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SUMO #32

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Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten<br />

Medien<br />

&<br />

Gender<br />

© Nicolas Hofbauer<br />

Ausgabe 32<br />

- Februar 2019 -


St. Pölten University of Applied Sciences<br />

Jetzt<br />

informieren!<br />

fhstp.ac.at/bmm<br />

© Martin Lifka Photography<br />

Bachelorstudium<br />

Medienmanagement<br />

Das Studium für Radio | TV | Print | Online<br />

mit den Schwerpunkten:<br />

• Content Management<br />

• Marketing und Sales<br />

• Strategisches Management<br />

medien & wirtschaft


Inhalt<br />

» Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten 4<br />

» „Ich will keine Quotenfrau sein!“ 7<br />

» Sexismus - der blinde Fleck des Journalismus 11<br />

» Mühsam ernährt sich das Gendereinhörnchen, aber es ernährt sich! 14<br />

» Gender Diversity im Filmbusiness 17<br />

» This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming 19<br />

» Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängnis für muslimische Frauen 23<br />

» „Sex sells“ - nicht immer! 26<br />

» Sexualisierung, des Sportes bester Freund 29<br />

» Drag Queens als Content Trend 32<br />

» Kinderfilme als Geburtsstätten von Stereotypen 36<br />

» Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm 38<br />

» Geschlechterbilder religiöser Printmedien 41<br />

» Sexualisierte Darstellung von Frauen in der bildenden Kunst 44<br />

» „Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird 47<br />

» Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt 50<br />

» Feministische Medien. Der Kampf gegen den Malestream 52<br />

» „dieStandard.at“ und ihre männliche Community 54<br />

» Frauen lesen, Männer schreiben 56<br />

» Geschlechterhass im Netz 58<br />

» „Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz 60<br />

Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser!<br />

Am 29.1.1919 titelte die „Kronen Zeitung“ mit „Gattin oder<br />

Pflegerin? Eine seltsame Eheschließung“. Ging es hierbei um<br />

das Gedenken an den Doppelsuizid von Österreichs Kronprinz<br />

Rudolf und Mary Vetsera 1889, insinuiert „krone.tv“ exakt 100<br />

Jahre später: „Bekommt Meghan ein Mädchen?“<br />

In Berichten über die Rolle der Frau in Adelskreisen hat sich auch<br />

in anderen Medien wenig verändert. Aber wie sieht es bezüglich<br />

Darstellung und Rolle von Gender als sozialem Geschlecht in der<br />

heutigen Medienbranche generell aus? <strong>SUMO</strong> stellt diese Frage<br />

in den Mittelpunkt einer Schwerpunktausgabe – der umfangreichsten<br />

in der zehnjährigen Geschichte. Unsere Redakteurinnen<br />

und Redakteure analysierten – gestützt auf Interviews<br />

mit ExpertInnen aus Medienpraxis und Medienwissenschaft<br />

sowie Studien – für Sie unter anderem folgende Sachverhalte:<br />

die horizontale und vertikale Segregation in Rundfunk- und<br />

Filmunternehmen, Sexismus in Medienbetrieben wie in der<br />

-berichterstattung, Gender Roles in der Gaming Industry, Geschlechterbilder<br />

in katholischen Printmedien, Wirkung von Drag<br />

Queen-Shows, geschlechtersensible Sprache, feministische<br />

Zeitschriften, Aktivismus im Internet.<br />

Studierende unterschiedlicher Semester haben im Rahmen eines<br />

Praxislabors und eines Freifachs diese Ausgabe des österreichweit<br />

einzigen studentischen Medienfachmagazins erneut<br />

nicht nur redaktionell erstellt. Sie haben auch Kompetenzen aus<br />

anderen Bereichen ihres Bachelorstudiums Medienmanagement<br />

verantwortet: Anzeigenverkauf, Vertriebslogistik und Release-Konzeption,<br />

Bildredaktion, Kommunikation, Produktion.<br />

Es ist ihre Visitenkarte, so auch jene unserer Ausbildung für<br />

Führungskräfte aller Mediengattungen und andere Zielgruppen.<br />

Sie als MedienmanagerIn werden <strong>SUMO</strong>-MitarbeiterInnen auf<br />

der Karriereleiter kennenlernen – und den Gender-Gap schließen?<br />

Sie als SchülerIn mit Medienschwerpunkt werden diese<br />

Ausgabe studieren – und später bei uns mehr?<br />

Eine spannende Lektüre wünschen<br />

Copyright: Claudia Mann<br />

FH-Prof. Mag. Ewald Volk<br />

Studiengangsleiter<br />

Bachelor Medienmanagement<br />

Copyright: Ulrike Wieser<br />

FH-Prof. Mag. Roland Steiner<br />

Praxislaborleiter Print<br />

Chefredakteur <strong>SUMO</strong><br />

© Copyright: pexels<br />

Inhalt und Editorial<br />

3


Frauen im öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk Europas.<br />

Zahlen, Daten, Fakten<br />

Das Thema der Frauenquote in unterschiedlichen Unternehmen ist<br />

schon seit einigen Jahren ein großer Diskussionspunkt. Auch Medienunternehmen<br />

müssen sich aufgrund verschiedener Vorschriften<br />

damit auseinandersetzen und eine gleichwertige Stellung für<br />

Männer und Frauen schaffen. Doch wie sieht das Ganze im öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk in Europa aus? <strong>SUMO</strong> sprach mit den Kommunikationswissenschaftlerinnen<br />

Susanne Kirchhoff der Universität Salzburg und Kathrin<br />

Friederike Müller der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.<br />

Der ORF wird oft gelobt dafür, dass er<br />

viele Daten über die Gleichstellung von<br />

Männern und Frauen im Unternehmen<br />

veröffentlicht. Sein Gleichstellungsplan<br />

hat bereits mehrere Preise, unter<br />

anderem vom Europäischen Institut für<br />

Gleichstellungsfragen (EIGE), erhalten.<br />

Im Vorwort des letzten, 2016 erschienenen<br />

Gleichstellungsplans heißt es<br />

weiter, dass das Unternehmen bereits<br />

Fortschritte und eine Verbesserung der<br />

Frauenquote verzeichnen konnte. Mittlerweile<br />

liegt eine Frauenquote von 45%<br />

auch im ORF-Gesetz verankert.<br />

Aber wie steht das Vorbild im Vergleich<br />

zu anderen Ländern Europas da?<br />

Mit einer Frauenquote von 43,3% unternehmensweit<br />

liegt der ORF generell im<br />

Mittelfeld der in diesem Artikel behandelten<br />

Unternehmen. Angeführt wird das<br />

Ranking vom niederländischen „nederlandse<br />

publieke omroep“ (NPO), das in<br />

seinem Jahresabschluss 2017 von einer<br />

Frauenquote zwischen 49% und 51% landesweit<br />

spricht. Auch ARD (Deutschland),<br />

BBC (Großbritannien) und RTÉ (Irland)<br />

kommen mit über 48% einer eigentlichen<br />

Gleichstellung sehr nahe, während „Ceska<br />

Televize“ aus Tschechien mit einem<br />

Frauenanteil von 36% klar abgeschlagen<br />

das Schlusslicht darstellt. (vgl. Abb. 1).<br />

Managementfrauenquote<br />

Abbildung 2 illustriert die Anzahl an Frauen<br />

in den zwei höchsten Managementebenen<br />

in verschiedenen Ländern, gemäß<br />

der von EIGE 2018 veröffentlichten<br />

Werte. Die in der unteren Grafik dunkel<br />

eingezeichneten Länder wurden bereits<br />

in der obenstehenden Grafik behandelt<br />

und stellen somit den Schwerpunkt der<br />

Analyse dar.<br />

Irland liegt hier – teils deutlich hinter<br />

Lettland, Dänemark, Schweden und<br />

Rumänien – an der Spitze der bereits<br />

in Abbildung 1 illustrierten Länder und<br />

kann eine Gleichberechtigung zwischen<br />

Frauen und Männern im Unternehmen<br />

klar weiter behaupten. Österreich liegt<br />

mit Großbritannien gemeinsam auf dem<br />

siebten Platz, während Frankreich und<br />

Portugal im hinteren Mittelfeld liegen.<br />

Noch weiter abgeschlagen sind Deutschland,<br />

die Niederlande sowie Belgien und<br />

Slowenien.<br />

Ebenfalls von EIGE erhoben wurden Italien,<br />

Spanien, Griechenland, Kroatien,<br />

Luxemburg, Malta und Polen, die jedoch<br />

2018 keine Repräsentantinnen unter<br />

den Entscheidungsträgern in den zwei<br />

höchsten Ausschüssen hatten.<br />

Neben den von EIGE beforschten Staaten<br />

veröffentlichte der norwegische öffentlich-rechtlich<br />

Rundfunk NRK im Jahr<br />

2017 eine Frauenmanagementquote von<br />

51,5%, womit sich das Unternehmen zwischen<br />

Rumänien und Irland einordnet.<br />

Dr. Kathrin Friederike Müller, wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin am Institut für<br />

Kommunikationswissenschaft der Universität<br />

Münster, kann sich die klare<br />

Überrepräsentation von Frauen in den<br />

Führungspositionen des lettischen und<br />

dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

dadurch erklären, dass beide Länder<br />

BewerberInnen geschlechtergerecht<br />

auswählen. Ob es sich um einen Bewerber<br />

oder eine Bewerberin handle, dürfte<br />

demnach kaum eine Rolle gespielt haben.<br />

Ein größerer Fokus habe vermutlich auf<br />

der Qualifikation gelegen.<br />

Fakt ist, dass auch in Österreich Frauen<br />

in journalistischen Berufen tendenziell<br />

formal höher gebildet sind als ihre<br />

männlichen Kollegen. So besagte der<br />

vom Medienhaus Wien 2007 publizierte<br />

„Journalistenreport“, dass 41% aller<br />

Journalistinnen Akademikerinnen sind,<br />

während nur 29% der Männer im Journalismus<br />

ein abgeschlossenes Hochschulstudium<br />

besitzen.<br />

Gehaltsunterschiede<br />

Der reine Frauenanteil eines Unternehmens<br />

sagt letztendlich wenig über<br />

4<br />

Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten


Abbildung 1: Abbildung nach Jahresabschlüssen und Gleichstellungsplänen<br />

die eigentliche Gleichberechtigung im<br />

Arbeitsalltag und über die Bezahlung<br />

der Frauen aus. Nur wenige Unternehmen<br />

veröffentlichen tatsächlich<br />

Werte über den Gender-Pay-Gap. Auch<br />

hier übernimmt der ORF eine beispielhaft<br />

positive Rolle, indem im aktuellen<br />

Gleichstellungsplan auch der „Unternehmens-Pay-Gap“<br />

publik wird: Im ersten<br />

Halbjahr 2015 lag dieser bei 16,1%.<br />

Dass Frauen für dieselbe Arbeitszeit<br />

um soviel weniger Gehalt bekommen,<br />

erscheint schockierend. Verglichen mit<br />

dem landesweiten Pay-Gap von 20,1%,<br />

schneidet der ORF jedoch besser ab als<br />

das durchschnittliche Unternehmen in<br />

Österreich.<br />

Noch positiver sieht das Ganze in Großbritannien<br />

und Portugal aus. Die BBC<br />

veröffentlichte einen unternehmensweiten<br />

Gehaltsunterschied von 9,3%,<br />

während das Land mit 21% Pay-Gap<br />

fünf Prozentpunkte über dem europäischen<br />

Durchschnitt liegt. RTP, der<br />

portugiesische öffentlich-rechtliche<br />

Rundfunk, steht mit einem Pay-Gap<br />

von 9% um 8,5 Prozentpunkte besser<br />

da als der Landesschnitt. Auch wenn<br />

Belgien mit einem Schnitt von rund<br />

38% Frauenanteil im Unternehmen im<br />

vorhergegangenen Ranking einen der<br />

hinteren Plätze einnimmt, sticht der<br />

französischsprachige öffentlich-rechtliche<br />

Rundfunk des Landes mit einem<br />

Unterschied in der Bezahlung von 2,4%<br />

stark positiv hervor. Hierbei handelt es<br />

sich jedoch nicht um eine Zahl, die das<br />

Unternehmen veröffentlicht hat, sondern<br />

um das Ergebnis einer Berechnung<br />

der Verfasserin dieses Artikels, die den<br />

Stundenlohn der beiden Geschlechter<br />

(Männer: 49,8€; Frauen: 48,6€) miteinander<br />

verglich.<br />

Hintergründe<br />

Das Thema Pay-Gap ist seit einiger Zeit<br />

ein sehr prominentes, auch die Gründe,<br />

wie dieser entstanden ist und sich<br />

so lange halten konnte wurden schon<br />

vielfach behandelt. Diese reichen vom<br />

langsamen Wachstum des Vertrauens<br />

Abbildung 2: Abbildung nach EIGE (2018): Gender Statistics Database, Public broadcaster: CEO, executives<br />

