SUMO #31
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Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten<br />
Videoportale<br />
» „YouTube“ als Newsplayer<br />
» Nichtkommerzielle Videoportale<br />
» Internetsucht<br />
Ausgabe 31<br />
- Oktober 2018 -
St. Pölten University of Applied Sciences<br />
Jetzt<br />
informieren!<br />
fhstp.ac.at/bmm<br />
© Martin Lifka Photography<br />
Bachelorstudium<br />
Medienmanagement<br />
Das Studium für Radio | TV | Print | Online<br />
mit den Schwerpunkten:<br />
• Content Management<br />
• Marketing und Sales<br />
• Strategisches Management<br />
medien & wirtschaft
Inhalt<br />
» „YouTube“ als Newsplayer 4<br />
» Print in Bewegung: Videoinhalte von Tageszeitungen 7<br />
» Journalismus: Print versus Video 10<br />
» Mediatheken: das neue Fernsehen 13<br />
» „YouTube“ als Plattform für politische Kommunikation 16<br />
» Nicht-kommerzielle Videoportale in Österreich 20<br />
» „Vlogging“ und wer zu seinem Erfolg beiträgt 22<br />
» Wie „Bibis Beauty Palace“ die heimischen Kinder zimmer erobert 25<br />
» Videokanäle für Silver Surfer 28<br />
» Eine institutionelle Herausforderung 31<br />
» Die Musikindustrie und „YouTube“ – eine Hassliebe? 33<br />
» „YouKu“ – das chinesische Portal 36<br />
» Die Internetsucht als Sozialkiller 40<br />
Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser!<br />
der Weckruf „Du sendest“ schallte anno 2005 durch<br />
das virtuelle Universum und steigerte sich seitdem<br />
zu einem Massenphänomen: „YouTube“ gilt heute als<br />
Synonym schlechthin für Videoportale, Gottseibeiuns<br />
von Eltern, Startpunkt lukrativer Karrieren, nunmehr<br />
als harte Konkurrenz des Fernsehens, aber auch anderer<br />
Mediengattungen. Und ja, die „selfishess“ unserer<br />
Gesellschaft – hier in Form obligater Kinder-, Katzenund<br />
Kotelett-Videos – hat der Kanal für Selbstinszenierung<br />
auch befördert, noch dazu strömt er ja aus<br />
dem dominanten Alphabet unserer Zeit und minimiert<br />
die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Spät, aber doch<br />
– wie bei US-Phänomenen üblich – gelangten Politik<br />
und Medienwirtschaft in Europa zu Besorgnis. Dabei<br />
geht es unter anderem um Lizenzen und Vergütung,<br />
Jugendschutz, Monopolisierung, Zensur.<br />
<strong>SUMO</strong>, das Fachmagazin des Bachelor Studiengangs<br />
Medienmanagement, hat sich darüber hinaus kundig<br />
gemacht. Ausgangspunkt war die Studie „YouTube-Channels<br />
und ihre Bedeutung in Österreich“, die<br />
Andreas Gebesmair als Projekt- und Institutsleiter am<br />
Institut für Medienwirtschaft der FH St. Pölten 2017<br />
durchgeführt hatte.<br />
Coverfoto: <strong>SUMO</strong><br />
In dieser Ausgabe erwarten Sie spannende Themen,<br />
die wie stets auch mittels Experteninterviews aufgerollt<br />
wurden: eine Analyse des chinesischen „You-<br />
Ku“, „YouTube“ als Newsplayer, nicht-kommerzielle vs.<br />
kommerzielle vs. öffentlich-rechtliche Videodistribution,<br />
Suchtproblematik, Videojournalismus bei Zeitungen,<br />
Zielgruppe Kinder vs. SeniorInnen, u.v.m.<br />
<strong>SUMO</strong> ist österreichweit vielleicht das einzige, durchgängig<br />
von Studierende gestaltete Medienfachmagazin:<br />
Sie durchschreiten hier alle wesentlichen<br />
Prozesse in einem Medienunternehmen (Themenplanung,<br />
Recherche, Interviews, Sales, Produktion,<br />
Vertrieb etc.), bringen ihr Wissen aus dem Studium<br />
ein und erzeugen den perfekten Fit mit Ihnen, der<br />
Leserschaft. Denn <strong>SUMO</strong> ergeht als Visitenkarte der<br />
studentischen MitarbeiterInnen sowie als eine der<br />
Medienmanagement-Ausbildung an der FH St. Pölten<br />
an MedienmanagerInnen aller Mediengattungen, Medien-Studierende<br />
und Lehrende sowie SchülerInnen<br />
von Allgemeinbildenden Höheren Schulen mit Medienschwerpunkt.<br />
Werdende Medienführungskräfte<br />
treffen somit auf seiende.<br />
Eine spannende Lektüre wünschen<br />
Copyright: Claudia Mann<br />
FH-Prof. Mag. Ewald Volk<br />
Studiengangsleiter<br />
Bachelor Medienmanagement<br />
Copyright: Ulrike Wieser<br />
FH-Prof. Mag. Roland Steiner<br />
Praxislaborleiter Print<br />
Chefredakteur <strong>SUMO</strong><br />
© Copyright: pexels<br />
Inhalt und Editorial<br />
3
„YouTube“<br />
als Newsplayer<br />
Warum Leberkäsesemmel essende PolitikerInnen auf „YouTube“ eine<br />
demokratiepolitische Chance sein können: Im <strong>SUMO</strong>-Gespräch befassten<br />
sich Univ.-Prof. Katrin Döveling, Alpen Adria Universität Klagenfurt, und<br />
Univ.-Prof. Jürgen Grimm, Universität Wien, mit dem jungen Player „You-<br />
Tube“ am Nachrichtenmarkt.<br />
Über eine Million Digital Natives erreichen<br />
in den kommenden Jahren laut<br />
Statistik Austria das 16. Lebensjahr und<br />
damit die passive Wahlberechtigung.<br />
Dieser in Zukunft wahlberechtigten Generation<br />
wird unter anderem eine hohe<br />
Affinität zu sozialen Medien und digitalen<br />
Inhalten zugesprochen. Die Reichweiten<br />
von klassischen NachrichtenlieferantInnen<br />
wie Tageszeitungen und<br />
TV dagegen sind in den entsprechenden<br />
Alterskohorten seit Jahren rückläufig.<br />
Aus diesem Grund stellt sich die Frage:<br />
Über welche Medien und über welche<br />
Formate rezipiert diese Generation Informationen<br />
und Nachrichten, um sich<br />
zum Beispiel für Wahlen eine Meinung<br />
zu bilden? Dieser Artikel widmet sich<br />
einem der „neuen“ Newsplayer am Medienmarkt<br />
– der Videoplattform „You-<br />
Tube“, und soll klären, ob „YouTube“ eine<br />
geeignete Nachrichtenquelle darstellen<br />
kann und es sich bei dem Angebot um<br />
ein funktionales Äquivalent zum professionellen<br />
Journalismus handelt.<br />
Was ist überhaupt eine Nachricht?<br />
Zur Beantwortung oben genannter<br />
Fragen muss zunächst der Begriff der<br />
Nachricht einer genaueren Betrachtung<br />
unterzogen werden. In der einschlägigen<br />
Literatur finden sich zahlreiche Definitionen.<br />
Im weitesten Sinn handelt es<br />
sich bei einer Nachricht um eine Aussage<br />
über die Realität, die für die EmpfängerInnen<br />
eine gewisse Relevanz aufweist.<br />
Auch der Aspekt der Neuigkeit<br />
der Information wird in einigen Definitionen<br />
genannt. Durchaus kontrovers<br />
sind hingegen die Meinungen bezüglich<br />
des Wahrheitsanspruchs an die Information.<br />
Für Katrin Döveling, Professorin<br />
an der Alpen Adria Universität Klagenfurt,<br />
stellt bereits die Auswahl von<br />
Informationen aus einem komplexen<br />
Themenspektrum eine Nachricht dar,<br />
denn die Auswahl entscheide schließlich,<br />
was zur Nachricht wird.<br />
„Gerade in diesem Moment verändert<br />
sich aufgrund digitaler Medien sehr viel.<br />
Durch die zunehmende Digitalisierung<br />
sehen sich Medien-RezipientInnen mit<br />
einer stetig wachsenden Menge an<br />
Informationen konfrontiert“, so Prof.<br />
Döveling. Daher müsse sich auch die<br />
Nachrichtenwerttheorie, die verschiedene<br />
Faktoren nennt, wann eine Information<br />
zu einer Nachricht wird, an diese<br />
geänderte Situation anpassen.<br />
Professor Jürgen Grimm vom Publizistik-Institut<br />
an der Universität Wien<br />
knüpft den Begriff „Nachrichtenwert“<br />
zunächst im Sinne seiner ursprünglichen<br />
Bedeutung an die klassischen<br />
und professionellen Medienanbieter<br />
in den Redaktionen der Zeitungen und<br />
Fernsehsender an. Durch das Internet<br />
sei diese Definition jedoch fragwürdig<br />
© Copyright: adobe stock/beeboys<br />
4<br />
„YouTube“ als Newsplayer
und vage geworden. Der Begriff befände<br />
sich gerade in einem Prozess der<br />
Re-Definition, so Prof. Grimm.<br />
Herzlichen Glückwunsch, es ist ein<br />
Newsplayer!<br />
Legt man die eben genannten Definitionen<br />
auf „YouTube“ um, darf sich das Videoportal<br />
also theoretisch stolz „Newsplayer“<br />
nennen.<br />
Die 2017 im Auftrag der RTR von FH-<br />
Prof. Andreas Gebesmair durchgeführte<br />
Studie „Die wirtschaftliche und<br />
gesellschaftliche Bedeutung von ‚You-<br />
Tube‘-Channels in Österreich“ zeigt eine<br />
klare Tendenz zu Unterhaltungsangeboten.<br />
Unter den Top 100 Channels in<br />
Österreich dominieren fünf Kategorien:<br />
„Gaming“, „Entertainment“, „Music“,<br />
„People & Blogs” und „HowTo & Style“.<br />
Andere Kategorien spielen eine untergeordnete<br />
Rolle. Dennoch ist auch ein<br />
einsetzender Eroberungsfeldzug des<br />
Videoportals in Richtung Nachrichten-Markt<br />
wahrnehmbar. Und gerade<br />
wegen des momentanen Unterangebots<br />
an Nachrichtenkanälen ist der Videoplattform<br />
ein Potential zu attestieren.<br />
„YouTube“ und journalistische Qualität<br />
– ein Widerspruch?<br />
SkeptikerInnen werden nun verächtlich<br />
mit den Augen rollen und das Nachrichtenangebot<br />
des Videoportals mit nur<br />
einem Wort vom Tisch fegen: Qualität.<br />
Bei der Rezeption von Nachrichten mag<br />
der Wahrheitsgehalt der Informationen<br />
für die EndnutzerInnen zwar generell<br />
nur schwer nachvollziehbar sein, dennoch<br />
kann man zumindest in den meisten<br />
Fällen bestimmte Qualitätskriterien<br />
an Informationen anlegen. Man spricht<br />
in diesem Zusammenhang von journalistischer<br />
Qualität.<br />
Für Professor Grimm geht es bei diesem<br />
Begriff darum, welche Funktion<br />
die Kommunikation für die Gesellschaft<br />
erfüllt. Denn Kommunikation und daher<br />
auch Nachrichten sind nicht einfach nur<br />
da, sondern erfüllen eine gesellschaftliche<br />
Aufgabe. Vor allem soll Journalismus<br />
öffentliche Debatten zur Lösung<br />
von Problemen wie Ungleichheit, soziale<br />
Sicherheit und Integragtion anregen.<br />
Ob also Nachrichten-Kanäle auf „You-<br />
Tube“ journalistische Qualität aufweisen<br />
können, ist nicht bloß vom Betreiber<br />
des Channels (Privatpersonen oder<br />
etablierte Medien) abhängig. Entscheidend<br />
für die Bewertung der Qualität ist<br />
laut Grimm vielmehr, ob die Nachricht<br />
oder Meinung begründet, lösungsorientiert<br />
und sachlich ist, und damit zum<br />
gesellschaftlichen Diskurs beiträgt. Mit<br />
anderen Worten, ist die Nachricht demokratiekompatibel<br />
oder nicht?<br />
„YouTube“ als Newsplayer<br />
5
Univ.-Prof. Jürgen Grimm<br />
Copyright: Katharina Arbeithuber<br />
Dass sich einige klassische Medienanbieter<br />
die permanente Erfüllung journalistischer<br />
Qualität auf die Fahnen<br />
heften, während private YouTuberInnen<br />
niemals qualitativ hochwertige Nachrichten<br />
verbreiten würden, ist daher<br />
nicht gerechtfertigt. Professioneller<br />
Journalismus ist, ganz im Gegenteil,<br />
mehr und mehr der Konkurrenz von<br />
anderen AkteurInnen ausgesetzt, die<br />
sehr wohl auch Qualitätsansprüche erfüllen<br />
können. In der Fachliteratur fallen<br />
zu diesem Phänomen Schlagworte wie<br />
„Bürgerjournalismus“ „grasroot journalism“<br />
oder auch „Laienjournalismus“.<br />
Der Grundgedanke dieser auch als „partizipativ“<br />
beschriebenen Formen des<br />
Journalismus, der insbesondere darin<br />
besteht, dass normale BürgerInnen mit<br />
ihren Kompetenzen und Vorstellungen<br />
ein Gegengewicht zur Berichterstattung<br />
der etablierten journalistischen Medien<br />
bilden, ist ohne Frage ehrbar. Der Haken<br />
an diesen Formen ist, dass sie zumeist<br />
nicht die Ganzheit der Gesellschaft abbilden<br />
und ansprechen. „Natürlich ist<br />
es erst einmal gut, den Bezug zu einer<br />
bestimmten gesellschaftlichen Gruppe<br />
herzustellen. Problematisch wird es<br />
aber, wenn es dann zu einer Verengung<br />
des Blickwinkels kommt und eine Monokultur<br />
präsentiert wird. Was ist dann<br />
mit der Mehrheit? Die rennen dann zur<br />
FPÖ“, antwortet Grimm auf die Frage<br />
nach seiner Meinung zu Graswurzeljournalismus<br />
auf „YouTube“.<br />
Der eine oder andere Schönheitsfehler<br />
Ein weiterer Kritikpunkt, den sich<br />
News-Channels auf „YouTube“ gefallen<br />
lassen müssen ist die oftmals fehlende<br />
Trennung von Fakt und Meinung. (Diese<br />
Kritik gilt natürlich sowohl für privaten als<br />
auch für professionellen Journalismus.)<br />
Univ.-Prof. Katrin Döveling<br />
Copyright: Katrin Dövelling<br />
Die fortschreitende Fragmentation des<br />
Publikums könne zudem durchaus dazu<br />
führen, dass vermehrt Nachrichten unabhängig<br />
von ihrem Wahrheitsgehalt<br />
publiziert werden und MedienrezipientInnen<br />
immer öfter „fake news“ ausgesetzt<br />
seien, so Döveling. Nötig sei<br />
daher die Medienkompetenzbildung an<br />
Schulen. Eltern und Bildungsinstitute<br />
müssten lehren, wie man seriöse Nachrichten<br />
erkennt. „Viele Jüngere wissen<br />
so etwas nicht, ich würde das schon<br />
fast als Schulfach einführen“, rät sie.<br />
Grimm sieht außerdem einen Regulierungsbedarf<br />
für „YouTube“. Man könne<br />
das Netz nicht länger als Eldorado der<br />
Freiheit sehen, sondern müsse überlegen,<br />
inwieweit man wo, in welcher Art<br />
eingreifen kann.<br />
Newsplayer „YouTube“ – eine demokratiepolitische<br />
Chance?<br />
Nicht jedem Nachrichten-Channel auf<br />
„YouTube“ haftet automatisch der Makel<br />
der Unseriosität an, betont auch Katrin<br />
Döveling. Ein durchaus positives Beispiel<br />
wie Nachrichtenverbreitung über<br />
„YouTube“ funktionieren kann ist für<br />
Döveling der Channel „Jäger & Sammler“.<br />
Jung, neugierig und offensiv – so<br />
beschreibt sich das Angebot selbst. Bei<br />
den veröffentlichten Beiträgen handelt<br />
es sich in erster Linie um aktuelle, gesellschaftspolitisch<br />
relevante Themen,<br />
teilweise sogar investigativen Journalismus,<br />
der für junge Menschen ansprechend<br />
aufbereitet wird. Produziert wird<br />
der Channel von ARD und ZDF. Veränderung<br />
und Entwicklung von Formaten<br />
in diese Richtung seien laut Döveling<br />
zu begrüßen. Klassische MedienanbieterInnen<br />
haben durch Plattformen wie<br />
„YouTube“ die Chance bekommen, mit<br />
Nachrichten auch ein jüngeres Publikum<br />
zu erreichen und dieses zielgruppenorientiert<br />
anzusprechen.<br />
Was darf‘s sein: Information, Unterhaltung<br />
oder beides?<br />
Wenn aber nun ein Video von PolitikerInnen<br />
die höchst zufrieden Leberkäse<br />
essen Traffic produziert und letzten Endes<br />
dazu führt, dass junge Menschen<br />
deswegen wieder wissen, wie der momentane<br />
Bundeskanzler heißt, Politik<br />
also nahbarer, menschlicher wird, ist<br />
auch ein solches Angebot prinzipiell<br />
nicht schlecht.<br />
Nein, ein solches Video liegt der SU-<br />
MO-Redaktion nicht vor. Aber Karten<br />
auf den Tisch: Sie haben mit dem Gedanken<br />
gespielt, sich den (Leber)Käse<br />
anzusehen!<br />
Und genau dieser Gedanke zeigt, dass<br />
„YouTube“ als Newsplayer funktionieren<br />
kann. Etwas lauter und greller vielleicht<br />
als man es aus Print, TV und Radio gewohnt<br />
ist, aber im Kern geht es bei Informationen<br />
darum, den Wissenstand<br />
der Empfangenden zu erhöhen. Das<br />
geht auch in bunt und mit Unterhaltungsaspekt.<br />
Jürgen Grimm sieht für etablierte Medien<br />
keine andere Alternative als sich auf<br />
Plattformen wie „YouTube“ zu präsentieren.<br />
Er setzt jedoch auf eine andere<br />
Möglichkeit für „Standard, „Presse“,<br />
ORF und Co. Zwar müssten die klassischen<br />
Medien durch die momentan<br />
stattfindende Transformation “durch“,<br />
die Tendenz zu Infotainment sieht er<br />
jedoch nicht als Naturgesetz an. Auch<br />
Döveling betrachtet den Infotainment-Trend<br />
kritisch. Etablierte Medien<br />
könnten sich genauso als „Leuchttürme<br />
des Qualitätsjournalismus“ positionieren,<br />
so Grimm. Gerade in einem „entertainisierten“<br />
Umfeld wie „YouTube“ könne<br />
sich Seriosität behaupten – einfach,<br />
weil sie anders ist.<br />
„YouTube“ als Newsplayer der Zukunft?<br />
Seriöse Nachrichten-Anbieter stehen<br />
derzeit vor der Aufgabe, die Entscheidung<br />
zu treffen, wie viel Zeit und Geld<br />
in Zukunft in „YouTube“-Redaktionen<br />
investiert wird. Und außerdem, wie das<br />
Unterhaltungsbedürfnis und Informationsbedürfnis<br />
der UserInnen in gleichem<br />
Maß befriedigt werden kann. Momentan<br />
befindet sich der Newsplayer<br />
„YouTube“ noch in einem Entwicklungsstadium.<br />
Ob etablierte Medien das Potential<br />
erkennen und mit ihren Angeboten<br />
mithalten, und ob eine News-Policy<br />
für Private durchsetzbar ist, wird sich in<br />
den nächsten Jahren zeigen.<br />
Wir aus der <strong>SUMO</strong>-Redaktion sind<br />
jedenfalls gespannt. Und keine Sorge,<br />
wegen dem Leberkäse-Video halten wir<br />
Sie auch auf dem Laufenden!<br />
von Katharina Arbeithuber<br />
6<br />
„YouTube“ als Newsplayer
Print in Bewegung:<br />
Videoinhalte von<br />
Tageszeitungen<br />
Österreichische Tageszeitungen satteln auf Bewegtbild um. <strong>SUMO</strong> sprach<br />
mit Vera Gasber, Videoredakteurin bei „Heute“ (nunmehr ARD), und Markus<br />
Leodolter, Leiter des Videoteams der „Kleinen Zeitung“, über Bewegtbildformate<br />
von Tageszeitungen.<br />
Ist Print tot?<br />
Fragt man sich angesichts sinkender<br />
Auflage- und Verkaufszahlen sowie<br />
der Umorientierung von Printmedien<br />
hin zu anderen journalistischen Darstellungsformen.<br />
Neun Minuten (2,8 %<br />
der gesamten Mediennutzungsdauer)<br />
werden pro Tag durchschnittlich von<br />
allen 14- bis 29-Jährigen ÖsterreicherInnen<br />
erübrigt, um sich Tageszeitungen<br />
zu widmen. Das geht aus einer<br />
2017 publizierten Studie des Instituts<br />
für Markt- und Sozialanalysen (IMAS)<br />
hervor. Bewegtbildinhalte (inkl. klassischem<br />
Fernsehen, Video-on-Demand,<br />
etc.) kommen auf über 90 Prozent in<br />
derselben Alterskohorte, so eine Studie<br />
der RTR. Jene Prozentzahlen liegen<br />
auch in österreichischen Medienhäusern<br />
vor und sind mitunter Grund für<br />
die wachsende Anzahl an Videoinhalten<br />
von Tageszeitungen im Onlinebereich.<br />
Dass Menschen unter 30 nur schwer<br />
mit reinem Printangebot zu begeistern<br />
sind, ist zwar kein Geheimnis – dennoch<br />
bringt diese Entwicklung (fast alle)<br />
Mediengattungen in Zugzwang, vor allem<br />
aber Printprodukte.<br />
Warum Print auf Videoinhalte setzt<br />
Vor über zehn Jahren begannen Tageszeitungen<br />
wie etwa die steirische „Kleine<br />
Zeitung“ Videos einzubinden. 2007<br />
startete die Produktion von Bewegtbildmaterial,<br />
mittlerweile ist das Team<br />
rund um Markus Leodolter ein wichtiger<br />
Bestandteil der Redaktion. „Wir haben<br />
erkannt, dass es Inhalte gibt, die als<br />
Video besser greifbar werden als durch<br />
Artikel mit Fotos“, erklärt Leodolter. Seit<br />
letztem Jahr gibt es in der Wiener Redaktion<br />
von „Heute“ mit Vera Gasber<br />
eine fix angestellte Videoredakteurin.<br />
Zudem liefert ein externer Kameramann<br />
der Tageszeitung seit mehreren<br />
Jahren regelmäßig Videobeiträge zu.<br />
Gemeinsam mit der „Krone“ und „W24“,<br />
mit welcher man in Videobelangen eine<br />
Partnerschaft pflegt, schickt man täglich<br />
ein Team zu aktuellen Ereignissen,<br />
das je nach Anlass vor Ort Livebilder<br />
liefert. Neben eigenproduzierten Videos<br />
bietet „Heute“ auch Videos von LeserreporterInnen<br />
an. Diese stellen „Heute“<br />
Videos zur Verfügung und bilden einen<br />
wichtigen Bestandteil des Videoportfolios<br />
der Tageszeitung. Zudem ist ein<br />
© Copyright: adobe stock/igor terekhov<br />
Print in Bewegung: Videoinhalte von Tageszeitungen<br />
7
© Copyright: Pixabay<br />
