“. Und damit<br />

das so bleibt, stabilisieren sich <strong>die</strong> jeweiligen Funktionsbereiche in<br />

verschiedenen Eigenordnungen. Sie bilden Eigen-Räume aus und<br />

darin Leitinstitutionen wie Parlament, Börse, Kirche, Schule, Universität<br />

oder Gericht. Sie entwickeln „Eigen-Zeiten“ wie <strong>die</strong> Legislaturperiode,<br />

das Geschäftsjahr, den kirchlichen Jahreskreis oder das<br />

Semester. Und sie müssen ihren „Eigen-Sinn“ pflegen – weil anders<br />

<strong>die</strong> Komplexität der Gesellschaft tatsächlich überwältigend wäre. Fielen<br />

Recht und Mehrheit, Mehrheit und Wahrheit oder <strong>die</strong> Wahrheit<br />

der <strong>Wissenschaft</strong> mit derjenigen des Glaubens zusammen, dann wäre<br />

<strong>die</strong>s der Zusammenbruch gesellschaftlicher Ordnung.<br />

Der Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong><br />

Zwingend erforderlich also, dass auch <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> ihren<br />

Eigen-Sinn pflegt. Das <strong>Wissenschaft</strong>ssystem hat es mit speziell wissenschaftlichem<br />

Wissen zu tun. Und zwar genauer: mit der Tra<strong>die</strong>rung<br />

sowie mit der Erschütterung der je etablierten Ordnungen<br />

<strong>die</strong>ses Wissens durch neue Erkenntnisse. Wir nennen das abkürzend<br />

Innovation. Anders als zum Beispiel Alltagswissen ist <strong>die</strong>ses<br />

wissenschaftliche Wissen methodisch gewonnen; aber das gilt <strong>für</strong><br />

verschiedene Wissensformen, zum Beispiel auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Normen<br />

des Rechts. Entscheidend ist etwas anderes: Wissensansprüche<br />

können in der <strong>Wissenschaft</strong> allein im paradoxen Modus ihrer<br />

Selbstinfragestellung erhoben werden; während, um beim Beispiel<br />

zu bleiben, rechtliche Normen gerade ihre Fraglosigkeit voraussetzen.<br />

Das Wahrheitswissen der <strong>Wissenschaft</strong> ist stets mit einem<br />

Zeit- und mit einem Ungewissheitsvorbehalt versehen: Es gilt <strong>für</strong><br />

jetzt und <strong>für</strong> uns und wir müssen damit rechnen, dass andere es<br />

jetzt schon oder wir es künftig besser wissen können.<br />

44 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


Mit <strong>die</strong>ser epistemisch besonderen Form wissenschaftlichen Wissens<br />

hängen nun spezifische interne Spannungen zusammen, <strong>die</strong> den<br />

Eigen-Sinn des <strong>Wissenschaft</strong>ssystems prägen und <strong>die</strong> in der Perspektive<br />

anderer Gesellschaftsbereiche leicht als Ineffizienz oder Abgehobenheit<br />

verstanden, ja – obwohl es <strong>die</strong>s in der <strong>Wissenschaft</strong> selbstredend<br />

gibt – man muss sagen: missverstanden werden. Die Spannung<br />

zwischen der Vertretung eines Wissensanspruchs und seiner Infragestellung<br />

kehrt darin wieder, dass wissenschaftliche Wahrheitssuche<br />

reflektierte Irrtumsbereitschaft voraussetzt. Oder darin, dass es keine<br />

Umordnung von Wissensfeldern durch innovative Erkenntnis geben<br />

kann ohne Momente kognitiver Unordnung; Albert Einsteins Frisur<br />

ist da<strong>für</strong> zum Sinnbild geworden.<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Illustrationen: Andrzej Koston<br />

Essay<br />

Alle Funktionalität und Leistungsfähigkeit der <strong>Wissenschaft</strong> hängt<br />

nun aber eben daran, dass <strong>die</strong> Spannungen zwischen den hier angedeuteten<br />

Polen in der Balance gehalten, dass sie als der spezifische<br />

Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong> stabilisiert werden. Und das geht allein<br />

dann, wenn <strong>die</strong> sozialen Ordnungen und Organisationen des <strong>Wissenschaft</strong>ssystems<br />

nicht nur mit demjenigen planen, was planbar ist: auftragsgebundene<br />

Forschungsagenden, Curricula, Infrastrukturen undsoweiter.<br />

Sie müssen vielmehr immer zugleich auch mit dem rechnen,<br />

womit sie nicht – oder nur schwer – rechnen können: dem Bedarf<br />

auch an Freiheit von Zeitdruck und direkten Zwecken; dem Bedarf<br />

auch an Freiheit <strong>für</strong> Faszination und intellektuelle Autonomie. Neues<br />

Wissen, das mehr sein soll als bloß das zukünftige alte, ist stets ereignishaft<br />

unvorhersehbar. Wenn wir <strong>die</strong> Welt bereits im direkten Zugriff<br />

auf sie bewältigen könnten, dann würde sich so etwas wie Erkenntnisprozesse<br />

als analytische Abstandnahme von ihr gewiss nicht evolutionär<br />

entwickelt haben. Aber das ist schließlich eine Trivialität: In<br />

un-bekanntem Gelände – und <strong>Wissenschaft</strong> ist eine Form, <strong>die</strong> Welt<br />

<strong>für</strong> unbekanntes Gelände zu halten –, dort verbessern Umwege <strong>die</strong><br />

Ortskenntnis.<br />

Die Farbe des Geldes<br />

Sie mögen fragen: Was hat das mit der Farbe des Geldes zu tun? Nun:<br />

Zunächst spiele ich bloß auf eine Art von Parabel <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Spannung<br />

von Autonomie und Zwecksetzung an, nämlich den gleichnamigen<br />

Film Martin Scorseses von 1986. „Die Farbe des Geldes“ erzählt von<br />

balancierten Spannungen des hier angesprochenen Typs, indem sie<br />

zwei Billardspieler sich direkt gegenläufig entwickeln lässt. Oscarreif<br />

spielt Paul Newman den nun ehemaligen Profispieler Ed<strong>die</strong> Felson,<br />

der längst zum lässig eleganten Geschäftsmann geworden ist: ein bisschen<br />

zynisch und von jener coolen Abgebrühtheit, welche doch <strong>die</strong><br />

