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Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten<br />
Medien<br />
&<br />
Gender<br />
© Nicolas Hofbauer<br />
Ausgabe 32<br />
- Februar 2019 -
St. Pölten University of Applied Sciences<br />
Jetzt<br />
informieren!<br />
fhstp.ac.at/bmm<br />
© Martin Lifka Photography<br />
Bachelorstudium<br />
Medienmanagement<br />
Das Studium für Radio | TV | Print | Online<br />
mit den Schwerpunkten:<br />
• Content Management<br />
• Marketing und Sales<br />
• Strategisches Management<br />
medien & wirtschaft
Inhalt<br />
» Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten 4<br />
» „Ich will keine Quotenfrau sein!“ 7<br />
» Sexismus - der blinde Fleck des Journalismus 11<br />
» Mühsam ernährt sich das Gendereinhörnchen, aber es ernährt sich! 14<br />
» Gender Diversity im Filmbusiness 17<br />
» This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming 19<br />
» Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängnis für muslimische Frauen 23<br />
» „Sex sells“ - nicht immer! 26<br />
» Sexualisierung, des Sportes bester Freund 29<br />
» Drag Queens als Content Trend 32<br />
» Kinderfilme als Geburtsstätten von Stereotypen 36<br />
» Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm 38<br />
» Geschlechterbilder religiöser Printmedien 41<br />
» Sexualisierte Darstellung von Frauen in der bildenden Kunst 44<br />
» „Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird 47<br />
» Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt 50<br />
» Feministische Medien. Der Kampf gegen den Malestream 52<br />
» „dieStandard.at“ und ihre männliche Community 54<br />
» Frauen lesen, Männer schreiben 56<br />
» Geschlechterhass im Netz 58<br />
» „Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz 60<br />
Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser!<br />
Am 29.1.1919 titelte die „Kronen Zeitung“ mit „Gattin oder<br />
Pflegerin? Eine seltsame Eheschließung“. Ging es hierbei um<br />
das Gedenken an den Doppelsuizid von Österreichs Kronprinz<br />
Rudolf und Mary Vetsera 1889, insinuiert „krone.tv“ exakt 100<br />
Jahre später: „Bekommt Meghan ein Mädchen?“<br />
In Berichten über die Rolle der Frau in Adelskreisen hat sich auch<br />
in anderen Medien wenig verändert. Aber wie sieht es bezüglich<br />
Darstellung und Rolle von Gender als sozialem Geschlecht in der<br />
heutigen Medienbranche generell aus? <strong>SUMO</strong> stellt diese Frage<br />
in den Mittelpunkt einer Schwerpunktausgabe – der umfangreichsten<br />
in der zehnjährigen Geschichte. Unsere Redakteurinnen<br />
und Redakteure analysierten – gestützt auf Interviews<br />
mit ExpertInnen aus Medienpraxis und Medienwissenschaft<br />
sowie Studien – für Sie unter anderem folgende Sachverhalte:<br />
die horizontale und vertikale Segregation in Rundfunk- und<br />
Filmunternehmen, Sexismus in Medienbetrieben wie in der<br />
-berichterstattung, Gender Roles in der Gaming Industry, Geschlechterbilder<br />
in katholischen Printmedien, Wirkung von Drag<br />
Queen-Shows, geschlechtersensible Sprache, feministische<br />
Zeitschriften, Aktivismus im Internet.<br />
Studierende unterschiedlicher Semester haben im Rahmen eines<br />
Praxislabors und eines Freifachs diese Ausgabe des österreichweit<br />
einzigen studentischen Medienfachmagazins erneut<br />
nicht nur redaktionell erstellt. Sie haben auch Kompetenzen aus<br />
anderen Bereichen ihres Bachelorstudiums Medienmanagement<br />
verantwortet: Anzeigenverkauf, Vertriebslogistik und Release-Konzeption,<br />
Bildredaktion, Kommunikation, Produktion.<br />
Es ist ihre Visitenkarte, so auch jene unserer Ausbildung für<br />
Führungskräfte aller Mediengattungen und andere Zielgruppen.<br />
Sie als MedienmanagerIn werden <strong>SUMO</strong>-MitarbeiterInnen auf<br />
der Karriereleiter kennenlernen – und den Gender-Gap schließen?<br />
Sie als SchülerIn mit Medienschwerpunkt werden diese<br />
Ausgabe studieren – und später bei uns mehr?<br />
Eine spannende Lektüre wünschen<br />
Copyright: Claudia Mann<br />
FH-Prof. Mag. Ewald Volk<br />
Studiengangsleiter<br />
Bachelor Medienmanagement<br />
Copyright: Ulrike Wieser<br />
FH-Prof. Mag. Roland Steiner<br />
Praxislaborleiter Print<br />
Chefredakteur <strong>SUMO</strong><br />
© Copyright: pexels<br />
Inhalt und Editorial<br />
3
Frauen im öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunk Europas.<br />
Zahlen, Daten, Fakten<br />
Das Thema der Frauenquote in unterschiedlichen Unternehmen ist<br />
schon seit einigen Jahren ein großer Diskussionspunkt. Auch Medienunternehmen<br />
müssen sich aufgrund verschiedener Vorschriften<br />
damit auseinandersetzen und eine gleichwertige Stellung für<br />
Männer und Frauen schaffen. Doch wie sieht das Ganze im öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunk in Europa aus? <strong>SUMO</strong> sprach mit den Kommunikationswissenschaftlerinnen<br />
Susanne Kirchhoff der Universität Salzburg und Kathrin<br />
Friederike Müller der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.<br />
Der ORF wird oft gelobt dafür, dass er<br />
viele Daten über die Gleichstellung von<br />
Männern und Frauen im Unternehmen<br />
veröffentlicht. Sein Gleichstellungsplan<br />
hat bereits mehrere Preise, unter<br />
anderem vom Europäischen Institut für<br />
Gleichstellungsfragen (EIGE), erhalten.<br />
Im Vorwort des letzten, 2016 erschienenen<br />
Gleichstellungsplans heißt es<br />
weiter, dass das Unternehmen bereits<br />
Fortschritte und eine Verbesserung der<br />
Frauenquote verzeichnen konnte. Mittlerweile<br />
liegt eine Frauenquote von 45%<br />
auch im ORF-Gesetz verankert.<br />
Aber wie steht das Vorbild im Vergleich<br />
zu anderen Ländern Europas da?<br />
Mit einer Frauenquote von 43,3% unternehmensweit<br />
liegt der ORF generell im<br />
Mittelfeld der in diesem Artikel behandelten<br />
Unternehmen. Angeführt wird das<br />
Ranking vom niederländischen „nederlandse<br />
publieke omroep“ (NPO), das in<br />
seinem Jahresabschluss 2017 von einer<br />
Frauenquote zwischen 49% und 51% landesweit<br />
spricht. Auch ARD (Deutschland),<br />
BBC (Großbritannien) und RTÉ (Irland)<br />
kommen mit über 48% einer eigentlichen<br />
Gleichstellung sehr nahe, während „Ceska<br />
Televize“ aus Tschechien mit einem<br />
Frauenanteil von 36% klar abgeschlagen<br />
das Schlusslicht darstellt. (vgl. Abb. 1).<br />
Managementfrauenquote<br />
Abbildung 2 illustriert die Anzahl an Frauen<br />
in den zwei höchsten Managementebenen<br />
in verschiedenen Ländern, gemäß<br />
der von EIGE 2018 veröffentlichten<br />
Werte. Die in der unteren Grafik dunkel<br />
eingezeichneten Länder wurden bereits<br />
in der obenstehenden Grafik behandelt<br />
und stellen somit den Schwerpunkt der<br />
Analyse dar.<br />
Irland liegt hier – teils deutlich hinter<br />
Lettland, Dänemark, Schweden und<br />
Rumänien – an der Spitze der bereits<br />
in Abbildung 1 illustrierten Länder und<br />
kann eine Gleichberechtigung zwischen<br />
Frauen und Männern im Unternehmen<br />
klar weiter behaupten. Österreich liegt<br />
mit Großbritannien gemeinsam auf dem<br />
siebten Platz, während Frankreich und<br />
Portugal im hinteren Mittelfeld liegen.<br />
Noch weiter abgeschlagen sind Deutschland,<br />
die Niederlande sowie Belgien und<br />
Slowenien.<br />
Ebenfalls von EIGE erhoben wurden Italien,<br />
Spanien, Griechenland, Kroatien,<br />
Luxemburg, Malta und Polen, die jedoch<br />
2018 keine Repräsentantinnen unter<br />
den Entscheidungsträgern in den zwei<br />
höchsten Ausschüssen hatten.<br />
Neben den von EIGE beforschten Staaten<br />
veröffentlichte der norwegische öffentlich-rechtlich<br />
Rundfunk NRK im Jahr<br />
2017 eine Frauenmanagementquote von<br />
51,5%, womit sich das Unternehmen zwischen<br />
Rumänien und Irland einordnet.<br />
Dr. Kathrin Friederike Müller, wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Institut für<br />
Kommunikationswissenschaft der Universität<br />
Münster, kann sich die klare<br />
Überrepräsentation von Frauen in den<br />
Führungspositionen des lettischen und<br />
dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />
dadurch erklären, dass beide Länder<br />
BewerberInnen geschlechtergerecht<br />
auswählen. Ob es sich um einen Bewerber<br />
oder eine Bewerberin handle, dürfte<br />
demnach kaum eine Rolle gespielt haben.<br />
Ein größerer Fokus habe vermutlich auf<br />
der Qualifikation gelegen.<br />
Fakt ist, dass auch in Österreich Frauen<br />
in journalistischen Berufen tendenziell<br />
formal höher gebildet sind als ihre<br />
männlichen Kollegen. So besagte der<br />
vom Medienhaus Wien 2007 publizierte<br />
„Journalistenreport“, dass 41% aller<br />
Journalistinnen Akademikerinnen sind,<br />
während nur 29% der Männer im Journalismus<br />
ein abgeschlossenes Hochschulstudium<br />
besitzen.<br />
Gehaltsunterschiede<br />
Der reine Frauenanteil eines Unternehmens<br />
sagt letztendlich wenig über<br />
4<br />
Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten
Abbildung 1: Abbildung nach Jahresabschlüssen und Gleichstellungsplänen<br />
die eigentliche Gleichberechtigung im<br />
Arbeitsalltag und über die Bezahlung<br />
der Frauen aus. Nur wenige Unternehmen<br />
veröffentlichen tatsächlich<br />
Werte über den Gender-Pay-Gap. Auch<br />
hier übernimmt der ORF eine beispielhaft<br />
positive Rolle, indem im aktuellen<br />
Gleichstellungsplan auch der „Unternehmens-Pay-Gap“<br />
publik wird: Im ersten<br />
Halbjahr 2015 lag dieser bei 16,1%.<br />
Dass Frauen für dieselbe Arbeitszeit<br />
um soviel weniger Gehalt bekommen,<br />
erscheint schockierend. Verglichen mit<br />
dem landesweiten Pay-Gap von 20,1%,<br />
schneidet der ORF jedoch besser ab als<br />
das durchschnittliche Unternehmen in<br />
Österreich.<br />
Noch positiver sieht das Ganze in Großbritannien<br />
und Portugal aus. Die BBC<br />
veröffentlichte einen unternehmensweiten<br />
Gehaltsunterschied von 9,3%,<br />
während das Land mit 21% Pay-Gap<br />
fünf Prozentpunkte über dem europäischen<br />
Durchschnitt liegt. RTP, der<br />
portugiesische öffentlich-rechtliche<br />
Rundfunk, steht mit einem Pay-Gap<br />
von 9% um 8,5 Prozentpunkte besser<br />
da als der Landesschnitt. Auch wenn<br />
Belgien mit einem Schnitt von rund<br />
38% Frauenanteil im Unternehmen im<br />
vorhergegangenen Ranking einen der<br />
hinteren Plätze einnimmt, sticht der<br />
französischsprachige öffentlich-rechtliche<br />
Rundfunk des Landes mit einem<br />
Unterschied in der Bezahlung von 2,4%<br />
stark positiv hervor. Hierbei handelt es<br />
sich jedoch nicht um eine Zahl, die das<br />
Unternehmen veröffentlicht hat, sondern<br />
um das Ergebnis einer Berechnung<br />
der Verfasserin dieses Artikels, die den<br />
Stundenlohn der beiden Geschlechter<br />
(Männer: 49,8€; Frauen: 48,6€) miteinander<br />
verglich.<br />
Hintergründe<br />
Das Thema Pay-Gap ist seit einiger Zeit<br />
ein sehr prominentes, auch die Gründe,<br />
wie dieser entstanden ist und sich<br />
so lange halten konnte wurden schon<br />
vielfach behandelt. Diese reichen vom<br />
langsamen Wachstum des Vertrauens<br />
Abbildung 2: Abbildung nach EIGE (2018): Gender Statistics Database, Public broadcaster: CEO, executives<br />
and non-executives (two highest decision-making bodies)<br />
© Copyright: pixabay/jessica45<br />
Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten<br />
5
Kathrin F. Müller<br />
Copyright: lfK<br />
in die Fähigkeiten von Frauen bis dazu,<br />
dass mehr Frauen als Männer sich intensiv<br />
um ihre Kinder kümmern und<br />
darum über ihre Elternzeit oder eine<br />
Teilzeitanstellung weniger Zeit in den<br />
Unternehmen verbringen.<br />
Doch warum stehen öffentlich-rechtliche<br />
Unternehmen hier besser da als<br />
das Durchschnittsunternehmen?<br />
Als eine der möglichen Erklärungen<br />
sieht Kathrin F. Müller die stärkere Regulierung<br />
der Unternehmen durch Aufsichts-<br />
und Rundfunkräte, die in ihren<br />
Entscheidungen auch plurale Anforderungen<br />
verschiedener gesellschaftlicher<br />
Gruppen an eine best practice hinsichtlich<br />
der Entlohnung von Männern<br />
und Frauen berücksichtigen müssen.<br />
Susanne Kirchhoff<br />
Copyright: Universität Salzburg<br />
Auch Dr. Susanne Kirchhoff, Assistenzprofessorin<br />
für Kommunikationswissenschaft<br />
an der Universität Salzburg,<br />
sieht den Hintergrund dafür<br />
unter anderem bei den Vorschriften,<br />
dass öffentlich-rechtliche Unternehmen<br />
Daten und Zahlen veröffentlichen<br />
müssten. „Durch Rechenschaftsberichte,<br />
durch die Festschreibung von<br />
durchzuführenden Maßnahmen, haben<br />
die öffentlich-rechtlichen Unternehmen<br />
transparente Möglichkeiten, um<br />
Gleichstellung zu bewirken.“ Diese Rechenschaftsberichte<br />
seien zwar nicht<br />
in allen europäischen Ländern gesetzlich<br />
vorgeschrieben, machen jedoch in<br />
jenen, die dazu verpflichtet sind, häufig<br />
einen Unterschied zu privatrechtlichen<br />
Unternehmen.<br />
Gesetzlich herrschen in der EU also Unterschiede,<br />
was den öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunk angeht, denn eigentliche<br />
Gesetze zur Gleichstellung gibt<br />
es aus dem Europäischen Parlament<br />
keine. Die EU-Gesetze beschränken<br />
sich vielmehr auf die Sicherstellung<br />
der freien Meinungsäußerung und der<br />
kulturellen Vielfalt, während die Gleichstellung<br />
von Frauen betreffend viele<br />
Richtlinien, Maßnahmenkataloge, Förderungen<br />
und ähnliches erstellt wurden.<br />
Auch wenn diese Richtlinien eben<br />
das bleiben: Richtlinien und keine Gesetze,<br />
haben sie einen Einfluss auf die<br />
weitere Gleichstellung von Frauen. Sie<br />
bestärken Mentoring-Programme und<br />
eine Vernetzung unter Frauen, die einen<br />
großen Teil zu ihrem Selbstbewusstsein<br />
beitragen. Trotzdem sind sich Kirchhoff<br />
und Müller einig, dass Richtlinien nicht<br />
die beste Möglichkeit seien, Gleichstellung<br />
zu erreichen. „Das Problem bei<br />
Richtlinien ist immer, dass sie zu wenig<br />
Verbindlichkeit schaffen. Sie rufen natürlich<br />
ein Problem ins Bewusstsein der<br />
Menschen und benennen es, aber ich<br />
fürchte fast, dass Freiwilligkeit einfach<br />
häufig nicht hilft,“ konstatiert Müller im<br />
<strong>SUMO</strong>-Interview.<br />
Zukunftsaussichten<br />
Ass.-Prof. Kirchhoff blickt der Zukunft<br />
von Frauen in Medienunternehmen<br />
allgemein positiv entgegen: „Es gibt<br />
immer mehr Bewusstsein für die Thematik<br />
Gleichstellung, und es gibt, glaube<br />
ich, immer mehr Bewusstsein dafür,<br />
dass es ökonomisch, sowohl für die<br />
Unternehmen als auch gesamtgesellschaftlich,<br />
keinen Sinn macht, Frauen<br />
zu benachteiligen, sei es nun individuell,<br />
aber auch strukturell.“<br />
Und so ist es nun auch kein Geheimnis,<br />
dass der Journalismus weiblicher wird:<br />
2007 waren laut „Journalisten-Report“<br />
42% aller JournalistInnen in Österreich<br />
weiblich.<br />
Die Frage ist laut Kirchhoff nicht die, wie<br />
man Frauen dazu bringt, den Journalistinnen-Beruf<br />
einzuschlagen, sondern:<br />
„Wie schaffen wir es, dass die Strukturen<br />
so sind, dass Frauen im Journalismus<br />
Karriere machen?“ Denn obwohl<br />
immer mehr Frauen im Journalismus<br />
arbeiten, steigt die Zahl in Führungspositionen<br />
nicht proportional dazu an.<br />
Generell sehen aber auch beide Expertinnen<br />
eine positive Entwicklung in der<br />
Zukunft als sehr wahrscheinlich an,<br />
auch wenn es noch einige Jahre dauern<br />
werde bis zu einer absoluten Gleichstellung.<br />
Müller sieht als wichtigste Voraussetzung<br />
nicht primär die Einführung von<br />
Frauenquoten in Unternehmen, sondern<br />
die Veränderung der gesellschaftlichen<br />
Mentalität, stets Unterschiede<br />
zwischen den Geschlechtern zu suchen,<br />
anstatt von einer geschlechtsunabhängigen<br />
Befähigung für Führungsaufgaben<br />
zu fragen. Und an dieser können<br />
alle mitwirken, indem im Alltag Geschlecht<br />
weniger Prägkraft zugeschrieben<br />
wird.<br />
von Johanna Schrey<br />
6<br />
Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten,
,,Ich will keine<br />
Quotenfrau sein!“<br />
Im <strong>SUMO</strong>-Interview bietet Christiana Jankovics, u.a. Trägerin des Frauenring-Preises,<br />
Einblicke in den Gleichstellungsplan des ORF. Zusätzlich<br />
spricht Birgit Moser-Kadlac über ihre langjährige Erfahrung als Leiterin<br />
der Personalabteilung bei ProSiebenSat.1 PULS 4. Unterschiedliche Zugänge<br />
zur Frage: Braucht es eine verpflichtende Frauenquote in Medienunternehmen?<br />
Der ORF ist per Gesetz dazu verpflichtet,<br />
schrittweise einen Frauenanteil von<br />
45% auf allen Gehalts- und Funktionsebenen<br />
zu erreichen. Federführend in<br />
der Entwicklung des dazugehörigen<br />
Gleichstellungsplans war Christiana<br />
Jankovics. Sie kümmert sich auch heute<br />
noch um jegliche Maßnahmen, die zur<br />
Erreichung der fixierten Quote notwendig<br />
sind. Eine solche Pflichtquote gibt<br />
es in den meisten privaten Medienunternehmen<br />
nicht, gleichwenig beim<br />
größten österreichischen TV-Betrieb –<br />
ProsiebenSat.1 PULS 4. Das habe laut<br />
der Leiterin der Personalabteilung bisher<br />
auch noch nie zu Konflikten geführt.<br />
Birgit Moser-Kadlac weiß, wovon sie<br />
spricht, denn sie setzt sich seit Jahren<br />
mit den Wünschen und Bedürfnissen<br />
der MitarbeiterInnen auseinander.<br />
Gleichstellungskommission, -beauftragte<br />
und -plan<br />
Christina Jankovics ist nicht nur Vorsitzende<br />
des Betriebsrats „Fernsehen<br />
Programm“. Sie ist auch eine von elf im<br />
Zentralbetriebsrat und hat zusätzlich<br />
noch einen Sitz im Stiftungsrat inne.<br />
Darüber hinaus spielt sie auch eine<br />
Schlüsselrolle in der Gleichstellungskommission<br />
des öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunks. Gleichstellungskommission<br />
– Was ist das? Was vermag sie?<br />
Was macht sie? Jankovics bietet darauf<br />
eine exakte Antwort: Im ORF gibt<br />
es zwei Gremien. Erstens die Gleichstellungskommission,<br />
die sich um die<br />
konzeptionelle Arbeit kümmert. Diese<br />
setzt sich aus jeweils fünf Führungskräften<br />
und fünf Mitgliedern des Betriebsrates<br />
zusammen. Zweitens gibt<br />
es die Arbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten,<br />
die insgesamt<br />
sechs ständige Mitglieder zählt. Diese<br />
ist mit der entsprechenden Umsetzung<br />
des Gleichstellungsplans betraut,<br />
erläutert Jankovics. Sie kümmert sich<br />
um Auswahlverfahren, organisiert Förderungs-<br />
und Ausbildungsprogramme<br />
sowie Schulungen. Sechs Mal jährlich<br />
versammeln sich die beiden Gremien.<br />
Auch bei ProsiebenSat.1 PULS 4 dient<br />
eine Gleichstellungsbeauftragte als<br />
Anlaufstelle bei anfälligen Beschwerden.<br />
Sonst gebe es keine weiteren betrieblichen<br />
Einrichtungen, die sich mit<br />
Genderfragen auseinandersetzten. Das<br />
wäre laut der Leiterin für Personalwesen<br />
bisher auch noch nie notwendig<br />
gewesen. Ein Blick auf die Personalstatistik<br />
zeigt, dass auch ohne Quote 52%<br />
der rund 500 MitarbeiterInnen weiblich<br />
sind. Zusätzlich weist der Privatsender<br />
eine hohe Dichte an Frauen in der Geschäftsleitung<br />
auf: Die Senderchefin<br />
von Puls4, die Gründerin des ,,4GAME-<br />
CHANGERS“-Festivals, die Chefin für<br />
den Informationsbereich sind neben<br />
der Personalchefin zu nennen.<br />
Im ORF ist ebenfalls ein positiver Trend<br />
absehbar. Der Frauenanteil steigt hier<br />
zwar langsamer, aber stetig an. Das<br />
Sparpaket des ORF sei Ursache dieser<br />
stockenden Entwicklung, verdeutlicht<br />
Jankovics. Strukturen würden zunehmend<br />
verflacht, Bereiche unterschiedlicher<br />
Medien wachsen zusammen. Das<br />
schmälere den Bedarf an Führungskräften<br />
enorm. Während auf mittlerer<br />
Führungsebene derzeit bereits 32% der<br />
Stellen auf eine Frau entfallen, wird in<br />
den Top-Führungspositionen nur jede<br />
© Copyright: unsplash/rawpixel<br />
,,Ich will keine Quotenfrau sein!“<br />
7
© Copyright: unsplash/Constellate<br />
vierte Position von einer Frau besetzt.<br />
Doch auch hier sei ein Zuwachs von 7%<br />
in den letzten sieben bis zehn Jahren zu<br />
beobachten, zeigt sich die Betriebsrätin<br />
erfreut.<br />
Karenz und Teilzeitarbeit keine reine<br />
Frauensache mehr<br />
Auch in Hinblick auf die Verteilung von<br />
Voll- und Teilzeitbeschäftigungen habe<br />
sich in den vergangenen Jahren einiges<br />
getan. Förderprogramme jedoch<br />
hätten dazu relativ wenig beigetragen,<br />
merkt Jankovics an. Wiederum seien<br />
die Sparmaßnahmen Grund dafür,<br />
dass Verträge mit einem Zeitausmaß<br />
von 80% immer beliebter würden. Väter<br />
müssen gezielt dazu ermutigt werden,<br />
vermehrt in Karenz zu gehen, heißt<br />
es im Gleichstellungsplan. In der Umsetzung<br />
dieser Vorschrift gebe es laut<br />
der Betriebsrätin aber noch Mängel.<br />
Anstatt die Vorzeigeväter im Zuge der<br />
,,Papa-Kampagne“ in höchsten Tönen<br />
zu loben, sollte es als selbstverständlich<br />
angesehen werden, dass sowohl<br />
Frauen als auch Männer ihren Anspruch<br />
auf Karenz oder Teilzeitbeschäftigung<br />
geltend machen. An dieser Stelle lasse<br />
sich auf die nordeuropäischen Länder<br />
verweisen. In Schweden etwa sei es<br />
schon seit Jahrzehnten so, dass beide<br />
Elternteile nur 70% arbeiten und sich<br />
somit die Kindererziehung aufteilen.<br />
Karenz ist auch ein Thema, das Moser-Kadlac<br />
sehr am Herzen liegt. Als<br />
Personalchefin und Mutter versucht<br />
sie Frauen, die aus der Karenzzeit zurückkehren<br />
schnellstmöglich wieder<br />
voll in den Job zu integrieren. Sie sieht<br />
darin eine wichtige Ressource: ,,In 20<br />
Stunden schafft eine junge Mutter sehr<br />
viel. Weil sie es von zu Hause gewohnt<br />
ist. Weil sie organisiert ist. Weil sie engagiert<br />
ist. Weil sie zentriert auf das<br />
Arbeiten ist. Die Mütter nehmen das<br />
sehr gut auf und fühlen sich hier auch<br />
wertgeschätzt. Weil man sie nicht aufs<br />
Abstellgleis stellt, sondern aktiv miteinbindet.“<br />
Sie selbst ist in der Elternteilzeit<br />
ohne Probleme in die Geschäftsleitung<br />
ernannt worden.<br />
Wenn Frauen von Frauen über Frauen<br />
lernen<br />
Seit 2007 gibt es im ORF ein Mentoring-Programm.<br />
Es gilt für alle Frauen,<br />
ob Nachwuchsjournalistin, Technikerin<br />
oder Mitarbeiterin der kaufmännischen<br />
Abteilung. Das Programm wurde innerhalb<br />
kürzester Zeit von 265 Frauen<br />
absolviert. Das Förderprogramm hilft<br />
aufstrebenden Frauen dabei, die ,,ungeschriebenen<br />
Gesetze“ des Unternehmens<br />
besser zu verstehen. Wie verkaufe<br />
ich meine Arbeit? Wie präsentiere<br />
ich mich, um als zukünftige Führungsperson<br />
in Frage zu kommen? Jankovics<br />
begründet das ausschließlich Frauen<br />
offen stehende Programm damit, dass<br />
das Erklimmen der Karriereleiter für sie<br />
ein meist steiniger Weg sei. ,,In Männern<br />
sieht man eher Führungspotential.<br />
Eine Frau muss sich erst einmal<br />
beweisen.“ Frauen fühlen sich dadurch<br />
häufig unter Druck gesetzt, glänzen zu<br />
müssen und sich keine Fehler zu erlauben.<br />
Um sich mit dem Thema Gender<br />
Bias (geschlechtsbezogene Verzerrung)<br />
auseinanderzusetzen, werden auch<br />
regelmäßige Seminare veranstaltet.<br />
Als Teil der Leadership-Lab ist das Besuchen<br />
eine Pflichtveranstaltung für<br />
zukünftige Führungskräfte im ORF.<br />
Genauso wie Führungskräfte Kenntnisse<br />
im Arbeitsrecht, der Bilanzierung<br />
oder der Kostenkalkulation nachweisen<br />
müssen, ist es Teil ihrer Ausbildung,<br />
ein Seminar über ,,Gendermainstreaming“<br />
zu besuchen. ,,Das Interesse ist<br />
bei Frauen und bei Männern, die sich eh<br />
schon dafür interessieren meist größer.<br />
Gerade die, die es eigentlich am nötigsten<br />
hätten gehen am wenigsten hin.“<br />
Das Besuchen eines oder zweier dieser<br />
Seminare reiche einfach nicht aus, um<br />
festgefahrene Denkweisen und Unternehmenskulturen<br />
zu kippen, bedauert<br />
die Genderbeauftragte.<br />
Im Gegensatz zum ORF gibt es bei<br />
ProsiebenSat.1 PULS 4 keine frauenspezifischen<br />
Schulungsangebote. Nach<br />
kurzem Überlegen nennt Moser-Kadlac<br />
eine Veranstaltung, die sich ,,Leading<br />
Ladies“ nennt. Dabei werden im<br />
Mutterkonzern in München vier Mal<br />
jährlich alle Frauen zum gemeinsamen<br />
Frühstücken und Erfahrungstausch<br />
eingeladen. Zusätzlich ist es auch im<br />
Tochterunternehmen möglich, die<br />
Kinderbetreuungsstelle des „Medien<br />
Quarter Marx“, dem Medienstandort<br />
in Wien in Anspruch zu nehmen. 2019<br />
solle dann endlich auch ein einheitliches<br />
Konzept zur Home-Office-Regelung<br />
stehen. All dies basiere auf freiwilliger<br />
Basis.<br />
Pflichtquote Ja oder Nein?<br />
Trotz weniger Schulungs- und Fördermöglichkeiten<br />
kategorisch für Frauen<br />
sieht Moser-Kadlac in Hinblick auf<br />
Maßnahmen zur Gleichberechtigung<br />
nur wenig Handlungsbedarf. Die Kultur<br />
eines Unternehmens sei typischerweise<br />
stark vom Management geprägt.<br />
Dabei sei es, betont die Personalchefin,<br />
der obersten Geschäftsführung immer<br />
wichtig gewesen, dass Chancengleichheit<br />
in allen Bereichen geboten werde.<br />
Es werde penibel darauf geachtet,<br />
dass man nur aufgrund der Leistung im<br />
Unternehmen aufsteigt. ,,Mitarbeiter-<br />
Innen bekommen bei uns eine Position,<br />
auch in gewissen Hierarchieebenen,<br />
weil sie eine gute Leistung bringen.“<br />
Eine Quotenanforderung könnte ihrer<br />
Meinung nach sogar dazu führen, dass<br />
sich Frauen schwach oder unterlegen<br />
fühlten. Zumindest sei das der Fall,<br />
wenn man ihnen das Gefühl gebe, dass<br />
sie nur wegen einer Quote eingestellt<br />
würden, was bei ProSiebenSat.1 PULS<br />
4 eben nicht zutrifft. Chancengleichheit<br />
werde im Unternehmen immer schon<br />
unausgesprochen gelebt und benötige<br />
daher keine strengen Vorgaben oder<br />
Vorschriften.<br />
Ganz anders wird das Thema von Jankovics<br />
betrachtet: Ein ,,Quoten vor<br />
Qualifikations“-Denken sei ein Märchen.<br />
Die Quotenregelung sorge nur<br />
dafür, dass bei gleich gut qualifizierten<br />
BewerberInnen nicht die ,,Münze“ entscheidet.<br />
Häufig stelle die fehlende<br />
Führungserfahrung ein Argument gegen<br />
die Einstellung einer jungen Frau<br />
dar. Damit dies nicht zum Stolperstein<br />
werde, benötige es Erfahrungen im Beruf.<br />
Daher sei es wichtig, dass nicht nur<br />
Männer mit der Leitung von Projektund<br />
Arbeitsgruppen betraut würden.<br />
Das rechtfertige auch die betriebliche<br />
Anordnung, für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis<br />
im Managen von<br />
Projekten zu sorgen. Ihrer Meinung<br />
nach benötige es diese Pflichtquote,<br />
um in dieser Hinsicht etwas in Bewegung<br />
zu setzen. ,,Das hat überhaupt<br />
nichts mit Qualitätsverringerung zu tun<br />
– im Gegenteil“, stellt sie bestimmt fest.<br />
8<br />
,,Ich will keine Quotenfrau sein!“
Birgit Moser-Kadlac<br />
Copyright: ProSiebenSat1PULS4<br />
Freiheiten neben strikten Normen<br />
Vom European Institute for Gender<br />
Equality (EIGE) wurde der ORF-Gleichstellungsplan<br />
als Best Practice befunden.<br />
Die Zentralbetriebsrätin erläutert,<br />
dass es in den meisten Medienbetrieben<br />
europäischer Länder, zumindest<br />
im öffentlich-rechtlichem Rundfunk,<br />
verpflichtende Schulungen, Frauenförderprogramme<br />
oder Gleichstellungsbeauftragte<br />
gebe. Jankovics würde es<br />
ebenfalls unterstützen, wenn auch<br />
mehr private Medienunternehmen in<br />
ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis<br />
investieren. Solche Projekte und<br />
Programme verursachen Kosten, aber<br />
auch Gewinne. Durch finanzielle Zuwendungen<br />
könnte man solche auch<br />
für kleine Medienbetriebe attraktiv machen.<br />
Um den Gleichstellungsprozess in die<br />
Gänge zu bringen, wurde 2007 eine<br />
Task Force gegründet. In der Gremienarbeit<br />
im Betriebsrat habe laut Christiana<br />
Jankovics die Dynamik gefehlt. ,,Wir<br />
wollen uns gar nicht bewerben, weil das<br />
eh schon immer ausgemacht ist“, lauteten<br />
Beschwerden. Auf dieses Alarmsignal<br />
musste entsprechend reagiert werden.<br />
Deshalb schlossen sich weibliche<br />
Führungskräfte und Mitglieder der Räte<br />
zusammen und gründeten dieses Lobbyingorgan.<br />
,,Wir haben die Frauen über<br />
Plakate und Mails innerhalb des ORF<br />
über unser Vorgehen informiert und zu<br />
einem Treffen eingeladen. Spontan sind<br />
an diesem Nachmittag über 250 MitarbeiterInnen<br />
erschienen. Das hat uns<br />
in unserer Idee bestärkt. Wir haben die<br />
Frauen gefragt: Woran krankt es? Was<br />
wünschen wir uns?“ Die Task Force<br />
dient seither Frauen als Anlaufstelle.<br />
Zusätzlich könne dadurch Druck auf<br />
die Gremien ausgeübt werden. ,,Wenn<br />
dort nichts mehr weiter geht, kann ich<br />
außerhalb der Gremienstrukturen und<br />
ihrer strengen Vorschriften eine Initiative<br />
schaffen, die etwas fordert.“ Und<br />
umgekehrt könnten Maßnahmen wie<br />
das Mentoring-Programm der Privatinitiative<br />
über Gremien wie dem Betriebsrat<br />
verankert werden.<br />
Ein weiteres erfolgreiches Projekt der<br />
Task Force sei ,,Gender Budgeting“. Dabei<br />
gehe es primär darum, den Einsatz<br />
von Finanzmitteln zu analysieren und<br />
