29. November 2022
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30 Gesellschaft<br />
<strong>29.</strong><strong>November</strong> <strong>2022</strong><br />
VOM WOHLENSEE IN DIE AARE TROTZ KRAFTWERK<br />
Wenn Fische einen<br />
Lift benützen<br />
Seit einem Jahr können Forellen<br />
und Barben die Aare aufwärts<br />
bis in den Wohlensee wandern.<br />
Möglich macht dies der neu installierte<br />
Fischlift beim Wasserkraftwerk<br />
Mühleberg. Mit ausgeklügeltem<br />
System werden die<br />
Fische so über das 22m hohe<br />
Wehr transportiert.<br />
Am Fuss des Gitterschachts, in einer<br />
geräumigen Metallwanne,<br />
schwänzelt ein kleiner Fisch im<br />
kühlen Aarewasser. Es ruckelt,<br />
leise schliesst sich die Klappe<br />
und los gehts. Langsam steigt die<br />
Wanne nach oben. Tropfen stieben<br />
in alle Richtungen. Der winzige<br />
Passagier lässt sich weder<br />
von Höhe noch Bewegung stören.<br />
Mit einem weiteren Ruck<br />
kommt der Lift nach kurzer<br />
Fahrt zum Stehen. Die Liftkabine<br />
kippt zur Seite. Es plätschert,<br />
gurgelt, rauscht und schäumt<br />
und schon saust der Minifisch<br />
mitsamt dem Wanneninhalt<br />
durch eine grosse Röhre direkt in<br />
den Wohlensee.<br />
Hindernis Wasserkraftwerk<br />
Was der beobachtete Winzling<br />
tut, schafften im letzten Jahr auch<br />
zahlreiche weitere Fische. Sie alle<br />
wollen stromaufwärts, um zu laichen,<br />
Nahrung zu suchen oder<br />
neue Lebensräume zu finden.<br />
Bislang endete die Reise am unteren<br />
Ende des Wehrs. 22m hoch ist<br />
die Staumauer, die den See hier<br />
zurückhält, um seit gut einem<br />
Jahrhundert mit Wasserkraft<br />
Strom zu gewinnen. Mit dem revidierten<br />
Gewässerschutzgesetz<br />
von 2011 müssen die Kantone negative<br />
Auswirkungen der Wasserkraftnutzung<br />
reduzieren. Konkret<br />
sind sie unter anderem verpflichtet,<br />
Beeinträchtigungen<br />
durch Schwall und Sunk zu beseitigen,<br />
ökologische Sanierungsmassnahmen<br />
umzusetzen und<br />
die Fischgängigkeit zu verbessern.<br />
Die Kosten von rund acht<br />
Mio. Franken übernehmen die<br />
Stromkonsumentinnen und -konsumenten<br />
durch die Abgabe von<br />
0.1 Rappen pro Kilowattstunde.<br />
Die BKW setzt so insgesamt 41<br />
Massnahmen um, 16 davon betreffen<br />
den Fischaufstieg. Optimiert<br />
wird an Aare, Simme, Kander<br />
und Emme.<br />
Für Barben und Forellen: ein Fischlift beim Wasserkraftwerk Mühleberg.<br />
Pionierlösung Fischlift<br />
Das Wasserkraftwerk Mühleberg<br />
für Fische überwindbar zu machen,<br />
stellte das Projektteam, bestehend<br />
aus Vertretenden des<br />
Bundesamts für Umwelt, des<br />
Kantons und der BKW vor eine<br />
knifflige Aufgabe. In enger Zusammenarbeit<br />
mit Ingenieuren<br />
und Fischbiologinnen sowie in<br />
stetem Austausch mit einer Begleitgruppe<br />
aus NGOs, Umweltund<br />
Fischereiverbänden prüfte<br />
man mehrere Optionen und näherte<br />
sich Schritt für Schritt einer<br />
passenden Lösung. Mit dem<br />
Fischlift hat man sie gefunden,<br />
umgesetzt und vor einem Jahr in<br />
Betrieb genommen. «Grundsätzlich<br />
will der Fisch immer gegen<br />
den Strom. Dadurch kam er bislang<br />
bis zur Turbine und drehte<br />
ab, da es nicht weiterging», erklärt<br />
Projektleiter Paul Kauz die<br />
Anlage. Mit einer sogenannten<br />
