139_Ausgabe Februar 2015
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Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
vor Jahren wünschte sich ein hochrangiger<br />
deutscher Politiker, ein Ruck möge durch<br />
Deutschland gehen. Dieser Tage ruckelt es<br />
recht munter. Demonstrationen und Gegendemonstrationen<br />
sorgen für heftige Betriebsamkeit<br />
in Redaktionsstuben und Parteizentralen,<br />
in Ministerialbüros und Geheimdienststäben.<br />
Als nun Professor Stöcker, neuer Eigentümer<br />
des Kaufhauses am Görlitzer Demianiplatz, ein<br />
ideologisch aufgeladenes Konzert im leerstehenden<br />
Gebäude nicht zuließ und auf Pressenachfrage<br />
deutliche Worte gegen die Einwanderungspolitik<br />
der Bundesregierung fand, trat<br />
die hiesige Redaktion der Tageszeitung eine<br />
Protestwelle los. Ohne eine besonnene und<br />
vorurteilsfreie Aussprache abzuwarten, lief der<br />
gewohnte Betroffenheits-Automatismus an.<br />
Vereinsvorsitzende und kirchliche Würdenträger,<br />
Kommunalpolitiker und facebook-Plapperer<br />
überboten sich in scharfen Verurteilungen<br />
und Boykottdrohungen, anstatt froh zu sein,<br />
daß ein solcher Investor in Stadt und Kreis lobenswerte<br />
und vorwärtsweisende wirtschaftliche<br />
und soziale Fortschritte organisiert und<br />
finanziert. Wenig später unterbreitete Dr. Hans<br />
Fey vom mercure-Hotel in einem ganzseitigen<br />
Pressebeitrag vernünftige Überlegungen zur<br />
Zukunft der Stadthalle; hoffentlich gibt es nicht<br />
wieder Leute, die ihm etwas am Zeuge flicken<br />
wollen! Unmittelbar nach der überhitzten Anti-<br />
Stöcker-Kampagne kam ich mit einer ganzen<br />
Reihe von sachkundigen und besorgten Mitbürgern<br />
ins Gespräch – Handwerksmeistern,<br />
mittelständischen Unternehmern, Kaufleuten,<br />
Lehrern und Rentnern. Abgesehen vom etwas<br />
derben Ton von Professor Stöcker unterstützten<br />
alle Gesprächsteilnehmer das Grundanliegen<br />
des öffentlich gebrandmarkten Investors<br />
und äußerten ihren Unmut über zunehmende<br />
Mängel im politischen Alltag. Niemand jedoch<br />
wünschte, in diesem Zusammenhang namentlich<br />
genannt zu werden. Während Medien, Parteien<br />
und Behörden öffentlich Meinungsfreiheit<br />
und Toleranz forderten, werde gegenüber jeder<br />
grundsätzlichen Kritik ein vernetztes System<br />
vom Ausgrenzung, Einschüchterung, beruflicher<br />
Benachteiligung, Auftragsentzug und<br />
Verunglimpfung eingesetzt. Bei jenen, die Toleranz<br />
einfordern, bemerke man vielmehr eine<br />
zerstörerische Intoleranz. Andersdenkende<br />
werden pauschal als „Mob“ eingestuft, der sich<br />
„zusammenrottet“ und „dumpfe rassistische<br />
Parolen grölt“.<br />
Eine breite Schicht der hiesigen Bevölkerung,<br />
wenn nicht gar eine Mehrheit, hat das nun satt,<br />
was sich ja auch in zunehmender Wahlmüdigkeit<br />
zeigt. Haßpropaganda gegen Patrioten vergiftet<br />
das Zusammenleben, erzeugt ängstliches<br />
Schweigen und Gleichgültigkeit gegenüber<br />
öffentlichen Belangen. Nur aufrichtiges, sachliches<br />
Miteinander bringt unsere Städte und<br />
Dörfer, die fern von den politisch aufgeheizten<br />
Ballungszentren liegen, in diesen bewegten<br />
Zeiten voran. Schaffen wir also ein kommunalpolitisches<br />
Klima, das zum freudigen Mittun bei<br />
der Lösung anstehender Aufgaben ermutigt!<br />
Und bleiben wir im Gespräch, so wie<br />
Ihr Ernst Kretzschmar<br />
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Einleitung<br />
3
Schlesische<br />
Nach 25 Jahren fast vergessen<br />
Tradition<br />
–<br />
Kriegsflüchtlinge aus Schlesien, Obermarkt, Anfang 1945<br />
Die Geschichte bestätigt, daß lange<br />
erzwungene Tabus im eigenen Geschichtsbild<br />
deutlich sichtbar gebrochen<br />
werden, sobald politische Zwänge sich<br />
lockern. So war es auch nach dem ereignisreichen<br />
Herbst 1989, als in kurzer<br />
Folge viele Fragen und Aktivitäten zum<br />
Thema „Görlitz und Schlesien“ auftraten.<br />
„Görlitz war nie schlesisch“ – heißt<br />
es gar noch heute. Es ist schon eine Alltagserfahrung,<br />
daß man „nie Nie sagen“<br />
sollte. Seit es den geographischen und<br />
politischen Begriff „Oberlausitz“ überhaupt<br />
gibt, bestand keine starre Trennung<br />
zu den südlichen, nördlichen oder<br />
östlichen Nachbarn. Schon im späten<br />
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4<br />
Geschichte
Görlitzer Bekenntnis zur schlesischen Vergangenheit<br />
Schlesische Tradition<br />
Mittelalter und der frühen Neuzeit unterhielt<br />
Görlitz rege wirtschaftliche und<br />
kulturelle Beziehungen nach Schlesien.<br />
Zeitweise waren Oberlausitz und Schlesien<br />
gar unter der gleichen habsburgischen<br />
Landesherrschaft. Persönlichkeiten<br />
aus der Oberlausitz wie Trotzendorf,<br />
Böhme oder Lessing wirkten auch in<br />
Schlesien. Andererseits gab es auch<br />
Feindschaft, etwa während der Kriege<br />
1813/1815 und 1866. Nach der Reichsgründung<br />
1871 wurden die Beziehungen<br />
bald entkrampft. Wie man die Trennung<br />
in eine sächsische und eine preußische<br />
Oberlausitz nach den Beschlüssen des<br />