Narben vergangener Niederlagen nicht wirklich kaschiert. Ed<strong>die</strong><br />

bringt dem jungen Vincent Lauria, den Tom Cruise virtuos als in<br />

seine eigene Virtuosität verliebtes viriles Supertalent verkörpert, all<br />

das bei, was <strong>die</strong>ser im Gegensatz zur Spielperfektion erst noch lernen<br />

muss: wie man <strong>die</strong> Gegner „anfüttert“, wie man <strong>die</strong> eigene Stärke kalkuliert<br />

einsetzt und Schwäche vortäuscht, wie man dadurch den eigenen<br />

Marktwert manipuliert und wie man <strong>die</strong>serart über Mittelsmänner<br />

auch <strong>die</strong> Spielwetten einstreicht.<br />

Das ist, als Roadmovie durch <strong>die</strong> Billardsalons amerikanischer Vorstädte,<br />

eine Parabel übers Älterwerden. Es ist zugleich allerdings auch<br />

eine Parabel über <strong>die</strong> Spannung zwischen der ganz auf sich selbst<br />

bezogenen Lust am virtuosen Spiel einerseits und andererseits den finanziellen<br />

Zwecksystemen des Profigeschäfts. Seine hohe Kunst<br />

höchst kalkuliert auf <strong>die</strong>se Zwecke hin zu instrumentalisieren, das<br />

bringt Ed<strong>die</strong> dem jungen Vincent allmählich bei. Dabei allerdings<br />

wird – und <strong>die</strong>s macht das Niveau des Films aus – Ed<strong>die</strong> seinerseits<br />

schrittweise von Könnensleidenschaft, von einer ganz unmittelbaren,<br />

ganz selbstbezüglichen Lust am Spielen ergriffen, <strong>die</strong> ihm am Ende<br />

wichtiger ist als aller finanzielle Gewinn oder Verlust. Vincent wird<br />

><br />

45


46<br />

im Laufe des Films reifer, abgebrühter, älter. Paul Newmans alter<br />

Ed<strong>die</strong> hingegen wird immer jünger: Mit seinem „Hi, I’m back“ endet<br />

der großartige Film. Man muss <strong>die</strong> Spannungen, <strong>die</strong> er in <strong>die</strong>sen<br />

gegenläufigen Wegen von Vincent und Ed<strong>die</strong> in der Schwebe hält,<br />

nicht auf Formeln eindampfen. Gewiss aber zeigt Scorsese, dass <strong>die</strong><br />

Lust am Spiel ihren ökonomischen Zweck paradoxerweise allein<br />

dann erfüllen kann, wenn sie von <strong>die</strong>sem Zweck auch abzusehen in<br />

der Lage ist. Man muss das Grün des Billardtuches und das Grün der<br />

Dollarnoten auseinanderhalten können.<br />

Und das illustriert selbstverständlich ein Prinzip von Leidenschaft. Sie<br />

wird auch in Sach- und Zweckzusammenhängen benötigt, von denen<br />

sie, um funktionieren zu können, gerade nichts wissen darf. Billard<br />

gehört hierher – und wissenschaftliche Erkenntnis auch. In der Leidenschaft<br />

des Spiels wie in der Passion der Erkenntnissuche liegt eine<br />

Dimension des Nichtökonomischen, der Zweckfreiheit, des Eigen-<br />

Sinns, welche Dimension (um einen alten Kalauer über das Geld<br />

umzuwenden) gewiss nicht alles ist, ohne welche aber – hier jedenfalls<br />

– doch alles nichts ist.<br />

<strong>Wissenschaft</strong> und Finanzierungssysteme<br />

So verschiedenfarbig Billardkugeln, so gleichfarbig sind, unabhängig<br />

von ihrem Wert, <strong>die</strong> grünen Dollarnoten, <strong>die</strong> in dicken Bündeln den<br />

Besitzer wechseln und auf <strong>die</strong> sich der Filmtitel bezieht. Die „Farbe<br />

des Geldes“ ist also keine Metapher <strong>für</strong> Geldmengen, wie es in der<br />

Eurozone der Fall wäre, wo eine violette<br />

Banknote den fünffachen Wert<br />

einer grünen besitzt. Sie ist vielmehr<br />

eine Metapher <strong>für</strong> <strong>die</strong> Strukturen des<br />

Geldumlaufs, welche <strong>die</strong> Effekte des<br />

Geldes mit beeinflussen. Eben in <strong>die</strong>sem<br />

Sinne kommt es beim Billard auf<br />

<strong>die</strong> Farbe des Geldes an. Die Spieler<br />

kalkulieren in ihren Strategien<br />

ebenso wie mit den Spielzügen des<br />

Gegners mit den Regeln des Wettens,<br />

sodass <strong>die</strong>se Regeln den Verlauf<br />

des Spiels, obwohl sie ihm fremd<br />

sind, mit steuern. Finanzierungsstruktur<br />

und Spielregeln<br />

haben je ihren unabhängigen<br />

Eigen-Sinn. Und<br />

doch wirkt sich <strong>die</strong> Farbe des<br />

Geldes sehr direkt auf den Spielverlauf aus.<br />

In der <strong>Wissenschaft</strong> ist es nicht anders. Wir müssen also über Finanzierungsstrukturen<br />

reden – obwohl <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> auch darin ihren<br />

Eigen-Sinn pflegt, dass sie das Gespräch über Geld nicht selten <strong>für</strong> ein<br />

wenig indezent hält.<br />

Die <strong>Wissenschaft</strong> hat in den zurückliegenden Jahren im Verhältnis zu<br />

konkurrierenden Politikfeldern an Gewicht gewonnen. Man sieht das<br />

zumal an der Entwicklung der Einzeletats. Solchen außerordentlichen<br />

Erfolg zu sichern, wird eine herausragende Aufgabe der kommenden<br />

Jahre sein. Und keine leichte: Viele Bundesländer können aufgrund<br />

der Finanznot ihren Mitfinanzierungsanteil nicht mehr ohne Weiteres<br />

aufbringen – und das schon bevor <strong>die</strong> Schuldenbremse greift und der<br />

