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Essay
Für und gegen
nächtliche
Ruhestörung
und sinnlose
Gewalt
Der Revolutionäre 1. Mai ist ein Ereignis mit bundesweiter, wenn nicht internationaler
Strahlkraft. Das Bild, das man sich andernorts von Kreuzberg und ganz
allgemein von radikalen Linken macht, ist davon maßgeblich geprägt. Ein
Rückblick auf 36 Jahre Revolutionärer 1. Mai in Kreuzberg. Von Ely Ora
Eine längst bekannte Feststellung, die zu akzeptieren noch immer Schwierigkeiten bereitet, aufgenommen am 1. Mai 1992 an einer Hausmauer in Kreuzberg
picture alliance / ZB | Bernd Settnik
Voriges Jahr liefen etwa 20 000 Leute
bei der abendlichen Revolutionären
1.-Mai-Demonstration von Neukölln
nach Kreuzberg. Nennenswerte Zusammenstöße
mit der Polizei gab es
dabei nicht. Das war mal ganz anders.
Alles begann am 1. Mai 1987 mit
heftigen Auseinandersetzungen zwischen
Teilen der Kreuzberger Bevölkerung
und der Polizei, bei denen die
Autonomen eine wichtige, aber nicht
die zentrale Rolle spielten. Die am
1. Mai geplünderte Filiale der längst
verblichenen Lebensmittelkette
»Bolle« am Görlitzer Bahnhof ging
in der Nacht auf den 2. Mai in Flammen
auf. Das war das Fanal der autonomen
1.-Mai-Aktivitäten.
Der Vorabend
Anfang der neunziger Jahre gab es feministische
Walpurgisnachtdemos,
die durch Schöneberg und Kreuzberg
zogen. Gänzlich ohne politisches Rahmenprogramm
kamen ab Mitte der
Neunziger Tausende Jugendliche am
Kollwitzplatz und später im Mauerpark
in Prenzlauer Berg auf teils
kommerziellen Festen zusammen,
wo es regelmäßig zu Auseinandersetzungen
mit der Polizei kam. Linksradikale
spielten dabei keine besonders
große Rolle.
Stärker von der linken Szene geprägt
waren die Aktivitäten, die sich
ab den nuller Jahren in Friedrichshain
rund um den Boxhagener Platz abspielten.
Vorher gab es teilweise auch
Konzerte mit antikapitalistischem
Schwerpunkt – vor allem gegen »Yuppisierung«
–, die von der Berliner
Anti-Nato-Gruppe (B.A.N.G.) organisiert
wurden und mit denen vor allem
Punks mobilisiert werden konnten.
Trotz einzelner Ausschreitungen
wurde es wie auch auf den 1.-Mai-
Demonstrationen auch hier in den
nuller Jahren immer friedlicher.
Eine Demonstration organisierte
die aus der Antifa-Bewegung hervorgegangene,
gemeinhin als antideutsch
verstandene Gruppe KP
B3rlin (Kritik & Praxis B3rlin) im Jahr
Bis 1987 war die Sache bei vielen
Westberliner Linken klar: Am Nachmittag
ist man auf dem Straßenfest am Lausitzer
Platz und morgens auf der DGB-Demo.
2004 gegen die EU-Osterweiterung.
Drei Jahre später folgte unter dem
Motto »Reduce it to the max: just
communism!« die faktische Nachfolgegruppe
TOP B3rlin (Theorie Organisation
Praxis) mit einer wütenden,
kahlrasierten Britney Spears auf den
Ankündigungsplakaten und durchaus
pointierten Sätzen im Aufruf
(»Der Prolet hat im Kapitalismus ein
Interesse an seiner Ausbeutung –
sonst hat er ja nichts!«).
Ab Anfang der zehner Jahre gab
dann in der bis dahin von der radikalen
Linken relativ stiefmütterlich behandelten
einstigen KPD-Hochburg
die Demonstration »Hände weg vom
Wedding!«, die seitdem alljährlich
durch den Bezirk zieht mit dem Ziel,
dass das seit Anfang der Neunziger
drohende »Kommen« des Wedding
einfach nicht stattfinden darf. Zumindest
jenseits des Sprengelkiezes,
der ist wohl verloren. Auch Bewährtes
kehrt zurück: Seit einigen Jahren
gibt es auch wieder eine feministische
Demo zur Walpurgisnacht.
Die Gewerkschaften
Bis 1987 war die Sache bei vielen Westberliner
Linken klar: Am Nachmittag
ist man auf dem Straßenfest am Lausitzer
Platz und morgens auf der
DGB-Demo. Gerne in widerspenstigen
Blöcken und gerne auch wütend am
Pfeifen, wenn die sozialdemokratische
(Gewerkschafts-)Prominenz spricht.
Mit den Kreuzberger Ereignissen 1987
und der ersten revolutionären Demonstration
1988 hat sich das aber
im Grunde erledigt. Einige kommunistische
und anarchosyndikalistische
Gruppen mit nostalgischer Liebe
zum Proletariat sahen darin aber keinen
Grund, ihre Praxis zu verändern,
und liefen isoliert am Ende der
sozialpartnerschaftlichen Bier-und-
Bratwurst-Manifestation mit.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise
2008 mobilisierte im Folgejahr erstmals
auch ein Bündnis aus Deutscher
Kommunistischer Partei (DKP), ehemaligen
Antiimps und linken Gewerkschaftern
zum »Klassenkämpferischen
Block«, der seitdem, wenn auch
immer schwach besucht, ebenfalls
auf der 18-Uhr-Demo mitläuft. Viel
verändert an der Strahlkraft des
morgendlichen Events hat das nicht
und man kann davon ausgehen, dass
das trotz des Eierwurfs auf die Regie-
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