and non-executives (two highest decision-making bodies)<br />

© Copyright: pixabay/jessica45<br />

Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten<br />

5


Kathrin F. Müller<br />

Copyright: lfK<br />

in die Fähigkeiten von Frauen bis dazu,<br />

dass mehr Frauen als Männer sich intensiv<br />

um ihre Kinder kümmern und<br />

darum über ihre Elternzeit oder eine<br />

Teilzeitanstellung weniger Zeit in den<br />

Unternehmen verbringen.<br />

Doch warum stehen öffentlich-rechtliche<br />

Unternehmen hier besser da als<br />

das Durchschnittsunternehmen?<br />

Als eine der möglichen Erklärungen<br />

sieht Kathrin F. Müller die stärkere Regulierung<br />

der Unternehmen durch Aufsichts-<br />

und Rundfunkräte, die in ihren<br />

Entscheidungen auch plurale Anforderungen<br />

verschiedener gesellschaftlicher<br />

Gruppen an eine best practice hinsichtlich<br />

der Entlohnung von Männern<br />

und Frauen berücksichtigen müssen.<br />

Susanne Kirchhoff<br />

Copyright: Universität Salzburg<br />

Auch Dr. Susanne Kirchhoff, Assistenzprofessorin<br />

für Kommunikationswissenschaft<br />

an der Universität Salzburg,<br />

sieht den Hintergrund dafür<br />

unter anderem bei den Vorschriften,<br />

dass öffentlich-rechtliche Unternehmen<br />

Daten und Zahlen veröffentlichen<br />

müssten. „Durch Rechenschaftsberichte,<br />

durch die Festschreibung von<br />

durchzuführenden Maßnahmen, haben<br />

die öffentlich-rechtlichen Unternehmen<br />

transparente Möglichkeiten, um<br />

Gleichstellung zu bewirken.“ Diese Rechenschaftsberichte<br />

seien zwar nicht<br />

in allen europäischen Ländern gesetzlich<br />

vorgeschrieben, machen jedoch in<br />

jenen, die dazu verpflichtet sind, häufig<br />

einen Unterschied zu privatrechtlichen<br />

Unternehmen.<br />

Gesetzlich herrschen in der EU also Unterschiede,<br />

was den öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunk angeht, denn eigentliche<br />

Gesetze zur Gleichstellung gibt<br />

es aus dem Europäischen Parlament<br />

keine. Die EU-Gesetze beschränken<br />

sich vielmehr auf die Sicherstellung<br />

der freien Meinungsäußerung und der<br />

kulturellen Vielfalt, während die Gleichstellung<br />

von Frauen betreffend viele<br />

Richtlinien, Maßnahmenkataloge, Förderungen<br />

und ähnliches erstellt wurden.<br />

Auch wenn diese Richtlinien eben<br />

das bleiben: Richtlinien und keine Gesetze,<br />

haben sie einen Einfluss auf die<br />

weitere Gleichstellung von Frauen. Sie<br />

bestärken Mentoring-Programme und<br />

eine Vernetzung unter Frauen, die einen<br />

großen Teil zu ihrem Selbstbewusstsein<br />

beitragen. Trotzdem sind sich Kirchhoff<br />

und Müller einig, dass Richtlinien nicht<br />

die beste Möglichkeit seien, Gleichstellung<br />

zu erreichen. „Das Problem bei<br />

Richtlinien ist immer, dass sie zu wenig<br />

Verbindlichkeit schaffen. Sie rufen natürlich<br />

ein Problem ins Bewusstsein der<br />

Menschen und benennen es, aber ich<br />

fürchte fast, dass Freiwilligkeit einfach<br />

häufig nicht hilft,“ konstatiert Müller im<br />

<strong>SUMO</strong>-Interview.<br />

Zukunftsaussichten<br />

Ass.-Prof. Kirchhoff blickt der Zukunft<br />

von Frauen in Medienunternehmen<br />

allgemein positiv entgegen: „Es gibt<br />

immer mehr Bewusstsein für die Thematik<br />

Gleichstellung, und es gibt, glaube<br />

ich, immer mehr Bewusstsein dafür,<br />

dass es ökonomisch, sowohl für die<br />

Unternehmen als auch gesamtgesellschaftlich,<br />

keinen Sinn macht, Frauen<br />

zu benachteiligen, sei es nun individuell,<br />

aber auch strukturell.“<br />

Und so ist es nun auch kein Geheimnis,<br />

dass der Journalismus weiblicher wird:<br />

2007 waren laut „Journalisten-Report“<br />

42% aller JournalistInnen in Österreich<br />

weiblich.<br />

Die Frage ist laut Kirchhoff nicht die, wie<br />

man Frauen dazu bringt, den Journalistinnen-Beruf<br />

einzuschlagen, sondern:<br />

„Wie schaffen wir es, dass die Strukturen<br />

so sind, dass Frauen im Journalismus<br />

Karriere machen?“ Denn obwohl<br />

immer mehr Frauen im Journalismus<br />

arbeiten, steigt die Zahl in Führungspositionen<br />

nicht proportional dazu an.<br />

Generell sehen aber auch beide Expertinnen<br />

eine positive Entwicklung in der<br />

Zukunft als sehr wahrscheinlich an,<br />

auch wenn es noch einige Jahre dauern<br />

werde bis zu einer absoluten Gleichstellung.<br />

Müller sieht als wichtigste Voraussetzung<br />

nicht primär die Einführung von<br />

Frauenquoten in Unternehmen, sondern<br />

die Veränderung der gesellschaftlichen<br />

Mentalität, stets Unterschiede<br />

zwischen den Geschlechtern zu suchen,<br />

anstatt von einer geschlechtsunabhängigen<br />

Befähigung für Führungsaufgaben<br />

zu fragen. Und an dieser können<br />

alle mitwirken, indem im Alltag Geschlecht<br />

weniger Prägkraft zugeschrieben<br />

wird.<br />

von Johanna Schrey<br />

6<br />

Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten,


,,Ich will keine<br />

Quotenfrau sein!“<br />

Im <strong>SUMO</strong>-Interview bietet Christiana Jankovics, u.a. Trägerin des Frauenring-Preises,<br />

Einblicke in den Gleichstellungsplan des ORF. Zusätzlich<br />

spricht Birgit Moser-Kadlac über ihre langjährige Erfahrung als Leiterin<br />

der Personalabteilung bei ProSiebenSat.1 PULS 4. Unterschiedliche Zugänge<br />

zur Frage: Braucht es eine verpflichtende Frauenquote in Medienunternehmen?<br />

Der ORF ist per Gesetz dazu verpflichtet,<br />

schrittweise einen Frauenanteil von<br />

45% auf allen Gehalts- und Funktionsebenen<br />

zu erreichen. Federführend in<br />

der Entwicklung des dazugehörigen<br />

Gleichstellungsplans war Christiana<br />

Jankovics. Sie kümmert sich auch heute<br />

noch um jegliche Maßnahmen, die zur<br />

Erreichung der fixierten Quote notwendig<br />

sind. Eine solche Pflichtquote gibt<br />

es in den meisten privaten Medienunternehmen<br />

nicht, gleichwenig beim<br />

größten österreichischen TV-Betrieb –<br />

ProsiebenSat.1 PULS 4. Das habe laut<br />

der Leiterin der Personalabteilung bisher<br />

auch noch nie zu Konflikten geführt.<br />

Birgit Moser-Kadlac weiß, wovon sie<br />

spricht, denn sie setzt sich seit Jahren<br />

mit den Wünschen und Bedürfnissen<br />

der MitarbeiterInnen auseinander.<br />

Gleichstellungskommission, -beauftragte<br />

und -plan<br />

Christina Jankovics ist nicht nur Vorsitzende<br />

des Betriebsrats „Fernsehen<br />

Programm“. Sie ist auch eine von elf im<br />

Zentralbetriebsrat und hat zusätzlich<br />

noch einen Sitz im Stiftungsrat inne.<br />

Darüber hinaus spielt sie auch eine<br />

Schlüsselrolle in der Gleichstellungskommission<br />

des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks. Gleichstellungskommission<br />