Beweggrund für die Zunahme an Videoinhalten<br />
ein finanzieller. „Werbung<br />
ist ein wichtiges Schlagwort bei uns“,<br />
so Gasber. Werbeplätze könnten durch<br />
die höher werdende Frequenz auf den<br />
Videoportalen sehr gut verkauft werden.<br />
Ähnlich sieht man das auch bei der<br />
„Kleinen Zeitung“: „Die Verweildauer,<br />
die durch das Rezipieren von Videos<br />
entsteht, ist in der Werbewirtschaft<br />
nicht unwesentlich“, ergänzt Leodolter.<br />
Zudem ermöglichen es Livestreams,<br />
aktuelle Themen zeitnah zu publizieren:<br />
„Reguläre Printprodukte haben gegenüber<br />
Video-Livestreams den Nachteil,<br />
nicht drei oder vier Sekunden, sondern<br />
Stunden zeitversetzt zu sein“, so der<br />
Videoredakteur. Die Antwort auf die<br />
Frage nach der Zielgruppe für Videoangebote<br />
ist eine einfache. „Zwar haben<br />
wir uns im Vorhinein kein Zielgruppenraster<br />
zurechtgelegt, aber natürlich<br />
sind die Menschen, die wir mit Videos<br />
erreichen, eher jung“, erklärt man seitens<br />
„Heute“. Dennoch hänge das Alter<br />
von RezipientInnen laut Leodolter stark<br />
vom Inhalt des Videos ab: „Wenn es um<br />
Politik geht, sieht das Durchschnittsalter<br />
anders aus, als bei Videos aus dem<br />
Chronikressort“.<br />
Tag X<br />
Am 18. Dezember 2017 wurde nicht nur<br />
die ÖVP-FPÖ-Regierung angelobt, sondern<br />
auch eines der im Dezember meist<br />
aufgerufenen eigenproduzierten Videos<br />
von „Heute“ gedreht. „Tag X war eines<br />
der stärksten Videos“, erinnert sich Gasber.<br />
An Tag X, der eine Regierungsbeteiligung<br />
der FPÖ bezeichnet, wurde in der<br />
Wiener Innenstadt eine Demonstration<br />
veranstaltet, die Gasber mit Mobile Reporting<br />
Equipment begleitete. Mit Mobile<br />
Reporting ist das Drehen und Schneiden<br />
mit dem Smartphone gemeint. Dazu<br />
passendes Equipment ist zum Beispiel<br />
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Vera Gasber<br />
Copyright: Sabine Hertel<br />
Markus Leodolter<br />
Copyright: Jürgen Fuchs<br />
ein leichtes Reisestativ, ein Smartphone<br />
mit Apps von speziellen Aufnahme- und<br />
Schnittprogrammen, externe Kameralinsen<br />
und Mikros.<br />
Der Vorteil von Mobile Journalism liege<br />
in der Flexibilität und Aktualität – unabhängig<br />
von behäbigen Kameras zu<br />
agieren, kann einen wichtigen Vorsprung<br />
verschaffen. Weiters hat man<br />
den Vorteil, dass Smartphones für InterviewpartnerInnen<br />
ohne Medienerfahrung<br />
eine angenehmere Atmosphäre<br />
schaffe. „Smartphones wirken für die<br />
Befragten weniger bedrohlich als große<br />
Kameras. Die GesprächspartnerInnen<br />
können somit freier sprechen und das<br />
Interview ist authentischer“, zeigt Gasber<br />
auf.<br />
Nichtsdestotrotz geht es in Bezug auf<br />
die Inhalte von Videos meist mehr um<br />
das ,Was’ als um das ,Wie’. Zwar bereite<br />
man die unterschiedlichsten Geschehnisse<br />
aus den Ressorts als Video auf, es<br />
seien jedoch zum Großteil „Chronikgeschichten“,<br />
die bei ZuseherInnen gut ankämen,<br />
klärt Leodolter auf. Grund hierfür<br />
sind lokale Verankerungen: „Wenn<br />
etwas im Nachbarort passiert, ruft das<br />
mehr Interesse hervor als Nachrichten<br />
aus der Landeshauptstadt“. Bei der<br />
„Kleinen Zeitung“ seien das beispielsweise<br />
Videos von Autobergungen oder<br />
Berichte über Brände. Auch bei „Heute“<br />
ist das Ressort Chronik eines der am<br />
besten funktionierenden – „genau das<br />
macht die Marke ,Heute’ auch aus – lokal<br />
verankerte Nachrichten“, so Gasber.<br />
Videos, die aus dem Ressort Wirtschaft<br />
stammen seien bei RezipientInnen<br />
der „Kleinen Zeitung“ weniger beliebt.<br />
„Aber auch da gibt es gewisse Ausnahmen.<br />
Videos, die mit Reizwörtern wie<br />
,Tesla’ oder ,Bitcoin’ in Zusammenhang<br />
stehen, werden gut von NutzerInnen<br />
angenommen. Eines hätten alle Videos<br />
laut Gasber aber gemeinsam: Das Ziel<br />
eine „ungefilterte Sichtweise zu transportieren“.<br />
Planbarkeit und Spontanität<br />
Doch wie werden Videoinhalte von Tageszeitungen<br />
produziert? Und auf welche<br />
Schwierigkeiten stößt man? Bei<br />
„Heute“ unterscheidet man bei der Videoproduktion<br />
zwischen Nachrichten,<br />
welche sofort oder zu einem späteren<br />
Zeitpunkt produziert werden müssen.<br />
„Mein Tagesablauf ist nur schwer planbar<br />
und oftmals spontan“, berichtet<br />
Gasber. Auch die „Kleine Zeitung“ ist mit<br />
dieser Schwierigkeit vertraut: „Da wir<br />
als lokale Tageszeitung einen Fokus auf<br />
dem Ressort Chronik haben, sehen wir<br />
uns zu einem gewissen Grad mit dem<br />
Problem der Planbarkeit konfrontiert.<br />
Kein Bankräuber oder Unfalllenker ruft<br />
im Vorhinein in der Redaktion an und<br />
gibt uns Bescheid“, spitzt Leodolter zu.<br />
Daher versuche man durch an verschiedenen<br />
Orten positionierte VideoredakteurInnen<br />
dem Problem entgegenzuwirken<br />
und zumindest eine gewisse<br />
Strukturiertheit zu schaffen. Sowohl bei<br />
„Heute“ als auch bei der „Kleinen Zeitung“<br />
findet man, abhängig von Termin<br />
und Relevanz der Geschichte, Teamgrößen<br />
von bis zu drei RedakteurInnen vor.<br />
Quo vadis, Print?<br />
Ist die passendere Frage angesichts<br />
sinkender Auflage- und Verkaufszahlen<br />
sowie der Umorientierung von Printmedien<br />
hin zu anderen journalistischen<br />
Darstellungsformen. Medienkonvergenz<br />
kann Print bereichern, sofern<br />
man sich den Veränderungen die damit<br />
einhergehen auch adäquat stellt. Den<br />
ersten Schritt in Richtung Zukunft haben<br />
Tageszeitungen also schon getan<br />
– wohin es letztendlich geht, ist aber<br />
nicht in Stein gemeißelt. Eines ist aber<br />
sicher: Print ist nicht tot, es entwickelt<br />
bloß sich weiter.<br />
von Anna Putz<br />
Lass es gar nicht erst<br />
so weit kommen!<br />
medienjobs.at<br />
die Jobbörse für Medienschaffende<br />
Print in Bewegung: Videoinhalte von Tageszeitungen<br />
9
© Copyright: Ingo Pertramer<br />
Journalismus:<br />
Print versus Video<br />
Was unterscheidet das „Handwerk“ von Print- und Video-JournalistInnen?<br />
<strong>SUMO</strong> hat Robert Misik (Video-Blogger „FS-Misik“ auf<br />
„derstandard.at“, Autor und Publizist) und Benedikt Narodoslawsky<br />
(Redakteur bei „Falter“) zu ihren Tätigkeiten befragt.<br />
Mit breiter Zugänglichkeit des<br />
Internet und der ansteigenden<br />
Alltagspräsenz von sozialen<br />
Netzwerken haben sich auch<br />
im Journalismus neue, erweiterte<br />
Formen entwickelt. Jede/r<br />
mit funktionierendem Internetanschluss<br />
hat die Möglichkeit,<br />
online journalistisch tätig zu<br />
werden und der Öffentlichkeit<br />
Informationen zu liefern. Auf<br />
Videoplattformen wie „YouTube“<br />
und Co. drängt sich seit geraumer Zeit<br />
das Format des Vlogs ins Zentrum der<br />
Aufmerksamkeit, wie aus der genannten<br />
Studie von Andreas Gebesmair, Leiter<br />
des Instituts für Medienwirtschaft<br />
an der FH St. Pölten, hervorgeht. Vlog<br />
bedeutet Video-Blog, also zumeist das<br />
periodische Berichten über das eigene<br />
Leben und die eigenen Meinungen. Dies<br />
ist per se noch kein Journalismus in der<br />
gängigen Definition: nämlich die hauptberufliche<br />
„Erarbeitung bzw. Verbreitung<br />
von Informationen, Meinungen<br />
und Unterhaltung durch Medien mittels<br />
Wort, Bild, Ton oder Kombinationen<br />
dieser Darstellungsmittel“, so der deutsche<br />
Journalistenverband.<br />
Themenfindung und Recherche<br />
Egal ob Video- oder Print-Journalismus,<br />
das Erstellen eines Beitrages beginnt<br />
bei der Themenfindung. Doch dabei<br />
bestehen bereits Unterschiede, wie<br />
Robert Misik, Ersteller des Video-Kommentars<br />
„FS-Misik“ auf „derstandard.<br />
at“ und Benedikt Narodoslawsky, Redakteur<br />
bei „Falter“ berichten. Für seinen<br />
wöchentlichen Video-Blog – mittlerweile<br />
567 Folgen (Stand: September<br />
2018) – verfolgt Robert Misik das<br />
© Copyright: adobe stock/suriya silsaksom<br />
Journalismus: Print versus Video
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politische sowie gesellschaftliche Geschehen<br />
und befasst sich dabei hauptsächlich<br />
mit Themen, welche seiner<br />
Expertise entsprechen. Im Print-Journalismus<br />
beginnt die Themenfindung<br />
zumeist in der Redaktion. Entweder<br />
wird durch ein Brainstorming ein passendes<br />
Thema gesucht, oder man lässt<br />
sich von Geschehnissen, Beobachtungen<br />
und dem eigenen Freundeskreis<br />
inspirieren. „Alles was mich persönlich<br />
fesselt, kann eine Geschichte sein“, erklärt<br />
Narodoslawsky. Bei der Themenauswahl<br />
treten weitere Unterschiede<br />
hervor. Im Video-Blog, der in Misiks Fall<br />
in kompletter Eigenleistung entsteht,<br />
ist die Themenwahl äußerst frei. Im<br />
Vergleich dazu muss sich in der „Falter“-Redaktion<br />
das Thema vorher in<br />
einigen Punkten behaupten, bevor es<br />
zu einer Freigabe kommt. Bereits bei<br />
der Themenfindung gilt es, die zugehörige<br />
Ressort-Passung zu bedenken.<br />
Dennoch muss dieses Thema in der Redaktionssitzung<br />
bestmöglich verkauft<br />
werden. Die endgültige Entscheidung<br />
über die Wahl liegt bei der Chefredaktion,<br />
wobei davor bereits KollegInnen<br />
ihre Meinung Kund getan haben. Denn<br />
wenn man schon an der Überzeugung<br />
der KollegInnen scheitert, liegen die<br />
Chancen schlecht, dass die Leserschaft<br />
von der Thematik mitgerissen wird, so<br />
Narodoslawsky.<br />
Nach der Freigabe beginnt die wirkliche<br />
Arbeit. Zuallererst muss man sich<br />
entscheiden, wie man die Geschichte<br />
aufbereiten möchte und abgestimmt<br />
darauf sowie gemessen am eigenen<br />
Fachwissen zu der Thematik, den Umfang<br />
der Recherchearbeit anpassen.<br />
Misik hingegen betreibt nur wenig Recherche<br />
ausschließlich für den Vlog,<br />
da es sich grundsätzlich um ein Meinungsformat<br />
handelt. Dabei publiziert<br />
er einen Kommentar zu Thematiken,<br />
über die er entweder für andere Projekte<br />
bereits recherchiert hat oder über<br />
ausreichend Fachwissen verfügt. Die<br />
einzige im <strong>SUMO</strong>-Interview erwähnte<br />
Ausnahme bezieht sich auf wochenaktuelle<br />
Themen, wofür die Meldungslage<br />
von hoher Bedeutung ist.<br />
Gestaltung und Bearbeitung der Inhalte<br />
Hierbei differieren die journalistischen<br />
Spektren am stärksten. „FS-Misik“ ist<br />
eine „One-Man-Show“, bei der Misik<br />
die komplette Produktion abwickelt,<br />
beginnend bei der Konzeption, über das<br />
Schreiben des Skripts bis zum Drehen<br />
und Schneiden des Videos. Der einzige<br />
Schritt, der in diesem Prozess von<br />
einem Dritten übernommen wird, ist<br />
das Veröffentlichen auf der Startseite<br />
von „derstandard.at“ durch den Chef<br />
vom Dienst. Bezüglich der Freigabe der<br />
Inhalte hat Misik vollkommene Freiheit,<br />
da er das Video als Endfassung bereitstellt<br />
und somit nachträgliche Änderungen<br />
eher schwierig sind. Diese werden<br />
nur im äußersten Notfall getätigt,<br />
wenn beispielsweise problematische<br />
Formulierungen im Video vorkommen,<br />
was Misik nur zweimal in zehn Jahren<br />
passiert ist und mit einer Überarbeitung<br />
des Schnittes gelöst wurde.<br />
Journalismus: Print versus Video<br />
11
ORF. WIE WIR.<br />
RADIO NIEDERÖSTERREICH<br />
DIE MUSIK MEINES LEBENS<br />
ORF NIEDERÖSTERREICH<br />
NIEDERÖSTERREICH HEUTE IN HD<br />
DA BIN ICH DAHEIM<br />
RADIO NIEDERÖSTERREICH<br />
DIE MUSIK MEINES LEBENS<br />
NOE.ORF.AT<br />
TÄGLICH UM 19.00 UHR IN ORF 2 N<br />
NIEDERÖSTERREICH HEUTE KOMPAKT<br />
MO-FR, UM 16.57 UHR IN ORF 2 N UND VIA WHATSAPP<br />
ONLINE RUND UM DIE UHR<br />
WWW.FACEBOOK.COM/RADIO.NIEDEROESTERREICH<br />
TWITTER.COM/ORFNOE<br />
NIEDERÖSTERREICH HEUTE IN HD TÄGLICH UM 19.00 UHR IN ORF 2 N UND VIA ORF-TVTHEK<br />
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ORF NIEDERÖSTERREICH Radioplatz 1, 3109 St.Pölten<br />
Tel. 02742/22 10-0 - Fax 02742/22 10-23891 Publikumsservice: Tel. 02742/23330<br />
In Narodoslawskys Redaktion dagegen<br />
gibt es eine klare Rollenverteilung.<br />
Grundsätzlich macht jede/r seinen/ihren<br />
Job und trägt mit ihren beziehungsweise<br />
seinen Stärken zum Endprodukt,<br />
das aus tief recherchierten, inhaltlich<br />
korrekten, spannenden Artikeln besteht,<br />
bei. Vor der Freigabe der Story<br />
läuft diese durch: Erstkontrolle und<br />
Verständlichkeitstest, Prüfung durch<br />
die Chefredaktion, zweimalige Lektorats-Kontrolle<br />
und anschließend Freigabe<br />
durch den/die ChefIn vom Dienst.<br />
Parallel zu diesem Prozess werden<br />
beim Bearbeiten eventuelle Fehler oder<br />
problematische Stellen identifiziert, die<br />
durch den/die AutorIn laufend überarbeitet<br />
werden. Ab diesem aufwändigen<br />
Prozess ist der Komplett-Ausfall eines<br />
Artikels eher unwahrscheinlich.<br />
Das Risiko ist bei der Ein-Mann-Produktion<br />
von Robert Misik diesbezüglich<br />
deutlich höher. Obwohl dieses<br />
Video-Format grundsätzlich überall<br />
umsetzbar und zeitunabhängig ist, da<br />
man solche Beiträge länger im Vorhinein<br />
drehen kann, sei die Verlässlichkeit<br />
der wöchentlichen Erscheinung<br />
für die User-Community sehr bedeutsam,<br />
so Misik.<br />
Journalistische Berufsethik und Glaubwürdigkeit<br />
In Sachen der Berufsethik und der Verinnerlichung<br />
des Ehrenkodex für die<br />
österreichische Presse sind sich beide<br />
Journalisten einig. Vernunft, Erfahrung<br />
und Routine helfen dabei, laut Narodoslawsky<br />
dient auch die Feedback-Schleife<br />
als ein Kontrollmittel.<br />
Hinsichtlich der Ansprüche der RezipientInnen<br />
stimmt die Meinung der<br />
Interviewten mit den Ergebnissen einer<br />
Studie über die Glaubwürdigkeit, Authentizität<br />
und Nähe der Kreativen auf<br />
„YouTube“ überein. Diese Studie wurde<br />
von iconkids & youth im Auftrag von<br />
„Google“ im Oktober 2015 durchgeführt<br />
und besagt, dass Kreative auf „YouTube“<br />
als besonders zugänglich, authentisch<br />
und glaubwürdig gesehen werden. Robert<br />
Misik: „Mit Video baut man eine<br />
Nähe auf, die der Text nie hat.“ Und:<br />
Videojournalismus sei viel polarisierender,<br />
da man die Person direkt vor Augen<br />
hat. Durch diese künstliche Nähe über<br />
das Bewegtbild kann der Inhalt authentischer<br />
wirken und stärkere Emotionen<br />
hervorrufen, die in Form von Print-Journalismus<br />
sehr schwer zu erreichen sind,<br />
konstatiert auch Narodoslawsky.<br />
Konkurrenz oder natürliche Weiterentwicklung<br />
Narodoslawsky gibt zu bedenken, dass<br />
es sich grundsätzlich um zwei verschiedene<br />
Medien handelt, die auch<br />
unterschiedlich wirken. Jedoch befinden<br />
sich beide permanent im Kampf um<br />
Aufmerksamkeit und somit sei jegliche<br />
journalistische Gattung eine Konkurrenz.<br />
Aufgrund der Konvergenz der Mediengattungen<br />
sei es wichtig, so Misik,<br />
diese neuen Technologien zu beherrschen,<br />
um weiterführende Möglichkeiten<br />
wahrnehmen zu können.<br />
Es war die Jahrtausendwende, als es<br />
ihm, dem freien Journalisten, klar wurde,<br />
dass er sich mit neuen Technologien<br />
vertraut machen muss, um konkurrenzfähig<br />
zu bleiben. Und es gelang:<br />
Misik schreibt und bloggt regelmäßig<br />
für Tages- und Wochenzeitungen, der<br />
Video-Blog des prononcierten Linken<br />
erhielt dieses Jahr durchschnittlich um<br />
die 3.700 Aufrufe .<br />
von Bettina Berger<br />
12<br />
Journalismus: Print versus Video
Mediatheken:<br />
das neue Fernsehen<br />
Fernsehen, wo und wann man will – Mediatheken von TV-Sendern<br />
machen es möglich. <strong>SUMO</strong> sprach mit Lisa Zuckerstätter,<br />
Leiterin der ORF-„TVThek“, und Markus Bacher, Geschäftsleiter<br />
ProSiebenSat.1 Digital und Distribution bei der „ProSieben-<br />
Sat.1PULS4“-Gruppe, über Onlineangebote von Fernsehanstalten.<br />
Traditionelles Fernsehen erfährt mehr<br />
Konkurrenz denn je – vor allem aus dem<br />
Netz. Die Lösung: Mediatheken. Befreit<br />
von starren Programmschemata bieten<br />
Fernsehsender ihre Inhalte auch online<br />
zum Abruf an. Welche Rolle sendereigene<br />
Videoplattformen für TV-Anbieter<br />
spielen und warum Mediatheken als die<br />
„Zukunft des Fernsehens“ bezeichnet<br />
werden.<br />
Junge Menschen rezipieren online<br />
Beim jungen Publikum zwischen 14 und<br />
29 Jahren lässt sich ein deutlicher Trend<br />
weg von klassisch linearer TV-Nutzung<br />
hin zu non-linearen Onlinediensten bemerken,<br />
wie eine Studie der RTR zeigt.<br />
„Junge UserInnen, also die strategische<br />
wichtige Gruppe zwischen 14 und 30,<br />
holt man mit Onlineangeboten ab –<br />
auch im Bewegtbildbereich“, so Lisa<br />
Zuckerstätter, interimistische Leiterin<br />
der ORF-„TVThek“. Auch anhand von<br />
anderen Onlineangeboten des<br />
ORF, wie etwa ORF.at, erkenne<br />
man, dass junge Menschen Inhalte<br />
anders nutzen möchten<br />
als noch vor 20 Jahren.<br />
© Copyright: ProSiebenSat.1PULS4<br />
Ähnlich sieht der Zugang<br />
innerhalb der „ProSieben-<br />
Sat.1PULS4“-Gruppe aus:<br />
„Strategisch gesehen spielen<br />
unsere Mediatheken, unabhängig<br />
vom Distributionskanal,<br />
eine extrem große Rolle“,<br />
meint Markus Bacher, der die<br />
Geschäftseinheit Digital und<br />
Distribution der Sendergruppe leitet.<br />
„Unsere Erfahrungen zeigen, dass sich<br />
die Reichweiten zwar nach Zielgruppe<br />
verschieben, jedoch insgesamt steigen.<br />
Wir stellen dabei unser Kerngeschäft<br />
immer breiter auf und schaffen es dadurch<br />
diese Verschiebungen bestmöglich<br />
aufzufangen. Fernsehen wird über<br />
© Copyright: adobe stock/Gandini<br />
Mediatheken: das neue Fernsehen<br />
13
Entweder, oder? Ich will alles.<br />
Johannes, 24 Jahre<br />
Teile deinen persönlichen #glaubandich Moment auf:<br />
Was zählt,<br />
sind die Menschen.<br />
digitale Verbreitungswege anders konsumiert<br />
als in der Vergangenheit. Diese<br />
Entwicklung sehen wir aktuell immer<br />
stärker und wir versuchen dabei nun<br />
die Inhalte für jede Nutzungsart attraktiv<br />
zu gestalten“, sagt Bacher.<br />
Rahmenbedingungen und Organisation<br />
Gestützt auf das ORF-Gesetz und damit<br />
einhergehenden Rahmenbedingungen<br />
stellt der ORF Inhalte auf der<br />
„TVThek“ kostenlos zur Verfügung. Dabei<br />
sind Einschränkungen, wie etwa die<br />
7-Tage-Verfügbarkeit, zu beachten und<br />
bis auf gewisse Ausnahmen einzuhalten.<br />
Beispiel für eine solche Ausnahme<br />
sind etwa Sendereihen (z. B. „Sommergespräche“),<br />
bei denen ein inhaltlicher<br />
Bogen gespannt werden müsse, legt<br />
Zuckerstätter dar. In derartigen Fällen<br />
ist die erste Folge der Sendereihe<br />
bis zu sieben Tage nach Ausstrahlung<br />
der letzten Folge online verfügbar, um<br />
NutzerInnen die Möglichkeit zum Vergleich<br />
offen zu halten.<br />
Im Gegensatz dazu können private<br />
Sender ihre Mediatheken nach eigenem<br />
Ermessen gestalten. Neben herkömmlichen<br />
Onlinevideotheken der<br />
einzelnen Sender betreibt die „ProSiebenSat.1PULS4“-Gruppe<br />
seit August<br />
2017 auch die senderübergreifende<br />
„ZAPPN“-App. Neben Eigenproduktionen<br />
der Sendergruppe ist es auch möglich,<br />
auf fremdproduzierte Inhalte wie<br />
Serien und Shows zuzugreifen. Ein<br />
Punkt, in dem sich öffentlich-rechtliche<br />
Mediatheken von privaten geringfügig<br />
unterscheiden, ist der Jugendschutz.<br />