Solidarpakt ausgelaufen ist. Die Finanznot droht Kooperationen des<br />

Bundes mit den Ländern zu blockieren, während gleichzeitig <strong>die</strong> Verteilungskämpfe<br />

zwischen <strong>die</strong>sen offenkundig an Schärfe zunehmen.<br />

Aus solchen Verteilungskämpfen wird <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> nicht herauszuhalten<br />

sein. Zugleich macht ihr Eigen-Sinn sie in besonderer Weise<br />

darauf angewiesen, dass das Geld <strong>die</strong> richtige Farbe hat. Es ist also<br />

eine Frage der Finanzierungsstrukturen, von denen ich drei herausgegriffen<br />

habe.<br />

1. Drittmittel<br />

Die Verhältnisse zwischen stetiger Grund- und projektförmiger Drittmittelfinanzierung<br />

von <strong>Wissenschaft</strong> verschieben sich seit Jahrzehnten<br />

zulasten der Grundausstattung. Proportional zu ihr werben <strong>die</strong><br />

deutschen Universitäten mittlerweile mehr Drittmittel ein als <strong>die</strong><br />

Institute etwa der Max-Planck-Gesellschaft, <strong>die</strong> ihrerseits mit einer<br />

jährlich fünfprozentigen Steigerung ihrer Grundfinanzierung aus dem<br />

Pakt <strong>für</strong> Forschung planen können. Wenn <strong>die</strong> Drittmittelabhängigkeit<br />

der Universitäten steigt, <strong>die</strong>jenige der außeruniversitären Forschung<br />

im Vergleich dazu aber ab nimmt, dann<br />

entstehen systemische Asymmetrien:<br />

risikoreiche Forschung tut sich dann<br />

schwerer als der überraschungsarme<br />

Mainstream; Daueraufgaben wie Hochschulbau<br />

und -unterhalt, Infrastrukturen<br />

und akademische Lehre – bei über<strong>die</strong>s<br />

steigenden Stu<strong>die</strong>rendenzahlen,<br />

nota bene – drohen strukturell<br />

benachteiligt zu werden; langfristig<br />

angelegte Grundlagenforschung<br />

könnte sich aus der Universität<br />

zurückziehen; es könnte unklar<br />

werden, ob Drittmittel zur Beantwortung<br />

von Forschungsfragen<br />

gesucht werden, oder nicht umgekehrt<br />

Forschungsfragen zum<br />

Zwecke der Beantragung von<br />

Drittmitteln. Derartige Entwicklungen<br />

stellen <strong>für</strong> den produktiven Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong>, <strong>für</strong><br />

ihre Leistungskraft und Leistungshöhe ein Risiko dar. Ich muss das<br />

hier nicht weiter ausführen. Lassen Sie mich nur <strong>die</strong> prinzipielle –<br />

und einer ernsthaften Diskussion durchaus würdige – Frage hinzufügen,<br />

ob tatsächlich sich alles in der <strong>Wissenschaft</strong> den arbeitsteiligen<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


und kurzfristigen Organisationsformen von Forschungsprojekten<br />

fügt. Auch der Beweis der Riemann´schen Vermutung? – Und auch<br />

<strong>die</strong> akademische Lehre? Die Daueraufgaben der <strong>Wissenschaft</strong> verhalten<br />

sich sperrig zu jenem Eigen-Sinn, der <strong>die</strong> Politik ihrerseits prägt.<br />

Sie sind unspektakulär, sie helfen nicht zur Selbstbehauptung in den<br />

Aufmerksamkeitsökonomien des Me<strong>die</strong>nsystems. Junge Leute kommen<br />

ins Studium und verlassen es alsbald wieder: hoffentlich klüger,<br />

vielleicht weniger naiv, womöglich bereichert und nicht selten er -<br />

nüch-tert. Aber auch solcherlei Unspektakuläres ist <strong>für</strong> Zusammenhalt<br />

und Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft eine<br />

konstitutive Leistung. Und <strong>die</strong> Finanzierungsstrukturen müssen dem<br />

Rechnung tragen.<br />

2. Föderalismus<br />

Die angedeuteten Verschiebungen im Verhältnis der Farben des Geldes<br />

haben nicht allein, sie haben aber auch mit der föderalen Verteilung<br />

von Kompetenzen und Finanzkraft zu tun. Diese beschränkt <strong>die</strong><br />

institutionellen Finanzierungsmöglichkeiten des Bundes auf <strong>die</strong><br />

außeruniversitäre Forschung und legt ihn <strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochschulen auf<br />

<strong>die</strong> Projektfinanzierungsstrukturen von „Vorhaben“ (Art. 91b GG)<br />

fest. Das aber ist eine Krux: Staatliche Mittel können gerade nicht<br />

dort eingesetzt werden, wo nicht nur <strong>die</strong> Unterfinanzierung am größten<br />

ist, sondern auch der gesamtgesellschaftliche Nutzen es sein<br />

würde. Es ist deswegen eine, sagen wir: Nachbesserung der Föderalismusreform<br />

von 2006 erforderlich, <strong>die</strong> ein Zusammenwirken von<br />

Bund und Ländern auch bei der Finanzierung von Einrichtungen der<br />

<strong>Wissenschaft</strong> ermöglicht. Solche Einrichtungen könnten dann auch<br />

zum Beispiel in dem Sinne Bundesuniversität sein, dass etwa in der<br />

Exzellenzinitiative besonders hervorstechende Landesuniversitäten<br />

dauerhaft einen zusätzlichen, vom Bund getragenen Grundfinanzierungsanteil<br />

erhalten, der ihren Finanzierungsrückstand gegenüber<br />

den führenden europäischen Forschungsuniversitäten mindern und<br />

ihre Leistungskraft erhöhen würde.<br />

3. Nichtsstaatliche <strong>Wissenschaft</strong>sförderung<br />

Daneben wird staatliche <strong>Wissenschaft</strong>sfinanzierung in wachsendem<br />

Maße von nicht-staatlicher Förderung ergänzt werden müssen und<br />

dem <strong>Stifterverband</strong> kommt hierbei eine herausgehobene Rolle zu.<br />

Dabei versteht sich, dass auch <strong>die</strong> Farbe des privaten Geldes auf den<br />