– Was ist das? Was vermag sie?<br />

Was macht sie? Jankovics bietet darauf<br />

eine exakte Antwort: Im ORF gibt<br />

es zwei Gremien. Erstens die Gleichstellungskommission,<br />

die sich um die<br />

konzeptionelle Arbeit kümmert. Diese<br />

setzt sich aus jeweils fünf Führungskräften<br />

und fünf Mitgliedern des Betriebsrates<br />

zusammen. Zweitens gibt<br />

es die Arbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten,<br />

die insgesamt<br />

sechs ständige Mitglieder zählt. Diese<br />

ist mit der entsprechenden Umsetzung<br />

des Gleichstellungsplans betraut,<br />

erläutert Jankovics. Sie kümmert sich<br />

um Auswahlverfahren, organisiert Förderungs-<br />

und Ausbildungsprogramme<br />

sowie Schulungen. Sechs Mal jährlich<br />

versammeln sich die beiden Gremien.<br />

Auch bei ProsiebenSat.1 PULS 4 dient<br />

eine Gleichstellungsbeauftragte als<br />

Anlaufstelle bei anfälligen Beschwerden.<br />

Sonst gebe es keine weiteren betrieblichen<br />

Einrichtungen, die sich mit<br />

Genderfragen auseinandersetzten. Das<br />

wäre laut der Leiterin für Personalwesen<br />

bisher auch noch nie notwendig<br />

gewesen. Ein Blick auf die Personalstatistik<br />

zeigt, dass auch ohne Quote 52%<br />

der rund 500 MitarbeiterInnen weiblich<br />

sind. Zusätzlich weist der Privatsender<br />

eine hohe Dichte an Frauen in der Geschäftsleitung<br />

auf: Die Senderchefin<br />

von Puls4, die Gründerin des ,,4GAME-<br />

CHANGERS“-Festivals, die Chefin für<br />

den Informationsbereich sind neben<br />

der Personalchefin zu nennen.<br />

Im ORF ist ebenfalls ein positiver Trend<br />

absehbar. Der Frauenanteil steigt hier<br />

zwar langsamer, aber stetig an. Das<br />

Sparpaket des ORF sei Ursache dieser<br />

stockenden Entwicklung, verdeutlicht<br />

Jankovics. Strukturen würden zunehmend<br />

verflacht, Bereiche unterschiedlicher<br />

Medien wachsen zusammen. Das<br />

schmälere den Bedarf an Führungskräften<br />

enorm. Während auf mittlerer<br />

Führungsebene derzeit bereits 32% der<br />

Stellen auf eine Frau entfallen, wird in<br />

den Top-Führungspositionen nur jede<br />

© Copyright: unsplash/rawpixel<br />

,,Ich will keine Quotenfrau sein!“<br />

7


© Copyright: unsplash/Constellate<br />

vierte Position von einer Frau besetzt.<br />

Doch auch hier sei ein Zuwachs von 7%<br />

in den letzten sieben bis zehn Jahren zu<br />

beobachten, zeigt sich die Betriebsrätin<br />

erfreut.<br />

Karenz und Teilzeitarbeit keine reine<br />

Frauensache mehr<br />

Auch in Hinblick auf die Verteilung von<br />

Voll- und Teilzeitbeschäftigungen habe<br />

sich in den vergangenen Jahren einiges<br />

getan. Förderprogramme jedoch<br />

hätten dazu relativ wenig beigetragen,<br />

merkt Jankovics an. Wiederum seien<br />

die Sparmaßnahmen Grund dafür,<br />

dass Verträge mit einem Zeitausmaß<br />

von 80% immer beliebter würden. Väter<br />

müssen gezielt dazu ermutigt werden,<br />

vermehrt in Karenz zu gehen, heißt<br />

es im Gleichstellungsplan. In der Umsetzung<br />

dieser Vorschrift gebe es laut<br />

der Betriebsrätin aber noch Mängel.<br />

Anstatt die Vorzeigeväter im Zuge der<br />

,,Papa-Kampagne“ in höchsten Tönen<br />

zu loben, sollte es als selbstverständlich<br />

angesehen werden, dass sowohl<br />

Frauen als auch Männer ihren Anspruch<br />

auf Karenz oder Teilzeitbeschäftigung<br />

geltend machen. An dieser Stelle lasse<br />

sich auf die nordeuropäischen Länder<br />

verweisen. In Schweden etwa sei es<br />

schon seit Jahrzehnten so, dass beide<br />

Elternteile nur 70% arbeiten und sich<br />

somit die Kindererziehung aufteilen.<br />

Karenz ist auch ein Thema, das Moser-Kadlac<br />

sehr am Herzen liegt. Als<br />

Personalchefin und Mutter versucht<br />

sie Frauen, die aus der Karenzzeit zurückkehren<br />

schnellstmöglich wieder<br />

voll in den Job zu integrieren. Sie sieht<br />

darin eine wichtige Ressource: ,,In 20<br />

Stunden schafft eine junge Mutter sehr<br />

viel. Weil sie es von zu Hause gewohnt<br />

ist. Weil sie organisiert ist. Weil sie engagiert<br />

ist. Weil sie zentriert auf das<br />

Arbeiten ist. Die Mütter nehmen das<br />

sehr gut auf und fühlen sich hier auch<br />

wertgeschätzt. Weil man sie nicht aufs<br />

Abstellgleis stellt, sondern aktiv miteinbindet.“<br />

Sie selbst ist in der Elternteilzeit<br />

ohne Probleme in die Geschäftsleitung<br />

ernannt worden.<br />

Wenn Frauen von Frauen über Frauen<br />

lernen<br />

Seit 2007 gibt es im ORF ein Mentoring-Programm.<br />

Es gilt für alle Frauen,<br />

ob Nachwuchsjournalistin, Technikerin<br />

oder Mitarbeiterin der kaufmännischen<br />

Abteilung. Das Programm wurde innerhalb<br />

kürzester Zeit von 265 Frauen<br />

absolviert. Das Förderprogramm hilft<br />

aufstrebenden Frauen dabei, die ,,ungeschriebenen<br />

Gesetze“ des Unternehmens<br />

besser zu verstehen. Wie verkaufe<br />

ich meine Arbeit? Wie präsentiere<br />

ich mich, um als zukünftige Führungsperson<br />

in Frage zu kommen? Jankovics<br />

begründet das ausschließlich Frauen<br />

offen stehende Programm damit, dass<br />

das Erklimmen der Karriereleiter für sie<br />

ein meist steiniger Weg sei. ,,In Männern<br />

sieht man eher Führungspotential.<br />

Eine Frau muss sich erst einmal<br />

beweisen.“ Frauen fühlen sich dadurch<br />

häufig unter Druck gesetzt, glänzen zu<br />

müssen und sich keine Fehler zu erlauben.<br />

Um sich mit dem Thema Gender<br />

Bias (geschlechtsbezogene Verzerrung)<br />

auseinanderzusetzen, werden auch<br />

regelmäßige Seminare veranstaltet.<br />

Als Teil der Leadership-Lab ist das Besuchen<br />

eine Pflichtveranstaltung für<br />

zukünftige Führungskräfte im ORF.<br />

Genauso wie Führungskräfte Kenntnisse<br />

im Arbeitsrecht, der Bilanzierung<br />

oder der Kostenkalkulation nachweisen<br />

müssen, ist es Teil ihrer Ausbildung,<br />

ein Seminar über ,,Gendermainstreaming“<br />

zu besuchen. ,,Das Interesse ist<br />

bei Frauen und bei Männern, die sich eh<br />

schon dafür interessieren meist größer.<br />

Gerade die, die es eigentlich am nötigsten<br />

hätten gehen am wenigsten hin.“<br />

Das Besuchen eines oder zweier dieser<br />

Seminare reiche einfach nicht aus, um<br />

festgefahrene Denkweisen und Unternehmenskulturen<br />

zu kippen, bedauert<br />

die Genderbeauftragte.<br />

Im Gegensatz zum ORF gibt es bei<br />

ProsiebenSat.1 PULS 4 keine frauenspezifischen<br />

Schulungsangebote. Nach<br />

kurzem Überlegen nennt Moser-Kadlac<br />

eine Veranstaltung, die sich ,,Leading<br />

Ladies“ nennt. Dabei werden im<br />

Mutterkonzern in München vier Mal<br />

jährlich alle Frauen zum gemeinsamen<br />

Frühstücken und Erfahrungstausch<br />

eingeladen. Zusätzlich ist es auch im<br />

Tochterunternehmen möglich, die<br />

Kinderbetreuungsstelle des „Medien<br />

Quarter Marx“, dem Medienstandort<br />

in Wien in Anspruch zu nehmen. 2019<br />

solle dann endlich auch ein einheitliches<br />

Konzept zur Home-Office-Regelung<br />

stehen. All dies basiere auf freiwilliger<br />

Basis.<br />

Pflichtquote Ja oder Nein?<br />

Trotz weniger Schulungs- und Fördermöglichkeiten<br />

kategorisch für Frauen<br />

sieht Moser-Kadlac in Hinblick auf<br />

Maßnahmen zur Gleichberechtigung<br />

nur wenig Handlungsbedarf. Die Kultur<br />

eines Unternehmens sei typischerweise<br />

stark vom Management geprägt.<br />

Dabei sei es, betont die Personalchefin,<br />

der obersten Geschäftsführung immer<br />

wichtig gewesen, dass Chancengleichheit<br />

in allen Bereichen geboten werde.<br />

Es werde penibel darauf geachtet,<br />

dass man nur aufgrund der Leistung im<br />

Unternehmen aufsteigt. ,,Mitarbeiter-<br />

Innen bekommen bei uns eine Position,<br />

auch in gewissen Hierarchieebenen,<br />

weil sie eine gute Leistung bringen.“<br />

Eine Quotenanforderung könnte ihrer<br />

Meinung nach sogar dazu führen, dass<br />

sich Frauen schwach oder unterlegen<br />

fühlten. Zumindest sei das der Fall,<br />

wenn man ihnen das Gefühl gebe, dass<br />

sie nur wegen einer Quote eingestellt<br />

würden, was bei ProSiebenSat.1 PULS<br />

4 eben nicht zutrifft. Chancengleichheit<br />

werde im Unternehmen immer schon<br />

unausgesprochen gelebt und benötige<br />

daher keine strengen Vorgaben oder<br />

Vorschriften.<br />

Ganz anders wird das Thema von Jankovics<br />

betrachtet: Ein ,,Quoten vor<br />

Qualifikations“-Denken sei ein Märchen.<br />

Die Quotenregelung sorge nur<br />

dafür, dass bei gleich gut qualifizierten<br />

BewerberInnen nicht die ,,Münze“ entscheidet.<br />

Häufig stelle die fehlende<br />

Führungserfahrung ein Argument gegen<br />

die Einstellung einer jungen Frau<br />

dar. Damit dies nicht zum Stolperstein<br />

werde, benötige es Erfahrungen im Beruf.<br />

Daher sei es wichtig, dass nicht nur<br />

Männer mit der Leitung von Projektund<br />