Während die „TVThek“ zeitliche Sperren<br />
für bestimmte Inhalte (z.B. „Tatort“)<br />
vorsieht, schneidet man in Mediatheken<br />
der „ProSiebenSat.1PULS4“-Gruppe Inhalte<br />
entweder entsprechend um oder<br />
setzt zeitliche Schranken. Hinsichtlich<br />
der Personalstärke ähneln sich öffentlich-rechtlicher<br />
und privater Rundfunk<br />
aber: Um die 20 MitarbeiterInnen sind<br />
mit der Betreuung der Mediathek beschäftigt.<br />
„Unsere Redaktion ist fast<br />
rund um die Uhr besetzt“, so Zuckerstätter,<br />
„auch von ein Uhr früh bis 05:30<br />
ist mindestens eine Person hier, um das<br />
Fernsehprogramm abzudecken“. Markus<br />
Bacher hebt vor allem das zehnköpfige<br />
Team der Produktentwicklung<br />
und ein zehnköpfiges Online-Redaktionsteam<br />
hervor, das maßgebend am<br />
Erfolg der digitalen Produkte der Sendergruppe<br />
beteiligt sei.<br />
Which Content is King?<br />
„Es sind genau die Dinge, die gut gehen,<br />
von denen man es sich erwartet. ,Willkommen<br />
Österreich’, ,Tatort’, aber auch<br />
politische Ereignisse kommen in der<br />
,TVThek’ gut an“, resümiert Zuckerstätter.<br />
Nicht zu vernachlässigen seien auch Livestreams<br />
von großen Sportevents, wie<br />
etwa Olympiaden oder Ski-Weltmeisterschaften.<br />
Durchschnittlich verzeichnete<br />
der ORF mit der „TVThek“ im vergangenen<br />
Jahr 10,9 Millionen Nettoviews, derzeit<br />
verbucht man 1,29 Millionen monatliche<br />
UserInnen auf der Onlineplattform.<br />
Spitzenzeiten in der Nutzung sind laut<br />
Zuckerstätter die Primetime und das<br />
Wochenende, wobei im Speziellen sonntags<br />
UserInnen aktiver sind.<br />
„Eigentlich ist es ganz einfach: Was im<br />
Fernsehen gut geht, kommt auch digital<br />
gut an. ,2 Minuten, 2 Millionen’, ‚Germany’s<br />
Next Top Model‘, ,Sehr witzig’ oder<br />
,Bauer sucht Frau’ sind gute Beispiele<br />
dafür“, erklärt Bacher. Dennoch gebe<br />
es auch Special Interest-Ausreißer, wie<br />
etwa Animes oder Mangas, die laut Bacher<br />
ein gutes Beispiel für die breite Vielfalt<br />
von Interessen diverser Zielgruppen<br />
darstellen. Die Brutto-Views der pri-<br />
14<br />
Mediatheken: das neue Fernsehen
vaten Sendegruppe stiegen vom ersten<br />
Quartal 2017 auf das erste Quartal<br />
2018 insgesamt um plus 111 Prozent<br />
– die meisten Zugriffe verzeichnete die<br />
diesjährige Staffel von „Germany’s next<br />
Topmodel“ mit insgesamt 8,6 Millionen<br />
Brutto-Views. Die App „ZAPPN“ konnte<br />
dabei am Stärksten zum Wachstum beitragen<br />
und verzeichnet so innerhalb des<br />
ersten halben Jahres nach Launch über<br />
400.000 Downloads. „ZAPPN“ ist somit<br />
die größte kostenfreie Live-TV Streaming<br />
App am österreichischen Markt.<br />
Nichtsdestotrotz müsse man zwischen<br />
regulären Mediatheken und der<br />
„ZAPPN“-App differenzieren: Bei ersteren<br />
stehe herkömliche Video-on-Demand-Nutzung<br />
im Vordergrund, bei der<br />
App jedoch eher Liveübertragungen.<br />
Was Mediatheken verändern<br />
„Wir machen die Angebote durch die<br />
,TVThek’ noch sichtbarer“, erläutert Zuckerstätter.<br />
Da die Mediathek des öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunks jedoch<br />
werbefrei ist, konnte mit der „TVThek“<br />
kein neues Geschäftsmodell erschlossen<br />
werden. Im Gegensatz zu privaten<br />
Anbietern: „Durch Mediatheken konnten<br />
wir neue Wege der Digitalvermarktung<br />
öffnen“, so Bacher. Man profitiere<br />
sowohl von digitaler Bewegtbildvermarktung<br />
auf eigenen Videoportalen,<br />
als auch durch die bevorstehende Möglichkeit<br />
der Quotenintegration durch die<br />
Hybridquote. Sowohl im ORF als auch<br />
in der „ProSiebenSat.1PULS4“-Gruppe<br />
wurden erst kürzlich neueste Messtechnologien<br />
implementiert. Hintergrund:<br />
Bislang konnten Zugriffe auf Mediatheken<br />
nicht in TV-Quoten integriert<br />
werden. Mit den neu angeschafften<br />
Messsystemen steht der Zusammenführung<br />
von TV-Quoten und Zugriffen<br />
in Mediatheken nichts mehr im Wege.<br />
Ausblick<br />
Fernsehen und Internet wachsen immer<br />
mehr zusammen. Das zeigen nicht nur<br />
Video-on-Demand-Dienste wie „Netflix“<br />
und „Amazon Prime“, sondern auch<br />
Mediatheken. Ähnlich wie die BBC denkt<br />
die „ProSiebenSat.1PULS4“-Sendergruppe<br />
an eigens generierte Inhalte für<br />
ihre Mediatheken, der ORF „derzeit noch<br />
nicht“, da das Angebotskonzept dies<br />
nicht zulasse. Dafür arbeite man kontinuierlich<br />
an der Verbesserung der Bildqualität<br />
und der Ausweitung des Streaming-Angebots.<br />
Der nächste Schritt für<br />
die private Sendegruppe ist der Sprung<br />
auf alle Devices mit der senderübergreifenden<br />
App. Ob das Produkt auch in Zukunft<br />
weiterhin kostenlos zur Verfügung<br />
stehen wird, ist noch unklar. Pläne, wie<br />
es mit Mediatheken in Zukunft weitergehen<br />
soll, gibt es also zur Genüge.<br />
von Anna Putz<br />
© Copyright: pexels<br />
Mediatheken: das neue Fernsehen<br />
15
„YouTube“ als Plattform für<br />
politische Kommunikation<br />
„Facebook“ oder „Twitter“ bieten politischen AkteurInnen eine einfache,<br />
direkte Ansprache ihrer Anhängerschaft, desgleichen „YouTube“. Auch<br />
politisch extreme Gruppierungen versuchen mithilfe dieser Kanäle an<br />
Aufmerksamkeit und Reichweite zu gelangen. Neben der Darstellung<br />
ausgewählter Kanäle der Szene gibt Dr. Christian von Sikorski (Institut für<br />
Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Univ. Wien) im <strong>SUMO</strong>-Interview<br />
Einblicke in aktuelle Forschungsergebnisse.<br />
Im direkten Vergleich zu YouTuberInnen<br />
aus den Bereichen Beauty, Lifestyle<br />
oder Gaming mag eine Zahl von 42.000<br />
AbonnentInnen marginal erscheinen.<br />
Für Martin Sellner, den führenden Akteur<br />
der „Identitären Bewegung Wien“,<br />
stellt die Videoplattform ein wichtiges<br />
Instrumentarium dar. Neben Auftritten<br />
bei Veranstaltungen wie der ,,Pegida“ in<br />
Deutschland leistet sein eigener „You-<br />
Tube“-Kanal einen gewichtigen Beitrag,<br />
um an seinem Ziel des ,,Abbaus multikulturellen<br />
Meinungsdogmas“ (Zitat) zu<br />
arbeiten. Ein Beispiel aus dem Nachbarland<br />
ist der von zwei jungen Deutschen<br />
betriebene Kanal „Laut gedacht“. Unter<br />
Videotiteln wie „Islam wird Staatsreligion“<br />
werden noch relativ harmlose<br />
Vlogs mit patriotischen, religiösen und<br />
kulturellen Thematiken ausgespielt. Es<br />
gibt aber auch Kanäle wie die „Vulgäre<br />
Analyse“ oder „Reconquista Germania“,<br />
in denen mit härteren Umgangsformen<br />
antisemitische, rassistische oder sexistische<br />
Inhalte verbreitet werden.<br />
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16<br />
„YouTube“ als Plattform für politische Kommunikation
Christian von Sikorski sieht das Aufkommen<br />
solcher Kanäle als ein Resultat<br />
auf die in letzter Zeit gehäuft auftretenden<br />
„externen Events“, also Ereignissen<br />
wie der sogenannten Flüchtlingskrise.<br />
Solche Vorkommnisse nutzen und instrumentalisieren<br />
rechtsextreme Gruppierungen<br />
gezielt zur Verbreitung ihres<br />
Gedankenguts.<br />
Gefahrenpotenzial ist nicht zu unterschätzen<br />
Von Sikorski hebt dabei den primären<br />
Unterschied zwischen den klassischen<br />
und den sogenannten neuen Medien<br />
hervor. Während professionelle JournalistInnen<br />
nach ganz bestimmten Grundsätzen<br />
agieren, bietet sich uns auf<br />
„Facebook“ und anderen Online-Plattformen<br />
ein anderes Bild. Jeder darf hier<br />
seine Meinung frei äußern, ob in Form<br />
von Texten, Bildern oder Kommentaren.<br />
Im Gegensatz zu textlastigeren Plattformen<br />
wie „Facebook“ oder „Twitter“<br />
ist „YouTube“ bereits per Definition eine<br />
Videoplattform. Was bedeutet, dass<br />
das Visuelle klar im Vordergrund steht.<br />
Bezogen auf die Forschung, habe gerade<br />
das einen stärkeren Einfluss auf die<br />
menschliche Wahrnehmung. Da uns<br />
laut von Sikorski Bewegtbilder subtiler<br />
beeinflussen, genüge es bereits Fotos<br />
von großen Gruppen von Zuwander-<br />
Innen in einem Grenzgebiet zu zeigen.<br />
Damit löse man Emotionen aus, ohne<br />
explizit etwas anmerken zu müssen.<br />
Diese Annahme wird bestätigt, wenn<br />
man das Videomaterial oben genannter<br />
Personen analysiert. Der Auftritt<br />
ist meist eher zurückhaltend als extrem.<br />
„Laut Gedacht“ und Konsorten<br />
treten unter dem Deckmantel auf, nur<br />
ein harmloser Nachrichten- und Lifestyle-Blog<br />
zu sein. Die Beiträge sind<br />
unterhaltsam, unterlegt mit viel Bildmaterial.<br />
Die neuen Rechten versuchen<br />
über Sprache und Kultur Rassismus und<br />
völkisches Denken gesellschaftsfähig<br />
zu machen. Politischer Einfluss soll dabei<br />
nicht über das Parlament, sondern<br />
direkt auf die Gesellschaft ausgeübt<br />
werden. Mit der Videoplattform ist das<br />
einfacher denn je.<br />
Uneingeschränkter Zugriff als zweischneidiges<br />
Schwert<br />
Stößt man auf Videos in denen hetzerisches<br />
oder rassistisches Gedankengut<br />
öffentlich zugänglich gemacht wird,<br />
kommt schnell der Impuls auf, diese<br />
einfach zu sperren. Die Frage, ob der<br />
uneingeschränkte Zugriff hier zu weit<br />
reicht, ist legitim. Der Kommunikationswissenschaftler<br />
distanziert sich<br />
jedoch von der Idee, „YouTube“ einzuschränken.<br />
„Wer entscheidet eigentlich,<br />
was verboten ist und was nicht? Grenzen<br />
zu ziehen liegt im Aufgabenbereich<br />
der Gesetzgebung. Es ist per Gesetz<br />
verboten, Hakenkreuze in jeglicher Art<br />
und Weise öffentlich darzustellen.“ Von<br />
Sikorski verweist an dieser Stelle aber<br />
auch auf die Meinungsfreiheit. Hier<br />
sei jede Form der Einschränkung mit<br />
äußerster Vorsicht zu betrachten. Um<br />
Folgeprobleme, wie eine Abwanderung<br />
in den Untergrund zu verhindern, solle<br />
jede/r das Recht haben seinen bzw.<br />
ihren Standpunkt öffentlich und ohne<br />
Bestrafung zu äußern. Werden Grenzen<br />
jedoch überschritten, müsse gehandelt<br />
werden. Es sei die Aufgabe der Plattformbetreiber,<br />
aber auch des Gesetzgebers<br />
und der Exekutive, der Verbreitung<br />
verbotener Inhalte entgegenzuwirken.<br />
Klassische Medien versus soziale Medien<br />
Der Großteil der Bevölkerung lehne<br />
Rechtsextremismus ab, suche daher<br />
auch nicht gezielt nach solchen Informationen<br />
und beziehe Wissen grundsätzlich<br />
über klassische Medien, stellt<br />
von Sikorski fest. Personen mit einer<br />
gefestigten Meinung, wie Menschen<br />
mit rechtem Gedankengut, suchen hingegen<br />
explizit nach Bestätigung ihrer<br />
Sichtweisen und rezipieren erfahrungsgemäß<br />
Publikumsmedien wie den ORF<br />
oder Qualitätszeitungen wie „Standard“<br />
oder „Presse“ deutlich selektiver. Sie<br />
bevorzugen vermeintlich informative<br />
neue Kanäle im Internet. Einer der<br />
meist besuchten Kanäle der Szene<br />
– der von Martin Sellner – kritisiert in<br />
vielen seiner Videos die etablierten<br />
Massenmedien. „Spiegel TV lügt“, „ORF<br />
= Fakenews“ oder „Danke ARD“ – vor<br />
allem politisch (vermeintlich) linksorientierte<br />
Massenmedien sind vielen<br />
Rechtsradikalen ein Dorn im Auge.<br />
Personen, die rechtsradikale Inhalte generieren,<br />
versuchen bewusst den Graubereich<br />
der Justiz bis zu dessen Grenzen<br />
auszukosten. Dieses Konzept geht<br />
auf. Erreicht werden zum Großteil Menschen,<br />
die ihre Meinung teilen und aktiv<br />
danach gesucht haben. Damit werden<br />
Beschwerden oder Strafen meist vermieden.<br />
Kommt es nun zu Ereignissen<br />
wie der „Flüchtlingskrise“, die die Anhängerschaft<br />
solcher Gruppierungen<br />
erweitern, besteht laut dem Experten<br />
das Risiko einer Polarisierung der Bevölkerung.<br />
Immer mehr Menschen sind<br />
dann für solche Informationen empfänglich.<br />
„Zukunft für Europa“, mit bekannten<br />
Gesichtern der rechten Szene<br />
wie Martin Sellner oder Tony Gerber,<br />
hat bereits eine Million Aufrufe. Darunter<br />
findet man einen Spendenaufruf<br />
für die „Identitäre Bewegung Deutschlands“<br />
und eine ausführliche Beschreibung,<br />
wie man Mitglied der Bewegung,<br />
„YouTube“ als Plattform für politische Kommunikation<br />
17
die für ,,Heimat, Freiheit und Tradition“<br />
steht, wird. Videos wie diese richten<br />
ihre Botschaften gezielt an ein junges<br />
Publikum, das leicht zu beeinflussen ist.<br />
Gestaltungsmöglichkeiten der Beeinflussung<br />
Gruppierungen, die dem neurechten<br />
Spektrum zugeordnet werden arbeiten<br />
vernetzt. Es findet ein reger Austausch<br />
auf Veranstaltungen, aber auch online<br />
statt. Zusätzlich gibt es einen einheitlichen<br />
Auftritt der Anhängerschaft. So<br />
zeigen sich die zwei Darsteller hinter<br />
„Laut gedacht“ im abgestimmten Outfit<br />
mit Logo.<br />
Von Sikorski, der sich in seinen Publikationen<br />
u.a. mit politischer Kommunikation<br />
und deren Rezeption beschäftigt<br />
hat, nennt drei Gründe, warum gerade<br />
„YouTube“ ein optimales Tool darstellt,<br />
um das Zielpublikum in ihrer Wahrnehmung<br />
zu beeinflussen. Ersichtlich sei<br />
dies etwa in Werbeclips für PolitikerInnen.<br />
Primäres Ziel solcher Aufnahmen<br />
ist es, die eigene Person und eigene<br />
Standpunkte möglichst positiv zu präsentieren,<br />
während man seine Gegnerschaft<br />
in ein negatives Licht rückt. In<br />
einer von ihm kürzlich durchgeführten<br />
Studie wurden ProbandInnen Bildaufnahmen<br />
von PolitikerInnen, die in Skandale<br />
verwickelt waren gezeigt. Auf der<br />
einen wurde die Person alleine isoliert<br />
vor einem schwarzen Hintergrund abgebildet,<br />
auf der anderen vor einem<br />
weißen. Trotz der identischen Personendarstellung<br />
(Mimik, Gestik) und<br />
dem identischem Text wurden die Abgebildeten<br />
als negativer beurteilt, wenn<br />
der Hintergrund dunkel war. Dies zeigt,<br />
dass alleine die Farbe und Kontextualisierung<br />
einen Einfluss auf unsere Sichtweise<br />
nehmen können. Zusätzlich spielen<br />
auch der gewählte Kamerawinkel,<br />
wie auch Abspielgeschwindigkeit und<br />
andere Elemente der visuellen Gestaltung<br />
eine Rolle.<br />
Die zweite Ebene, fährt von Sikorski<br />
fort, sei alles Nonverbale im Video.<br />
Dazu zählt zum Beispiel alles was der/<br />
die AkteurIn macht, wie er oder sie sich<br />
präsentiert und zur Schau stellt. Körpersprache,<br />
Mimik und Gestik können im<br />
Gegensatz zu rein text- oder bildbasierten<br />
Darstellungsformen in Videoclips<br />
gezielt dazu verwendet werden, um die<br />
Wirkungsweise zu verstärken. Der dritte<br />
Bereich, den er nennt, umfasst all das,<br />
was noch über die non-verbale Komponente<br />
hinausreicht – die auditiven<br />
Elemente. Musik kann hier eine große<br />
Wirkung entfalten. Bilder von Flüchtlingsströmen,<br />
untermalt von dramatischer<br />
Musik, sollen negative Assoziationen<br />
hervorrufen. Daneben spielt auch<br />
die Sprache der AkteurInnen eine Rolle.<br />
Rechte Gruppierungen bedienen sich<br />
nicht selten einer veralteten Ausdrucksweise.<br />
Begriffe wie „Heimat“, „Volk“,<br />
„völkisch“ oder „Umvolkung“, die in der<br />
NS-Zeit missbräuchlich verwendet<br />
wurden, unterliegen einer starken Färbung.<br />
Solche Schlagwörter, kombiniert<br />
mit visuellen Informationen und Musik,<br />
werden gezielt eingesetzt und erzeugen<br />
nachgewiesenermaßen Effekte. Beachtet<br />
man diese drei Ebenen, kann man<br />
seine Botschaft sehr überzeugend an<br />
sein Publikum richten, klärt der Kommunikationswissenschaftler<br />
auf.<br />
Hauptzielgruppe von „YouTube“ besonders<br />
empfänglich<br />
Die größte Nutzergruppe der Videoplattform<br />
ist sehr jung, zum Teil noch<br />
minderjährig. Von Sikorski bezieht sich<br />
erneut auf seine Forschungsarbeit<br />
in diesem Gebiet. Durch langjährige<br />
Wirkungsforschung steht heute fest,<br />
dass Kinder und Jugendliche leichter<br />
und stärker beeinflussbar sind. Bestes<br />
Beispiel sei hier Werbung: Werbebotschaften<br />
an Kinder sind deshalb so<br />
erfolgreich, da diese bis zu einer gewissen<br />
geistigen Reife noch nicht wissen,<br />
wann es sich bei Content um bezahlte<br />
Werbung handelt. Inhalte, die zu einer<br />
gewissen Meinung überzeugen sollen<br />
werden viel leichter und besser angenommen.<br />
Hinzu kommt das Problem,<br />
dass junge Leute noch sehr flexibel in<br />
ihren Sichtweisen sind. Natürlich habe<br />
das auch seine Vorteile, meint der gebürtige<br />
Deutsche. Während Erwachsene<br />
stärker auf ihrer eigenen Meinung<br />
beharren, sind Jüngere noch offen für<br />
Neues. Trotzdem mache sie das auch<br />
anfälliger für negatives oder sogar gefährliches<br />
Gedankengut. Daher wenden<br />
sich Formate wie „Laut Gedacht“ explizit<br />
an eine junge Zielgruppe. Es wird<br />
nicht offensiv Hass gegen Flüchtlinge<br />
geschürt, sondern versucht, durch „lustige“<br />
Videos zu aktuellen politischen<br />
Debatten unterschwellige Botschaften<br />
zu verbreiten.<br />
Dr. Christian von Sikorski<br />
Copyright: Kathrin Weinkogl<br />
Wo fehlende Medienkenntnisse anfangen<br />
und Seriosität endet<br />
Ein gesellschaftlich unerwünschter<br />
Trend, der zunehmend auch viele Erwachsene<br />
trifft, ist das schwindende<br />
Gespür für die Seriosität einer Quelle.<br />
Von Sikorski erklärt, dass Personen,<br />
die mit klassischen Massenmedien wie<br />
dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk<br />
aufgewachsen sind, in der Regel skeptischer<br />
seien, wenn sie auf Informationen<br />
in Online-Medien stoßen. Egal ob<br />
sie nun eher politisch links oder rechts<br />
stehen, sie schenken von JournalistInnen<br />
verfassten Nachrichten wesentlich<br />
mehr Vertrauen bzw. fragen: Wer oder<br />
was ist hier der Sender einer Botschaft?<br />
Sie wissen, dass Quellen wie Qualitätsmedien<br />
vernünftig recherchieren<br />
und Fakten doppelt prüfen. Aktuelle<br />
Studien ergaben, dass diese Kenntnis<br />
Jugendlichen oft fehlt, wenn sie nicht<br />
mit klassischen Medien aufgewachsen<br />
sind. Viele wissen nicht mehr, wofür<br />
ein bestimmtes Medium steht und<br />
wo die Information, der sie Beachtung<br />
und Glauben schenken überhaupt herkommt.<br />
Hier treffen ,,Fake News“ dann<br />
auf fruchtbaren Boden. „Aber auch Erwachsene<br />
sind hier nicht grundsätzlich<br />
resistent. Insbesondere Personen mit<br />
einer geringen Medienkompetenz laufen<br />
Gefahr, fragwürdige, unseriöse oder<br />
schlichtweg falsche Informationen als<br />
geprüftes und verlässliches Wissen anzusehen“,<br />
ergänzt von Sikorski.<br />
Als Lösungsvorschlag biete sich laut<br />
von Sikorski ein verbesserter medienpädagogischer<br />
Ansatz an: ,,Junge<br />
NutzerInnen müssen an das Thema<br />
herangeführt werden. Ihnen muss gezeigt<br />
werden, was sauber recherchierte<br />
Informationen sind. Das gilt auch für<br />
Nachrichten, die für jedermann online<br />
zur Verfügung gestellt werden. Schaut<br />
euch die Quelle ganz genau an!“, mahnt<br />
der Experte. Auch auf „YouTube“ sollte<br />
man sich stets fragen, wo das Videomaterial<br />
eigentlich herstammt, das<br />
dort abrufbar ist. Es braucht also nicht<br />
gezwungenermaßen Einschränkungen<br />
und Strafen, es braucht einen verantwortungsvollen<br />
und bewussten Umgang<br />
mit neuen Medien.<br />
von Kathrin Weinkogl<br />
18<br />
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Alle Angaben ohne Gewähr.