festzustellen, ob der Einsatz von Geld<br />
neutral oder männer- und frauenspezifisch<br />
erfolge. Ziel sei es, den Gender-<br />
Pay-Gap im Rundfunkunternehmen<br />
zu senken, erläutert Jankovics. Das<br />
funktioniere ohne Zwänge und lasse<br />
viel Spielraum in der konkreten Umsetzung.<br />
,,Um den Gender-Pay-Gap zu<br />
verringern, kann ich versuchen, Frauen<br />
gezielt durch Kurse und Schulungen in<br />
eine höhere Position zu befördern. Ich<br />
kann aber auch Männer auffordern, in<br />
Karenz zu gehen.“<br />
Die eigene Einstellung ist das Problem<br />
,,Es ist meines Erachtens keine Frage<br />
der Qualifikation, sondern der Netzwerke“,<br />
unterstreicht Jankovics. Sie führt<br />
eine EIGE-Studie zum Freizeitverhalten<br />
der Geschlechter an. Frauen widmen<br />
ihre arbeitsfreie Zeit neben der Hausarbeit<br />
und der Kinderbetreuung vor allem<br />
der Selbstoptimierung. Sie bilden<br />
sich weiter, gehen ins Fitnessstudio,<br />
etc. Männer hingegen beschäftigen<br />
sich auch nach Feierabend vorwiegend<br />
mit dem Besprechen ihrer Arbeitstätigkeit<br />
oder nützen diese Zeit intensiv zur<br />
Netzwerkpflege.<br />
Moser-Kadlac kennt aus zahlreichen<br />
ihrer Gespräche mit Mitarbeiterinnen<br />
vor allem das folgende Problem: Frauen<br />
trauen sich verglichen mit Männern<br />
weniger zu. Sie nehmen einen Job nur<br />
dann an, wenn sie sich zu 100% sicher<br />
sind, dass sie der Position fachlich und<br />
persönlich gewachsen sind. Männer zögern<br />
seltener und sind selbstbewusster.<br />
Es sei wichtig, dass man den Frauen<br />
auch zeigt, dass es andere bereits geschafft<br />
haben und was alles möglich<br />
sei, betont die Personalchefin.<br />
Neben dem Wunsch Frauen in höhere<br />
Positionen zu befördern, versuchen<br />
beide Unternehmen ein ausgewogeneres<br />
Verhältnis in den darunter angesiedelten<br />
Abteilungen zu erreichen. So<br />
trifft man im Bereich „Programm“, wie<br />
auch in der kaufmännischen Direktion,<br />
eher eine Frau als Ansprechperson an.<br />
Aber auch in diesen von Frauen dominierten<br />
Bereichen sitzen überwiegend<br />
wieder nur Männer im Chefsessel, bedauert<br />
Jankovics. In anderen Abteilungen<br />
setze der ORF gezielt Maßnahmen,<br />
um den geforderten Frauenanteil zu<br />
„Ich will keine Quotenfrau sein!“<br />
9
steigern. Im Rahmen von ,,Frauen in<br />
die Technik“ wird nach Kamerafrauen,<br />
CutterInnen an Fachhochschulen und<br />
technischen Universitäten geworben.<br />
Häufig mangele es da nicht am Interesse.<br />
Dieselbe Erfahrung hat Moser-Kadlac<br />
in ihrem Unternehmen beobachtet.<br />
Auch hier sind vor allem die technischen<br />
Bereiche weiblich stark unterbesetzt. In<br />
der Sendeabwicklung gibt es nur eine<br />
einzige Frau. Das wundere sie jedoch<br />
wenig, denn harte Schicht- und Nachtarbeit<br />
seien nicht für Jedermann bzw.<br />
-frau das attraktivste Arbeitsumfeld. In<br />
anderen Bereichen, wie in der HR-Abteilung,<br />
wünscht sie sich sogar mehr<br />
männliche Bewerber. Es gebe also auch<br />
umgekehrt ein Problem. Jede Frau und<br />
jeder Mann setze andere Impulse und<br />
könne eine andere Dynamik einbringen.<br />
Vorteile einer Frau im Chefsessel<br />
Birgit Moser-Kadlac ist der Meinung,<br />
dass Chefinnen oft andere Führungsstile<br />
als männliche an den Tag legen.<br />
Frauen seien tendenziell emphatischer,<br />
was für eine Führungskraft essenziell<br />
ist, Männer bringen andere Aspekte ein.<br />
Es bedürfe einer perfekten Mischung.<br />
Jankovics dagegen betont, dass eine<br />
Frau nicht eine gänzlich neue Führungskultur<br />
schaffen könne, als bereits<br />
im Unternehmen bestehend. Der<br />
entscheidende Vorteil liege in möglichen<br />
Veränderungen im redaktionellen<br />
Programm, wenn eine Frau die<br />
Anweisungen erteile. ,,Ich will keine<br />
Gesellschaft haben, wo die Runde der<br />
Chefredakteure mir die Welt erklärt. Es<br />
ist immer noch ein solcher Gender Bias<br />
in der Welt. Ich glaube, dass in Zukunft<br />
noch ein viel stärkerer Fokus darauf liegen<br />
wird, was wir berichten. Vom Programmauftrag<br />
her sind wir verpflichtet<br />
die Gesellschaft so abzubilden, wie sie<br />
ist. Und wenn ich da nur den männlichen<br />
Blick habe, dann werde ich auf<br />
Dauer am weiblichen Publikum vorbeiproduzieren.“<br />
Beide sind sich einig, dass es häufig am<br />
Mut scheitere. ,,Wir haben eine Dame<br />
in der Sportredaktion – und das tut<br />
dem Team gut, wenn es verschiedene<br />
Sichtweisen gibt, da kommt eine andere<br />
Dynamik rein“, meint Moser-Kadlac.<br />
Die redaktionelle Arbeit anbelangend<br />
sei das Geschlecht zweitrangig. So hält<br />
im Ressort Politik eine Frau das Zepter<br />
in der Hand, während ein Mann für<br />
das weiblich ausgerichtete Format des<br />
Frühstücksfernsehens und des „Cafe<br />
Puls“-Magazins verantwortlich ist. ,,Ich<br />
könnte nicht sagen, wer für welchen Job<br />
hier besser geeignet ist. Das ist extrem<br />
persönlichkeits- und wissensgesteuert.<br />
Da geht es vielmehr um das Handwerk.<br />
Man kann ein Format für Frauen<br />
machen oder man kann es halt einfach<br />
nicht. Männer und Frauen können ähnlich<br />
für eine gewisse Sache brennen“,<br />
schließt Moder-Kadlac das <strong>SUMO</strong>-Interview<br />
ab.<br />
von Kathrin Weinkogl<br />
© Copyright: adobe stock/suriya silsaksom<br />
Unabhängiger Journalismus betrachtet Fakten immer von mehreren Seiten.<br />
Und stellt die richtigen Fragen. Online, im Fernsehen und auf Papier.<br />
,,Ich will keine Quotenfrau sein!“
Sexismus – der blinde Fleck<br />
des Journalismus<br />
Es sind reduzierende Kommentare. Unangebrachte Blicke. Lästige Nachrichten.<br />
Sexismus ist im Journalismus allgegenwärtig – und dennoch<br />
totgeschwiegen. In <strong>SUMO</strong> geben drei Journalistinnen den Betroffenen<br />
eine Stimme und sprechen über den blinden Fleck des Journalismus.<br />
„Du bist die neue Videomaus bei uns,<br />
oder?“, waren die ersten Worte von<br />
ihm an sie. Die „Videomaus“ heißt Lisa*<br />
und ist eigentlich Videojournalistin.<br />
Wir kommen Anfang Oktober 2018 an<br />
einem Stehtisch auf einem Event ins<br />
Gespräch. „Sexismus im Journalismus“,<br />
sagte sie, „gibt es selbstverständlich,<br />
gesprochen wird darüber aber nicht“.<br />
Warum Journalistinnen nicht sprechen,<br />
weshalb Sexismus speziell im Journalismus<br />
ein Thema ist und wie lange es<br />
dauert, dass Sexismus vergessen wird.<br />
Das männliche Gesamtsystem<br />
Journalismus ist in Österreich ein durchwegs<br />
männlich dominiertes Berufsfeld.<br />
Journalisten sind mengenmäßig in der<br />
Überzahl. Journalisten verdienen rund<br />
500 Euro mehr als Journalistinnen.<br />
Männer besetzen die höchsten Positionen<br />
in Österreichs Medienunternehmen.<br />
Das geht aus dem 2007 vom<br />
Medienhaus Wien publizierten „Journalisten-Report“<br />
hervor. Geht man in<br />
der Zeitleiste weiter zurück, klaffen Geschlechterverhältnis,<br />
Einkommen und<br />
die Frauenquote in Führungspositionen<br />
noch weiter auseinander. Dieses Ungleichgewicht<br />
bezeichnete Iris Radisch<br />
in der „ZEIT“ (Nr. 44, 2017) als „weitverzweigtes<br />
und historisch gewachsenes,<br />
männliches Gesamtsystem“. Man hätte<br />
gewusst, dass Rudolf Walter Leonhardt,<br />
1973-1986 stellvertretender<br />
Chefredakteur der „ZEIT“, übergriffig<br />
und anzüglich gegenüber Journalistinnen<br />
gewesen sei. Gesagt hätte man<br />
nichts. Im Nachruf des 2003 Verstorbenen<br />
steht, „er liebte schöne Frauen<br />
und elegante Autos“. Das männliche<br />
Gesamtsystem gewann.<br />
Shitty Media Men<br />
Es war im Oktober 2017, als ein Google<br />
Spreadsheet unter amerikanischen<br />
Journalistinnen die Runde machte. Im<br />
Zuge der #MeToo-Bewegung entstanden,<br />
listet das Dokument Journalisten,<br />
die durch sexistisches Verhalten<br />
auffielen. Journalistinnen ergänzten<br />
anonym Namen und leiteten sie an<br />
andere Journalistinnen weiter. Namen<br />
von 72 Journalisten, tätig bei „New<br />
York Times“, „Wall Street Journal“ oder<br />
„BuzzFeed“, stehen aktuell auf der Liste<br />
der „Shitty Media Men“. Ihnen werden<br />
unter anderem Vergewaltigung, sexuelle<br />
Übergriffe und sexuelle Belästigung<br />
vorgeworfen. Zeitgleich wurde in<br />
Österreich Reinhard Göweil aufgrund<br />
eines „anlassbedingten Vertrauensverlustes“<br />
fristlos von seiner Position<br />
als Chefredakteur der „Wiener Zeitung“<br />
abberufen. Zunächst wurden aufgrund<br />
des Regierungswechsels politische<br />
Hintergründe vermutet, schlussendlich<br />
wurde publik, dass Göweil eine freie<br />
Journalistin der „Wiener Zeitung“ belästigt<br />
haben soll. Es folgte ein Aufschrei<br />
über Sexismus in Österreichs Medienunternehmen,<br />
der aber schnell wieder<br />
verstummte.<br />
Auf die Weiblichkeit reduziert<br />
Melanie* ist Anfang 20, als sie ihr erstes<br />
Praktikum in einem Medienunternehmen<br />
absolviert. Beim Mittagessen<br />
in der Kantine wird sie vom Marketingleiter<br />
gebeten, abends in seinem Büro<br />
zu erscheinen. Trotz mulmigen Gefühls<br />
gibt sie dem Wunsch nach. Er bietet ihr<br />
einen Sessel und weißen Spritzer an.<br />
Fragt, wonach sie strebe. Was ihre Ziele<br />
seien. Was sie dafür tun würde, in diesem<br />
Unternehmen zu bleiben. Ob er bei<br />
© Copyright: unsplash/venveo<br />
Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus<br />
11
der Erreichung ihrer Ziele helfen könne.<br />
Es ist eine von vielen Situationen, in<br />
denen Melanie Sexismus am Arbeitsplatz<br />
erlebte. „Ich muss lange nachdenken,<br />
damit mir solche Momente wieder<br />
einfallen. In dem Moment, in dem ich<br />
mit Sexismus konfrontiert bin ärgere<br />
ich mich total darüber. Aber ständig<br />
mit mir herumtragen will ich das auch<br />
nicht“, sagt die Fernsehjournalistin. Sie<br />
vermutet, dass wenige Journalistinnen<br />
über ihre Erfahrungen mit Sexismus<br />
reden möchten, da es schlichtweg entwürdigend<br />
sei. „Man bemüht sich so<br />
sehr, man arbeitet wie verrückt, produziert<br />
dutzende Beträge… und dann gibt<br />
es Männer, die so mit dir reden“, erklärt<br />
sie. Meistens würde sie als Journalistin<br />
auf ihr Aussehen – ihre Weiblichkeit –<br />
reduziert werden. Ein ehemaliger Vorgesetzter<br />
von ihr hätte ihr vor kurzem<br />
gesagt, dass er und seine Freunde jetzt<br />
im Fitnessstudio gerne die von ihr moderierten<br />
Nachrichten ansehen. „Weil<br />
ich so geil, schön oder was auch immer<br />
bin. Als ob es keine Rolle spielen würde,<br />
was ich von mir gebe“, so Melanie. Die<br />
massive Reduktion aufs Aussehen hätte<br />
sie aber auch durch Kollegen erlebt.<br />
Statt einem männlichen Kollegen, der<br />
wie sie verkabelt war, wurde ihr vom<br />
Tonmann das Kabel abgenommen. Sie<br />
fragte, warum man ihr das Kabel abnehmen<br />
würde, wenn es doch bei ihrem<br />
Kollegen schneller ginge. „Mir ist schon<br />
klar, warum er lieber an dir herumfummelt“,<br />
antwortete der Kameramann und<br />
grinste.<br />
„Ich frage mich auch immer: Was erwartet<br />
man(n) sich von solchen Äußerungen?<br />
Dass ich mich bedanke? Dass ich<br />
ihn auf einen Kaffee einlade?“, so Melanie.<br />
Es könne nur ein „In-die-Schranken-Weisen“<br />
sein; eine Demonstration<br />
von Macht.<br />
Gefälle im Journalismus<br />
Von Machtdemonstration spricht auch<br />
Sandra Nigischer. Sie arbeitet als Chefin<br />
vom Dienst bei „Der Standard“ und<br />
als Obfrau von „Sorority“, einem feministischen,<br />
branchenübergreifenden<br />
Frauennetzwerk, das 2018 ein<br />
Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten<br />
publizierte. Gerade in<br />
Branchen wie dem Journalismus, wo<br />
es Gefälle zwischen Anstellungsverhältnissen,<br />
Geschlechtern sowie Angebot<br />
und Nachfrage gibt, käme es öfter<br />
zu Machtdemonstration bzw. -missbrauch.<br />
„Es gibt wenige Jobs, viele die<br />
sie wollen und wenige, die sie zu vergeben<br />
haben“, so Nigischer. Durch die<br />
vorherrschenden prekären Arbeitsverhältnisse<br />
im Journalismus würde<br />
Machtmissbrauch eher auf nährenden<br />
Boden fallen. Parallelen gäbe es auch<br />
zur Schauspielbranche: „Es ist kein Zufall,<br />
dass #MeToo hier so aufgeschlagen<br />
ist. Auch dort entscheiden wenige über<br />
Karrieren von vielen.“ Sie selbst habe<br />
sexistisches Verhalten – oft getarnt als<br />
Altherrenschmähs – sowohl durch Vorgesetzte<br />
als auch Kollegen erfahren. Bei<br />
Gleichgestellten wäre man aber eher in<br />
der Lage, als Frau darauf zu reagieren.<br />
Außerdem betont sie: „Für Journalistinnen,<br />
die dem Wohlwollen anderer eher<br />
ausgeliefert sind – also als Freie oder<br />
Praktikantinnen – ist es schwieriger, in<br />
solchen Situationen zu kontern.“ Daher<br />
sieht Nigischer in Bezug auf Sexismus<br />
jene Personen in der Verantwortung,<br />
die nicht prekär arbeiten und Vorfälle<br />
beobachten. Es müsse nicht unbedingt<br />
der Gang zur/zum Vorgesetzen sein, oft<br />
könne es auch helfen, Betroffene anzusprechen<br />
und Hilfe anzubieten. Denn<br />
nichts sei für Betroffene schlimmer, als<br />
mit Sexismus alleine gelassen zu werden.<br />
© Copyright: unsplash/Samuel Zeller<br />
12<br />
Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus
Nicole Schöndorfer<br />
Copyright: privat<br />
Sandra Nigischer<br />
Copyright: Pamela Rußmann<br />
„Du gehörst mal wieder richtig durchgenommen“<br />
Café Westend im 7. Wiener Gemeindebezirk.<br />
Nicole Schöndorfer erzählt bei einem<br />
Cappuccino darüber, wie sie Sexismus tagtäglich<br />
erlebt. Als freie Journalistin seien<br />
es weniger Kollegen oder Vorgesetzte, mit<br />
denen sie zu kämpfen habe, sondern LeserInnen.<br />
„Meist ist es sowas in die Richtung:<br />
‚Schön ist sie eh, aber können tut<br />
sie nichts’“, so Schöndorfer. „Oder“, wirft<br />
sie ein, „sie sagen, ich gehöre mal wieder<br />
richtig durchgenommen.“ Dennoch kenne<br />
sie „genug derartige Geschichten“ aus<br />
Redaktionen, die „in Richtung der ,Wiener<br />
Zeitung‘ gehen“. Das Problem sei,<br />
dass Journalistinnen bei Veröffentlichung<br />
von Vorfällen „Victim Blaming“, also der<br />
Täter-Opfer-Umkehr, ausgesetzt seien.<br />
Außerdem würde frau in einem kleinen<br />
Medienland wie Österreich schnell einen<br />
gewissen Stempel bekommen. Ein Fehler<br />
sei es zudem, dass Frauen mit dem Gedanken<br />
sozialisiert werden, sexistische<br />
Äußerungen als Kompliment aufzufassen.<br />
„Uns wird ja vermittelt: Freu dich, wenn<br />
dein Chef dich attraktiv findet! Nutz es für<br />
dich“, so Schöndorfer. Nichtsdestotrotz sei<br />
es vorrangig das System, welches Sexismus<br />
im Journalismus begünstige: „Männer<br />
sind im Journalismus irrsinnig gut vernetzt.<br />
Sie haben viel mehr Unterstützung, als sie<br />
Frauen je haben werden.“<br />
Ein Neubeginn<br />
Sexismus ist der blinde Fleck des Journalismus.<br />
Und vermutlich wird er es auch<br />
noch länger sein. Das zeigt auch die letzte<br />
Entwicklung im Fall der „Wiener Zeitung“:<br />
Reinhard Göweil ist mittlerweile Vorsitzender<br />
des Redaktionsbeirats von „Top Leader“.<br />
Das jährlich erscheinende „Premium<br />
Print-Produkt berichtet über Menschen,<br />
die es geschafft haben“ und „betreibt keinen<br />
Aufdeckerjournalismus“. Zwischen Göweils<br />
Entlassung und seiner Einberufung<br />
als Vorsitzender eines Redaktionsbeirats<br />
lagen genau 270 Tage. 270 Tage dauerte<br />
es, dass ein Mann, der durch Sexismus<br />
auffiel, erneut eine Führungsposition bekommt.<br />
Was es braucht, ist ein Umdenken. Es<br />
liegt an Führungskräften, eine Umgebung<br />
zu schaffen, in der Sexismus keinen Platz<br />
mehr findet. Es liegt an Tätern, Verantwortung<br />
für ihr Fehlverhalten zu tragen.<br />
Es liegt allen JournalistInnen, nicht wegzusehen.<br />
Damit Sexismus nicht länger der<br />
blinde Fleck einer Branche ist.<br />
von Anna Putz<br />
*Name von der Redaktion geändert<br />
© Copyright: adobe stock/Gandini<br />
Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus<br />
13
Mühsam ernährt sich das<br />
Gender-Eichhörnchen,<br />
aber es ernährt sich!<br />
Ein Verteidigungsminister schafft das Binnen-I beim Bundesheer ab, das es<br />
nie gegeben hat. Die Debatte um die „Töchter“ in der Bundeshymne ist auch<br />
nach Jahren nicht beendet, und in Deutschland werden heiße Diskussionen<br />
um „Kundinnen“ auf Sparkassen-Formularen geführt: Zeit für <strong>SUMO</strong>, sich<br />
dem Thema geschlechtergerechte Sprache und Journalismus zu widmen.<br />
Wien. Ein ungewöhnlich warmer November-Nachmittag.<br />
Diffuses hellgoldenes<br />
Sonnenlicht dringt an manchen<br />
Stellen durch eine immer dichter werdende<br />
Wolkendecke. Ein hoher Torbogen<br />
in einer dicken Backsteinmauer<br />
markiert den Eingang zu einem ungewöhnlichen<br />
Ort:dem St. Marxer Friedhof.<br />
Im Frühling blüht hier Flieder, im<br />
Moment dominieren erdige Farbtöne.<br />
Welke Blätter werden vom Wind über<br />
den gekiesten Weg getrieben. Folgt<br />
man diesem Weg, kommt man vorbei<br />
an mehr oder weniger zerfallenen<br />
Grabstätten aus grauem Sandstein. Ein<br />
bisschen morbider Charme, aber wo<br />
passt dasbesseralshier. Gleich auf der<br />
rechten Seite jetzt, ein wenig versteckt,<br />
der Grund für unseren gemeinsamen<br />
Ausflug: Ein junger Mann liegt hier begraben,<br />
1762 verstorben. Der Schriftzug<br />
ist ein wenig verwittert, aber noch<br />
lesbar. „Von den Eltern“, ein Name und<br />
darunter „Studierender“. „Studierender“.<br />
Es ist nicht für möglichzuhalten. Dieses<br />
Unwort, das so vielen Menschen<br />
heute Kummer bereitet und für schlaflose<br />
Nächte sorgt, ist wohl scheinbar<br />
doch keine Erfindung des viel zitierten<br />
„Gender-Wahns“, sondern hat schon<br />
ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel.<br />
Ein in Stein gemeißelter Beweis dafür,<br />
dass Worte und Sprache mit der Zeit<br />
kommen und gehen. Dass Sprache und<br />
sprachliche Veränderung immer ein Abbild<br />
der Gesellschaft und somit gesellschaftlicher<br />
Veränderung sind. Bevor<br />
manche unter Ihnen nun ob der vermeintlichen<br />
Inflation des Themas „Gendern“<br />
schnell weiterblättern – nein,<br />
dieser Beitrag beinhaltet per se kein<br />
Plädoyer für Sternchen, Binnen-I, Unterstrich,<br />
Doppelnennung oder jegliche<br />
weitere Form der geschlechtergerechten<br />
Sprache. <strong>SUMO</strong> traf sich mit Maria<br />
Mesner, Leiterin des Referats Genderforschung<br />
und Studienprogrammleiterin<br />
für Gender Studies an der Universität<br />
Wien, und Jürgen Spitzmüller, Professor<br />
für Angewandte Sprachwissenschaft<br />
am Institut für Sprachwissenschaft der<br />
Universität Wien, um über Bedeutung,<br />
Akzeptanz und Entwicklung geschlechtergerechter<br />
Sprache zu diskutieren.<br />
Eine interessante Erkenntnis aus den<br />
Gesprächen gleich vorab: Die Diskussion<br />
ob Sternchen oder Unterstrich hält<br />
auf!<br />
Hallo, ich bin’s, die geschlechtergerechte<br />
Sprache!<br />
Um über die Akzeptanz und Bedeutung<br />
von „Gendern“ schreiben zu können,<br />
ist es zunächst wichtig zu verstehen,<br />
was geschlechtergerechte Sprache bedeutet.<br />
In der Fachliteratur wird „Gendering“<br />
oder „Gendern“ als Erstellung<br />
eines Textes oder die Umformulierung<br />
© Copyright: pixabay_geralt.<br />
14<br />
Mühsam ernährt sich das Gender-Eichhörnchen, aber es ernährt sich!
eines Textes nach den Richtlinien geschlechtergerechten<br />
Formulierens verstanden.<br />
Um einen Sprachgebrauch<br />
herzustellen, der die Gleichstellung<br />
der Geschlechter zum Ausdruck bringt<br />
wird durch „Gendern“ das bestehende<br />
Sprachsystem in Orthografie, Vokabular<br />
oder auch Grammatik angepasst.<br />
Generell kann zwischen Sichtbarmachung<br />
(Aufführung aller Geschlechter)<br />
und Neutralisierung (Vermeidung jeglichen<br />
Geschlechtsbezugs) differenziert<br />
werden. Professor Spitzmüller<br />
beschäftigt sich unter anderem mit<br />
Sprache als System, Sprachgeschichte<br />
bzw. -wandel und damit, welche Rolle<br />
Sprache in einer und für eine Gesellschaft<br />
hat. Sprachgebrauch habe Konsequenzen,<br />
weil Sprache bewertet und<br />
Einschätzungen trifft, denn die Art und<br />
Weise wie wir Dinge bezeichnen sei<br />
nicht zufällig. Betreffend „Gendern“<br />
gebe es jedoch auch innerhalb der<br />
Sprachwissenschaften sehr viele unterschiedliche<br />
Meinungen, so Spitzmüller.<br />
Eine sei die konservativ klassische<br />
Variante der Trennung des Geschlechts,<br />
da die generische Genus-Zuordnung<br />
an sich nichts mit Sprache zu tun habe.<br />
Auch Beid-Nennungen oder eine Abwechslung<br />
der Formen würden in den<br />
Sprachwissenschaften vertreten. Und<br />
schließlich gebe es da noch die orthografischen<br />
und grafischen Varianten<br />
des Binnen-I, Sternchens oder Unterstrichs.<br />
Spitzmüller selbst verwendet<br />
das Sternchen. Universitätsdozentin<br />
Maria Mesner verfasste bereits als<br />
Studentin vor 40 Jahren eine wissenschaftliche<br />
Arbeit zum Thema „Genus<br />
und Sexus“. Seitdem sei eine Vielzahl<br />
verschiedener Formen an ihr vorbei gegangen,<br />
auch werde es noch viele neue<br />
Formen geben. Doch im Grunde ist laut<br />
Mesner das Entscheidende, durch geschlechtergerechte<br />
Sprache all jene zu<br />
repräsentieren, die tatsächlich gemeint<br />
sind. Das bedeute jedoch nicht in jedem<br />
Zusammenhang alle einzuschließen,<br />
sondern eine Sensibilität und ein Gefühl<br />
für Sprache herzustellen – es mache<br />
keinen Sinn, Personen zu inkludieren,<br />
die schlichtweg nicht erfasst sein sollen.<br />
Die Form um genau das zu erreichen<br />
sei zweitrangig, für Mesner geht<br />
es um „realitätsgerechte“ Sprache.<br />
It wasn’t acceptable in the 80s, but is<br />
it acceptable at the time?<br />
Schauplatzwechsel. Vom St. Marxer<br />
Friedhof in Wien zum Uni-Teich der Johannes<br />
Kepler Universität Linz. Es regnet<br />
leicht. Am Betonrand des Teiches<br />
drängen sich die Uni-Enten. Es ist Vormittag.<br />
Aus dem schwimmenden Lokal<br />
„Teichwerk“ weht einem der Duft selbst<br />
gemachter Waffeln entgegen. Aus dem<br />
Hauptgebäude strömen Studierende.<br />
Mühsam ernährt sich das Gender-Eichhörnchen, aber es ernährt sich!<br />
15
Jürgen Spitzmüller<br />
Copyright: Barbara Mair<br />
Maria Mesner<br />
Copyright: Katharina Arbeithuber<br />
eine Pflichtlehrveranstaltung. Eine Tatsache,<br />
die bei zwei Studentinnen zu<br />
einer heftigen Diskussion geführt hat:<br />
„Gendern ist nur nervig.“ „Es hat einfach<br />
null Sinn und bringt überhaupt<br />
nichts.“ Ein paar Gesprächsfetzen, die<br />
in Erinnerung geblieben sind. Die Meinung<br />
der Studentinnen entspricht dem<br />
Tenor, der oft auch in der öffentlichen<br />
Wahrnehmung geschlechtergerechter<br />
Sprache herrscht. Ein weiteres Argument,<br />
das in dieser Debatte vielfach<br />
zum Tragen kommt: „Gibt es denn keine<br />
größeren Probleme?“ Warum nun<br />
scheint „Gendern“ ein so zentrales Anliegen<br />
von BefürworterInnen zu sein,<br />
das dabei so heftige Reaktionen auf<br />
der Gegenseite auslöst? Und wie ist es<br />
um die Akzeptanz der geschlechtergerechten<br />
Sprache bestellt? Univ.-Doz.<br />
Mesner geht davon aus, dass die Frage<br />
der Identitäts- und Reputationspolitik<br />
durch „Gendern“ deswegen so relevant<br />
sei, weil es zu kompliziert sei, andere<br />
Dinge zu ändern. Das Ohnmachtsgefühl<br />
entscheidende Fragen der Gleichstellung<br />
nicht lösen zu können, so die<br />
Wissenschafterin, könne zu dieser Fokussierung<br />
auf Repräsentationsfragen<br />
geführt haben und bilde eine politische<br />
Hilflosigkeit ab. Das Argument „Gibt es<br />
nichts wichtigeres?“ hält sie jedoch für<br />
eine nicht sehr erfinderische Strategie,<br />
um dem Gegenüber die Berechtigung<br />
abzusprechen. Die in der öffentlichen<br />
Wahrnehmung suggerierte geringe<br />
Akzeptanz von geschlechtergerechter<br />
Sprache führt Mesner auf ein Konglomerat<br />
von Polarisierung in der Gesellschaft,<br />
Veränderungsbedrohung und<br />
Verweigerung zurück. Die Verwendung<br />
geschlechtergerechter Sprache sei zu<br />
einem Symbol für Veränderung in einer<br />
Gesellschaft geworden, und Veränderung<br />
löse bei einem Teil der Menschen<br />
immer Angst und Aggression aus. Dabei<br />
konnte die Bedeutung und Auswirkung<br />
geschlechtergerechter Sprache<br />
bereits mehrfach in empirischen Studien<br />
nachgewiesen werden. Psycholinguistische<br />
Experimente, für Jürgen<br />
Spitzmüller stärkstes Argument um die<br />
Akzeptanz geschlechtergerechte Sprache<br />
zu erhöhen, konnten nachweisen,<br />
dass bei einer Verwendung von rein<br />
männlichen Formen eben nicht beide<br />
Geschlechter automatisch mitgedacht<br />
werden. So kam Elke Heise (Universität<br />
Göttingen) in einer anno 2000 durchgeführten<br />
Studie zu dem Ergebnis,<br />
wonach eine Gleichverteilung männlicher<br />
und weiblicher Repräsentationen<br />
ausschließlich bei der Verwendung der<br />
Schrägstrich-Schreibweise auftritt, wohingegen<br />
das generische Maskulinum<br />
zu einem höheren Anteil repräsentierter<br />
Männer, die Binnen-I-Form zu<br />
einem höheren Anteil repräsentierter<br />
Frauen führt. In einer 2015 veröffentlichten<br />
Studie konnten Dries Vervecken<br />
und Bettina Hannover (Freie Universität<br />
Berlin) nachweisen, dass sich bei einer<br />
Verwendung der weiblichen Bezeichnungen<br />
für typische Männerberufe<br />
mehr Mädchen vorstellen können diesen<br />
Beruf zu ergreifen. Umgekehrt ist<br />
das auch der Fall für Burschen bei einer<br />
Verwendung der männlichen Form für<br />
typische Frauenberufe. Die Studien zeigen<br />
somit, dass Sprache eine hohe Bedeutung<br />
hat und wir nicht neutral denken.<br />
Und hier kommt der Journalismus<br />
ins Spiel.<br />
Nun doch ein kleiner Appell<br />
Sprache ist das Werkzeug des Journalismus<br />
schlechthin. Wenn es also darum<br />
geht, ein Bewusstsein und Gewohnheit<br />
herzustellen, können Medien einen<br />
entscheidenden Beitrag zur Akzeptanz<br />
von geschlechtergerechter – oder wie<br />
Mesner es ausdrückt – „realitätsgerechter“<br />
Srpache leisten. Die Regeln von<br />
Sprache sind Konvention. Per Definition<br />
kann Sprache also nicht falsch oder<br />
richtig sein. Die Konventionen ändern<br />
sich dann, wenn es genug Teilnehmende<br />
einer Sprachgemeinschaft gibt, die<br />
Veränderung dadurch weniger auffällig,<br />
irgendwann üblich und somit nicht<br />
mehr als störend empfunden wird. Die<br />
gesellschaftlichen Funktionen die Medien<br />
und Journalismus erfüllen, sollten<br />
daher auch der geschlechtergerechten<br />
Sprache zu Gute kommen. Denn Journalismus<br />
definiert, was wir jeden Tag<br />
lesen, hören und wahrnehmen. Trotzdem<br />
wird weder in österreichischen<br />
noch deutschen Medien durchgängig<br />
„gegendert“. Argumentiert wird das<br />
oftmals mit der Ästhetik der Sprache.<br />
Diese wurde auch in der Entscheidung<br />
des deutschen Rechtschreibrates angeführt.<br />
Im letzten Sommer entschied<br />
sich der deutsche Rechtschreibrat gegen<br />
die Aufnahme des Sternchens und<br />
des Binnen-I in den Duden. Der Rat sah<br />
„die Schreibentwicklung als nicht so<br />
weitgediehen an, dass das Regelwerk<br />
der amtlichen deutschen Rechtschreibung<br />
geändert werden sollte.“ Maria<br />
Mesner kommentiert diese Entscheidungsbegründung<br />
mit einem Lachen:<br />
„Ja, die Sprache wird verschandelt und<br />
das Abendland geht unter.“ Für Jürgen<br />
Spitzmüller ist es der Rechtschreibrat,<br />
der vielleicht noch nicht bereit ist. Auch<br />
er kann dem Argument der fehlenden<br />
Ästhetik geschlechtergerechter Sprache<br />
nichts abgewinnen. Denn Ästhetik<br />
sei Geschmack und Bewertung. Durch<br />
Sozialisierung empfinden wir gewisse<br />
Sprachformen für richtig und angemessen<br />
und damit schön. Ästhetische Sprache<br />
existiere daher nur als gesellschaftliches<br />
Konstrukt. Spitzmüller zieht hier<br />
einen Vergleich zur Kunst. Gerade weil<br />
es stört und eine Irritation ist, werden<br />
manche Dinge von uns in der Kunst als<br />
schön wahrgenommen. Warum sollte<br />
also nicht auch der irritierende Unterstrich<br />
oder das Sternchen schön sein?<br />
Es gibt natürlich auch positive Entwicklungen<br />
betreffend geschlechtergerechte<br />
Sprache und Journalismus. War es<br />
vor wenigen Jahren noch undenkbar,<br />
ist heute beispielsweise im Radio die<br />
Ansprache des Publikums über beide<br />
Geschlechtergang und gäbe. Das deutsche<br />
Onlinemagazin „ze.tt.de“, ein Angebot<br />
von „Zeit-Online“, gendert als<br />
erstes kommerzielles Online-Magazin<br />
durchgängig nach einem eigens entwickelten<br />
Styleguide. „Mühsam ernährt<br />
sich das Eichhörnchen, aber es ernährt<br />
sich“, so Mesner. Also liebe Journalistinnen,<br />
Journalisten und Medienschaffende:<br />
Ja, es gibt keinen einfachen einzig<br />
richtigen Fahrplan für das „Gendern“. Ja,<br />
„Gendern“ kann mitunter mühsam sein<br />
und Widerstände hervorrufen. Aber:<br />
„Gendern“ heißt sich zu einer gesellschaftlichen<br />
Veränderung zu bekennen<br />
und damit auch zu dieser Veränderung<br />
beizutragen. Und ist es nicht genau das,<br />
was Journalismus sich zum Ziel setzt?<br />
von Katharina Arbeithuber<br />
16<br />
Mühsam ernährt sich das Gender-Eichhörnchen, aber es ernährt sich!