Arbeitsgruppen betraut würden.<br />

Das rechtfertige auch die betriebliche<br />

Anordnung, für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis<br />

im Managen von<br />

Projekten zu sorgen. Ihrer Meinung<br />

nach benötige es diese Pflichtquote,<br />

um in dieser Hinsicht etwas in Bewegung<br />

zu setzen. ,,Das hat überhaupt<br />

nichts mit Qualitätsverringerung zu tun<br />

– im Gegenteil“, stellt sie bestimmt fest.<br />

8<br />

,,Ich will keine Quotenfrau sein!“


Birgit Moser-Kadlac<br />

Copyright: ProSiebenSat1PULS4<br />

Freiheiten neben strikten Normen<br />

Vom European Institute for Gender<br />

Equality (EIGE) wurde der ORF-Gleichstellungsplan<br />

als Best Practice befunden.<br />

Die Zentralbetriebsrätin erläutert,<br />

dass es in den meisten Medienbetrieben<br />

europäischer Länder, zumindest<br />

im öffentlich-rechtlichem Rundfunk,<br />

verpflichtende Schulungen, Frauenförderprogramme<br />

oder Gleichstellungsbeauftragte<br />

gebe. Jankovics würde es<br />

ebenfalls unterstützen, wenn auch<br />

mehr private Medienunternehmen in<br />

ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis<br />

investieren. Solche Projekte und<br />

Programme verursachen Kosten, aber<br />

auch Gewinne. Durch finanzielle Zuwendungen<br />

könnte man solche auch<br />

für kleine Medienbetriebe attraktiv machen.<br />

Um den Gleichstellungsprozess in die<br />

Gänge zu bringen, wurde 2007 eine<br />

Task Force gegründet. In der Gremienarbeit<br />

im Betriebsrat habe laut Christiana<br />

Jankovics die Dynamik gefehlt. ,,Wir<br />

wollen uns gar nicht bewerben, weil das<br />

eh schon immer ausgemacht ist“, lauteten<br />

Beschwerden. Auf dieses Alarmsignal<br />

musste entsprechend reagiert werden.<br />

Deshalb schlossen sich weibliche<br />

Führungskräfte und Mitglieder der Räte<br />

zusammen und gründeten dieses Lobbyingorgan.<br />

,,Wir haben die Frauen über<br />

Plakate und Mails innerhalb des ORF<br />

über unser Vorgehen informiert und zu<br />

einem Treffen eingeladen. Spontan sind<br />

an diesem Nachmittag über 250 MitarbeiterInnen<br />

erschienen. Das hat uns<br />

in unserer Idee bestärkt. Wir haben die<br />

Frauen gefragt: Woran krankt es? Was<br />

wünschen wir uns?“ Die Task Force<br />

dient seither Frauen als Anlaufstelle.<br />

Zusätzlich könne dadurch Druck auf<br />

die Gremien ausgeübt werden. ,,Wenn<br />

dort nichts mehr weiter geht, kann ich<br />

außerhalb der Gremienstrukturen und<br />

ihrer strengen Vorschriften eine Initiative<br />

schaffen, die etwas fordert.“ Und<br />

umgekehrt könnten Maßnahmen wie<br />

das Mentoring-Programm der Privatinitiative<br />

über Gremien wie dem Betriebsrat<br />

verankert werden.<br />

Ein weiteres erfolgreiches Projekt der<br />

Task Force sei ,,Gender Budgeting“. Dabei<br />

gehe es primär darum, den Einsatz<br />

von Finanzmitteln zu analysieren und<br />

festzustellen, ob der Einsatz von Geld<br />

neutral oder männer- und frauenspezifisch<br />

erfolge. Ziel sei es, den Gender-<br />

Pay-Gap im Rundfunkunternehmen<br />

zu senken, erläutert Jankovics. Das<br />

funktioniere ohne Zwänge und lasse<br />

viel Spielraum in der konkreten Umsetzung.<br />

,,Um den Gender-Pay-Gap zu<br />

verringern, kann ich versuchen, Frauen<br />

gezielt durch Kurse und Schulungen in<br />

eine höhere Position zu befördern. Ich<br />

kann aber auch Männer auffordern, in<br />

Karenz zu gehen.“<br />

Die eigene Einstellung ist das Problem<br />

,,Es ist meines Erachtens keine Frage<br />

der Qualifikation, sondern der Netzwerke“,<br />

unterstreicht Jankovics. Sie führt<br />

eine EIGE-Studie zum Freizeitverhalten<br />

der Geschlechter an. Frauen widmen<br />

ihre arbeitsfreie Zeit neben der Hausarbeit<br />

und der Kinderbetreuung vor allem<br />

der Selbstoptimierung. Sie bilden<br />

sich weiter, gehen ins Fitnessstudio,<br />

etc. Männer hingegen beschäftigen<br />

sich auch nach Feierabend vorwiegend<br />

mit dem Besprechen ihrer Arbeitstätigkeit<br />

oder nützen diese Zeit intensiv zur<br />

Netzwerkpflege.<br />

Moser-Kadlac kennt aus zahlreichen<br />

ihrer Gespräche mit Mitarbeiterinnen<br />

vor allem das folgende Problem: Frauen<br />

trauen sich verglichen mit Männern<br />

weniger zu. Sie nehmen einen Job nur<br />

dann an, wenn sie sich zu 100% sicher<br />

sind, dass sie der Position fachlich und<br />

persönlich gewachsen sind. Männer zögern<br />

seltener und sind selbstbewusster.<br />

Es sei wichtig, dass man den Frauen<br />

auch zeigt, dass es andere bereits geschafft<br />

haben und was alles möglich<br />

sei, betont die Personalchefin.<br />

Neben dem Wunsch Frauen in höhere<br />

Positionen zu befördern, versuchen<br />

beide Unternehmen ein ausgewogeneres<br />

Verhältnis in den darunter angesiedelten<br />

Abteilungen zu erreichen. So<br />

trifft man im Bereich „Programm“, wie<br />

auch in der kaufmännischen Direktion,<br />

eher eine Frau als Ansprechperson an.<br />

Aber auch in diesen von Frauen dominierten<br />

Bereichen sitzen überwiegend<br />

wieder nur Männer im Chefsessel, bedauert<br />

Jankovics. In anderen Abteilungen<br />

setze der ORF gezielt Maßnahmen,<br />

um den geforderten Frauenanteil zu<br />

„Ich will keine Quotenfrau sein!“<br />

9


steigern. Im Rahmen von ,,Frauen in<br />

die Technik“ wird nach Kamerafrauen,<br />

CutterInnen an Fachhochschulen und<br />

technischen Universitäten geworben.<br />

Häufig mangele es da nicht am Interesse.<br />

Dieselbe Erfahrung hat Moser-Kadlac<br />

in ihrem Unternehmen beobachtet.<br />

Auch hier sind vor allem die technischen<br />

Bereiche weiblich stark unterbesetzt. In<br />

der Sendeabwicklung gibt es nur eine<br />

einzige Frau. Das wundere sie jedoch<br />

wenig, denn harte Schicht- und Nachtarbeit<br />

seien nicht für Jedermann bzw.<br />

-frau das attraktivste Arbeitsumfeld. In<br />

anderen Bereichen, wie in der HR-Abteilung,<br />

wünscht sie sich sogar mehr<br />

männliche Bewerber. Es gebe also auch<br />

umgekehrt ein Problem. Jede Frau und<br />

jeder Mann setze andere Impulse und<br />

könne eine andere Dynamik einbringen.<br />

Vorteile einer Frau im Chefsessel<br />

Birgit Moser-Kadlac ist der Meinung,<br />

dass Chefinnen oft andere Führungsstile<br />

als männliche an den Tag legen.<br />

Frauen seien tendenziell emphatischer,<br />

was für eine Führungskraft essenziell<br />

ist, Männer bringen andere Aspekte ein.<br />

Es bedürfe einer perfekten Mischung.<br />

Jankovics dagegen betont, dass eine<br />

Frau nicht eine gänzlich neue Führungskultur<br />

schaffen könne, als bereits<br />

im Unternehmen bestehend. Der<br />

entscheidende Vorteil liege in möglichen<br />

Veränderungen im redaktionellen<br />

Programm, wenn eine Frau die<br />

Anweisungen erteile. ,,Ich will keine<br />

Gesellschaft haben, wo die Runde der<br />

Chefredakteure mir die Welt erklärt. Es<br />

ist immer noch ein solcher Gender Bias<br />

in der Welt. Ich glaube, dass in Zukunft<br />

noch ein viel stärkerer Fokus darauf liegen<br />

wird, was wir berichten. Vom Programmauftrag<br />

her sind wir verpflichtet<br />

die Gesellschaft so abzubilden, wie sie<br />

ist. Und wenn ich da nur den männlichen<br />

Blick habe, dann werde ich auf<br />

Dauer am weiblichen Publikum vorbeiproduzieren.“<br />

Beide sind sich einig, dass es häufig am<br />

Mut scheitere. ,,Wir haben eine Dame<br />

in der Sportredaktion – und das tut<br />

dem Team gut, wenn es verschiedene<br />

Sichtweisen gibt, da kommt eine andere<br />

Dynamik rein“, meint Moser-Kadlac.<br />

Die redaktionelle Arbeit anbelangend<br />

sei das Geschlecht zweitrangig. So hält<br />

im Ressort Politik eine Frau das Zepter<br />

in der Hand, während ein Mann für<br />

das weiblich ausgerichtete Format des<br />

Frühstücksfernsehens und des „Cafe<br />

Puls“-Magazins verantwortlich ist. ,,Ich<br />

könnte nicht sagen, wer für welchen Job<br />

hier besser geeignet ist. Das ist extrem<br />

persönlichkeits- und wissensgesteuert.<br />

Da geht es vielmehr um das Handwerk.<br />

Man kann ein Format für Frauen<br />

machen oder man kann es halt einfach<br />

nicht. Männer und Frauen können ähnlich<br />

für eine gewisse Sache brennen“,<br />

schließt Moder-Kadlac das <strong>SUMO</strong>-Interview<br />

ab.<br />

von Kathrin Weinkogl<br />

© Copyright: adobe stock/suriya silsaksom<br />

Unabhängiger Journalismus betrachtet Fakten immer von mehreren Seiten.<br />

Und stellt die richtigen Fragen. Online, im Fernsehen und auf Papier.<br />

,,Ich will keine Quotenfrau sein!“


Sexismus – der blinde Fleck<br />

des Journalismus<br />

Es sind reduzierende Kommentare. Unangebrachte Blicke. Lästige Nachrichten.<br />

Sexismus ist im Journalismus allgegenwärtig – und dennoch<br />

totgeschwiegen. In <strong>SUMO</strong> geben drei Journalistinnen den Betroffenen<br />