Nicht-kommerzielle<br />
Videoportale in Österreich<br />
Bleibt neben den großen Plattformen im Internet noch Platz für<br />
nicht-kommerziell intendierte Verbreitung von Wissen und Information?<br />
Christian Jungwirth, Geschäftsführer von „OKTO – Okto TV“, diskutiert in<br />
<strong>SUMO</strong> über die Situation nicht-kommerzieller Angebote in Österreich.<br />
Nicht-kommerzielle Videoportale<br />
stellen die Verbreitung von Wissen<br />
und Information in den Vordergrund,<br />
ohne sich dabei auf die Werbezeitvermarktung<br />
konzentrieren zu müssen.<br />
In Österreich betreibt der partizipative<br />
Community-Fernsehsender „Okto“ seit<br />
2011 die nicht-kommerzielle Plattform<br />
„Oktothek“. Jungwirth sieht darin<br />
die Möglichkeit der breiteren Diversifizierung<br />
der Inhalte. Es können so verschiedene<br />
Zielgruppen und vor allem<br />
jüngere RezipientInnen angesprochen<br />
werden, die am linearen Fernsehprogramm<br />
kein großes Interesse zeigen.<br />
„Oktothek“ - ein Videoportal der ersten<br />
Stunde<br />
Bereits 2005, noch bevor Plattformen<br />
wie „YouTube“ diese wichtige Stellung<br />
eingenommen haben und „Facebook“<br />
im großen Rahmen gestartet ist, hat<br />
„Okto“ das Potential der Verbreitung<br />
seiner Inhalte über das Internet erkannt.<br />
„Wir haben 2005 im Prinzip den Sprung<br />
ins kalte Wasser gewagt und gesagt,<br />
wir fahren den Betrieb von Anfang an<br />
komplett bandlos und zu 100 Prozent<br />
digital. Das haben wir nicht zuletzt mit<br />
dem Blick auf die Zielsetzung gemacht,<br />
dass wir die Nutzung unserer Videos<br />
mittel- bis langfristig in erster Linie<br />
im digitalen Bereich sehen.“ Als den<br />
wichtigsten Grundstein für ein solches<br />
Portal sieht er die genaue Erfassung<br />
von Metadaten, welche bereits von der<br />
ersten Minute an sehr ernst genommen<br />
wurde. Obwohl die Wichtigkeit der Onlineverbreitung<br />
bereits früh erkannt<br />
wurde, ist der Aufbau der Plattform ein<br />
laufender und aufwendiger Prozess.<br />
Die rasche technische Entwicklung im<br />
Bereich der Internetvideodistribution<br />
hinsichtlich der Auflösung und des Bildschirmformats<br />
hat zur Folge, dass Server<br />
immer noch damit beschäftigt sind,<br />
ältere Inhalte in das Format umzuwandeln,<br />
das heute bei der Verbreitung im<br />
Internet obligatorisch ist.<br />
Die Inhalte der „Oktothek“ stehen den<br />
NutzerInnen zeitlich uneingeschränkt<br />
© Copyright: adobe stock/olly<br />
20<br />
Nicht-kommerzielle Videoportale in Österreich
zur Verfügung. Die bereitgestellten Programme<br />
beschäftigen sich mit unterschiedlichsten<br />
Inhalten, beispielsweise<br />
bietet „wienTV.org“ Politiknachrichten,<br />
die Inhalte abseits des Medien-Mainstreams<br />
beleuchten sollen. Aber auch<br />
Reportagen, Kurzfilme, Musikvideos<br />
und Informationsbeiträge zählen zum<br />
Repertoire.<br />
Bedeutung nicht-kommerzieller Angebote<br />
angesichts von „YouTube“ & Co.<br />
Laut der Onlinestudie von ARD und ZDF<br />
anno 2017 verbringen Onlinenutzer-<br />
Innen ab 14 Jahren täglich insgesamt<br />
zweieinhalb Stunden im Internet, wovon<br />
45 Minuten auf die Nutzung von<br />
Nachrichtenportalen, Onlineradios oder<br />
das Lesen von Artikeln entfallen. 24<br />
Prozent der Befragten nutzen Videoportale<br />
täglich. Das zeigt, wie wichtig<br />
die Onlinedistribution heute geworden<br />
ist. „YouTube“ zählt zwar immer noch<br />
zu den meist genutzten Portalen, doch<br />
Jungwirth sieht in den kommerziellen<br />
Plattformen keine Konkurrenz per se,<br />
sondern vielmehr ein Instrumentarium,<br />
das zur Ergänzung des nicht-kommerziellen<br />
Rundfunks dienen kann. (Auch) Für<br />
ein nicht-kommerzielles Angebot stellt<br />
sich die Zielgruppenfrage; einerseits<br />
soll durch das Angebot die gewünschte<br />
Zielgruppe erreicht werden, doch andererseits<br />
müssen öffentliche Mittel, die<br />
zur Finanzierung zur Verfügung stehen,<br />
effektiv eingesetzt werden.<br />
Trotzdem stoßen nicht-kommerzielle<br />
Portale immer wieder auf Barrieren<br />
in der Politik und Gesellschaft. „Oft<br />
wird bei der Frage der Förderung oder<br />
der Ermöglichung des nicht-kommerziellen<br />
Rundfunksektors in einer<br />
westlichen Demokratie das Argument<br />
vorgeschoben, dass es in Zeiten von<br />
,YouTube‘ keinen vergleichsweise teureren,<br />
nicht-kommerziellen Rundfunk<br />
wie ,Okto‘ braucht.“ Diese Argumentation<br />
reicht jedoch nicht weit genug,<br />
insbesondere, wenn es um die Bereiche<br />
der Medienkompetenzvermittlung und<br />
Medienpädagogik geht. Diese werden<br />
durch kommerzielle Angebote nicht<br />
ausreichend abgedeckt, weshalb die<br />
Notwendigkeit von nicht-kommerziellen<br />
Plattformen hierbei bestehen bleibt.<br />
Rechtliche Grundlagen und Creative<br />
Commons<br />
Bei der Online-Videodistribution sind<br />
die Regelungen des Urheber- und Persönlichkeitsrechts<br />
von wichtiger Bedeutung.<br />
In Österreich werden diese im<br />
Audiovisuellen Mediendienste-Gesetz<br />
festgehalten und unterscheiden sich<br />
in keiner Weise von der Reglementierung<br />
im kommerziellen Bereich. Bevor<br />
Inhalte online gehen, muss darauf geachtet<br />
werden, keine Urheberrechte<br />
an beispielsweise Musikstücken oder<br />
Texten zu verletzen und das Recht am<br />
eigenen Bild gewahrt bleibt. Durch das<br />
Recht am eigenen Bild kann die abgebildete<br />
Person selbst entscheiden, ob<br />
und in welchem Kontext das Bild veröffentlicht<br />
werden darf. Dazu muss vor<br />
der Veröffentlichung eine Einwilligung<br />
bei dieser Person eingeholt werden.<br />
Ausnahmen gelten, wenn Personen nur<br />
im Hintergrund zu sehen sind, oder bei<br />
Aufnahmen großer Menschenmengen.<br />
Auch das Konzept der Creative Commons<br />
bietet im Bereich der Lizenzierung<br />
von Inhalten eine Möglichkeit,<br />
die Nutzungsrechte zu definieren. Die<br />
gemeinnützige Organisation „Creative<br />
Commons“ bietet verschiedene Lizenzmodelle<br />
an, nach denen UrheberInnen<br />
ihre Werke schützen können. Auch bei<br />
nicht-kommerziellen Videoportalen<br />
werden Creative Commons zur Lizenzierung<br />
verwendet. In diesem Bereich<br />
gibt es jedoch noch Probleme mit konventionell<br />
lizenzierten Inhalten. Wenn<br />
mit einer Creative Commons Lizenz gearbeitet<br />
wird, der Beitrag aber trotzdem<br />
von Drittrechten behaftete Materialien<br />
enthält, stößt man bei der Veröffentlichung<br />
schnell an seine Grenzen. Nach<br />
Jungwirth wird es in unserer Gesellschaft<br />
noch eine rechtsphilosophische<br />
Entwicklung brauchen, bis in breiterer<br />
Form bei Bewegtbild mit Creative Commons<br />
gearbeitet werden kann.<br />
Ein Blick in die Zukunft<br />
Gerade entwickelt „Okto“ eine umfassendere<br />
„YouTube“-Strategie, die Ende<br />
2019 in die Umsetzung gehen soll. „Wir<br />
sehen keine Chance, diese Möglichkeit<br />
der Verbreitung auszulassen. Weil wir<br />
alle wissen, dass aufgrund des Medienwandels<br />
und der Digitalisierung insbesondere<br />
das Videonutzungsverhalten<br />
junger Menschen sich komplett gewandelt<br />
hat gegenüber dem der Generationen<br />
davor.“ Auch für nicht-kommerzielle<br />
Fernsehsender werden Abrufmodelle,<br />
wie Mobile oder On Demand immer bedeutsamer.<br />
Für „Okto“ ist es wichtig,<br />
alle Inhalte, die linear im Fernsehen zu<br />
sehen waren auch online zur Verfügung<br />
zu stellen. Abstriche sollen nur dann<br />
erfolgen, wenn ein Urheberrechtsproblem<br />
auftreten würde. Verstärkt soll<br />
auch in die Richtung „online first“ gegangen<br />
werden, oder Inhalte überhaupt<br />
für die ausschließliche Verbreitung im<br />
Internet zu produzieren. So möchte<br />
man eine noch breitere Diversifizierung<br />
der Inhalte für die verschiedenen Zielgruppen<br />
ermöglichen.<br />
von Marlene Havel<br />
Nicht-kommerzielle Videoportale in Österreich<br />
21
„Vlogging“ und wer zu<br />
seinem Erfolg beiträgt<br />
Seit das Modell des „Vloggens“ populärer wurde, machen immer mehr<br />
Menschen viel Geld mit ihren Videos, bisweilen im zweistelligen Millionenbereich.<br />
Ist der mögliche Reichtum der einzige Grund, sein Privatleben<br />
allen zugänglich zu machen, und: Warum sehen sich das so viele Menschen<br />
an? <strong>SUMO</strong> sucht in Interviews mit Psychologin Sandra Gerö und<br />
einer „YouTube“-Nutzerin nach Antworten.<br />
Die Definition von „Vlogging“ ist keine<br />
einheitliche. Teilweise wird simpel ein<br />
im Stil eines Tagebucheintrags gestaltetes<br />
Video als „Vlog“ gezählt, während<br />
in breiteren Definitionsansätzen auch<br />
Make-Up-Tutorials und Gaming-Videos<br />
zu dem Modell gezählt werden. In diesem<br />
Artikel wird mit der breiteren Definition<br />
gearbeitet. Die UserInnen gehören<br />
meist der jüngeren Generation an.<br />
Aus einer FORSA-Umfrage resultiert,<br />
dass 42% der Jugendlichen zwischen 12<br />
und 17 Jahren täglich Inhalte auf „You-<br />
Tube“ ansehen. On top: Musikvideos,<br />
Film-Trailer, dann Tutorials, und auch<br />
„VloggerInnen“ sind stark vertreten.<br />
Ranking und Verdienste<br />
In der Liste der zehn bestverdienenden<br />
„YouTuberInnen“ befinden sich fünf Kanäle,<br />
die ausschließlich oder zumindest<br />
überwiegend Videos mit Gaming-Inhalten<br />
hochladen. Die weiteren Plätze<br />
werden von drei klassischen „VloggerInnen“<br />
sowie einem Sport-Kanal und<br />
einem Spielzeug-Rezensionen-Kanal<br />
besetzt. Jede Person in diesem Ranking<br />
konnte 2016/17 über zehn Millionen<br />
US-Dollar über ihren Kanal einnehmen,<br />
die meisten der Topverdiener sind etwa<br />
30 Jahre alt und schon seit einigen Jahren<br />
auf „YouTube“ aktiv.<br />
Das Geschäftsmodell von „YouTube“<br />
lässt in vorwiegend drei Bereiche gliedern.<br />
Eine neuere Einnahmequelle besteht<br />
aus Abonnements des werbefreien<br />
„YouTube-Red“. Die zweite Quelle ist<br />
die Schaltung von Werbebannern oder<br />
die priorisierte Reihung von Videos.<br />
Die bekannteste besteht darin, dass<br />
Werbetreibende ihre Inhalte zielgruppenspezifisch<br />
vor beziehungsweise<br />
während Videos von „YouTube“-Partner<br />
schalten. Die Veränderungen in den Algorithmen<br />
hinter der Plattform lassen<br />
die Einnahmen stark schwanken und<br />
machen sie dadurch zu einer unzuverlässigen<br />
Einnahmequelle für Externe.<br />
„YouTube“ behält laut Investopedia<br />
45% der Werbeeinnahmen, 55% lukrieren<br />
die „YouTube“-Partner. Über „Influencermarketinghub.com“<br />
kann aus<br />
den „Total Views“ und die „Estimated<br />
Lifetime Earnings“ errechnet werden,<br />
dass die nach „Forbes“ Top 6-„YouTuber“<br />
über den Zeitraum ihres gesamten<br />
„YouTube“-Daseins etwa 2,42 US$ pro<br />
1.000 ZuseherInnen einnahmen. Und<br />
diese Stars verfügen über solche in<br />
zweistelliger Millionenhöhe.<br />
Wer sind die ZuseherInnen?<br />
Eine Statistik von „eMarketer“ ergab,<br />
dass im Jahr 2017 weltweit 1,47 Mil-<br />
© Copyright: adobe stock/diego cervo<br />
22<br />
„Vlogging“ und wer zu seinem Erfolg beiträgt
liarden Menschen die Plattform „You-<br />
Tube“ genutzt haben – Tendenz steigend.<br />
Wenn man sich die Verteilung<br />
nach Altersgruppen ansieht, hatte im<br />
Jahr 2016 über ein Drittel der 16-24<br />
Jahre alten NutzerInnen Videos von<br />
Berühmtheiten oder „VloggerInnen“<br />
angesehen – ältere UserInnen weit weniger.<br />
Nachdem die Nutzerzahlen und<br />
auch die Zahl an „YouTuberInnen“, die<br />
über eine Million AbonnentInnen verfügen<br />
konstant weiter gestiegen sind,<br />
kann davon ausgegangen werden, dass<br />
diese Zahlen im Jahr 2018 noch höher<br />
ausfallen.<br />
Doch warum „vloggen“ Menschen?<br />
Sandra Gerö, Psychologin und Medienpädagogin<br />
in Wien, erläutert, dass<br />
„Vlogs“ eine lange Geschichte haben.<br />
Der Ursprung liegt in Tagebüchern<br />
(Logs). Abenteurer haben in der Vergangenheit<br />
Logs geführt, auch Buchhalter.<br />
Die Erfindung des WWW ermöglichte<br />
es, ein Tagebuch online zu führen und<br />
dadurch auch mit anderen Menschen<br />
zu teilen. Dieses Teilen von Informationen<br />
über eine/n selbst oder seine Umgebung<br />
ist laut Gerö durch das menschliche<br />
Urbedürfnis, nicht vergessen zu<br />
werden und sich anderen Menschen<br />
und künftigen Generationen gegenüber<br />
zu präsentieren erklärbar. Somit<br />
dient ein Vlog demselben Zweck wie<br />
seine Initialen in einen Baum zu ritzen,<br />
nämlich um zu sagen: „Ich war hier!“ Auf<br />
„YouTube“ existiert jedoch im Gegensatz<br />
zu dem Positionieren in der analogen<br />
Welt die Möglichkeit nahezu in Echtzeit<br />
Feedback zu bekommen. Dieses Feedback<br />
ist laut Gerö auch der größte Ansporn,<br />
ein virtuelles Tagebuch weiterzuführen.<br />
„Wo es ein Publikum gibt, gibt<br />
es auch Menschen, die es füttern.“<br />
Wer sieht sich das an?<br />
Gerö skizzierte die drei Hauptgründe,<br />
sich diese alltäglichen Videos anzusehen.<br />
Entschleunigung:<br />
Jugendliche stehen laut diverser Studien<br />
bei weitem unter mehr Stress als<br />
vor zehn Jahren. Dieser Stress wird nicht<br />
nur durch den Zwang online präsent zu<br />
sein hervorgerufen, sondern auch durch<br />
die Art und Weise, wie Filme produziert<br />
werden. Durch immer mehr Action und<br />
schnelleren, drastischeren Schnitt wird<br />
der Mensch mit Reizen überflutet. Bei<br />
einem Video, das langsam, mit wenig<br />
Schnitten und alltäglichen Themen produziert<br />
wird, fällt es leichter sich zu entspannen.<br />
Dieser Meinung ist auch eine<br />
20-jährige „YouTube“-Nutzerin in ihrem<br />
Interview mit <strong>SUMO</strong>. Sie verfolgt die Videos<br />
einer Vielzahl von „YouTuberInnen“<br />
und sieht sich täglich Make-Up-Tutori-<br />
„Vlogging“ und wer zu seinem Erfolg beiträgt<br />
23
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als oder andere „Vlogs“ an: „Manchmal<br />
möchte ich mir einfach etwas erzählen<br />
lassen. Oft höre ich auch gar nicht so<br />
genau zu, was eigentlich geredet wird<br />
und erledige andere Sachen, während<br />
ich die Videos laufen lasse.“<br />
Das Bedürfnis nach Alltag und sozialen<br />
Kontakten:<br />
Die Online-Suche nach sozialen Kontakten<br />
ist wohl so alt wie das Internet<br />
selbst, sei es über Dating-Apps oder<br />
Websites, auf denen man mit anderen<br />
Menschen anonym kommunizieren<br />
kann (wie „Chatroulette“ oder „Omegle“).<br />
Ein weiterer Faktor für „YouTube“<br />
als Ersatz von Offline-Kontakten ist<br />
laut Gerö, dass es einfach ist, das Leben<br />
anderer Menschen online zu verfolgen,<br />
da diese keine Ansprüche stellen. Wenn<br />
man sich mit realen FreundInnen oder<br />
Verwandten trifft, so haben sie oft Ansprüche<br />
oder wollen Persönliches über<br />
ihr Gegenüber erfahren. Interessant<br />
sind „Vlogs“ für jede/n, egal ob Personen<br />
selbst einen eintönigen oder unregelmäßigen<br />
Alltag haben. Man nutzt<br />
sie, um Anderen beim Leben zuzusehen<br />
– auf unverbindliche Art. Der Vergleich<br />
mit einer Fernsehserie, die man nachverfolgt<br />
liegt nahe, da in den Augen<br />
vieler „YouTube“-NutzerInnen „Vlogs“<br />
eine ähnliche Kontinuität in „Episoden“<br />
repräsentieren.<br />
Neugier:<br />
Was von vielen Menschen fälschlich als<br />
Voyeurismus abgestempelt wird, kann<br />
von einem psychologischen Standpunkt<br />
aus viele Nuancen haben. Das Wort Voyeurismus<br />
bezeichnet eine psychische<br />
Störung und kann so nicht auf die allgemeine<br />
Neugierde des Menschen angewendet<br />
werden. Viel besser passen<br />
Worte wie Schau- oder Sensationslust,<br />
um das unstillbare Interesse am Leben<br />
anderer Menschen zu beschreiben.<br />
Dieses Bedürfnis, das sich auch zeigt,<br />
wenn ins nachbarliche Fenster gelugt<br />
wird, ist tief in der Natur des Menschen<br />
verankert. Ganze Industrien – auch unabhängig<br />
von Medien – leben davon,<br />
dass Menschen sehen wollen, was auf<br />
der Welt passiert. Den Ursprung hat<br />
dieses Bedürfnis nach Information, was<br />
im Umfeld passiert, darin sich selbst<br />
und seine Familie vor etwaigen Gefahren<br />
zu schützen. Auch die interviewte<br />
20-Jährige „YouTube“-Nutzerin kennt<br />
die Sensationslust von der Plattform.<br />
Sie erzählt von so genannten Clickbait-Videos<br />
(„Klick-Köder“), zu denen<br />
„YouTuberInnen“ nach Aufmerksamkeit<br />
heischende Titel und Thumbnails erstellen,<br />
die wenig bis nichts mit dem Video<br />
zu tun haben. Gerade diese Videos<br />
erzielen hohe Aufrufzahlen.<br />
Auf diversen Marketingplattformen<br />
wird „Vlogging“ daher als die Marketingstrategie<br />
der Zukunft schlechthin<br />
gehandelt. Im Gegensatz zu klassischen<br />
Werbeformaten wird eine persönliche<br />
Verbindung zu den KundInnen in den<br />
