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sitzen zwei Mädchen, in Matheaufgaben

vertieft. Sie gehen in die 9. Klasse. Das

Umweltbewusstsein, das ihnen hier vermittelt

wird, schätzt eine von ihnen,

Suprabha, ganz besonders an ihrer Schule.

»Aber auch das Gemeinschaftsgefühl

zwischen Schülern und Lehrern«, sagt

die Schülerin. Mathe und Naturwissenschaften

sind ihre Lieblingsfächer. Das

gilt ebenso für das zweite Mädchen, Pratisteha,

die den grünen Schulhof mit

den vielen Bäumen und Sträuchern

liebt. »Wir lernen hier, mit der Natur im

Einklang zu leben«, betont sie.

Suprabha, im etwas entfernten Nachbardistrikt

Sindhupalchowk zu Hause,

ist eine der 48 Schülerinnen und Schüler,

die im Internat wohnen. Anfangs

sei das schwierig gewesen, räumt sie ein.

Doch an der Vajra-Akademie habe sie

viel über sich selbst erfahren: »Ich bin

unabhängiger geworden. Und es geht

auch darum, sich um Kleinigkeiten zu

kümmern.« In der Schule wird weitgehend

auf Wegwerfprodukte aus Plastik

verzichtet. Doch schon das Thema in die

eigenen Familien und den außerschulischen

Freundeskreis zu tragen, sei nicht

einfach, berichten die beiden Mädchen.

»Ich habe aber das Gefühl, die Leute werden

sensibler dafür«, fügt Pratisteha

hinzu. Lernende und Lehrende hier verstehen

sich als Botschafter, doch in der

Welt vor den Schultoren, konstatiert

auch der Schulleiter Thapa, wächst das

Umweltbewusstsein nur langsam.

Gerade im Kampf gegen die Plastikflut

vermisst er mehr Engagement der

politisch Verantwortlichen. Bisher wurden

nur die besonders schädlichen

schwarzen Kunststoffbeutel verboten.

Gemessen am Gesamtproblem sei das

nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

»Wer mit nur einer Tasche zum Markt

geht und etwas mehr einkauft, bekommt

an jeder Ecke trotzdem Plastiktüten«,

so der Pädagoge. Immerhin:

Wer mit offenen Augen durch Kathmandu

geht, wird feststellen, dass es in den

Apotheken und diversen Geschäften der

Metropole nunmehr Jutebeutel gibt.

Der Wandel kommt in kleinen Schritten,

aber der Schulleiter fragt sich, ob die

Stadt und das ganze Land beim Plastikmüllproblem

noch viel Zeit hätten.

Unbeirrt zeigt sich das Team der Vajra-Akademie

als gutes Vorbild. Es gibt

einen eigenen Schulgarten, in dem Gemüse

angebaut wird, die Energie zum

Kochen des Mittagessens kommt aus

Solarstrom und anfallender organischer

Abfall wird in Biogas umgewandelt.

Zudem fahren die Schulbusse, die jetzt

zur Unterrichtszeit im Vorderhof parken,

mit Elektroantrieb. »Wir waren da

Vorreiter«, so Thapa. Inzwischen mehrten

sich auch Elektrofahrzeuge auf den

Straßen, berichtet er. Von den dreirädrigen

sogenannten Tempo-Taxis, die in

Kathmandu und Patan als Sammeltaxen

verkehren, tragen inzwischen sehr

viele einen grünen Seitenstreifen, der

sie als E-Mobile ausweist. Auch einzelne

Elektrobusse sind schon im Einsatz.

An der Vajra-Akademie werden vor

allem alternative Lernmethoden angewendet.

»Exkursionen und spezielle Projekte

dort draußen gehören für uns

dazu«, sagt der Schulleiter. An diesem

Konzept will hier niemand rütteln, obwohl

es derzeit etwas schwerer fällt, daran

festzuhalten. Die steigenden Kosten

treffen auch die Schule hart; manche

Ausgaben müssten im neuen Schuljahr

wohl auf den Prüfstand, sagt Thapa mit

ernstem Blick. Nicht aber die Ausflüge.

Stolz ist der Direktor, dass es die alternative

Bildungseinrichtung über die

Covid-19-Pandemie geschafft hat. Zwei

Jahre lang waren die Schulen für längere

Zeit geschlossen. »Wir haben Online-

Unterricht angeboten – und waren damit

in der Umgebung die Einzigen.« Die

Lehrkräfte hätten immer pünktlich ihr

Gehalt bekommen. Möglich sei das nur

mit einem Bankkredit und der fortgesetzten

Unterstützung einer Partnerorganisation

in den Niederlanden gewesen.

Sie und einige private Förderer, von

Jede Menge Plastiktüten, leere

Wasserflaschen, kaputtes Kinderspielzeug

und mancherlei mehr

treibt in der grauen Brühe oder hängt

an den Ufern des Bishnumati fest.

denen jedoch in der Pandemie manche

abgesprungen seien, hätten überdies

den weitgehend kostenfreien Schulbesuch

jener etwa 30 Prozent der Schüler

ermöglicht, die aus armen Familien

stammen.

