TITEL Folgen der Inflation INFLATION ALS VORBOTE Die hohe Teuerungsrate vernichtet nicht nur Ersparnisse, sondern hat auch gravierende Folgen für die Sachversicherung: vielfach droht Unterversicherung, und dann rollt auch noch ein Prämien-Tsunami heran. – TEXT: STEFAN TERLIESNER – 18 <strong>procontra</strong> <strong>05</strong> | 22
Folgen der Inflation TITEL Sind Makler bald systemrelevant? Eine kühne Frage. Immerhin wird ihre Rolle als Finanzberater an der Seite ihrer Kunden „in nächster Zeit wohl noch wichtiger werden“, betont Maximilian Happacher, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der einflussreichen Deutschen Aktuarvereinigung, im Interview mit <strong>procontra</strong> (siehe Seite 20). Tatsächlich war das Thema Finanzplanung für einen Großteil der privaten Haushalte und Gewerbetreibende noch nie so drängend wie heute. „Unsere Berater haben alle Hände voll zu tun“, sagt auch Oliver Kieper, Vorstand bei Netfonds. Auf Anfrage von <strong>procontra</strong> bei zehn Maklerpools berichten die meisten von einem immer stärkeren Beratungsbedarf der Kunden. Angesichts rasant steigender Preise selbst für Güter des täglichen Bedarfs wie Brot, Butter und Energie überlegen sich immer mehr Menschen genau, wofür sie ihr Geld ausgeben. „Die realen Einkommen und die Ersparnisse der privaten Haushalte schmelzen dahin“, schreibt das ifo Institut in seiner Konjunkturprognose Herbst <strong>2022</strong>. Das Schlimmste stehe den Menschen noch bevor. Im kommenden Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent schrumpfen und die Inflationsrate auf 9,3 Prozent steigen. Ihren Höhepunkt werde die Geldentwertung voraussichtlich im ersten Quartal 2023 mit etwa 11 Prozent erreichen. „Erst 2024 erwarten wir eine Normalisierung mit 1,8 Prozent Wachstum und 2,4 Prozent Inflation“, berichtet Timo Wollmershäuser, Leiter Konjunkturprognosen beim ifo Institut (siehe Grafik). Das klingt nach Entspannung – ist es aber nicht. Das absolute Preisniveau wird hoch bleiben, lediglich die Preissteigerung zum Vorjahr (dann von 2024 zu 2023) fällt geringer aus und schmälert die Inflationsrate. Ziehen die Einkommen und Löhne nicht entsprechend nach, bleibt die Haushaltsbelastung weiterhin hoch und steigt weiter. UNTERVERSICHERUNG UND PRÄMIENANPASSUNGEN Die steigenden Preise strahlen mehr oder weniger auch stark auf die Deckungen und Prämien in der Sachversicherung aus. Versichert sind fast immer die Neuwerte, Wiederbeschaffungswerte oder Unterarten davon wie zum Beispiel gleitender Neuwert. All diese Werte sind von der aktuellen Preisentwicklung direkt betroffen. Sofern die Inflationsrate zu schnell klettert, liegen 10 8 6 4 2 0 Angaben in % INFLATIONSRATE IN DEUTSCHLAND Veränderung des Verbraucherpreisindex gegenüber Vorjahr 1,5 1,8 die versicherten Werte über der festgelegten Versicherungssumme – Unterversicherung droht. Zwar beinhalten viele Policen tariflich vereinbarte Anpassungen der Versicherungssumme und Beiträge, diese greife aber immer erst im Folgejahr. Durch die Kopplung der Versicherungssumme an diverse »Die realen Einkommen und die Ersparnisse der privaten Haushalte schmelzen dahin.« IFO INSTITUT, KONJUNKTURPROGNOSE HERBST <strong>2022</strong> Preisindizes soll Unterversicherung vermieden werden (siehe Grafik auf Seite 21). Normalerweise gelingt das, aber die Zeiten sind nicht mehr normal. Im Privatbereich könnten sich Absicherungslücken vor allem in der Wohngebäude-, Hausrat- und Kfz- Versicherung ergeben, im Gewerbesegment insbesondere in der Gebäude-, Inhalts- und Haftpflichtversicherung. Was die Beiträge betrifft, zeichnet sich eine Erhöhungsrunde ab. Viele Bestandsverträge enthalten eine Beitragsanpassungsklausel, die die Produktgeber nun umsetzen. Wie stark ein Versicherer an der Preisschraube dreht, hängt vom Wettbewerb sowie der eigenen Strategie und 1,4 0,5 2017 2018 2019 2020 2021 <strong>2022</strong>e 2023e 2024e 3,1 8,1 9,3 2,4 Quelle: Statistisches Bundesamt, Prognose vom ifo Institut Bilanzstärke ab. Noch halten sich die Versicherer auf Anfrage von <strong>procontra</strong> bedeckt – auch mit Verweis auf kartellrechtliche Gründe. „Wir können keine Option ausschließen“, heißt es lapidar. Oder: „Aktuariell wird sich das in künftigen Prämien niederschlagen.“ Pool-Vorstand Kieper hat bei Wohngebäudepolicen bereits Aufschläge „von 10 bis 25 Prozent“ gesehen, und das Ende sei noch nicht absehbar. Ursachlich dafür seien „explodierende Handwerkskosten“ sowie die Schäden der Hochwasserkatastrophe 2021. Wie hoch der Prämien-Tsunami sein wird, lassen auch Äußerungen von Rückversicherern auf dem Branchentreffen im Fürstentum Monte Carlo im September erahnen. Medienvertreter vor Ort berichten, dass die führenden Spieler der Szene – Munich Re, Swiss Re und Hannover Rück – ihre Kunden, also die Erstversicherer, auf prozentual zweistellige Preissteigerungen vorbereiten. Ein Großteil der Verteuerung dürfte beim Endkunden ankommen, also der Klientel der Makler. KÜHLEN KOPF BEWAHREN Wie werden Privathaushalte und Unternehmen darauf reagieren? Das ist die entscheidende Frage. Fest steht: In dieser Situation gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und an der richtigen Stelle zu sparen, also eben nicht überstürzt der Prämienerhöhung zu widersprechen oder sogar die Police zu kündigen. Statt mehr Prämie zu zahlen, kann ein Kunde einen höheren Selbstbehalt vereinbaren. Auch ein Tarifwechsel ist vielleicht sinnvoll. Solche Alternativen <strong>procontra</strong> <strong>05</strong> | 22 19