Gender Diversity<br />
im Filmbusiness<br />
<strong>SUMO</strong> sprach mit Lena Lisa Vogelmann, die mit Eva Flicker Autorin des<br />
„Film Gender Report“ ist, und Iris Zappe-Heller, stv. Direktorin des österreichischen<br />
Filminstituts, über die Geschlechterverhältnisse in der Branche.<br />
Ein Novum: Durch den „Film Gender Report“<br />
wurde zum ersten Mal die österreichische<br />
Filmlandschaft umfassend<br />
auf Geschlechterunterschiede hin analysiert.<br />
Dabei standen unter anderem<br />
Arbeitsplätze und Bezahlung von 2.590<br />
Personen bei eingereichten Kinofilmprojekten<br />
im Zeitraum 2012 bis 2016<br />
im Fokus.<br />
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen<br />
Ähnlichkeiten mit der Studie „Film<br />
und Gender“ der deutschen Filmförderungsanstalt<br />
2017. Bereiche wie<br />
Casting oder Kostümbild sind hauptsächlich<br />
von Frauen besetzt, während<br />
bei den Produktionsstellen Licht und<br />
Ton der Großteil der Arbeitsplätze den<br />
Männern vorbehalten sind. Auch in den<br />
Bereichen Regie und Produktion dominiert<br />
das männliche Geschlecht. „Meine<br />
Erfahrungen zeigen, dass in der Regie<br />
notwendige Eigenschaften wie Dominanz<br />
oder Führungsqualität eher Männern<br />
zugeschrieben werden“, sagt Lena<br />
Lisa Vogelmann, eine der beiden Autorinnen<br />
des „Film Gender Report“. Der<br />
Bereich Casting wird von ihr als ein sozialer<br />
Beruf beschrieben, bei dem man<br />
viel mit Menschen in Kontakt komme<br />
und sehr kommunikativ sein müsse.<br />
Solche Eigenschaften würden andersrum<br />
mehr den Frauen zugeordnet. Für<br />
Iris Zappe-Heller ist die Vorstellung von<br />
typisch weiblichen und typisch männlichen<br />
Berufen schon in der Kindheit verankert:<br />
„Diese Verteilung beginnt schon<br />
in der Kindheit, wo Mädchen beigebracht<br />
wird, mit Puppen zu spielen und<br />
Buben mit Autos.“ Einen zweiten Grund<br />
für diese geschlechterungleiche Verteilung<br />
bei den Arbeitsplätzen sieht sie<br />
aber auch darin, dass „typisch männliche“<br />
Berufe hochwertiger bezahlt sind<br />
und es für eine Frau schwer ist, darin<br />
Fuß zu fassen. Ist die Regie weiblich<br />
besetzt, so steige der Anteil der Frauen<br />
in den Stabstellen – zurückzuführen<br />
sei dies auf den Netzwerk-Effekt. „Das<br />
Filmschaffen ist viel von Netzwerken<br />
geprägt, die männlich dominiert sind“,<br />
meint Vogelmann, „gerade die österreichische<br />
Filmbranche ist nicht groß, da<br />
ist es schwierig, als Frau Fuß zu fassen.“<br />
Besonders Männer in Entscheidungspositionen<br />
neigen dazu, mit ihresgleichen<br />
zusammenzuarbeiten, während<br />
Frauen dies geschlechterparitätisch<br />
handhaben.<br />
Auch bei den Löhnen fänden sich Differenzen.<br />
In Positionen, die nicht nach<br />
Kollektivvertrag bezahlt werden wachse<br />
die Kluft. „Die Bereiche Regie und<br />
Produktion sind oft dem Filmbudget<br />
entsprechend bezahlt. Wenn Produktionen,<br />
bei denen vorwiegend Männer<br />
beteiligt sind mehr Budget erlangen,<br />
dann ist auch deren Gehalt höher, das<br />
ist Fakt“, resümiert Vogelmann.<br />
Schweden als Vorbild<br />
Ein international bewährtes Messinstrument,<br />
um die Präsenz von Frauen<br />
in Filmen zu beschreiben ist der<br />
„Bechdel-Wallace-Test“. Um die Geschlechterkonstellation<br />
darstellen zu<br />
können, müssen drei Kriterien erfüllt<br />
sein: Es müssen mindestens zwei Frauen<br />
vorkommen, sie müssen miteinan-<br />
© Copyright: pexels_tong.<br />
Gender Diversity im Filmbusiness<br />
17
der sprechen und das Thema darf sich<br />
nicht um Männer handeln. Bei einer<br />
weiteren Methode, dem „Mako-Mori-Test“,<br />
wird nicht die Präsenz der Frau<br />
beschrieben, sondern ihre Darstellung<br />
und ihr Handeln. In der Filmhandlung<br />
muss es zumindest eine Frau geben, die<br />
einerseits ihren eigenen Handlungsstrang<br />
hat und andererseits dabei nicht<br />
die Handlung des Mannes unterstützt.<br />
Durch die Verleihung von Preisen, wenn<br />
ein Film den „Bechdel-Wallace-Test“<br />
besteht, wird Schweden zum Paradebeispiel.<br />
Seit 20 Jahren engagiert sich<br />
das Land für die Gleichstellung im Filmgeschäft<br />
und mit solchen Initiativen<br />
wirkt es Schieflagen im Filmschaffen<br />
entgegen. Obwohl Österreich sich erst<br />
seit 2013 aktiv mit Genderangelegenheiten<br />
in der Filmbranche beschäftigt,<br />
wird es auf europäischer Ebene nach<br />
Schweden als zweiterfolgreichstes<br />
Land aufgrund seiner Maßnahmen gesehen.<br />
„Ich arbeite auf europäischer<br />
Ebene mit anderen Länder bezüglich<br />
dieser Angelegenheit zusammen und<br />
obwohl Schweden als klares Vorbild für<br />
uns gilt, hat Österreich seine eigene Position<br />
behauptet“, erläutert Zappe-Heller,<br />
Zuständige für Gender- und Diversity-Angelegenheiten<br />
im Filminstitut.<br />
Was die Diversität Österreichs betrifft,<br />
so hätte man noch Handlungsspielraum:<br />
„Bei diesem Punkt stehen wir<br />
noch am Anfang. Ein Vorbild hier wäre<br />
Großbritannien, aber auch Länder wie<br />
Kanada setzen sich hierbei aktiv ein.“<br />
Gender Incentive als ausgleichende<br />
Kraft<br />
Ein Werkzeug um Geschlechterungleichheiten<br />
zu minimieren, steht mit<br />
dem Gender Incentive Modell des österreichischen<br />
Filminstituts zur Verfügung.<br />
Werden bei einem Filmprojekt gewisse<br />
Stabstellen (Produktion, Regie und weitere)<br />
weiblich besetzt, so erhält die Produktionsfirma<br />
zusätzliche Fördermittel<br />
in Höhe von 30.000 Euro für ein darauffolgendes<br />
Projekt. Dieses muss wiederum<br />
zu einem gewissen Anteil weiblich<br />
besetzt sein. Im März 2017 ist dieses<br />
Modell in Kraft getreten und man könne<br />
auch schon Erfolge verzeichnen: „Der<br />
Beobachtungszeitraum beträgt zwar<br />
nur knapp zwei Jahre, jedoch kann man<br />
jetzt schon sagen, dass die Tendenz klar<br />
steigend ist.“ Haben im Jahr 2017 vier<br />
Projekte die Zusage des Gender Incentive<br />
Modells bekommen, so waren es<br />
im Jahr 2018 bereits elf. „Produzenten,<br />
die nie an genderparitätische Besetzung<br />
der Stabsstellen gedacht haben,<br />
sind plötzlich für diese Positionen auf<br />
der Suche nach Frauen“, resümiert die<br />
stellvertretende Direktorin des österreichischen<br />
Filminstituts. Jedoch hat<br />
das Institut auch andere Maßnahmen in<br />
die Wege geleitet, um die Geschlechtervielfalt<br />
in der Filmbranche zu steigern.<br />
„Ein weiteres Projekt ist der Drehbuchwettbewerb,<br />
der zum Ziel hat, Frauenfiguren<br />
jenseits von Klischees und Stereotypen<br />
auf die Leinwand zu bringen“,<br />
meint Zappe-Heller.<br />
Zeit für Veränderung<br />
Geht es um die Zukunft, ist sich Vogelmann<br />
sicher, dass es eine neue Denkweise<br />
braucht. „Es wäre wichtig nicht<br />
nur zu fragen ‚was können wir tun, um<br />
Frauen zu stärken’, sondern wir sollten<br />
erfolgreichen Männern klarmachen,<br />
dass sie auch mit Frauen arbeiten können.“<br />
Dies soll das Gender Incentive Modell<br />
bewirken. „Es bedarf einer Änderung<br />
in unserer Gesellschaft – nicht nur<br />
in der Filmbranche. Film ist ein Medium,<br />
das gesellschaftliche Veränderungen<br />
widerspiegelt und kann sie, je nachdem<br />
wie es eingesetzt wird, behindern oder<br />
beschleunigen“, so Zappe-Heller. Es<br />
geht nicht darum, in Zukunft nur mehr<br />
Filme von Regisseurinnen auf den Leinwänden<br />
zu sehen, sondern unsere Gesellschaft<br />
in all ihrer Diversität.<br />
Iris Zappe-Heller<br />
Copyright: Michael Sazel<br />
von Stefanie Brandstetter<br />
Lena Lisa Vogelmann und Eva Flicker (von links)<br />
Copyright: Eva Flicker<br />
18<br />
Gender Thema Diversity im Filmbusiness
This is a man‘s world?<br />
Über Frauen im Gaming<br />
Hand aufs Herz: Wenn Sie die Begriffe Digital Games, Online-Shooter<br />
oder Core-Gaming lesen, ist die Person, die Sie sich dabei vorstellen<br />
männlich oder weiblich? <strong>SUMO</strong> sprach mit Medienwissenschaftlerin und<br />
Games-Expertin Sabine Hahn und Julia Krutzler, die sich im Zuge ihrer<br />
Magisterarbeit intensiv mit Gaming beschäftigt hat, um herauszufinden,<br />
warum an Digital Games immer noch der Ruf als „Boys Toys“ haftet.<br />
Ich möchte Sie an einer Erinnerung an<br />
ein Erlebnis vor einigen Jahren teilhaben<br />
lassen, das ich seitdem nicht mehr vergessen<br />
habe. Es war an einem Tag im<br />
Frühling, als mein Bruder einige wenige<br />
seiner Klassenkollegen erwartete, da<br />
er sie zu einer „Lan-Party“ eingeladen<br />
hatte. Schon in der Früh half ihm unser<br />
Vater, einen weiteren Schreibtisch sowie<br />
mehrere Stühle in sein Zimmer zu<br />
tragen. Am späten Vormittag klingelte<br />
es dann mehrmals an der Tür, bis alle<br />
der jungen Spieler angekommen waren.<br />
Alle vier bestätigten ein Vorurteil, welches<br />
der eine oder andere gegenüber<br />
sogenannten Gamern hütet: schmächtig,<br />
schüchtern im Auftreten, doch<br />
untereinander sehr sicher im Umgang,<br />
zwei von ihnen Brillenträger und alle<br />
männlich – das wohl stärkste Vorurteil.<br />
Bevor sie mit dem Spielen loslegen<br />
konnten, gingen sie mehrere Male zum<br />
Auto und zurück ins Haus, denn sie<br />
hatten nicht nur jeweils einen Laptop,<br />
sondern auch ihre PC’s – inklusive spezieller<br />
Gamingtastatur, Gamingmaus<br />
und Headset – mitgenommen. Die<br />
erste Stunde danach waren sie damit<br />
beschäftigt, die PC’s, die sie zu Hause<br />
sorgfältig zerlegt hatten, im Zimmer<br />
meines Bruders wiederaufzubauen<br />
(mehrere Stromverteiler wurden in der<br />
Vorbereitung schon zur Verfügung gestellt).<br />
Dann wurde die Tür meines Bruders<br />
geschlossen, mit dem ausdrücklichen<br />
Verbot an meine Schwester und<br />
mich, das Internet zu verwenden – das<br />
hätte sich nämlich negativ auf die Qualität<br />
der Online-Spiele ausgewirkt.<br />
Während draußen die Sonne schien,<br />
heizte sich auch das Zimmer meines<br />
Bruders auf, allerdings durch die Wärme,<br />
die von den Rechnern ausgestrahlt<br />
wurde. Dass sie im gleichen Raum saßen,<br />
blendeten sie während des Spielens<br />
vermutlich aus, aber dennoch ist<br />
die Gaming Community eine, die zusammenhält<br />
und gerne gemeinsam<br />
aufeinander und auf ihr Umfeld vergisst.<br />
Ich wage jedenfalls zu behaupten,<br />
dass sie alle an jenem Tag jegliches Zeit<br />
- und Raumgefühl verloren, denn als<br />
meine Mutter sie Stunden später zum<br />
Abendessen rief, wirkte es, als müssten<br />
sie erneut in unserem Haus ankommen.<br />
Vom Flow motiviert<br />
Genau dieser Zustand ist eines der Motive,<br />
die hinter Digital Gaming stehen,<br />
nämlich eines der wenigen Motive, die<br />
Frauen genauso wie Männer nennen.<br />
„Immersion, dass man in das Spiel und<br />
in einen Flow abtaucht“, erklärt Julia<br />
Krutzler im Interview. Der Flow, den sie<br />
dabei anspricht, ist ein Begriff, der so<br />
auch in der Wissenschaft genannt wird.<br />
Er meint „das Aufgehen im eigenen Tun,<br />
wenn man Raum und Zeit, die vergeht,<br />
nicht wahrnimmt.“ Das ermöglicht es<br />
den Spielern und Spielerinnen, ihrem<br />
eigenen Leben zu entkommen und zu-<br />
© Copyright: pixabay/StockSnap<br />
This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming Thema<br />
19
© Copyright: pixabay_T.W.<br />
mindest für einige Stunden in eine<br />
andere Welt abzutauchen.<br />
Auch das Genderswapping erlaubt<br />
es, der eigenen Lebenssituation<br />
für die Dauer des Spielens zu entfliehen.<br />
Genderswapping ist die bewusste<br />
Wahl des gegensätzlichen<br />
Geschlechts im Spiel – ein Motiv, das<br />
von Spielenden beider Geschlechter<br />
genannt wird. Es gestatte, die eigene<br />
Geschlechterrolle abzulegen und<br />
außerhalb von gesellschaftlichen<br />
Zwängen mit der eigenen Identität zu<br />
spielen, was man in der realen Welt<br />
nur schwierig ausprobieren könne, so<br />
Krutzler. „Es wird – vor allem in Rollenspielen<br />
– gerne praktiziert, dass<br />
Männer bewusst Frauen spielen, um<br />
zu sehen ‚Ok, wie reagieren andere<br />
auf mich als Frau‘ und auch umgekehrt.“<br />
Fragt man weiter, stößt man danach<br />
bei den Geschlechtern auf unterschiedliche<br />
Motive hinter der Beschäftigung,<br />
wobei hier in den folgenden<br />
Sätzen Tendenzen und keine<br />
Stereotype beschrieben werden.<br />
„Männer mögen Ranglisten, Männer<br />
mögen gegeneinander spielen,<br />
Männer mögen sich messen, den<br />
Wettkampf“, bringt es Hahn auf den<br />
Punkt. Für Frauen dagegen stünden<br />
tendenziell Kreativität und die Freude<br />
am Spiel im Vordergrund. „Frauen<br />
spielen gerne Sachen, wo sie aufbauen<br />
und entwickeln können, wo die<br />
Ästhetik eine andere Rolle spielt – wo<br />
es um das Schöne im Spiel geht.“ Um<br />
zu betonen, dass hier nur Tendenzen<br />
genannt werden können, fährt<br />
sie fort: „Es gibt genauso Frauen, die<br />
knallharte Actionshooter spielen und<br />
Männer, die ‚Sims‘ spielen.“<br />
Diese Motive wirken sich auch darauf<br />
aus, was gespielt wird und teilweise<br />
auch darauf, wie gespielt wird. „Frauen<br />
spielen eher kooperativ, Männer<br />
eher kompetitiv“, stellt Hahn fest und<br />
beruft sich dabei auch auf die Literatur.<br />
Sie selbst promovierte zum Thema<br />
„Gender und Gaming“.<br />
Ein Beispiel: Es ist Dienstagmorgen,<br />
kurz vor neun Uhr. Die Welt wirkt<br />
verschlafen, doch sie wacht langsam<br />
auf und mit ihr die Geräuschwelt,<br />
die langsam lauter wird. Die<br />
25-jährige Studentin Karina sitzt<br />
in der U-Bahn, eingepackt in ihren<br />
Mantel und Schal, von der Welt und<br />
den gestressten Gesichtern um sie<br />
herum durch ihre Kopfhörer abgegrenzt.<br />
Auf ihrem Smartphone spielt<br />
sie ein Mobile Game – es ist für sie<br />
eine Überbrückungsbeschäftigung,<br />
eine Tätigkeit, die sie zwischen zwei<br />
anderen oder nebenbei durchführt.<br />
Sie würde, so Krutzler, Gamen eher<br />
nicht als ihr Hobby bezeichnen, würde<br />
sie danach gefragt werden. Was die<br />
25-jährige Studentin macht, wird mit<br />
dem Begriff des „Casual Gamings“<br />
beschrieben, im Gegensatz zu „Core<br />
Gaming“. Wie der Begriff Casual übersetzt<br />
schon sagt, handelt es sich um<br />
zwangloses, beiläufiges oder lässiges<br />
Spielen, zum Beispiel Online-Browser-Games<br />
oder Spiele am Smartphone<br />
bzw. Tablet. „Core Gaming“<br />
hingegen benötigt eine aktive Hinwendung<br />
und findet in der Regel auf<br />
einer Spielekonsole oder am PC statt.<br />
Agree to Disagree – was als richtiges<br />
Gaming zählt<br />
Die Unterteilung in Casual und Core<br />
Games ist Teil einer Diskussion, die<br />
häufig geführt wird, sei es unter ExpertInnen<br />
oder unter den SpielerInnenselbst.<br />
Die Frage, die der Diskussion<br />
zu Grunde liegt ist jene nach der<br />
Notwendigkeit einer Unterteilung des<br />
Gaming-Begriffs – quasi die Frage<br />
danach, was zu ‚richtigem Gaming‘<br />
zählt. „Gamen hat sich sehr verändert<br />
und es gibt jetzt nicht mehr nur<br />
eine Art an Gaming, sondern es hat<br />
sich eine sehr große Bandbreite entwickelt;<br />
das Medium hat sich stark<br />
differenziert“, so Hahn. Sie vertritt die<br />
Meinung, dass jede Art von Gaming<br />
auch unter den Begriff fallen soll und<br />
hält eine Unterteilung nicht für relevant:<br />
„Für mich persönlich soll sich jeder,<br />
der sagt, er hat Spaß am Medium<br />
– egal in welchem Genre und egal auf<br />
welcher Plattform – und sich diesen<br />
Begriff zunutze machen möchte,<br />
auch Gamer nennen.“ Krutzler teilt die<br />
Meinung, dass unter dem Begriff Gaming<br />
alle Arten des Mediums gefasst<br />
werden können, hält eine Unterteilung<br />
allerdings für sehr sinnvoll, vor<br />
allem, wenn man sich mit den Geschlechtern<br />
im Gaming beschäftige,<br />
denn tendenziell seien noch Unterschiede<br />
zwischen den Geschlechtern<br />
erkennbar.<br />
Hierzu ein paar Zahlen: Eine Studie<br />
von Bitkom Research, die im August<br />
2018 veröffentlicht wurde, verdeutlicht,<br />
dass Frauen den Männern zahlenmäßig<br />
immer näher kommen. In<br />
Deutschland ist der Anteil der männlichen<br />
Computer- und Videospieler<br />
mit 43% nur noch um 2% höher als<br />
der Anteil der weiblichen, und dennoch<br />
werden Frauen immer noch<br />
hauptsächlich mit mobilen Spielen in<br />
Verbindung gebracht. Eine Erhebung<br />
20<br />
This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming
durch IPSOS MORI aus dem Jahr 2017<br />
hat die Verteilung der NutzerInnen<br />
von Gaming-Apps gemessen, wobei<br />
51% der Männer und 41% der Frauen<br />
Gaming-Apps spielen.<br />
Hahn kommentiert dies so: „Momentan<br />
sagen die Statistiken, dass Frauen<br />
vor allem Casual Games spielen,<br />
seien es Browser Games oder auch<br />
Spiele auf dem Smartphone oder anderen<br />
mobilen Plattformen. Wenn ich<br />
aber zum Beispiel mit Studierenden<br />
rede, sehe ich, dass es diese Unterscheidung<br />
kaum noch gibt. Da spielen<br />
Mädels genauso auf einer Julia Xbox Krutzler oder<br />
Copyright: privat<br />
Playstation, wie das auch die Jungs<br />
machen.“<br />
Aber auch abseits des Geschlechteraspekts<br />
wird über die Breite des Begriffs<br />
diskutiert, wobei die Plattform<br />
oft ein zentrales Thema ist. So gibt es<br />
Stimmen, die die Meinung vertreten,<br />
dass Gaming auf einer Spielekonsole<br />
stattzufinden habe. Mein Bruder, der<br />
sich Jahre nach der Lan-Party immer<br />
noch als Gamer bezeichnet, ist einer<br />
dieser Personen und äußert sich dazu<br />
wie folgt: „Ich unterscheide schon<br />
zwischen Casual Handy Gamern Sabine Hahn und<br />
jenen, die sich für ihr Hobby Copyright: einen privat PC<br />
im Wert von 1.000 Euro zulegen, um<br />
die Games in bester Qualität spielen<br />
zu können.“<br />
Da diesen Diskussionen unterschiedliche<br />
Meinungen zu Grunde liegen und<br />
man sich kaum auf Fakten beziehen<br />
kann, wird es in den nächsten Jahren<br />
wahrscheinlich zu keiner Einigung<br />
kommen. Tatsache ist jedoch leider,<br />
dass sich Gamerinnen Anerkennung<br />
erarbeiten müssen und sich häufig mit<br />
Kritik konfrontiert sehen. „Du spielst<br />
schlechter, weil du eine Frau bist, oder<br />
umgekehrt, wenn sie gut sind, werden<br />
sie beschimpft“, erklärt Krutzler die<br />
Problematik, die vor allem im Core Gaming<br />
auftritt.<br />
Der Kreislauf schließt sich – die Verbindung<br />
zwischen GamedesignerInnen<br />
und GamerInnen<br />
Betrachtet man die gesamte Gaming-Industrie,<br />
ist festzustellen, dass<br />
es immer noch viele Bereiche gibt, in<br />
denen Frauen den Männern zahlenmäßig<br />
unterlegen sind. So sind Frauen<br />
an der Spielentwicklung immer<br />
noch kaum beteiligt, man muss hier<br />
von einer männerdominierten Branche<br />
sprechen. „In Unternehmen der<br />
Spieleindustrie sind – weltweit, sowie<br />
lokal in Deutschland und Österreich<br />
– nach wie vor zu wenig Frauen“, so<br />
Hahn. Im Nachbarland Deutschland<br />
liege die Quote bei 25%, jedoch stelle<br />
man bei näherer Betrachtung fest,<br />
dass diese Frauen eher in Positionen<br />
wie dem Marketing angestellt und<br />
dementsprechend an der Entwicklung<br />
des Produkts eher weniger beteiligt<br />
seien. Würde es anders sein, dabei<br />
sind sich die Interviewpartnerinnen einig,<br />
hätte das positive Auswirkungen<br />
auf die Spiele selbst, sowie auch auf<br />
die Präsenz der Spielerinnen.<br />
Beim Gamedesign ist an zumindest<br />
zwei Punkten noch Platz für Entwicklungen,<br />
einerseits die Darstellung und<br />
andererseits die Rolle der Charaktere<br />
im Spiel betreffend.<br />
Dass Frauen so wenig Einfluss auf die<br />
Entwicklung der Spiele haben, wirke<br />
sich auf die Darstellung der weiblichen<br />
Charaktere aus: „wie Frauen aussehen,<br />
wie sexuell stilisiert sie sind, wie<br />
groß ihre Oberweite ist, oder wie wenig<br />
sie anhaben“, so Hahn. „Männern<br />
ist das nicht bewusst, dass sie die<br />
Charaktere teilweise so unglaublich<br />
überzeichnen und sexistisch darstellen“,<br />
sagt Krutzler, wobei sie betont,<br />
dass auch männliche Charaktere oft<br />
sehr sexistisch dargestellt würden. Im<br />
Laufe der letzten Jahre ist es hier zu<br />
einer Bewusstseinsbildung gekommen.<br />
Die Zahl der Gamedesignerinnen<br />
steigt, wenn auch langsam, und die<br />
Darstellung der Charaktere entwickelt<br />
sich – leider genauso langsam – auch<br />
in eine positive Richtung.<br />
Was die Rolle der weiblichen Charaktere<br />
angeht, sind Fortschritte schon<br />
deutlicher, denn nicht nur sind die<br />
Lead Characters immer öfter weiblich,<br />
sondern auch die weiteren Protagonistinnen<br />
bekommen „differenziertere<br />
Rollen geschrieben“, so Hahn. Darüber<br />
hinaus werde immer öfter die Möglichkeit<br />
geboten, das Geschlecht des<br />
Lead Character zu wählen. Eine Option,<br />
die von Spielerinnen und Spielern<br />
in der Regel als wünschenswert<br />
genannt werde. Es findet demnach<br />
eine Entwicklung statt, bei der „Frauen<br />
nicht nur anständig gekleidet sein<br />
dürfen, sondern sie auch schöne Rollen<br />
geschrieben bekommen“, wie Hahn<br />
feststellt.<br />
Wie so oft greift ein Zahnrad in ein<br />
nächstes: Wären mehr Frauen im<br />
Gamedesign tätig, hätte das positive<br />
Auswirkungen auf die Darstellung<br />
und Rollen der weiblichen Charaktere.<br />
Diese Spiele würden auch vermehrt<br />
weibliche Spielerinnen ansprechen,<br />
was in Folge die Präsenz der Frauen<br />
in der Branche steigern würde. Mehr<br />
Mädchen würden auf das Gaming auf-<br />
This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming<br />
21
merksam werden, und die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass sie entweder beruflich oder<br />
privat Interesse an der Gaming-Branche<br />
zeigen steigt.<br />
Den Kreislauf durchbrechen<br />
„Diese Frauen kenne ich nicht”, war die Reaktion<br />
einer Studienkollegin, nachdem ich<br />
sie darauf hinwies, dass Frauen im Gaming<br />
mittlerweile stark vertreten sind. In ihrem<br />
Freundeskreis wären generell nur wenige,<br />
die sich als Gamer bezeichnen würden, aber<br />
unter den wenigen sei sicher keine Frau<br />
vertreten. „In der Wahrnehmung waren<br />
digitale Spiele lange Zeit sogenannte ‚Boys<br />
Toys‘ und deshalb haftet diesem Medium<br />
immer noch der Ruf an, dass es nur etwas<br />
für Jungs sei“, benennt Hahn die Problematik.<br />
Seit zehn bis 15 Jahren spielen Mädchen<br />
und Frauen genauso digitale Games,<br />
wie es Burschen und Männer tun. Seit drei<br />
bis fünf Jahren wird dem Thema medial<br />
enorm viel Aufmerksamkeit gewidmet, den<br />
Spielen an sich, aber auch der Unterschätzung<br />
der Frauen in der Branche. Aufmerksamkeit<br />
einerseits redaktionell, durch Artikel<br />
bis hin zu Podcasts, andererseits durch<br />
Initiativen wie zum Beispiel „Women in<br />
Games“, die versuchen, weibliche Gesichter<br />
der Branche in den Mittelpunkt zu stellen.<br />
Wie immer bei Veränderungen muss es zu<br />
einer Bewusstseinsbildung kommen, die<br />
in weiterer Folge Wirkung zeigen muss.<br />
„Ich habe gemerkt und mir ist auch bestätigt<br />
worden, dass sich viel tut, aber halt<br />
langsam“, so Krutzler. „Hoffentlich<br />
sind wir in ein paar Jahren so weit, dass<br />
Computerspiele nicht mehr und weniger<br />
stereotyp sind als andere Medien auch“,<br />
wünscht sich Hahn. Ein Wunsch, dem ich<br />
mich offen anschließe.<br />
Infobox<br />
* über: Dr. Sabine Hahn<br />
von Katharina Glück<br />
* tätig in Köln, Bereich „Digital<br />
Leadership Beratung“<br />
* Veröffentlicht 2017: Gender und<br />
Gaming: Frauen im Fokus der<br />
Games-Industrie<br />
* Erfolg 2018: Female Founders in<br />
der Games- und Medienbranche<br />
vom „Handelsblatt“ für eines der<br />
besten Wirtschaftsbüchern von<br />
Frauen<br />
Julia Krutzler<br />
Copyright: privat<br />
Sabine Hahn<br />
Copyright: privat<br />
© Copyright: Pexel/rawpixel<br />
Inserat_PFAD.indd 1 02.01.19 12:<br />
22 Thema This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming
Aktivismus in Sozialen Medien:<br />
Ein Verhängnis für muslimische Frauen?<br />
Die Aussicht auf mehr Freiheiten und Rechte für Frauen sind im arabischen Raum gering. Im Gespräch mit <strong>SUMO</strong> erläutern<br />
„Standard“-Redakteurin Gudrun Harrer und Universitätsprofessor Rüdiger Lohlker die aktuelle Lage und ob es<br />
eine Hoffnung auf Verbesserung gibt.<br />
Die irakische Menschenrechtsaktivistin<br />
Suad al-Ali wird in Basra auf offener<br />
Straße ermordet. Tara Fares, ein „Instagram“-Star,<br />
wird in Bagdad in ihrem Auto<br />
erschossen. Zwei Schönheitschirurginnen<br />
aus dem Irak, Rasha Hassan und Rafifi<br />
Yasiri, werden in ihrer Wohnung tot aufgefunden.<br />
Vier unterschiedliche Frauen,<br />
die drei Sachen gemeinsam haben – den<br />
Wunsch auf Veränderung, ihre offene Einstellung<br />
zu einem westlichen Lebensstil<br />
und ihre Online-Präsenz.<br />
Gerade als sich die Lage in Vorderasien für<br />
Frauen zu verbessern scheint in Form von<br />
Lockerungen der gesellschaftlichen Regeln,<br />
wie zum Beispiel die Aufhebung des<br />
Fahrverbots für Frauen in Saudi-Arabien,<br />
häufen sich die Morde an weiblichen Unschuldigen.<br />
Die religiösen Einschränkungen<br />
sind stark und Frauenrechte Mangelware.<br />
Der Versuch der ermordeten<br />
Aktivistinnen sich durch die Onlinewelt<br />
Gehör zu verschaffen scheiterte. Ihre öffentliche<br />
Präsenz in Sozialen Medien ist<br />
ihnen zum Verhängnis geworden.<br />
Es stellt sich die Frage, was Frauen im<br />
Nahen Osten noch übrigbleibt, um sich<br />
gegen die strikten Regeln der Oberhäupter<br />
zu wehren.<br />
Ein beginnender Wandel?<br />
Um die aktuelle Lage bewerten zu können,<br />
braucht es einen Blick in die Vergangenheit.<br />
Der Arabische Frühling 2011<br />
leitete den Prozess eines politischen<br />
Wandels ein. Getrieben von der jahrzehntelangen<br />
autoritären Herrschaft, starker<br />
Arbeitslosigkeit und den geringen Perspektiven<br />
kam es zu vermehrten Protesten<br />
und Aufständen gegen das Regime im<br />
arabischen Raum. Das zog in einigen Ländern,<br />
wie in Tunesien oder Ägypten, einen<br />
Aufbruch der bislang stabilen autoritären<br />
Strukturen und den Sturz der Herrscher<br />
Ben Ali und Mubarak mit sich. In anderen<br />
Ländern, etwa Marokko, wurden größere<br />
Proteste erfolgreich niedergeschlagen<br />
oder es kam zur Ruhigstellung der Bevölkerung<br />
durch Subventionsprogramme,<br />
vor allem in den reichen Golfstaaten wie<br />
Saudi-Arabien.<br />
Trotz dem eher durchwachsenen Ausgang<br />
der Proteste könne der Arabische Frühling<br />
als eine „Besiegelung eines vorangegangenen<br />
Wandels“ bezeichnet werden,<br />
konstatiert Rüdiger Lohlker, Professor<br />
am Institut für Orientalistik der Universität<br />
Wien. Schon vor den Ausschreitungen<br />
2011 kam es durch den steigenden Anteil<br />
von jungen Menschen und den größeren<br />
Bildungschancen zu einem beginnenden<br />
gesellschaftlichen Wandel. Dieser Wandel<br />
zog auch die Chance nach sich, die starren<br />
Geschlechterverhältnisse aufzubrechen.<br />
Maßgebend für diese Öffnung der Gesellschaften<br />
waren Frauen, die sich an den<br />
Protesten beteiligten und eine bessere<br />
Stellung der Frauen forderten. Themen<br />
wie Sexualität oder Angriffe gegen Frauen<br />
im öffentlichen Raum wurden angesprochen<br />
und bekannt gemacht, resümiert<br />
Lohlker.<br />
Soziale Medien als Chance<br />
Ausschlaggebend war die Vernetzung<br />
durch Soziale Medien. Ein neuer Faktor,<br />
der die Organisation für strukturierte<br />
Bewegungen vereinfachte und ein Ort,<br />
um Unmut mit anderen zu teilen. Soziale<br />
Medien zeigten den Menschen auf, wie<br />
Wohlstand und Freiheit an anderen Orten<br />
der Welt aussehen und umgekehrt<br />
verbreiteten sich die Konflikte des Arabischen<br />
Frühlings online über die Grenzen<br />
Vorderasiens hinaus. Die Möglichkeit der<br />
Vernetzung besteht bis heute und ist Teil<br />
der arabischen Gesellschaften geworden.<br />
Das bestätigt eine Studie von Magdalena<br />
Karolak und Hala Guta aus dem Jahr<br />
2015 („Journal of International Women’s<br />
© Copyright: Pexels/Lum3n<br />
Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängis für muslimische Frauen? Thema<br />
23
Studies“, 2015/2), die sich mit der<br />
Identitätsbildung von saudischen<br />
Frauen über Soziale Medien auseinandersetzt.<br />
Demnach bieten diese<br />
Netzwerke einen Zugang zu Informationen,<br />
die sonst von kulturellen<br />
und politischen Barrieren beschränkt<br />
werden. Es können Diskurse stattfinden,<br />
die öffentlich nicht möglich<br />
sind und geben Frauen eine Chance,<br />
sich von den gesellschaftlichen und<br />
familiären Zwängen zu befreien. Aber<br />
auch die Internetnutzung in arabischen<br />
Ländern ist beeinflusst von<br />
sozialen Regeln. Wer sich in Sozialen<br />
Medien zu einem anderen Lebensstil<br />
oder einen anderen Religion, gar dem<br />
Atheismus, bekennt, wird bestraft.<br />
Lohlker betont, dass kaum eine Frau<br />
unter dem Klarnamen Online-Aktivismus<br />
betreibe, denn das wäre ein<br />
schwerer Verstoß gegen die Gesetze.<br />
Auch in arabischen Ländern, in denen<br />
es nicht verboten ist AtheistIn zu sein,<br />
herrsche eine gewisse Selbstzensur,<br />
um das Lebensumfeld und sich selbst<br />
zu schützen. Andere Taktiken, um<br />
trotzdem seine Meinung öffentlich zu<br />
machen, seien die Verwendung von<br />
zwei Accounts, einen für die Familie<br />
und einen für FreundInnen, sowie<br />
keine Bilder von sich selbst zu posten.<br />
Viele Aktivistinnen und Bloggerinnen<br />
verlassen dafür ihre Heimat,<br />
um im Ausland mit mehr Freiheit und<br />
Sicherheit über Probleme und heikle<br />
Themen zu berichten.<br />
Die Möglichkeiten der Frau in der arabischen<br />
Welt sind begrenzt. Gudrun<br />
Harrer, Nahostexpertin und leitende<br />
Redakteurin beim „Standard“, weist<br />
aber darauf hin, dass Frauen nicht<br />
völlig ohnmächtig seien. Auch in den<br />
islamischen Gesellschaften könnten<br />
Frauen mächtig sein. Seit 2011 dürfen<br />
zum Beispiel weibliche Vertreter,<br />
die vom König ernannt werden, dem<br />
Rat der Schura beisitzen. In der Schura<br />
sitzen die Eliten von Saudi-Arabien<br />
und schlagen dem König Salman ibn<br />
Abd al-Aziz Gesetzesvorhaben vor.<br />
Ein simpleres Beispiel sei in der Ehe<br />
zu finden. Wolle ein Mann in der Gesellschaft<br />
sozial gut dastehen, dann<br />
müsse er freundlich zu seiner Frau<br />
sein. Sonst habe das Auswirkungen<br />
auf seine Stellung in der Familie. Betrachte<br />
man die Seite der Männer,<br />
so stehe fest, dass nicht nur Frauen,<br />
sondern auch Männer in den autoritären<br />
Ländern nicht frei sind. Auch<br />
Männer heirateten nicht freiwillig<br />
eine fremde Frau, mit der sie zuvor<br />
kein Wort gewechselt haben. Aber „je<br />
besser es den Frauen oder den Minderheiten<br />
geht, desto besser geht<br />
es der ganzen Gesellschaft“, erklärt<br />
Harrer.<br />
Vielen Frauen ist es gleichgültig<br />
Umso mehr braucht es starke weibliche<br />
Vorbilder, die für ein freieres<br />
Leben kämpfen und die Schattenseiten<br />
aufzeigen. Suad al-Ali, Tara<br />
Fares und noch viele andere Frauen<br />
haben sich für eine bessere Stellung<br />
der Frau eingesetzt und mussten dafür<br />
ihr Leben geben. Auf die Frage,<br />
wer die Aktivistinnen getötet haben<br />
könnte, wissen weder Lohlker noch<br />
Harrer eine klare Antwort. Die Vermutungen<br />
gehen in Richtung radikal-islamischer<br />
Gruppierungen oder<br />
arabischer Geheimdienste, die weitere<br />
Proteste und Gegenstimmen<br />
beseitigen wollen. Es zeigt, dass das<br />
aktive Auftreten von Frauen einigen<br />
ein Dorn im Auge ist. Vor allem<br />
in patriarchalen Gesellschaften sind<br />
Männer eindeutig negativ gegenüber<br />
Frauen eingestellt und verbannen die<br />
Idee von mehr Rechten für Frauen.<br />
Es gebe wenige bis keine Männer,<br />
die sich für Frauen einsetzen würden,<br />
erläutert Lohlker. Aber auch von Seiten<br />
der Frauen sei die Akzeptanz begrenzt.<br />
Harrer erwähnt, dass es vielen<br />
Frauen gleichgültig sei oder viel<br />
mehr, dass sie Sicherheit und Frieden<br />
wünschten. Die meisten wollen daher<br />
keine Störenfriede, die diese Ruhe<br />
aus dem Gleichgewicht bringen und<br />
akzeptieren die schon erwähnten Bestechungsversuche<br />
der Regime.<br />
Was wie Lockerungen der gesellschaftlichen<br />
Regeln klingt, verbirgt<br />
sich hinter einer Taktik der Oberhäupter.<br />
Ja, Frauen dürfen seit Neustem in<br />
Saudi-Arabien Auto fahren und ja, das<br />
ist ein Schritt in die richtige Richtung.<br />
Allerdings haben diese Reformen wenig<br />
mit Demokratisierung oder politischer<br />
Öffnung zu tun. Gudrun Harrer<br />
betont, dass die Repressionen und<br />
Unterdrückung weiter steigen. Die<br />
arabischen Gesellschaften befänden<br />
sich im Zerfallsprozess und es sei<br />
derzeit nicht klar, wie es weitergehen<br />
wird.<br />
Was bleibt, ist die Hoffnung<br />
Die Chancen auf Veränderungen sind<br />
dürftig, aber sie sind vorhanden. Der<br />
Arabische Frühling hat in Vorderasien<br />
vieles in Bewegung gebracht und das<br />
hält nach wie vor an. Die Potenziale<br />
auf Veränderung reichen von Änderung<br />
der Geschlechterverhältnisse,<br />
24<br />
Aktivismus Thema in Sozialen Medien: Ein Verhängnis für muslimische Frauen?