Eigen-Sinn von <strong>Wissenschaft</strong> abgetönt sein will; und zwar nicht<br />

zuletzt im wohlverstandenen Eigeninteresse der Stifter. Förderformate<br />

beeinflussen mindestens so sehr wie Fördervolumina <strong>die</strong> „Spiele“ der<br />

<strong>Wissenschaft</strong>. Sie haben strukturelle Folgen. Und beinahe bin ich<br />

dabei, mich zu wiederholen, wenn ich betone, dass auch <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sfinanzierung<br />

durch Unternehmen gut daran tut, solche Folgen<br />

zu reflektieren. Strukturell grundmittelähnliche Fördermittel, eine<br />

Entschleunigung der Förderperioden, ausreichende Overheads, damit<br />

nicht Drittmittel <strong>die</strong> Gestaltungsfreiheit der Grundmittel noch<br />

weiter abschnüren, oder auch <strong>die</strong> Ergänzung der Projektförderung<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong> 47<br />

Essay<br />

um <strong>die</strong> Förderung von Personen würden wichtige Themen einer solchen<br />

Reflexion sein. Manches davon haben wir im vergangenen<br />

November beim Villa-Hügel-Gespräch 2010 in einer Weise diskutieren<br />

können, an <strong>die</strong> sich konstruktiv anschließen ließe.<br />

Fazit<br />

Die gesellschaftliche Leistungskraft, <strong>die</strong> ökonomische und kulturelle<br />

Wirksamkeit von <strong>Wissenschaft</strong>, sie hängt daran, dass ihr Eigen-Sinn<br />

<strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong> von anderen sozialen Handlungsfeldern unterscheidet.<br />

Es bedarf ihrer überhaupt nur in dem Maße, in welchem sie<br />

gerade anders operiert als Politik, Wirtschaft, Religion oder Me<strong>die</strong>n.<br />

Lassen Sie mich vor <strong>die</strong>sem Hintergrund zuletzt einem möglichen<br />

Missverständnis vorbeugen: Ich habe keineswegs gegen Drittmittel<br />

oder <strong>die</strong> Exzellenzinitiative, gegen den Föderalismus oder gegen<br />

staatliche <strong>Wissenschaft</strong>sfinanzierung argumentiert. Es ging mir vielmehr<br />

um ausbalancierte Relationen von Dritt- und Grundmitteln,<br />

von wettbewerblicher und institutioneller Förderung, um produktive<br />

Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern sowie von staatlichen<br />

und nichtstaatlichen Finanzierungsstrukturen. Und es ging<br />

darum, <strong>die</strong>se, <strong>die</strong> jeweilige Farbe des Geldes, im Interesse gesamtgesellschaftlicher,<br />

kultureller und ökonomischer Entwicklung möglichst<br />

präzise auf den Eigensinn von <strong>Wissenschaft</strong> abzustimmen.<br />

Und das ist kein Projekt. Das ist eine Daueraufgabe – und zwar der<br />

<strong>Wissenschaft</strong> selbst ebenso wie der <strong>Wissenschaft</strong>sförderung und der<br />

<strong>Wissenschaft</strong>spolitik: Es tun sich bei uns nicht nur <strong>die</strong> Infragestellung<br />

des Wissens institutionell schwerer als seine Behauptung und intellektuelle<br />

Autonomie schwerer als wissenschaftliche Zweckbindung.<br />

Es tut sich auch <strong>die</strong> akademische Lehre mit der Reproduktion des<br />

wissenschaftlichen Wissens politisch und finanziell entschieden<br />

schwerer als <strong>die</strong> Wissensproduktion und <strong>die</strong> Forschung. Dies aber<br />

muss sich ändern, wenn wir nicht neben den finanziellen und ökologischen<br />

auch jene wissenschaftlichen, intellektuellen, kulturellen Ressourcen<br />

zu einem übergroßen Teil schon heute verbrauchen wollen,<br />

von denen wir morgen werden leben müssen.<br />

Dem <strong>Stifterverband</strong> kommt bei der Bearbeitung <strong>die</strong>ser Daueraufgabe<br />

große, ich möchte sagen: besondere Verantwortung zu. So mäzenatisch<br />

üppig <strong>die</strong> Finanzvolumina bemessen sind, mit denen er <strong>Wissenschaft</strong><br />

in ihren vielfältigen Funktionen fördert: Den noch wichtigeren<br />

Einfluss nimmt der <strong>Stifterverband</strong> auf <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>spolitik, wirklich<br />

förderlich <strong>für</strong> den Eigen-Sinn der <strong>Wissenschaft</strong> wirkt er, indem er<br />

<strong>für</strong> das Geld <strong>die</strong> richtigen Farben wählt.<br />

Ich wünsche herzlich, dass das auch in Zukunft gelingen möge.


Service<br />

Publikationen<br />

Stu<strong>die</strong>: Bestandsaufnahme des<br />

gemeinnützigen Sektors<br />

Die organisierte Zivilgesellschaft – der Dritte<br />

Sektor – bewegt 89 Milliarden Euro jährlich.<br />

2007 trugen gemeinnützige Organisationen<br />

mit 4,1 Prozent zur gesamtwirtschaftlichen<br />

Bruttowertschöpfung von rund 2.200 Milliarden<br />

Euro bei. Der Dritte Sektor ist damit in<br />

etwa so groß wie <strong>die</strong> deutsche Bauwirtschaft<br />

und halb so groß wie der öffentliche Sektor.<br />

Den größten Anteil an der Wertschöpfung im<br />

Dritten Sektor haben Organisationen aus den<br />

Bereichen Gesundheit und Soziales mit 51<br />

Milliarden Euro (58 Prozent). Dies sind einige<br />

der Ergebnisse einer Stu<strong>die</strong> vom Statistischen<br />

Bundesamt und dem Centrum <strong>für</strong> soziale<br />

Investitionen und Innovationen, das innerhalb<br />

des Projekts „Zivilgesellschaft in Zahlen“<br />

entstanden ist. Der Abschlussbericht des<br />

Projektmoduls 1 („Daten aus dem Unternehmensregister“)<br />

gibt unter anderem Auskunft<br />

über <strong>die</strong> Anzahl von Unternehmen und sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigten, aufgeschlüsselt<br />

nach Bundesländern und Wirtschaftszweigen,<br />

sowie zur Wertschöpfung des<br />

Dritten Sektors. „Zivilgesellschaft in Zahlen“<br />

ist eine gemeinsame Initiative von <strong>Stifterverband</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, Bertelsmann<br />