Wiener Kongresses 1815 auch empfinden<br />
mag, wurde die östliche Oberlausitz<br />
durch die Eingliederung in die preußische<br />
Provinz Schlesien staatsrechtlich<br />
„schlesisch“, für 130 Jahre. Zumindest<br />
in den letzten Jahren erlebten mehrere<br />
Generationen nichts Anderes. Die großen<br />
christlichen Konfessionen waren<br />
ihren schlesischen Landeskirchen zugeordnet.<br />
Die staatliche Schulaufsicht<br />
unterstand dem Regierungsbezirk Liegnitz.<br />
Die Schulkinder bezogen ihre regionale<br />
Identität aus der „Schlesischen<br />
Fibel“. Die Garnisonen zwischen 1830<br />
und 1945 gehörten zu schlesischen Divisionen,<br />
die Sportvereine zu schlesischen<br />
Verbänden. Man wählte Vertreter<br />
in den schlesischen Provinziallandtag.<br />
Die regionalen politischen Parteiorganisationen<br />
waren ebenfalls schlesischen<br />
Vorständen zugeordnet. So erlebte man<br />
sich im Alltag auch selbst in allen Lebensaltern<br />
als Bestandteil der Provinz<br />
Schlesien. Als Oberlausitz verstand man<br />
mehr das Gebiet zwischen Löbau und<br />
Zittau. Es ist auch übertrieben, daß der<br />
Sechsstädtebund von 1346 die Oberlausitz<br />
auf Dauer eng verbunden habe. Es<br />
gab auch Konkurrenzkämpfe. Mit der<br />
Erbteilung durch die brandenburgischen<br />
Askanier 1268 waren die Länder Bautzen<br />
und Görlitz entstanden, die wohl in<br />
der Praxis bis heute blieben. Nach dem<br />
Ende des II. Weltkrieges waren etwa<br />
40 Prozent der Görlitzer Bevölkerung<br />
Flüchtlinge und Vertriebene aus den<br />
Ostprovinzen, darunter viele aus Breslau<br />
und anderen schlesischen Städten<br />
und Dörfern. Die Familien bewahrten<br />
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Geschichte<br />
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5
Schlesische<br />
Nach 25 Jahren fast vergessen<br />
Tradition<br />
–<br />
Heimatvertreibene aus Schlesien, Landeskronstraße Sommer 1945<br />
ihre Treue zur alten Heimat<br />
und übertrugen sie auf Kinder<br />
und Enkel, wenn sie sich auch<br />
nicht zu politischen Verbänden<br />
zusammenschließen durften<br />
und allmählich ihre Hoffnung<br />
auf Rückkehr aufgaben. Am 9.<br />
Juli 1945 schloß die sowjetische<br />
Besatzungsmacht den „Westteil<br />
des Kreises Liegnitz der Provinz<br />
Schlesien“ ohne Volksbefragung<br />
an das Land Sachsen an,<br />
also nach Besatzungsrecht.<br />
1989/1990 kam es nun plötzlich<br />
zu einer Möglichkeit, die<br />
alte Verbundenheit mit Schlesien<br />
öffentlich zu bekunden. Das<br />
wurde nicht aus dem Westen<br />
gesteuert, die dortigen Vertriebenenverbände<br />
wurden selbst<br />
davon überrascht und machten<br />
sich erst nach Wochen in Görlitz<br />
bermerkbar. Aus der hiesigen<br />
Bevölkerung in Stadt und<br />
Land entstanden in rascher<br />
Folge Vereinigungen wie die<br />
Unabhängige Initiativgruppe<br />
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6<br />
Geschichte
Görlitzer Bekenntnis zur schlesischen Vergangenheit<br />
Schlesische Tradition<br />
Niederschlesien (UIN) unter<br />
Detlef Rauh, ein Schlesischer<br />
Kulturverein unter Leitung von<br />
Mitarbeitern der Abteilung Kultur<br />
der Landkreisverwaltung,<br />
eine Schlesische Sing- und Musizierschule<br />
unter Maria Frenzel-Weiner,<br />
ehemals Direktorin<br />
der Musikschule Görlitz, und<br />
ein Niederschlesisches Kammerorchester.<br />
Das Kuratorium<br />
Schlesische Lausitz verstand<br />
sich als ein Gremium, das alle<br />
diese einzelnen Initiativen koordinieren<br />
sollte. In Niesky und<br />
mehreren Landgemeinden entstanden<br />
kleinere örtliche Vereinigungen.<br />
An der Stadthalle<br />
öffnete ein Schlesischer Biergarten.<br />
Bäcker, Fleischer und<br />
Gaststätten warben mit „schlesischen<br />
Spezialitäten“. Auf<br />
Dächern und an vielen Wohnungsfenstern<br />
sah man nun<br />
die weißgelben schlesischen<br />
Fahnen. Bei der Wahlrede von<br />
Bundeskanzler Helmut Kohl Programmheft, 27. Schelsisches Musikfest 1996<br />
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Geschichte<br />
7
Schlesische<br />
Nach 25 Jahren fast vergessen<br />
Tradition<br />
–<br />
auf dem Obermarkt wehten Schlesienfahnen<br />
vom Reichenbacher Turm, dem<br />
Rathausturm und in der eng gedrängten<br />
Zuhörermenge. Als er die Görlitzer als<br />
„liebe Niederschlesier“ anredete, erhob<br />
sich ein Beifallssturm. Die CDU schrieb<br />
die Pflege der schlesischen Identität in<br />
ihr Wahlprogramm und konnte bei den<br />
Landtags- und Stadtverordnetenwahlen<br />
1990 bedeutende Stimmenanteile verzeichnen.<br />
Unionspolitiker wie Janovsky,<br />
Lechner, Großmann, Bandmann setzten<br />
sich gegenüber der Landesregierung<br />
und der letzten DDR-Regierung für diese<br />
schlesische Traditionspflege ein. Auch<br />
beim ersten „Tag der Sachsen“ 1993 in<br />
Görlitz spielte das Thema eine besondere<br />
Rolle.<br />
Stark war das Interesse der Jugend in<br />
der Stadt und im Landkreis. Sie beteiligte<br />
sich an Versammlungen, etwa im Jugendclubhaus<br />
Königshufen, im Waggonbau-Kulturhaus<br />
und im großen Saal der<br />
Stadthalle, aber auch an der Diskussion<br />