eine Stimme und sprechen über den blinden Fleck des Journalismus.<br />

„Du bist die neue Videomaus bei uns,<br />

oder?“, waren die ersten Worte von<br />

ihm an sie. Die „Videomaus“ heißt Lisa*<br />

und ist eigentlich Videojournalistin.<br />

Wir kommen Anfang Oktober 2018 an<br />

einem Stehtisch auf einem Event ins<br />

Gespräch. „Sexismus im Journalismus“,<br />

sagte sie, „gibt es selbstverständlich,<br />

gesprochen wird darüber aber nicht“.<br />

Warum Journalistinnen nicht sprechen,<br />

weshalb Sexismus speziell im Journalismus<br />

ein Thema ist und wie lange es<br />

dauert, dass Sexismus vergessen wird.<br />

Das männliche Gesamtsystem<br />

Journalismus ist in Österreich ein durchwegs<br />

männlich dominiertes Berufsfeld.<br />

Journalisten sind mengenmäßig in der<br />

Überzahl. Journalisten verdienen rund<br />

500 Euro mehr als Journalistinnen.<br />

Männer besetzen die höchsten Positionen<br />

in Österreichs Medienunternehmen.<br />

Das geht aus dem 2007 vom<br />

Medienhaus Wien publizierten „Journalisten-Report“<br />

hervor. Geht man in<br />

der Zeitleiste weiter zurück, klaffen Geschlechterverhältnis,<br />

Einkommen und<br />

die Frauenquote in Führungspositionen<br />

noch weiter auseinander. Dieses Ungleichgewicht<br />

bezeichnete Iris Radisch<br />

in der „ZEIT“ (Nr. 44, 2017) als „weitverzweigtes<br />

und historisch gewachsenes,<br />

männliches Gesamtsystem“. Man hätte<br />

gewusst, dass Rudolf Walter Leonhardt,<br />

1973-1986 stellvertretender<br />

Chefredakteur der „ZEIT“, übergriffig<br />

und anzüglich gegenüber Journalistinnen<br />

gewesen sei. Gesagt hätte man<br />

nichts. Im Nachruf des 2003 Verstorbenen<br />

steht, „er liebte schöne Frauen<br />

und elegante Autos“. Das männliche<br />

Gesamtsystem gewann.<br />

Shitty Media Men<br />

Es war im Oktober 2017, als ein Google<br />

Spreadsheet unter amerikanischen<br />

Journalistinnen die Runde machte. Im<br />

Zuge der #MeToo-Bewegung entstanden,<br />

listet das Dokument Journalisten,<br />

die durch sexistisches Verhalten<br />

auffielen. Journalistinnen ergänzten<br />

anonym Namen und leiteten sie an<br />

andere Journalistinnen weiter. Namen<br />

von 72 Journalisten, tätig bei „New<br />

York Times“, „Wall Street Journal“ oder<br />

„BuzzFeed“, stehen aktuell auf der Liste<br />

der „Shitty Media Men“. Ihnen werden<br />

unter anderem Vergewaltigung, sexuelle<br />

Übergriffe und sexuelle Belästigung<br />

vorgeworfen. Zeitgleich wurde in<br />

Österreich Reinhard Göweil aufgrund<br />

eines „anlassbedingten Vertrauensverlustes“<br />

fristlos von seiner Position<br />

als Chefredakteur der „Wiener Zeitung“<br />

abberufen. Zunächst wurden aufgrund<br />

des Regierungswechsels politische<br />

Hintergründe vermutet, schlussendlich<br />

wurde publik, dass Göweil eine freie<br />

Journalistin der „Wiener Zeitung“ belästigt<br />

haben soll. Es folgte ein Aufschrei<br />

über Sexismus in Österreichs Medienunternehmen,<br />

der aber schnell wieder<br />

verstummte.<br />

Auf die Weiblichkeit reduziert<br />

Melanie* ist Anfang 20, als sie ihr erstes<br />

Praktikum in einem Medienunternehmen<br />

absolviert. Beim Mittagessen<br />

in der Kantine wird sie vom Marketingleiter<br />

gebeten, abends in seinem Büro<br />

zu erscheinen. Trotz mulmigen Gefühls<br />

gibt sie dem Wunsch nach. Er bietet ihr<br />

einen Sessel und weißen Spritzer an.<br />

Fragt, wonach sie strebe. Was ihre Ziele<br />

seien. Was sie dafür tun würde, in diesem<br />

Unternehmen zu bleiben. Ob er bei<br />

© Copyright: unsplash/venveo<br />

Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus<br />

11


der Erreichung ihrer Ziele helfen könne.<br />

Es ist eine von vielen Situationen, in<br />

denen Melanie Sexismus am Arbeitsplatz<br />

erlebte. „Ich muss lange nachdenken,<br />

damit mir solche Momente wieder<br />

einfallen. In dem Moment, in dem ich<br />

mit Sexismus konfrontiert bin ärgere<br />

ich mich total darüber. Aber ständig<br />

mit mir herumtragen will ich das auch<br />

nicht“, sagt die Fernsehjournalistin. Sie<br />

vermutet, dass wenige Journalistinnen<br />

über ihre Erfahrungen mit Sexismus<br />

reden möchten, da es schlichtweg entwürdigend<br />

sei. „Man bemüht sich so<br />

sehr, man arbeitet wie verrückt, produziert<br />

dutzende Beträge… und dann gibt<br />

es Männer, die so mit dir reden“, erklärt<br />

sie. Meistens würde sie als Journalistin<br />

auf ihr Aussehen – ihre Weiblichkeit –<br />

reduziert werden. Ein ehemaliger Vorgesetzter<br />

von ihr hätte ihr vor kurzem<br />

gesagt, dass er und seine Freunde jetzt<br />

im Fitnessstudio gerne die von ihr moderierten<br />

Nachrichten ansehen. „Weil<br />

ich so geil, schön oder was auch immer<br />

bin. Als ob es keine Rolle spielen würde,<br />

was ich von mir gebe“, so Melanie. Die<br />

massive Reduktion aufs Aussehen hätte<br />

sie aber auch durch Kollegen erlebt.<br />

Statt einem männlichen Kollegen, der<br />

wie sie verkabelt war, wurde ihr vom<br />

Tonmann das Kabel abgenommen. Sie<br />

fragte, warum man ihr das Kabel abnehmen<br />

würde, wenn es doch bei ihrem<br />

Kollegen schneller ginge. „Mir ist schon<br />

klar, warum er lieber an dir herumfummelt“,<br />

antwortete der Kameramann und<br />

grinste.<br />

„Ich frage mich auch immer: Was erwartet<br />

man(n) sich von solchen Äußerungen?<br />

Dass ich mich bedanke? Dass ich<br />

ihn auf einen Kaffee einlade?“, so Melanie.<br />

Es könne nur ein „In-die-Schranken-Weisen“<br />

sein; eine Demonstration<br />

von Macht.<br />

Gefälle im Journalismus<br />

Von Machtdemonstration spricht auch<br />

Sandra Nigischer. Sie arbeitet als Chefin<br />

vom Dienst bei „Der Standard“ und<br />

als Obfrau von „Sorority“, einem feministischen,<br />

branchenübergreifenden<br />

Frauennetzwerk, das 2018 ein<br />

Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten<br />

publizierte. Gerade in<br />

Branchen wie dem Journalismus, wo<br />

es Gefälle zwischen Anstellungsverhältnissen,<br />

Geschlechtern sowie Angebot<br />

und Nachfrage gibt, käme es öfter<br />

zu Machtdemonstration bzw. -missbrauch.<br />

„Es gibt wenige Jobs, viele die<br />

sie wollen und wenige, die sie zu vergeben<br />

haben“, so Nigischer. Durch die<br />

vorherrschenden prekären Arbeitsverhältnisse<br />

im Journalismus würde<br />

Machtmissbrauch eher auf nährenden<br />

Boden fallen. Parallelen gäbe es auch<br />

zur Schauspielbranche: „Es ist kein Zufall,<br />

dass #MeToo hier so aufgeschlagen<br />

ist. Auch dort entscheiden wenige über<br />

Karrieren von vielen.“ Sie selbst habe<br />

sexistisches Verhalten – oft getarnt als<br />

Altherrenschmähs – sowohl durch Vorgesetzte<br />

als auch Kollegen erfahren. Bei<br />

Gleichgestellten wäre man aber eher in<br />

der Lage, als Frau darauf zu reagieren.<br />

Außerdem betont sie: „Für Journalistinnen,<br />

die dem Wohlwollen anderer eher<br />

ausgeliefert sind – also als Freie oder<br />

Praktikantinnen – ist es schwieriger, in<br />

solchen Situationen zu kontern.“ Daher<br />

sieht Nigischer in Bezug auf Sexismus<br />

jene Personen in der Verantwortung,<br />

die nicht prekär arbeiten und Vorfälle<br />

beobachten. Es müsse nicht unbedingt<br />

der Gang zur/zum Vorgesetzen sein, oft<br />

könne es auch helfen, Betroffene anzusprechen<br />

und Hilfe anzubieten. Denn<br />

nichts sei für Betroffene schlimmer, als<br />

mit Sexismus alleine gelassen zu werden.<br />

© Copyright: unsplash/Samuel Zeller<br />

12<br />

Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus


Nicole Schöndorfer<br />

Copyright: privat<br />

Sandra Nigischer<br />

Copyright: Pamela Rußmann<br />

„Du gehörst mal wieder richtig durchgenommen“<br />

Café Westend im 7. Wiener Gemeindebezirk.<br />

Nicole Schöndorfer erzählt bei einem<br />

Cappuccino darüber, wie sie Sexismus tagtäglich<br />

erlebt. Als freie Journalistin seien<br />

es weniger Kollegen oder Vorgesetzte, mit<br />

denen sie zu kämpfen habe, sondern LeserInnen.<br />

„Meist ist es sowas in die Richtung:<br />

‚Schön ist sie eh, aber können tut<br />

sie nichts’“, so Schöndorfer. „Oder“, wirft<br />

sie ein, „sie sagen, ich gehöre mal wieder<br />

richtig durchgenommen.“ Dennoch kenne<br />

sie „genug derartige Geschichten“ aus<br />

Redaktionen, die „in Richtung der ,Wiener<br />

Zeitung‘ gehen“. Das Problem sei,<br />

dass Journalistinnen bei Veröffentlichung<br />

von Vorfällen „Victim Blaming“, also der<br />

Täter-Opfer-Umkehr, ausgesetzt seien.<br />

Außerdem würde frau in einem kleinen<br />

Medienland wie Österreich schnell einen<br />

gewissen Stempel bekommen. Ein Fehler<br />

sei es zudem, dass Frauen mit dem Gedanken<br />

sozialisiert werden, sexistische<br />

Äußerungen als Kompliment aufzufassen.<br />

„Uns wird ja vermittelt: Freu dich, wenn<br />

dein Chef dich attraktiv findet! Nutz es für<br />

dich“, so Schöndorfer. Nichtsdestotrotz sei<br />

es vorrangig das System, welches Sexismus<br />

im Journalismus begünstige: „Männer<br />

sind im Journalismus irrsinnig gut vernetzt.<br />

Sie haben viel mehr Unterstützung, als sie<br />

Frauen je haben werden.“<br />

Ein Neubeginn<br />

Sexismus ist der blinde Fleck des Journalismus.<br />

Und vermutlich wird er es auch<br />

noch länger sein. Das zeigt auch die letzte<br />

Entwicklung im Fall der „Wiener Zeitung“:<br />

Reinhard Göweil ist mittlerweile Vorsitzender<br />

des Redaktionsbeirats von „Top Leader“.<br />

Das jährlich erscheinende „Premium<br />

Print-Produkt berichtet über Menschen,<br />

die es geschafft haben“ und „betreibt keinen<br />

Aufdeckerjournalismus“. Zwischen Göweils<br />

Entlassung und seiner Einberufung<br />

als Vorsitzender eines Redaktionsbeirats<br />

lagen genau 270 Tage. 270 Tage dauerte<br />

es, dass ein Mann, der durch Sexismus<br />

auffiel, erneut eine Führungsposition bekommt.<br />

Was es braucht, ist ein Umdenken. Es<br />

liegt an Führungskräften, eine Umgebung<br />

zu schaffen, in der Sexismus keinen Platz<br />

mehr findet. Es liegt an Tätern, Verantwortung<br />

für ihr Fehlverhalten zu tragen.<br />

Es liegt allen JournalistInnen, nicht wegzusehen.<br />

Damit Sexismus nicht länger der<br />

blinde Fleck einer Branche ist.<br />

von Anna Putz<br />

*Name von der Redaktion geändert<br />

© Copyright: adobe stock/Gandini<br />

Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus<br />

13


Mühsam ernährt sich das<br />

Gender-Eichhörnchen,<br />

aber es ernährt sich!<br />

Ein Verteidigungsminister schafft das Binnen-I beim Bundesheer ab, das es<br />

nie gegeben hat. Die Debatte um die „Töchter“ in der Bundeshymne ist auch<br />

nach Jahren nicht beendet, und in Deutschland werden heiße Diskussionen<br />

um „Kundinnen“ auf Sparkassen-Formularen geführt: Zeit für <strong>SUMO</strong>, sich<br />

