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Schlechte Luft. Kathmandus Bürgermeister will die Zahl der Elektrofahrzeuge erhöhen
Dreckiges Wasser. Im Bishnumati in Kathmandu treibt jede Menge Müll
Grün ist die Hoffnung
In Nepals Hauptstadt Kathmandu ringen viele Menschen mit stark gestiegenen Kosten. Ein Besuch in einer
besonderen Schule zeigt, wie sich einige auch für die Umwelt einsetzen.
Von Thomas Berger (Text und Fotos)
Die zwei Bier, die Bhuwan Singh Thakuri
an diesem Abend unbekümmert in
einem Restaurant in Kathmandus Touristenviertel
Thamel bei Livemusik
trinkt, kosten jeweils umgerechnet fünf
Euro. Das können sich in Nepal nur die
wenigsten leisten – für einen nicht unerheblichen
Teil der Bevölkerung machen
zehn Euro den Verdienst einer halben
bis ganzen Woche aus. Schon dies
weist den jungen Mann als einen Angehörigen
der schmalen Mittelschicht
des Himalaya-Staats aus, seine Visitenkarte
zusätzlich als »Operational Manager«
einer Rating-Agentur. Thakuri
hat im Mai vorigen Jahres geheiratet,
mit 33 Jahren in einem für nepalesische
Verhältnisse hohen Alter.
»Ja, die Familie hat immer Druck gemacht«,
räumt er ein. Dass es keine arrangierte
Ehe war, sondern eine Liebesheirat,
ist auch nicht alltäglich. Nepal
hatte 2017 Unicef zufolge eine der höchsten
Raten von Kinderehen in Asien –
sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen.
Obwohl das gesetzliche Heiratsalter bei
20 Jahren liegt, gibt demnach mehr als
ein Drittel der 20- bis 24jährigen Frauen
Ein großes Problem Nepals ist, dass
Fachpersonal lieber für
unqualifizierte Tätigkeiten ins
Ausland geht, weil es dort besser
bezahlt wird als in einer Anstellung
im erlernten Beruf daheim.
an, bis zum Alter von 18 Jahren verheiratet
worden zu sein, und etwas mehr
als eine von zehn sogar bis zum Alter
von 15 Jahren. Nepalesische Jungen gehören
weltweit zu den häufigsten Kinderbräutigamen,
mehr als jeder Zehnte
ist verheiratet, bevor er 18 Jahre alt ist.
Die nepalesische Regierung diskutiert
dem Onlinenachrichtenmagazin The
Diplomat zufolge eine Senkung des gesetzlichen
Heiratsalters auf 18 Jahre.
Den Jungunternehmer Thakuri beschäftigt
der Braindrain aus Nepal:
»Gutausgebildete Akademiker, Ärzte
und Ingenieure, die im Ausland Hilfsarbeiten
verrichten – das geht doch
nicht.« Ein guter Freund Thakuris, der
sich jetzt in Australien als Putzkraft
durchschlägt, sei vorher als leitender
Chemiker einer großen Softdrinkfirma
bei der Qualitätskontrolle in deren
einziger nepalesischer Fabrik tätig gewesen.
Dass Fachpersonal lieber für
unqualifizierte Tätigkeiten ins Ausland
geht, weil es dort besser bezahlt wird
als in einer Anstellung im erlernten
Beruf daheim, ist ein großes Problem
Nepals. Thakuri selbst will bleiben. Seine
Frau arbeitet als Palliativkrankenpflegerin
in einem von einer ausländischen
Organisation finanzierten Krankenhaus.
Dafür bekommt sie an die
300 Euro im Monat – immerhin mehr
als die 180 Euro, die Berufskolleginnen
üblicherweise nach Hause brächten,
setzt Thakuri hinzu.
Mit den Verdienstmöglichkeiten ist es
in Nepal in der Tat nicht weit her. Der
Taxifahrer Niranjan erzählt, er nehme
am Tag um die 3 500 Rupien ein, umgerechnet
etwa 25 Euro. Den Sprung in
der Frontscheibe lässt er gar nicht erst
reparieren, aber Tanken lässt sich nicht
vermeiden. Der Benzinpreis schlägt
derzeit mit 175 Rupien (1,21 Euro) pro
Liter. Zuletzt wurde er Anfang Februar
um fast sechs Prozent erhöht. Die Regierung
hat der staatlichen Nepal Oil
Corporation (NOC) unlängst mehr Freiheiten
gegeben, Preissteigerungen
bei Treibstoffimporten
schnell an die Konsumenten
weiterzureichen.
Der wichtigste Handelspartner
der NOC ist eines der
größten Unternehmen der
Welt, die India Oil Corporation,
die Weltmarktpreise in
Rechnung stellt. Bei ihr
und der eigenen Regierung
steht die NOC mit rund 16 Milliarden
Rupien (etwa 110 Millionen Euro) in der
Kreide.
Niranjan ist vor zwei Jahrzehnten aus
dem bei Trekkern beliebten Langtang-
Tal an der Grenze zu China im Norden
nach Kathmandu gekommen und
einer der unzähligen Arbeitsmigranten
aus anderen Landesteilen, die in der
Anderthalb-Millionenstadt ihr Glück
suchen.
Auch der 25jährige Pradeep Thapa ist
als Taxifahrer auf der mehrspurigen
Ring Road und in den schmalen Seitenstraßen
unterwegs, in denen manchmal
zwei Autos kaum unbeschadet aneinander
vorbeikommen. Allerdings
ist das sein Zweitjob, er fahre nur abends
»für zwei oder drei Stunden«. Tagsüber
verkauft Thapa Reis und andere Waren.