Mittelpunkt gestellt und ist somit besonders<br />
attraktiv für Unternehmen. Die<br />
steigenden Userzahlen sprechen ebenfalls<br />
für eine Steigerung des Interesses<br />
als Werbekanal und somit für die Veränderung<br />
von „Vlogging“ zu einer noch<br />
stärker durch Werbeinhalte getriebenen<br />
Art der Videoproduktion. Und der<br />
Kreis schließt sich, wenn heutige Kinder<br />
anhand von Marken Buchstaben lernen.<br />
von Johanna Schrey<br />
24<br />
„Vlogging“ und wer zu seinem Erfolg beiträgt
Wie „Bibis Beauty Palace“<br />
die heimischen Kinderzimmer<br />
erobert<br />
Ist „YouTube“ das neue Pokemon, Nintendogs oder Sims? Ist man heute<br />
out, wenn man „YouTube“ nicht nutzt? Zu diesen und anderen Fragen<br />
interviewte <strong>SUMO</strong> Kinder, Eltern und LehrerInnen.<br />
Kinder – was läuft?<br />
Laut der aktuellen Studie 2016 zu Kindheit,<br />
Internet, und Medien (KIM) handelt<br />
es sich bei „YouTube“ um das dritt-beliebteste<br />
Internetangebot unter Kindern<br />
zwischen sechs und 13 Jahren.<br />
Fernsehinhalte und anderes Bewegtbild<br />
stehen unbegrenzt und rund um die<br />
Uhr zur Verfügung, weswegen die Videoplattform<br />
seit vielen Jahren als eine<br />
der stärksten Konkurrenten des linearen<br />
Fernsehens angesehen wird. Noch<br />
können klassische TV-ProduzentInnen<br />
aber aufatmen. Aus der KIM geht hervor,<br />
dass nach wie vor der gute alte<br />
Flimmerkasten das beliebteste Medium<br />
in dieser Altersklasse ist. Dennoch,<br />
der Triumphzug von „YouTube” scheint<br />
nicht mehr aufhaltbar. 17 Prozent der<br />
Befragten gaben an, jeden Tag ein „You-<br />
Tube”-Video anzusehen 33 Prozent tun<br />
dies mehrmals die Woche und knapp<br />
20 Prozent nutzen die Videoplattform<br />
zumindest selten. Je höher das Alter,<br />
desto schneller wächst die prozentuale<br />
Nutzung. So liegt der Wert für eine<br />
Nutzung mindestens einmal wöchentlich<br />
bei den 12- bis 13-Jährigen schon<br />
bei zwei Drittel der Befragten. Von allseits<br />
beliebten Katzenvideos, vertonten<br />
Standbildern, wackeligen Handyfilmen<br />
über hochprofessionelle Videoclips bis<br />
hin zu klassischen Serien und Filmen<br />
– die Plattform bietet etwas für jeden<br />
Geschmack. Unter den beliebtesten<br />
Genres bei Kindern befinden sich laut<br />
der KIM Musikvideos, Comedy oder<br />
lustige Clips. Eine der vordersten Rollen<br />
im Ranking der Top-Genres nehmen<br />
außerdem Tier-Videos ein, gefolgt von<br />
Sport- oder Beauty-Videos und nicht zu<br />
vergessen, Tutorials.<br />
Faktencheck auf steirisch<br />
Ein kleines beschauliches Dorf in der<br />
Südsteiermark, es ist Sonntag. Zwei Familien<br />
haben sich bereiterklärt, die Fragen<br />
zweier <strong>SUMO</strong>-Redakteurinnen zum<br />
Thema „YouTube‘ und Kinder“ zu beantworten.<br />
„‚YouTube‘, da sind Leute, die<br />
drehen gerne Videos und die nennt man<br />
dann ‚YouTuber‘“, erklärt die 12-jährige<br />
Lisa* auf die Frage, was sie unter dem<br />
Beruf versteht. Eine viertel- bis halbe<br />
Stunde täglich nutze sie die Videoplattform<br />
– mehr aber nicht, danach gehe<br />
sie lieber im Freien spielen. Wir haben<br />
es gewusst, am Land ist die Welt eben<br />
doch noch in Ordnung. Auf die Frage, ob<br />
die „YouTube“-Nutzung in ihrem Freundeskreis<br />
oder auch in der Schule normal<br />
ist, oder sogar eine Notwendigkeit<br />
um „cool“ zu sein, stimmt Lisa jedoch<br />
zu. Viele Kinder, die sie kenne hätten<br />
schon mit sieben Jahren ein eigenes<br />
Handy gehabt und würden damit nun<br />
© Copyright: adobe stock/Tanja<br />
Wie „Bibis Beauty Palace“ die heimischen Kinderzimmer erobert<br />
25
auch regelmäßig „YouTube“ nutzen. Ob<br />
„YouTube“ ein relevantes Thema in der<br />
Schule ist, kann uns Lisas Mutter nicht<br />
beantworten. Sie bestätigt jedoch, dass<br />
Handys inzwischen auch in der Volksschule<br />
kaum mehr wegzudenken sind:<br />
„Hast du ein Handy oder hast du keines?<br />
Wir waren mehr oder weniger gezwungen.<br />
Lisa war mit zehn Jahren die<br />
letzte in ihrer Klasse, die ein Handy bekommen<br />
hat.“ Ihre beiden Töchter dürfen<br />
„YouTube“ grundsätzlich nutzen. Für<br />
ihre jüngere Tochter hat sie allerdings<br />
„YouTube Kids“, die kindergerechte App,<br />
auf dem iPad installiert. Lisas Mutter ist<br />
dabei durchaus bewusst, dass die „You-<br />
Tube“-Nutzung ihrer Töchter primär<br />
zur Unterhaltung erfolgt. Videos für die<br />
Schule würde sich Lisa nicht ansehen,<br />
sagt sie. Als wir Lisa selbst danach fragen,<br />
erhalten wir ein trockenes Lachen<br />
als Bestätigung: Denn die Neue-Mittelschülerin<br />
bevorzugt lustige Videos und<br />
Schmink-Tutorials.<br />
Auch Thomas*, 8 Jahre, nutzt „YouTube“<br />
rein aus Unterhaltungszwecken und<br />
schaut gerne „Ninjago“-Videos. In seiner<br />
Klasse ist „YouTube“ mittlerweile ein<br />
beliebtes Pausengespräch. Eine halbe<br />
Stunde in der Woche darf der Volksschüler<br />
„YouTube“-Videos ansehen, behauptet<br />
er. In der Schule gebe es prinzipiell<br />
ein Handy-Verbot, am Nachmitttag<br />
würde aber jede/r die Plattform nutzen.<br />
Paul*, der jüngere Bruder von Thomas,<br />
geht in den Kindergarten. Auch er dürfe<br />
hin und wieder auf „YouTube“ mitschauen,<br />
die Inhalte werden, meint er,<br />
jedoch von den Eltern oder vom großen<br />
Bruder für ihn ausgewählt. „Selbst nutzen<br />
dürfen die beiden ,YouTube‘ nicht.<br />
Wenn, dann dürfen sie Musikvideos bei<br />
mir mitschauen“, erklärt der Vater der<br />
Burschen. Tja, lieber Thomas und Paul:<br />
Beschwerden im Falle einer nachträglichen<br />
Strafe zur eigentlich verbotenen<br />
„YouTube“-Nutzung bitte an die SU-<br />
MO-Redaktion.<br />
Und was sagen die LehrerInnen?<br />
Schauplatzwechsel, hin zu den PädagogInnen,<br />
mit denen Kinder neben Eltern,<br />
Geschwistern und MitschülerInnen einen<br />
Großteil ihrer Zeit verbringen.<br />
<strong>SUMO</strong> sprach mit Yasmin Winter,<br />
Volksschullehrerin in Wien, Iris Berger,<br />
Professorin für Mathematik und Physik<br />
an einem Gymnasium in Linz und Matthias<br />
Prumofsky, Volksschullehrer in<br />
der Nähe von Graz. Alle drei verwenden<br />
„YouTube“ zu Unterrichtszwecken. Prumofsky<br />
und Winter eher zur visuellen<br />
Unterstützung bei Bastelarbeiten oder<br />
* Namen redaktionell geändert<br />
26<br />
Wie „Bibis Beauty Palace“ die heimischen Kinderzimmer erobert
um Lieder vorzuspielen, Berger veranschaulicht<br />
ihren SchülerInnen mit Hilfe<br />
von „YouTube“ aufwendige Experimente,<br />
für die im regulären Lehrplan zu wenig<br />
Zeit zur Verfügung steht.<br />
Probleme bezüglich der „YouTube“-Nutzung<br />
durch SchülerInnen ergeben sich<br />
laut den drei PädagogInnen nicht. An<br />
allen drei Schulen gilt ein Handy- und<br />
Tablet-Verbot im Unterricht und in den<br />
Pausenzeiten. „Meiner Meinung nach<br />
ist das Verbot sehr gut, weil die Kinder<br />
in der Freizeit ohnehin sehr viel Zeit mit<br />
dem Handy verbringen und das dann<br />
nicht auch noch in die Schule getragen<br />
werden sollte“, argumentiert Berger.<br />
Wie das Handyverbot bei den Kindern<br />
ankommt? „Es gab noch keine Anfrage,<br />
dass die Kinder es anders wollten.<br />
Für sie ist es normal, kein Handy in der<br />
Schule zu haben. In der 4. Klasse geben<br />
die Eltern zwar schon teilweise Handys<br />
mit, wenn zum Beispiel der Schulweg<br />
sehr lange ist. Im letzten Jahr war dann<br />
einmal ein Handy nicht auf lautlos geschaltet<br />
und so habe ich das mitbekommen,<br />
dann aber gleich abdrehen lassen“,<br />
so Yasmin Winter, Lehrerin einer 1.<br />
Volksschulklasse.<br />
Im kommenden Jahr muss digitale<br />
Grundbildung in den Lehrplan an Schulen<br />
integriert werden. In der Volksschule<br />
von Prumofsky wird schon heute investiert,<br />
so macht beispielsweise eine<br />
seiner Kolleginnen eine Ausbildung für<br />
eEducation. Manche Kinder seien den<br />
Umgang mit dem PC betreffend schon<br />
geübter als andere, für andere wiederum<br />
sei der PC ein rotes Tuch. Dass<br />
diese „YouTube“ rezipierende und Social<br />
Media nutzende Generation der Digital<br />
Natives teilweise Schwierigkeiten habe,<br />
das Word-Programm zu öffnen ist<br />
für uns <strong>SUMO</strong>-Redakteurinnen überraschend.<br />
Gerade aus diesem Grund<br />
findet auch Berger die Einführung der<br />
digitalen Grundbildung notwendig. Oftmals<br />
überschätze sie die digitalen Fähigkeiten<br />
ihrer SchülerInnen, da diese<br />
zwar „Whats-App“ und „Facebook“ verwenden,<br />
bei der Erstellung von Power-<br />
Points jedoch an ihre Grenzen stoßen.<br />
Yasmin Winter steht der Einführung des<br />
neuen Schulfaches kritisch gegenüber.<br />
Zwar hält sie ein Basiswissen für sinnvoll,<br />
einen übermäßigen Einsatz von<br />
Medien jedoch für nicht erstrebenswert:<br />
„Um das Wachstum einer Pflanze<br />
näherzubringen, muss ich mir kein ,You-<br />
Tube‘-Video anschauen. Gerade in unserem<br />
Bezirk, wo es in der Schule einen<br />
sehr hohen Migrationsanteil gibt, ist es<br />
wichtig, dass die Kinder spüren, greifen<br />
und begreifen.“<br />
What about safety?<br />
Eine wichtige Frage, mit der Eltern<br />
wie auch PädagogInnen regelmäßig<br />
konfrontiert sind ist jene nach der Sicherheit<br />
der Kinder auf „YouTube“. Um<br />
Ängsten von Eltern und LehrerInnen<br />
zu begegnen, hat „Google“ vor wenigen<br />
Jahren die Plattform „YouTube Kids“<br />
ins Leben gerufen. Die Idee hinter dem<br />
Angebot: Eine App, die ausschließlich<br />
altersgerechte Videos zur Verfügung<br />
stellt, über die Erwachsene die volle<br />
Kontrolle haben und die junge Zielgruppe<br />
bereits im Kindergartenalter mit<br />
putzigen Charakteren und niedlichen<br />
Kinderreimen abholt. In Österreich ist<br />
das Angebot nach wie vor relativ unbekannt,<br />
in Deutschland wurde die<br />
App bereits über 45 Millionen Mal heruntergeladen.<br />
„Google“ hat also einen<br />
Bedarf erkannt und danach gehandelt:<br />
alles gut und schön und Friede, Freude,<br />
Eierkuchen. Nun ja, nicht ganz. Die bunte,<br />
harmlose und zuckersüße Welt auf<br />
„YouTube Kids“ entpuppt sich auf den<br />
zweiten Blick teilweise als nicht ganz so<br />
kindgerecht wie zu Beginn proklamiert.<br />
Die britische Comic Figur „Peppa Pig“,<br />
ein nettes Schweinchen im roten Kleid,<br />
spielt in einigen Videos auf einmal nicht<br />
mehr mit George dem Dinosaurier, sondern<br />
trinkt in einem Clip Bleichmittel.<br />
Unter das Angebot der App mischen<br />
sich plötzlich Videos, in denen Kinderbuchfiguren<br />
überfahren, mitunter sexuell<br />
belästigt werden oder grausam<br />
sterben. Quelle dieser eindeutig nicht<br />
kindgerechten Beiträge auf der Videoplattform<br />
ist in vielen Fällen eine<br />
Trollkultur. Der Autor und Schriftsteller<br />
James Bridle (u.a. tätig für „The Guardian“)<br />
beschreibt die Videos einiger Kanäle<br />
in einem seiner Beiträge wie folgt:<br />
als kindgerecht getarnte Videos, zusammengeschnitten<br />
aus animierten Figuren,<br />
Reimen und Erklärungen und mit<br />
Schlagwörtern getaggt, die auf „You-<br />
Tube Kids“ beliebt sind. Teilweise haben<br />
eben jene Kanäle Millionen AbonnentInnen<br />
– das Impressum jedoch fehlt in<br />
vielen Fällen.<br />
Trotz dieses Problems bietet „YouTube<br />
Kids“ den Eltern einen entscheidenden<br />
Vorteil gegenüber dem klassischen<br />
„YouTube“: ein wenig mehr Kontrolle.<br />
Nutzungsdauer und Lautstärke können<br />
von den Eltern vorab bestimmt werden.<br />
Ebenso beeinflusst werden kann<br />
die Auswahl der zur Verfügung stehenden<br />
Videos, die Suchfunktion lässt<br />
sich deaktivieren. Abgesichert werden<br />
diese Einstellungen über ein Passwort<br />
für den elterlichen Account. Zensur im<br />
Kinderzimmer gewissermaßen. Inwiefern<br />
diese Sicherheitsmaßnahmen<br />
nicht umgangen werden können, bzw.<br />
wie sinnvoll „YouTube Kids“ generell ist,<br />
wenn ein Kind über das eigene Smartphone<br />
auch Zugang zum vollen „You-<br />
Tube“ hat, sei dahingestellt.<br />
Ein Resümee<br />
Nach Gesprächen mit Eltern, Kindern und<br />
LehrerInnen steht eines fest: „YouTube“<br />
steht lange nicht so im Zentrum der Aufmerksamkeit<br />
wie andere Medien, mit<br />
denen Kinder sich befassen. Ein Großteil<br />
der Personen mit denen <strong>SUMO</strong> sprach,<br />
hatte zuvor noch nicht über die Thematik<br />
nachgedacht. Und das, obwohl laut<br />
„Google“ Kinder die vielversprechendste<br />
Zielgruppe der Plattform darstellt. Die<br />
Probleme und Gefahren, die von „You-<br />
Tube“ ausgehen, sind in der öffentlichen<br />
Diskussion kaum präsent, neue Chancen<br />
und Möglichkeiten wie zum Beispiel<br />
Videos mit Lerneffekt ebenso wenig.<br />
Irgendwie beruhigend war jedoch die<br />
Grundaussage, dass die meisten Kinder<br />
noch immer SuperheldIn, ÄrztIn oder<br />
LehrerIn werden möchten. Und ehrlich,<br />
klingt doch auch wirklich vielversprechender<br />
als „YoutuberIn“, oder?<br />
von Katharina Arbeithuber, Katharina Glück<br />
© Copyright: adobe stock/Anatoly Tiplyashin<br />
Wie „Bibis Beauty Palace“ die heimischen Kinderzimmer erobert<br />
27
Videokanäle<br />
für Silver Surfer<br />
Videokanäle und Streamingdienste speziell für die Alterskohorte 60+? Inwiefern<br />
diese zum Einsatz kommen und auf welche speziellen Bedürfnisse<br />
dabei geachtet werden muss, erklären Matthias Lorenz und Ingrid Korosec<br />
im <strong>SUMO</strong>-Experteninterview.<br />
Abgeleitet von dem silbergrauen Haar<br />
werden Menschen, die über 59 Jahre<br />
alt sind und das Internet nutzen – vom<br />
Marketing – als Silver Surfer bezeichnet.<br />
Das Interesse dieser Alterskohorte<br />
an Computern, dem Internet und<br />
dessen Inhalt steigt rapide an und die<br />
Wirtschaft zeigt sich interessiert. Die<br />
im deutschsprachigen Raum auch als<br />
„Best Agers“ bezeichnete Zielgruppe<br />
ist für den Markt besonders interessant<br />
– sofern sie genug verdient. Laut<br />
– pauschalierender – Verbraucheranalyse<br />
konsumiert sie gerne, ist aktiv, hat<br />
Geld und ist vor allem bereit dieses auszugeben.<br />
Ein Wissen, das nicht nur von<br />
sozialen Netzwerken, sondern auch von<br />
Videodiensten genutzt werden kann.<br />
Total vernetzt – Silver Surfer holen auf<br />
Wie Matthias Lorenz – verantwortlicher<br />
Director für Transformation,<br />
Market und Corporate Functions bei<br />
A1– erklärt, herrscht bei den SeniorInnen<br />
durchaus eine große Bereitschaft,<br />
sich mit dem Internet und Social Media<br />
auseinanderzusetzen. Die von A1 angebotenen<br />
Internetkurse werden gut<br />
besucht, was eine große Nachfrage<br />
sowie eine wirtschaftliche Relevanz<br />
bestätigt. Dennoch hat Österreich im<br />
Vergleich zu anderen europäischen<br />
Staaten noch großes Nachholpotential.<br />
Im Vergleich zu Dänemark, Belgien,<br />
Niederlande, Deutschland und der<br />
Schweiz nutzen hier zu Lande nur sehr<br />
wenige Menschen ab dem 60. Lebensjahr<br />
das Internet regelmäßig, so Lorenz.<br />
Das Potential diesen Rückstand aufzuholen<br />
sieht Lorenz durchaus, allerdings<br />
sei es bis dorthin noch ein langer Weg.<br />
Die größte Herausforderung bestehe<br />
darin, SeniorInnen die Hemmungen, mit<br />
dem Internet in Kontakt zu kommen zu<br />
nehmen. Ist dieser Schritt getan, sieht<br />
Lorenz keinen Grund, warum nicht auch<br />
Video- und Streamingdienste speziell<br />
für Best Agers Anklang finden sollten.<br />
Ingrid Korosec – Präsidentin des Österreichischen<br />
Seniorenbundes – kann<br />
diesbezüglich bereits eine Besserung<br />
erkennen und glaubt, dass viele SeniorInnen<br />
diese Hemmungen bereits<br />
abbauen und „YouTube“ schon jetzt für<br />
die verschiedensten Alltagssituationen<br />
nutzen. Zudem hänge die Intensität der<br />
Nutzung stark vom Umfeld ab. „Wenn<br />
man nicht anders mit den Enkeln kommunizieren<br />
kann als über Skype zum<br />
Beispiel, dann wird man sich eher damit<br />
© Copyright: adobe stock/Viacheslav Iakobchuk<br />
28<br />
Videokanäle für Silver Surfer
eschäftigen. Ich habe schon oft gehört,<br />
dass durch solche Notwendigkeiten<br />
das Interesse geweckt wurde und<br />
sich wahre ExpertInnen in der digitalen<br />
Welt entwickelt haben“, so Korosec.<br />
Der Austrian Internet Monitor Erhebung<br />
(AIM) zufolge nutzten im Jahr 2017<br />
über zwei Drittel der 70- bis 78-jährigen<br />
ÖsterreicherInnen das Internet –<br />
68% davon nutzen auch „YouTube“. Bei<br />
den 50- bis 59-Jährigen sind es sogar<br />
89%, die im Internet surfen.<br />
SeniorInnen surfen anders<br />
Neben der meist sehr hohen Hemmschwelle,<br />
die SeniorInnen dem Internet<br />
gegenüber haben, scheitert dessen<br />
Nutzung häufig auch an der technischen<br />
Ausstattung, meint Lorenz. Ist<br />
diese allerdings gegeben, beschäftigen<br />