dem Thema geschlechtergerechte Sprache und Journalismus zu widmen.<br />

Wien. Ein ungewöhnlich warmer November-Nachmittag.<br />

Diffuses hellgoldenes<br />

Sonnenlicht dringt an manchen<br />

Stellen durch eine immer dichter werdende<br />

Wolkendecke. Ein hoher Torbogen<br />

in einer dicken Backsteinmauer<br />

markiert den Eingang zu einem ungewöhnlichen<br />

Ort:dem St. Marxer Friedhof.<br />

Im Frühling blüht hier Flieder, im<br />

Moment dominieren erdige Farbtöne.<br />

Welke Blätter werden vom Wind über<br />

den gekiesten Weg getrieben. Folgt<br />

man diesem Weg, kommt man vorbei<br />

an mehr oder weniger zerfallenen<br />

Grabstätten aus grauem Sandstein. Ein<br />

bisschen morbider Charme, aber wo<br />

passt dasbesseralshier. Gleich auf der<br />

rechten Seite jetzt, ein wenig versteckt,<br />

der Grund für unseren gemeinsamen<br />

Ausflug: Ein junger Mann liegt hier begraben,<br />

1762 verstorben. Der Schriftzug<br />

ist ein wenig verwittert, aber noch<br />

lesbar. „Von den Eltern“, ein Name und<br />

darunter „Studierender“. „Studierender“.<br />

Es ist nicht für möglichzuhalten. Dieses<br />

Unwort, das so vielen Menschen<br />

heute Kummer bereitet und für schlaflose<br />

Nächte sorgt, ist wohl scheinbar<br />

doch keine Erfindung des viel zitierten<br />

„Gender-Wahns“, sondern hat schon<br />

ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel.<br />

Ein in Stein gemeißelter Beweis dafür,<br />

dass Worte und Sprache mit der Zeit<br />

kommen und gehen. Dass Sprache und<br />

sprachliche Veränderung immer ein Abbild<br />

der Gesellschaft und somit gesellschaftlicher<br />

Veränderung sind. Bevor<br />

manche unter Ihnen nun ob der vermeintlichen<br />

Inflation des Themas „Gendern“<br />

schnell weiterblättern – nein,<br />

dieser Beitrag beinhaltet per se kein<br />

Plädoyer für Sternchen, Binnen-I, Unterstrich,<br />

Doppelnennung oder jegliche<br />

weitere Form der geschlechtergerechten<br />

Sprache. <strong>SUMO</strong> traf sich mit Maria<br />

Mesner, Leiterin des Referats Genderforschung<br />

und Studienprogrammleiterin<br />

für Gender Studies an der Universität<br />

Wien, und Jürgen Spitzmüller, Professor<br />

für Angewandte Sprachwissenschaft<br />

am Institut für Sprachwissenschaft der<br />

Universität Wien, um über Bedeutung,<br />

Akzeptanz und Entwicklung geschlechtergerechter<br />

Sprache zu diskutieren.<br />

Eine interessante Erkenntnis aus den<br />

Gesprächen gleich vorab: Die Diskussion<br />

ob Sternchen oder Unterstrich hält<br />

auf!<br />

Hallo, ich bin’s, die geschlechtergerechte<br />

Sprache!<br />

Um über die Akzeptanz und Bedeutung<br />

von „Gendern“ schreiben zu können,<br />

ist es zunächst wichtig zu verstehen,<br />

was geschlechtergerechte Sprache bedeutet.<br />

In der Fachliteratur wird „Gendering“<br />

oder „Gendern“ als Erstellung<br />

eines Textes oder die Umformulierung<br />

© Copyright: pixabay_geralt.<br />

14<br />

Mühsam ernährt sich das Gender-Eichhörnchen, aber es ernährt sich!


eines Textes nach den Richtlinien geschlechtergerechten<br />

Formulierens verstanden.<br />

Um einen Sprachgebrauch<br />

herzustellen, der die Gleichstellung<br />

der Geschlechter zum Ausdruck bringt<br />

wird durch „Gendern“ das bestehende<br />

Sprachsystem in Orthografie, Vokabular<br />

oder auch Grammatik angepasst.<br />

Generell kann zwischen Sichtbarmachung<br />

(Aufführung aller Geschlechter)<br />

und Neutralisierung (Vermeidung jeglichen<br />

Geschlechtsbezugs) differenziert<br />

werden. Professor Spitzmüller<br />

beschäftigt sich unter anderem mit<br />

Sprache als System, Sprachgeschichte<br />

bzw. -wandel und damit, welche Rolle<br />

Sprache in einer und für eine Gesellschaft<br />

hat. Sprachgebrauch habe Konsequenzen,<br />

weil Sprache bewertet und<br />

Einschätzungen trifft, denn die Art und<br />

Weise wie wir Dinge bezeichnen sei<br />

nicht zufällig. Betreffend „Gendern“<br />

gebe es jedoch auch innerhalb der<br />

Sprachwissenschaften sehr viele unterschiedliche<br />

Meinungen, so Spitzmüller.<br />

Eine sei die konservativ klassische<br />

Variante der Trennung des Geschlechts,<br />

da die generische Genus-Zuordnung<br />

an sich nichts mit Sprache zu tun habe.<br />

Auch Beid-Nennungen oder eine Abwechslung<br />

der Formen würden in den<br />

Sprachwissenschaften vertreten. Und<br />

schließlich gebe es da noch die orthografischen<br />

und grafischen Varianten<br />

des Binnen-I, Sternchens oder Unterstrichs.<br />

Spitzmüller selbst verwendet<br />

das Sternchen. Universitätsdozentin<br />

Maria Mesner verfasste bereits als<br />

Studentin vor 40 Jahren eine wissenschaftliche<br />

Arbeit zum Thema „Genus<br />

und Sexus“. Seitdem sei eine Vielzahl<br />

verschiedener Formen an ihr vorbei gegangen,<br />

auch werde es noch viele neue<br />

Formen geben. Doch im Grunde ist laut<br />

Mesner das Entscheidende, durch geschlechtergerechte<br />

Sprache all jene zu<br />

repräsentieren, die tatsächlich gemeint<br />

sind. Das bedeute jedoch nicht in jedem<br />

Zusammenhang alle einzuschließen,<br />

sondern eine Sensibilität und ein Gefühl<br />

für Sprache herzustellen – es mache<br />

keinen Sinn, Personen zu inkludieren,<br />

die schlichtweg nicht erfasst sein sollen.<br />

Die Form um genau das zu erreichen<br />

sei zweitrangig, für Mesner geht<br />

es um „realitätsgerechte“ Sprache.<br />

It wasn’t acceptable in the 80s, but is<br />

it acceptable at the time?<br />

Schauplatzwechsel. Vom St. Marxer<br />

Friedhof in Wien zum Uni-Teich der Johannes<br />

Kepler Universität Linz. Es regnet<br />

leicht. Am Betonrand des Teiches<br />

drängen sich die Uni-Enten. Es ist Vormittag.<br />

Aus dem schwimmenden Lokal<br />

„Teichwerk“ weht einem der Duft selbst<br />

gemachter Waffeln entgegen. Aus dem<br />

Hauptgebäude strömen Studierende.<br />

Mühsam ernährt sich das Gender-Eichhörnchen, aber es ernährt sich!<br />

15


Jürgen Spitzmüller<br />

Copyright: Barbara Mair<br />

Maria Mesner<br />

Copyright: Katharina Arbeithuber<br />

eine Pflichtlehrveranstaltung. Eine Tatsache,<br />

die bei zwei Studentinnen zu<br />

einer heftigen Diskussion geführt hat:<br />

„Gendern ist nur nervig.“ „Es hat einfach<br />

null Sinn und bringt überhaupt<br />

nichts.“ Ein paar Gesprächsfetzen, die<br />

in Erinnerung geblieben sind. Die Meinung<br />

der Studentinnen entspricht dem<br />

Tenor, der oft auch in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung geschlechtergerechter<br />

Sprache herrscht. Ein weiteres Argument,<br />

das in dieser Debatte vielfach<br />

zum Tragen kommt: „Gibt es denn keine<br />

größeren Probleme?“ Warum nun<br />

scheint „Gendern“ ein so zentrales Anliegen<br />

von BefürworterInnen zu sein,<br />

das dabei so heftige Reaktionen auf<br />

der Gegenseite auslöst? Und wie ist es<br />

um die Akzeptanz der geschlechtergerechten<br />

Sprache bestellt? Univ.-Doz.<br />

Mesner geht davon aus, dass die Frage<br />

der Identitäts- und Reputationspolitik<br />

durch „Gendern“ deswegen so relevant<br />

sei, weil es zu kompliziert sei, andere<br />

Dinge zu ändern. Das Ohnmachtsgefühl<br />

entscheidende Fragen der Gleichstellung<br />

nicht lösen zu können, so die<br />

Wissenschafterin, könne zu dieser Fokussierung<br />

auf Repräsentationsfragen<br />

geführt haben und bilde eine politische<br />

Hilflosigkeit ab. Das Argument „Gibt es<br />

nichts wichtigeres?“ hält sie jedoch für<br />

eine nicht sehr erfinderische Strategie,<br />

um dem Gegenüber die Berechtigung<br />

abzusprechen. Die in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung suggerierte geringe<br />