zur Sächsischen Verfassung in Chemnitz.<br />
Ein Bundeskongreß der Schlesischen<br />
Jugend mit umfangreichem Programm<br />
trat in der Stadthalle zusammen. Zu den<br />
Organisatoren gehörte auch der Leiter<br />
der hiesigen Gruppe der Schlesischen<br />
Jugend Harald Twupack. Leider fanden<br />
viele einsatzfreudige Jugendliche keine<br />
Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz in<br />
der Region und zogen fort. Der damals<br />
diskutierte Vorschlag, ein eigenes Bundesland<br />
Niederschlesien von der Größe<br />
des Saarlandes zu bilden, erwies sich als<br />
wirtschaftlich nicht tragfähig, zumal das<br />
hiesige Industriepotenzial durch überhastete<br />
Entscheidungen der „Treuhand“<br />
auf ein Minimum gestutzt worden war.<br />
Alle diese spontanen Aktivitäten kamen<br />
aus der Mitte der Bevölkerung und<br />
brachten einen erstaunlichen Schwung<br />
in das öffentliche Leben. Wenig später<br />
wurde der Entschluss bekannt, ein<br />
Schlesisches Landesmuseum nicht in<br />
Bonn oder Berlin, sondern in Görlitz zu<br />
schaffen, als Standort wurde schließlich<br />
der Schönhof bestimmt. Eine Krönung<br />
dieser „Schlesienwelle“ sollte die Wiederbelebung<br />
der berühmten Schlesischen<br />
Musikfeste werden, die nach dem<br />
letzten Fest 1942 nun 1996 mit dem<br />
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8<br />
Geschichte
Görlitzer Bekenntnis zur schlesischen Vergangenheit<br />
Schlesische Tradition<br />
29. Schlesisches Musikfest, Stadthalle 2001 (Foto: Kitte)<br />
27. Musikfest ihre Fortsetzung fanden.<br />
Es folgten noch fünf weitere, nämlich<br />
1998, 2001, 2003, 2005 und 2009, bis<br />
Kraft und Finanzen nicht mehr reichten.<br />
Organisator war das Kuratorium Schlesische<br />
Lausitz. Noch heute sind Spuren<br />
jener Jahre lebendig im alljährlichen<br />
Schlesischen Tippelmarkt, im Schlesi-<br />
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Geschichte<br />
9
Schlesische<br />
Nach 25 Jahren fast vergessen<br />
Tradition<br />
–<br />
Ansichtskarte (Verlag Rainer Kitte um 1998)<br />
schen Christkindelmarkt, mit der Sparkasse<br />
Oberlausitz-Niederschlesien und<br />
mit dem evangelischen Bistum Berlin-<br />
Brandenburg-Schlesiche Lausitz. In der<br />
Diskussion und Beschlußfassung über<br />
die Verfassung des Freistaates Sachsen<br />
wurden Wappen und Fahne Schlesiens<br />
als gleichberechtigt anerkannt und sind<br />
bei besonderen Anlässen in der Öffentlichkeit<br />
zu sehen. Im Tagungsraum des<br />
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10<br />
Geschichte
Görlitzer Bekenntnis zur schlesischen Vergangenheit<br />
Schlesische Tradition<br />
Stadtrates sieht man dieses Symbol<br />
ebenfalls.<br />
Die heftigen Angriffe sächsischer Landeshistoriker<br />
und hiesiger Wortführer<br />
einer „einheitlichen Oberlausitz“ haben<br />
Teilerfolge erzielt und die damaligen beeindruckenden<br />
demokratischen Initiativen<br />
mißachtet. (Darüber soll aus eigenem<br />
Erleben bei nächster Gelegenheit<br />
berichtet werden). Für die nahe Zukunft<br />
sollte aber gelten, daß sich die Traditionsbewahrer<br />
deutscher regionaler<br />
Geschichte und Kultur nicht öffentlich<br />
zerstreiten, sondern lieber zusammenhalten<br />
gegen die Bedrohung deutscher<br />
Identität durch die zerstörerische Globalisierungspropaganda<br />
gegen Heimat,<br />
Volk und Vaterland, besonders unter der<br />
Jugend. Es bleibt ohnehin offen, wie lange<br />
die regierenden Parteien überhaupt<br />
noch eine eigene nationale Identität<br />
zulassen und fördern wollen. Diese Gefahr<br />
ist real und täglich mit Händen zu<br />
greifen. Die Entwicklung in den frühen<br />
1990er Jahren hat immerhin bewiesen,<br />
daß man im geschichtlichen Prozeß „niemals<br />
Nie“ sagen sollte. In seinem Stück<br />
Gedenkstele für schlesische Truppenteile,<br />
Neugestaltung 1993 (Foto: Kitte)<br />
„Schweyk im zweiten Weltkrieg“ meinte<br />
Brecht: „Das Große bleibt groß nicht<br />
und klein nicht das Kleine… Es wechseln<br />
die Zeiten, da hilft kein´ Gewalt.“<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
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Geschichte<br />
11
Ratsarchiv<br />
Erste Görlitzer Kaffeehausgeschichten –<br />
Ein Tässchen Kaffee, in der warmen Oktobersonne<br />
genossen, plauschen oder<br />
still das Treiben auf der Straße betrachten,<br />
welch kleiner, aber wunderbarer Genuss!<br />
Eine Vielzahl höchst unterschiedlicher<br />
Kaffeehäuser laden heute die<br />
Görlitzer und ihre Gäste dazu ein. Der<br />
Beginn der Geschichte der hiesigen Kaffeehauskultur<br />
wurde aber bisher recht<br />
stiefmütterlich behandelt. Im Jahre 1647<br />
öffnete auf dem venezianischen Markusplatz<br />
das erste Kaffeehaus seine Pforten.<br />
Der Siegeszug des anregenden Kaffees,<br />
dessen Genuss man bei den Osmanen<br />
kennengelernt hatte, begann in ganz<br />
Europa. Im 17. Jahrhundert geschah das<br />
in Bremen, Hamburg, Wien und Regensburg.<br />
Auch in Görlitz gab man sich seit<br />
dem 18. Jahrhundert dem „nüchternen<br />
Rausch“, wie Voltaire die Wirkung dieses<br />
Getränkes beschrieb, mit wachsender<br />