sich Silver Surfer meist mit den klassischen<br />
Funktionen: Es werden E-Mails<br />
verfasst und einfache Recherchen getätigt.<br />
Video- und Streamingdienste<br />
werden verhältnismäßig weniger genutzt.<br />
Bewegtbild wird prinzipiell eher<br />
linear über das Fernsehgerät rezipiert,<br />
wobei in den letzten Jahren ein Anstieg<br />
vor allem in der Nutzung der Mediatheken<br />
lokaler Fernsehsender zu erkennen<br />
ist. Das Interesse an der Informationsgewinnung<br />
mittels des Internet ist bei<br />
Best Agers jedoch sehr groß. Diese<br />
Tatsachen stellt eine gute Grundlage<br />
dafür dar, dass auch Videodienste von<br />
SeniorInnen künftig vermehrt genutzt<br />
werden könnten.<br />
Content is King<br />
Derzeit leben in Österreich rund eine<br />
Millionen Menschen im Alter zwischen<br />
60 und 70 Jahren. Dies ist eine große<br />
Grundmenge, die auch mittels Videos<br />
und Streamingdienste erreicht werden<br />
kann. Die Basis für eine vermehrte Videonutzung<br />
wären natürlich Inhalte,<br />
die an die Bedürfnisse der potentiellen<br />
Zielgruppe – der Silver Surfer – angepasst<br />
seien, so Lorenz. SeniorInnen<br />
hätten großes Interesse an Themen, die<br />
die Freizeitgestaltung betreffen. Videos,<br />
die Tipps zu beliebten Hobbies wie Modelleisenbahnen<br />
oder Gartenarbeiten<br />
liefern seien klar im Vorteil. Aber auch<br />
Gesundheitsratgeber, Koch- und Ernährungsvideos<br />
oder Videos zu beliebten<br />
Reisezielen kommen gut an. Das nächste<br />
große Interesse der österreichischen<br />
SeniorInnen liegt im Bereich der Nachrichten:<br />
Lokal-, Sport- aber auch internationale<br />
Nachrichten finden hohen<br />
#TYPO3 #WEBSITES<br />
#LANDINGPAGES #SEM<br />
#UXDESIGN #OKCOOL<br />
#ADVERTISING #SEO<br />
koenig.digital St. Pölten | /koenigdigital | /koenig.digital
© Copyright: adobe stock/deagreez<br />
Es geht auch anders herum<br />
Prinzipiell haben SeniorInnen eine wesentlich<br />
geringere Bereitschaft, Inhalte<br />
und vor allem private Bilder oder Aufnahmen<br />
zu teilen. Aus diesem Grund<br />
sind die österreichischen Best Agers<br />
auch nur gering auf sozialen Netzwerken<br />
vertreten, erklärt Lorenz. Doch<br />
dass SeniorInnen Videos und Kanäle<br />
auf „YouTube“ nicht nur rezipieren,<br />
sondern auch erfolgreich selbst produzieren<br />
können, beweist Greta Silver.<br />
Mit 66 Jahren startet die deutsche Seniorin<br />
ihren „YouTube“-Kanal „Zu jung<br />
fürs Alter“ und verfolgt seitdem das<br />
Ziel, Lebensfreude und Leichtigkeit im<br />
Leben zu verbreiten. In ihren drei Minuten<br />
langen Videos beschäftigt sie<br />
sich mit „Allerweltthemen“ wie „Abnehmen<br />
in kurzer Zeit“, „Wohnung entrümpeln<br />
befreit“ oder Tipps für einen<br />
entspannten und befreiten Lebensalltag.<br />
Die Grundidee, Lebensfreude zu<br />
verteilen und Menschen an ihrer positiven<br />
Energie teilhaben zu lassen ist<br />
von Erfolg gekrönt: In den letzten drei<br />
Jahren hat Greta Silver mit über 300<br />
Videos 11.136 AbonnentInnen gewinnen<br />
können und zählt bis zu 200.000<br />
Aufrufe pro Video. Auch Korosec kennt<br />
zahlreiche „YouTube“-Kanäle oder<br />
Blogs von und für die älteren Zielgruppen.<br />
Das wundert sie nicht: Die eigene<br />
Altersgruppe sei am einfachsten zu<br />
unterhalten, da die Lebensrealität keine<br />
unbekannte sein. Diese Alterskohorte<br />
hat außerdem zumeist die Zeit,<br />
sich derartigen Projekten zu widmen –<br />
und sobald das notwendige Know How<br />
bei den Best Agers weit verbreitet ist,<br />
steht dem nichts mehr im Wege.<br />
Anklang. Korosec warnt jedoch vor einer<br />
Schubladisierung der gesamten Generation.<br />
Wichtig sei, dass auch ältere<br />
Menschen einen unkomplizierten und<br />
kostengünstigen Zugang zum Internet<br />
und somit auch zu „YouTube“ mit zahlreichen<br />
interessanten Videos haben.<br />
Macht man sich auf „YouTube“ aktuell<br />
jedoch selbst auf die Suche nach Kanälen<br />
für die Alterskohorte 60+, findet<br />
man hauptsächlich Videos für Gymnastik<br />
oder einen gesunden Lebensstil.<br />
Was die Zukunft bringt<br />
Lorenz und Korosec sind sich einig, dass<br />
sich im Bereich der Video- und Streamingdienste<br />
für Silver Surfer kontinuierlich<br />
Veränderungen ergeben werden.<br />
SeniorInnen sind keine konstante Einheit<br />
– schon jetzt ist zu sehen, dass 50-<br />
bis 60-jährige ÖsterreicherInnen diese<br />
Dienste ganz anders nutzen als die 60-<br />
bis 70-jährige.<br />
von Hannah-Laura Schreier<br />
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Eine institutionelle<br />
Herausforderung<br />
Welches Potential stellen Videoportale für Institutionen dar? Warum<br />
besitzen die Europäische Kommission oder die österreichische Regierung<br />
keine eigenen Videoportale? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte<br />
sich <strong>SUMO</strong> im Gespräch mit Peter Plaikner (Medienberater), Dominik<br />
Sinnreich (Experte für Redaktionsmanagement, Newsroom GmbH) und<br />
Jürgen Hofer (stellvertretender Chefredakteur von „Horizont“).<br />
Videoportale bieten für Institutionen<br />
wie das Bundesheer, Ministerien oder<br />
die Europäische Kommission Möglichkeiten<br />
der schnellen Verbreitung von<br />
Information der Präsenz und der Transparenz.<br />
Virtuelle Kommunikation trägt<br />
einen wichtigen Teil zur Wahrnehmung<br />
bei, da Erfolge einer Institution nicht nur<br />
an deren Tätigkeiten gemessen werden,<br />
sondern bereits an der Rezeption.<br />
Aktuell bewegen sich Institutionen auf<br />
„YouTube“ und ähnlichen Plattformen,<br />
was laut Hofer daran liegt, dass UserInnen<br />
in ihrem Mediennutzungsverhalten<br />
wenig sprunghaft sind und sich bevorzugt<br />
auf größeren und bereits etablierten<br />
Plattformen aufhalten. Obwohl es<br />
sich bei „YouTube“ um ein verhältnismäßig<br />
altes Netzwerk handelt, steigen<br />
die Nutzerzahlen in den letzten Jahren<br />
derart stark an, dass für viele Institutionen<br />
eine Präsenz dort unabdingbar<br />
wirkt, so Plaikner.<br />
Ein Mittel für mehr Transparenz<br />
Besonders für öffentliche Institutionen<br />
stellt die Verbreitung von Informationen<br />
in Form von Videomaterial eine<br />
Möglichkeit dar, mehr Transparenz in<br />
der Bevölkerung zu schaffen. „Dieses<br />
Potential wird nach wie vor nur gering<br />
genutzt, das gilt aber genauso für die linearen<br />
Fernsehsender. Wenn zum Beispiel<br />
ORF III eine ganze Nationalratssitzung<br />
überträgt, ist das alles andere als<br />
ein Quotenrenner. Letztlich erhöht es<br />
auch die Qualität der parlamentarischen<br />
Auseinandersetzung, da die Abgeordneten<br />
schon wissen, dass sie gefilmt<br />
werden und deshalb an ihrer Rhetorik<br />
arbeiten müssen und nicht alle abwesend<br />
sein sollten“, meint Plaikner. Als<br />
beispielhaft sieht er den Online-Auftritt<br />
der deutschen Bundesregierung, die<br />
Zahl der AbonnentInnen liegt bei rund<br />
23.000 (Stand September 2018) und<br />
die wöchentlich hochgeladenen Videos<br />
mit Bundeskanzlerin Merkel können<br />
zwischen 1.000 und 4.000 Klicks verzeichnen.<br />
Zum Vergleich: Der Kanal des<br />
österreichischen Bundeskanzleramts<br />
wurde von rund 1.100 Personen (Stand<br />
September 2018) abonniert.<br />
© Copyright: adobe stock/peshkova<br />
Eine institutionelle Herausforderung<br />
31
Jürgen Hofer<br />
Copyright: Sabine Klimt<br />
Peter Plaikner<br />
Copyright: Privat<br />
Dominik Sinnreich<br />
Copyright: Christian Müller<br />
Für eine funktionierende Demokratie<br />
sind Transparenz und die laufende<br />
Versorgung mit Information, um einen<br />
hohen Grad an Wissen und Verständnis<br />
in der Bevölkerung zu erzeugen, von<br />
großer Bedeutung. Auch in Österreich<br />
wird das Potential, sich als Partei oder<br />
Organisation auf Social Media-Plattformen<br />
zu bewegen immer mehr erkannt.<br />
„Durch die letzte Wahl sind Parteien<br />
in die Regierung gekommen, die sich<br />
schon aktiv im Social Media-Bereich bewegt<br />
haben. In den letzten Wochen des<br />
Wahlkampfs konnte man auf ,YouTube‘<br />
kaum ein Video mehr aufrufen, ohne<br />
davor mit einem Wahlkampfvideo konfrontiert<br />
zu werden“, stellt Plaikner fest.<br />
Geringe Aufrufzahlen<br />
Der Kanal der Europäischen Kommission<br />
hat rund 48.000 AbonnentInnen,<br />
die Zahl der Videoaufrufe bewegt sich<br />
unter der Tausendergrenze (Stand September<br />
2018). Insgesamt hat die EU<br />
knapp 510 Millionen EinwohnerInnen,<br />
das heißt nur 0,009% nutzen auch den<br />
„YouTube“-Kanal. Das ist vor allem der<br />
Tatsache zuzuschreiben, dass Inhalte<br />
hierin aktiv gesucht werden müssen.<br />
„,YouTube‘ ist nicht wie ein Fernseher,<br />
der einfach nur eingeschaltet werden<br />
muss“, beschreibt Sinnreich die Problematik.<br />
„Man muss genau darauf<br />
achten, was kann ein Medium?“ Hier<br />
ist die Unterscheidung von Push- und<br />
Pull-Medien wichtig, Plattformen wie<br />
„YouTube“ zählen klar zu letzteren, hier<br />
kann der/die RezipientIn selbst steuern,<br />
welche Informationen abgerufen werden.<br />
Diese Grenzen können auch durchbrochen<br />
werden, beispielsweise durch<br />
die Auto-Play-Funktion von „Facebook“.<br />
Die Aufrufe vervielfachen sich dadurch<br />
deutlich. Das Video „100 Tage Bundesregierung“<br />
kann auf „YouTube“ derzeit<br />
rund 1.000 Aufrufe verzeichnen, auf<br />
„Facebook“ hingegen 200.000. Für eine<br />
erfolgreiche Kommunikationsstrategie<br />
über Plattformen dieser Art ist es<br />
wichtig, die besten Bestandteile beider<br />
Formen zu kombinieren. Dennoch bewegen<br />
sich österreichische Auftritte<br />
auf Videoplattformen im internationalen<br />
Rahmen, erklärt Plaikner.<br />
Vernetzung über Kommentarfunktion<br />
Die Funktion für UserInnen Kommentare<br />
zu hinterlassen, gibt den Institutionen<br />
die Möglichkeit, sich mit ihrer Zielgruppe<br />
zu vernetzen und Feedback zu ihrem<br />
Auftritt zu erhalten. Aktuell ist diese<br />
Möglichkeit auf diesen Kanälen deaktiviert<br />
oder wird gar nicht erst genutzt.<br />
Würde durch die Freigabe der Kommentarfunktion<br />
diese Form der Kommunikation<br />
gegeben sein, ist es wichtig, die<br />
NutzerInnen durch Moderation zu betreuen,<br />
um einen konstruktiven Input<br />
zu bekommen. Dies ist nur durch verstärkten<br />
Personaleinsatz möglich. Da<br />
sich zusätzliche Personalkosten auch<br />
erheblich auf das Budget auswirken,<br />
stoßen Institutionen schnell an ihre<br />
Ressourcengrenzen. Durch die ModeratorInnen<br />
muss auch klar aufgezeigt<br />
werden, wofür die Kommentarfunktion<br />
genutzt werden soll, da der Aufwand<br />
sonst schnell aus dem Ruder läuft.<br />
Eigene institutionelle Plattformen<br />
Momentan bewegen sich Institutionen<br />
nur auf bestehenden Plattformen, aber<br />
hätten eigene Videoportale für größere<br />
Institutionen wie die Europäische Kommission<br />
oder die österreichische Bundesregierung<br />
auch eine Chance? Würden<br />
dadurch die Nutzerzahlen steigen?<br />
Hofer ist der Meinung, dass das Interesse<br />
des Users an einer eigenen institutionellen<br />
Plattform gar nicht so groß<br />
ist. Inhalte sollten eher über Accounts<br />
einzelner Personen mit großer digitaler<br />
Strahlkraft ausgespielt werden. „Die<br />
Verbreitung von Inhalten über Video ist<br />
durchaus ein Fixbestandteil, sowohl öffentliche<br />
Stellen, als auch Ministerien<br />
sind sich der Wirkung bewusst. Das Teilen<br />
von Inhalten hat über die Accounts<br />
einzelner Personen einen weitaus personalisierteren<br />
Charakter, als wenn das<br />
eine Institution als Absender macht.“<br />
Plaikner hingegen würde es als eine der<br />
wichtigsten Aufgaben der europäischen<br />
Medienpolitik sehen, Alternativen zu<br />
den großen Plattformen zu schaffen.<br />
„Selbst wenn ich gezielt nach Inhalten<br />
suche, ist es in weit über 90 Prozent<br />
der Fälle eine reine ,Google‘-Suche. Dabei<br />
ist man natürlich letztlich wieder<br />
,Google‘ ausgeliefert.“ Er zweifelt zwar<br />
daran, dass durch eigene Plattformen<br />
die Zugriffszahlen steigen würden, aber<br />
das Bewusstsein sollte gestärkt werden,<br />
dass in diesem Bereich eine Abhängigkeit<br />
von den großen Anbietern<br />
wie „Google“ und „YouTube“ besteht.<br />
„Es wäre wichtig, eigene europäische<br />
Portale zu ermöglichen, da wir sonst<br />
laufend das Geschäftsmodell der Amerikaner<br />
versorgen, wir liefern genau die<br />
Inhalte, die sie sonst nicht haben.“<br />
Ein mögliches Erfolgsrezept<br />
Sinnreich erklärt, dass Institutionen,<br />
die Inhalte erfolgreich über Videoplattformen<br />
transportieren wollen, lernen<br />
müssen, wie Medienhäuser zu denken.<br />
Es ist wichtig, zu erkennen, wie Inhalte<br />
passend für jeden Kanal aufbereitet<br />
werden müssen, nicht jede Form funktioniert<br />
für jeden Kanal. Um präsent zu<br />
bleiben, sollten Themen über eine längere<br />
Zeitspanne unterschiedlich aufbereitet<br />
werden. So lässt sich auch ein<br />
größerer Teil der Bevölkerung erreichen.<br />
„Man muss die Silos der Kommunikation<br />
öffnen.“ Abteilungen müssen lernen,<br />
wie in einer Redaktion zusammenzuarbeiten,<br />
nicht erst die fertigen Ergebnisse<br />
sollten ausgetauscht werden, sondern<br />
der Austausch während des Entstehungsprozesses<br />
ist wichtig. Sonst läuft<br />
eine Institution in Gefahr, dass die Abteilungen<br />
redundant arbeiten – und die<br />
gleichen Inhalte mehrfach aufarbeiten.<br />
von Marlene Havel<br />
32<br />
Eine institutionelle Herausforderung
Die Musikindustrie<br />
und „YouTube“ – eine Hassliebe?<br />
„YouTube“ hat einen umstrittenen Sonderstatus im Streaming-Bereich.<br />
Dazu beziehen im <strong>SUMO</strong>-Gespräch Franz Hergovich, stellvertretender<br />
Geschäftsführer bei mica (music information centre austria), und Harry<br />
Fuchs, Leiter des Österreichischen Musikfonds, Stellung. Zusätzlich<br />
erklärt Christoph Enzinger von Rebeat Digital, wie man auch mit Gratis-Streaming<br />
Erlösströme schafft.<br />
Harry Fuchs ist seit der Gründung des<br />
österreichischen Musikfonds im Jahr<br />
2005 Geschäftsführer. Der Musikfond<br />
wurde damals ins Leben gerufen, da<br />
es massive Markteinbrüche gab, berichtet<br />
er im Interview. In einem so<br />
kleinen Land sei es ohne Förderung<br />
nicht mehr möglich gewesen, qualitativ<br />
hochwertige Musikproduktionen zu finanzieren.<br />
Im vergangenen Jahr gab es<br />
laut dem Verband der österreichischen<br />
Musikwirtschaft (IFPI) erstmals wieder<br />
eine Umsatzsteigerung um 6,1%. Diese<br />
Trendwende ist vor allem getrieben von<br />
den gestiegenen Umsätzen im Streaming-Bereich.<br />
Demnach seien diese<br />
um unglaubliche 86% angestiegen.<br />
„Spotify“, „Apple Music“ oder „Deezer“<br />
sind damit Haupttreiber für die sich<br />
erhöhenden Einnahmen im Digitalbereich.<br />
Der Musikexperte weist aber<br />
auch darauf hin, dass nicht jede Plattform,<br />
auf der On-Demand Musik gehört<br />
wird, so hohe Umsätze liefert. Im Vergleich<br />
zu den 29,2 Millionen Euro aus<br />
Bezahl-Abos steuern werbefinanzierte<br />
Videoplattformen, allen voran „You-<br />
Tube“, nur 2,3 Millionen zum digitalen<br />
Gesamtumsatz in der österreichischen<br />
Musikindustrie bei, was auch aus der<br />
Datenlage des IFPI (Stand 2017) hervorgeht.<br />
„YouTube“ ist vielen ein Dorn im Auge<br />
Diese Differenz wird in der Branche<br />
als „Value Gap“ bezeichnet und stellt<br />
ein großes Problem dar, unterstreicht<br />
Fuchs. Der Musikfond wird u.a. auch<br />
von den Musik-Verwertungsgesellschaften<br />
mitfinanziert. Gerade diesen<br />
ist „YouTube“ ein Dorn im Auge. Wenngleich<br />
die Plattform an UserInnen pro<br />
Monat sieben Mal größer als „Spotify“<br />
und „Apple Music“ zusammen ist, genießt<br />
der Marktführer einen umstrittenen<br />
Sonderstatus. Denn während<br />
Streaming-Dienste wie „Spotify“ Lizenzverträge<br />
ausverhandeln müssen,<br />
beruft sich „YouTube“ auf eine<br />
nicht mehr zeitgemäße Richtlinie im<br />
E-Commerce-Gesetz 2000. Das sogenannte<br />
Haftungsprivileg ermöglicht<br />
es „YouTube“, unter dem Status Plattformbetreiber<br />
zu agieren. Das schließt<br />
mit ein, nicht verantwortlich für darauf<br />
hochgeladenen Content zu sein. Resultat<br />
daraus: Musikschaffende erhalten<br />
nur rund ein Dollar pro 1.000 Aufrufen,<br />
während „Spotify“ und Co. für Musikrechte<br />
20 Dollar pro UserIn und Jahr bezahlt.<br />
Seit Jahren steht „YouTube“ daher<br />
unter Kritik, seine Content-Lieferanten<br />
nicht verhältnismäßig zu bezahlen.<br />
Ein weitverbreiteter Irrglaube ist, dass<br />
„YouTube“ keine Streaming-Plattform<br />
© Copyright: adobe stock/ss_comm<br />
Die Musikindustrie und „YouTube“ – eine Hassliebe?<br />
33
Harry Fuchs<br />