Das allein bringe aber nicht genug ein,
da das Leben in der Metropole und landesweit
in letzter Zeit deutlich teurer
geworden sei. 2022 lag die Inflationsrate
bei über sieben Prozent im Vergleich
zum Vorjahr.
Auf vielen ihrer Touren kreuzen
Niranjan und Pradeep den Bagmati. Der
östliche und größere der beiden sich
träge dahinwindenden Flüsse Kathmandus
ist in vielen Abschnitten deutlich
sauberer als in früheren Jahren – das
Ergebnis zahlreicher Arbeitseinsätze
freiwilliger Gruppen. Alle paar Monate
beseitigen Einwohner Kathmandus
gemeinsam den Müll, inzwischen mit
spürbarem Ergebnis. Dem Schwesterfluss
Bishnumati westlich des Stadtzentrums
ist hingegen noch in jenem
dreckigen Zustand, in dem sich der Bagmati
unlängst befand. Jede Menge
Plastiktüten, leere Wasserflaschen, kaputtes
Kinderspielzeug und mancher -
lei mehr treibt in der grauen Brühe oder
hängt an den Ufern fest. Neben der
holprigen Uferstraße Parijat Sadak sortieren
zwei Müllsammler ihre Tagesausbeute.
Die stammt aus umliegenden
Siedlungsgebieten, nicht etwa vom
Fluss, der durch Abfall, eingeleitete Abwässer
und einen niedrigen Wasserstand
belastet ist.
Wasser ist Mangelware im einzigen
urbanen Ballungsraum des Landes.
Große Tanklaster sind mit dem kostbaren
Gut unterwegs, denn nur wenige
in Kathmandu haben das Geld, um sich
abgefülltes Flaschenwasser zu kaufen.
Auch nicht Musikstudentin Sharmila
Nepali, die in Budhanilkantha zu Hause
ist, einem der viele Vororte. Wenn die
Wasserreserven daheim aufgebraucht
sind, reiche es tagelang weder zum
Duschen noch für Haarewaschen oder
die Wäsche, erzählt sie. Dann werde
der wertvolle kleine Rest nur zum Kochen
und Trinken verwendet.
Im Mittelalter hatten Herrscher im
Kathmandu-Tal ein Trinkwasserversorgungssystem
bauen lassen, welches
das in Monsunzeiten überreichlich fallende
Wasser in Zisternen für regenärmere
Zeiten auffängt. Mit mystischen
Figuren kunstvoll verziert sind die
dhunge dhara, steinerne Trinkbrunnen,
von denen sich stadtweit noch etwa
300 erhalten haben. Rund die Hälfte ist
bereits ausgetrocknet, da immer mehr
Brunnen gebohrt werden, die den oberen
wasserführenden Bodenschichten
das Wasser entziehen und nicht mehr
genügend Regenwasser nachfließt.
Schon 2017 gab die für die städtische
Wasserversorgung zuständige öffentliche
Firma Kathmandu Upatyaka Khanepani
Limited bekannt, dass selbst in
der Monsunzeit lediglich 120 Millionen
Liter pro Tag zur Verfügung stünden,
in der Trockenzeit gar nur 73 Millionen.
Dabei liegt der Tagesbedarf eigentlich
bei 377 Millionen Liter.
Der Umgang mit wertvollen Ressourcen
wie Wasser, die Vermeidung von
Müll, der Umweltschutz ganz allgemein
– darum geht es an der Vajra-Akademie,
Nepals erster »grüner Schule«.
Die 2007 gegründete Bildungseinrichtung
mit angeschlossenem Internat
liegt an einem Berghang am Rande von
Lalitpur, neben der Hauptstadt und
Bhaktapur eine der drei historischen
Königsstädte im Kathmandu-Tal.
Eine Seitenstraße windet sich bis an
den Eingang zum Campus. Dort würden
inzwischen 357 Schülerinnen und
Schüler unterrichtet, und die Zahl
wachse stetig, wie der Schulleiter Bhupendra
Bikram Thapa erzählt. Platz
gibt es reichlich auf dem Schulgelände.
In der Mitte des Hofs fällt sofort ein
großes Modell auf: Nachgebildet sind
mehrere hohe Berggipfel, aber auch eine
Ziegelei, wie sie mit ihrem hohen
Schornstein gleich nebenan im Tal steht,
eine Siedlung und ein Bach. Zum jährlichen
Schulfest habe eine Schülergruppe
das gebastelt, ist von Pariwesh Pokhrel,
dem Lehrer für Naturwissenschaften, zu
erfahren. »Wir wollten den Eltern und
anderen Gästen zeigen, wie das ist mit
so einer Ziegelei und der Verschmutzung
durch sie, was es für die Umgebung
und die Menschen dort bedeutet.« Ziegeleien
stoßen gesundheitsschädlichen
Feinstaub aus, nach dem Wiederaufbau
der 2015 beim schweren Erdbeben oft
eingestürzten Schornsteine wurde nicht
überall moderne Filtertechnik installiert.
Nebenan im Modell erheben sich
die riesigen Himalaya-Berge Nuptse
und Lhotse, die nahe dem Mount Everest
in der Region Khumbu an der
Grenze zu Tibet weit über 7 000 Meter
in den Himmel ragen, Schilder verweisen
auf das Everest Base Camp, die Gokyo-Seen
und den Khumbu-Eisfall an
Nepals größtem Gletscher. »Wir alle
haben eine Verantwortung, unsere
Bergwelt zu erhalten«, sagt Pokhrel.
Er muss wieder in den Unterricht.
Wenige Schritte vom Modell entfernt
Mathe ist nicht alles. Suprabha und Pratisteha lernen in der Vajra-Akademie auch Umweltbewus
REPORTAGE ∎∎∎ SEITE 10
27. April 2023 ∎∎∎ Jungle World 17