Stiftung und Fritz Thyssen Stiftung.<br />

Sigrid Fritsch, Manfred Klose, Rainer Opfermann,<br />

Natalie Rosenski, Norbert Schwarz,<br />

Helmut K. Anheier und Norman Spengler:<br />

Bestandsaufnahme des gemeinnützigen Sektors.<br />

Berlin, Juni <strong>2011</strong>. Kostenloser Download<br />

auf www.stifterverband.de<br />

Nutzerhandbuch<br />

Zivilgesellschaftsdaten<br />

Wie viele Organisationen umfasst <strong>die</strong> Zivilgesellschaft?<br />

Über welche Ressourcen verfügen<br />

<strong>die</strong>se? Wie sind <strong>die</strong> gesellschaftlichen<br />

Selbstorganisationspotenziale von Zivilgesellschaft<br />

sozial und regional verteilt? Diese und<br />

andere Fragen versucht das Projekt „Zivilgesellschaft<br />

in Zahlen“ von <strong>Stifterverband</strong>, Bertelsmann<br />

Stiftung und Fritz Thyssen Stiftung<br />

zu klären. Das „Nutzerhandbuch Zivilgesellschaftsdaten“<br />

gibt einen ersten Einblick in<br />

<strong>die</strong> zivilgesellschaftlichen Zusammenhänge<br />

in Deutschland. Die enthaltenen Steckbriefe<br />

fokussieren dabei nicht auf <strong>die</strong> Bandbreite der<br />

Datenlage, sondern auf einzelne Datenquellen.<br />

Gefragt wird nach deren Beitrag und Nutzen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Zivilgesellschaftsforschung. Die Steckbriefe<br />

porträtieren Informationsquellen, <strong>die</strong><br />

Spotlights auf einzelne Organisationen werfen<br />

oder <strong>die</strong> Arbeit ganzer Bereiche dokumentieren.<br />

Sie bewerten Datenqualität sowie Aktualität<br />

und geben Beispiele sowie Hinweise, wo<br />

<strong>die</strong> Daten zu recherchieren sind.<br />

Timo Tamm, David-Karl Hubrich, Norman<br />

Spengler und Holger Krimmer: Nutzerhandbuch<br />

Zivilgesellschaftsdaten. Zivilgesellschaft<br />

in Zahlen – Band 3. 114 Seiten. ISBN:<br />

978-3-922275-46-6. Essen, April <strong>2011</strong><br />

Termine<br />

10. bis 12. November <strong>2011</strong><br />

Konferenz: Deutsch in den <strong>Wissenschaft</strong>en<br />

Ob Doktorarbeiten, Forschungsergebnisse<br />

oder Vorträge – Sprache spielt sowohl im wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisprozess als auch<br />

in der Vermittlung von Wissen und Ideen eine<br />

zentrale Rolle. Deutsch als <strong>Wissenschaft</strong>ssprache<br />

hat hier eine lange Tradition. Doch<br />

kann sich das <strong>Deutsche</strong> im Zeitalter der Globalisierung<br />

und des Vormarschs der englischen<br />

Sprache im <strong>Wissenschaft</strong>sbetrieb weiterhin<br />

durchsetzen? Dieser Frage gehen der<br />

<strong>Deutsche</strong> Akademische Austausch<strong>die</strong>nst<br />

(DAAD), das Goethe-Institut und das Institut<br />

<strong>für</strong> <strong>Deutsche</strong> Sprache (IDS) auf der Konferenz<br />

„Deutsch in den <strong>Wissenschaft</strong>en“ nach.<br />

Akteure aus Forschung, Politik und Kultur<br />

sind eingeladen, sich in Foren und Diskussionsrunden<br />

über das Thema auszutauschen.<br />

Ergänzt wird das Konferenzprogramm durch<br />

<strong>die</strong> Verleihung des Jakob- und Wilhelm-<br />

Grimm-Preises, den der DAAD jedes Jahr an<br />

einen <strong>Wissenschaft</strong>ler aus dem Ausland <strong>für</strong><br />

herausragende Arbeiten auf den Gebieten Germanistische<br />

Literatur- und Sprachwissenschaften,<br />

Deutsch als Fremdsprache sowie Deutschlandstu<strong>die</strong>n<br />

vergibt. Preisträger in <strong>die</strong>sem Jahr<br />

ist der polnische Linguist Leslaw Circo von<br />

der Universität Breslau.<br />

Veranstaltungsort: Eventhalle Casino Zeche<br />

Zollverein, Essen. Anmeldung auf der Webseite<br />

www.wissenschaftssprache-deutsch.de<br />

15. November <strong>2011</strong><br />

Stiftungsmodelle <strong>für</strong> Familienunternehmen<br />

im Spannungsfeld zwischen Altruismus und<br />

Nachfolgelösungen<br />

Von Unternehmen wird heute wie selbstverständlich<br />

erwartet, dass sie Verantwortung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft übernehmen. Die Möglichkeiten<br />

sind dabei äußerst vielfältig. Unternehmen<br />

setzen sich <strong>für</strong> bessere Bildung, innovative<br />

Forschung, <strong>für</strong> soziale Zwecke, aber<br />

auch <strong>für</strong> lebendige Kultur ein. In einer Stiftung<br />

lässt sich <strong>die</strong>ses Engagement besonders<br />

48 <strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


gut bündeln. Die Tagung „Stiftungsmodelle<br />

<strong>für</strong> Familienunternehmen im Spannungsfeld<br />

zwischen Altruismus und Nachfolgelösungen“<br />

stellt verschiedene Arten und Ausprägungen<br />

von Stiftungen vor und erklärt, welche<br />

Funktionen und Vorteile sie <strong>für</strong> Familienunternehmen<br />

besitzen. So gelten Unternehmensstiftungen<br />

beispielsweise als identitätsstiftend<br />

und können auf <strong>die</strong>se Weise den<br />

Familiengeist über Generationen hinweg im<br />

Unternehmen bewahren. Das <strong>Deutsche</strong> Stiftungszentrum<br />

(DSZ) organisiert <strong>die</strong> Tagung<br />

gemeinsam mit dem Wittener Institut <strong>für</strong><br />

Familienunternehmen. Sie ist <strong>die</strong> dritte Veranstaltung<br />

in der Reihe „Stiftung & Unternehmen“.<br />

Veranstaltungsort: Universität Witten/Herdecke,<br />

Witten<br />

21. bis 23. November <strong>2011</strong><br />

WISSENSWERTE: Bremer Forum <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus<br />

