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Pico della Mirandola (Herausgegeben und kommentiert von Jörg Lauster): Über die Würde des Menschen (Leseprobe)

»Phönix der Geister« nannten ihn seine Zeitgenossen, von einem Mozart für Philosophen spricht einer seiner besten Kenner in der Gegenwart. Pico della Mirandola wurde in seinem kurzen Leben vor allem für eine Rede berühmt, die ihn der Papst nie halten ließ, die »Oratio de hominis dignitate«. Sie gilt als ein Glanzpunkt des Menschenverständnisses der Renaissance, das tief in der christlichen Tradition wurzelt. Pico interpretiert die Erschaffung zur Gottebenbildlichkeit als Auftrag, das Menschsein in freier Selbsttätigkeit als Angleichung an Gott zu gestalten. Seine Einsichten zu Menschenbild und idealer Lebensführung stützt er auf ein umfassend philosophisch-theologisches Programm, das nicht nur Christentum, antike Philosophie und Weisheitstraditionen, sondern auch Christentum und Judentum miteinander versöhnen will.

»Phönix der Geister« nannten ihn seine Zeitgenossen, von einem Mozart für Philosophen spricht einer seiner besten Kenner in der Gegenwart. Pico della Mirandola wurde in seinem kurzen Leben vor allem für eine Rede berühmt, die ihn der Papst nie halten ließ, die »Oratio de hominis dignitate«. Sie gilt als ein Glanzpunkt des Menschenverständnisses der Renaissance, das tief in der christlichen Tradition wurzelt.
Pico interpretiert die Erschaffung zur Gottebenbildlichkeit als Auftrag, das Menschsein in freier Selbsttätigkeit als Angleichung an Gott zu gestalten. Seine Einsichten zu Menschenbild und idealer Lebensführung stützt er auf ein umfassend philosophisch-theologisches Programm, das nicht nur Christentum, antike Philosophie und Weisheitstraditionen, sondern auch Christentum und Judentum miteinander versöhnen will.

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<strong>Jörg</strong> <strong>Lauster</strong><br />

ter den italienischen Gelehrten eine beachtliche Bandbreite<br />

der Interpretationsansätze ab. Min<strong>des</strong>tens drei Linien sind zu<br />

erkennen. Schon früh wurde erstens gesehen, dass Pico nicht<br />

nur im Kontext <strong>des</strong> Platonismus oder Aristotelismus seiner<br />

Zeit zu lesen ist, sondern mit seinem Interesse an jüdischen<br />

Quellen <strong>und</strong> der Kabbala eigene Weg in Richtung eines modernen<br />

Universalismus beschritt. 14 Zweitens erfreute sich<br />

eine Interpretation besonderer Beliebtheit, <strong>die</strong> auf der Linie<br />

<strong>von</strong> Garins früher Monographie Pico als systembildenden<br />

Philosophen verstand. Schüler <strong>des</strong> einflussreichen Giovanni<br />

Gentile rückten <strong>die</strong> Renaissance nahe an den deutschen Idealismus<br />

heran <strong>und</strong> stilisierten Pico zu <strong>des</strong>sen Vorläufer. 15 Zudem<br />

verwiesen sie auf Picos kirchenkritische Passagen <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Reaktion der Inquisition. Das reichte offensichtlich, um<br />

ihn trotz seiner scholastischen Neigungen letztlich zu einem<br />

Vater <strong>des</strong> Antiklerikalismus zu erheben, der in Italien durchaus<br />

eine intellektuelle Tradition hatte <strong>und</strong> hat. Es mangelte<br />

dann aber drittens später – <strong>die</strong> Debatte um <strong>die</strong> Bedeutung Picos<br />

für <strong>die</strong> Theologie wurde zunächst außerhalb Italiens begonnen<br />

– auch nicht an Stimmen, <strong>die</strong> bei Pico eine ansprechende<br />

<strong>und</strong> durchaus kirchenkonforme Theologie fanden.<br />

Allein in der umfangreichen italienischen Forschung zu Pico<br />

konnte er als Universalist, als idealistischer Kirchenkritiker<br />

oder als innovativer Dogmatiker verstanden werden.<br />

Die Einschätzungen zu Picos Theologie sind für <strong>die</strong> Absicht<br />

<strong>des</strong> hier vorliegenden Ban<strong>des</strong> <strong>von</strong> besonderer Relevanz.<br />

Das theologische Interesse an Pico bewegt sich keineswegs in<br />

einem abgelegenen Sonderforschungsgelände. Ernst Cassirer<br />

hatte schon 1927 in seiner Stu<strong>die</strong> Individuum <strong>und</strong> Kosmos ein<br />

14 Vgl. Anagnine, Pico.<br />

15 Vgl. Saitta, Il pensiero italiano.<br />

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