Öffnung des Meinungsspektrums bis zur<br />
völligen Auflösung von bisherigen Strukturen.<br />
Ob das auch passiert, bleibt noch verborgen.<br />
Die Hoffnung ist das einzige was<br />
bleibt und starke Frauen helfen, diese Bewegung<br />
in die Freiheit weiter voran zu treiben.<br />
Auch wenn Online-Aktivismus Gefahren<br />
bringt, bleibt doch die wichtige Möglichkeit,<br />
Missstände aufzudecken. „Es ist wichtig zu<br />
wissen, dass es nicht immer so war, wie es<br />
jetzt ist. Die Botschaft ist daher, dass es in<br />
Zukunft nicht für immer so sein muss“, resümiert<br />
Gudrun Harrer. Auch Rüdiger Lohlker<br />
weist darauf hin, dass „wir alle Teil einer einzigen<br />
Welt sind. Genauer hinhören und nicht<br />
irgendwelchen Experten das Feld überlassen“,<br />
ist sein Rat.<br />
von Sophie Bezensek<br />
Gudrun Harrer<br />
Copyright: Manfred Weis<br />
Rüdiger Lohlker<br />
Copyright: Sophie Bezensek<br />
Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängnis für muslimische Frauen? Thema<br />
25
„Sex sells“ - nicht immer!<br />
Die Berichterstattung über sexualisierte Gewalt ist ein sensibles, doch wenig<br />
beachtetes Thema. Die Sozialanthropologin Sonja Genner und Anna<br />
Haneder von der Frauenberatung Waldviertel diskutieren mit <strong>SUMO</strong> über<br />
die derzeitigen Missstände und was sie sich in Zukunft von den JournalistInnen<br />
wünschen.<br />
© Copyright: pexels/Pixabay<br />
„Sex sells“ gilt – nicht nur, aber vor allem<br />
– für Boulevardmedien als Aufmerksamkeit<br />
generierende Strategie. Doch sollte<br />
dies in jedem Kontext Gültigkeit haben?<br />
Wie sieht die Situation bei einer medialen<br />
Berichterstattung über sexuelle beziehungsweise<br />
sexualisierte Gewalt aus?<br />
Medien nehmen bei Themen wie diesen<br />
eine große Rolle ein, da sie die nachhaltige<br />
Wahrnehmung der RezipientInnen<br />
und auch deren Einschätzungen<br />
prägen. Genau deswegen werden JournalistInnen<br />
dazu angeregt, sich selbst<br />
zu reflektieren, um eine sensible und<br />
Grenzenbeziehungsweise Normen nicht<br />
außer Acht lassende Berichterstattung<br />
zu manifestieren. In den USA hat sich die<br />
Analyse der Medienberichterstattung<br />
über sexualisierte Gewalt beziehungsweise<br />
Gewalt gegen Frauen schon seit<br />
einiger Zeit als Forschungsbereich etabliert.<br />
Hierbei werden vor allem die Defizite<br />
der Berichterstattung diagnostiziert.<br />
Dies beginnt laut der Studie „Feministische<br />
Kriminologie“ von Michelle L. Meloy<br />
und Susan L. Miller (2009) schon bei der<br />
Festlegung von Normen und Erwartungen<br />
der Gesellschaft, den traditionellen<br />
Rollenbildern einer guten Frau und Mutter<br />
und der eines guten Mannes und Vaters.<br />
Ein weiterer Aspekt ist die Sprache,<br />
denn sie prägt Bewusstsein und Unterbewusstsein<br />
in hohem Ausmaß. Tendenziell<br />
lässt sich sagen, dass im Alltag<br />
die Wortwahl bei sexuellen Straftaten<br />
oft ungenau ist, oder veraltete Begrifflichkeiten<br />
verwendet werden, teilweise<br />
treten auch nachträglich Diskriminierungen<br />
auf. Genauso wie in der medialen<br />
Berichterstattung, die jedoch langfristig<br />
gesehen große Auswirkungen auf RezipientInnen<br />
oder sogar Betroffene haben<br />
kann. Dazu ein kleiner Auszug an Begriffen,<br />
die irreführend sein können – in<br />
Anlehnung an eine Empfehlung an JournalistInnen<br />
des Frauennotrufs Saarland:<br />
Fehlgedeutete Begriffe<br />
„Triebtäter“ – Dieser Begriff suggeriert,<br />
ein Mann gäbe sich seinem natürlichen<br />
Sexualtrieb hin, den er nicht zu beherrschen<br />
weiß. Dieses Wort beinhaltet<br />
aber automatisch die Information, dass<br />
hier der Täter nur Opfer seiner Triebe<br />
ist. Also bekommt er eigentlich die Opferrolle<br />
zugeschrieben.<br />
„Sexverbrechen/Sextäter“ – Da der Terminus<br />
„Sex“ eher mit positiven, intimen<br />
und erotischen Handlungen assoziiert<br />
wird, eignet sich jener Begriff nur dürftig<br />
für die Darstellung des tatsächlichen<br />
Ausmaßes dieser Straftat und trägt zur<br />
Verniedlichung des Begriffs bei. Hierbei<br />
sollte in der Sprache auf das Wort „Sex“<br />
in diesem Kontext verzichtet werden<br />
und stattdessen Begriffe wie „sexualisierte<br />
Gewalt“ angewendet werden.<br />
„Opfer“ – Dieser Begriff wird oft von<br />
Medien aufgegriffen und in Texten<br />
oder Bildunterschriften bei der Berichterstattung<br />
verwendet. Dies kann dazu<br />
führen, dass Betroffene von Sexualstraftaten<br />
ein weiteres Mal gedemütigt<br />
werden, daher sollten stattdessen<br />
Begriffe wie „Betroffene“ oder „Überlebende“<br />
Anwendung finden. Auch<br />
die Untugend, (höchstens verpixelte)<br />
„Facebook“-Profilbilder von Opfern in<br />
der Berichterstattung zu verwenden,<br />
findet immer häufiger Anwendung in<br />
den Medien. Solche bleiben oft ad infinitum<br />
gespeichert.<br />
„Familiendrama“ – In Bezug auf Morde<br />
an Frauen. Hierbei sollten die Berichte<br />
genau diese Umstände auch beim<br />
Namen nennen und nicht verharmlosen.<br />
„Es handelt sich um einen Mord<br />
an einer Frau und nichts entschuldigt<br />
oder begründet diese Tat“, so Expertin<br />
Anna Haneder von der Frauenberatung<br />
Waldviertel im <strong>SUMO</strong>-Interview.<br />
Ergänzend dazu gilt es zu berücksichtigen,<br />
dass Straftaten klar als solche benannt<br />
werden. Die Nationalität oder die<br />
Religionszugehörigkeit von TäterInnen<br />
sollte nicht relevant sein, da sie nichts<br />
am Übergriff ändern: „Eine bewusste<br />
Auseinandersetzung mit den verwendeten<br />
Begriffen ist aus meiner Sicht<br />
immer notwendig, zumal sich Sprache<br />
immer in Veränderung befindet“, postuliert<br />
die Sozialanthropologin Sonja Genner<br />
im Gespräch mit <strong>SUMO</strong>. Inwieweit<br />
26<br />
Thema „Sex sells“ - nicht immer!
in Zukunft auf Sensibilisierung zu hoffen ist,<br />
bleibt unklar. 2018 empfahl der Pressesprecher<br />
des österreichischen Innenministeriums<br />
Polizeipressestellen die explizite Nennung<br />
der Staatsbürgerschaft bei Gewaltverbrechen.<br />
Mehr Aufmerksamkeit für Randgruppen<br />
Neben einer bewussten Wortwahl wünscht<br />
sich Sonja Gennerauch mehr mediale Aufmerksamkeit<br />
anderen Gruppen gegenüber,<br />
denn bei genauerer Analyse der Berichterstattungen<br />
falle auf, dass bestimmte Personengruppen<br />
im Vergleich zu anderen kaum<br />
berücksichtigt würden. So könne man beispielsweise<br />
beobachten, dass sexualisierte<br />
Gewalt häufig thematisiert werde, wenn sie<br />
gegen Frauen gerichtet ist. Jedoch bekommen<br />
andere betroffene Gruppen, wie Menschen<br />
mit kognitiven Behinderungen, Transgenderpersonen<br />
oder Buben/Männer in der<br />
Berichterstattung weniger Beachtung. Im<br />
Interview weist Genner darauf hin, dass auch<br />
Opfer-TäterInnen-Konstellationen wie etwa<br />
weibliche, häusliche Gewalt gegen Männer,<br />
oder sexualisierte Gewalt unter Männern eine<br />
zu geringe Beachtung erhielten. „Des Weiteren<br />
bekannt sind Missbrauchsfälle in der katholischen<br />
Kirche, aber im Vergleich zur Berichterstattung<br />
über sexuelle Übergriffe von<br />
Migranten auf in Österreich lebende Frauen<br />
kann ich hier keine solche Konstanz feststellen.<br />
Sexualisierte Gewalt in der katholischen<br />
Kirche wird zwar thematisiert, aber in einem<br />
weitaus geringeren und unregelmäßigeren<br />
Ausmaß“, ergänzt Genner. Laut einer Studienzusammenfassung<br />
des Medienwissenschaftlers<br />
Steffen Burkhardt (2015) zu Medienskandalen<br />
nahm die Berichterstattung<br />
über weitreichende, lang andauernde Fälle<br />
sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen<br />
Kirche in den letzten Jahren jedoch zu.<br />
Dies alles setzt auch auf Seiten der RezipientInnen<br />
ein reflektiertes Verhalten voraus im<br />
Sinne der Quellenkritik.<br />
Die Gefahr der Täter-Opfer-Umkehr<br />
Eine weitere Gefahr ist jene, dass besonders<br />
Personen des öffentlichen Lebens, denen<br />
eine Gewalttat an einer Frau vorgeworfen<br />
wird, in Medien immer wieder eine Plattform<br />
für ihre Darstellung geboten wird. Mutmaßliche<br />
TäterInnen erhalten Raum für ihre Sichtweise,<br />
die viel Spielraum für unterschiedliche<br />
Interpretationen öffnen. In extremen Fällen<br />
(z.B. die Kontroverse um den US-Richterkandidaten<br />
Brett Kavanaugh) werden Frauen<br />
der absichtlichen Lüge bezichtigt, um einem<br />
Mann beruflich zu schaden. „Es kann der Anschein<br />
entstehen, Frauen würden durch ihre<br />
falschen Anschuldigungen das Leben dieser<br />
Männer zerstören, so der Vorwurf. Hier findet<br />
eine Opfer-Täter-Umkehr statt, die bewirken<br />
kann, dass Opfer sexualisierter Gewalt diese<br />
bei der Polizei aus Angst, ihnen würde nicht<br />
geglaubt werden, nicht anzeigen“, bezieht<br />
Genner dazu Stellung.<br />
„Sex sells“ - nicht immer! Thema<br />
27
Ein vor allem in letzter Zeit immer häufiger<br />
zu beobachtendes Problem ist<br />
die Behandlung bestimmter Gewaltthemen<br />
im Kontext eines „Hypes“. Zum<br />
Beispiel wurden aufgrund der „16 Tage<br />
gegen Gewalt“-Aktion – eine Kampagne,<br />
die auf Gewalt gegen Frauen<br />
weltweit durch Podiumsdiskussionen,<br />
Ausstellungen, Straßenaktionen und<br />
Vorlesungen aufmerksam macht - in<br />
dieser Zeit vermehrt Beiträge über<br />
Gewalt an Frauen publiziert. Dennoch<br />
tragen solche Initiativen zu einer positiven<br />
Entwicklung in puncto medialem<br />
Aufzeigen von Missständen bei. „Kampagnen,<br />
wie die ,16 Tage gegen Gewalt‘<br />
bzw. Veranstaltungen zum Thema (sexuelle)<br />
Gewalt werden eher medial verarbeitet,<br />
als früher“, beobachtet auch<br />
Haneder. Hierbei ist zu erkennen, dass<br />
erst gröbere Tabubrüche oder öffentliche<br />
Diskussionen wie #MeToo zu einer<br />
verstärkten medialen Aufmerksamkeit<br />
geführt haben. Jedoch kann dies auch<br />
problematisch sein, da Fälle juristisch<br />
schon verjährt sind – Sensibilität gegenüber<br />
sexualisierter Gewalt können<br />
aber auch sie erzeugen.<br />
Es ist vor allem die Aufgabe und Verantwortung<br />
der JournalistInnen, bei der<br />
Berichterstattung über sexualisierte<br />
Gewalt besonders sensibel in Wortwahl<br />
und Darstellung der Tatsachen zu sein.<br />
Auch TäterInnen keine zu große Plattform<br />
für ihre Sicht der Dinge zu bieten,<br />
ist besonders zu beachten. Doch auch<br />
RezipientInnen sind dazu angehalten,<br />
ihr Verhalten in puncto Wahl der Berichterstattungsquellen,<br />
als auch in<br />
der eigenen Kritik an diesen bewusster<br />
wahrzunehmen.<br />
von Lara Hubmann<br />
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28<br />
„Sex Thema sells“ - nicht immer
Sexualisierung, des Sportes bester<br />
Freund<br />
Sexualisierung, Trivialisierung und Abwertung – all dies sind Vorgänge, mit denen<br />
SportlerInnen täglich zu kämpfen haben. <strong>SUMO</strong> hat in einem Doppelinterview Johanna<br />
Dorer, Kommunikationswissenschaftlerin mit Schwerpunkt feministische Medienforschung<br />
(Univ. Wien) und Matthias Marschik, Medienwissenschaftler und Sporthistoriker,<br />
zu Theorien, Umständen und Folgen der Sexualisierung im Sport befragt.<br />
Wahrscheinlich wenig überraschend, aber der<br />
Sport bewegt sich noch immer in eine sexistischere<br />
Richtung. Männliche Sportler werden<br />
als die Starken, Mächtigen, Erfolgreichen präsentiert,<br />
wohingegen es weibliche Athletinnen<br />
schwerer haben, sportliche Anerkennung<br />
zu erlangen. Sie stehen mehr für das erotische,<br />
schöne oder oftmals leider auch schwächere<br />
Geschlecht, egal welche Erfolge sie<br />
auch vorweisen können. Um im Sport als Frau<br />
überhaupt Aufmerksamkeit zu erlangen, gilt<br />
es sich zu präsentieren. Sportdressen werden<br />
kürzer, Athletinnen werden lasziv in Szene<br />
gesetzt und der weibliche Körper wird immer<br />
mehr als Objekt gesehen. Nicht im sportlichen<br />
Sinne, sondern im sexuellen. Denn haben hart<br />
trainierende Frauen viele Muskeln, so heißt es<br />
schnell, sie seien „zu“ muskulös und männlich.<br />
Frauen im Sport haben also Imagenachteile<br />
und ständig mit Sexualisierung zu kämpfen.<br />
Es muss einem ja schon allein vor Augen geführt<br />
werden, dass es den Begriff Fußball gibt,<br />
und dann gibt es Frauenfußball. Von Männerfußball<br />
keine Rede, schließlich assoziiert man<br />
mit der Bezeichnung Fußball doch nur die<br />
Männer. Eine Diskrepanz in unserer Gesellschaft.<br />
Doch wie weit geht die Sexualisierung<br />
der Frau im Sport mittlerweile und welche<br />
Folgen hat das?<br />
Wechselwirkung von Medien und<br />
Vereinen<br />
Dass die Medien stets die Schuld für Sexualisierung<br />
tragen und Athletinnen immer in ein<br />
sexistisches Licht rücken, ist so nicht haltbar.<br />
Man muss ebenso die Sportvereine und deren<br />
eigene Imagearbeit in Betracht ziehen, da diese<br />
einen großen Einfluss auf das Sportsystem<br />
und die Repräsentation der Frauen in Medien<br />
haben. Es steht außer Frage, dass sehr häufig<br />
das attraktivste Bild einer Sportlerin für<br />
eine Zeitungsausgabe gewählt wird. Die Bekleidungsvorschriften<br />
der Athletinnen, welche<br />
zum Beispiel beim Beachvolleyball eher<br />
Johanna Dorer<br />
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Matthias Marschik<br />
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Sexualisierung, des Sportes bester Thema Freund<br />
29
knapp bemessen sind, werden jedoch<br />
von ManagerInnen im Hintergrund vorgegeben.<br />
„Medien wirken mit ihren Selektionskriterien<br />
zurück auf die Vereine, die sich<br />
neue Strategien überlegen, um wieder<br />
in die Medien zu kommen. Somit ist<br />
nicht von einem einfachen Reaktionsschema<br />
die Rede, sondern von einer<br />
Wechselwirkung“, so Dorer.<br />
Selbstdarstellung im Netz<br />
Eine Veränderung schien das Web<br />
2.0 anzukündigen, denn dort wurde<br />
es SportlerInnen erstmals möglich,<br />
sich eine eigene - digitale - Identität<br />
zu erschaffen und sich selbst zu präsentieren.<br />
Auf den privaten Social Media-Kanälen<br />
ist es den Sportlerinnen<br />
(normalerweise) freigestellt, was, wann<br />
und wieviel sie von sich preisgeben. Dabei<br />
kommt oft auch die Frage auf, ob die<br />
Athletinnen bei freizügigen Posts nicht<br />
indirekt selbst für Sexualisierung verantwortlich<br />
sind. Sexualisierung ist es<br />
jedoch erst, wenn ein Urteil bzw. eine<br />
Beurteilung von externen Personen<br />
stattfindet. Es muss aber auch bedacht<br />
werden, dass heutzutage nicht nur<br />
Frauen sexualisiert werden, sondern<br />
ebenso Männer im Sport. Sie werden<br />
nicht mehr nur als starke Sportler, sondern<br />
immer mehr als schöne dargestellt<br />
und in der Öffentlichkeit und vor<br />
allem in den neuen Medien sexualisiert.<br />
© Copyright: pixabay/scottwebb<br />
Sowohl Medien, als auch die Vereine<br />
ringen um Aufmerksamkeit und stehen<br />
in engem Bezug zueinander. Sexualisierung<br />
kann somit nicht nur einer Partei<br />
vorgeworfen werden.<br />
Marginalisierung und Sexismus in der<br />
Sportberichterstattung<br />
Die feministische Forschung beweist,<br />
dass Sportlerinnen in der Sportberichterstattung<br />
marginalisiert und geschlechter-differenziert<br />
präsentiert<br />
werden. Wirft man einen Blick auf<br />
Längsschnittuntersuchungen, die die<br />
Präsenzzeit der Sportlerinnen im TV betrachten,<br />
so ist eine starke Unterrepräsentation<br />
festzustellen. Im Jahre 1989<br />
kamen lediglich 5% der Sportlerinnen in<br />
TV-Berichten vor. Ende der 1990er-Jahre<br />
gab es einen Aufschwung auf bis zu<br />
9%, jedoch schwächte sich dies 2004<br />
wieder auf lediglich 6% ab, betrachtet<br />
man die gesamte Sportberichterstattung.<br />
Neben der geringen Sendezeit, die<br />
Sportlerinnen zugestanden wird, ist vor<br />
allem die mediale Repräsentation zu<br />
beachten. Begriffe wie Infantilisierung,<br />
Trivialisierung oder Verniedlichung sind<br />
dabei zum Teil auch heute noch angebracht.<br />
Sowohl im Sprachgebrauch, als<br />
auch in der Berichterstattung sportlicher<br />
Leistungen ist dies zu erkennen.<br />
Erfolge werden dabei oftmals als „Zufall“<br />
oder „Glück“ bewertet und Frauen<br />
werden bei weitem nicht so intensiv<br />
gelobt oder wertgeschätzt wie ihre<br />
männlichen Kollegen. Außerdem werden<br />
Athletinnen häufig auf ihr äußeres<br />
Erscheinungsbild reduziert. Das Motto<br />
dabei: Je freizügiger, desto besser.<br />
Ebenen der Sexualisierung<br />
Doch auf welchen Ebenen kann Sexualisierung<br />
wie stattfinden?<br />
1) Gesellschaftliche Diskurse:<br />
Die Ebene befasst sich mit dem Verhalten,<br />
Interessen oder auch Vorlieben.<br />
Was soll einer Frau gefallen, woran<br />
muss sie sich halten, wofür soll sie zuständig<br />
sein. Entspricht man diesen gesellschaftlichen<br />
Vorstellungen nämlich<br />
nicht, so folgen persönliche Sanktionen<br />
oder Frauen werden anders und vor allem<br />
abschätziger wahrgenommen.<br />
2) Institutionelle Ebene:<br />
Geschlechter werden stets verhandelt,<br />
sowohl auf Gesetzesebene, als auch<br />
in Sportvereinen oder internationalen<br />
Sportorganisationen. Dabei werden<br />
beispielsweise Preisgelder verhandelt<br />
in den einzelnen Sportsparten.<br />
3) Selbstkonstruktion:<br />
Dabei geht es darum, wie man sich als<br />
Individuum selbst darstellt und präsentieren<br />
möchte, somit seine eigene Identität<br />
bzw. sein Gender konstruiert.<br />
Dorer erwähnt dabei auch den Ausdruck:<br />
Doing Gender. Jedes Individuum<br />
betreibt dies, wenn auch oft unbewusst.<br />
Die Art wie wir uns kleiden oder<br />
wie die Haare getragen werden, sagt<br />
viel darüber aus, wie wir uns in der Gesellschaft<br />
zu erkennen geben. Dieses<br />
Phänomen betrifft sowohl Männer, als<br />
auch Frauen. Marschik ist sogar der<br />
Meinung, man müsste des Weiteren<br />
die Ebene der Gesellschaft in Betracht<br />
ziehen, da wir als Menschen ebenso<br />
von dieser beeinflusst würden. Werde<br />
ein Austritt aus den vorgegebenen bis<br />
maßgeschneiderten Gendervorgaben<br />
gewagt, so könne es schnell zu einem<br />
weichen bis harten Ausschluss aus der<br />
Gesellschaft kommen.<br />
Does Sex really sell?<br />
Ja leider, so sehr man auch versucht mit<br />
Gegenargumenten zu kontern. Dabei<br />
entstehen jedoch ein doppelter Konflikt<br />
und ein moralischer Angriff. Denn zum<br />
einen verdienen SportlerInnen weniger,<br />
30<br />
Thema Sexualisierung, des Sportes bester Freund
wenn sie auf bestimmte Werbeangebote<br />
nicht eingehen. Des Weiteren wird<br />
ihnen aber auch noch vorgeworfen, sie<br />
seien an ihrer niedrigeren Bezahlung im<br />
Sport selbst schuld. Zum anderen werden<br />
Athletinnen verurteilt und abgewertet<br />
sich zum Beispiel im „Playboy“<br />
ablichten zu lassen, da eine Sportlerin<br />
in diesem Rahmen nichts verloren haben<br />
soll. Eine im Cortex2018 veröffentlichte<br />
Studie beschäftigt sich ebenfalls<br />
mit moralischen Hintergründen und<br />
Wertvorstellungen zu diesem Thema.<br />
Dabei wurde erforscht, dass Menschen<br />
weniger Empathie für leicht bekleidete<br />
Frauen empfinden. Da der hedonistische<br />
Wert bei sexualisierten Darstellungen<br />
von Frauen erhöht wird, sinkt<br />
gleichzeitig die Wertwahrnehmung<br />
über sie. Bei der Sexualisierung kommt<br />
nach außen hin wenig Gefühl von moralischen<br />
Vorstellungen oder Verantwortungsbewusstsein<br />
der Frauen, auch<br />
wenn dies nur im Unterbewusstsein<br />
der BetrachterInnen geschieht.<br />
Sexualisierung auch in der Zukunft?<br />
Das Ungleichgewicht der Frauen und<br />
Männer im Sportsektor wird weiter bestehen<br />
und zu einer Benachteiligung<br />
der Frauen beisteuern. Denn vor allem<br />
der Frauenanteil im Sportjournalismus<br />
beschränkt sich derzeit immer noch<br />
auf lediglich 5-10%, so Dorer. Würde<br />
sich der Prozentsatz kritischer Frauen<br />
in Medienunternehmen vergrößern, so<br />
wären Athletinnen höchstwahrscheinlich<br />
nicht mehr so stark mit Sexismus<br />
konfrontiert. Das Problem der Sexualisierung<br />
liegt vor allem bei fehlenden<br />
Regularien. Im Rundfunk gibt es Kontrollorgane,<br />
für Printmedien gelten<br />
Leitlinien und der Ehrenkodex, sowie<br />
Presserat, im Internet findet man solche<br />
Regulierungsmechanismen jedoch<br />
bislang nicht. Dies hat zur Folge, dass<br />
Geschlechterstereotype weiter in der<br />
Gesellschaft bestärkt werden. Bewegungen<br />
wie anlässlich der #MeToo-Debatte<br />
könnten dabei helfen, Sexismus<br />
und Sexualisierung zu verringern und<br />
feministische Strömungen in den Medien<br />
zu implementieren. Vor allem<br />
im Sportbereich ist es ob seines Vorbildcharakters<br />
von enormer Relevanz<br />
Frauen eine Stimme zu geben und ihre<br />
Erfolge gleichwertig wie die der Männer<br />
anzusehen. Ein Tor bleibt schließlich ein<br />
Tor, sei es geschossen von einem Mann<br />
oder einer Frau.<br />
von Teresa Takacs<br />
Sexualisierung, des Sportes bester Thema Freund<br />
31
Drag Queens<br />
als Content Trend<br />
Sie sind bunt und schrill, tragen einprägsam kreative Namen und<br />
sind beliebter denn je: Drag Queens. Was ihre Faszination ausmacht,<br />
wer tatsächlich dahintersteckt und warum Formate wie „RuPaul’s<br />
Drag Race“ so erfolgreich sind, erläutert <strong>SUMO</strong> anhand von Interviews<br />
mit Star-Drag Tamara Mascara, Filmproduzent Taç Romey und<br />
Stephan Jaekel, Director Communications von Stage Entertainment.<br />
In den letzten Jahren mehrte sich das Interesse<br />
nach Travestie nicht nur in kleinen<br />
Bars, wo versucht wird, meist eine<br />
Show-Diva nachzuahmen, es verstärkte<br />
sich das Verlangen nach Kunstfiguren,<br />
die auch ihre oft verletzliche Seite<br />
zeigen. Drag Queens sind Männer, die<br />
eine Kunstfigur mit weiblichen Zügen<br />
erschaffen. Sie geben ihr einen Namen,<br />
verleihen ihr einen unverwechselbaren<br />
Stil und schaffen eine neue Personalität.<br />
„Oft ist es auch eine Identitätssuche,<br />
oder ein Schutzwall. An meinem<br />
eigenen Verhalten, das sich sehr verändert<br />
hat, merke ich erst, wie sehr ich<br />
versucht habe, mich zu schützen durch<br />
ein zickiges Verhalten“, so Drag Queen<br />
Tamara Mascara. Die Verwandlung lässt<br />
augenscheinlich Zweifel und Unsicherheit<br />
hinter dem Make-Up „verstecken“.<br />
Die Inszenierung in bunten, glitzernden<br />
oder aufreizenden Kostümen bedeutet<br />
jedoch nicht automatisch, dass sich<br />
diese Männer als Frauen im Alltag oder<br />
automatisch als homosexuell bezeichnen.<br />
Ihre Auftritte in der Öffentlichkeit<br />
gleichen das ein oder andere Mal Aktivismus.<br />
„Ich habe lange nicht begriffen,<br />
wie viel ich eigentlich bewege, nur weil<br />
ich ‚im Fummel‘ unterwegs bin. Dann<br />
hat mir ein junger Mann erzählt, dass<br />
ihn mein Selbstbewusstsein als Drag<br />
Queen inspiriert hat, sich bei seinen Eltern<br />
zu outen.“ Tamara Mascara sieht<br />
ihre Arbeit auch als Beitrag für mehr<br />
Akzeptanz in der Gesellschaft: „Ich bin<br />
hauptberuflich Drag Queen und immer<br />
wieder für überraschend konservative<br />
Veranstaltungen oder Kunden gebucht.<br />
Das sehe ich auch als gesellschaftliche<br />
Arbeit an.“<br />
Feder, Glitzer und bunte Tränen als<br />
TV-Format<br />
Das Konzept und die Idee einer farbenfrohen,<br />
selbstbewussten, schon gar<br />
furchtlos wirkenden Drag Queen, die<br />
trotzdem ihr oft negatives Schicksal<br />
preisgibt, begeistert den/die ZuschauerIn.<br />
Genau diese Nachfrage bedient das<br />
Erfolgsformat „RuPaul’s Drag Race“<br />
seit 2009, welches nach zehn Staffeln<br />
und vier All-Star-Staffeln im Jahr<br />
2018 bei den Emmy Awards zwei Aus-<br />
© Copyright: unsplash/Artem Gavrysh<br />
32<br />
Thema Drag Queens als Content Trend
Tac Romey<br />
Copyright: HFF München<br />
Tamara Mascara<br />
Copyright: Tamara Mascara<br />
Stephan Jaekel<br />
Copyright: Ingrid Kernbach<br />
zeichnungen abräumte. Das Format ist<br />
ähnlich einer der weltweit beliebten<br />
Modelshows, wo jegliche Auftritte absolviert<br />
werden müssen. Scheinbar<br />
stolzieren weibliche Wesen auf die Sekunden<br />
getaktet über den Laufsteg, die<br />
Mimik scheint bei jedem Blick geplant<br />
zu sein und die Performance übertrifft<br />
die Erwartungen haushoch. Jede Folge<br />
gleicht demselben Schema. Zu Beginn<br />
betrachten alle KandidatInnen die mit<br />
Lippenstift geschriebene Botschaft der<br />
ausgeschiedenen Drag Queen auf dem<br />
Spiegel. Anschließend kommt RuPaul<br />
als Mann in den „Werk Room“, verkündet<br />
die erste Mini-Challenge – ein besonders<br />
ausgefallener Tanz steht hoch<br />
oben auf dem Produktionsplan. Die<br />
Gewinnerin darf, nicht unwesentlich für<br />
die Hauptaufgabe, beispielsweise ihr<br />
Team selbst auswählen. Danach kommt<br />
es zur Verkündung der wöchentlichen,<br />
sehr vielseitigen Challenge. Die KandidatInnen<br />
müssen zum Beispiel aus<br />
allen möglichen Materialien aus einem<br />
„1$-Shop“ das perfekte Show-Kostüm<br />
basteln oder in Gruppen ein Musical<br />
über Medikamente einstudieren. Die<br />
Kandidatin mit der besten Darbietung<br />
darf sich über Preise wie eine Reise<br />
nach Hawaii oder einen 2.000 Dollar<br />
schweren Gutschein für Fake-Wimpern<br />
freuen. Die zwei schlechtesten<br />
KandidatInnen, die von der Jury inklusive<br />
GastjurorIn, der/die oft mit ernster<br />
Miene und herablassenden, spöttischen<br />
Kommentaren am Pult thront,<br />
ausgewählt werden, müssen in einem<br />
„Lipsync-Battle“ um ihren Platz in der<br />
Show kämpfen. Wenige Sekunden nach<br />
dem Ende des Liedes wird sogleich die<br />
Verliererin bekanntgegeben. Meist tränenreich<br />
verlässt die ausscheidende<br />
Drag Queen die Bühne und die Siegerin<br />
fällt in die Arme der anderen KandidatInnen.<br />
Zwischendurch, förmlich<br />
hineingestreut, sieht man die ernsten<br />
Probleme der KünstlerInnen. Das eine<br />
oder andere Mal geschieht eine Offenbarung<br />
nicht vorhersehbar, so gesteht<br />
ein/e KandidatIn, dass ihre/seine Eltern<br />
sie nicht akzeptieren, wie er/sie ist; andere<br />
verkündigen gesundheitliche Probleme<br />
und manche leiden offen unter<br />
dem harten Konkurrenzkampf – diese<br />
rasante Mischung an Darbietungen<br />
funktioniert.<br />
Mittlerweile hat jede Folge eine Millionen<br />
ZuseherInnen – der weltweite<br />
„Netflix“-Stream wird nicht mitgezählt.<br />
Der Erfolg ist nicht unbegründet. „Es<br />
ist eine sehr schnelle, gut produzierte<br />
Serie, die Charaktere sind gut gecastet<br />
und es passiert irrsinnig viel in kurzer<br />
Zeit, was der extrem verkürzten Aufmerksamkeitsspanne<br />
der jungen Generation<br />
entgegenkommt“, konstatiert<br />
Tamara Mascara, die Drag Queen-Ikone<br />
Österreichs.<br />
„RuPaul’s Drag Race Germany“<br />
Dass es von diesem Format auch eine<br />
deutsche Version geben sollte, dieser<br />
Meinung ist Taç Romey. Der Geschäftsführer<br />
des deutschen Produktionsunternehmens<br />
„Phantomfilm GmbH“<br />
beschreibt den Erfolg dieser Castingshow<br />
aufgrund wichtiger Unterhaltungsfaktoren:<br />
„Es hat ein extrem hohes<br />
Entertainmentniveau, es ist voller<br />
Drama, es hat sehr viel Comedy und es<br />
ist künstlerisch in dem, was die einzelnen<br />
Aufgaben erfordern auf höchstem<br />
Niveau. Das sind richtige KünstlerInnen.“<br />
Seine Überzeugung von diesem<br />
Format brachte ihn so weit, dass die<br />
Phantomfilm GmbH bereits die Rechte<br />
an der TV-Show für eine deutsche Version<br />
optioniert hatte. Im Interview mit<br />
<strong>SUMO</strong> sprach Romey über die bereits<br />
gelaufenen Verhandlungen in Los Angeles<br />
mit den Machern von „RuPaul’s<br />
Drag Race“. Er betont, dass „RuPaul’s<br />
Drag Race Germany“ sehr nahe am<br />
amerikanischen Original geplant war.<br />
Die Show habe sich über die Jahre verändert<br />
und sei daran gewachsen. Eine<br />
ähnliche Entwicklung wäre auch für<br />
das Projekt in Europa geplant gewesen.<br />
Doch die deutsche Produktion lief nicht<br />
so an, wie geplant. „Wir haben damals<br />
leider keinen einzigen Sender gefunden,<br />
der sie machen wollte. Kurzzeitig hatte<br />
‚ZDFneo‘ Interesse, hätte es sehr, sehr<br />
gerne mit uns gemacht. Eine der Bedingungen<br />
war damals, dass Conchita<br />
Wurst die Rolle von RuPaul übernimmt,<br />
dann hätten wir tatsächlich eine gute<br />
Chance gehabt. Aber damals [2014]<br />
wollte Conchita das nicht und so ist das<br />
Projekt in den letzten Metern tatsächlich<br />
abgesagt worden“, erläutert Romey.<br />
Die Arbeit an dem Programm lief zeitgleich<br />
mit der Austragung des Eurovision<br />
Song Contest in Kopenhagen, bei<br />
dem Conchita Wurst den ersten Platz<br />
für Österreich erreichte. Die Kontaktaufnahme<br />
zu Conchita lief über Agenturen,<br />
ihren Fokus wollte sie nach dem<br />
Sieg auf ihre Musikkarriere legen. „Wir<br />
sind leider damals nicht zusammengekommen“,<br />
beteuert Romey.<br />
Der Geschäftsführer sieht sich selbst<br />
in erster Linie als Entertainer und will<br />
für Entertainment sorgen. Es freue ihn<br />
jedoch, wenn seine Arbeit auch eine<br />
Botschaft trägt und dadurch eine größere<br />
Akzeptanz für LGBT zu erleben ist.<br />
In erster Linie geht es jedoch um die<br />
Kunstform, dies war auch die Einstellung<br />
zu „RuPaul’s Drag Race Germany“.<br />
Romey bezeichnet die Show als „Cinderella-/Aschenputtel-Geschichte“:<br />
„Aus<br />
dem Nichts entsteht plötzlich eine unglaubliche<br />
magische Figur. Zu sehen,<br />
unter welchen Voraussetzungen das<br />
hergestellt wird, wenn man unter Zeitdruck<br />
arbeitet und sich Mühe gibt und<br />
kreativ ist und was man daraus schaffen<br />
kann: Das hat eine unwahrscheinlich<br />
positive Message.“ In vielen Fällen<br />
gehe es um junge Männer, die von ihren<br />
Eltern verstoßen wurden, unter der<br />
Brücke leben und durch „RuPaul’s Drag<br />
Race“ eine Transformation erleben, dies<br />
zeige eine positive Message, etwas<br />
meistern zu können und glücklich zu<br />
sein, so Romey. Seine Motivation: „Das<br />
sind ein paar Werte, die man durch die<br />
Qualität des Produkts auch vermittelt,<br />
und das sind Elemente, die uns natür-<br />
Drag Queens als Content Thema Trend<br />
33
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lich auch gereizt haben an der ganzen<br />
Geschichte.“<br />
Ob „RuPaul’s Drag Race Germany“<br />
seinen Weg in die deutschsprachigen<br />
Wohnzimmer bahnen wird, ist ungewiss.<br />
Taç Romey glaubt weiterhin<br />
an den möglichen Erfolg der Show im<br />
deutschsprachigen Raum. Die Rechte<br />
habe mittlerweile jemand anderer, so<br />