Forschung und Innovation zu vermitteln, ist<br />

eine der großen Herausforderungen der<br />

modernen <strong>Wissenschaft</strong>. Dieser Herausforderung<br />

stellt sich seit 2004 <strong>die</strong> WISSENS-<br />

WERTE, das Bremer Forum <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus.<br />

Hier treffen sich Journalisten,<br />

Kommunikationsexperten sowie<br />

me<strong>die</strong>n-interessierte Forscher, um neueste<br />

Entwicklungen zu diskutieren. Der <strong>Stifterverband</strong><br />

unterstützt <strong>die</strong>se Leitmesse des <strong>Wissenschaft</strong>sjournalismus<br />

schon seit Jahren. Das<br />

Forum bietet prominent besetzte Podiumsdiskussionen,<br />

Vorträge führender <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

zu Trends der naturwissenschaftlichen<br />

und technischen Spitzenforschung sowie<br />

vielfältige Weiterbildungsangebote <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalisten<br />

und Kommunikationsprofis.<br />

In der begleitenden Fachausstellung<br />

„WissensCampus“ präsentieren sich Stiftungen,<br />

Institute und Forschungsabteilungen<br />

führender Unternehmen. <strong>2011</strong> wird der Arzt<br />

und Kabarettist Eckart von Hirschhausen den<br />

Eröffnungsvortrag halten. In den Diskussi-<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

onsrunden geht es unter anderem um Social<br />

Media <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sjournalisten, Recherchieren<br />

unter Zeitdruck und <strong>die</strong> Fukushima-<br />

Katastrophe in den Me<strong>die</strong>n.<br />

Veranstaltungsort: Congress Centrum Bremen,<br />

Bremen. Teilnahme nach vorheriger<br />

Anmeldung unter www.wissenswertebremen.de.<br />

6. bis 8. Dezember <strong>2011</strong><br />

4. Forum <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation<br />

Wie kommunizieren <strong>Wissenschaft</strong> und Politik?<br />

Welches Bild hat <strong>die</strong> Gesellschaft von<br />

<strong>Wissenschaft</strong> und welche Chancen ergeben<br />

sich aus der Nutzung von Social-Media-Kanälen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> akademische Welt? Diese und<br />

andere Fragen stehen im Mittelpunkt des 4.<br />

Forums <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation. Der<br />

Themenschwerpunkt in <strong>die</strong>sem Jahr: Zwischen<br />

den Stühlen – <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation<br />

im Spannungsfeld von Politik,<br />

Gesellschaft und <strong>Wissenschaft</strong>. Die Veranstaltung<br />

richtet sich an alle, <strong>die</strong> täglich Themen<br />

aus <strong>Wissenschaft</strong> und Forschung vermitteln.<br />

Dazu zählen unter anderem Vertreter von<br />

Science Centern, Schülerlaboren, Hochschulen,<br />

Forschungseinrichtungen, aber auch <strong>Wissenschaft</strong>sjournalisten,<br />

Lehrer, <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

und Mitarbeiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.<br />

In Plenarvorträgen, Sessions<br />

und interaktiven Angeboten haben sie <strong>die</strong><br />

Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu<br />

kommen, sich auszutauschen und zu diskutieren,<br />

wie sich <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation<br />

in Zukunft weiterentwickeln wird. Das<br />

4. Forum <strong>Wissenschaft</strong>skommunikation wird<br />

unterstützt von der Klaus Tschira Stiftung,<br />

dem <strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

und <strong>die</strong> Schering Stiftung.<br />

Veranstaltungsort: Gürzenich Köln. Anmeldung<br />

auf www.wissenschaft-im-dialog.de<br />

Fotos: David Ausserhofer/Standout.de<br />

Ansprechpartner<br />

Der <strong>Stifterverband</strong> ist <strong>die</strong> gemeinsame Initia -<br />

tive der Wirtschaft zur Förderung von <strong>Wissenschaft</strong>.<br />

Seine rund 3.000 Mitglieder und<br />

Förderer wenden pro Jahr rund 30 Millionen<br />

Euro <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verbesserung des Hochschul- und<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ssystems auf. Dazu entwickelt der<br />

<strong>Stifterverband</strong> Programme und Wettbewerbe.<br />

Die Stiftungen, <strong>die</strong> unter dem Dach des <strong>Stifterverband</strong>es<br />

arbeiten, fördern einzelne <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

und Forschungsprojekte. Fast 500<br />

Stiftungen wenden im Jahr über 120 Millionen<br />

Euro auf. Als einzige Institution in<br />

Deutschland erhebt und analysiert der <strong>Stifterverband</strong><br />

<strong>die</strong> Daten über <strong>die</strong> Aufwendungen<br />

der deutschen Wirtschaft im Bereich Forschung<br />

und Entwicklung. Der Sitz der Hauptverwaltung<br />

des <strong>Stifterverband</strong>es befindet sich in<br />

Essen, in Berlin führt er ein Hauptstadtbüro.<br />

Seit über 50 Jahren ist „Wirtschaft & <strong>Wissenschaft</strong>“<br />

das offizielle Organ des <strong>Stifterverband</strong>es.<br />

Redaktion und Verlag sind in Essen tätig.<br />

Ansprechpartner im <strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Themen <strong>die</strong>ses Heftes sind:<br />