Copyright: Kathrin Müller<br />
im eigentlichen Sinne sei: 82% aller<br />
NutzerInnen streamen Musik auf der<br />
Plattform, erhob IFPI.<br />
Wo ein Wille, da ein Weg<br />
Das kontroverse Thema des kostenlosen<br />
Musik-Streamens sieht der frühere<br />
DJ und Promoter Franz Hergovich nicht<br />
ganz so eng: „Prinzipiell bin ich nicht<br />
dagegen. Die wichtigere Frage hier ist,<br />
wie kann man diese Plattformen für<br />
sich nutzen, um ein Publikum aufzubauen.<br />
Hat man viele Fans, ist die Monetarisierung<br />
parallel zu den Gratis-Angeboten<br />
möglich. Viel mehr Menschen<br />
sind bereit für Musik Geld auszugeben,<br />
als man annimmt. Wenn man ihnen<br />
nur Gratis-Content anbietet, ist das<br />
natürlich schwierig.“ „YouTube“ könne<br />
daher durchaus als ein positiver Verbreitungskanal<br />
gesehen werden kann.<br />
Früher hätte man diese Bekanntheit<br />
anderweitig erreichen müssen, beispielsweise<br />
durch kostspielige Anzeigen-Schaltungen.<br />
Hier kann „YouTube“<br />
also Kosten einsparen. Hergovich führt<br />
noch weitere Stärken der Videoplattform<br />
an: „,YouTube‘ ermöglicht durch<br />
seine audiovisuellen Inhalte eine virale<br />
Verbreitung. Natürlich muss das Video<br />
originell sein und den Zeitgeist treffen.“<br />
Ein Paradebeispiel sei laut Hergovich<br />
die Band „Klangkarussell“, die mit<br />
ihrem Clip „Sonnentanz“ einige Karriere-Schritte<br />
überspringen konnte.<br />
Franz Hergovich<br />
Copyright: Kathrin Weinkogl<br />
Christoph Enzinger<br />
Copyright: Kathrin Weinkogl<br />
Auch Christoph Enzinger sieht die Möglichkeit<br />
des Gratis-Streamens über „You-<br />
Tube“ positiv. Es biete sich durch seine<br />
immens hohe Reichweite als ein sehr gutes<br />
Promotion-Tool an und sei, wie von<br />
Hergovich bereits erläutert, ein optimales<br />
Instrument, um seine eigene Marke<br />
aufzubauen. Zusätzlich kann man auch<br />
noch Umsätze beziehen, diese sind jedoch<br />
für viele ProduzentInnen zu niedrig.<br />
Internationalisierung: Chance oder<br />
Bedrohung?<br />
Franz Hergovich bezieht klar Stellung:<br />
,,Sie ist nicht nur keine Bedrohung oder<br />
Chance, sondern eine Notwendigkeit.<br />
Wirtschaftlich ist der österreichische<br />
Markt so klein, dass man alleine von<br />
diesem überleben kann. Um Erfolg zu<br />
haben, muss man zwangsläufig nach<br />
außen schauen.“ Österreich hat hier den<br />
Vorteil, dass der deutschsprachige Musikmarkt<br />
einer der größten weltweit ist.<br />
Durch die vielen Verbreitungsmöglichkeiten<br />
benötige es heutzutage weniger<br />
Aufwand, um sich im Ausland einen Namen<br />
zu machen.<br />
Ganz anders sieht das der Musikfond-Leiter:<br />
„Bei einer Zeitung gibt es<br />
30 andere Werbeanzeigen. Auf ,YouTube‘<br />
hat man es heute mit ein paar Millionen<br />
MitbewerberInnen zu tun.“ Trotzdem<br />
sieht auch er eine Notwenigkeit aufstrebender<br />
KünstlerInnen, solche Kanäle<br />
zu bedienen. Digitale Vermarktung wird<br />
zunehmend wichtiger. Die Abwicklung<br />
über „YouTube“ oder „Spotify“ ist zwar<br />
simpel, jedoch liegt die Schwierigkeit darin<br />
begründet, seinen eigenen neben 35<br />
Millionen (Stand 2018) anderen Tracks<br />
sichtbar zu machen. ,,Es gibt österreichische<br />
KünstlerInnen wie ,Parov Stelar`,<br />
die haben zwanzig Millionen Views, aber<br />
dieses Glück haben die wenigsten. Werbung<br />
kostet meist mehr, als sie als Einnahmen<br />
einbringt.“<br />
Spezielle Software für Monetarisierung<br />
auf „YouTube“<br />
Die Rebeat Digital GmbH wurde 2006<br />
gegründet. Das Start-up machte sich<br />
34<br />
Die Musikindustrie und „YouTube“ – eine Hassliebe?
die Umwälzungen in der Musikindustrie<br />
zu Nutze und entwickelte eine einzigartige<br />
Vertriebs-Software für digitale<br />
Musik. Damit erreicht das kleine<br />
Unternehmen mittlerweile über 5.000<br />
MusikerInnen und Labels aus 110 Ländern.<br />
Die Software hilft KünstlerInnen<br />
über digitale Distributionskanäle wie<br />
Streaming-Plattformen oder Download-<br />
Services wie „ITunes“ eine vereinfachte<br />
Abwicklung ihrer Werke.<br />
Seit 2011 nutzt Rebeat zusätzlich ein<br />
,,Content ID System“ vom Großkonzern<br />
,,Google“. Das aufstrebende Unternehmen<br />
integriert alle Daten und Werbeeinnahmen<br />
des Content ID Systems<br />
von „YouTube“ in die Rebeat-Software<br />
und erweitert damit seine Serviceleistung<br />
an KundInnen. Das „Content-ID<br />
System“ dieser Software verschickt<br />
Audioreferenzen von Sound-Tracks in<br />
„YouTubes“ Back-End. Der automatisierte<br />
Scanner überprüft dort jedes einzelne<br />
Video, ob es Übereinstimmungen<br />
mit der Sound-Datei gibt. Ist das der<br />
Fall, wird auf das Video Werbung beansprucht<br />
und so werden Werbeumsätze<br />
für die KünstlerInnen generiert. Einen<br />
weiteren Vorteil bietet diese Software,<br />
indem es das gezielte Aufspüren und<br />
Blockieren unerwünschter Raubkopien<br />
ermöglicht. MusikerInnen auf „YouTube“<br />
wollen den gesamten Traffic auf ihrem<br />
eigenen Kanal haben, erklärt Enzinger.<br />
Das Service von „Rebeat“ stellt damit<br />
einen optimierten „YouTube“-Channel<br />
mit mehr Kontrollmöglichkeiten und<br />
Einnahmequellen dar. Mit dieser Methode<br />
kann der illegalen Nutzung von<br />
Musikinhalten und der geringen Zahlung<br />
durch das „Google“-Unternehmen<br />
selbst erfolgreich entgegengewirkt<br />
werden. Es ist daher nicht verwunderlich,<br />
dass die Nachfrage nach „Content-ID“<br />
kontinuierlich ansteigt.<br />
,,Spotify“ versus ,,YouTube“ – Wer hat<br />
die Nase vorne?<br />
Auf die Frage, wie stark die Gratis-Streaming<br />
Plattform mit Bezahlservices<br />
konkurriert, antwortet Hergovich:<br />
„Ich glaube, dass sich beides ausgeht.<br />
Es sind unterschiedliche Nutzergruppen.<br />
Der/die eine möchte eine Playlist<br />
in Ruhe durchhören, der/die andere<br />
surft lieber, lässt sich neue Hits empfehlen<br />
und schaut dazu noch das Musikvideo.<br />
Zwei unterschiedliche Modelle,<br />
die sich parallel gut ausgehen.“ Auch<br />
auf die Frage, ob „YouTube“ künftig Geld<br />
für die Rezeption von Musikvideos verlangen<br />
sollte, reagiert der Fachreferent<br />
für Pop, Rock und Elektronik eher mit<br />
Zurückhaltung: „Ich glaube, dass es sich<br />
ausgeht, dass der Content weiterhin<br />
gratis ist für die KonsumentInnen, dass<br />
,YouTube‘ auch etwas verdient und dass<br />
die Musikschaffenden trotzdem mehr<br />
bezahlt bekommen. Ein Bezahl-Content<br />
würde die Plattform vermutlich<br />
killen. Der Shift wäre zu groß.“<br />
Damit bestätigt er die bisher gescheiterten<br />
Versuche der Videoplattform<br />
mit der Einführung einer Paywall. Seit<br />
einiger Zeit soll mit vermehrten Werbeschaltungen<br />
zwischen Musikvideos<br />
den Userinnen das werbefreie ,,YouTube<br />
Red“ schmackhaft gemacht werden.<br />
Auch läuft laut Berichten der Nachrichtenagentur<br />
„Bloomberg“ nun ein bezahlter<br />
Musikdienst auf „YouTube“ an,<br />
dieser soll die kritischen Stimmen vieler<br />
Musiklabels und Rechteverwerter verstummen<br />
lassen. Harry Fuchs zweifelt<br />
an der Projekt-Idee: ,,Warum sollte ein<br />
großer Rechteanbieter sein Repertoire<br />
,YouTubes‘ Premium-Angebot zur Verfügung<br />
stellen, wenn er selbst schon<br />
an ,Spotify‘ beteiligt ist und dort höhere<br />
Umsätze generieren kann? Dieses Angebot<br />
ist eher für unbekanntere Musikschaffende<br />
interessant, wobei man<br />
sehen muss, ob die Vergütungen dann<br />
auch fair sind.“<br />
Hier hakt der „YouTube“-Experte Christoph<br />
Enzinger ein. Seiner Ansicht nach<br />
hat das Unternehmen sehr wohl das<br />
Potenzial, ein Bezahl-Streaming-Dienst<br />
zu werden. Die Videoplattform hat Verträge<br />
mit vielen Branchengrößen und<br />
daher eine große Bandbreite an Musik-Content<br />
zu bieten. Bisher steckt das<br />
Konzept von „YouTube Music“ aber noch<br />
in den Kinderschuhen und ist aktuell nur<br />
in fünf Ländern verfügbar (USA, Neuseeland,<br />
Korea, Australien und Mexiko).<br />
193 Staaten gibt es – da bleibt selbst<br />
dem Big Player Aufholbedarf.<br />
von Kathrin Weinkogl<br />
© Copyright: adobe stock/Konstiantyn<br />
Die Musikindustrie und „YouTube“ – eine Hassliebe?<br />
35
„YouKu“ –<br />
das chinesische Portal<br />
Die Videoplattform „YouKu“ ist die chinesische Antwort auf das dort gesperrte<br />
„YouTube“. Der Zensur, Konkurrenz und Copyright-Klagen zu Trotz<br />
zählt die Website heute zu den beliebtesten Plattformen in China. <strong>SUMO</strong><br />
analysierte und sprach mit UserInnen.<br />
23 Milliarden Views pro Monat und 580<br />
Millionen Unique Clients, die in diesem<br />
Zeitraum rund vier Stunden Videomaterial<br />
konsumieren: Die Rede ist nicht<br />
etwa von „YouTube“, sondern von „You-<br />
Ku“, seinem chinesischen Zwilling. Tatsächlich<br />
weist die Plattform einige Ähnlichkeiten<br />
mit seinem amerikanischen<br />
Pendant auf. Ihr Gründer ist Victor Koo,<br />
der an der Entwicklung von „Soho“,<br />
einer in China beliebten Suchmaschine<br />
beteiligt war. 2006, ein Jahr nachdem<br />
„YouTube“ online ging, verließ Koo Soho,<br />
um „YouKu“ ins Leben zu rufen.<br />
Via Fusion zum Marktführer<br />
Seit seiner Gründung hat es „YouKu“<br />
weit gebracht. 2007 sammelte das<br />
Unternehmen laut „Bloomberg“ 25 Millionen<br />
Dollar an Venture Capital, um die<br />
Plattform weiterentwickeln zu können.<br />
Fünf Jahre später fusionierte das Videoportal<br />
mit „Tudou“, dem damals größten<br />
Konkurrenten. Die zwei Plattformen<br />
belegten damals bereits die Plätze elf<br />
und 14 im Ranking der meistbesuchten<br />
Websites in China. 2013 sorgte<br />
eine strategische Zusammenarbeit mit<br />
„Weibo“ („Twitter“-ähnlicher Dienst),<br />
bei der Videos des neugeschaffenen<br />
Mergers „YouKuToudu“ auf „Weibo“<br />
ausgestrahlt wurden, für einen zusätzlichen<br />
Wachstumsschub. Der Erfolg<br />
erweckte schnell die Aufmerksamkeit<br />
großer chinesischer Unternehmer. Einer<br />
von ihnen schlug vor zwei Jahren zu:<br />
Jack Ma und sein Unternehmen Alibaba<br />
machten sich „YouKu“ für einen Kaufpreis<br />
zwischen vier und fünf Milliarden<br />
US-Dollar zu Eigen.<br />
© Copyright: Markus Hechenberger<br />
36<br />
„YouKu“ – das chinesische Portal
© Copyright: adobe stock/saravut<br />
Mehr „Netflix“ als „YouTube“<br />
Ma sah in „YouKu“ die perfekte Ergänzung<br />
seines Online-Imperiums, das in<br />
den letzten Jahren immer stärker in den<br />
Medienbereich vorgedrungen ist. Mit<br />
der finanziellen Rückendeckung seines<br />
Konzerns vollzog der Kanal auch einen<br />
Strategie-Wechsel: weg vom User-Generated<br />
Content, hin zu den großen<br />
Film- und Serienproduktionen. Die waren<br />
zwar immer schon auf „YouKu“ verfügbar<br />
– nur eben illegal. Beliebt waren<br />
in der Anfangszeit der Plattform vor allem<br />
amerikanische Blockbuster, die von<br />
den UserInnen hochgeladen wurden.<br />
Die Folgen dieser Piraterie waren nicht<br />
nur eine Reihe an Copyright-Klagen aus<br />
Hollywood, sondern auch Probleme mit<br />
der heimischen Zensurbehörde, die nur<br />
eine ausgewählte Anzahl ausländischer<br />
Filmproduktionen am chinesischen<br />
Markt freigibt. „YouKu“ reagierte und<br />
schloss letztes Jahr Milliarden-Deals<br />
mit Sony, NBCUniversal und „Netflix“<br />
ab. Seitdem können die chinesischen<br />
UserInnen copyright-konform und<br />
mit dem Sanktus der Zensurbehörde<br />
auf westliche Produktionen, wie „Star<br />
Wars“, „Sherlock“, oder „Orange is the<br />
New Black“, zugreifen. Nebst großer<br />
Hollywood-Blockbuster werden aber<br />
auch heimische Produktionen der rasant<br />
wachsenden chinesischen Filmindustrie,<br />
sowie koreanische und japanische<br />
Angebote immer beliebter.<br />
„YouKu“ bekräftigt seinen Einstieg in<br />
das Streaming-Geschäft zusätzlich mit<br />
der Schaffung von Eigenproduktionen.<br />
In Zukunft soll mehr und mehr Alibaba-Geld<br />
in den Aufbau eines eigenen<br />
Original-Universums fließen. Alibaba<br />
will damit in direkte Konkurrenz mit<br />
iQiYi treten, dass als das chinesische<br />
Netflix gilt und in Hinsicht auf Views<br />
und Unique Clients ähnliche Erfolgszahlen<br />
wie „YouKu“ aufzuweisen hat.<br />
Von Let’s Plays über Beauty-Blogs und<br />
Propaganda<br />
Filme und Serien spielen zwar eine<br />
immer größere Rolle, aber das Unternehmen<br />
dient auch noch immer seinem<br />
ursprünglichen Zweck als Plattform für<br />
User-Generated-Content. So unterstützt<br />
man Video-MacherInnen mit einem<br />
Partnerschaftsprogramm ähnlich<br />
der „YouTube Creators Academy“, diese<br />
können ihre Videos wie auf „YouTube“<br />
monetarisieren. Auch Live-Streams mit<br />
einem entsprechenden Donation-System<br />
sind möglich.<br />
Doch welche Formate und Genres sind<br />
bei den Chinesen besonders beliebt?<br />
Und gibt es so etwas wie „YouKu“-Stars,<br />
äquivalent zu „YouTube“-Größen wie<br />
„YouKu“ – das chinesische Portal<br />
37
PewDiePie, „Bibis Beauty Palace“ und<br />
Co.? Gespräche mit der austro-chinesischen<br />
Community geben Aufschluss:<br />
„Chinesische und koreanische Dramas<br />
sind sehr beliebt“, berichtet etwa Julia<br />
Chang auf eine E-Mail-Anfrage. Jenny<br />
Xie bestätigt das und fügt hinzu: „So<br />
weit ich weiß, bietet ,YouKu‘ NutzerInnen<br />
aber alle Möglichkeiten.“ Was „alle<br />
Möglichkeiten“ bedeutet, wird bei einem<br />
Heurigenbesuch mit einer Gruppe<br />
ChinesInnen – teils in Österreich aufgewachsen,<br />
teils immigriert, teils auf<br />
Urlaub in Österreich – ersichtlich. Dem<br />
Autor dieses Artikels wird die Fülle des<br />
Angebots von „YouKu“ gezeigt: Let’s<br />
Plays, Beauty-Blogs, V-Logs, Comedy<br />
– die chinesische Plattform ist dem<br />
Us-Pendant hinsichtlich des Contents<br />
recht ähnlich. Eine Chinesin, die namentlich<br />
nicht genannt werden will,<br />
meint aber, so etwas wie „Stars“ gebe<br />
es auf „YouKu“ nicht. „Vieles steckt noch<br />
in den Kinderschuhen“, so der Tenor.<br />
Bei der Recherche ist der Autor zudem<br />
auf ein Video gestoßen, in dem Chinas<br />
Präsident Xi Jinping als „Retter der<br />
Arbeitslosen“ dargestellt wird. Zu sehen<br />
ist Xi Jingping, wie er arbeitslosen<br />
Chinesen die Hand schüttelt und sich<br />
in der Partei für die Schaffung von Jobs<br />
stark macht. Untermalt wird das ganze<br />
von englischen Untertiteln, die von<br />
den „Heldentaten“ des chinesischen<br />
Präsidenten berichten. Das Video war<br />
im März 2018 tagelang auf Platz Eins<br />
der „YouKu“-Trends (hier „Hotspot“ genannt).<br />
In diesem Zusammenhang stellt<br />
sich die Frage, wie stark, vor allem wie<br />
systematisch die chinesische Regierung<br />
den Kanal als Propagandainstrument<br />
nutzt. „Natürlich wird ,YouKu‘<br />
auch als Propagandainstrument genutzt“,<br />
meint etwa Jenny Xie. Julia Chan<br />
schwächt jedoch ab: „ Es ist nicht das<br />
Haupt-Online-Medien Propagandainstrument“.<br />
Vielmehr würde sich die<br />
chinesische Regierung auf CCTV und<br />
XinHua stützen. Bei CCTV handelt es<br />
sich um das TV-Unternehmen „Central<br />
China Television“, XinHua ist eine chinesische<br />
Nachrichtenagentur, die sehr<br />
stark im Online-Bereich tätig ist. Beide<br />
Unternehmen befinden sich im Besitz<br />
des chinesischen Staates.<br />
Kreative Erlösmodelle<br />
In der Refinanzierung unterscheidet<br />
sich „YouKu“ in vielerlei Hinsicht kaum<br />
von „YouTube“. Klassische Online-Videowerbeformen<br />
wie pre-, mid- und<br />
postroll ads, Bannerwerbung und Popups<br />
gehören beim chinesischen Videoportal<br />
ebenso zum Standardrepertoire.<br />
Mit der Übernahme der Alibaba-Group<br />
begann man aber auch mit der Implementierung<br />
kreativerer Werbeformen,<br />
wie der „China Marketing Blog“ von<br />
Misha Maruma der Nanjing Marketing<br />
Group berichtet. So entstand etwa das<br />
„Corner-Logo“, bei der Unternehmen<br />
und Creator ihr Markenzeichen in der<br />
rechten oberen Ecke des Videos anzeigen<br />
lassen können. Ein Click auf<br />
das Logo führt UserInnen auf die Website<br />
des Herstellers, den Merche-Shop<br />
des Creators, oder – ganz im Sinne<br />
ihres Gründers Jack Ma – auf die Websites<br />
der Alibaba-Töchter Taobao und<br />
T-Mall. Die Unternehmen haben zudem<br />
die Möglichkeit, offiziell verifizierte<br />
Brand-Channels zu erstellen, so Misha<br />
Maruma. Die Besonderheit daran: Im<br />
Menübereich des jeweiligen Channels<br />
ist ein auffälliger Button platziert, der<br />
direkt zu Website der Hersteller führt.<br />
Werden auf dem Channel Produkte<br />
beworben, so erscheinen in ebenjener<br />
Menüleiste auch Links, deren Anklicken<br />
das jeweilige Produkt direkt in den<br />
Alibaba-Warenkorb schickt. Ein Beispiel<br />
dafür ist etwa der offizielle Channel<br />