Romey: „Wir waren, wie ich es so oft erlebt<br />
habe, einfach zu früh mit dem Stoff.<br />
Ich wünsche den Machern Erfolg und<br />
hoffentlich stoßen sie auf offene Ohren<br />
bei den Sendern oder Plattformen, dass<br />
es ihnen gelingt.“<br />
Angebot, doch zu wenig Nachfrage<br />
Nicht nur im Fernsehen faszinieren<br />
Drags die ZuschauerInnen, auch ganze<br />
Theatersäle werden jeden Abend gefüllt.<br />
Das Musical „Kinky Boots“, welches<br />
mit der Musik von Cindy Lauper<br />
und dem Buch von Harvey Fierstein<br />
dramaturgisch ähnlich wie „RuPaul’s<br />
Drag Race“ an kritische Themen in<br />
einem bunten Mantel herangeht, ist<br />
ein großer Erfolg am Broadway in New<br />
York City und am Londoner Westend.<br />
Das Musical gewann sowohl bei den<br />
Tony Awards (6 Awards, insgesamt<br />
13 Nominierungen), bei den Grammys<br />
und beim Londoner Olivier Awards (3<br />
Awards, weitere 4 Nominierungen) die<br />
Auszeichnung in der Kategorie „Bestes<br />
Musical“. Musikalisch erreichte das Album<br />
mit allen Songs des Musical Platz<br />
1 in den Billboard Cast Album Charts.<br />
Der Inhalt spiegelt die Beziehung zweier<br />
Söhne zu deren Vätern wider. Beide<br />
werden von ihren Vätern nicht akzeptiert,<br />
denn der eine fühlt sich als Drag<br />
Queen, der andere junge Mann möchte<br />
nicht die Schuhfabrik seines Vaters<br />
übernehmen. Um seinen Vater nicht<br />
gänzlich zu enttäuschen, übernimmt er<br />
die Fabrik und beginnt ein neues Unternehmenskonzept:<br />
er produziert mit Hilfe<br />
der Show-Diva Lola Schuhe für Drag<br />
Queens.<br />
Stage Entertainment wollte von dem<br />
immensen Erfolg profitieren und holte<br />
das Erfolgsmusical in die deutsche<br />
Musicalstadt Hamburg. Dort lief es von<br />
Dezember 2017 bis September 2018,<br />
jedoch ohne großen Erfolg. „Ganz so<br />
massentauglich, wie wir es als Thema<br />
angenommen haben, noch dazu am ohnehin<br />
von Glitzer und Drag nicht armen<br />
Reeperbahn Strip in Hamburg, ist das<br />
Thema in Deutschland doch nicht. Wir<br />
haben es nicht geschafft, dieses Musical<br />
mit so vielen Gästen zu füllen, wie<br />
viele andere konventionellere Stücke“,<br />
so Stephan Jaekel, Director Communications<br />
von „Stage Entertainment“.<br />
Jaekel erläuterte, dass die eigenen<br />
kommerziellen Ziele von „Stage Entertainment“<br />
nicht erreicht wurden, jedoch<br />
sei es ein gesellschaftspolitischer Erfolg,<br />
wenn die ZuschauerInnen nach<br />
drei Stunden ein klein wenig toleranter<br />
© Copyright: pexels/Layton Findlater<br />
34<br />
Drag Queens als Content Trend
das Musical-Theater verlassen. „Stage<br />
Entertainment“ ist der erfolgreichste<br />
Betreiber von Bühnenproduktionen in<br />
Deutschland und gehört zu dem gleichnamigen<br />
internationalen Konzern. Der<br />
Aufgabenbereich umfasst die Vermarktung,<br />
die Produktion und Entwicklung<br />
von Stücken im Unterhaltungstheater,<br />
sowie das Betreiben von eigenen<br />
Theaterhäusern mit insgesamt 1.700<br />
MitarbeiterInnen in Deutschland. Das<br />
Stück „Kinky Boots“ erreichte 250.000<br />
ZuschauerInnen, im Vergleich dazu begrüßte<br />
das Musical „König der Löwen“<br />
bis 800.000 Gäste; seit 2001 haben bereits<br />
mehr als 13 Millionen Menschen<br />
das Ausnahmemusical in Hamburg gesehen.<br />
Die, die das Drag-Musical besuchten<br />
zeigten sich jedoch fasziniert.<br />
Eine Bewertung, die auf der Skala 5,0<br />
von 5,0 zeigt, stellt alle von „Stage“ in<br />
den letzten Jahren gezeigten Musicals<br />
in den Schatten. Trotzdem ist die Idee<br />
des Stücks in der Gesellschaft nicht<br />
so angenommen worden wie erhofft,<br />
so Jaekel: „Es wirkt nicht so, als wäre<br />
Drag in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“<br />
Auch seitens von „Hubert<br />
Burda Media“ erfuhr Stage Entertainment<br />
einen Dämpfer. So plante der Musicalproduzent<br />
und -veranstalter einen<br />
musikalischen Showbeitrag von „Kinky<br />
Boots“, passend zu einem möglichen<br />
Sonderpreis für Cindy Lauper bei der<br />
Bambi-Preisverleihung 2017. Die Idee<br />
erfuhr von jeder Instanz Ablehnung,<br />
bis eine eindeutige Antwort vom „Burda“-Verlagschef<br />
höchstpersönlich kam:<br />
„Herr Jaekel, das ist uns zu schwul, das<br />
ist uns zu jenseits der Gesellschaft,<br />
damit gefährde ich die Quote, sowas<br />
zeig’ ich nicht.“ Trotz des negativen<br />
Gegenwinds steht „Stage“ weiterhin<br />
zu der Botschaft des Stücks und stellt<br />
Überlegungen an, ob die Show auf Tour<br />
durch Deutschland, Österreich und die<br />
Schweiz gehen soll.<br />
Gesellschaftlich umstritten<br />
Wie sich der wachsende Drag-Content<br />
auf die Gesellschaft ausgewirkt hat,<br />
lässt sich nicht klar beantworten. Auch<br />
die ExpertInnen sind sich uneinig. Taç<br />
Romey sieht eine steigende Akzeptanz<br />
vor allem bei jungen Menschen, andererseits<br />
merke man in der Gesellschaft<br />
auch einen „weltweiten Ruck Richtung<br />
Konservatismus“, sodass auch LGBTs<br />
unterdrückt werden – die Entwicklungen<br />
gingen komplett konträr: „Je mehr<br />
Akzeptanz da ist, desto größere Reaktionen<br />
scheint diese Aktion auszulösen,<br />
was ich mit Bedauern weltweit<br />
beobachte.“ Musicals mit Drag-Inhalten<br />
begeisterten das Publikum, konnten<br />
jedoch anscheinend die Gesellschaft<br />
nicht nachhaltig mitreißen. „Wir haben<br />
es nur teilweise geschafft“, resümiert<br />
Jaekel.<br />
Einer anderen gelingt es jedoch sehr<br />
wohl. „Ich glaube, es ist gerade eine<br />
Zeit, in der genau das Thema Drag mit<br />
all seinen Facetten und Hintergründen<br />
sehr spannend für die Gesellschaft ist.<br />
Natürlich hat es auch etwas damit zu<br />
tun, was in der breiten Masse noch nicht<br />
vollkommen abgelutscht ist.“ Denn, so<br />
die Gallionsfigur der Drag-Szene Tamara<br />
Mascara pointiert: „Heute kannst du<br />
deinen Punk Style komplett bei H&M<br />
shoppen, schwul zu sein ist so gut wie<br />
normal, Drag Queens sind irgendwie<br />
noch geheimnisvoll und faszinierend“.<br />
Droht uns Biedermeier als neuer Punk?<br />
von Nicolas Hofbauer<br />
Drag Queens als Content Trend<br />
35
Kinderfilme als Geburtsstätten<br />
von Stereotypen<br />
Sie sind entweder die schlanken Prinzessinnen mit den langen Haaren,<br />
die darauf warten von ihren Prinzen gerettet zu werden, oder die<br />
tollkühnen Helden, deren Mut sie Unglaubliches tun lässt: die Vorbilder<br />
in Kinderfilmen. Wie weibliche und männliche Charaktere dargestellt<br />
werden und wie dies durch Kinder wahrgenommen wird,<br />
erläutert <strong>SUMO</strong> im Interview mit Raphaela Kohout vom Verein jugendkulturforschung.de<br />
und Wolfgang B. Ruge, Experte für Medienpädagogik.<br />
© Copyright: pexelsW/Susanne Jutzeler<br />
Die Prinzessinnen-Filme von Disney<br />
werden in 3 Abschnitte eingeteilt: die<br />
klassische Ära (1937-1959), die Renaissance-Ära<br />
(1989-1999) und die<br />
Neuzeit-Ära (ab 2009). In einer quantitativen<br />
Studie von Carmen Fought<br />
(Pitzer College, Kalifornien) und Karen<br />
Eisenhauer (North Carolina State University)<br />
aus dem Jahr 2016 wurden<br />
diese Filme linguistisch auf ihre Geschlechterdarstellungen<br />
und historischen<br />
Unterschiede hin analysiert. Obwohl<br />
bei allen Filmen der Neuzeit-Ära<br />
die HauptprotagonistInnen weiblich<br />
sind, ist der Großteil der Charaktere<br />
männlich. Weiters wurde festgestellt,<br />
dass Frauen in den Filmen überwiegend<br />
Komplimente für ihr Aussehen,<br />
aber nicht etwa für ihre Stärken oder<br />
herausragenden Eigenschaften bekommen.<br />
„Weibliche Filmfiguren werden<br />
heutzutage noch lange nicht so vielfältig<br />
dargestellt, wie es bei männlichen<br />
der Fall ist“, erläutert Raphaela Kohout,<br />
Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
bei jugendkulturforschung.<br />
de. Ginge es um männliche Darsteller,<br />
so würden diesen oftmals eine breite<br />
Palette an heldenhaften Charaktereigenschaften<br />
zugeschrieben, während<br />
sich die weiblichen Heldinnen immer<br />
mehr mit der Rolle in einer Romanze<br />
abfinden müssen. Dies lässt sich auch<br />
durch die Ergebnisse einer Studie von<br />
Fought und Eisenhauer aus dem Jahr<br />
2011 („Gender Role Portrayal and the<br />
Disney Princesses“) bestätigen. Doch<br />
man dürfe auch Disney-Filme nicht als<br />
die alleinigen „Bösen“ darstellen, da es<br />
auch hier schon Tendenzen gegen diese<br />
typischen „Disney-Stereotype“ gebe.<br />
Der Film „Mulan“ etwa stellt die Hauptfigur<br />
als eine mutige Kämpferin dar, deren<br />
Handlungsdrang und Hauptaugenmerk<br />
nicht durch eine Liebesgeschichte<br />
geprägt wird. Eine weitere Erkenntnis<br />
betrifft die Darstellung von HeldInnen<br />
und AntiheldInnen in Disney-Filmen.<br />
Während die HeldInnen, egal welches<br />
Geschlechts, immer als schön und begehrenswert<br />
beschrieben werden, sind<br />
die AntiheldInnen oftmals hässlich repräsentiert.<br />
Für Raphaela Kohout ist<br />
dies ein zwiespältiges Thema: „Solche<br />
Darstellungen helfen den Kindern, zwischen<br />
‚Gut’ und ‚Böse’ zu unterscheiden.<br />
Gut steht für schön, während hässlich<br />
mit Böse assoziiert wird. Jedoch gibt<br />
es in der Realität weit mehr Kriterien,<br />
welche über Gut und Böse entscheiden<br />
als das Aussehen.“ Auch was die Berufe<br />
der Charaktere betrifft, gebe es Unterschiede.<br />
So würden die Erwerbstätigkeiten<br />
der männlichen Charaktere viel<br />
ausführlicher dargestellt, während die<br />
Berufe der weiblichen Darsteller kaum<br />
genannt würden. „Die Genderrollen und<br />
Stereotype sind heutzutage anders als<br />
in den 50er- und 60er-Jahren. Der sorgende<br />
Hausmann und die erfolgreiche<br />
Karrierefrau sind hierbei relativ neu.“<br />
Filme seien laut Wolfgang B. Ruge, der<br />
sich in seinem Dissertationsprojekt<br />
mit Bildungspotenzialen im Kinderfilm<br />
auseinandersetzt, der Zeit voraus und<br />
könnten schnell die gesellschaftlichen<br />
Genderrollen widerspiegeln. Gehe es<br />
um die Charaktere, ist sich Ruge sicher,<br />
dass Hauptcharaktere immer etwas<br />
schematisch gezeigt würden, daher<br />
neigten sie auch dazu Stereotype abzubilden.<br />
Die Begründung hierfür findet<br />
er in der Dauer des Filmes. Da dessen<br />
Handlung in rund eineinhalb Stunden<br />
abgeschlossen sei, ginge es nicht, die<br />
Rollen so vielfältig und komplex zu gestalten,<br />
wie es zum Beispiel bei Serien<br />
möglich sei. Bei Familienbildern werde<br />
jedoch nicht immer nur der „Standard“<br />
gezeigt, in klassischen Märchen und<br />
Kinderfilmen würden Scheidungen und<br />
Patchwork-Familien thematisiert.<br />
Auf der Suche nach Vorbildern<br />
Besonders für Kinder bieten die für ihre<br />
Altersgruppen ausgerichteten Filme ein<br />
hohes Potenzial, Identifikationsrollen<br />
zu erzeugen. „Kinder probieren sich in<br />
den Rollen aus, die sie sehen und wollen<br />
das Geschlecht, mit dem sie sich<br />
selber identifizieren, so verkörpern, wie<br />
es ihnen übermittelt wird“, so Kohout.<br />
Da Kinderfilme einen wichtigen Teil für<br />
die Moralbildung ihrer Zielgruppe dar-<br />
36<br />
Kinderfilme Thema als Geburtsstätten von Stereotypen
stellen, wäre es wichtig, reale Bilder auf den<br />
Leinwänden zu sehen, bei denen die Charaktere<br />
vielfältiger präsentiert werden, und nicht<br />
nur in Form von Stereotypen. Jedoch könne<br />
man Kinderfilme nicht als einzigen Maßstab<br />
nehmen, wenn es um Vorbilder geht. „Kinderfilme<br />
können die Richtung vorgeben, sind jedoch<br />
nicht die alleinige Orientierung, denn sie<br />
spiegeln Gesellschaften wider“, so Wolfgang<br />
B. Ruge. Dies sehe man daran, wie Frauen in<br />
unserer Gesellschaft als die „Sozialen“ dargestellt<br />
werden, Männer als die Techniker.<br />
Raphaela Kohout<br />
Copyright: Elisabeth Hornberger<br />
Die Produktion von Stereotypen<br />
Es wäre also falsch zu sagen, dass Kinderfilme<br />
der Ursprung von Stereotypen sind.<br />
Doch auch Spielzeughersteller gehen gezielter<br />
als früher bei der Differenzierung vor und<br />
dies wirke sich auch auf die Medienwelt aus.<br />
„Wenn man heute in ein Spielzeuggeschäft<br />
geht, ist klar gekennzeichnet, was für Mädchen<br />
und was für Buben gedacht ist. Selbst<br />
Lego hat nun eine eigene Reihe für Mädchen<br />
kreiert“, konstatiert Raphaela Kohout. Da sie<br />
besonders bei Mädchenspielzeug bemerke,<br />
wie Spielzeuge auf Mädchen ausgerichtet<br />
sind, nämlich auf „Haushalt führen“ und „sich<br />
hübsch herzurichten“, sieht sie Parallelen zu<br />
Kinderfilmen. „Mädchen bekommen vorwiegend<br />
Pflegeaufgaben vorgeschrieben. In Filmen<br />
sieht man oftmals die fürsorgliche Mutter,<br />
die ihren Alltag im Haushalt bestreitet.<br />
Dies wird wiederum auf den weiblichen Nachwuchs<br />
übergetragen“. Wolfgang B. Ruge sieht<br />
auch noch andere Faktoren, die die Bildung<br />
typischer Geschlechterrollen beeinflussen:<br />
„Einer davon ist alles, was Medien betrifft,<br />
zum Beispiel Film oder ‚YouTube’-Stars. Was<br />
typische Geschlechterrollen sind, wird durch<br />
die große Anzahl an medialen Angeboten geprägt.“<br />
Da Medien überwiegend kommerzielle<br />
Angebote sind, schaffe Werbung einen Bedarf,<br />
der eigentlich nicht existiere. Es scheint<br />
erfolgreicher zu sein, genderspezifische Angebote<br />
zu schaffen als genderneutrale.<br />
Film und Medien generell spiegeln nur die<br />
Vorstellungen und Wahrnehmungen der Gesellschaft<br />
wider und wollen diese als Tatsachen<br />
repräsentieren. „In unserer Gesellschaft<br />
wird viel von Kindern und Jugendlichen erwartet.<br />
Das Mädchen soll die Rolle der selbstbewussten<br />
Frau schon früh an sich nehmen und<br />
Buben müssen stark sein“, erläutert Raphaela<br />
Kohout. Sie schließt mit einer provokanten<br />
These: Am besten wäre es, schon im Kindergartenalter<br />
jedem Geschlecht Klischees vom<br />
anderen Geschlecht zu übertragen. Was ist<br />
gegen blau gekleidete Technikerinnen zu sagen?<br />
von Stefanie Brandstetter<br />
Wolfgang B. Ruge<br />
Copyright: privat<br />
Kinderfilme als Geburtsstätten von Stereotypen Thema<br />
37
Superheldinnen in Film und<br />
Comic als Ausnahme der Norm<br />
Warum sehen wir in Filmen kaum Superheldinnen? <strong>SUMO</strong> diskutierte darüber<br />
mit der Comic-, Medien-und Gender-Forscherin Véronique Sina (Universität<br />
zu Köln) und mit einem weiblichen Fan.<br />
Krach. Der Hubschrauber fliegt gegen<br />
eine Stromleitung und stürzt in die Tiefe.<br />
Die Frau fällt aus dem Hubschrauber.<br />
Sie schafft es noch, sich mit all ihren<br />
Kräften an den Kufen festzuhalten. Ihre<br />
Füße baumeln in der Luft, ihr Griff wird<br />
immer schwächer, sie kann sich nicht<br />
mehr halten, sie gibt der Schwerkraft<br />
nach, sie fällt. Wie aus dem Nichts fliegt<br />
ihr „Superman“ entgegen und bewahrt<br />
sie vor dem sicheren Tod.<br />
Lena (23, Name geändert) zuckt zusammen<br />
und atmet dann erleichtert auf. Ein<br />
Grinsen macht sich auf ihrem Gesicht<br />
breit. „Eine meiner Lieblingsszenen von<br />
allen Superhelden-Filmen“, schwärmt<br />
sie, als wir uns gerade die Schlüsselszene<br />
von „Superman the Movie“ aus dem<br />
1978 ansehen. Der Raum ist dunkel, es<br />
riecht nach Popcorn, die einzige Lichtquelle<br />
ist der Fernseher, aus dem uns<br />
ein perfekt gestylter Mann mit blauen<br />
Augen, rotem Cape und ausgestreckten<br />
Händen entgegenfliegt. Superman. Der<br />
Mann als Retter, die Frau als Opfer.<br />
Vom Stillstand zur Bewegung<br />
Comics und Filme weisen einige Gemeinsamkeiten<br />
auf. Aus dem Artikel<br />
„Comics Journalism“ von Florian Hohmann<br />
und Filiz Erkal geht hervor, dass<br />
sowohl der Comic als auch der Film vereint<br />
sind unter dem Begriff „Sequenzielle<br />
Kunst“, den der Comic-Künstler<br />
Will Eisner geprägt hat. Denn für beide<br />
Medien sind Sequenzen konstitutiv, die<br />
durch das Prinzip der Induktion verbunden<br />
werden. Ein Comic besteht nicht<br />
nur aus einem Bild wie ein Cartoon oder<br />
eine Karikatur, sondern aus einer Aneinanderreihung<br />
von Bildern, die eine<br />
gewisse Zeitspanne beschreiben sollen.<br />
Die besagte Induktion bei Comics ist<br />
der Prozess der Wissensproduktion der<br />
LeserInnen, die den Leerraum zwischen<br />
den Bildern auf Basis ihres Vorwissens<br />
füllen. Wolfgang B. Ruge und Christian<br />
Swertzerklären in ihrem Aufsatz „Film“<br />
(Sammelband „Grundbegriffe Medienpädagogik“),<br />
dass der Film aus einer<br />
Aneinanderreihung von Einzelbildern<br />
besteht, der aus 16 bzw. 24 Bilder pro<br />
Sekunde wiedergegeben wird. Beim<br />
Film kann unter Induktion folgendes<br />
verstanden werden: Es werden verschiedene<br />
Szenen nacheinander abgespielt<br />
und der/die ZuseherIn erkennt<br />
die Nachricht, die die/der Filmschaffende<br />
übermitteln möchte; z.B. ein Messer,<br />
eine schreiende Frau und Blut bedeuten,<br />
dass ein Mord begangen wurde.<br />
Wie kommt man nun vom Comic zum<br />
Film? Schon seit geraumer Zeit werden<br />
literarische Werke filmisch adaptiert.<br />
Mit „The Green Hornet“ wurde der erste<br />
Comic in die gleichnamige Film-Serie<br />
transferiert. Seitdem wurden unzählige<br />
Superhelden-Filme und -Serien auf Basis<br />
von Comics geschaffen.<br />
© Copyright: pexels/freestocks.org<br />
38<br />
Thema Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm
Faszination Superheld<br />
„Ich habe immer schon Superhelden-Filme<br />
geschaut. Als ich kleiner war,<br />
durfte ich immer heimlich länger munter<br />
bleiben und mit meinem Papa solche<br />
Filme gucken. Mama wusste nie etwas<br />
davon. Da bin ich mir selbst wie einekleine<br />
Superheldin vorgekommen. Und<br />
heute mag ich sie natürlich auch noch<br />
immer und ich werde sie sicher weiterhin<br />
schauen“, erzählt Lena. Auf die Frage,<br />
ob diese Filme nicht nur etwas für<br />
Kinder sind: „Nein, sind sie nicht. Die<br />
meisten Superhelden-Filme,die ich gesehen<br />
habe, sind viel zu brutal und beschäftigen<br />
sich mit Themen, mit denen<br />
Kinder nichts anfangen können.“ Denn<br />
ursprünglich waren Comics für Kinder<br />
gedacht. Robin S. Rosenberg konstatiert<br />
in „Our Superheroes, Ourselves“,<br />
dass erst mit dem Film„Superman“ alle<br />
Altersgruppen angesprochen wurden.<br />
Eine Frau oder ein Mann in einem bunten<br />
Kostüm? Da stellt sich die Frage,<br />
warum sowohl Kinder als auch Erwachsene<br />
sich solche Filme ansehen bzw.<br />
die Comics lesen. Laut Véronique Sina<br />
sei das Superhelden-Genre zwar sehr<br />
speziell, aber es bringe eine sehr große<br />
Vielfalt mit sich. Es besitze eine hohe<br />
Spannbreite, um die verschiedensten<br />
Altersgruppen zu erreichen. Allerdings<br />
gebe es auch Comics, die sich primär<br />
an eine erwachsene Leserinnenschaft<br />
richten, wie z.B. „Watchman“. Auch<br />
Superhelden-Filme werden oft und<br />
gerne von Erwachsenen rezipiert. Diese<br />
wecken oft ein Nostalgiegefühl bei<br />
Menschen, die diese Filme und Comics<br />
schon im jungen Alter rezipiert hatten.<br />
Wenn sie im Kino gesehen werden, ist<br />
der Film die einzige Konzentrationsquelle,<br />
daher kann die Fantasiewelt der<br />
Kindheit wieder erlebt werden.Weiters<br />
sind alle Superhelden-Filme immer<br />
ähnlich, und es ist irrelevant, wie die<br />
Handlung verläuft, die ZuseherInnen<br />
wissen, dass der Superheld wieder alles<br />
in Ordnung bringt. Natürlich passen<br />
sich die Qualität des Films und auch die<br />
Charakteristika der HeldInnen auch an<br />
die Zeit an, sodass diese realistischer<br />
wirken. Damit sich jede Person aus<br />
dem Publikum mit einer Superheldenfigur<br />
identifizieren kann, wurden extrem<br />
viele erschaffen, die unterschiedliche<br />
geschichtliche Hintergründe und moralische<br />
Ansichten haben.<br />
Sexappeal statt Köpfchen<br />
„Ein starker, muskulöser, gutaussehender<br />
Mann, der irgendeine Art übernatürliche<br />
Kraft hat“, schwärmt Lena<br />
auf die Frage, wiedenn ein typischer<br />
Superheld aussehe. „Warum denn nicht<br />
weiblich? Es gibt auch weibliche Superhelden“,<br />
hake ich nach. „Naja, weil du<br />
nach dem typischen Helden gefragt<br />
hast und der ist nun mal männlich, machen<br />
wir uns nichts vor“, antwortet sie<br />
und sie hat Recht. Weibliche Superhelden<br />
sind die Ausnahme statt der Norm.<br />
In welchen Rollen ist dann die Frau zu<br />
finden? Laut einer Studie von Hillary<br />
Pennell und Elizabeth Behm-Morawitz<br />
(„The Empowering (Super) Heroine? The<br />
Effects of Sexualized Female Characters<br />
in Superhero Films on Women“)<br />
werden Frauen –unabhängig von ihrer<br />
Rolle –in Filmen meist extrem sexualisiert<br />
dargestellt. Sogar in jugendfreien<br />
Filmen und Serien steht bei Frauen die<br />
Sexualisierung durch ihre oft kurvigen<br />
Figuren und aufreizende Kleidung<br />
weiter im Vordergrund als deren Charakter.<br />
Véronique Sina konstatiert im<br />
Gespräch mit <strong>SUMO</strong>, dass sich diese<br />
Aussage auch auf Comics übertragen<br />
lasse. Denn Comicsseien schon über<br />
einen langen Zeitraum auf dem Markt<br />
und im Laufe der Jahre hätten sich die<br />
Rollen durch die verschiedenen ZeichnerInnen<br />
und AutorInnen durchaus<br />
verändert. Zu den typischen weiblichen<br />
Rollen zählen laut Sina Nebenrollen wie<br />
z.B. das Opferoder die Schurkin,und die<br />
Liebesbeziehung. Wobei man zwischen<br />
der verführerischen Frau, die Gefahr mit<br />
sich bringt oder der potentiellen Geliebten<br />
unterscheiden müsse. Letzteretreffe<br />
man häufig in Comics an, denn der<br />
scheinbar unnahbare Superheld würde<br />
durch die Beziehung zu einer Frau zwar<br />
einerseits verwundbarer, gleichzeitig<br />
aber auch menschlicher werden. Darüber<br />
hinaus liefert das weibliche Opfer,<br />
welches immer wieder aus lebensbedrohlichen<br />
Situationen gerettet werden<br />
muss, einen wichtige Motivator für die<br />
serielle Narration.<br />
„Wonder Woman“ lebt!<br />
Es begann wie bei fast allen Superhelden-Filmen<br />
mit einer Comicvorlage.<br />
„Wonder Woman“ ist eine Amazonenprinzessin,<br />
die unter Frauen auf der<br />
Insel Themyscira aufgewachsen ist<br />
und in der Zivilisation für Gerechtigkeit<br />
kämpft. Im Artikel „the new wonderwoman“<br />
von Cory Albertson geht hervor,<br />
dass sie die älteste Superheldin und<br />
eine der ältesten SuperheldInnen allgemein<br />
ist. 1941 wurde sie von dem<br />
Psychologen William Moulton Marston<br />
ins Leben gerufen. Als „stark wie Herkules“,<br />
„weise wie Athene“ und „schön<br />
wie Aphrodite“ wird sie im Comic beschrieben.<br />
Sie stand schon immer für<br />
starke, freie und mutige Weiblichkeit.<br />
In den Comics wurde besonders durch<br />
Symbole wie Fesseln oder Schlägen die<br />
ungleiche Behandlung von Frauen und<br />
Männern in der Gesellschaft ausgedrückt.<br />
Die Szenen nahmen allerdings<br />
überhand, sodass der Co-Autor Marston<br />
eine Nachricht schicken musste,<br />
in der er bat, die Fesselszenen um 50-<br />
70% zu reduzieren. In den 1990er-Jah-<br />
Der fliegende Star<br />
Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Thema Norm<br />
Ihrer Veranstaltung! 39
en jedoch hatte „Wonder Woman“ laut<br />
Sina eine große Oberweite, lange Beine<br />
und eine schmale Taille. Daraus wird<br />
ersichtlich, dass die ZeichnerInnen die<br />
Darstellungsformen, wie zuvor erwähnt,<br />
oft geändert haben. Ihre ersten richtigen<br />
Filmauftrittehatte sie in „Batman<br />
vs. Superman –Dawn of Justice“ (2016),<br />
ehe sie 2017 ihren eigenen Film bekam.<br />
Es hätte ewig gedauert, bis endlich eine<br />
weibliche Protagonistin einen eigenen<br />
Blockbuster bekommen hat, obwohl der<br />
Comic gleich erfolgreich war wie Batmanund<br />
Co., erklärt Sina. Nicht nur die Figur<br />
„Wonder Woman“ selbst zeigt, dass<br />
Frauen mindestens genauso viel auf<br />
dem Kasten haben wie Männer, sondern<br />
auch hinter der Kamera hält das erste<br />
Mal eine Frau –Patty Jenkins –das Ruder<br />
bei der Verfilmung einer Comicadaption.<br />
Für Sina spiegeln sich im Film die klassischen<br />
„Wonder Woman“-Comics des<br />
Golden Ageswider. Denn die Protagonistin<br />
trete für Liebe und Empathie ein,<br />
was wiederum stereotypische weibliche<br />
Eigenschaften seien. Außerdem möchte<br />
sie alle Menschen zum Guten bekehren<br />
und zu besseren Menschen machen,<br />
was dieses Statement wiederum unterstreicht.<br />
Weiters meint Sina, dass „Wonder<br />
Woman“ den typischen Schönheitsidealen<br />
entspreche, kurze Kleidung und<br />
sogar hohe Absätze trage. „Es gibt keinen<br />
Grund, warum diese Amazonenprinzessin<br />
Absätze braucht, aber sie trägt sie<br />
trotzdem“, stellt sie fest.<br />
Das Publikum sagt...<br />
Auch Lena war eine der begeisterten<br />
Fans, die sich um eine Kartefür die Kinopremiere<br />
bemühten. Mit drei anderen<br />
FreundInnen sah sie sich im Juni 2017<br />
den Film an und wurde in ihren Erwartungen<br />
nicht enttäuscht. Sie erinnert<br />
sich: „Ich bin immer noch begeistert.<br />
Der Film war super. Nachdem ich diesen<br />
Film gesehen habe, dachte ich, dass ich<br />
einfach alles machen kann.“ Das Publikum<br />
von Superhelden-Comics und -Filmen<br />
besteht jedoch zum größten Teil<br />
aus männlichen Zuschauern. Dies ist<br />
ein Grund, warum Superhelden männlich<br />
sind und Frauen so schön wie möglich<br />
dargestellt werden. Allerdings sei<br />
das nicht der Hauptgrund, so Sina. „Es<br />
werden Stereotype und Darstellungsklischees<br />
aufgegriffen, die in unserer<br />
Gesellschaft schon ewig kursieren.“ Das<br />
Bild „Mann tritt eine Heldenreise an und<br />
wird mit Liebe von Frau belohnt“ gebe es<br />
schon seit Odysseus. Außerdem werde<br />
dem Zielpublikum auch immer das Gleiche<br />
vorgesetzt, so hätte es auch keine<br />
Chance,sich etwas anderes zu wünschen.<br />
Doch wie reagieren Männer darauf,<br />
wenn plötzlich eine Frau als Superheldin<br />
im Mittelpunkt steht? Es wird von<br />
den Produzenten natürlich erhofft, dass<br />
auch das männliche Publikum mit dem<br />
Film „Wonder Woman“ erreicht wird,<br />
weil sie hübsch anzusehen ist. Sina erklärt<br />
an dem Beispiel „Ghost Busters“,<br />
dass es nach dem Kinostart negative<br />
Kritiken hagelte, denn männliche Fans<br />
meinten, dass ihnen ihre Kindheitshelden<br />
genommen wurden. Das kippe<br />
ganzschnell in eine antifeministische<br />
Haltung, die gefährlich sein könne. Auch<br />
in der Comic-Kultur ist das schon lange<br />
gang und gebe. Wenn Zeichnerinnen gewisse<br />
Dinge ändern oder neue weibliche<br />
Charaktere hinzufügen, werden sie dafür<br />
oft von ihren Lesern angefeindet. Trotzdem<br />
konnte „Wonder Woman“ überzeugen<br />
und ProduzentInnen in Hollywood<br />
sahen, dass auch Filme mit Frauen in der<br />
Hauptrolle hervorragend beim Publikum<br />
ankommen. Nicht zuletzt deshalb wurde<br />
„Captain Marvel“ mit einer Superheldin<br />
an vorderster Front gedreht, im März<br />
2019 soll er Premiere feiern –und Zuseher<br />
wie Zuseherinnen anlocken.<br />
Véronique Sina<br />
Copyright: Michael Sina<br />
von Kristina Wagner<br />
© Copyright: pexels/freestocks.org<br />
40<br />
Thema Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm
Geschlechterbilder religiöser Printmedien<br />
Religion gilt oft als konservativ – so auch religiöse Medien. <strong>SUMO</strong> blickt hinter dieses Klischee und interviewte Matthäus<br />
Fellinger, Chefredakteur der „Kirchen Zeitung”, und Christine Haiden, Chefredakteurin der Monatszeitschrift<br />
„Welt der Frauen”.<br />
„Religion ist veraltet“, lautet eine vor allem<br />
bei jungen Menschen weit verbreitete<br />
Ansicht. Mit „veraltet“ ist hierbei auch<br />
das Geschlechterverhältnis gemeint. Ob<br />
mangelnder Gleichberechtigung könnte<br />
man oberflächlichauch darauf schließen,<br />
dass religiöse oder von religiösen Institutionen<br />
herausgegebene Medien der<br />
Frau weniger Beachtung schenken als<br />
dem Mann.<br />
Rolle der Frau in der Religionsgeschichte<br />
Um sich diesem Thema fundiert zu nähern,<br />
ist ein Blick auf genderbasierte<br />
Analysen von Religion unerlässlich. Laut<br />
dem „Handbuch Religionssoziologie“<br />
(Pollack et al. 2018) seien Religionen in<br />
ihren Ansichten lange Zeit als unantastbare<br />
Ideale gehalten worden, dementsprechend<br />
wurde auch die Geschlechterungleichheit<br />
in allen Bereichen des<br />
gesellschaftlichen Lebens durchgesetzt.<br />
Das typische Bild der Frau bis etwa<br />
1800 sei von Ehe und Haushalt geprägt<br />
geworden, bevor die Geschlechterungleichheit<br />
neu gerahmt wurde. Frauen<br />
versuchten sich religiös zu engagieren<br />
und suchten in der Religion nach Erfüllung<br />
neben dem Haushalt. So entstanden<br />
im 19. Jahrhundert religiöse Frauenbewegungen,<br />
man spreche gar von der<br />
Feminisierung von Religion. Gleichzeitig<br />
jedoch setzte der Bedeutungsrückgang<br />
der Religion ein. Frauen stellten sogar<br />
weltweit die Mehrheit in Missionsbewegungen,<br />
aber die Kirche wurde dadurch<br />
nicht weiblicher. Es bildete sich vielmehr<br />
ein Ort maskuliner Domäne. Auch wenn<br />
mehr Frauen mitwirkten als zuvor, blieben<br />
ihnen Machtpositionen verwehrt,<br />
teilweise sogar bis heute. Im 20. Jahrhundert<br />
forderten Frauen den Zugang<br />
zu religiöser Bildung und auch berufliche<br />
Teilhabe in der Religionsgemeinschaft.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in<br />
der katholischen Kirche die Debatte zur<br />
geschlechtlichen Teilung in der kirchlichen<br />
Organisation erneut entfacht,<br />
wodurch Frauen Zugang zu gewissen<br />
geistlichen Ämtern gewährt wurde. Im<br />
evangelischen Kontext sei man einen<br />
Schritt voraus, hier sind Frauen den<br />
Männern auf allen Ebenen des kirchlichen<br />
Lebens gleichgestellt. Der Wandel<br />
religiöser Geschlechterverhältnisse<br />
werde allerdings noch unterschätzt, da<br />
einerseits die Geschlechterforschung die<br />
Religion ausklammere und die Religionssoziologie<br />
die Geschlechterforschung<br />
ausblende. Durch religiöse Symbolisierung<br />
und kulturelle Bräuche sei ein sehr<br />
konservatives Geschlechterbild trotzdem<br />
noch in den Köpfen vieler BürgerInnen.<br />
Laut M. J. Neitz könne Religion aber<br />
nur verstanden werden, wenn man sie<br />
als orts-und zeitabhängig betrachte. Die<br />
geschlechtlichen Ansichten in der Religion<br />
variieren also.<br />
Was zählt,<br />
sind die Menschen.<br />
Entweder, oder? Ich will alles.<br />
Johannes, 24 Jahre<br />
Teile deinen persönlichen #glaubandich Moment auf:<br />
Geschlechterbilder regligiöser Printmedien<br />
Thema<br />
41