Diversity<br />

Bettina Jorzik<br />

Tel.: (02 01) 84 01-1 03<br />

Enterprising Knowledge<br />

Andrea Frank<br />

Tel.: (0 30) 32 29 82-5 02<br />

Stiftungsprofessuren<br />

Melanie Schneider<br />

Tel.: (02 01) 84 01-1 70<br />

Programmarbeit<br />

Volker Meyer-Guckel<br />

Tel.: (0 30) 32 29 82-5 00<br />

49


50<br />

Service<br />

Personen<br />

Zolak Ter-Harutunian verstorben<br />

Mit Zolak Ter-Harutunian verliert der <strong>Stifterverband</strong><br />

eine Stifterpersönlichkeit, <strong>die</strong> durch<br />

ihr Engagement in Erinnerung bleiben wird,<br />

aber auch als Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts.<br />

Geboren am 21. Februar 1920 in Yerevan,<br />

Armenien, als Kind von Überlebenden des<br />

Genozids an den Armeniern im Osmanischen<br />

Reich (1915/16), wuchs er seit seinem zweiten<br />

Lebensjahr in Berlin auf. Die Erfahrung<br />

der 1930er-Jahre, <strong>die</strong> Verfolgung der Kommunisten,<br />

zu denen auch sein Bruder gehörte,<br />

<strong>die</strong> zunehmende Diskriminierung seiner jüdischen<br />

Freunde, schließlich der Kriegsausbruch,<br />

sollten ihn zutiefst prägen. Sein Engagement<br />

während des Krieges zur Rettung sowjetischer<br />

Kriegsgefangener hat er stets nur als<br />

biografische Episode verstanden und öffentliche<br />

Darstellungen gescheut. Nach einer Ausbildung<br />

als Kameramann verließ er nach dem<br />

Krieg Berlin, um in München und Düsseldorf<br />

selbstständig in der Wirtschaft tätig zu sein.<br />

1989 gründete er <strong>die</strong> Stiftung <strong>für</strong> Armenische<br />

Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> sich der Förderung von Forschung,<br />

Bildung und des Kulturaustauschs<br />

widmet. Die Stiftung wurde Träger des Instituts<br />

<strong>für</strong> Diaspora- und Genozidforschung an<br />

der Ruhr-Universität Bo chum. Ter-Harutunian<br />

starb am 19. April <strong>2011</strong> in Düsseldorf.<br />

Sein leises Engagement, seine charismatische<br />

Persönlichkeit und seine Sensibilität gegenüber<br />

jeder Form von Gewalt werden nachdrücklich<br />

in Erinnerung bleiben. Sein<br />

Wunsch, junge Stu<strong>die</strong>rende an <strong>die</strong> Erinnerung<br />

an <strong>die</strong> Kriege und <strong>die</strong> Gewalt des 20.<br />

Jahrhunderts heranzuführen, wird zukünftig<br />

über <strong>die</strong> Etablierung eines Zolak Ter-Harutunian-Stipendiums<br />

geehrt werden.<br />

In eigener Sache<br />

Neue Büros <strong>für</strong> den <strong>Stifterverband</strong><br />

Zentraler geht es kaum: Seit September <strong>2011</strong><br />

ist das Hauptstadtbüro des <strong>Stifterverband</strong>es<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong> am Pariser<br />

Platz zu finden. Die neuen, repräsentativen<br />

Büroräume mit Blick auf das Brandenburger<br />

Tor bieten mehr Platz als das alte Berliner<br />

Domizil. So wird im Hauptstadtbüro künftig<br />

auch <strong>die</strong> Expertenkommission Forschung<br />

und Innovation (EFI), <strong>die</strong> der <strong>Stifterverband</strong><br />

koordiniert, ansässig sein. Am Hauptsitz des<br />

<strong>Stifterverband</strong>es gibt es ebenfalls räumliche<br />

Veränderungen. Der alte Standort in Essen-<br />

Heidhausen ist zu klein geworden. Der <strong>Stifterverband</strong><br />

hat deshalb ein zusätzliches Büro in<br />

der Essener Innenstadt eröffnet. Hier werden<br />

in Zukunft das Generalsekretariat sowie <strong>die</strong><br />

Abteilungen Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Marketing und Akquisition, Programme<br />

und Förderungen sowie <strong>die</strong> <strong>Wissenschaft</strong>sstatistik<br />

ansässig sein.<br />

Hauptstadtbüro Berlin<br />

<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Pariser Platz 6<br />

10117 Berlin<br />

Standort Essen-Innenstadt<br />

Besucheradresse:<br />

<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Rellinghauser Straße 3<br />

45128 Essen<br />

Postadresse:<br />

<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Barkhovenallee 1<br />

45239 Essen<br />

Impressum<br />

Wirtschaft & <strong>Wissenschaft</strong>:<br />

Heft 3/<strong>2011</strong>, 19. Jahrgang<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Verlag:<br />

Edition <strong>Stifterverband</strong> – Verwaltungsgesellschaft<br />

<strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>spflege mbh, Essen<br />

Chefredakteur:<br />

Michael Sonnabend<br />

(verantwortlich <strong>für</strong> den Inhalt)<br />

Chefin vom Dienst:<br />

Simone Höfer<br />

Redaktion:<br />

Nadine Bühring, Cornelia Herting (Bild),<br />

Björn Quäck, Frank Stäudner<br />

Redaktionsanschrift:<br />

<strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Barkhovenallee 1, 45239 Essen<br />

Tel.: (02 01) 84 01-1 59<br />

<strong>wuw</strong>@stifterverband.de<br />

Grafik und Layout<br />

SeitenPlan GmbH, Dortmund<br />

www.seitenplan.com<br />

Erscheinungsweise:<br />

4 x jährlich<br />

ISSN 0943-5123<br />

Klimaneutral gedruckt<br />

Print k ompensier ompensiert<br />

Id-Nr.<br />

1113464<br />

www.bvdm<br />

online.de<br />

Papier und Betrieb (Druckerei Schmidt,<br />

Lünen) FSC-zertifiziert<br />

<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong>


<strong>Stifterverband</strong> | W&W 3-<strong>2011</strong><br />

Frisch im Web<br />

Der <strong>Stifterverband</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

