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EDITORIAL 3 KIRCHE IM DORF LASSEN „Alles richtig, Ulli!“ Die Globalisierung galt vor der geopolitischen Zeitwende als eine Art „Naturgesetz“. Die Welt ging dorthin, wo es billige Arbeitskräfte gab. Das Geschäftsmodell wankt nicht erst seit Covid. Der Welthandel verlor laut einer Studie der Prognos AG in den letzten beiden Jahrzehnten an Schwung. Europas Wirtschaft soll zudem mit dem „Green Deal“ zur „circular economy“ umgebaut, die Abhängigkeit von China reduziert und Lieferketten stärker unter die Lupe genommen werden. Cent- Artikel um den halben Globus zu schippern, passt da nicht ins Bild einer grünen Agenda. Und neuerdings geistert auch noch das Akronym ESG durch die Gazetten. ESG wird zum Must-have, auch wenn Firmen oft gar nicht recht wissen, wie sie überhaupt an die Daten kommen sollen, um den Nachweis als koscheres Unternehmen zu führen. Das ESG-Konzept verlangt u. a. eine größere Verantwortung für die Eindämmung des Klimawandels: sei es durch den Schutz natürlicher Ressourcen, sei es durch nachhaltige Logistik- und Mobilitätskonzepte. Alles Faktoren, die auf regionale, nationale, wenigstens europäische Wertschöpfungsketten zielen könnten. Schenkt man den „Holzwürmern“ in der Spielwarenbranche Glauben, waren sie schon nachhaltig, als die Welt noch multilateral tickte (S. 13). Immerhin arbeiten sie mit dem Material der Stunde, das einen Beitrag zu Rettung des Planeten leisten soll. Doch selbst wenn vieles für Regionalität spricht, weil damit mehr Umweltschutz, Stärkung der heimischen Wirtschaft und Bewahrung einer kulturellen Identität verbunden ist, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Deutschland ist ein export- und herstellungsorientiertes Land, sein Wohlstand beruht genau darauf. Etwa 40 Prozent der deutschen Exporte, so das IfW, besteht aus importierten Vorleis- tungen, primär aus der EU. Vom globalen Handel profitierte im Übrigen nicht nur der wohlhabende Westen, sondern auch Entwicklungs- und Schwellenländer. Was natürlich nicht heißt, dass das eine oder andere Geschäftsmodell nicht auf den Prüfstand gestellt werden kann, wir unsere Interessen stärker geltend machen oder auf Sozialstandards achten sollten. Dass jetzt aber jede Wirtschaftsmacht einen „Inflation Reduction Act“ auflegt, mutet eher anachronistisch an. Um die Weltklimaziele überhaupt noch zu erreichen, brauchen wir mehr Austausch: von Wissen, von Technologie, von Geld. Apokalyptische Untergangsszenarien, die wir Deutschen gut beherrschen, dürften kaum zur Lösung beitragen, zumal sich der Wind gedreht hat (auch dank Fridays for Future). Deutschland könnte bei „grünen Technologien“ eine Vorreiterrolle einnehmen. Der Laie staunte und der Fachmann fragte sich seit Jahren, ob Otto myToys wirklich gut findet (S. 56). Der Spielwaren-Internetdealer schleppte einen Verlustvortrag vor sich her, der nur staunend machte. Daran konnten weder die Restrukturierer der russischen Otto-Aktivitäten noch Corona was ändern. Lag es am Geschäftsmodell? Wir vermuten, das große Aufräumen im Online-Markt beginnt erst noch. Für den E-Commerce-Papst Prof. Gerrit Heinemann bleibt das Herz des Handels ohnehin das Sortiment. Also nicht der Vertriebskanal. Dass der Mann nicht ganz falsch liegt, beweist ein Beispiel aus Bielefeld (S. 10). Small kann auch beautiful sein, wusste schon der Ökonom Ernst F. Schumacher. Ihr Ulrich Texter