Vielfalt der religiösen Medien<br />
Mindestens so vielfältig wie die Ansichten<br />
sind, sind es auch die religiösen<br />
Medien in Österreich. Angefangen beim<br />
ORF, der durch einen gesetzlichen Auftrag<br />
über eine eigene „Hauptabteilung<br />
Religion“ sowohl im Radio als auch Fernsehen<br />
verfügt, zeigt sich bereits der nach<br />
wie vor hohe Stellenwert von Religion<br />
im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es<br />
gibt regelmäßige Religionssendungen in<br />
Radio und TV, auch eine Vielzahl von Gottesdiensten<br />
wird übertragen. Neben dem<br />
ORF veröffentlichen auch eine große<br />
Menge an katholischen Medien Beiträge.<br />
Neben vielen Zeitungen und Zeitschriften<br />
verbreiten auch die beiden freien<br />
Radiosender „radio klassik Stephansdom“<br />
und „Radio Maria“ den christlichen<br />
Glauben. Auch andere Religionen publizieren<br />
Printmedien in Österreich, wie das<br />
jüdische Stadtmagazin „wina“ oder „Der<br />
Wachtturm“ und „Erwachet!“ der Zeugen<br />
Jehovas zeigen.<br />
„KirchenZeitung“ und ihre Geschlechterbilder<br />
Jedes Bundesland verfügt über eine eigene<br />
katholische Diözese, die jeweils eine<br />
wöchentlich erscheinende Kirchenzeitung<br />
publiziert. Matthäus Fellinger, Chefredakteur<br />
der „KirchenZeitung“ der Diözese<br />
Linz, gibt <strong>SUMO</strong> einen Einblick in die<br />
Geschlechterstruktur der auflagenmäßig<br />
zweitstärksten Kirchenzeitung Österreichs.<br />
Laut Fellinger gab es früher eine<br />
Art von Ressort, das speziell Frauen gewidmet<br />
war, aber nun versuche man als<br />
gendergerechte Zeitung in allen Themen<br />
die Anliegen beider Geschlechter zum<br />
Ausdruck zu bringen. „Ich möchte jetzt<br />
nicht behaupten, dass wir da besonders<br />
gut sind, denn wir sind nach wie vor ein<br />
Abbild der Realität“. Durch die geringe<br />
Zahl an Frauen in verantwortlichen Positionen<br />
sei die katholische Kirche einfach<br />
zu männerlastig. Dieses Problem sei ein<br />
wechselwirkendes. „Die Weltkirche ist<br />
[bei den Ämtern] noch nicht mutig genug.<br />
Wenn aber Beiträge auftreten, die<br />
dies einmahnen, sind die Widersprecher<br />
unter Frauen und Männern gleich zu finden“,<br />
meint Fellinger. Das geschlechtliche<br />
Gleichgewicht in der Redaktion sei auch<br />
ein wichtiges Anliegen der „KirchenZeitung“:<br />
„In der Redaktion sind wir drei<br />
Männer und drei Frauen. Wenn eine Frau<br />
ausscheidet, wird versucht, die Position<br />
wieder mit einer Frau zu besetzen, da<br />
dies enorm wichtig für die Blickwinkel<br />
einer Zeitung ist“.<br />
„Welt der Frauen“ in einer Zeit der<br />
Emanzipation<br />
Die katholische Zeitschriftenlandschaft<br />
in Österreich verfügt über eine enorme<br />
Vielfalt. Neben unterschiedlichsten Kultur-,<br />
Ordens-oder Missionszeitschriften<br />
sticht das Magazin „Welt der Frauen“,<br />
herausgegeben von der katholischen<br />
Frauenbewegung (kfb), hervor mit einer<br />
Auflage von rund 50.000 Exemplaren.<br />
Chefredakteurin Christine Haiden beantwortet<br />
<strong>SUMO</strong> Fragen zum Umgang mit<br />
Geschlechterdifferenzen. Das Monatsmagazin<br />
versuche Frauen als „eigenständige,<br />
selbstbestimmte Menschen zu<br />
sehen, die sich nicht in Abhängigkeit von<br />
jemand anderen definieren“. Die „Welt<br />
der Frauen“ fokussierte zwar schon immer<br />
Frauen, aber die Frau durfte den Titel<br />
des Magazins erst seit 1964 schmücken.<br />
Gegründet 1946 als „Licht des Lebens“<br />
sollten Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
„aus einem kirchlichen Milieu heraus<br />
zu den Trägerinnen einer neuen Wertewelt<br />
gemacht werden“, erklärt Haiden.<br />
Als Erzieherinnen der nächsten Generationen<br />
seien neue Werte abseits des Zerstörerischen<br />
essentiell gewesen. „In den<br />
1960er Jahren sind die Frauen mehr ins<br />
gesellschaftliche Leben integriert worden,<br />
weshalb die Umbenennung auf ‚Welt<br />
der Frau‘ geschah. Die Frauen begannen<br />
sehr stark mit einer eigenen Entwicklung,<br />
auch in der Religion“, führt die Chefredakteurin<br />
aus. Das katholische Milieu habe<br />
sich jedoch sehr spät mit diesen Fragen<br />
Christine Haiden<br />
Copyright: Alexandra Grill<br />
Matthäus Fellinger<br />
Copyright: KirchenZeitung - Franz Litzlbauer<br />
42<br />
Geschlechterbilder Thema<br />
religiöser Printmedien
auseinandergesetzt, da es zu patriarchalisch<br />
geprägt war. Die 2018 erfolgte Umbenennung<br />
auf „Welt der Frauen“ solle die Abgrenzung<br />
von Frauen in einer eigenen Welt<br />
nicht mehr länger suggerieren. „Durch die<br />
Emanzipation ist die Rollenvielfalt von Frauen<br />
sehr groß geworden, weshalb den Frauen<br />
nun ganz viele Welten offen stehen und das<br />
wollten wir mit dem Titel auch vermitteln“,<br />
so Haiden. Beim Umgang mit sensiblen Themen<br />
im Bereich der Geschlechterungleichheit<br />
sei die „Welt der Frauen“ ein Sprachrohr<br />
für Frauen: „Unser erster Zugang ist, dass<br />
die Frauen für sich selbst sprechen können.<br />
Unsere Aufgabe ist noch Unbekanntes, das<br />
vielleicht emotional noch Abwehr auslöst, zu<br />
erzählen.“ Das Ziel sei auch, zögerliche Frauen<br />
zu motivieren, etwas zu tun. Die „Welt der<br />
Frauen“ werde auch von Männern gelesen,<br />
der Anteil betrage rund 25% der LeserInnen.<br />
Hass empfinge die Welt der Frauen kaum,<br />
Kritik sei „immer innerhalb des normalen<br />
Diskussionsrahmen“.<br />
Ausgang der Genderdebatte<br />
Christine Haiden sieht die Genderthematik<br />
in der Medienlandschaft Österreichs nicht<br />
allzu problematisch. „Wie ich das einschätze,<br />
ist die Reflexion über das Genderthema<br />
in Medienbereichen nicht größer wie sonst<br />
irgendwo. Es gibt bei vielen Männern eine<br />
massive emotionale Abwehr gegen dieses<br />
Thema, da Feminismus oft attackierend gesehen<br />
wird. Es ist bei den meisten nicht im<br />
Bewusstsein, dass es auch um die eigene<br />
Rollenfrage geht. Es wird durch Pressure<br />
Groups zu sehr vom Genderwahn gesprochen,<br />
weshalb das Thema für viele ein No-<br />
Go ist“, stellt Haiden ihre Sicht dar. Sie sieht<br />
jedoch eine positive Zukunft: „Es gab noch<br />
keine emanzipatorische Bewegung in der<br />
Geschichte, in der die bedrohte Mehrheit<br />
nicht gegen Veränderung angekämpft hat.“<br />
Es werde also oft das eigentliche Ziel dieser<br />
Debatten verfehlt. Auch religiöse Printmedien<br />
stehen in der Genderfrage mitten im<br />
kirchlichen Veränderungsprozess, sie sind<br />
ein Teil dieses Prozesses. Aber die Religionsgemeinschaften<br />
selbst entwickeln sich mit<br />
den aktuellen Veränderungen, erklärt Fellinger:<br />
„Veränderung ist immer wichtig. Wo keine<br />
Veränderung ist, ist kein Leben. Wenn die<br />
Kirche im Lebensprozess der Menschen eine<br />
Rolle spielen möchte, muss sie sich mitverändern“.<br />
von Jan Müllner<br />
© Copyright: unsplash/IV Horton<br />
Geschlechterbilder religiöser Printmedien Thema<br />
43
Sexualisierte Darstellung von Frauen<br />
in der bildenden Kunst<br />
Ein Fall von #MeToo?<br />
Im Zuge der #MeToo-Bewegung wird auch die bildende Kunst häufig als sexistisch<br />
kritisiert. <strong>SUMO</strong> sprach darüber mit Gabriele Schor, Gründungsdirektorin<br />
der SAMMLUNG VERBUND, und Hanno Rauterberg, Kunstkritiker der deutschen<br />
Wochenzeitung „DIE ZEIT“.<br />
© Copyright: pexels/freestocks.org<br />
Seitdem Menschen Kunst schaffen, wird<br />
über den Umgang mit Sexualität in ihrer<br />
Darstellung diskutiert. Beispiele für Eingriffe<br />
in bildnerische Manifestationen gab<br />
und gibt es viele, über alle Zeiten und Kulturen.<br />
Im Oktober 2017 begann mit einem<br />
„Twitter“-Post der Schauspielerin Alyssa<br />
Milano die #MeToo-Bewegung. Nicht erst,<br />
aber vermehrt anlässlich dieser Initiative<br />
wurde die Aufmerksamkeit auf die Opfer<br />
sexueller Übergriffe und Gewalt auch in<br />
der Kunstwelt gelegt, sowie auf sexuelle<br />
Inhalte. Sexistische Kunstwerke können<br />
nicht mehr vorwurfsfrei betrachtet werden.<br />
Die Kritik daran, dass Frauen in der<br />
bildenden Kunst oft sexualisiert dargestellt<br />
werden, ist keine neue. Die Guerilla<br />
Girls, eine Gruppe feministisch aktivistischer<br />
Künstlerinnen, machten bereits vor<br />
30 Jahren mit ihrer Aktion „Do Women<br />
Have To Be Naked To Get Into The Metropolitan<br />
Museum?“ darauf aufmerksam,<br />
dass nur 5% jener KünstlerInnen,<br />
deren Werkein der Modern Art-Abteilung<br />
des New Yorker Renommee-Museums<br />
ausgestellt wurden, Frauen sind, während<br />
85% der Nackten weiblich sind.<br />
Auch Hanno Rauterberg, promovierter<br />
Kunsthistoriker, sagt: „Die Diskussion<br />
war schon einmal viel weiter. Und es ist<br />
beschämend, wie wenig die Museen und<br />
Kunsthallen aus den Protesten der siebziger<br />
und achtziger Jahre gelernt haben.“<br />
Umso erfreulicher sei es nun, dass durch<br />
die #MeToo-Bewegung das öffentliche<br />
Bewusstsein für Sexismus in der Kunst<br />
wieder geschärft werde. Endlich könne<br />
wieder über solche Fragen mit einem<br />
breiten Publikum diskutiert werden, weil<br />
die Sensibilität insgesamt gewachsen sei.<br />
Wie diese Diskussion rund um diverse Bilder<br />
in Taten umgesetzt werden kann, ist<br />
umstritten. Häufig wird in diesem Zusammenhang<br />
von Zensur gesprochen – und<br />
ebenso gehandelt.<br />
„Hylas und die Nymphen“<br />
In der Manchester Art Gallery wurde zu<br />
Beginn des Jahres 2018 das 1896 entstandene<br />
Gemälde „Hylas und die Nymphen“<br />
von John William Waterhouse abgehängt.<br />
Das Bild stellt eine Szene aus<br />
der antiken Mythologie dar, in der ein<br />
junger Mann von mehreren nackten Nymphen<br />
in einen Teich und sodann in den Tod<br />
gelockt wird. Das Gemälde stelle den Körper<br />
der Frau als passive, dekorative Form<br />
dar, so die Kuratorin Clare Gannaway. Bei<br />
der Aktion handelte es sich jedoch nicht –<br />
wie viele vorschnell urteilten –um Zensur.<br />
Eher ging es dem Museum dabei um den<br />
performativen Akt: Das Bild wurde nur für<br />
eine kurze Zeit abgehängt, damit BesucherInnen<br />
ihre Meinung zu dieser Aktion<br />
an die leere Stelle an der Wand heften<br />
konnten. Die Aktion sollte eine Diskussion<br />
anregen, ob Kunst, die klassische Rollenmuster<br />
zwischen Mann und Frau darstellt,<br />
in Museen ausgestellt werden solle.<br />
In einer im „Guardian“ veröffentlichten<br />
Stellungnahme der an der Aktion beteiligten<br />
Künstlerin Sonia Boyce erklärte sie,<br />
dass jeden Tag weltweit Bilder in Museen<br />
ab-, um- und Neue aufgehängt werden.<br />
Das sei ein kuratorischer Prozess, von<br />
dem die meisten BesucherInnen nichts<br />
mitbekämen und den niemand als Zensur<br />
bezeichnen würde. Hier sollte lediglich<br />
ein größeres Publikum in diesen kuratorischen<br />
Entscheidungsprozess einbezogen<br />
werden. Das Museum wollte dabei„das<br />
Frauenbild des 19. Jahrhunderts befragen,<br />
das Frauen entweder als ‚passive dekorative<br />
Form’ oder als ‚Femme fatale’in<br />
Szene setzt“, so Hanno Rauterberg. Es sei<br />
dem Museum darum gegangen, einem<br />
größeren Publikum vor Augen zu führen,<br />
wie der weibliche Körper von manchen<br />
Künstlern benutzt wurde. Boyce habe<br />
wissen wollen, wie die BesucherInnen das<br />
heute wahrnehmen. „Genau darum muss<br />
es im Museum immer wieder gehen, finde<br />
ich: Den eigenen Blick zu reflektieren und<br />
die Reproduktion von Klischees zu hinterfragen“,<br />
meint Rauterberg.<br />
„Thérèse, träumend”<br />
Die Künstlerin Mia Merril rief im November<br />
2017 in einer Online-Petition das<br />
Metropolitan Museum of Art in New York<br />
dazu auf, das Bild „Thérèse, träumend“<br />
von Balthus nicht mehr auszustellen. Das<br />
Gemälde zeigt ein Mädchen, das entspannt<br />
auf einem Stuhl sitzt. Dabei legt<br />
44<br />
Sexualisierte Thema Darstellung von Frauen in der bildenden Kunst
Gabriele Schor<br />
Copyright: Katharina Gossow<br />
Hanno Rauterberg<br />
Copyright: Privat<br />
sie ihr Bein hoch, sodass ihr Rock nach<br />
oben rutscht und die Unterhose des<br />
Mädchens zu sehen ist. Merril sei beim<br />
Besuch des Museums geschockt gewesen,<br />
ein Bild zu sehen, das ein junges<br />
Mädchen in einer solch „sexuell anzüglichen<br />
Pose“darstelle. Im Zuge der<br />
Auseinandersetzung um sexuelle Gewalt,<br />
die jeden Tag mehr in den Vordergrund<br />
der Öffentlichkeit rücke, würde<br />
das Museum –eventuell unbeabsichtigt<br />
–Voyeurismus und Objektifizierung<br />
von Kindern fördern. In einem späteren<br />
Zusatz stellte Merril klar: Sie wünsche<br />
nicht, das Bild zu zensurieren oder zu<br />
zerstören, sondern fordere das Museum<br />
lediglich dazu auf, die Ausstellungsweise<br />
und den Kontext zu überdenken<br />
bzw. zu ändern. Das könne entweder<br />
durch das Abhängen des Bildes erreicht<br />
werden oder durch das Zurverfügungstellen<br />
von zusätzlichem Kontext, wie<br />
etwa einem Schild mit der Aufschrift:<br />
„Manche Betrachterinnen und Betrachter<br />
empfinden dieses Werk als offensiv<br />
oder störend, berücksichtigt man Balthus‘<br />
Vernarrtheit in junge Mädchen.“<br />
Die Petition wurde zu Redaktionsschluss<br />
von knapp 12.000 Personenunterschrieben.<br />
Laut Schor und Rauterberg<br />
können zusätzliche Informationen<br />
eine Lösung sein. Solche Schilder sind in<br />
den USA häufig zu finden und RezipientInnen<br />
wissen somit, dass sie mit ihren<br />
Gefühlen nicht alleine sind, schreibt<br />
Rauterberg in seinem Buch „Wie frei ist<br />
die Kunst?“, in dem er Fälle wie diesen<br />
analysiert. Für Gabriele Schor, promovierte<br />
Philosophin, international tätige<br />
Kuratorin und Gründungsdirektorin der<br />
SAMMLUNG VERBUND, ist es wichtig,<br />
dass das Bild – z.B. mittels Wandtexten<br />
und Erklärungen – in einen Kontext gesetzt<br />
bzw. auch erörtert wird oder auch<br />
durch andere Bilder von Künstlerinnen<br />
konterkariert wird. Hanno Rauterberg<br />
meint, dass Schilder, die etwas zum<br />
Hintergrund eines Kunstwerks beisteuern<br />
in manchen Fällen sinnvoll seien.<br />
Man müsse aber vorsichtig damit umgehen,<br />
da eine solche „Überpädagogisierung“<br />
dazu führen könne, dass sich<br />
BesucherInnen des Museums bevormundet<br />
fühlten.<br />
Chuck Close<br />
Eine andere Frage, die im Zuge dieser<br />
Kunstdebatte und #MeToo auftaucht,<br />
ist jene nach dem Umgang mit Werken<br />
von Künstlern, die sich sexistisch<br />
verhalten haben oder denen sexuelle<br />
Belästigung vorgeworfen wird. Die National<br />
Gallery of Art in Washington D.C.<br />
sagte Anfang 2018 eine Retrospektive<br />
von Chuck Close ab. Dieser solle anzügliche<br />
bzw. sexistische und erniedrigende<br />
Bemerkungen über die Körper seiner<br />
Modelle gemacht haben. Von sexuellen<br />
Übergriffen sei keine Rede gewesen,<br />
hält Rauterberg in seinem Buch „Wie<br />
frei ist die Kunst?“ fest. Eine inhaltliche<br />
Begründung seitens des Museums<br />
blieb aus. Manche meinen, die Absage<br />
der Ausstellung sei eine gerechtfertigte<br />
Maßnahme, um die Schwere und das<br />
Ausmaß von sexueller Gewalt in der Gesellschaft<br />
deutlich zu machen. Rauterberg<br />
ist diesbezüglich anderer Meinung:<br />
Es sei den Gerichten vorbehalten, diese<br />
Straftaten zu ahnden und entsprechende<br />
Strafen zu verhängen. Es sei daher<br />
falsch bzw. voreilig, Ausstellungen nur<br />
auf Basis eines Verdachts abzusagen.<br />
Gabriele Schor hätte Verständnis für<br />
eine Absage einer Ausstellung, meint<br />
jedoch, es müsse bei jedem Fall erst<br />
sehr genau überprüft werden, ob die<br />
Vorwürfe gerechtfertigt seien.<br />
Zensur von unten<br />
Die Kunst nahm sich bisher –geschützt<br />
durch die Museen –die Freiheit heraus,<br />
nach eigenen Maßstäben beurteilt zu<br />
werden. Kunst habe Aufbruch und Befreiung<br />
bedeutet, beschreibt Rauterberg<br />
in „Wie frei ist die Kunst?“. Wurde<br />
die Kunst bedroht, sei dies meist durch<br />
klerikale Kreise und konservative Parteien<br />
geschehen. Der Protest sei im<br />
Namen der Mehrheit bzw. der Gesellschaft<br />
geschehen. Nun seien es jedoch<br />
nicht Staat und Obrigkeit, die derzeit<br />
Einschränkungen in der Kunst fordern.<br />
Vielmehr seien es Gruppen, die sich<br />
selbst als linksliberal einschätzen und<br />
über Jahrzehnte für die Liberalisierung<br />
der Künste eintraten. Im Namen<br />
benachteiligter Gruppen werde eine<br />
Zensur von unten verlangt. Wichtiger<br />
als der Schutz des künstlerischen<br />
Werkes sei der Schutz des Publikums.<br />
Ein wesentlicher Faktor, der zu diesen<br />
Bewegungen beitrage, sei die Digitalmoderne,<br />
durch die Bilder ihre Ortsansässigkeit<br />
verlieren. Das Smartphone<br />
mache die Bilder beiläufig und mobil.<br />
Der schützende Rahmen des Museums<br />
werde aufgelöst und das Museum als<br />
Ort der Selbstbefragung verliere somit<br />
an Bedeutung. Darüberhinaus könnten<br />
über Soziale Medien allzu leicht<br />
Mob-Dynamiken entstehen, denen sich<br />
die Museen ausgesetzt sehen. Manche<br />
Institutionen fühlten sich gegenüber<br />
solchen machtlos: Sie würden lieber<br />
Ausstellungen absagen, als offensiv zu<br />
zeigen, wo die Grenze zwischen Werk<br />
und Urheber sei. Ohne diese Grenze verschwinde<br />
jedoch die Freiheit der Kunst,<br />
sie verliere an Eigenmächtigkeit der Ästhetik.<br />
„Zensur meint ja eigentlich, dass<br />
eine staatliche Instanz eingreift und ein<br />
Sexualisierte Darstellung von Frauen in der bildenden Thema Kunst<br />
45
© Copyright: pexels/freestocks.org<br />
Kunstwerk unterbindet. Die sozialen<br />
Medien hingegen ermöglichen einen<br />
Protest von unten, der sich manchmal<br />
zu einer Zensur von unten auswachsen<br />
kann, wenn sich Museen gezwungen<br />
sehen, ein umstrittenes Kunstwerk ins<br />
Depot zu verbannen. Vereinzelt hat es<br />
solche Fälle in den letzten Jahren gegeben.<br />
Das kann man einerseits als<br />
demokratischen Prozess verstehen, als<br />
einen Akt der Emanzipation: Das Publikum<br />
ist mündig und verlangt Partizipation.<br />
Allerdings würde eine solche Mündigkeit<br />
auch ein gesteigertes Maß an<br />
Toleranz verlangen und ein geschultes<br />
Verständnis für die Eigenlogik und die<br />
Eigenrechte der Kunst. Dafür, finde ich,<br />
müssen die Museen weit mehr werben<br />
als bislang“, so Hanno Rauter.<br />
Feministische Avantgarde<br />
Während derzeit also der männliche<br />
Blick viel diskutiert wird, stellt Gabriele<br />
Schor in ihrer Ausstellung „Feministische<br />
Avantgarde“ den weiblichen Blick<br />
in den Mittelpunkt. Den Begriff „Feministische<br />
Avantgarde“ schuf Schor, um<br />
die Pionierleistung der Künstlerinnen<br />
dieser Ausstellung hervorzuheben, die<br />
das ‚Bild der Frau, das bis dahin nur<br />
von Männern geprägt worden war, in<br />
den 1970er Jahren neu definierten. Ein<br />
wichtiges Credo dieser Bewegung war,<br />
das Persönliche politisch aufzufassen<br />
-bei Themen wie Mutterschaft, Ehe,<br />
Haushalt, Familie oder auch Gewalt<br />
gegen Frauen. Viele Werke beschäftigen<br />
sich mit der weiblichen Sexualität.<br />
Die Künstlerinnen stellten sich in dieser<br />
Bewegung als selbstbestimmte Subjekte<br />
dar, nicht mehr länger als Objekte.<br />
Dabei machten sie sich einst neue Ausdrucksformen<br />
wie Video, Performance<br />
und Fotografie zu nutze. Auch Gabriele<br />
Schor gegenüber gab es bereits Aufforderungen,<br />
gewisse Bilder nicht mehr<br />
auszustellen, etwa, „wenn sich Hannah<br />
Wilke nach einigen Pin-up Posen<br />
schließlich als Jesus ‚oben ohne zeigt“.<br />
Bei solchen Überlegungen würde aber<br />
weder der ironisch-subversive Sinn der<br />
feministisch orientierten Künstlerinnen<br />
verstanden, noch ihr Anspruch, eine<br />
Befreiung der weiblichen Sexualität<br />
zu demonstrierenund alte, überkommene<br />
Objekt-Subjekt Relation neu zu<br />
definieren. „Diese Künstlerinnen wollten<br />
in ihren Fotografie-Performances,<br />
Filmen, Zeichnungen oder Collagen als<br />
Subjekt, das seine weibliche Sexualität<br />
selbstbestimmt formuliert, wahrgenommen<br />
werden.“ Ein reflektierter<br />
Kontext ist Schor bei ihren Ausstellungen<br />
besonders wichtig. So werden die<br />
Bilder in einem allgemeinen Text und<br />
einem zusätzlichen Wandtext erklärt.<br />
Kritik an manchen Bildern der „Feministischen<br />
Avantgarde“ gab es zuletzt<br />
nicht nur 2017 im MUMOK, wo Gabriele<br />
Schor ihre Wanderausstellung kuratierte,<br />
sondern auch im eigenen Haus,<br />
im Bürogebäude des Energieunternehmens<br />
VERBUND. Dort arbeiten etwa<br />
800 Personen und das achtstöckige<br />
Treppenhaus dient hier als Ausstellungsfläche,<br />
als sogenannte „Vertikale<br />
Galerie“. „Als wir 2016 unsere Ausstellung<br />
zu Renate Bertlmann hatten, gab<br />
es große Aufregung. Verständlich, geht<br />
es doch bei Bertlmann um Sexualität,<br />
Berührung und Verdrängtes.“ Schor suche<br />
aber gerade dann das Gespräch, um<br />
ein Verständnis für solche Kunst zu erwirken:<br />
„Und das gelingt mir auch, mit<br />
zahlreichen ausführlichen Gesprächen“.<br />
Die Kunstvermittlung also ist ihr ein besonderes<br />
Anliegen.<br />
Zeichen in der Kunstwelt im Sinne von<br />
#MeToo–ohne Zensur<br />
Anstatt über Zensur zu diskutieren, gibt<br />
es einige andere Möglichkeiten, Zeichen<br />
im Sinne von #MeToo bzw. Gleichberechtigung<br />
der Geschlechter zu setzen.<br />
„So wird die Royal Academy in London<br />
im Frühjahr 2019 eine Ausstellung über<br />
Aktbilder der Renaissance zeigen und<br />
zwar genauso viele nackte Männer wie<br />
Frauen, was allen vor Augen führen<br />
wird, wie selbstverständlich es weiterhin<br />
ist, dass die Museen vor allem den<br />
weiblichen Körper als Schauobjekte behandeln“,<br />
sagt Rauterberg. Schor gibt<br />
hierbei zu bedenken, dass bei dieser<br />
Ausstellung „wieder einmal der Blick<br />
des Mannes, jener der Künstler Titian,<br />
Raphael, Michelangelo, Leonardo, Dürer<br />
und Cranach gefrönt wird, wohingegen<br />
der Blick der Frau auf die Frau nicht<br />
präsent sein wird. “Schor und Rauterberg<br />
sind sich einig, dass es wichtig sei,<br />
dass in den Gremien der Museen und<br />
Galerien, Kunsthochschulen und Kunstmessen<br />
Geschlechtergerechtigkeit einziehe.<br />
Werke von Künstlerinnen werden<br />
nicht nur seltener ausgestellt, sondern<br />
auch schlechter bezahlt als jene von<br />
Künstlern. Der Kunstbetrieb sei immer<br />
noch sehr patriarchal geprägt und<br />
dies müsse sich dringend ändern, so<br />
Rauterberg. Gabriele Schor sieht die<br />
Museumsdirektorinnen und -direktoren<br />
verantwortlich, für ein Equilibrium<br />
zwischen Künstlerinnen und Künstlern<br />
zu sorgen. So könne man z.B. auch bei<br />
den vielen klassischen Bildern, in denen<br />
Frauen nackt bzw. sexualisiert dargestellt<br />
werden, ein Gegengewicht durch<br />
eine große Ausstellung von Künstlerinnen<br />
bilden oder aus dem Archiv immer<br />
wieder Bilder von Künstlerinnen zeigen.<br />
„Diesen feministischen Blick sollte man<br />
eigentlich – egal, ob Mann oder Frau –<br />
beim Kuratieren einer Ausstellung haben“,<br />
resümiert Schor.<br />
von Sophie-Luise Karson<br />
46<br />
Thema Sexualisierte Darstellung von Frauen in der bildenden Kunst
„Grindr“: Wenn die Dating-App<br />
zum Höchstverrat wird<br />
Dating-Apps sind im 21. Jahrhundert eine gängige Art, neue Leute,<br />
die mögliche große Liebe oder (wie in diesem Fall) Gleichgesinnte<br />
zu finden. Eine solche App für bi-und homosexuelle<br />
Männer ist „Grindr“. Dass die App auch ihre Schattenseiten hat, beweisen<br />
Fälle aus jüngster Vergangenheit. <strong>SUMO</strong> sprach mit Moritz<br />
Yvon, Obmann der HOSI Wien, und Top-Anwalt Helmut Graupner.<br />
Im Jahr 2016 führte das Berliner Marktforschungs-Institut<br />
Dalia Research eine<br />
Umfrage zum Schwerpunkt „Sexualität“<br />
mit 12.000 EU-BürgerInnen durch.<br />
Für Österreicher gab diese Forschung,<br />
dass sich rund 6% als sexuelle Minderheit<br />
ansehen. Trotz einer anonymisierten<br />
Befragung wird die Zahl weitaus<br />
höher geschätzt. „Offizielle Zahlen sind<br />
schwierig, schließlich wird es nicht am<br />
Meldezettel abgefragt“, erläutert der<br />
Obmann der Homosexuellen Initiative<br />
(HOSI) Wien. Viele Personen leben<br />
auch nicht „geoutet“ oder sehen darin<br />
auch keinen Bedarf, so Moritz Yvon: „Da<br />
sind auch schon Leute dabei, die durchaus<br />
regelmäßig Sex mit Menschen des<br />
gleichen Geschlechts haben, sich selbst<br />
aber nicht als schwul, lesbisch oder bisexuell<br />
bezeichnen.“<br />
Ein scheinbarer Schutz<br />
„Grindr“ bietet jedem Mann eine Plattform<br />
andere Männer kennenzulernen,<br />
um so seine Erfahrungen zu erweitern.<br />
Weltweit nutzen – laut eigenen Angaben<br />
– 3 Millionen Männer täglich die<br />
App in 192 Ländern. Für viele (ungeoutete)<br />
Männer ist sie ein Ausweg in ihre<br />
„richtige Welt“. Sie verhilft ihnen den<br />
Kontakt zu jenen zufinden, der auf einem<br />
anderen Weg eventuell nicht möglich<br />
gewesen wäre. „Es ist der Schutz<br />
der Anonymität, der für viele Menschen<br />
sehr wichtig ist“, so Yvon im Gespräch<br />
mit <strong>SUMO</strong>. Der HOSI-Obmann erklärt,<br />
dass es für viele ein „Herantasten“ an<br />
neue sexuelle Erfahrungen sei. Dies<br />
werde, ehe man vor Freunden und<br />
seinem Umfeld als „der Schwule“ abgestempelt<br />
wird, geheim ausgetestet,<br />
ob es tatsächlich so wie in der Fantasie<br />
ablaufe. „Grindr“ löst mit dieser<br />
Plattform und Idee der Anonymität die<br />
herkömmliche schwule Szene als Kontakthersteller<br />
ab. Der Ruf von „Grindr“<br />
ist durchaus vielseitig, obwohl sie oft<br />
als reine „Sex-App“ abgestempelt wird.<br />
Es gibt auch jene, die die App zur Vernetzung<br />
oder zur Beziehungssuche<br />
verwenden. Trotzdem liegt der Hauptgrund<br />
zur Verwendung vieler User<br />
bei der schnellen Suche nach Sexualpartnern.<br />
Dies ist auch ein markanter<br />
Unterschied zu anderen Dating-Apps,<br />
die auch für Homosexuelle ein Angebot<br />
legen. Formalitäten und Floskeln sind in<br />
vielen Chats nicht notwendig, es zählt<br />
„die nackte Wahrheit“. Es ist ein Forum<br />
für unentdeckte Fetische und gleichsam<br />
hoffnungslose Romantiker. Die<br />
Zweiteren sind zwar klar in der Minderheit,<br />
bilden jedoch auch eine typische<br />
Gruppe in der Szene. Sie sind jene, die<br />
anonym auf dieser Plattform jemanden<br />
suchen, der ihr Schicksal teilt, um aus<br />
der oft oberflächlichen, sexualisierten<br />
Gay-Szene zu entfliehen. Beide schätzen<br />
ihre Vorteile auf „Grindr“: nicht wegen<br />
seiner Sexualität angefeindet zu<br />
werden.<br />
Gefahr in Verzug<br />
Doch nicht nur eine Schutzfunktion bildet<br />
dieses kostenlose Programm. Genauso<br />
kann diese „Schutzzone“ zu einer<br />
Gefahr werden, auf unterschiedliche<br />
Art und Weise. „Ich würde nicht grundsätzlich<br />
sagen, dass es ein geschützter<br />
Raum ist, denn es gibt niemanden, der<br />
sich um Schutz bei den dadurch angebahnten<br />
Treffen im echten Leben<br />
bemüht oder kümmert“, so Yvon. Dies<br />
betrifft nicht nur den Bezug auf die Sicherheit<br />
unter den Usern. Auch externe<br />
Gefahren traten in den letzten Monaten<br />
weltweit auf. Ende 2017 erkannte<br />
man, dass die ägyptische Polizei mit<br />
Fake-Profilen eine regelrechte Jagd auf<br />
Homosexuelle im eigenen Land lostrat,<br />
man warf ihnen Prostitution vor. Der<br />
Chat-Verlauf und gesendete Bilder werden<br />
als Beweislast gegen die homosexuellen<br />
Männer verwendet. In diesem<br />
Fall reagiert „Grindr“ und versendet<br />
Sicherheitswarnungen in Gefahrländer<br />
aus. Die Warnungen enthalten Tipps,<br />
zum Beispiel sich nicht mit jemanden<br />
zu treffen, dessen Identität sie nicht mit<br />
Gewissheit kennen. Außerdem haben<br />
User die Wahl, ob sie ihren Standort<br />
angeben (Anm.: in der Standardversion<br />
lässt sichder GPS-Standort nicht<br />
deaktivieren – Entfernungen werden<br />
© Copyright: pexels/freestocks.org<br />
„Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat Thema wird<br />
47
in Meter angegeben). Es sei jedoch<br />
einfacher, größere Gruppen<br />
zu entlarven, da mehrere Profile<br />
denselben Standort besitzen, so<br />
Helmut Graupner, Rechtsanwalt<br />
in Wien und Vorsitzender des<br />
Rechtskomitees Lambda, das sich<br />
für die Rechte homosexueller und<br />
transidenter Menschen einsetzt.<br />
Zu „Recherchezwecken“ nutzt<br />
auch das südkoreanische Militär<br />
die App. Homosexualität ist in<br />
Südkorea offiziell nicht illegal, gesellschaftlich<br />
jedoch nicht akzeptiert.<br />
Das Militär fühlte sich durch<br />
ein Video, welches zwei Rekruten<br />
beim Liebesspiel zeigt verraten<br />
und begann die Mission, durch das<br />
Durchforsten von Dating-Apps<br />
und Abhören von Telefonaten alle<br />
Homosexuellen zu verbannen. Die<br />
indonesische Regierung wiederum<br />
sieht die Liebes-App für Homosexuelle<br />
als „sexuelle Abartigkeit“.<br />
Diese Ablehnung gegenüber<br />
gleichgeschlechtlich Liebenden<br />
führt so weit, dass sie „Grindr“<br />
und weitere 80 LGBTIQ-Applikationen<br />
im ganzen Land verbieten<br />
möchten. Das Gegenarbeiten von<br />
„Grindr“ kommt hier jedoch an<br />
seine Grenzen. „Grindr‘ ist gut,<br />
aber ersetzt keinen Aktivismus.<br />
‚„Grindr“ ersetzt nicht die politische<br />
Diskussion. Grindr‘ ersetzt<br />
nicht den gesellschaftlichen Fortschritt“,<br />
mahnt der Obmann der<br />
HOSI Wien. In welcher Art und<br />
Weise „Grindr“ auf die einzelnen<br />
Fälle reagiert, ist nicht immer<br />
bekannt. Nach der Konfrontation<br />
mit den vergangenen Geschehnissen<br />
konstatiert Moritz Yvon:<br />
„Ich sehe ‚Grindr’ in der Verantwortung,<br />
zu versuchen Lösungen<br />
zu finden. Am Ende der Versuche<br />
könnte aber durchaus das Ergebnis<br />
stehen, dass sie nichts<br />
tun können.“ Yvon erläutert, dass<br />
man technisch aufrüsten könnte,<br />
jedoch müsste man eine Lösung<br />
finden, die nicht statt zu überprüfen<br />
kontrolliere, denn dies<br />
würde die Plattform unattraktiv<br />
machen. Doch durch den Schutz<br />
von „Grindr“ könnten auch genügend<br />
Daten gesammelt werden,<br />
mit verhängnisvollem Ausgang:<br />
„Es braucht ja oft nicht einmal<br />
Hacking, damit mit Daten etwas<br />
passiert, das man gar nicht will.<br />
“Eine Daten betreffende Aktion<br />
brachte „Grindr“ als Unternehmen<br />
im April 2018 in die Schlagzeilen.<br />
Es verkaufte sensible Daten<br />
wie den HIV-Status oder den<br />
Wohnort von Usern an amerikanische<br />
Software-Unternehmen.<br />
„Grindr“-Technologiechef Scott<br />