von „Go-Pro“: Der orangene „Buy<br />
Now“-Button rechts oben führt direkt<br />
zum T-Mall Flagship-Store des Kameraherstellers.<br />
Unter so viel Werbung leidet selbstverständlich<br />
die Userfreundlichkeit der<br />
Plattform. Die „Bombardierung“ seiner<br />
NutzerInnen mit zahlreichen Werbeformen<br />
ist aber durchaus Teil der Strategie<br />
von „YouKu“. Das Unternehmen gibt<br />
offen zu, diesen in den VIP-Bereich der<br />
Website locken zu wollen. Dort können<br />
sie sich für ein Abo-Modell entscheiden.<br />
Zur Auswahl stehen mehrere Angebote,<br />
angefangen bei 15 Yuan pro Monat (ca.<br />
2,3 Dollar). Je mehr man bezahlt, desto<br />
weniger Werbung bekommt man zu<br />
sehen. Zusätzlich bietet „YouKu“ seinen<br />
AbonnentInnen noch Zugang zu Exklusiv-Inhalten<br />
(vor allem Filme und Serien),<br />
diversen Alibaba-Diensten, Gutscheinen,<br />
höhere Videoqualität sowie<br />
exklusive VIP-Emotes.<br />
Den finanziellen Erfolg dieser Palette<br />
an Erlösformen zu bewerten, gestaltet<br />
sich dabei als schwierig, denn Alibaba<br />
weist „YouKu“ in seinen Geschäftsberichten<br />
nicht gesondert aus. Im ersten<br />
Halbjahr 2015 vermeldete die damals<br />
noch eigenständige Plattform Umsätze<br />
in Höhe von 450 Millionen Dollar. Das<br />
chinesische Marktforschungsinstitut<br />
iResearch schätzt zudem, dass etwa<br />
80% der Erlöse von „YouKu“ aus Werbung<br />
stammen. Es ist davon auszugehen,<br />
dass „YouKu“ seinen Umsatz mit<br />
der Übernahme durch Alibaba kräftig<br />
steigern konnte. Rentiert hat sich das<br />
Geschäft für den Online-Handelsriesen<br />
aber höchstwahrscheinlich noch nicht:<br />
38<br />
„YouKu“ – das chinesische Portal
Alibaba schrieb im Medien-Segment<br />
letztes Jahr Verluste in Höhe von 1,6<br />
Milliarden Dollar, was vor allem den<br />
hohen Investitionen in Content zuzuschreiben<br />
ist.<br />
Im Schatten der Zensur<br />
Die chinesische Regierung ist durch finanzielle<br />
Teilhabe am Erfolg Alibabas<br />
maßgeblich beteiligt. Die kommunistische<br />
Partei hat aus Prestige-Gründen<br />
großes Interesse daran, die Erfolgstories<br />
amerikanischer Tech-Unternehmen<br />
zu toppen. Trotzdem hat „YouKu“<br />
immer wieder mit den System-Offiziellen<br />
zu kämpfen. Vor allem in der Anfangszeit<br />
der „Streaming-Revolution“<br />
in China warf die Regierung immer wieder<br />
ein kritisches Auge auf diese Plattformen.<br />
Ein besonderer Dorn im Auge<br />
war den Zensoren dabei der User-Generated-Content.<br />
Dieser ist schwer<br />
regulier-, zensier- und dadurch auch<br />
schwer kontrollierbar. Man spielte offen<br />
mit dem Gedanken, die Plattformen zu<br />
verbieten. Auch die zahlreichen, illegal<br />
hochgeladenen amerikanischen Filme<br />
auf „YouKu“ missfielen der Regierung.<br />
Westliche Produktionen „verderben“ –<br />
nach offizieller Diktion der kommunistischen<br />
Partei – die Jugend.<br />
„YouKu“ zu verbieten ist ob des Erfolgs<br />
der Plattform zwar unwahrscheinlich<br />
geworden, daran, dass die Partei den<br />
schwer kontrollierbaren Online-Medien<br />
misstrauisch gegenübersteht, hat sich<br />
aber nichts geändert. Im Kampf um die<br />
Kontrolle über „YouKu“ sorgte etwa die<br />
Verhaftung von Lu Fanxi vor zwei Jahren<br />
für Aufsehen in China. Fanxi war<br />
laut Berichten in „Financial Times“ und<br />
„Forbes“ damals Vice-Chairman und<br />
zuständig für Eigenproduktionen der<br />
Plattform. In einer ersten offiziellen<br />
Meldung der chinesischen Regierung<br />
erklärte man die Verhaftung mit „ernsthaften<br />
Anschuldigungen gegen Fanxis<br />
Content-Projekte“. Um den Eindruck einer<br />
politischen Säuberung abzuschwächen,<br />
ruderte man später zurück. In den<br />
chinesischen Staatsmedien war plötzlich<br />
nur mehr von einer Anklage wegen<br />
Wirtschaftskorruption die Rede.<br />
Das wichtigste Instrument der Kontrolle<br />
der chinesischen Regierung über<br />
die landesweiten Medien bleibt neben<br />
der Verhaftung unliebsamer Personen<br />
jedoch die Zensur der Inhalte. Informationen<br />
über die genaueren Prozesse,<br />
die dabei im Hintergrund ablaufen, zu<br />
bekommen gestaltet sich als schwierig.<br />
Johann Günther, Doktor der Publizistikund<br />
Kommunikationswissenschaft und<br />
Kunstgeschichte, der in China jahrelang<br />
als Dozent an der Jianghan University<br />
tätig war, hat für <strong>SUMO</strong> Kontakt zu<br />
seinen chinesischen StudentInnen aufgenommen,<br />
um hier Licht ins Dunkel zu<br />
bringen. Ein Student, der namentlich<br />
nicht genannt werden will, beschreibt<br />
das System als „Review First“. Soll heißen:<br />
Videos, die auf die Plattform gestellt<br />
werden, werden erst öffentlich<br />
geschalten, wenn der Inhalt von der<br />
chinesischen Zensurbehörde überprüft<br />
wurde. In diesem Prozess werden,<br />
ähnlich wie auf „YouTube“, sowohl<br />
Technologie (Algorithmen), als auch<br />
menschliche Arbeitskraft eingesetzt.<br />
Der Algorithmus dient dabei als erster<br />
„Filter“. Wenn ein Video als „high risk“<br />
identifiziert werde, so der Student, kämen<br />
die menschlichen Zensoren zum<br />
Einsatz. Jedes Video bekommt zudem<br />
eine ID, über die das Video eindeutig<br />
dessen Schöpfer zugeordnet werden<br />
kann.<br />
von Tobias Kachelmeier<br />
© Copyright: adobe stock/BirgitKorber<br />
„YouKu“ – das chinesische Portal<br />
39
Die Internetsucht<br />
als Sozialkiller<br />
<strong>SUMO</strong> sprach über Ursachen, Auswirkungen und Therapien der Internetsucht<br />
mit drei Experten: Dr. Alfred Uhl, Abteilungsleiter-Stv. am Kompetenzzentrum<br />
Sucht der Gesundheit Österreich GmbH, Mag. Julian Strizek,<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter ebendort, Abteilungsleiter Primar Dr.<br />
Roland Mader vom Anton-Proksch-Institut, der größten europäischen<br />
Suchtklinik. Ein betroffener Jugendlicher gibt Einblick in seinen Alltag.<br />
Eine Definition von Internetsucht ausschließlich<br />
aufgrund der Nutzungsdauer<br />
ist wenig sinnvoll, angesichts<br />
der Tatsache, dass laut einer Studie<br />
der SPECTRA Marktforschung der/<br />
die durchschnittliche Österreicher/<br />
in das Internet täglich 108 Minuten<br />
nutzt. Definitionsversuche seien hier<br />
generell umstritten, stellt Julian Strizek<br />
fest. „Abhängigkeit ist an und für<br />
sich nichts Schlechtes. Abhängig sind<br />
wir von Vielem: Essen, Trinken, und<br />
bei Kälte von einem warmen Gewand<br />
und einer Heizung. Sucht jedoch ist<br />
eine Abhängigkeit, die große Probleme<br />
macht. Und zwar für die Person selbst<br />
und/oder für die Umgebung. Das ist für<br />
mich eine relativ sinnvolle Definition“,<br />
erläutert Alfred Uhl. Es geht vor allem<br />
darum, eine Entscheidung zu treffen,<br />
wo die Grenzen gezogen werden. Laut<br />
Roland Mader sind mehrere Stunden<br />
online zu verbringen zwar ein auffälliges<br />
Merkmal, doch Zeit allein ist nicht<br />
ausschließlich ein Kriterium. Indizien<br />
dafür sind vielmehr das Vernachlässigen<br />
der schulischen oder beruflichen<br />
Laufbahn, Abfall schulischer Leistungen,<br />
der Rückzug aus dem Freundeskreis<br />
oder auch die starke Reduzierung<br />
von Hobbies. Ein ausgeprägtes Spezifikum<br />
kann auch der Kontrollverlust sein.<br />
Die betroffene Person hat kein Zeitgefühl<br />
mehr, wie lang das Internet schon<br />
verwendet wurde, bzw. auch wenn das<br />
Bewusstsein darüber gegeben ist, kann<br />
die Rezeption nicht mehr kontrolliert<br />
und eingeschränkt werden. Die Suchterkrankung<br />
resultiert oftmals in Unruhe<br />
und Angstzuständen, sollte dem/der<br />
Betroffenen kein Zugang zum Internet<br />
gewährt sein.<br />
Was war zuerst da?<br />
Was verursacht das Problem: eine psychische<br />
Belastung im Hintergrund oder<br />
die Internetsucht selbst? Grundsätzlich<br />
sei es so, dass ein Großteil der Probleme<br />
im Zusammenhang mit Süchten<br />
– und hier sind stoffgebundene sowie<br />
stoffungebundene gemeint – deshalb<br />
entstehen, weil es im Hintergrund andere<br />
Grundprobleme gibt. Psychische<br />
Erkrankungen können Süchte verursachen<br />
und diese verstärken. „Es gibt kein<br />
eindeutiges Schema, welche Gruppe in<br />
Hinblick auf eine problematische Internetnutzung<br />
besonders gefährdet ist,<br />
aber doch sind es meistens Menschen,<br />
die auch andere psychische Auffälligkeiten<br />
aufweisen“, stellt Strizek fest.<br />
Es folgt laut Uhl eine Selbstbehandlung<br />
oder ein Entkommen „gegen Depression,<br />
gegen Fadesse, gegen ‚dass<br />
,die Sachen nicht klappen.‘“ Auch aus<br />
der Fachliteratur geht hervor, dass PatientInnen,<br />
die in Behandlung sind, selten<br />
ausschließlich wegen Symptomen<br />
einer Internetsucht behandelt werden.<br />
Häufig stehen unterschiedliche psychi-<br />
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Die Internetsucht als Sozialkiller
sche Belastungen im Hintergrund, etwa<br />
Depressionen. Grunderkrankungen wie<br />
diese treiben demnach PatientInnen in<br />
die Arme des Internet, zum Beispiel in<br />
den endlosen Sumpf der Videos. Wer<br />
aber sagt, dass es nicht die Internetabhängigkeit<br />
ist, die PatientInnen in die<br />
Depression treibt? Uhl hält fest, man<br />
könne die Frage was vorangeht „nicht<br />
für alle Betroffenen stellen, weil das ist<br />
bei jeder bzw. jedem anders. Meistens<br />
ist es so, dass das eine das andere verstärkt<br />
und umgekehrt.“<br />
Es kann jede/n treffen. Doch wer ist<br />
besonders gefährdet?<br />
Lässt man demografische Faktoren wie<br />
Alter und Geschlecht außen vor, spielen<br />
vor allem persönliche Faktoren eine<br />
große Rolle. Vor allem die Unterscheidung<br />
zwischen intro- und extrovertierten<br />
Menschen ist dabei ausschlaggebend.<br />
Die erste Vermutung, dass<br />
introvertierte Charaktere einem höheren<br />
Risiko ausgesetzt sind, kann aber<br />
widerlegt werden. Es gibt Beschreibungen,<br />
so Strizek, die ein erhöhtes Risiko<br />
bei extrovertierten Menschen sehen.<br />
Diese nutzen demnach Medien, um<br />
ihre Selbstdarstellung „auf die Spitze zu<br />
treiben.“ Auf der anderen Seite stehen<br />
introvertierte Charaktere, oder auch<br />
Jene, die sozial gehemmt oder schüchtern<br />
sind. Diese nutzen Onlineaktivitäten<br />
eher kompensatorisch. „Was man<br />
online machen kann, ist einfach so<br />
unterschiedlich“, dass es schwerfalle,<br />
gewissen Gruppen ein erhöhtes Risiko<br />
zuzuschreiben. Introvertierte Personen<br />
können sich hinter der Anonymität des<br />
Internet verstecken und es zum Zeitvertreib<br />
auf verschiedenste Arten nutzen.<br />
Internetsucht – eine ernstzunehmende<br />
Erkrankung?<br />
Obwohl der exzessive Internetgebrauch<br />
erst in den letzten Jahren aufgekommen<br />
ist, gibt es die Internetsucht auch<br />
im therapeutischen Sinne schon viele<br />
Jahre. Bereits 1995 wurde die Sucht als<br />
Krankheit anerkannt und in den Therapiebereich<br />
miteinbezogen. Der amerikanische<br />
Psychiater Ivan Goldberg<br />
definierte sie als „internet addiction disorder“.<br />
Doch auch in Österreich gilt die<br />
Sucht seit einiger Zeit als ernstzunehmende<br />
Erkrankung. Seit mittlerweile 15<br />
Jahren wird sie im Anton-Proksch-Institut<br />
behandelt und therapiert. Durch<br />
diese jahrelange Erfahrung kann Betroffenen<br />
gut geholfen und ihnen ein<br />
Weg aus der Sucht ermöglicht werden.<br />
Besondere Aufmerksamkeit erfahren<br />
Online Games, deren Nutzungsdauer<br />
und Auswirkungen häufig diskutiert<br />
werden. Die JIM-Studie gibt wider, dass<br />
Die Internetsucht als Sozialkiller<br />
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Menschen im Alter zwischen 12 und 19<br />
Jahren das Internet intensiver für andere<br />
Unterhaltungszwecken nutzen, als<br />
für Spiele, die in dieser Studie separat<br />
abgefragt wurden. Erstere schließen<br />
Musik, Bilder und Videos mit ein, der<br />
Anteil der Gesamtnutzungszeit liegt bei<br />
30 Prozent. Bei Spielen hingegen ist der<br />
Anteil mit etwa 20 Prozent um einiges<br />
geringer.<br />
Die Auswirkungen der Abhängigkeit<br />
entstehen vor allem wegen der Zeit,<br />
die in Onlineaktivitäten investiert wird.<br />
Ein ausschlaggebender Faktor dabei ist<br />
die ständige Verfügbarkeit. In Zeiten der<br />
mobilen Endgeräte wie beispielsweise<br />
dem Smartphone haben RezipientInnen<br />
allzeit und überall die Möglichkeit,<br />
an Videocontent zu gelangen. Je mehr<br />
Zeit für Videos oder andere Onlineinhalte<br />
aufgebracht wird, desto mehr<br />
leidet der Alltag darunter. Frühere Freizeitaktivitäten<br />
oder Interessen werden<br />
vernachlässigt, was sich negativ auf die<br />
Beziehungen der betroffenen Personen<br />
auswirkt. Eine so verursachte Änderung<br />
der Ess- und Schlafgewohnheiten kann<br />
zu ernsten Störungen führen. Eine besonders<br />
hohe Nutzung wird den Alltag<br />
früher oder später derart dominieren,<br />
dass ein geregelter Tagesablauf nicht<br />
mehr möglich ist und PatientInnen dem<br />
gewohnten Alltag nicht mehr nachgehen<br />
können, warnte der Suchtprophylaktiker<br />
Kläser 2016.<br />
Das Ampelmodell als Therapieansatz<br />
„Abstinenz ist nicht das Ziel, es geht<br />
vielmehr um Medienkompetenz. Der<br />
Patient bzw. die Patientin soll lernen,<br />
einen kompetenten Umgang mit dem<br />
Internet zu schaffen“, so Mader. Dieser<br />
Ansatz ergibt sich durch die Unmöglichkeit,<br />
das Internet aus dem Leben<br />
des/der Patienten/in zu entfernen.<br />
Aufgrund dessen wird in der Therapie<br />
häufig das Ampelmodell herangezogen.<br />
Dabei wird der Gebrauch in einem dreistufigen<br />
Ampelsystem kategorisiert:<br />
- Rot: Ein bestimmtes Medienangebot<br />
darf nicht mehr genutzt werden (z.B.<br />
„YouTube“-Videos schauen, falls die<br />
Nutzung zu exzessiv wurde).<br />
- Gelb: Es darf unter bestimmten Bedingungen<br />
bzw. in Begleitung genutzt<br />
werden.<br />
- Grün: Hierbei ist uneingeschränkte<br />
Nutzung erlaubt.<br />
Jene drei Bereiche werden mit dem/r<br />
Therapeuten/in gemeinsam besprochen<br />
und festgelegt, um eine möglichst<br />
positive Veränderung zu bewirken.<br />
Die Seite eines Betroffenen<br />
Um einen Vergleich herstellen zu können,<br />
wurde neben den Suchtexperten<br />
ein unter Internetsucht leidender Jugendlicher<br />
(17) befragt. Für das Interview<br />
war es sein Wunsch, anonym zu<br />
bleiben. X bemerkte seine Internetabhängigkeit<br />
erst vor Kurzem. Viele seiner<br />
Familienangehörigen machten ihm<br />
bereits zuvor viele Vorwürfe und verstanden<br />
sein Computerverhalten nicht.<br />
Er selbst konnte diesen Anschuldigungen<br />
nichts aberkennen und führte seine<br />
täglich mehrstündige Abhängigkeit<br />
weiter. Erst als sich seine FreundInnen<br />
immer mehr von ihm abwandten bzw.<br />
von ihm vernachlässigt wurden, bemerkte<br />
er eine starke Veränderung. Ihm<br />
wurde bewusst, dass seine Internetnutzung<br />
überdurchschnittlich ist und<br />
er sich von der Realität immer mehr<br />
entfernte. Der Jugendliche hatte schon<br />
als Kind mit mangelndem Selbstwertgefühl<br />
zu kämpfen und verlor sich deswegen<br />
in seiner virtuellen Welt, seiner<br />
„sicheren und glücklichen virtuellen<br />
Welt, die mit Gleichgesinnten geteilt<br />
werden kann“, wie er beschreibt. X verbringt<br />
bis zu 14 Stunden täglich vor<br />
seinem Computer und widmet sich<br />
auch seinen schulischen Verpflichtungen<br />
kaum mehr. Er beschreibt die Sucht<br />
als Teufelskreis, da man bei Nicht-Verfügbarkeit<br />
Unruhe und Stress verspürt<br />
und aufgrund dessen sich wieder dem<br />
Internet zuwendet.<br />
Der Weg zurück in die Realität<br />
X nimmt sich für seine Zukunft vor, in<br />
Therapie zu gehen, da es sei für eine<br />
Selbstheilung wahrscheinlich bereits<br />
zu spät sei. Sein Leben solle wieder<br />
lebenswerter werden, FreundInnen<br />
sollen ein wichtiger Teil davon sein und<br />
auch ist es sein Ziel, die Schule positiv<br />
abzuschließen.<br />
Computer- und Internetgebrauch wird<br />
auch in weiterer Folge Teil unseres Lebens<br />
sein, der Umgang und die Kompetenz<br />
dabei sind jedoch von maßgeblicher<br />
Relevanz. Bei beruflichen oder<br />
schulischen Angelegenheiten bedarf es<br />
heutzutage schlicht und einfach eines<br />
Internetzugangs und die Nutzung ist<br />
nicht vermeidbar. Doch vor allem im<br />
sozialen Bereich ist es von höchster<br />
Relevanz, den persönlichen Kontakt zu<br />
stärken und Social Media nicht dominieren<br />
zu lassen. Sonst kann das virtuelle<br />
Leben das reale schnell überdecken<br />
und das Suchtpotenzial verstärken.<br />
von Katharina Glück, Teresa Takacs<br />
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Die Internetsucht als Sozialkiller
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