erweitert seine Präsenz im Internet: Ganz nach<br />

dem Prinzip des Web 2.0 lädt er nun interessierte<br />

Internetnutzer ein, sich aktiv über <strong>die</strong> Themen<br />

Hochschule, <strong>Wissenschaft</strong> und Bildung auszutauschen.<br />

Seit Kurzem ist der <strong>Stifterverband</strong> beispielsweise<br />

auf dem sozialen Netzwerk Facebook<br />

vertreten. Hier können sich Facebook-Nutzer<br />

unter anderem über anstehende Veranstaltungstermine,<br />

Projekte und Wettbewerbe informieren,<br />

durch Bildergalerien klicken oder Videos aus der<br />

webTV-Reihe anschauen. Der gegenseitige Austausch<br />

steht dabei stets im Vordergrund. Aber<br />

auch <strong>die</strong> Hochschulperle, <strong>die</strong> der <strong>Stifterverband</strong><br />

einmal im Monat an innovative und beispielhafte<br />

Projekte an Universitäten vergibt, besitzt eine<br />

eigene Facebook-Seite.<br />

Gut vernetzt<br />

Schon etwas länger ist der <strong>Stifterverband</strong> bei Twitter<br />

aktiv. Dort gibt es kurz und kompakt Neuigkeiten<br />

und Wissenswertes rund um <strong>die</strong> deutsche<br />

Hochschul- und Forschungslandschaft. Darüber<br />

hinaus haben Internetnutzer <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

Tagungen und Konferenzen des <strong>Stifterverband</strong>es<br />

live über Twitter zu verfolgen. Bis jetzt ist das<br />

Twitter-Netzwerk des <strong>Stifterverband</strong>es auf mehr als<br />

1.200 sogenannte Follower angewachsen –<br />

<strong>Wissenschaft</strong>sorganisationen, Stiftungen, Hochschulen<br />

oder einfache Privatleute, <strong>die</strong> unsere<br />

Nachrichten (Tweets) täglich verfolgen, kommentieren<br />

oder Anregungen geben. Der <strong>Stifterverband</strong><br />

wiederum „verfolgt“ rund 600 Twitter-Nutzer. Ein<br />

riesiges Netzwerk, das ständig weiter wächst.<br />

&<br />

www.facebook.com/stifterverband<br />

www.twitter.com/stifterverband<br />

www.facebook.com/hochschulperle<br />

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Hochschulperlen sind innovative, beispielhafte Projekte und ein Vorbild <strong>für</strong> andere Bildungs- und<br />

Forschungseinrichtungen. Weil sie klein sind, werden sie jedoch jenseits der Hochschulmauern kaum<br />

wahrgenommen. Weil sie glänzen, können und sollten sie aber auch andere Hochschulen schmücken.<br />

Auch <strong>2011</strong> wählt der <strong>Stifterverband</strong> jeden Monat eine Hochschulperle aus und kürt zum<br />

Schluss <strong>die</strong> Hochschulperle des Jahres.<br />

Studentengeschichten aus Augsburg<br />

Organisiert, kulturell, streng, aber auch Bratwurst, Bier und Bayern München –<br />

<strong>die</strong>se Begriffe fallen ausländischen Stu<strong>die</strong>renden ein, wenn sie an Deutschland<br />

denken. Was sie sonst noch mit Deutschland verbinden, erzählen sie in dem<br />

zehnminütigen Podcast „Who is Germany“. „Student.stories“ heißen <strong>die</strong><br />

originellen Audiobeiträge im Internet, mit denen Augsburger Studenten <strong>für</strong><br />

ihre internationalen Kommilitonen über das Leben und Stu<strong>die</strong>ren in der<br />

Stadt berichten. In den mittlerweile mehr als 30 Folgen geht es um den Unialltag,<br />

<strong>die</strong> Wohnungssuche oder <strong>die</strong> Augsburger Puppenkisten. Wegen der<br />

Begleittexte in verschiedenen Sprachen sind <strong>die</strong> Podcasts auch <strong>für</strong> internationale<br />

Stu<strong>die</strong>rende leicht verständlich. Die Studenten der Universität Augsburg produzieren<br />

<strong>die</strong> Hörspiele selbst – unterstützt vom Institut <strong>für</strong> Me<strong>die</strong>n und Bildungstechnologie, das<br />

<strong>die</strong> Initiative gemeinsam mit dem Studentenwerk Augsburg betreut.<br />

Wunderbarer Waschsalon<br />

Obdachlosigkeit und Armut gefährden <strong>die</strong> Gesundheit. Nicht so in Hagen. Hier kümmern sich Medizinstudenten<br />

der Universität Witten/Herdecke in „Luthers Waschsalon“ darum, dass auch Menschen<br />

ohne Krankenversicherung eine adäquate Gesundheitsversorgung erhalten. Die angehenden<br />

Ärzte behandeln bedürftige Kranke kostenlos. Unter der Aufsicht eines erfahrenen Arztes<br />

erweitern sie dabei zudem ihre sozialen und kommunikativen Fähigkeiten, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> gute ärztliche<br />

Praxis wichtig sind. Wenn nötig, wird zum Spezialisten überwiesen. Bei dem Projekt arbeitet<br />

<strong>die</strong> medizinische Fakultät der Universität eng mit der Bahnhofsmission<br />

Hagen und der Lutherkirchengemeinde zusammen. Sie hatten den Waschsalon<br />

ursprünglich gegründet, um Wohnungslosen <strong>die</strong> Möglichkeit zu<br />

geben, sich zu waschen und zu duschen.<br />

Bochumer Studenten<br />

beraten Schüler<br />

Wie viele Stu<strong>die</strong>nabbrüche ließen sich<br />

wohl durch <strong>die</strong> richtige Beratung vor Stu<strong>die</strong>nbeginn<br />

verhindern? Und wer könnte<br />

Fragen zum Studium besser beantworten<br />

als <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> mittendrin stecken?<br />

Die Ruhr-Universität Bochum hat <strong>die</strong>sen<br />

Gedanken konsequent weitergedacht und<br />

das Projekt Mailmentoring Plus ins Leben<br />

gerufen. Mailmentoring Plus vermittelt<br />

E-Mail-Kontakte zwischen Abiturienten<br />

und Stu<strong>die</strong>renden. Stu<strong>die</strong>ninteressierte<br />

Schüler tauschen sich mit ihren studentischen<br />

Mentoren über Stu<strong>die</strong>nverlauf,<br />

Inhalte und Unialltag aus. Viele Mentorentandems<br />

treffen sich auch persönlich,<br />

erkunden das Campusleben oder besuchen<br />

sogar gemeinsam ein Seminar.<br />

& www.hochschulperle.de

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