Chen meinte in einer Aussendung,<br />
dass diese Handlung „branchenüblich“<br />
sei. Anwalt Graupner kommentiert<br />
die Causaso: „Die Daten<br />
wurden an einen Dienstleister<br />
zur Optimierung weitgegeben,<br />
nicht aus Jux und Tollerei. Ob das<br />
wirklich notwendig war, ist aber<br />
die Frage.“ Jene Daten, die weitergeben<br />
wurden sind nach Artikel 9<br />
der Datenschutzgrundverordnung<br />
sogenannte schutzwürdige Daten<br />
und dürfen nicht verarbeitet wer-<br />
© Copyright: pexels/freestocks.org<br />
48<br />
Thema „Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird
den, so Graupner. Nur in Ausnahmefällen<br />
aus dem gleichen Artikel ließe<br />
sich auch die Weitergabe rechtfertigen.<br />
„Einer davon ist die Einwilligung der betreffenden<br />
Personen.Meines Wissens<br />
wurde nach der Einwilligung nicht gefragt,<br />
daher müsste es den einen oder<br />
anderen Punkt geben, der die Verarbeitung<br />
zulässig machen würde.“ Das Problem<br />
mit den Daten liege aber nicht nur<br />
bei Apps für Homosexuelle, es sei ein<br />
Grundproblem aller IT-Unternehmen,<br />
erklärt Yvon.<br />
Angegebener HIV-Status als Filter<br />
Es stellt sich die Frage, warum man<br />
überhaupt seinen HIV-Status in einem<br />
Dating-Profil angibt. Gerade in der Dating-Welt<br />
Homosexueller ist es durchaus<br />
ein Thema und spielt eine Rolle für<br />
zukünftige Dating-und mögliche Sexualpartner.<br />
HIV-Positive erfahren oft<br />
Ablehnung durch ihr Coming-out der<br />
Krankheit. Der junge Chef der Wiener<br />
HOSI beschreibt es wie folgt: „Das ist<br />
für Menschen frustrierend. Ich kann<br />
nachvollziehen, dass sich da manche<br />
denken: ‚Ich schreib das lieber gleich ins<br />
Profil und erspar mir zumindest diese<br />
Zeitverschwendung.‘ “ So sei dies ein<br />
erster Filter, wie jede Angabe, die in<br />
einem Profil angeführt wird. „Grindr“<br />
setzt auch in dieser Thematik eine Innovation:<br />
Man erinnert User regelmäßig<br />
an HIV-Tests. Yvon meint, dass es<br />
mutig sei als Unternehmen, welches<br />
Daten weitergegeben hat, hier noch<br />
zu erinnern, „aber grundsätzlich ist es<br />
richtig und wichtig, regelmäßig einen<br />
HIV-Test zu machen.“ Abschließend<br />
sagt Moritz Yvon: „Die Veränderung<br />
muss eine politische sein, man muss<br />
dafür sorgen, dass die sexuelle Orientierung<br />
kein Thema mehr ist. Dann wird<br />
es auch weniger heikel, was mit einzelnen<br />
Daten passieren kann.“<br />
Moritz Yvon<br />
Copyright: Stephane Magloire<br />
Helmut Graupner<br />
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von Nicolas Hofbauer<br />
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„Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat Thema wird<br />
49
Männer-Lifestyle-Magazine als<br />
Nischenprodukt<br />
Wie steht es um den Markt dieser Publikationen und wer rezipiert sie?<br />
<strong>SUMO</strong> sprach darüber mit Univ.-Prof. Dr. Jörg Matthes, Vorstand des<br />
Instituts für Publizistik-und Kommunikationswissenschaft der Universität<br />
Wien, und den Herausgebern des „Wiener“ Franz J. Sauer und Gregor Josel.<br />
© Copyright: Pexels/OVAN<br />
Das einzige österreichische Männer-Lifestyle-Magazin<br />
stellt der „Wiener“<br />
dar. Magazine dieser Ausrichtung<br />
ließen sich laut Franz J. Sauer auf<br />
zweierlei Arten identifizieren. Einerseits<br />
gäbe es Magazine, die Themen<br />
wie Männermode und -Pflegeprodukte<br />
behandeln, zu dieser Kategorie zähle<br />
beispielsweise das deutsche „GQ“. Der<br />
„Wiener“ selbst sehe sich hingegen<br />
anders. Man beschäftige sich mit den<br />
„angenehmen, wenn auch nicht lebensnotwendigen<br />
Dingen im Leben eines<br />
Mannes“, es gehe um alle möglichen<br />
Themen von Gadgets über Technik bis<br />
Lifestyle. Sauer sehe den „Wiener“ als<br />
einen Ratgeber, der aber nicht postuliere<br />
„so gehört es gemacht“, sondern<br />
„wir machen es so, mach es doch auch<br />
so“. Ihr Mode-Teil nehme sich in puncto<br />
Trendsetting nicht so todernst, wie das<br />
bei anderen Lifestyle-Publikationen der<br />
Fall sei. Aber auf welchen fruchtbaren<br />
Boden fällt das?<br />
Die heterogene Zielgruppe Männer<br />
Jörg Matthes sieht drei wesentliche<br />
Gründe dafür, dass Männer-Lifestyle-Magazine<br />
nicht so stark von der<br />
Leserschaft angenommen werden.<br />
Männer seien keine homogene Zielgruppe:<br />
„Was den Einen interessiert,<br />
interessiert nicht auch automatisch<br />
auch den Anderen.“ Bei einer Zielgruppe<br />
sei es immer von Nöten, eine gemeinsame<br />
Identität vorzufinden, die dann<br />
eben angesprochen werden könne. Es<br />
gebe kaum ein Merkmal, das alle Männer<br />
kennzeichne, oder ein Interesse, für<br />
das sich alle Männer durch alle Altersgruppen<br />
hindurch begeisterten. Folglich<br />
sei es essentiell, sich mit unterschiedlichsten<br />
Themen im Magazin zu beschäftigen,<br />
um einen möglichst treuen<br />
Kundenstamm aufzubauen.<br />
Diese vielfältigen Interessen in einem<br />
einzigen Medium abzudecken, gestalte<br />
sich vor allem im Printsektor als prekär.<br />
Die zweite Ursache der geringen Leserschaft<br />
sieht Matthes in der Natur<br />
der Männer. Aufgrund ihrer Werte und<br />
Vorstellungen hätten Männer-Lifestyle-Magazine<br />
weniger Bedeutung<br />
aus Sicht der angestrebten Zielgruppe.<br />
Ratschläge, Tipps und aktuelle Themen<br />
seien für die männliche Kohorte zumindest<br />
großteils nicht interessant oder<br />
relevant. Die Online-Konkurrenz definiert<br />
Matthes als dritten Grund. Es ist<br />
keine Schwierigkeit, online Content zu<br />
produzieren, sei dies nun via Social Media<br />
oder auf einer eigenen Website. Es<br />
gebe unzählige Angebote, die ähnliche<br />
Inhalte wie Männer-Lifestyle-Magazine<br />
für viel weniger Geld anbieten. Die Leser<br />
hätten online die Möglichkeit genau zu<br />
entscheiden, was sie rezipieren möchten.<br />
Ein Männermagazin müsse als<br />
Antwort darauf alle möglichen Themen<br />
behandeln, um jeden anzusprechen,<br />
was auch wieder den ersten Grund, den<br />
Matthes benannt hat, aufgreift. Hinzu<br />
komme auch noch die geringe Zahlungsbereitschaft<br />
bei Online-Inhalten.<br />
„Wer ist bereit, Geld für Dinge auszugeben,<br />
die man auf Google innerhalb von<br />
fünf Sekunden auch so finden kann?“,<br />
so Matthes. Auch sei es die junge Leserschaft<br />
schlicht nicht gewohnt, ein<br />
Magazin via Abonnement oder Einzelkauf<br />
regelmäßig zu lesen. Außerdem sei<br />
den Rezipienten egal, von wem der Inhalt<br />
stamme, der gelesen wird, es gehe<br />
nur um den Inhalt selbst, konstatieren<br />
Matthes und Sauer gleichermaßen.<br />
Die USP des „Wiener“<br />
Bei all diesen negativen Aspekten<br />
kommt die Frage auf, wie der „Wiener“<br />
überleben kann, und das schon seit 40<br />
Jahren. Laut Sauer gebe es eine treue<br />
Kernleserschaft, die ihn aus Verbundenheit<br />
lese. Auch wenn der „Wiener“<br />
heute nicht mehr ein Programmheft wie<br />
einst sein könnte, was bekanntlich heute<br />
online stattfinden würde. Zusätzlich<br />
zu der Stammleserschaft gebe es noch<br />
die Leute, die sich für Technik, Motor<br />
und Mode interessieren. Diese würden<br />
es schätzen, dass der „Wiener“ in dieser<br />
Hinsicht kein typisches Fachmagazin<br />
sei. Man würde kein Fachwissen zu<br />
brauchen, um das Magazin zu lesen,<br />
aber trotzdem alle nötigen Neuigkeiten<br />
zu den Themen bekommen. Der „Wiener“<br />
habe auch eine starke Online-Präsenz<br />
und verstehe diese als eigenständiges<br />
Medium. Da man online „um seine<br />
Leser buhlen muss“, müsse man breiter<br />
© Copyright: Unsplash/nordwood themes<br />
50<br />
Thema Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt
und aktueller sein. Die Online-Leserschaft<br />
sei auch jünger, sie beginne hier<br />
bei 19 Jahren. „Diese Leute kaufen den<br />
,Wiener’ aber sicher nicht im Kiosk“, so<br />
Sauer. Man versuche online zwar die<br />
DNA des Magazins zu vermitteln, dies<br />
sei aber nie so stark möglich wie im gedruckten<br />
Heft.<br />
Die Marktchancen in Österreich<br />
Der „Wiener“ hat laut eigenen Angaben<br />
(Mediaanalyse 2016) eine Reichweite<br />
von 2,4% in der Kohorte der Männer von<br />
14-49 Jahren, was eine Leserschaft von<br />
143.000 ergibt. Ein Vergleich zu anderen<br />
gestaltet sich schwierig, da es keine<br />
vergleichbaren Magazine am hiesigen<br />
Markt gibt. Für Sauer und Josel ist es<br />
wichtig, ein eigenständiges Produkt<br />
zu publizieren. Es würde nicht sinnvoll<br />
sein, Zeitschriften wie „GQ“ oder „Men‘s<br />
Health“ zu kopieren. Am Beispiel des<br />
„Seitenblicke Magazins“, das 2016 vom<br />
„Red Bull Media House“ eingestellt<br />
wurde, sei auch ersichtlich, dass ein reines<br />
Society-Magazin in Österreich keine<br />
Zukunftschancen habe. „Deswegen<br />
müssen wir versuchen, unique zu sein<br />
und unsere Marke erwartungsgemäß<br />
aufzuladen und so zu reproduzieren,<br />
dass es den Leuten gefällt.“ Sauer und<br />
Josel haben den „Wiener“ 2015 von der<br />
„Styria“ übernommen, nachdem Pläne<br />
bekannt wurden, das Magazin zu<br />
einer Beilage der „Presse“ zu machen<br />
(was unter anderem mit dem Schwesterntitel<br />
„Sportmagazin“, das heuer<br />
eingestellt wurde, wenig erfolgreich<br />
geschah). Um die Zeitschrift auf einen<br />
guten Weg zu bringen, investierte das<br />
Duo in die Produktion und besonders in<br />
die Druck-und Papierqualität. Laut Josel<br />
zeige sich am Werbemarkt eine positive<br />
Reaktion darauf. Unternehmen würden<br />
eher Anzeigen in qualitativ hochwertig<br />
produzierten Magazinen schalten.<br />
Trotz der erschwerten Bedingungen für<br />
ihre Produkt bleiben Sauer und Josel<br />
positiv gestimmt. „Wir sind der Meinung,<br />
dass man in Zeiten eines rezessiven<br />
Printmarkts, wenn schon, dann<br />
ein gescheites, sich hochwertig anfühlendes<br />
Produkt in der Hand haben will,<br />
wenn man schon Geld für ein Magazin<br />
ausgibt. Insofern sind wir puncto Umfang<br />
und Erscheinungsweise gut für die<br />
Zukunft aufgestellt.“<br />
von Janina Schmid<br />
Jörg Matthes<br />
Copyright: Barbara Mair<br />
Franz Sauer und Gregor Josel<br />
Copyright: Eryk Kepski<br />
© Copyright: Unsplash/nordwood themes<br />
Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt Thema<br />
51
Feministische Medien. Der<br />
Kampf gegen den Malestream<br />
Um den Begriff, Aufgaben und Rezeption feministischer Medien zu klären,<br />
sprach <strong>SUMO</strong> mit der Medienwissenschaftlerin und Gender Studies-Forscherin<br />
Brigitte Geiger und mit Lea Susemichel, Chefredakteurin von<br />
„an.schläge - Das feministische Magazin“.<br />
Feminismus. Viele – nicht bloß Männer<br />
– bekommen schon eine Gänsehaut<br />
beim Begriff. Dieser Terminus ist einer<br />
der am negativsten besetzten, die der<br />
deutsche Sprachgebrauch zu bieten hat.<br />
Männerfeindlich, weltfremd und exzentrisch<br />
sind nur einige Assoziationen.<br />
Was Feminismus wirklich bedeutet<br />
Laut Ursula I. Meyer („Einführung in die<br />
feministische Philosophie“) begann es<br />
im 18. Jahrhundert, als Frauen Gleichberechtigung<br />
in allen Lebensbereichen<br />
forderten. Ein besonders großes Anliegen<br />
war das Wahlrecht für Frauen. Vor<br />
100 Jahren war es in Österreich soweit.<br />
Diese Errungenschaft wurde nicht nur<br />
durch zahlreiche Demonstrationen geprägt,<br />
sondern auch durch die „Zeitschrift<br />
für Frauen-Stimmrecht“. Das<br />
NS-Regime setzte dem Kampf für die<br />
Gleichberechtigung dann aber vorläufig<br />
ein Ende. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
wurde der Widerstand fortgesetzt.<br />
Simone de Beauvoir veröffentlichte<br />
1949 (deutsch: 1951) „Das andere Geschlecht“.<br />
In diesem erklärt sie die Unterdrückung<br />
der Frauen im Patriachat und<br />
legt einen Meilenstein in der Geschichte<br />
des Feminismus. „Man wird nicht als<br />
Frau geboren, man wird es“ – das ist<br />
der Schlüsselsatz des modernen Feminismus.<br />
In den 1980er-Jahren knüpfen<br />
PhilosophInnen an De Beauvoirs Werke<br />
an und entwickelten die Theorie der „Geschlechterdifferenz“.<br />
Biologisches Geschlecht<br />
(„sex“) und soziales Geschlecht<br />
(„gender“) solle getrennt werden. Doch<br />
Feminismus ist nicht gleich Feminismus.<br />
Jede Frau und jeder Mann kann für<br />
sich selbst definieren, was Feminismus<br />
bedeutet. Auch die Interviewpartnerinnen<br />
Lea Susemichel und Brigitte Geiger,<br />
die sich beide schon sehr früh mit der<br />
Thematik auseinandergesetzt haben,<br />
wurden nach ihrer eigenen Definition<br />
von Feminismus befragt. Beide betitelten<br />
die Frage als schwierig.„Für mich<br />
ist Feminismus die Gleichstellung und<br />
Gleichberechtigung von allen Menschen;<br />
alle Menschen auf dieser Welt sollen die<br />
gleichen Rechte haben“, erklärt Susemichel.<br />
Geiger meint: „Ich verstehe darunter<br />
prinzipiell Sensibilität für Hierarchien,<br />
Einschränkungen und Machtverhältnisse,<br />
die mit dem Geschlecht verbunden<br />
sind. Außerdem, dass man sich auch mit<br />
anderen Frauen gemeinsam engagiert.“<br />
Frauen können wählen, sie haben die<br />
gleichen Jobchancen wie Männer und<br />
die Gleichberechtigung sollte somit vollkommen<br />
erreicht sein – so jedenfalls sehen<br />
viele die Gesellschaft. Warum ist der<br />
Feminismus heute noch immer wichtig,<br />
eventuell bedeutsamer denn je? Susemichel<br />
konstatiert, dass zwei große Entwicklungen<br />
aufeinanderstoßen würden:<br />
zum einen ein gewaltiger Rückschritt<br />
durch den Rechtsruck in vielen Ländern<br />
und damit verbunden veränderten Geschlechterbildern,<br />
zum anderen auch ein<br />
Anstieg der feministischen Revolution,<br />
der sich durch #MeToo und die Women‘s<br />
Marches äußert. Gerade diese biete die<br />
Möglich- und Notwendigkeit der Teilnahme<br />
gegen erstere Richtung.<br />
Gegen den Mainstream<br />
Mit der Frauenbewegung Ende der<br />
60er- und Anfang der 70er-Jahre setzte<br />
man sich mit dem Einfluss der Medien<br />
auf die weibliche Identität auseinander.<br />
Es wurden unterschiedlichste Studien<br />
durchgeführt, wie oft und in welchen<br />
Rollen Frauen in den Medien vorkommen.<br />
Sie waren kaum anzutreffen und<br />
falls doch, dann hatten sie eine stereotypische<br />
Rolle inne. Gertrud Koch konstatierte<br />
bereits 1988 („Was ich erbeute,<br />
sind Bilder. Zum Diskurs der Geschlechter<br />
im Film“), dass Frauen ihre Identität<br />
stärker an die Männergesellschaft<br />
anpassen. Bis heute hat sich einiges in<br />
der österreichischen Medienlandschaft<br />
verändert. Trotzdem kann basierend auf<br />
aktuellen Studien wie „Journalismus in<br />
Deutschland“ (Ludwig Maximilian Universität<br />
München, „Publizistik“ 2017)<br />
und „Der Journalisten-Report“ (Medienhaus<br />
Wien, 2012) gesagt werden, dass<br />
die Gleichstellung von Frau und Mann<br />
sowohl in als auch hinter den Medien<br />
noch nicht ausgeglichen ist. Laut Geiger<br />
sei der Beruf JournalistIn zu 40% weiblich<br />
besetzt. In den höheren Etagen jedoch<br />
seien die Ungleichheiten deutlicher<br />
zu spüren. Trotzdem komme es immer<br />
auf das einzelne Medium und auf dessen<br />
Unternehmenspolitik an. Auch in<br />
der Berichterstattung selbst seien viele<br />
Themen unterbelichtet. Susemichel<br />
sieht das ebenso: Themen wie die Gewalt<br />
gegen Frauen, die Gehaltsschere,<br />
aber auch die „gläserne Decke“ sollten<br />
© Copyright: Unsplash/Vlad Tchompalov<br />
52<br />
Thema Feministische Medien. Der Kampf gegen den Malestream
kontinuierlich thematisiert werden. Außerdem<br />
erklärt sie, dass jedes Thema<br />
geschlechterpolitische Aspekte habe,<br />
deshalb sollten MedienmacherInnen<br />
bei der Berichterstattung auch immer<br />
die „frauenpolitische Brille“ aufsetzen,<br />
um den Blick in diese Richtung zu<br />
schärfen.<br />
Feminismus in gedruckter Form<br />
Wie in dem Artikel „Medien der Neuen<br />
Frauenbewegung im Archiv“ von Brigitte<br />
Geiger und Margit Hauser hervorgeht,<br />
wurden in den 1960er-Jahren<br />
mit dem Beginn der neuen Frauenbewegung<br />
weltweit eine große Zahl an<br />
feministischen Zeitschriften und Informationsblättern<br />
publiziert. Diese nutzte<br />
man zum Austausch und zur Auseinandersetzung<br />
mit feministischer Thematik.<br />
Der starke Titelzuwachs wurde<br />
vor allem durch die Informationsblätter<br />
ausgelöst und erreichte 1997 den<br />
Höchstwert, ab der Jahrtausendwende<br />
sank der Anzahl der Titel wieder. Manche<br />
Medien überlebten nur ein paar<br />
Wochen, andere wiederum mehrere<br />
Jahrzehnte. Für letzteres Phänomen<br />
werden folgend zwei der bekanntesten<br />
österreichischen feministischen Zeitschriften<br />
vorgestellt. Eines der wichtigsten<br />
im deutschsprachigen Raum<br />
war „AUF – Eine Frauenzeitschrift“.<br />
1973 als internes Informationsblatt<br />
genutzt, entwickelte sie sich ein Jahr<br />
später zu einer österreichweiten feministischen<br />
Zeitschrift. Finanziell konnte<br />
sie durch Einzelverkauf, Abos, Gelder<br />
der Publizistikförderung, ehrenamtliche<br />
Arbeit und Spenden aufrechterhalten<br />
werden. Bei der Auflösung 2011 war<br />
das Team laut Geiger nicht klein, aber<br />
ihre Vermutung, warum die Zeitschrift<br />
nicht mehr bestehen konnte, liege darin,<br />
dass die Belastung nach jahrelanger<br />
unbezahlter Arbeit zu groß geworden<br />
sei. Auch die geringer gewordene Resonanz<br />
war demotivierend.<br />
Die zweite österreichische Frauenzeitschrift<br />
ist „an.schläge – Das feministische<br />
Magazin“, das 2018 ihren 35.<br />
Geburtstag feierte. Der Name stammt<br />
von den damaligen Produktionsbedingungen,<br />
nämlich von den Anschlägen<br />
auf einer Schreibmaschine. Außerdem<br />
ist es eine Metapher für einen gewaltfreien<br />
Anschlag auf das Patriarchat.<br />
Schon immer war es ein Kampf ums<br />
Weiterbestehen. Fünf Jahre nach der<br />
Gründung erschien die Zeitschrift einmal<br />
monatlich und war somit für lange<br />
Zeit das einzige feministische Magazin<br />
im deutschsprachigen Raum, das so<br />
häufig neue Inhalte produzierte. Trotz<br />
einer zweijährigen Pause kämpfen die<br />
RedakteurInnen noch heute für eine<br />
feministische Berichterstattung, zehn<br />
Mal im Jahr. Aber wer liest sie?<br />
Die LeserInnen<br />
Universitätslektorin Brigitte Geiger<br />
bemerkt, dass junge Menschen eher<br />
wenige feministische Zeitschriften<br />
kennen. Diese würden sich die notwendigen<br />
Informationen zum Thema Feminismus<br />
meist über das Internet besorgen.<br />
Manche der jungen LeserInnen, die<br />
feministische Medien kennen kämen<br />
oft durch ihre Mütter mit diesen in Berührung.<br />
„an.schläge“ hätte im Zuge ihrer<br />
LeserInnenbefragung erkannt, dass<br />
der Hauptteil ihrer LeserInnen trotzdem<br />
aus Mitte 20- bis Mitte 30-Jährigen<br />
bestünden. Zur Freude der Redaktion<br />
nehme auch das männliche Publikum<br />
zu, heute liege der Prozentsatz bei 10%.<br />
Gründe dafür seien, dass sie bei Frauen<br />
mitlesen, engagierte Studenten sind<br />
oder Geschehnisse unter einem anderen<br />
Blickwinkel betrachten möchten.<br />
Ein Blick nach vorne<br />
Und in Zukunft? Laut Geiger würde momentan<br />
an neuen Überlebensstrategien<br />
gefeilt werden, da vielen Medien in<br />
letzter Zeit die Förderungen gestrichen<br />
wurden, betroffen seien besonders gesellschafts-und<br />
politikkritische Zeitschriften.<br />
Auch dem Magazin „an.schläge“<br />
wurden die Fördergelder gekürzt.<br />
Daher wurde der 666-Abo-Aufruf ins<br />
Leben gerufen, der LeserInnen überzeugen<br />
soll, ein neues Abo abzuschließen,<br />
damit sie auch im Jahr 2019 über<br />
die Runden kommen können. Obwohl<br />
es laut Susemichel sehr anstrengend<br />
war, hätte es sich definitiv gelohnt. Sie<br />
haben es 2018 geschafft, doch heuer<br />
beginne das Zittern wieder von vorne.<br />
Auch wenn es diese Medien nicht leicht<br />
haben, glauben sie an sich und kämpfen<br />
weiterhin für eine Berichterstattung mit<br />
feministischer Perspektive. Geiger hierzu:<br />
„Sie sind Kämpfernaturen. Ich hoffe,<br />
dass ein paar überleben werden.“<br />
Brigitte Geiger<br />
Copyright: Mario Lang<br />
von Kristina Wagner<br />
Lea Susemichel<br />
Copyright: Jens Kastner<br />
© Copyright: Unsplash/dorian stokes<br />
Feministische Medien. Der Kampf gegen den Malestream Thema<br />
53
„dieStandard.at“ und ihre männliche<br />
Community<br />
Brauchen wir eine eigene Plattform, die sich auf Frauenpolitik, Geschlechterthemen<br />
und Feminismus konzentriert? Kann sie die Gleichstellung der Geschlechter<br />
positiv verändern? Oder könnte man(n) das sogar als Bedrohung<br />
empfinden? <strong>SUMO</strong> hat mit „dieStandard“-Ressortleiterin Beate Hausbichler<br />
und dem Medienpsychologen Peter Vitouch über das Onlineforum und seine<br />
Community gesprochen.<br />
In der Kommunikationswissenschaft wird<br />
die Repräsentation von Geschlecht in den<br />
Medien schon seit Jahrzehnten diskutiert.<br />
Vor allem die Gender Media Studies haben<br />
dazu wesentlich beigetragen, sind aber<br />
dennoch nicht konsequent in die Wissenschaft<br />
integriert. Das österreichische Medium<br />
„Der Standard“ dagegen hat schon<br />
im Jahr 2000 umgesetzt, was viele dieser<br />
Diskussionen verlangen: Mit „dieStandard“<br />
gibt es eine eigene Plattform für<br />
frauenspezifische Themen. Entstanden ist<br />
das Portal damals auf Initiative von Printund<br />
Onlineredakteurinnen des „Standard“.<br />
Über Geschlechterverhältnisse<br />
Der Frauenanteil unter den LeserInnen<br />
des „Standard“ bewegt sich mittlerweile<br />
knapp unter der Hälfte. Bei denen, die aktiv<br />
posten, ist die Geschlechterlage jedoch<br />
asymmetrischer: Etwa 80% sind Männer<br />
und nur 20% Frauen. Die Verteilung wurde<br />
anhand der früheren Angabe der „Anrede“<br />
bei einer Neuregistrierung festgestellt. Ob<br />
sich hinter den Nicknames aber wirklich<br />
eine Frau oder ein Mann verbirgt, kann<br />
man nicht mit Sicherheit sagen. Dies ist<br />
nur bei verifizierten UserInnen möglich,<br />
also jenen, die unter ihrem realen Namen<br />
posten. Inhaltlich lässt sich dennoch eine<br />
Tendenz feststellen. Unter den Artikeln<br />
auf der frauenspezifischen Plattform wird<br />
nämlich häufig kritisiert, dass die Sicht der<br />
Männer außen vor gelassen werden würde.<br />
„dieStandard“-Ressortleiterin Beate<br />
Hausbichler erläutert dieses Phänomen<br />
am Beispiel Frauen und Gewalt: Unter<br />
Artikeln, die Gewalt gegen Frauen thematisieren,<br />
komme etwa oft reflexhaft die<br />
Frage, warum nicht über häusliche Gewalt<br />
gegen Männer berichtet wird, da ja<br />
Männer hauptsächlich Opfer von Gewalt<br />
würden. Dies sei zwar richtig, beiseite geschoben<br />
werde aber, dass auch die Täterschaft<br />
vorwiegend männlich sei. Bei Artikeln<br />
zu allgemeineren Themen, wie etwa<br />
feministischen Aktivismus, werde oft<br />
argumentiert, dass diese Art der Berichterstattung<br />
„die wahren Probleme“ nicht<br />
treffen würde.<br />
Man versucht also unter frauenspezifischen<br />
Artikeln verstärkt einen Ausgleich<br />
in die andere Richtung zu schaffen. Immer<br />
wieder werde gefragt, warum denn hier<br />
nicht auch die Perspektive der Männer<br />
betrachtet wird, warum diese ausgeblendet<br />
werde. „Dieser Einwand ist insofern<br />
schwierig, weil eine frauenpolitische Perspektive<br />
– wenn man das auf die gesamte<br />
Medienlandschaft umlegt – eine sehr vernachlässigte<br />
Perspektve ist“, meint Hausbichler,<br />
und: Wenn man auf eine frauenpolitische<br />
Seite wie „dieStandard“ geht,<br />
müsse man sich natürlich auch frauenpolitische<br />
Artikel dort erwarten.<br />
Töne treffen im Onlineforum<br />
Onlineportale können durchaus als Ventil<br />
für Meinungen dienen, denen im sozialen<br />
Alltag nicht Ausdruck verliehen werden<br />
kann. Dies bestätigt auch Peter Vitouch.<br />
Der emeritierte Professor am Institut für<br />
Publizistik- und Kommunikationswissenschaft<br />
der Universität Wien hatte dort den<br />
Lehrstuhl für Medienpsychologie inne.<br />
Wenngleich im allgemeinen Konsens eine<br />
Gleichberechtigung der Geschlechter in<br />
der Gesellschaft schon als angekommen<br />
gilt, muss das nicht heißen, dass dem<br />
auch so ist. Im Schutz eines anonymen<br />
Forums werden Meinungen laut Vitouch<br />
ungeschminkter mitgeteilt und auch unqualifizierte<br />
Äußerungen gemacht, die<br />
man im persönlichen Kontakt kaum so<br />
von sich geben würde. Bei „dieStandard“<br />
kümmern sich professionelle Community<br />
ManagerInnen um die Aufrechterhaltung<br />
einer konstruktiven Diskussion. Unterstützt<br />
werden sie dabei vom „Foromat“.<br />
Die hauseigene Software filtert die Postings<br />
vor der Veröffentlichung anhand<br />
formaler Kriterien und den Foren-Regeln,<br />
lernt dabei aber auch laufend von der<br />
manuellen Moderation neue Regeln für<br />
die Bewertung der Postings und vergibt<br />
sogar Karmapunkte. Das bedeutet, dass<br />
vergangene Beiträge der UserInnen beeinflussen,<br />
ob ihre neuen Postings eher<br />
automatisch freigeschalten oder in die<br />
manuelle Moderation geschickt werden.<br />
Die Aufgabe der menschlichen ModeratorInnen<br />
ist es etwa, darauf hinzuweisen,<br />
wenn themenferne Behauptungen<br />
aufgestellt werden oder man sich in eine<br />
unsachliche Argumentation verläuft. So<br />
kann der Diskurs in den Foren laufend optimiert<br />
werden.<br />
54<br />
Thema „dieStandard.at“ und ihre männliche Community
Trotz der Vormoderation bleibt auf „dieStandard.at“<br />
großteils eine abwertende Tonalität<br />
zurück. Hausbichler beschreibt eine verniedlichende<br />
und belehrende Art unter vielen<br />
Artikeln. KritikerInnen würden den Artikeln<br />
auch immer die Objektivität absprechen.<br />
Ganz stark verankert sei auch der Vorwurf<br />
der Ideologie: „Es wird vielfach die Haltung<br />
eingenommen, eine frauenpolitische Perspektive<br />
sei extrem ideologisch, doch diese<br />
Kritik ist selbst alles andere als politisch<br />
neutral. Wir machen transparent, dass wir<br />
entlang des gesellschaftlichen Ziels Gleichberechtigung<br />
eine ansonsten marginalisierte<br />
Perspektive einnehmen, und das ist eine klare<br />
Haltung – nicht mehr und nicht weniger.“<br />
Offen als „frauenfeindlich“ bezeichnen könne<br />
man die Postings aber nicht. Die Stimmung<br />
sei subtiler, das Forum rede eher von „übertriebenen“<br />
Inhalten, als dass direkt sexistische<br />
Äußerungen gemacht würden. Um<br />
zurück zum Beispiel Gewalt gegen Frauen<br />
zu kommen, wo die Grenzüberschreitungen<br />
dennoch deutlicher werden: Hier hat man<br />
sich im Forum beispielsweise darüber unterhalten,<br />
dass die Frauen sich eben den falschen<br />
Partner ausgesucht hätten.<br />
Aber wessen Stimme ist das?<br />
Die Stimme einige weniger – denn die Gruppe,<br />
die wirklich viel postet ist nicht so groß.<br />
Viele posten gar nicht, viele reden hin und<br />
wieder mit und nur eine Minderheit meldet<br />
sich ständig zu Wort. Diese erscheint dann<br />
sehr präsent. Laut Vitouch wirken gesellschaftliche<br />
Meinungen in Onlineforen auch<br />
weniger objektiv als in anderen Medien: „Es<br />
entsteht eine negative Gewichtung hin zu<br />
den Populationen, die sich dort auskotzen.“<br />
Mittlerweile gebe es außerdem einen starken<br />
Fokus der Medien auf Genderthemen, auch<br />
durch die #MeToo-Bewegung. Dies führe<br />
dann eben zu Gegenreaktionen: Bestimmte<br />
Gruppierungen fühlen sich in ihrem Weltbild<br />
angegriffen und reagieren ablehnend: zum<br />
Beispiel Männer, die negativ auf ein Portal<br />
für frauenpolitische Themen reagieren. Aus<br />
dieser Ablehnung wiederum entstehen viele<br />
kritische Kommentare. Besieht man sich im<br />
Selbstversuch auf „Der Standard“ sehr stark<br />
kommentierte Beiträge, fällt auf, dass gerade<br />
bei negativ aufgenommenen Themen die Anzahl<br />
der Postings tendenziell höher ist. Das<br />
Österreichische Forschungsinstitut für Artificial<br />
Intelligence (ÖFAI) hat nun gemeinsam<br />
mit dem „Standard“ ein Projekt gestartet, das<br />
mehr Diversität in die Postings bringen will.<br />
In einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren<br />
sollen die Inhalte dabei hinsichtlich der Geschlechterthemen<br />
analysiert werden. Ziel ist<br />
es, die Ursachen für die Unausgewogenheit<br />
der Geschlechter sowie auch die Einflüsse<br />
darauf zu erforschen. Anschließend soll das<br />
Gleichgewicht der Geschlechter in den Foren<br />
gefördert werden. Die Foren des „Standards“<br />
sollen für Frauen nicht nur attraktiver zum<br />
Posten, sondern auch zum Lesen werden.<br />
„dieStandard“ gegen Diskriminierung<br />
Trägt ein eigenes Portal für frauenspezifische<br />
Themen zur Gleichberechtigung der<br />
Geschlechter bei? Ja, sagt Medienpsychologe<br />
Peter Vitouch. „Es gibt einfach diesen<br />
fixen Raum, der nicht in Frage gestellt wird“,<br />
bekräftigt Hausbichler. Man müsse nirgends<br />
etwas reinreklamieren und habe alle<br />
frauen-und genderspezifischen Meldungen<br />
gebündelt. Dadurch sei „dieStandard“ ein<br />
wichtiges Recherchetool für andere und als<br />
tagesaktuelles feministisches Medium auch<br />
eine starke Marke im deutschsprachigen<br />
Raum. Natürlich bringen auch andere Medien<br />
wie etwa der „Falter“ viele Frauenthemen,<br />
ohne dafür ein eigenes Label zu führen.<br />
Beides legitime Zugänge, meint Hausbichler.<br />
Sie bekomme allerdings auch immer wieder<br />
Beschwerden, man solle die Frauenthemen<br />
doch in den allgemeinen Teil des Mediums<br />
überführen – mit dem Argument, die Inhalte<br />
würden „aufgewertet“, wenn sie im „normalen“<br />
Teil der Zeitung zu finden wären. „Das<br />
finde ich sehr entlarvend. Einer Zeitung wird<br />
die Objektivität nicht so schnell abgesprochen,<br />
nur weil etwa 80% Prozent der Themen<br />
weiße Männer aus der Mittelschicht betreffen,<br />
doch bei einem Medium wie ‚,dieStandard,‘<br />
das die Lebensrealität von Frauen abbilden<br />
will, passiert das dauernd. “<br />
Peter Vitouch<br />
Copyright: Privat<br />
Beate Hausbichler<br />
Copyright: Heidi Seywald<br />
von Magdalena Stocker<br />
© Copyright: pexels.com<br />
„dieStandard.at“ und ihre männliche Community Thema<br />
55
Frauen lesen, Männer schreiben<br />
Auf eine Autorin kommen zwei Autoren. In Verlagen arbeiten mehr Frauen,<br />
doch die Männer haben das Sagen. Beim Lesen von Büchern ist es genau<br />
umgekehrt. Im Gespräch mit <strong>SUMO</strong> klären Gerhard Ruiss, Geschäftsführer<br />
der Interessensgemeinschaft österreichischer Autoren und Autorinnen,<br />