Akzeptanz von geschlechtergerechter<br />

Sprache führt Mesner auf ein Konglomerat<br />

von Polarisierung in der Gesellschaft,<br />

Veränderungsbedrohung und<br />

Verweigerung zurück. Die Verwendung<br />

geschlechtergerechter Sprache sei zu<br />

einem Symbol für Veränderung in einer<br />

Gesellschaft geworden, und Veränderung<br />

löse bei einem Teil der Menschen<br />

immer Angst und Aggression aus. Dabei<br />

konnte die Bedeutung und Auswirkung<br />

geschlechtergerechter Sprache<br />

bereits mehrfach in empirischen Studien<br />

nachgewiesen werden. Psycholinguistische<br />

Experimente, für Jürgen<br />

Spitzmüller stärkstes Argument um die<br />

Akzeptanz geschlechtergerechte Sprache<br />

zu erhöhen, konnten nachweisen,<br />

dass bei einer Verwendung von rein<br />

männlichen Formen eben nicht beide<br />

Geschlechter automatisch mitgedacht<br />

werden. So kam Elke Heise (Universität<br />

Göttingen) in einer anno 2000 durchgeführten<br />

Studie zu dem Ergebnis,<br />

wonach eine Gleichverteilung männlicher<br />

und weiblicher Repräsentationen<br />

ausschließlich bei der Verwendung der<br />

Schrägstrich-Schreibweise auftritt, wohingegen<br />

das generische Maskulinum<br />

zu einem höheren Anteil repräsentierter<br />

Männer, die Binnen-I-Form zu<br />

einem höheren Anteil repräsentierter<br />

Frauen führt. In einer 2015 veröffentlichten<br />

Studie konnten Dries Vervecken<br />

und Bettina Hannover (Freie Universität<br />

Berlin) nachweisen, dass sich bei einer<br />

Verwendung der weiblichen Bezeichnungen<br />

für typische Männerberufe<br />

mehr Mädchen vorstellen können diesen<br />

Beruf zu ergreifen. Umgekehrt ist<br />

das auch der Fall für Burschen bei einer<br />

Verwendung der männlichen Form für<br />

typische Frauenberufe. Die Studien zeigen<br />

somit, dass Sprache eine hohe Bedeutung<br />

hat und wir nicht neutral denken.<br />

Und hier kommt der Journalismus<br />

ins Spiel.<br />

Nun doch ein kleiner Appell<br />

Sprache ist das Werkzeug des Journalismus<br />

schlechthin. Wenn es also darum<br />

geht, ein Bewusstsein und Gewohnheit<br />

herzustellen, können Medien einen<br />

entscheidenden Beitrag zur Akzeptanz<br />

von geschlechtergerechter – oder wie<br />

Mesner es ausdrückt – „realitätsgerechter“<br />

Srpache leisten. Die Regeln von<br />

Sprache sind Konvention. Per Definition<br />

kann Sprache also nicht falsch oder<br />

richtig sein. Die Konventionen ändern<br />

sich dann, wenn es genug Teilnehmende<br />

einer Sprachgemeinschaft gibt, die<br />

Veränderung dadurch weniger auffällig,<br />

irgendwann üblich und somit nicht<br />

mehr als störend empfunden wird. Die<br />

gesellschaftlichen Funktionen die Medien<br />

und Journalismus erfüllen, sollten<br />

daher auch der geschlechtergerechten<br />

Sprache zu Gute kommen. Denn Journalismus<br />

definiert, was wir jeden Tag<br />

lesen, hören und wahrnehmen. Trotzdem<br />

wird weder in österreichischen<br />

noch deutschen Medien durchgängig<br />

„gegendert“. Argumentiert wird das<br />

oftmals mit der Ästhetik der Sprache.<br />

Diese wurde auch in der Entscheidung<br />

des deutschen Rechtschreibrates angeführt.<br />

Im letzten Sommer entschied<br />

sich der deutsche Rechtschreibrat gegen<br />

die Aufnahme des Sternchens und<br />

des Binnen-I in den Duden. Der Rat sah<br />

„die Schreibentwicklung als nicht so<br />

weitgediehen an, dass das Regelwerk<br />

der amtlichen deutschen Rechtschreibung<br />

geändert werden sollte.“ Maria<br />

Mesner kommentiert diese Entscheidungsbegründung<br />

mit einem Lachen:<br />

„Ja, die Sprache wird verschandelt und<br />

das Abendland geht unter.“ Für Jürgen<br />

Spitzmüller ist es der Rechtschreibrat,<br />

der vielleicht noch nicht bereit ist. Auch<br />

er kann dem Argument der fehlenden<br />

Ästhetik geschlechtergerechter Sprache<br />

nichts abgewinnen. Denn Ästhetik<br />

sei Geschmack und Bewertung. Durch<br />

Sozialisierung empfinden wir gewisse<br />

Sprachformen für richtig und angemessen<br />

und damit schön. Ästhetische Sprache<br />

existiere daher nur als gesellschaftliches<br />

Konstrukt. Spitzmüller zieht hier<br />

einen Vergleich zur Kunst. Gerade weil<br />

es stört und eine Irritation ist, werden<br />

manche Dinge von uns in der Kunst als<br />

schön wahrgenommen. Warum sollte<br />

also nicht auch der irritierende Unterstrich<br />

oder das Sternchen schön sein?<br />

Es gibt natürlich auch positive Entwicklungen<br />

betreffend geschlechtergerechte<br />

Sprache und Journalismus. War es<br />

vor wenigen Jahren noch undenkbar,<br />

ist heute beispielsweise im Radio die<br />

Ansprache des Publikums über beide<br />

Geschlechtergang und gäbe. Das deutsche<br />

Onlinemagazin „ze.tt.de“, ein Angebot<br />

von „Zeit-Online“, gendert als<br />

erstes kommerzielles Online-Magazin<br />

durchgängig nach einem eigens entwickelten<br />

Styleguide. „Mühsam ernährt<br />

sich das Eichhörnchen, aber es ernährt<br />

sich“, so Mesner. Also liebe Journalistinnen,<br />

Journalisten und Medienschaffende:<br />

Ja, es gibt keinen einfachen einzig<br />

richtigen Fahrplan für das „Gendern“. Ja,<br />

„Gendern“ kann mitunter mühsam sein<br />

und Widerstände hervorrufen. Aber:<br />

„Gendern“ heißt sich zu einer gesellschaftlichen<br />

Veränderung zu bekennen<br />

und damit auch zu dieser Veränderung<br />

beizutragen. Und ist es nicht genau das,<br />

was Journalismus sich zum Ziel setzt?<br />

von Katharina Arbeithuber<br />

16<br />

Mühsam ernährt sich das Gender-Eichhörnchen, aber es ernährt sich!


Gender Diversity<br />

im Filmbusiness<br />

<strong>SUMO</strong> sprach mit Lena Lisa Vogelmann, die mit Eva Flicker Autorin des<br />

„Film Gender Report“ ist, und Iris Zappe-Heller, stv. Direktorin des österreichischen<br />

Filminstituts, über die Geschlechterverhältnisse in der Branche.<br />

Ein Novum: Durch den „Film Gender Report“<br />

wurde zum ersten Mal die österreichische<br />

Filmlandschaft umfassend<br />

auf Geschlechterunterschiede hin analysiert.<br />

Dabei standen unter anderem<br />

Arbeitsplätze und Bezahlung von 2.590<br />

Personen bei eingereichten Kinofilmprojekten<br />

im Zeitraum 2012 bis 2016<br />

im Fokus.<br />

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen<br />

Ähnlichkeiten mit der Studie „Film<br />

und Gender“ der deutschen Filmförderungsanstalt<br />

2017. Bereiche wie<br />

Casting oder Kostümbild sind hauptsächlich<br />

von Frauen besetzt, während<br />

bei den Produktionsstellen Licht und<br />

Ton der Großteil der Arbeitsplätze den<br />

Männern vorbehalten sind. Auch in den<br />

Bereichen Regie und Produktion dominiert<br />

das männliche Geschlecht. „Meine<br />

Erfahrungen zeigen, dass in der Regie<br />

notwendige Eigenschaften wie Dominanz<br />

oder Führungsqualität eher Männern<br />

zugeschrieben werden“, sagt Lena<br />

Lisa Vogelmann, eine der beiden Autorinnen<br />

des „Film Gender Report“. Der<br />

Bereich Casting wird von ihr als ein sozialer<br />

Beruf beschrieben, bei dem man<br />

viel mit Menschen in Kontakt komme<br />

und sehr kommunikativ sein müsse.<br />

Solche Eigenschaften würden andersrum<br />

mehr den Frauen zugeordnet. Für<br />

Iris Zappe-Heller ist die Vorstellung von<br />

typisch weiblichen und typisch männlichen<br />

Berufen schon in der Kindheit verankert:<br />

„Diese Verteilung beginnt schon<br />

in der Kindheit, wo Mädchen beigebracht<br />

wird, mit Puppen zu spielen und<br />

Buben mit Autos.“ Einen zweiten Grund<br />

für diese geschlechterungleiche Verteilung<br />

bei den Arbeitsplätzen sieht sie<br />

aber auch darin, dass „typisch männliche“<br />

Berufe hochwertiger bezahlt sind<br />

und es für eine Frau schwer ist, darin<br />

Fuß zu fassen. Ist die Regie weiblich<br />

besetzt, so steige der Anteil der Frauen<br />

in den Stabstellen – zurückzuführen<br />

sei dies auf den Netzwerk-Effekt. „Das<br />

Filmschaffen ist viel von Netzwerken<br />

geprägt, die männlich dominiert sind“,<br />

meint Vogelmann, „gerade die österreichische<br />

Filmbranche ist nicht groß, da<br />

ist es schwierig, als Frau Fuß zu fassen.“<br />

Besonders Männer in Entscheidungspositionen<br />

neigen dazu, mit ihresgleichen<br />

zusammenzuarbeiten, während<br />

Frauen dies geschlechterparitätisch<br />

handhaben.<br />

Auch bei den Löhnen fänden sich Differenzen.<br />

In Positionen, die nicht nach<br />

Kollektivvertrag bezahlt werden wachse<br />

die Kluft. „Die Bereiche Regie und<br />

Produktion sind oft dem Filmbudget<br />

entsprechend bezahlt. Wenn Produktionen,<br />

bei denen vorwiegend Männer<br />

beteiligt sind mehr Budget erlangen,<br />

dann ist auch deren Gehalt höher, das<br />

ist Fakt“, resümiert Vogelmann.<br />

Schweden als Vorbild<br />

Ein international bewährtes Messinstrument,<br />

um die Präsenz von Frauen<br />

in Filmen zu beschreiben ist der<br />

„Bechdel-Wallace-Test“. Um die Geschlechterkonstellation<br />

darstellen zu<br />

können, müssen drei Kriterien erfüllt<br />

sein: Es müssen mindestens zwei Frauen<br />

vorkommen, sie müssen miteinan-<br />

© Copyright: pexels_tong.<br />

Gender Diversity im Filmbusiness<br />

17


der sprechen und das Thema darf sich<br />

nicht um Männer handeln. Bei einer<br />

weiteren Methode, dem „Mako-Mori-Test“,<br />

wird nicht die Präsenz der Frau<br />

beschrieben, sondern ihre Darstellung<br />

und ihr Handeln. In der Filmhandlung<br />

muss es zumindest eine Frau geben, die<br />

einerseits ihren eigenen Handlungsstrang<br />

hat und andererseits dabei nicht<br />

die Handlung des Mannes unterstützt.<br />

Durch die Verleihung von Preisen, wenn<br />

ein Film den „Bechdel-Wallace-Test“<br />

besteht, wird Schweden zum Paradebeispiel.<br />

Seit 20 Jahren engagiert sich<br />

das Land für die Gleichstellung im Filmgeschäft<br />

und mit solchen Initiativen<br />

wirkt es Schieflagen im Filmschaffen<br />

entgegen. Obwohl Österreich sich erst<br />

seit 2013 aktiv mit Genderangelegenheiten<br />

in der Filmbranche beschäftigt,<br />

wird es auf europäischer Ebene nach<br />

Schweden als zweiterfolgreichstes<br />

Land aufgrund seiner Maßnahmen gesehen.<br />

„Ich arbeite auf europäischer<br />

Ebene mit anderen Länder bezüglich<br />

dieser Angelegenheit zusammen und<br />

obwohl Schweden als klares Vorbild für<br />

uns gilt, hat Österreich seine eigene Position<br />

behauptet“, erläutert Zappe-Heller,<br />

Zuständige für Gender- und Diversity-Angelegenheiten<br />

im Filminstitut.<br />

Was die Diversität Österreichs betrifft,<br />

so hätte man noch Handlungsspielraum:<br />

„Bei diesem Punkt stehen wir<br />

noch am Anfang. Ein Vorbild hier wäre<br />

Großbritannien, aber auch Länder wie<br />

Kanada setzen sich hierbei aktiv ein.“<br />

Gender Incentive als ausgleichende<br />

Kraft<br />

Ein Werkzeug um Geschlechterungleichheiten<br />

zu minimieren, steht mit<br />

dem Gender Incentive Modell des österreichischen<br />

Filminstituts zur Verfügung.<br />

Werden bei einem Filmprojekt gewisse<br />

Stabstellen (Produktion, Regie und weitere)<br />

weiblich besetzt, so erhält die Produktionsfirma<br />

zusätzliche Fördermittel<br />

in Höhe von 30.000 Euro für ein darauffolgendes<br />

Projekt. Dieses muss wiederum<br />

zu einem gewissen Anteil weiblich<br />

besetzt sein. Im März 2017 ist dieses<br />

Modell in Kraft getreten und man könne<br />

auch schon Erfolge verzeichnen: „Der<br />

Beobachtungszeitraum beträgt zwar<br />

nur knapp zwei Jahre, jedoch kann man<br />

jetzt schon sagen, dass die Tendenz klar<br />

steigend ist.“ Haben im Jahr 2017 vier<br />

Projekte die Zusage des Gender Incentive<br />

Modells bekommen, so waren es<br />

im Jahr 2018 bereits elf. „Produzenten,<br />

die nie an genderparitätische Besetzung<br />

der Stabsstellen gedacht haben,<br />

sind plötzlich für diese Positionen auf<br />

der Suche nach Frauen“, resümiert die<br />

stellvertretende Direktorin des österreichischen<br />

Filminstituts. Jedoch hat<br />

das Institut auch andere Maßnahmen in<br />

die Wege geleitet, um die Geschlechtervielfalt<br />

in der Filmbranche zu steigern.<br />

„Ein weiteres Projekt ist der Drehbuchwettbewerb,<br />

der zum Ziel hat, Frauenfiguren<br />

jenseits von Klischees und Stereotypen<br />

auf die Leinwand zu bringen“,<br />

meint Zappe-Heller.<br />

Zeit für Veränderung<br />

Geht es um die Zukunft, ist sich Vogelmann<br />

sicher, dass es eine neue Denkweise<br />

braucht. „Es wäre wichtig nicht<br />

nur zu fragen ‚was können wir tun, um<br />

Frauen zu stärken’, sondern wir sollten<br />

erfolgreichen Männern klarmachen,<br />

dass sie auch mit Frauen arbeiten können.“<br />

Dies soll das Gender Incentive Modell<br />

bewirken. „Es bedarf einer Änderung<br />

in unserer Gesellschaft – nicht nur<br />

in der Filmbranche. Film ist ein Medium,<br />

das gesellschaftliche Veränderungen<br />

widerspiegelt und kann sie, je nachdem<br />

wie es eingesetzt wird, behindern oder<br />

beschleunigen“, so Zappe-Heller. Es<br />

geht nicht darum, in Zukunft nur mehr<br />

Filme von Regisseurinnen auf den Leinwänden<br />

zu sehen, sondern unsere Gesellschaft<br />

in all ihrer Diversität.<br />

Iris Zappe-Heller<br />

Copyright: Michael Sazel<br />

von Stefanie Brandstetter<br />

Lena Lisa Vogelmann und Eva Flicker (von links)<br />

Copyright: Eva Flicker<br />

18<br />

Gender Thema Diversity im Filmbusiness


This is a man‘s world?<br />

Über Frauen im Gaming<br />

Hand aufs Herz: Wenn Sie die Begriffe Digital Games, Online-Shooter<br />

oder Core-Gaming lesen, ist die Person, die Sie sich dabei vorstellen<br />

männlich oder weiblich? <strong>SUMO</strong> sprach mit Medienwissenschaftlerin und<br />