Lockströmung lenkt man die Fische<br />
nun von den Turbinen weg<br />
in zwei Kanäle. Dort können die<br />
Fische von Becken zu Becken gegen<br />
die Strömung wandern und<br />
werden so in die Liftwanne geführt.<br />
Eine Reuse verhindert,<br />
dass die Fische im ruhigen Wasser<br />
der Wanne ihre Suche nach<br />
einer Passage aufgeben und umdrehen.<br />
Zweimal pro Stunde<br />
fährt der Lift nach oben und<br />
spült seine Fracht in den Wohlensee.<br />
Was simpel klingt, war in<br />
der Umsetzung herausfordernd.<br />
So musste etwa die Stärke der<br />
Lockströmung angepasst werden.<br />
Auch das Gewicht der mit<br />
Wasser gefüllten Wanne oder<br />
der Ausstieg in den See verlangten<br />
Justierungen. Nach einem<br />
Jahr in Betrieb steht nun aber<br />
fest: Der Lift funktioniert und<br />
wird von den Fischen rege genutzt.<br />
Fotos: zvg<br />
Biologische Kontrolle 2023<br />
Abgeschlossen ist das Projekt indes<br />
noch nicht. Nachdem die<br />
technische Kontrolle beendet ist,<br />
geht es 2023 in die nächste spannende<br />
Projektphase: die zweijährige<br />
biologische Kontrolle. Diese<br />
soll zeigen, wie genau die Fische<br />
den Lift nutzen. Im ersten Jahr<br />
werden sie in einem grossen Becken<br />
kurz zurückbehalten und<br />
mit Unterstützung eines Fischereivereins<br />
täglich gezählt, gemessen,<br />
nach Art bestimmt und<br />
in den Wohlensee zurückgegeben.<br />
Im zweiten Jahr liegt der Fokus<br />
dann auf der Bewegung:<br />
Welche Fische wandern wann,<br />
wo und wie weit. Im Zählbecken<br />
in Niederried etwas unterhalb<br />
von Mühleberg werden die Fische<br />
zu diesem Zweck mit einem<br />
passiven Sender gechippt, so<br />
dass ab da die weitere Wanderbewegung<br />
verfolgt werden kann.<br />
Fische wie die Barbe oder die<br />
Seeforelle wandern von zirka<br />
April bis <strong>November</strong> täglich, mit<br />
Vorliebe in der Nacht. «Man hat<br />
viel Basiswissen zur Fischwanderung»,<br />
ist Paul Kauz überzeugt.<br />
Mit weiteren Erkenntnissen<br />
könnten aber die Abläufe<br />
auch künftig verbessert und für<br />
die Fische langfristig optimiert<br />
werden.<br />
Abstieg noch nicht gelöst<br />
Der Fischlift funktioniert als Einbahnstrasse.<br />
Der Abstieg hingegen<br />
ist für die Fische noch nicht<br />
optimal. Aktuell führt der direkte<br />
Weg flussabwärts über die<br />
Schleusen oder gar durch die<br />
Turbinen, was für Fische tödlich<br />
enden kann. Genaue Zahlen fehlen<br />
jedoch. Gemäss Paul Kauz ist<br />
sich die BKW des Problems bewusst.<br />
Bisherige Ansätze seien<br />
oft noch zu teuer und in der Umsetzung<br />
zu aufwändig, wie Pilotprojekte<br />
zeigen würden. «Der<br />
Fischabstieg in mittleren und<br />
grösseren Flüssen ist weltweit<br />
noch in der Forschung», erklärt<br />
Paul Kauz, «aber wir hoffen natürlich,<br />
dass man bald Lösungen<br />
findet.» Hoffnungen setzt er vor<br />
allem auf neues Wissen der Verhaltensbiologie.<br />
Wenn man<br />
weiss, wann die Fische absteigen,<br />
könnte der Betrieb des<br />
Kraftwerks entsprechend reagieren,<br />
etwa durch die Erhöhung<br />
der Wassermenge, welche die<br />
Schleuse passiert. Für den Moment<br />
liegt der Fokus noch auf<br />
dem Aufstieg. Und hier ist die<br />
Zwischenbilanz vielversprechend.<br />
Der Lift funktioniert und<br />
die Fische finden den Weg.<br />
Chrige Pfanner