und Buchhändlerin Susanne Sandler diese Ungleichheit am Buchmarkt.<br />
© Copyright: Unsplash/Patrick Tomasso<br />
Laut der Studie „Zur Sichtbarkeit von<br />
Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“<br />
der Universität Rostock aus<br />
dem Jahr 2018 publizieren doppelt so<br />
viele Männer Bücher als Frauen. Gerhard<br />
Ruiss konstatiert innerhalb einer<br />
historischen Rückschau, dass sich das<br />
Geschlechterverhältnis geändert habe.<br />
Noch in den 1970er-und 1980er-Jahren<br />
sei das Verhältnis Autor zu Autorin<br />
bei Dreiviertel zu einem Viertel gelegen,<br />
schließlich bei Zweidrittel zu einem<br />
Drittel und liege heute nur mehr bei<br />
55% männlicher Autoren. Ursache für<br />
diese Ungleichheiten lägen in der Berufsrolle:<br />
„Es hat die Berufsvorstellung<br />
Autorin weniger gegeben als Autor, zur<br />
Wende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert<br />
waren Autorinnen eine Ausnahmeerscheinung.“<br />
Daraus resultierte<br />
ein Nachholprozess, der bis heute<br />
noch erkennbar sei. Dies gilt nicht nur<br />
in Sachen Buchpublikation, auch Buchrezensionen<br />
werden laut Studien öfter<br />
von Männern verfasst. Nicht nur in der<br />
Häufigkeit, auch in der Länge einer Besprechung<br />
sind Rezensenten ihren Kolleginnen<br />
voraus. Auf 4 Kritiker treffen<br />
3 Kritikerinnen, die jedoch beide öfter<br />
über die Werke von männlichen Autoren<br />
schreiben.<br />
Die junge Generation auf der Überholspur<br />
Bei den jüngeren Generationen soll die<br />
Geschlechterverteilung schon ganz anders<br />
aussehen, denn laut Ruiss gebe es<br />
phasenweise bereits mehr Autorinnen<br />
als Autoren. Vor allem bei Debüt-Romanen<br />
hätten Frauen hier die Nase<br />
vorne. Auch die Suche nach Verlagen<br />
falle ihnen nicht mehr so schwer wie<br />
früher, vielmehr entscheide das Alter:<br />
Mit „Jung und begabt“ Kategorisierte<br />
fänden eher einen Verlag als „Länger<br />
da und nicht mehr jung“, das Geschlecht<br />
spiele hierbei weniger eine Rolle. Da<br />
sich die Literaturszene in Richtung<br />
junger AutorInnen bewege, sprechen<br />
manche bereits von Altersdiskriminierung.<br />
Der Buchmarkt sei also in den<br />
letzten Jahren für Frauen durchlässiger<br />
geworden, so Ruiss, doch er gibt<br />
auch zu bedenken, ob dies nicht Folge<br />
von Stereotypen sein könnte. Der Vermarktungsprozess<br />
männlicher Autoren<br />
tendiere zum Jung-Genie und wärme<br />
dieses im generellen Genie-Kult immer<br />
wieder auf. Bei Autorinnen sollen in der<br />
Vermarktung auch die eigene Attraktivität,<br />
Intelligenz und die literarischen<br />
Kenntnisse eine große Rolle spielen,<br />
das sogenannte „Fräulein-Wunder“<br />
der Literatur. Beide Geschlechter betreffend<br />
trete nunmehr auch der „Popsterncheneffekt“<br />
auf: Nach zwei bis drei<br />
Büchern hätten AutorInnen und Autoren<br />
heute bereits Schwierigkeiten, weitere<br />
Werke zu verfassen. Schuld daran<br />
sei der veränderte Schreibrhythmus,<br />
dem sie ausgesetzt sind. „Früher hat<br />
kein Mensch von AutorInnen verlangt,<br />
mindestens jedes zweite Jahr einen<br />
Roman liefern zu müssen“, meint Ruiss.<br />
Während das Lebenswerk früher aus<br />
zehn Romanen bestand, sollte man mit<br />
dem vorgegebenen Tempo heute auf 50<br />
oder gar 100 Bücher kommen.<br />
Krimis sind Männersache, Kinderbücher<br />
sind Frauensache<br />
Zumindest was Rezensionen angeht,<br />
scheint die Welt der Krimis den Männern<br />
zu gehören. Laut einer Studie der<br />
Universität Rostock waren 82% der von<br />
Männern verfassten und 66% der von<br />
Frauen verfassten Kritiken über Krimis<br />
aus Autorenhand. Ruiss ist aber der<br />
Meinung, dass Männer im Unterschied<br />
zu früher nicht mehr Krimis schreiben<br />
als Frauen. Während in der Kriminalliteratur<br />
damals das Verbrechen an<br />
sich im Vordergrund stand, sei sie jetzt<br />
durch detektivische Elemente sowie<br />
von logischen Denkprozessen geprägt<br />
und somit weiter fortgeschritten. So<br />
wie den Männern die Kriminalliteratur<br />
zugeschoben werde, seien Kinder-und<br />
Jugendromane für Frauen typisch. Diese<br />
genrebezogenen Dominanzen sind<br />
laut Ruiss historischen Ursprungs, denn<br />
früher waren es die Männer, die über<br />
Gewalt und Abenteuer und schrieben,<br />
die sanften Themen wie Kinder- und<br />
Jugendliteratur, Lyrik sowie Liebesgeschichten<br />
blieben den Frauen. Diese<br />
Genredominanzen entstünden ob der<br />
verschiedenen Blickwinkel, aber auch<br />
Erfahrungen. „Trotzdem kann nicht gesagt<br />
werden, das eine ist typisch für<br />
Männer und das andere typisch für<br />
Frauen.“<br />
Der Verlegerin und die Lektor<br />
In der Buchbranche arbeiten mehr<br />
Frauen als Männer. Je höher die Posi-<br />
© Copyright: picjumbo/Victor Hanacek<br />
56<br />
Thema Frauen lesen, Männer schreiben
tionen, umso weniger sind Frauen mit<br />
diesen besetzt. Ruiss: „Da gibt es noch<br />
die traditionelle Aufteilung: Männer<br />
sind im Verlagswesen tätig und Frauen<br />
in den Bibliotheken.“ Susanne Sandler,<br />
Inhaberin der Buchhandlung Schubert<br />
in St. Pölten und Wirtschaftspädagogin,<br />
ist der Meinung, dass im Prozess der<br />
Erstellung eines Buchs bis zum Verkauf<br />
im Hintergrund die „Knochenarbeit“ an<br />
Frauen hängen bleibe. Im Buchhandel<br />
habe sich das Blatt bereits gewendet,<br />
war dieser früher von Männern beherrscht,<br />
dominieren diesen heute die<br />
Frauen. „Die Buchhändlerin ist selbstverständlich<br />
geworden, genauso wie<br />
der Bibliothekar“, so Ruiss. Auch in Lektoraten<br />
seien Frauen stärker präsent<br />
als Männer. Aber nur die Präsenz sagt<br />
nichts über die Spitzenpositionen aus,<br />
denn dort werde sich laut Sandler erst<br />
etwas ändern, sobald die Gleichberechtigung<br />
in allen Berufen eintrete. Und im<br />
Einkommen? Hier herrscht sowohl bei<br />
AutorInnen, als auch bei Angestellten<br />
in der Buchbranche ein großes Ungleichgewicht.<br />
Unter den Top Drei der<br />
Bestverdiener weltweit befand sich im<br />
Jahr 2016 mit J. K. Rowling („Harry Potter“)<br />
eine Frau auf dem dritten Platz,<br />
hinter Jeff Kinney („Gregs Tagebuch“)<br />
und James Patterson (div. Kriminalromane).<br />
Nur im Jahr 2013 erklomm E.<br />
L. James mit „Fifty shades of Grey“ als<br />
Frau die Spitze. Dabei geht es nicht rein<br />
um Pflichttantiemen, sondern auch um<br />
ausverhandelten Tantiemen-Vorschuss<br />
und -Satz. Besonders zu spüren bekommen<br />
die Ungerechtigkeit weibliche<br />
Angestellte in Verlagen, sie verdienen<br />
bis zu 30% weniger als ihre Kollegen.<br />
LeserINNEN<br />
Auf die Frage, welches Geschlecht mehr<br />
lesen würde, haben Sandler und Ruissdie<br />
gleiche Antwort: Frauen, und das in<br />
allen Altersgruppen. So erzählt Sandler,<br />
die auch als Lehrerin arbeitet, dass Burschen<br />
die Schulbibliothek meiden, während<br />
die Mädchen durchaus viel und<br />
auch regelmäßig lesen. Laut Ruiss sei<br />
die Bedeutung von Literatur für Frauen<br />
viel höher als die der Männer: „Literatur<br />
spielt für sie einfach eine andere Rolle<br />
im Leben.“ Diese andere Rolle zeigt sich<br />
auch in den Genres, die das jeweilige<br />
Geschlecht präferiert. Während Frauen<br />
Belletristik bevorzugen, seien es bei<br />
Männern Fachzeitschriften, Management-und<br />
Sachbücher, sind sich Sandler<br />
und Ruiss einig. Diese Unterschiede<br />
in Rezeptionsvorlieben sind allesamt<br />
legitim, die Branche jedoch – ob auf<br />
Seiten der AutorInnen oder Angestellten<br />
in der Buchwirtschaft – bedarf einer<br />
Gleichstellung. Der Markt entscheidet,<br />
doch – so Ruiss: „Ohne Frauen gäbe es<br />
keinen Buchmarkt.“<br />
von Theresa Rogl<br />
Gerhard Ruiss<br />
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Frauen lesen, Männer schreiben Thema<br />
57
Geschlechterhass im Netz<br />
Verachtung, Diskreditierung, blanker Hass: vor allem Frauen schlagen sie<br />
entgegen. Zum Rückschritt in puncto geschlechtsausgewogener Debatten<br />
bat <strong>SUMO</strong> Lena Jäger, Projektleiterin des Frauenvolksbegehrens 2018,und<br />
Caroline Kerschbaumer, Leiterin der Beratungsstellen bei „ZARA –Zivilcourage<br />
und Anti-Rassismus-Arbeit“zum Gespräch.<br />
„Ihr habt das falsch verstanden.“ „Nein,<br />
lass mich dir das erklären.“ „Das schaut<br />
so aus.“ Frauen dürfen wählen, arbeiten<br />
und ihre Stimme erheben. Obwohl,<br />
dürfen sie tatsächlich ihre Stimme erheben?<br />
Gerade online werden sieimmer<br />
wieder eines „besseren belehrt“.<br />
Auch ein Fall wie bei Sigi Maurer, der<br />
vormaligen Politikerin der GRÜNEN,<br />
kommt nicht selten vor. Immer wieder<br />
werden speziell Frauen online belästigt<br />
oder verbal angegriffen. Laut Caroline<br />
Kerschbaumer ist Hass –besonders im<br />
Internet–großteils gegen bestimmte<br />
Gruppen gerichtet, egal ob eine religiöse<br />
Gemeinschaftoder einem ganzen<br />
Geschlecht. Die Täter, oder auch Täterinnen,<br />
haben meist eine große Aggression<br />
in sich, für die Web 2.0 eine perfekte<br />
Plattform biete. Denn dort seidie<br />
Hemmschwelle sehr viel geringer als<br />
bei einer Face-To-Face-Situation.<br />
Wenn Männer Frauen die Welt erklären<br />
Aber nicht nur dieaktive Hasseruptionim<br />
Netz ist heutzutage ein großes<br />
Problem.Auch „Mansplaining“ und<br />
„Manterruption“ irritieren Frauen zumindest<br />
im sogenannten westlichen<br />
Kulturkreis. Mansplaining bedeutet, wie<br />
ein Mann einer Frau Themen und Dinge<br />
erklärt, die sie selbst schon längst<br />
weiß. Der Mann tut dies allerdings auch<br />
im Bewusstsein, dass sein Gegenüber<br />
bereits dieses Wissen besitzt, will sich<br />
ihr gegenüber jedoch erheben, da er der<br />
„Klügere“ sein möchte. Manterruption<br />
definiert Situationen, in denen Frauen<br />
immer wieder von Männern mitten im<br />
Satz unterbrochen werden, besonders<br />
in beruflichen Situationen wie Sitzungen<br />
und Meetings. Um aufzuzeigen,wie<br />
häufigFrauen im alltäglichen Leben von<br />
Männern unterbrochen wurden gibt es<br />
eine App namens „womaninterrupted“.<br />
Diese App läuft den ganzen Tag im Hintergrund<br />
mit und zählt, wie oft eine Frau<br />
von einem Mann unterbrochen wird.<br />
Anschließend wertet sie die Unterbrechungen<br />
aus und resultierteine Anzahl,<br />
wie oft die Nutzerindurchschnittlich pro<br />
Minute unterbrochen wurde.<br />
Auf der Website von „WomanInterrupted“<br />
lassen sich 99 Länder vergleichen:<br />
Negativer Spitzenreiter mit 11Unterbrechungen<br />
pro Minute sind die britischen<br />
Jungferninseln, am seltensten<br />
werden Frauen in Luxemburg mit 0,03<br />
Unterbrechungen pro Minute „interrupted“.<br />
Österreich liegt aufPlatz 75, hier<br />
werden Frauen durchschnittlich einmal<br />
pro Minute im Gespräch unterbrochen.<br />
Manspaining und Manterruption sind<br />
zwar seltener online aufzufinden als im<br />
echten Leben – in dem sie wohl noch<br />
häufiger stattfinden –, aber besonders<br />
Mansplaining ist auch virtuellein echtes<br />
Problem. Und oft wird es als ein solches<br />
gar nicht wahrgenommen. Laut Lena<br />
Jäger seidie Gesellschaft noch in alten<br />
Mustern verankert, innert derer eine-<br />
Belehrung als gut gemeint und nicht als<br />
beleidigend betrachtet werde, und zwar<br />
von beiden Seiten.<br />
„Männerrechteforen“als Gegenbewegung<br />
Allerdings wollen viele Männer nicht<br />
nur auf allgemein zugänglichen Social<br />
Media-Plattformen Frauen die „Welt<br />
erklären“, sondern auch ineigenen Männerrechteforen.<br />
„Wikimannia“, „Manndat“<br />
und „Ichhasse.at“ stechen hierbei<br />
heraus. „Wikimannia“ beispielsweise<br />
ist eine Art „Wikipedia“ für Männer, die<br />
gerne Beiträge über Themen wie Abtreibung,<br />
Kopftücher, Feminismus oder<br />
ähnliches lesen bzw. auch schreiben.<br />
Die Themenvielfalt ist besonders auf<br />
„Wikimannia“ sehr breit gefächert und<br />
lässt kaum ein Themengebiet aus. Jedoch<br />
schreiben sie nicht nur über Feminismus<br />
und Männerrechte, sondern<br />
auch über allgemein politische Themen<br />
und auch über Familie bzw. Wissenschaft.<br />
Wie gut recherchiert und<br />
objektiv diese Beiträge dann wirklich<br />
sind, ist allerdings fraglich. „Manndat“<br />
ist im Gegensatz zu Wikimannia kein<br />
Online-Lexikon, sondern eigentlich ein<br />
Verein. Dieser Verein postet auf seiner<br />
Webseite regelmäßig Beiträge zu diversen<br />
„Männerrechte-Themen“, egal<br />
ob Vaterschaft, „Jungen“ oder Feminismus,<br />
hier wird kein Männerrechtethema<br />
ausgelassen. Auf ihrer Seite kritisieren<br />
sie stark radikalen Feminismus,<br />
der nur Rechte fürFrauen einräumt,<br />
allerdings keine für Männer. „Ichhasse.<br />
es.at“ ist im Gegensatz dazu ein reines<br />
Forum, wo es nicht nur um feministische<br />
Themen geht, sondern allgemein<br />
um Hass. In diesem Forum bzw. in<br />
vielen Unterforen kann jeder und jede<br />
©<br />
© Copyright: pexels/freestocks.org<br />
58<br />
Thema Geschlechterhass im Netz
seinen bzw. ihren Hass zu den unterschiedlichsten<br />
Themen freien Lauf lassen.<br />
Hier kommt es letztendlich auch in<br />
manchen Unterforen zu genderspezifischen<br />
Hass und einer allgemeinen Abwertung<br />
von Frauen.<br />
In diesen Foren werden nicht nur ehrenamtliche<br />
Organisationen wie das<br />
„Frauenvolksbegehren 2.0“ in ein sehr<br />
schlechtes Bild gerückt, sondern Frauen<br />
auch dazu aufgefordert, wieder ihren<br />
alten Platz in der Gesellschaft einzunehmen:<br />
Küche und Schlafzimmer. Diese<br />
Foren seien laut Jäger Antworten auf<br />
den Feminismus. Die Betreiber stützten<br />
sich stark auf das Ideal von „Früher war<br />
alles besser“ und hätten letztlich Angst<br />
vor Veränderung. Denn um Frauen zu<br />
stärken, müssen Männer einen gewissen<br />
Anteil an Macht abgeben, und das<br />
wollen viele schlichtweg nicht. Und da<br />
es stark an einem konstruktiven Dialog<br />
mangele, flüchten sich die „verdrängten<br />
Männer“ letztendlich in solche Foren.<br />
Jedoch sind sie nicht alle in einen Topf<br />
zu werfen. Beispielsweise gibt es auch<br />
Väterrechte-Foren, die einen durchaus<br />
positiven Einfluss auf die Gesellschafthaben<br />
können. Einige sprechen sich<br />
beispielsweise positiv in puncto Frauenvolksbegehren<br />
aus, da sie selbst der<br />
Meinung sind, dass nicht die gesamte<br />
finanzielle Verantwortung auf den-<br />
Schultern der Männer lasten sollte und<br />
auch viele Väter für einige Monate zu<br />
Hause bei ihren Kindern bleiben wollen.<br />
Erste Schritte in die richtige Richtung<br />
Laut Jäger und Kerschbaumer könne<br />
man auch als Einzelperson etwas<br />
gegen Hass im Netz tun, wichtig sei jedoch<br />
gleichzeitig die Hilfe und Einsicht<br />
der Regierung. Beispielsweise könne<br />
jedes Individuum bei einem Fall von<br />
Hass im Netz kommentieren und eine<br />
andere Meinung kundtun, um aufzuzeigen,<br />
dass es auch andere Sichtweisen<br />
auf ein Thema gibt. Außerdem ist<br />
es auch möglich Fälle zu Hass im Netz<br />
bei den Plattformen selbst, oder bei der<br />
von ZARA betriebenen Beratungsstelle<br />
#GegenHassimNetz zu melden. Laut<br />
Jäger seies aber trotzdem wichtig, dass<br />
die Regierung einschreite. Und zwar indem<br />
sie das zivile Strafrecht verändere,<br />
damit Frauen, die sich online belästigt<br />
fühlen, auch wirklich die Möglichkeit<br />
zur Klageund möglichst schnell einen<br />
finanziellen und rechtlichen Beistand<br />
bekämen.<br />
Bis zur absoluten Gleichstellung ist<br />
es letztendlich noch ein langer Weg,<br />
jedoch ist die österreichische Gesellschaft<br />
bereits am richtigen Pfad mit<br />
Initiativen wie dem Frauenvolksbegehren<br />
2.0 – welches Aufmerksamkeit für<br />
das Thema schürt –und ZARA– einer<br />
Organisation, die sich speziell für Opfer<br />
von Hass im Netz einsetzt. Letztendlich<br />
liegt der Großteil der Verantwortung,<br />
um Hass im Netz aktiv zu bekämpfen<br />
bei jedem und jeder selbst. Indem man<br />
kontert und Vorfälle tatsächlich meldet.<br />
Nur damit, und mit Unterstützung der<br />
Regierung, kann man gegen Hass im<br />
Netz nachhaltig vorgehen.<br />
Lena Jäger<br />
Copyright: Frauenvolksbegehren<br />
von Denise Docekal<br />
Geschlechterhass im Thema Netz<br />
59
„Revenge Porn“ - Kontrollverlust<br />
der eigenen Identität im Netz<br />
Ein schneller Klick –und ein durch den Ex-Partner gebrochenes Herz, Eifersucht<br />
auf erfolgreiche Personen oder grundlose Willkür lassen intime Fotos<br />
im Netz erscheinen. <strong>SUMO</strong> diskutiert mit der dänischen Online-Menschenrechtsaktivistin<br />
Emma Holten und dem Internet Security-Experten<br />
Matthias Jax (ÖIAT) über die Ernsthaftigkeit und die verheerenden Auswirkungen<br />
eines zerstörerischen Phänomens.<br />
© Copyright: pexels/stokpic<br />
Von Revenge Porn spricht man, wenn<br />
intime Bilder oder Videos ohne Einwilligung<br />
der gezeigten Person im Internet<br />
veröffentlicht werden. Täter sind meist<br />
Ex-Partner, die diese Bilder oder Videos<br />
während der Beziehung erhalten oder<br />
erstellt haben, oder Hacker, die sich illegal<br />
privater Dateien bemächtigen. Dies<br />
geschieht aus rachsüchtiger, unterhaltender<br />
oder politischer Intention. Laut<br />
Matthias Jax – Projektleiter Digitale<br />
Medien am Österreichischen Institut für<br />
angewandte Telekommunikation (ÖIAT)<br />
– besteht, wie bei Cyber-Mobbing, eine<br />
große Gefahr darin, dass durch digitale<br />
Medien diese Fotos sehr breit gefächert<br />
viele Leute über einen langen Zeitraum<br />
erreichen. Sobald diese Bilder oder Videos<br />
online sind, werden sie das erfahrungsgemäß<br />
auch für immer sein. Es<br />
bleibt nicht bei einem Nacktfoto, dieses<br />
verbreitet sich rasch über verschiedenste<br />
(Soziale Medien-) Kanäle, es<br />
wird kommentiert, private Details werden<br />
öffentlich gestellt. Die ursprüngliche<br />
Quelle des Bildes verschwindet<br />
häufig in der Komplexität des Internet.<br />
Die Weiterverbreitung scheint nicht<br />
mehr aufhaltbar und darüber hinaus<br />
erhält das Opfer Hassbotschaften und<br />
Drohungen von Unbekannten und nicht<br />
immer anonymen Absendern. Diese<br />
Online-Zurschaustellung führt bei Opfern<br />
oftmals zu Vertrauensproblemen,<br />
posttraumatischer Belastungsstörung,<br />
Angstzuständen, Depressionen oder<br />
Selbstmordgedanken.<br />
Wenn man plötzlich die Kontrolle verliert<br />
Die Dänin Emma Holten musste 2011<br />
diese Art von „Non-consensual Pornography“<br />
am eigenen Leib erfahren. Weil<br />
sie sich nicht mehr in ihre Accounts einloggen<br />
konnte, dachte sie zuerst, sie<br />
hätte die Passwörter vergessen. Doch<br />
wie aus dem Nichts kamen unzählige<br />
E-Mails von unbekannten Absendern.<br />
Die Nachrichten enthielten Nacktfotos<br />
oder Links zu den Webpages, auf denen<br />
die Fotos veröffentlicht wurden. Diese<br />
Bilder hatte sie einige Zeit zuvor ihrem<br />
damaligen Freund geschickt und nicht<br />
mehr weiter darüber nachgedacht.<br />
Ihr Ex-Freund war auch nicht der Täter,<br />
sondern eine – noch immer – unbekannte<br />
Person, die ihre Online-Accounts<br />
gehackt hatte. Als sie den Links<br />
zu den Webpages folgte, musste sie<br />
feststellen, dass nicht nur ihre Nacktfotos<br />
gepostet wurden, sondern darüber<br />
hinaus ihre Passwörter, ihre Adresse,<br />
ihre Handynummer, die Namen<br />
ihrer Familienmitglieder – „Almost all<br />
the identifying information of me was<br />
out there“, so Holten. Die Dänin rief bei<br />
der Polizei an, die Antwort war ernüchternd:<br />
„,We are pretty sure that something<br />
illegal is happening here and you<br />
can make a report but if I were you, I<br />
wouldn’t waste my time doing that because<br />
we are not going to do anything.’”<br />
Holten versuchte, die Betreiber der<br />
Webpages zu kontaktieren mit der Aufforderung,<br />
ihre Bilder zu löschen. Doch<br />
dieser wurde nur selten stattgegeben.<br />
Die Betreiber verlangten Beweise, dass<br />
die Bilder ohne ihre Zustimmung gepostet<br />
wurden. Das einzige Argument,<br />
dem stattgegeben wurde war, dass<br />
sie auf einigen Bildern noch minderjährig<br />
war. Beim Zugänglichmachen<br />
von pornographischen Darstellungen<br />
einer minderjährigen Person sind die<br />
Gesetze hart – vor allem in den USA.<br />
Das schreckte zwar Betreiber ab, war<br />
jedochder einzige Grund, einen Teil der<br />
Bilder von der Seite zu nehmen. Ansonsten<br />
gab man ihr selbst die Schuld,<br />
für solche Fotos überhaupt zu posieren.<br />
Ob dieser Demütigung und Stigmatisierung<br />
versuchte sie, die gehackten<br />
Nacktfotos vorerst geheim zu halten,<br />
damit keiner in ihrem persönlichen<br />
Umkreis davon erfuhr. Aber natürlich<br />
musste sie herausfinden, dass dies unmöglich<br />
war. Sie wurde online bloßgestellt,<br />
erniedrigt und erpresst. Die Fotos<br />
wurden an Familie, FreundInnen und<br />
ArbeitskollegInnen gesendet. Das Ganze<br />
hatte Dimensionen angenommen,<br />
die nicht mehr kontrollierbar waren. „I<br />
felt an extreme sense of a loss of control.<br />
And since then I couldn’t decide who<br />
I was anymore or what my name meant<br />
or what a picture of me was supposed<br />
to mean.”<br />
60<br />
Thema „Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz
Perfekte Profilbilder verstecken häufig<br />
unehrenhafte Gesichter<br />
Obwohl Holten auf ihren Profilen regelmäßig<br />
belästigt wurde, nützte sie Soziale<br />
Medien nach wie vor. Einerseits,<br />
damit nicht alles hinter ihrem Rücken<br />
geschah und sie ein Gefühl hatte zu<br />
wissen, was los war. Andererseits um<br />
zu versuchen, eine andere Geschichte<br />
über sich selbst zu präsentierenund<br />
den Bildern nicht die Macht zu geben,<br />
das Einzige zu sein, was von ihr im Netz<br />
zu finden war. Auf die Frage, warum<br />
sich UserInnenan der Weiterverbreitung<br />
dieser Bilder beteiligen, meint sie:<br />
„I think obviously there are a lot of people<br />
who look at those pictures for sexual<br />
use. It is my impression that the people<br />
who go so far as to harass, threaten<br />
or blackmail others – they definitely do<br />
it because it makes them powerful. It<br />
makes them feel that there is someone<br />
below them and it gives them a sense<br />
of controlling and using another person<br />
for their game.” Und diese Taten führten<br />
NutzerInnen von Sozialen Medien<br />
in Holtens Fall mit ihren persönlichen,<br />
nicht anonymen Accounts aus. Mit<br />
Profilbildern, von denen eine sympathische<br />
Familie herunter lächelte. Denn,<br />
so Holten, sie würden denken, dass<br />
sich die Opfer für die Inhalte schämen<br />
und somit sie selbst keine Konsequenz<br />
zu befürchten hätten.<br />
Internet Security-Experte Matthias<br />
Jax sieht genau darin ein großes Problem.<br />
Viele Soziale Medien-NutzerInnen<br />
glauben, sie befänden sich online<br />
in scheinbarer Anonymität und ließen<br />
sich dadurch, anders als auf offener<br />
Straße, schneller auf Beleidigungen<br />
und andere Taten ein.<br />
Herrscht im Internet ein Zustand der<br />
gesetzlosen Anarchie?<br />
Jax betont jedoch, dass es sich im Internet<br />
nicht um einen gesetzlosen Raum<br />
handelt. „Gesetz ist Gesetz. Revenge<br />
Porn ist ja nichts anderes als die Verletzung<br />
von ureigenen Urheber-und Persönlichkeitsrechten.<br />
In dem Moment,<br />
wo es passiert, gegen mich selber –und<br />
ich bin Österreichische/rStaatsbürger/<br />
in–sind die Gesetze auch anwendbar.<br />
Es hat gar nichts damit zu tun, ob das<br />
von einer ausländischen oder inländischen<br />
IP-Adresse oder sonst woher<br />
gekommen ist.“ Neben Cybermobbing<br />
und pornografischer Darstellung Minderjähriger<br />
könnten auch Straftaten<br />
wie Verleumdung und üble Nachrede<br />
im Rahmen von Revenge Porn geschehen.<br />
Eine Schwierigkeit in Fällen von<br />
Revenge Porn läge jedoch darin, herauszufinden,<br />
wer der/die Anschlussinhaber/in<br />
sei, um in weiterer Folge den/<br />
die Täter/in zu identifizieren. Hier werde<br />
es komplexer, wenn der/die Täter/<br />
in beispielsweise IP-Adresse und den<br />
Standort des Computers verschlüsselt.<br />
Außerdem würden Opfer oft aus Angst<br />
und Scham keine rechtlichen Schritte<br />
einleiten.<br />
Bei Sozialen Medien wie „Facebook“<br />
und „Instagram“ können Opfer die<br />
Fotos sofort melden, damit diese gesperrt<br />
und nicht mehr gepostet werden<br />
können. Bei anderen Websites rät<br />
Matthias Jax mit dem „Internet Ombudsmann“<br />
in Kontakt zu treten. Dabei<br />
handelt es sich um eine kostenlose<br />
Rechtsberatungs- und Schlichtungsstelle<br />
vom ÖIAT. Über den „Internet<br />
Ombudsmann“ können die Fotos auf<br />
den Plattformen durch ein spezielles<br />
Programm direkt gemeldet und dadurch<br />
schneller gelöscht werden.<br />
Den Tätern zuvorkommen – das<br />
Pro-Active Reporting Tool von „Facebook“<br />
„Facebook“ sorgte im Mai 2018 für Aufsehen,<br />
als ein Testlauf für das „Facebook<br />
Pro-Active Reporting Tool“ in<br />
Großbritannien, Kanada, den USA und<br />
Australien durchgeführt wurde. Es sei<br />
laut Konzern speziell entwickelt worden<br />
für UserInnen, die Angst hätten,<br />
dass Nacktbilder von ihnen zukünftig<br />
auf „Facebook“ veröffentlicht werden<br />
könnten. Dabei sollten jene die sensiblen<br />
Fotos vorab „Facebook“ zusenden.<br />
Diese würden von einem speziell ausgebildeten<br />
„Community Operations<br />
Safety Team“ geprüft, daraufhin ein<br />
„Hash Code“ erzeugt werden und die<br />
Fotos wären nach einer Woche wieder<br />
von den „Facebook“-Servern gelöscht.<br />
Der „Hash Code“ sei nach wie vor abgespeichert,<br />
um das zukünftige Posten<br />
dieser Bilder zu verhindern. Man sendet<br />
also höchst vertrauliche Fotos an<br />
ein US-amerikanisches Unternehmen,<br />
das allzu oft durch schwerwiegende<br />
Verstöße gegen die Privatsphäre auffällt?<br />
Matthias Jax jedenfalls würde<br />
dringend davon abraten, „Facebook“<br />
eigene Nacktbilder vorab zur Verfügung<br />
zu stellen. Auch Emma Holten ist<br />
skeptisch und sieht es nicht als Verantwortung<br />
von mächtigen Social Media-Konzernen,<br />
sich durch solche Kampagnen<br />
um die Rechte der UserInnen<br />
zu kümmern. Proaktiv würde sie das<br />
Tool nicht verwenden.<br />
Was tun gegen Revenge Porn?<br />
Das Erstellen und Versenden von eigenen<br />
Nacktbildern sei ein persönliches<br />
Recht, das nicht eingeschränkt werden<br />
dürfe, so Holten. Sie findet es außerdem<br />
wichtig, keine Angst zu schüren.<br />
Es existiere sehr viel Solidarität und<br />
Anstand auf der Welt. Täglich werden<br />
unzählige Nacktfotos untereinander<br />
versendet und nicht publiziert, sondern<br />
gelöscht, wenn Beziehungen auseinander<br />
gehen.<br />
Auch Matthias Jax ist der Meinung,<br />
dass „nichts gegen diese Art von Kommunikationen<br />
spricht. Es geht nur darum,<br />
dass man sich dessen bewusst<br />
ist, dass online gestellte Inhalte auch<br />
gegen einen verwendet werden können.“<br />
Daher sei es wichtig, mit der Zielgruppe<br />
regelmäßig über diese Themen<br />
zu sprechen und mit Nachdruck darauf<br />
aufmerksam zu machen, dass es sich<br />
um extrem intime Fotos und bei der<br />
unerlaubten Weiterleitung um einen<br />
absoluten Eingriff in die Privatsphä-<br />
„Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Thema Netz<br />
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e handelt. Banale Tipps wären, darauf zu<br />
achten, dass Gesicht und Hintergrund nicht<br />
erkennbar sind und diese Fotos durch Passwörter<br />
schwerer zugänglich zu machen.<br />
Holten meint, es müsse eine Sensibilisierung<br />
in der Gesellschaft stattfinden und<br />
eine Umsetzung klarer Gesetze gegen Gewalt<br />
im Netz seitens der Staaten erfolgen.<br />
Emma Holton<br />
Copyright: Peter Stanners<br />
Mathias Jax<br />
Copyright: ÖIAT<br />
Vox populi – die öffentlich gebilligte Meinung<br />
in Medien und Politik<br />
Die öffentliche Meinung vom starken Täter<br />
und dem schwachen Opfer scheint zu<br />
bröckeln. Bestärkt durch die #MeToo-Bewegung<br />
des letzten Jahres. Bestärkt durch<br />
Menschen wie Emma Holten, die sich von<br />
solchen Missbräuchen nicht unterkriegen<br />
lassen, öffentlich über das Thema sprechen<br />
und Opfern ein Gesicht geben. Holten<br />
hat auf ihre Geschichte 2014 in besonderer<br />
Weise aufmerksam gemacht und die Kontrolle<br />
über die Situation teilweise zurückgewonnen.<br />
Vor der Linse der dänischen Fotografin<br />
Cecilie Bødkerstellte sie fast nackt<br />
Alltagssituationen dar. Dieses Mal auf keine<br />
pornografische Weise. Sondern beim Buchlesen<br />
oder Zähneputzen. Dann stellte SIE<br />
diese Fotos FREIWILLIG online, mit einem<br />
Video über ihre Geschichte. Dadurch brachte<br />
sie auch außerhalb von Dänemark einen<br />
Stein ins Rollen. Laut der Menschenrechtsaktivistin<br />
sei die Gesellschaft in den letzten<br />
Jahren bereits viel offener und zuvorkommender<br />
geworden. „When this happened to<br />
me in 2011, I didn’t meet any people except<br />
for feminists who didn’t say it was my own<br />
fault. And that is a much rarer thing now.“<br />
Wo der Fortschritt noch stark gebremst<br />
wird, sei die Politik. „I think it is very telling<br />
that types of violence that mostly hit teenagers,<br />
young women or gay men – that that<br />
type of crime is not seen as serious and as<br />
important. It is my understanding that if the<br />
majority of victims of Revenge Porn were<br />
extremely rich, powerful men who are 50<br />
years old, there would be laws.” Und sie fügt<br />
an: „If thousands of people in your country<br />
are getting their privacy violated you are<br />
failing as a government to protect their human<br />
rights.“<br />
© Copyright: pixabay<br />
Medien tragen durch ihre Funktion der Information<br />
dazu bei, Unkenntnis zu verringern.<br />
Die Scheinwerfer müssen daher auch<br />
auf Randthemen wie „Revenge Porn“ gerichtet<br />
werden,umein Umdenkenin der gesamten<br />
Struktur der Gesellschaft voranzutreiben.Bei<br />
Rachepornografie gehtes nicht<br />
um die Nacktheit oder Sexualität der Person<br />
auf den Bildern. Durch die Tat wird das<br />
Recht auf Einverständnis ignoriert und die<br />
Kontrolle der eigenen Intimsphäre entzogen.<br />
Diese Tatsache darf nicht durch dominierende<br />
Unwahrheiten Unwissender oder<br />
MittäterInnenin den Tiefeneiner Schweigespirale<br />
verloren gehen.<br />
von Karin Pargfrieder<br />
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Thema „Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz
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