Vom Grabfeld in die Rhön - ZWEIRAD-online

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12 SZENE Vom Grabfeld in die Hochrhön Dritter und letzer Teil der Grenzlandfahrt abgefahren und fotografi ert von Mathias Gegen das Vergessen: Relikte der Grenze bei Rieth. Scheinbar stand der Stacheldraht auf dem Tor unter Strom. An einem sonnigen Sonntag im September 2010 mache ich mich auf die dritte und letzte Etappe meiner Grenzlandtour. Den ehemaligen Grenzübergang zwischen Allertshausen im Westen und Helligen im Osten als Startpunkt der 103 Kilometer langen Tour fi ndet inzwischen nur derjenige, der mitten im Wald kurz das Gas lupft. Dann erkennt er in Der Bayernturm bietet eine hervorragende Rundumsicht. einer Schneise die Reste des ehemaligen Kolonnenweges. Mehr ist hier nicht mehr übriggeblieben vom einst „antifaschistischen Schutzwall“. Die Natur holt sich in immer größeren Schritten zurück, was ihr gehört. Und der Mensch hindert sie in diesem Fall zum Glück einmal nicht daran. In Helligen mit seinem Wasserschloss biege ich links ab Richtung Rieth und damit wieder gen Westen. Die Landschaft zwischen Thüringer Wald und Rhön ist von sanften Hügeln durchzogen, an den riesigen Äckern erkennt man heute noch, dass hier einst die landwirtschaftlichenProduktionsgenossenschaften LPG säten und ernteten. Keine Aufteilung der Felder in immer kleinere Parzellen, wie sie im Westen Stück für Stück holt sich hier die Natur ihr Revier zurück: Reste einer nach dem 2. Weltkrieg gesprengten Radarstation unmittelbar an der Grenze. bei der Vererbung der Höfe üblich war, störte hier die wirtschaftliche Bearbeitung durch große Maschinen. Und ermöglicht heute eine kostengünstige Agrarproduktion, wenn auch die – früher meist aus russischer Produktion stammenden – Landmaschinen inzwischen modernem Gerät westeuropäischer Hersteller gewichen sind. Hinter Ried der nächste Grenzübertritt – dazu einige Relikte aus der Zeit der Teilung: Schräg eingegrabene Sperrplatten sollten Fluchtversuche mit dem Auto verhindern, das Tor daneben besaß oben einen Stacheldrahtabschluss, der wohl auch unter Strom stand, wie die Isolatoren heute noch beweisen. Dazu ein Stück Grenzzaun, ein schwarzrotgoldener Grenzpfosten - es sind nur ein paar Zutaten aus dem perfi den Baukasten der Grenzsicherungsanlagen, die ständig perfektioniert wurde. Der Grenzübertritt von Rieth nach Zimmerau ist sicher nichts spektakuläres, und gerade deshalb ist es meiner Meinung Diese schrägen Betonplatten sollten Fluchtversuche mit dem Pkw stoppen. Inzwischen wächst im wahrsten Sinn des Wortes Gras darüber. nach lobenswert, wenn sich auch hier, mitten im Wald, Menschen die Mühe gemacht haben, die Relikte als Mahnmal zu erhalten und mit einer Info- Tafel zu versehen. In Zimmerau ein paar Kilometer weiter ermöglichte der Bayernturm mit seinen 38 Metern Höhe seit den sechsziger Jahren einen hervorragenden Blick über die damaligen Grenzanlagen, aber auch weit hinein ins Thüringer Land und die Haßberge. Entsprechend oft „durften“ fränkische Schulklassen im Rahmen von gut bezuschussten Grenzlandfahrten die Stufen hinaufklettern.