Begeisterung hin. Auch in Görlitz gehörte<br />
der Kaffee seit dem 18. Jahrhundert<br />
unbedingt auf den Frühstückstisch. Allerdings<br />
waren Kaffeebohnen teuer. Im Jahre<br />
1802 schrieb der berühmte Görlitzer<br />
Arzt Christian August Struve sehr kritisch<br />
über diese neue Sitte: „Auch hier hat der<br />
Kaffee das gesündere Bier verdrängt;<br />
er wird aber bei seiner Kostbarkeit mit<br />
den bekannten Surrogaten getrunken,<br />
wo nichts übrig bleibt als warmes Wasser,<br />
ein elendes Getränk an Geschmack<br />
und Wirkung.“ Im Jahre 1798 kaufte<br />
Karl Krüger, der Besitzer des Gasthofes<br />
zum Braunen Hirsch, das damalige<br />
Gartengrundstück, auf dem sich heute<br />
das Wichernhaus befindet, um den wohl<br />
ersten Görlitzer Kaffeegarten einzurichten.<br />
Bis zum Jahre 1820 konzessionierte<br />
der Magistrat fünf Kaffeegartenlokale.<br />
Ein Blick auf die Konzession des Wirtsehepaares<br />
Kählich (Grundstück ehem.<br />
Handelskammerhaus auf dem Mühlweg)<br />
erlaubt uns eine Vorstellung von der frühen<br />
hiesigen Kaffeehauskultur. Im Jahre<br />
1816 erhielt er die Erlaubnis zur Errichtung<br />
eines „Coffee- und Speisehauses“<br />
während des Sommers in seinem Garten.<br />
Neben Kaffee, Tee und Punsch durfte<br />
Görlitzer Bier, aber kein Wein kredenzt<br />
werden. Kalte und warme Speisen wurden<br />
ebenfalls offeriert. Zudem konnten<br />
seine Gäste Billard spielen und die Ke-<br />
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12<br />
Geschichte
Schätze des Ratsarchivs<br />
Café Herrmann, Postplatz 13/14, um 1916<br />
gelbahn benutzen. Carl Gottlieb Kählisch<br />
durfte gleichermaßen in den Wintermonaten<br />
in der Stadt selbst, in seinem Hause<br />
Obermarkt 3, Kaffee ausschenken. So<br />
entstand in diesem Hause das erste Café<br />
innerhalb der Stadtmauern. Interessant<br />
ist auch ein Blick auf die berufliche<br />
Herkunft der Wirte. Görlitz befand sich<br />
zur Zeit der Gründung der meisten Kaffeegärten<br />
um 1815 in einem traurigen<br />
Zustand. Die verheerenden wirtschaftlichen<br />
und sozialen Folgen der Befreiungskriege,<br />
aber auch der Wegfall der<br />
napoleonischen Kontinentalsperre führten<br />
zur Verarmung und zu existentiellen<br />
Nöten besonders vieler Handwerker. Sie<br />
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Geschichte<br />
13
Ratsarchiv<br />
Erste Görlitzer Kaffeehausgeschichten<br />
Wiener Café, Postplatz 19, um 1916<br />
suchten oft verzweifelt, aber immer mutig<br />
neue Verdienstmöglichkeiten in völlig<br />
anderen Gewerben. So gehören der<br />
Schweizer Bäcker (Konditor) Georg Thöni,<br />
der Tuchmacher Carl Samuel Finster,<br />
aber auch die Witwe Marie Fehrin zu den<br />
ersten Görlitzer Kaffeehausbesitzern.<br />
Der Siegeszug der Kaffeehäuser begann<br />
auch hier. Im Jahre 1900 gab es 10 reine<br />
Kaffee-Schankstätten. Zu größter Blüte<br />
gelangte die Kaffeehauskultur jedoch,<br />
und dies ist als wunderbar zu resümieren,<br />
in unseren Tagen.<br />
Siegfried Hoche<br />
Ratsarchivar<br />
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14<br />
Geschichte
Senckenberg taucht ab<br />
taucht ab<br />
Aktuell können Besucher des Senckenberg<br />
Museums für Naturkunde Görlitz „Im<br />
Reich der Gezeiten – die faszinierende<br />
Tierwelt der Nordseeküste“ bewundern.<br />
Weiter präsentieren der Verband Deutscher<br />
Sporttaucher und Senckenberg mit<br />
„Leben unter Wasser 2014“ die Siegerbilder<br />
der „Kamera Louis Boutan“ – schon<br />
zum zehnten Mal!<br />
Weite Wattlandschaften, hohe Dünen und<br />
schroffe Felsklippen: Die Nordseeküste<br />
verspricht neben Sonnenbräune und Badefreuden<br />
vor allem einzigartige Naturerlebnisse.<br />
Das elementare Kräftespiel<br />
zwischen Wind, Wasser und Land schafft<br />
ganz besondere Lebensräume. Flaches<br />
Meer, Spülsäume, Gezeitentümpel, Salzwiesen<br />
und Dünen beherbergen eine unglaubliche<br />
Vielfalt an Krebsen, Muscheln,<br />
Fischen und Vögeln. Mit der bis zu 250 kg<br />
schweren Kegelrobbe ist sogar Deutschlands<br />
größtes freilebendes Raubtier hier<br />
zu Hause.<br />
Die Ausstellung „Im Reich der Gezeiten –<br />
die faszinierende Tierwelt der Nordseeküste“<br />
hält jede Menge Entdeckungen bereit.<br />
Ohne selbst nasse Füße zu bekommen,<br />
Rotfeuerfisch: Diese wunderschönen Fische gehen<br />
nachts auf Jagd. Als Schutz vor Fressfeinden enthalten<br />
ihre Flossenstrahlen ein starkes Gift.<br />
können Besucher dort noch bis zum 17.<br />
Mai <strong>2015</strong> altbekannte und neue Bewohner<br />
der Nordseeküste hautnah erleben<br />
und Spannendes über deren Lebensweise<br />
erfahren. Der Clou: Kinder dürfen sogar<br />
Muscheln sammeln und mit nach Hause<br />
nehmen. Neben den Exponaten führen<br />
Bilder des Meeresbiologen Dr. Klaus Janke<br />
den Besuchern die Unterwasserwelt rund<br />
um Helgoland in schillernden Farben vor<br />
Augen. Entstanden ist die Ausstellung gemeinsam<br />
mit dem Museum Helgoland und<br />
dem Forschungsinstitut und Naturmuse-<br />
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Sonderausstellung<br />