Fotos der Jüngsten und weitere Deko-

Elemente hängen in den Fenstern der

drei untersten Klassen, also Nursery,

Lower und Upper Kindergarten. Dass

das Schulgeld eine Investition in die

Zukunft der eigenen Kinder ist und

nicht Profiten der Schule dient, versuche

man den Familien immer wieder

zu erklären, so Thapa. Er weiß, woher

bei manchen Familien das Misstrauen

rührt: In Nepal, gerade im Großraum

Kathmandu, sind in den zurückliegenden

Jahren jede Menge Privatschulen

entstanden. »Bei vielen handelt es sich

nur um Geschäftemacherei, und es gibt

zu wenig Qualitätskontrolle«, so sein

Vorwurf an die Behörden. Die Regierung

habe es zudem immer noch nicht geschafft,

ein kostenfreies Bildungswesen

für alle einzuführen.

Sogar die Luft am Rande von Lalitpur

ist spürbar sauberer als in der Innenstadt

der nahen Hauptstadt. Über dem

gesamten Kathmandu-Tal hält sich

dauerhaft eine Dunstglocke. Selbst die

Aussicht auf einige weiße Berggipfel

in der Umgebung, die es früher von den

Dächern höherer Gebäude gab, macht

der Smog unmöglich. Die Luftqualität

zeigen Messgeräte an manchen Straßenkreuzungen

den Passanten und an

Ampeln wartenden Fahrzeugführern

gut sichtbar an. Heutzutage ist im Stadtzentrum

an den meisten Tagen nur

noch vage zu erahnen, dass wenige Kilometer

entfernt eine äußere Bergkette

den hauptstädtischen Talkessel einfasst.

Wen man auch fragt auf den Straßen

Kathmandus – von der Politik, insbesondere

den drei wichtigsten Parteien

Nepali Congress (NC), Kommunistische

Partei Nepals – Vereinigte Marxisten-

Leninisten (CPN-UML) und Kommunistische

Partei Nepals – Maoistisches

Zentrum (CPN-MC), sind die meisten

Menschen mittlerweile bitter enttäuscht.

Sich auf die zurückliegende Parlamentswahl

beziehend, erzählt der

junge Taxifahrer Pradeep: »Ich habe im

November nicht gewählt. Und ebenso

zu meinen Verwandten gesagt, sie sollen

es nicht tun.« Den drei Parteien,

die sich immer wieder

zerstreiten und erneut

gegeneinander verbünden,

haben bei der Parlamentswahl

in der Hauptstadt viele

das Vertrauen entzogen

(Jungle World 50/2022).

»Deuba, Oli und Prachanda

– solange die drei da

oben sitzen, bleibt das Chaos«, sagt Puskal

Karki, der mit seinen Sprachkenntnissen

vor allem deutsche Gruppen auf

Trekkingtouren führt. Er meint damit

die Parteiführer Sher Bahadur Deuba

(NC), K. P. Sharma Oli (CPN-UML) und

den gegenwärtigen Premierminister

Pushpa Kamal Dahal (CPN-MC). Doch

es gebe Hoffnungszeichen wie den neuen

unabhängigen Bürgermeister Kathmandus,

Balendra Shah, sagt Karki. Shah

habe schon im Wahlkampf konkrete

Konzepte vorgestellt, um auch das Müllproblem

anzugehen. Seine Kampagne

konzentrierte sich neben der Abfallwirtschaft

auf die Kontrolle des Straßenverkehrs,

die Erbringung öffentlicher

Dienstleistungen, die Korruptionsbekämpfung

und die Erhaltung des kulturellen

Erbes der Stadt.

Shah wurde im Mai 2022 mit mehr

als 23 000 Stimmen Vorsprung vor seinen

Mitbewerbern von CPN-UML und

NC gewählt. Der 32jährige ist einer der

jüngsten Bürgermeister des Landes.

Der in die Politik gewechselte Rapper

und Ingenieur, der einen Youtube-

Kanal hat und sich nach dem Erdbeben

mit Tausenden Toten durch Hilfeleistungen

nebenbei einen Ruf als Sozialaktivist

erworben hatte, will nach

eigener Aussage dafür sorgen, dass die

lokale Bevölkerung in jeder Hinsicht

gesund leben kann. Der Ausbau der Infrastruktur

soll demnach einhergehen

mit einem beschleunigten Wechsel zu

Elektrofahrzeugen. Der Kampf gegen

die Luftverschmutzung, den Shah angekündigt

hat, ist überfällig: Kathmandu

hatte einer Studie im Fachmagazin

Respiratory Research zufolge

2019 bereits die weltweit höchste

altersbereinigte Sterblichkeitsrate für

chronische Lungenkrankheiten, 182,5 Fälle

pro 100 000 Einwohner. Immer

mehr Nepalesen benötigen zusätzlichen

Sauerstoff zur Atmung.

stsein

Bastelei von Schülern. Schulleiter Thapa und Lehrer Pokhrel neben einem Modell der Khumbu-Region im Himalaya

Jungle World 17 ∎∎∎ 27. April 2023

SEITE 11 ∎∎∎ REPORTAGE

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