Das geht auch heute noch, ist aber mit vollständiger Motorradschutzkleidung nur an kühlen Tagen ratsam. In Alsleben fi ndet sich in Ortsmitte die ausgeschilderte Abzweigung zur Saalequelle. Korrekt: Zur Quelle der fränkischen Saale, die ein paar Meter hinter der ehemaligen Grenze entspringt. Wobei dies nur die nördliche Quellfassung ist, der südliche Ast kommt bei Obereßfeld aus einer tunnelähnlichen Quellfassung. Die Saale mündet nach 135 Kilometer durch den Grabfeldgau bei Gemünden in den Main. Und an der Quellfassung lässt sich im Schatten der Bäume gut über den Weg des Wassers philosophieren. Aber nicht zu lange, denn ich will ja heute meinen Weg immer entlang der Grenze zwischen Bayern, Sachsen und Thüringen zu Ende bringen. Trappstadt, Eyershausen, Herbstadt, Irmelshausen bringen mich durch weites, unverbautes Land wieder über die Grenze Richtung Mendhausen. Aus der Ferne grüßen standardisierte Wachtürme, gleich nach dem hier unspektakulären Grenzübertritt liegen direkt an der Straße massive Betonteile, die bereits seit Jahrzehnten überwuchert werden. Hier handelt es sich um gesprengte Fundamente mehrerer im 2. Weltkrieg betriebener Radarstationen. Auch hier holt sich die Natur selbst zwischen dem Beton ihr Revier zurück. Kurz vor Behrungen liegt dann linkerhand und nicht übersehbar ein bestens gepfl egtes Stück Originalgrenze. Das deutsch-deutsche Freilandmuseum wurde im Jahr 2003 gegründet und umfasst auf einer großen Fläche viele Grenzanlagen. Neben Das Plätschern der Saale-Quelle taugt gut zum meditativen Innehalten. dem obligatorischen Wachturm und einem eingezäunten Barkas-Transporter treffe ich auf eine am Dialekt eindeutig erkennbar ostdeutsche Familie. Drei Generationen stehen auch einundzwanzig Jahre nach dem Fall der Grenze mit einer Mischung aus Staunen, Wut und Neugier vor den einzelnen Exponaten. Und gerade die Großeltern, die wohl zum ersten Mal hier sind, murmeln ein ums andere Mal, dass sie sich das in dieser Wucht niemals vorgestellt haben. Stimmt, die Wucht der Anlagen ist, egal, wo ich hinkomme, immer wieder bedrückend. Alles wurde massiv gebaut, war extrem hässlich und wird auch heute durch den traumhaften Sommertag nicht hübscher. Weiter geht es, in der Ferne sind bereits die Berge der Hochrhön erkennbar, mein heutiges Ziel und das Ende der Tour. Zuvor ein neuer Grenzübertritt, im Westen gibt’s viel Neues, statt auf den geplan- ten verwinkelten Dorfstraßen gerate ich auf bestens ausgebauten Bundes- und Staatsstraßen nach Sondheim. Die wurden im Zuge der hier neu gebauten Autobahn A 71 von Schweinfurt nach Erfurt angelegt. Und nun liegt das, was früher wohl eher das Ende der (westlichen) Welt darstellte, mitten in Deutschland. Über Eußenhausen führt die B 19 bestens ausgebaut nach Thüringen. Bevor ich jedoch an den eigentlichen Grenzübergang gelange, der als einer der wenigen bereits zur Zeit des kalten Krieges existierte, biege ich rechts auf einen Parkplatz ab. Dahinter befi ndet sich ein weiteres kleines und kostenlos zu besichtigendes Museum mit Grenzsicherungen, wie sie an Übergängen wie dem folgenden eingesetzt wurden. Darunter eine auf Schienen laufende Straßensperre, die als letzte Stoppmöglichkeit an allen Übergängen eingebaut war. Hatte ein Flüchtling alle vorherigen Sperren überwunden, Die ganze Häßlichkeit der Grenzsperren dokumentiert dieser Fahrzeugrammbock, der bei Fluchtversuchen zum Einsatz kam. SZENE 13 wurde dieser aus massivem Stahl bestehende Rollwagen ausgelöst und raste quer über die Straße in ein Widerlager. Selbst mit einem Lkw war jetzt ein weiterer Durchbruch unmöglich. Schranken, Erdbunker, und der engmaschige Streckmetallzaun vervollständigen das Museum. Gleich danach haben sich Künstler auf der ehemaligen Grenze mit verschiedenen Installationen verewigt, die natürlich auch alle mit der Teilung und Wiedervereinigung zu tun haben. Wen hier die Muße küsst, der soll den Helm abnehmen und verweilen. Der eigentliche Grenzübergang präsentiert sich als trostloses Gelände mit Gebäuden, deren Fenster inzwischen aus Furcht vor Vandalen zugemauert wurden. Auch die Nebengebäude sind dem Verfall preisgegeben. Und was an anderer Stelle eher abstoßend wirken würde, erreicht hier Ein Barkas rostet im deutsch-deutschen Freilandmuseum vor sich hin. im Kopf genau das Gegenteil: Jawohl, es ist vorbei mit Schikane und Bevormundung, alles, was dafür benötigt wurde, verfällt – der Weg ist frei. Und er ist für Motorradfahrer ein Leckerbissen. Weite Schwünge führen hinter nach Sülzfeld, wo eine schon sehnlichst erwartete Tankstelle gleich am Ortseingang liegt. Dann ein paar Kilometer zurück, dann geht es rechts ab Richtung Hermannsfeld mit seinem neben einem Wachtturm stehenden und weit sichtbaren Weltfriedenskreuz. Der Weg dorthin ist für Motorisierte gesperrt, und aus der Ferne das Kreuz auch viel imposanter. Ich bin inzwischen in der Hochrhön angekommen, Einer der nächsten Ortschaften heißt bezeichnenderweise auch Rhönblick. Und während ich in der sonntäglichen Mittagsruhe durch die kleinen Ortschaften rolle, erkenne ich immer wieder den alten Metallgrenzzaum in neuer Verwendung. Als Rankhilfe für Bohnen, als Hasenstall, Böschungsschutz und Abfl ussgitter benutzen die Bewohner nicht nur hier, sondern überall entlang der Grenze
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