15
Senckenberg taucht ab –<br />
taucht ab<br />
Anemonenfische: Diese bunten Fische bewohnen<br />
ihre eigene „Burg“. Bei Gefahr ziehen sie sich in den<br />
Schutz einer Anemone zurück, deren Tentakel für andere<br />
Fische giftig sind.<br />
Kegelrobbe: Neben dem Seehund bewohnt eine weitere<br />
Robbenart die deutsche Nordseeküste. Schon im<br />
eisigen <strong>Februar</strong> bringen die Kegelrobben auf der Helgoländer<br />
Düne ihre Jungen zur Welt.<br />
um Senckenberg in Frankfurt unter Leitung<br />
von Prof. Dr. Michael Türkay, der seit<br />
Jahrzehnten für Senckenberg die Tierwelt<br />
der Nordsee erforscht und als einer ihrer<br />
besten Kenner gilt. In den sächsischen<br />
Winterferien bietet Museumspädagogin<br />
Petra Vaßmers ein vielfältiges Nachmittagsprogramm<br />
zum Thema für Kinder, Eltern<br />
und Großeltern an (einzusehen unter<br />
www.senckenberg.de/paedagogik-gr).<br />
Allen, bei denen die Neugier für das Meer<br />
und seine Bewohner über die Nordsee hinaus<br />
geweckt wurde, sei die Ausstellung<br />
„Leben unter Wasser 2014“ empfohlen.<br />
Die Siegerbilder der 33. Internationalen<br />
deutschen Meisterschaften der Unterwasserfoto-<br />
und Videografie, einem der wichtigsten<br />
Fotowettbewerbe weltweit, zeigen<br />
noch bis zum 22.02.<strong>2015</strong> erstaunliche und<br />
faszinierende Szenen aus den Gewässern<br />
der Welt. Dort begegnen Besucher unter<br />
anderem Seekühen, Sternkorallen und<br />
Anemonenfischen. In den vergangenen<br />
Jahren war die Ausstellung an 62 Standor-<br />
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16<br />
Sonderausstellung
Senckenberg<br />
Ausstellung zu Nordsee und<br />
taucht<br />
Unterwasserwelt<br />
ab<br />
Schweinswal: Die Deutsche Bucht ist Heimat eines<br />
Kleinwales - des Schweinswals. Relativ häufig ist er<br />
vor Sylt, wo man die Tiere zuweilen nicht weit vom<br />
Strand entfernt beim Fischen beobachten kann.<br />
ten in vier Ländern zu sehen und erreichte<br />
mehr als 1,5 Millionen Besucher.<br />
Nordseehaie: Die meisten Arten der an unseren Küsten<br />
lebenden Haie werden nicht besonders groß - sie passen<br />
in Sammlungsgläser, in denen sie in den Naturkundemuseen<br />
aufbewahrt werden.<br />
Dauerbrenner Vivarium<br />
An kalten, grauen Wintertagen tut die<br />
wohlige tropische Wärme im Lebendtierbereich<br />
des Naturkundemuseums<br />
besonders gut. Und für Kinder gibt es<br />
dort immer etwas zu entdecken – seien<br />
es die einheimischen Karpfen, knallrote<br />
Tomatenfrösche, Süßwasserstechrochen<br />
oder die bunten Doktorfische im Meeresaquarium.<br />
Besonders erlebnisreich wird<br />
es zur allmonatlichen Schaufütterung:<br />
An jedem ersten Donnerstag im Monat<br />
können Besucher den Tieren besonders<br />
nah kommen. Jeweils um 16:00 Uhr versorgen<br />
die Biologen Thomas Lübcke und<br />
Andreas Kauk ausgewählte Bewohner des<br />
Vivariums und berichten Wissenswertes<br />
und Überraschendes aus deren Leben.<br />
Der Besuch der Schaufütterung ist im Museumseintritt<br />
inbegriffen.<br />
Text: Annemarie Grohmann<br />
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Sonderausstellung<br />
17
Ludwigsdorf<br />
Evangelische Wehrkirche Ludwigsdorf –<br />
Die evangelische Wehrkirche im Görlitzer<br />
Ortsteil Ludwigsdorf ist eines der ältesten<br />
und wertvollsten Sakralgebäude<br />
Sachsens.<br />
Die Grundsteinlegung erfolgte im letzten<br />
Viertel des 12. Jahrhunderts. Holzuntersuchungen<br />
des Dachstuhles datierten die<br />
Balken der Dachkonstruktion auf die Jahre<br />
1192/1193. Damit gehört dieser Dachstuhl<br />
zu den frühesten erhaltenen und<br />
datierten Holzkonstruktionen Deutschlands.<br />
Die erstmalige Erwähnung der Kirche ist<br />
1346 in der Matrikel des Bistums Meißen,<br />
zum Dekanat Görlitz gehörig. Als erster<br />
erwähnter Pfarrer wird 1382 Wyczhil von<br />
Kottwitz genannt.<br />
Bauliche Veränderungen gab es um das<br />
Jahr 1485 mit dem Einziehen eines Netzrippengewölbes.<br />
Franziskus Benisch wirkte als erster<br />
evangelischer Pfarrer in den Jahren 1527<br />
bis 1561.<br />
In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten<br />
gab es bauliche Veränderungen<br />
und Erweiterungen. Der Einbau der<br />
Emporen an der Nordseite erfolgte 1587<br />
Wehrkirche Ludwigsdorf<br />
und im 17. Jahrhundert der Einbau der<br />
Kanzel sowie 1688 der Bau der Sakristei.<br />
Durch Blitzschlag wurde 1752 der Turm<br />
beschädigt. Das Aufsetzen des Knopfes<br />
auf den Turm erfolgte vier Jahre später<br />
1756.<br />
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18<br />
Geschichte
Ludwigsdorf<br />
Kulturgeschichtliches Kleinod<br />
Eine Orgel erhielt die Wehrkirche durch<br />
die Firma Schlag aus Schweidnitz, deren<br />
Weihe 1872 gehalten wurde. Die Turmuhr<br />
fertigte für die Gemeinde 1896 der<br />
Großuhrmacher Schmidt aus Görlitz.<br />
Hannibal Brors bekam 1696 den Auftrag,<br />
für einen Preis von 99 Talern und 14 Groschen<br />
aus einer älteren, nicht bekannten<br />
Glocke eine neue große Glocke zu gießen.<br />
Diese wurde dann in dem 1684 neu<br />
erbauten Glockenstuhl aufgehangen.<br />
Am Hals stand neben den Worten:<br />
Kommt her zu seinen Vorhöfen! der<br />
Spruch Ps. 95.V.1<br />
- Kommt herzu, lasst uns dem Herrn<br />
frohlocken und jauchzen dem Hort<br />
unsers Heils! -<br />
Als Schmuck waren die Wappen der auf<br />
ihr genannten Kollatoren Albinus Seyfried<br />
auf Deutsch-Ossig, Ober-Ludwigsdorf<br />
und Klingewalde und Bartholomaeus<br />
Gehler auf Nieder-Ludwigsdorf sowie die<br />
Namen des P. Hecker und des Gießers<br />
nebst Jahreszahl aufgebracht.<br />
Für 40 Taler wurde unter dem Görlitzer<br />
Bürgermeister Gehler auf Moys und<br />
Nieder - Ludwigsdorf die mittlere Glocke<br />
1669 von Andreas Herold in Dresden umgegossen,<br />
ihr Gewicht betrug 7 Zentner<br />
und 62 Pfund.<br />
In den Jahren 1758 und 1770 wurde sie<br />
vermutlich von Johann Gottlieb Siefert in<br />
Görlitz zweimal umgegossen.<br />
Die Inschrift des letzten Umgusses lautete:<br />
Bis sum recocta 1758, nunc 1770.<br />
Jam sonabo per annos nolatu maxime<br />
dignos ad Jubilaeum, nunquam<br />
canam van.<br />
Siefert goss 1801 diese Glocke erneut<br />
um. Sie trug außer dem Gussvermerk<br />
Namen der damaligen Kollatoren Steudner<br />
und Schmidt sowie des Geistlichen<br />
Tamm auf.<br />
Die Kleine mit der Inschrift - maria bitt<br />
got 1437 - wurde 1844 von Pühler aus<br />
Gnadenberg auf Anordnung der Frau<br />
Amalie verw. Kämmel, geb. Schmidt<br />
auf Nieder - Ludwigsdorf und des Herrn<br />
Friedrich Adolf Zachmann auf Ober- Ludwigsdorf<br />
umgegossen, wie die Inschrift<br />
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Geschichte<br />
19
Ludwigsdorf<br />
Evangelische Wehrkirche Ludwigsdorf –<br />
besagte. Weiterhin trug die Glocke die<br />
Namen des Pfarrers, des Lehrers und der<br />
Kirchväter.<br />
Die Firma Hadank & Söhne aus Hoyerswerda<br />
fertigte schließlich 1869 drei Glocken<br />
neu, mit einem Gesamtgewicht von<br />
30 Zentnern.<br />
Die mit den für Hadank typischen Verzierungen<br />
ausgestattete große Glocke (Sabbathglocke)<br />
trug neben einem Kruzifix<br />
die Worte ihrer Vorgängerin: Kommt<br />
zu seinen Vorhöfen! und den Spruch:<br />
Ich bin der Weg und die Wahrheit<br />
und das Leben (Joh. 14.5).<br />
„Herr bleibe bei uns, denn es will<br />
Abend werden“ (Luc. 24,29) zierte die<br />
mittlere, die Abendglocke.<br />
Die kleinste, die Sterbeglocke (Taufglocke),<br />
wird durch das Zitat der Off.<br />
Joh.2,10<br />
„Sei getreu bis in den Tod, so will<br />
ich Dir die Krone des Lebens geben“<br />
gekennzeichnet.<br />
Diese kleine Glocke der Gießerei aus<br />
Hoyerswerda Hadank & Söhne war die<br />
Einzige, welche die Wirren des ersten<br />
Weltkrieges unbeschadet überstand.<br />
Am 10.09.1921 konnten drei neue Bronzeglocken<br />
der Firma Geittner aus Breslau<br />
aufgezogen werden, nachdem zwei<br />
ihrer Vorgängerinnen 1917 abgeliefert<br />
werden mussten. Die kleine Taufglocke,<br />
die den Krieg unbeschadet überstanden<br />
hatte, wurde dabei von h` auf c`` umgestimmt,<br />
durch Abschleifen im Inneren<br />
des Glockenkörpers.<br />
Am 26. Mai 1942 wiederholte sich die<br />
Ablieferung der drei größeren Glocken,<br />
die wiederum der Rüstungsindustrie zur<br />
Verfügung gestellt werden mussten und<br />
damit unwiederbringlich verloren waren.<br />
1951 goss die Firma Schilling & Lattermann<br />
aus Apolda in Morgenröthe - Rautenkranz<br />
drei Glocken für die Gemeinde.<br />
Am 17. <strong>Februar</strong> 1952 erfolgte die Weihe.<br />
In dem historischen, mittelalterlichen<br />
Holz - Glockenstuhl läuten heute:<br />
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20<br />
Geschichte
Ludwigsdorf<br />
Kulturgeschichtliches Kleinod<br />
Geschmückte Wagen mit den Glocken zur Weihe 1921<br />
Gießer<br />
Glocke I Glocke II Glocke III Glocke IV<br />
Schilling & Lattermann<br />
Gussjahr 1951 1951 1951 1869<br />
Material Eisenhartguss Eisenhartguss Eisenhartguss Bronze<br />
Durchmesser 1 435 mm 1 190 mm 1 050 mm 730 mm<br />
Gewicht 1 200 kg 650 kg 450 kg 214 kg<br />
Hadank & Söhne<br />
Nominal f ` as ` b ` c `` (von h` umgestimmt)<br />
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Geschichte<br />
21
Ludwigsdorf<br />
Evangelische Wehrkirche Ludwigsdorf –<br />
Große Glocke von Schilling & Lattermann 1951<br />
Hadank-Glocke von 1869<br />
Die Inschriften lauten wie folgt:<br />
Glocke 1:<br />
Auf der Haube die Gussnummer 313/49,<br />
zwischen zwei Rundstegen an der Schulter<br />
Rosetten als Glockenzier.<br />
Auf der Flanke das Gießerzeichen sowie<br />
der Text:<br />
GEOPFERT DEM VATERLAND<br />
1917 UND 1942<br />
NEU GEGOSSEN<br />
1921 UND 1951<br />
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22<br />
Geschichte
Ludwigsdorf<br />
Kulturgeschichtliches Kleinod<br />
Glockenzier an Haube und Hals der Glocke von 1869<br />
Glocke 2 und 3 tragen auf der Haube die<br />
Gussnummern 314/49, bzw. 315/49 sowie<br />
die gleichen Verzierungen im Schulterbereich.<br />
An der Flanke jeweils ein<br />
Kreuzrelief und auf der Rückseite das<br />
Gießerzeichen mit dem Gussjahr 1951.<br />
Die reiche Verzierung der Hadank`schen<br />
Glocke von 1869 bildet einen starken<br />
Kontrast zur schlichten Glockenzier der<br />
Eisenhartgussglocken.<br />
Ein hängender Akanthusfries ziert die<br />
Haube, zwischen einem Flachsteg und<br />
Kordelband ist ein Ornamentband mit<br />
Medaillons von Engelsköpfen wechselnd<br />
mit Blütenornamenten aufgebracht.<br />
An der Flanke die schon zitierte Inschrift<br />
mit darunter gekreuzten Palmwedeln und<br />
auf der Rückseite zwei runde Medaillons<br />
mit Männerköpfen mit dem Durchmesser<br />
von 132 mm. Die Köpfe könnten wie auf<br />
anderen Hadank - Glocken Luther und<br />
Melanchthon darstellen.<br />
Im unteren Bereich lösen sich Stege mit<br />
Akanthusfriesen und Rautenornamenten<br />
ab.<br />
Zwischen dem Rautenornament der Gießervermerk:<br />
HADANK & SOHN HOYERS-<br />
WERDA.<br />
Dipl.-Ing. (FH) Michael Gürlach<br />
Impressum:<br />
Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />
incaming media GmbH<br />
Geschäftsführer:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />
02826 Görlitz<br />
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Geschäftszeiten:<br />
Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />
Druck:<br />
Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />
Geschichte<br />
Verantw. Redakteur:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
(Mitglied im Deutschen<br />
Fachjournalistenverband)<br />
Redaktion:<br />
Dr. Ernst Kretzschmar,<br />
Dipl. - Ing. Eberhard Oertel,<br />
Dr. Ingrid Oertel<br />
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Mobil: 0174 - 31 93 525<br />
Teile der Auflage werden auch kostenlos<br />
verteilt, um eine größere Verbreitungsdichte<br />
zu gewährleisten. Für eingesandte<br />
Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />
keine Haftung. Artikel, die namentlich<br />
gekennzeichnet sind, spiegeln nicht die<br />
Auffassung des Herausgebers wider. Anzeigen<br />
und redaktionelle Texte können<br />
nur nach schriftlicher Genehmigung des<br />
Herausgebers verwendet werden<br />
Anzeigenschluss für die März-<strong>Ausgabe</strong>:<br />
15. <strong>Februar</strong> <strong>2015</strong><br />
Redaktionsschluss: 20. <strong>Februar</strong> <strong>2015</strong><br />
Wir arbeiten mit<br />
Stadtwerke Görlitz AG<br />
Immer.Näher.Dran<br />
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23
Museum<br />
Verschwundene Bauten<br />
Niesky<br />
in Niesky –<br />
Der alte Nieskyer Betsaal, Abriss 1875<br />
Historische Fotos aus der Sammlung<br />
von Hubert Teuchner<br />
Der Nieskyer Hubert Teuchner sammelt<br />
seit vielen Jahren Fotos von Ortsansichten<br />
von Niesky und dokumentiert selbst<br />
mit seinem Fotoapparat Veränderungen<br />
im Stadtbild. In Zusammenarbeit mit<br />
dem Museum entstand nun eine historische<br />
Fotoausstellung, die längst aus<br />
dem Stadtbild verschwundene Bauten<br />
wieder aufleben lässt.<br />
Im Gegensatz zu den meisten Orten der<br />
Oberlausitz ist Niesky als Planstadt angelegt<br />
worden. Die Planung lag in den<br />
Händen des Gutsherrn von Trebus, Siegmund<br />
August von Gersdorf.<br />
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24<br />
Geschichte
Museum<br />
Bis 15.03.<strong>2015</strong> im<br />
Niesky<br />
Museum Niesky<br />
Selbst Mitglied der Brüdergemeine,<br />
stellte er den böhmischen Glaubensflüchtlingen<br />
nicht nur das Land zur Verfügung,<br />
als begabter Baumeister sorgte<br />
er gleichzeitig für die planmäßige Gestaltung<br />
des neuen Ortes. Als späterer<br />
Generalbaumeister der Brüderunität gab<br />
er den Architekturstil vieler Herrnhuter<br />
Siedlungen weltweit vor. Nachfolgende<br />
Generationen haben sich mehr oder weniger<br />
an seine Vorgaben gehalten.<br />
• Verschwundene Bauten nach der<br />
Wiedervereinigung bis heute<br />
Das Verschwinden von Bauten zieht sich<br />
durch 272 Jahre Nieskyer Geschichte.<br />
Bereits die Grundsteinlegung war mit<br />
einem Abriss verbunden. Für die planmäßige<br />
Gestaltung des zentralen Platzes<br />
stand das alte Trebuser Vorwerk „im<br />
Wege“, wurde abgerissen und als „Neuer<br />
Hof“ in Neuhof wieder aufgebaut.<br />
Die Architektur im Ortsbild von Niesky<br />
ist historisch gewachsen. Jede Generation<br />
leistete ihren Beitrag, riss Gebäude<br />
ab und baute neue auf. In allen Epochen<br />
geschah dies entsprechend dem jeweiligen<br />
Zeitgeschmack und den Bedürfnissen<br />
und Anforderungen. Für die Ausstellung<br />
wurde das Verschwinden Nieskyer<br />
Bauten in vier Zeitepochen gegliedert:<br />
• Verschwundene Bauten seit der Ortsgründung<br />
bis 1944<br />
• Verschwundene Bauten durch Kriegszerstörung<br />
• Verschwundene Bauten während der<br />
DDR-Zeit<br />
Meist wurde mit dem Abriss eines alten<br />
Gebäudes Baufreiheit für neue, größere<br />
und modernere Häuser geschaffen. Die<br />
Fachwerkhäuser aus der Gründungszeit<br />
mussten im 19. Jahrhundert massiven<br />
Wohn- und Geschäftsbauten weichen.<br />
Der Abriss des Alten Betsaals ist aus<br />
heutiger Sicht bedauerlich. Siegmund<br />
August von Gersdorf schuf ihn 1756 als<br />
Prototyp für alle Herrnhuter Kirchsäle.<br />
Da er zu klein geworden war, riss man<br />
ihn 1875 nach Fertigstellung der neuen<br />
Kirche einfach ab.<br />
Schmerzliche Verluste an historischer<br />
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Geschichte<br />
25
Museum<br />
Verschwundene Bauten<br />
Niesky<br />
in Niesky –<br />
Muskauer Straße, um 1950 Tankstelle Muskauer Straße, um 1970<br />
Bausubstanz waren nach dem Ende des<br />
Zweiten Weltkrieges zu beklagen. Infolge<br />
der Kampfhandlungen im April 1945<br />
wurden über 100 Häuser total zerstört.<br />
Trotz Kriegszerstörung ist der Gedanke<br />
der Stadtanlage aus der Gründungszeit<br />
noch immer sichtbar. 1992 nach historischem<br />
Vorbild umfassend saniert, darf<br />
sich der Zinzendorfplatz zu den schönsten<br />
Plätzen Deutschlands zählen.<br />
Während der DDR-Zeit verschwand auf<br />
Grund von Vernachlässigung bei der<br />
Sanierung der innerstädtischen Altbauten<br />
der Straßenzug an der Ödernitzer<br />
Straße. Die verschwundenen Bauten<br />
seit der Wiedervereinigung sind den<br />
meisten Nieskyern noch gut im Gedächtnis.<br />
Neben DDR-Plattenbauten auf der<br />
Bahnhofsstraße musste zum Beispiel<br />
das Kino einem großen Einkaufszentrum<br />
weichen.<br />
Beim Betrachten der Fotos wird bewusst,<br />
wie schnell Neues selbstverständlich wird<br />
und die „verschwundenen Bauten“ aus<br />
dem Gedächtnis verschwinden. Dank<br />
aufmerksamer und geschichtsinteres-<br />
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26<br />
Geschichte
Museum<br />
Bis 15.03.<strong>2015</strong> im<br />
Niesky<br />
Museum Niesky<br />
Straßenzug Ödernitzer Straße, 1986 Abriss der Grundschule, Bahnhofstraße, 2013<br />
sierter Nieskyer Bürger wurde die bauliche<br />
Entwicklung in Chroniken und Fotos<br />
dokumentiert. Hubert Teuchner hat mit<br />
seiner Sammlung einen wertvollen Beitrag<br />
dazu geleistet.<br />
Eva-Maria Bergmann,<br />
Museum Niesky<br />
Unsere Öffnungszeiten:<br />
Johann-Raschke-Haus, Zinzendorfplatz 8<br />
Montag bis Freitag: 10:00 – 17:00 Uhr<br />
Sonntag:<br />
14:00 – 17:00 Uhr<br />
Konrad-Wachsmann-Haus, Goethestraße 2<br />
Dauerausstellung „Holzbauten der Moderne – Zur Geschichte des industriellen Holzhausbaus“<br />
Sonntag bis Donnerstag: 10:00 – 16:00 Uhr<br />
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Geschichte<br />
27
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
Als Nr. 67 am Theater, 1957 Nr. 62II am Krankenhaus, 1960<br />
Sie gehörten viele Jahre zum öffentlichen<br />
Erscheinungsbild der Görlitzer<br />
Straßenbahn: die im Jahre 1930<br />
von der umgespurten und bis dahin<br />
meterspurigen Lößnitzbahn übernommenen<br />
neun Anhänger, welche<br />
bereits 1900-1901 bei der Waggonfabrik<br />
Carl Stoll in Dresden hergestellt<br />
worden sind.<br />
Anfangs noch mit offenen Perrons,<br />
aber bereits mit Stahlblechen überzogenen<br />
Seitenwänden in Görlitz eingesetzt,<br />
erhielten die ursprünglich<br />
hier mit den Nummern 60II- 64II,<br />
65-68 bezeichneten Anhänger im<br />
Jahre 1936 geschlossene Perrons.<br />
Mehrfach sind Fahrzeuge dieser<br />
Serie umbezeichnet worden (1940<br />
Nr. 68 in 59II, 1962 Nr. 60II und 61II<br />
in Nr. 68II und 69, 1964 Nr. 62II<br />
und 63II in 70 und 71, 1966 Nr. 64II<br />
in 72, 1967/68 Nr. 67 in 73II und<br />
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28<br />
Geschichte
Das Ausscheiden des letzten Dresdener Anhängers<br />
Görlitzer aus dem Liniendienst Stadtverkehr<br />
vor 45 Jahren<br />
Am Bahnhof mit TW. 24II, 1969 Am Depot, 1969<br />
68II in 71II). Die Wagen 59II und<br />
69 dienten ab 1962 bzw. 1968 als<br />
Salzanhänger 112 und 111II. Beinahe<br />
unbemerkt rollte im Frühjahr<br />
1970 der letzte dieser markanten<br />
Anhänger von den Görlitzer Linien<br />
aufs Abstellgleis.<br />
Es handelte sich um die Nr. 73II<br />
ex. 67. Nur die beiden Salzanhänger<br />
sind noch länger im Einsatz geblieben<br />
und schieden erst 1975 aus.<br />
Mit Wagen Nr. 73II hatte es eine<br />
Bewandtnis, die wohl kaum wahrgenommen<br />
worden ist: Dieses Fahrzeug<br />
verfügte seit den 20er Jahren<br />
über ein in der Werkstatt Dresden –<br />
Tolkewitz neu gebautes moderneres<br />
Fahrgestell, während alle anderen<br />
acht Wagen bis zuletzt auf einem<br />
Meinecke- Fahrgestell der Anfangszeit<br />
unterwegs waren, dessen Achsabstand<br />
ursprünglich 1,75 m und<br />
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Geschichte<br />
29
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
Demianiplatz, 1969 Salzwagen 112 und 111II, 1969<br />
später 2,20 m betragen hatte. Aufmerksamen<br />
Straßenbahnfans wird<br />
auch nicht entgangen sein, dass der<br />
WUMAG- TW. 24II der letzte Triebwagen<br />
gewesen ist, mit dem in Görlitz<br />
Nr. 73II als letzter Dresdener<br />
Anhänger zuletzt meist auf der Linie<br />
2 unterwegs gewesen ist.<br />
Erleben wir diese markante Fahrzeugreihe<br />
noch einmal mit einigen<br />
Bildern aus dem Archiv des unvergessenen<br />
Straßenbahnchronisten<br />
Wolfgang Schreiner.<br />
Andreas Riedel, Wiesbaden<br />
(wird fortgesetzt)<br />
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30<br />
Geschichte
GWZ