Games-Expertin Sabine Hahn und Julia Krutzler, die sich im Zuge ihrer<br />

Magisterarbeit intensiv mit Gaming beschäftigt hat, um herauszufinden,<br />

warum an Digital Games immer noch der Ruf als „Boys Toys“ haftet.<br />

Ich möchte Sie an einer Erinnerung an<br />

ein Erlebnis vor einigen Jahren teilhaben<br />

lassen, das ich seitdem nicht mehr vergessen<br />

habe. Es war an einem Tag im<br />

Frühling, als mein Bruder einige wenige<br />

seiner Klassenkollegen erwartete, da<br />

er sie zu einer „Lan-Party“ eingeladen<br />

hatte. Schon in der Früh half ihm unser<br />

Vater, einen weiteren Schreibtisch sowie<br />

mehrere Stühle in sein Zimmer zu<br />

tragen. Am späten Vormittag klingelte<br />

es dann mehrmals an der Tür, bis alle<br />

der jungen Spieler angekommen waren.<br />

Alle vier bestätigten ein Vorurteil, welches<br />

der eine oder andere gegenüber<br />

sogenannten Gamern hütet: schmächtig,<br />

schüchtern im Auftreten, doch<br />

untereinander sehr sicher im Umgang,<br />

zwei von ihnen Brillenträger und alle<br />

männlich – das wohl stärkste Vorurteil.<br />

Bevor sie mit dem Spielen loslegen<br />

konnten, gingen sie mehrere Male zum<br />

Auto und zurück ins Haus, denn sie<br />

hatten nicht nur jeweils einen Laptop,<br />

sondern auch ihre PC’s – inklusive spezieller<br />

Gamingtastatur, Gamingmaus<br />

und Headset – mitgenommen. Die<br />

erste Stunde danach waren sie damit<br />

beschäftigt, die PC’s, die sie zu Hause<br />

sorgfältig zerlegt hatten, im Zimmer<br />

meines Bruders wiederaufzubauen<br />

(mehrere Stromverteiler wurden in der<br />

Vorbereitung schon zur Verfügung gestellt).<br />

Dann wurde die Tür meines Bruders<br />

geschlossen, mit dem ausdrücklichen<br />

Verbot an meine Schwester und<br />

mich, das Internet zu verwenden – das<br />

hätte sich nämlich negativ auf die Qualität<br />

der Online-Spiele ausgewirkt.<br />

Während draußen die Sonne schien,<br />

heizte sich auch das Zimmer meines<br />

Bruders auf, allerdings durch die Wärme,<br />

die von den Rechnern ausgestrahlt<br />

wurde. Dass sie im gleichen Raum saßen,<br />

blendeten sie während des Spielens<br />

vermutlich aus, aber dennoch ist<br />

die Gaming Community eine, die zusammenhält<br />

und gerne gemeinsam<br />

aufeinander und auf ihr Umfeld vergisst.<br />

Ich wage jedenfalls zu behaupten,<br />

dass sie alle an jenem Tag jegliches Zeit<br />

- und Raumgefühl verloren, denn als<br />

meine Mutter sie Stunden später zum<br />

Abendessen rief, wirkte es, als müssten<br />

sie erneut in unserem Haus ankommen.<br />

Vom Flow motiviert<br />

Genau dieser Zustand ist eines der Motive,<br />

die hinter Digital Gaming stehen,<br />

nämlich eines der wenigen Motive, die<br />

Frauen genauso wie Männer nennen.<br />

„Immersion, dass man in das Spiel und<br />

in einen Flow abtaucht“, erklärt Julia<br />

Krutzler im Interview. Der Flow, den sie<br />

dabei anspricht, ist ein Begriff, der so<br />

auch in der Wissenschaft genannt wird.<br />

Er meint „das Aufgehen im eigenen Tun,<br />

wenn man Raum und Zeit, die vergeht,<br />

nicht wahrnimmt.“ Das ermöglicht es<br />

den Spielern und Spielerinnen, ihrem<br />

eigenen Leben zu entkommen und zu-<br />

© Copyright: pixabay/StockSnap<br />

This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming Thema<br />

19


© Copyright: pixabay_T.W.<br />

mindest für einige Stunden in eine<br />

andere Welt abzutauchen.<br />

Auch das Genderswapping erlaubt<br />

es, der eigenen Lebenssituation<br />

für die Dauer des Spielens zu entfliehen.<br />

Genderswapping ist die bewusste<br />

Wahl des gegensätzlichen<br />

Geschlechts im Spiel – ein Motiv, das<br />

von Spielenden beider Geschlechter<br />

genannt wird. Es gestatte, die eigene<br />

Geschlechterrolle abzulegen und<br />

außerhalb von gesellschaftlichen<br />

Zwängen mit der eigenen Identität zu<br />

spielen, was man in der realen Welt<br />

nur schwierig ausprobieren könne, so<br />

Krutzler. „Es wird – vor allem in Rollenspielen<br />

– gerne praktiziert, dass<br />

Männer bewusst Frauen spielen, um<br />

zu sehen ‚Ok, wie reagieren andere<br />

auf mich als Frau‘ und auch umgekehrt.“<br />

Fragt man weiter, stößt man danach<br />

bei den Geschlechtern auf unterschiedliche<br />

Motive hinter der Beschäftigung,<br />

wobei hier in den folgenden<br />

Sätzen Tendenzen und keine<br />

Stereotype beschrieben werden.<br />

„Männer mögen Ranglisten, Männer<br />

mögen gegeneinander spielen,<br />

Männer mögen sich messen, den<br />

Wettkampf“, bringt es Hahn auf den<br />

Punkt. Für Frauen dagegen stünden<br />

tendenziell Kreativität und die Freude<br />

am Spiel im Vordergrund. „Frauen<br />

spielen gerne Sachen, wo sie aufbauen<br />

und entwickeln können, wo die<br />

Ästhetik eine andere Rolle spielt – wo<br />

es um das Schöne im Spiel geht.“ Um<br />

zu betonen, dass hier nur Tendenzen<br />

genannt werden können, fährt<br />

sie fort: „Es gibt genauso Frauen, die<br />

knallharte Actionshooter spielen und<br />

Männer, die ‚Sims‘ spielen.“<br />

Diese Motive wirken sich auch darauf<br />

aus, was gespielt wird und teilweise<br />

auch darauf, wie gespielt wird. „Frauen<br />

spielen eher kooperativ, Männer<br />

eher kompetitiv“, stellt Hahn fest und<br />

beruft sich dabei auch auf die Literatur.<br />

Sie selbst promovierte zum Thema<br />

„Gender und Gaming“.<br />

Ein Beispiel: Es ist Dienstagmorgen,<br />

kurz vor neun Uhr. Die Welt wirkt<br />

verschlafen, doch sie wacht langsam<br />

auf und mit ihr die Geräuschwelt,<br />

die langsam lauter wird. Die<br />

25-jährige Studentin Karina sitzt<br />

in der U-Bahn, eingepackt in ihren<br />

Mantel und Schal, von der Welt und<br />

den gestressten Gesichtern um sie<br />

herum durch ihre Kopfhörer abgegrenzt.<br />

Auf ihrem Smartphone spielt<br />

sie ein Mobile Game – es ist für sie<br />

eine Überbrückungsbeschäftigung,<br />

eine Tätigkeit, die sie zwischen zwei<br />

anderen oder nebenbei durchführt.<br />

Sie würde, so Krutzler, Gamen eher<br />

nicht als ihr Hobby bezeichnen, würde<br />

sie danach gefragt werden. Was die<br />

25-jährige Studentin macht, wird mit<br />

dem Begriff des „Casual Gamings“<br />

beschrieben, im Gegensatz zu „Core<br />

Gaming“. Wie der Begriff Casual übersetzt<br />

schon sagt, handelt es sich um<br />

zwangloses, beiläufiges oder lässiges<br />

Spielen, zum Beispiel Online-Browser-Games<br />

oder Spiele am Smartphone<br />

bzw. Tablet. „Core Gaming“<br />

hingegen benötigt eine aktive Hinwendung<br />

und findet in der Regel auf<br />

einer Spielekonsole oder am PC statt.<br />

Agree to Disagree – was als richtiges<br />

Gaming zählt<br />

Die Unterteilung in Casual und Core<br />

Games ist Teil einer Diskussion, die<br />

häufig geführt wird, sei es unter ExpertInnen<br />

oder unter den SpielerInnenselbst.<br />

Die Frage, die der Diskussion<br />

zu Grunde liegt ist jene nach der<br />

Notwendigkeit einer Unterteilung des<br />

Gaming-Begriffs – quasi die Frage<br />

danach, was zu ‚richtigem Gaming‘<br />

zählt. „Gamen hat sich sehr verändert<br />

und es gibt jetzt nicht mehr nur<br />

eine Art an Gaming, sondern es hat<br />

sich eine sehr große Bandbreite entwickelt;<br />

das Medium hat sich stark<br />

differenziert“, so Hahn. Sie vertritt die<br />

Meinung, dass jede Art von Gaming<br />

auch unter den Begriff fallen soll und<br />

hält eine Unterteilung nicht für relevant:<br />

„Für mich persönlich soll sich jeder,<br />

der sagt, er hat Spaß am Medium<br />

– egal in welchem Genre und egal auf<br />

welcher Plattform – und sich diesen<br />

Begriff zunutze machen möchte,<br />

auch Gamer nennen.“ Krutzler teilt die<br />

Meinung, dass unter dem Begriff Gaming<br />

alle Arten des Mediums gefasst<br />

werden können, hält eine Unterteilung<br />

allerdings für sehr sinnvoll, vor<br />

allem, wenn man sich mit den Geschlechtern<br />

im Gaming beschäftige,<br />

denn tendenziell seien noch Unterschiede<br />

zwischen den Geschlechtern<br />

erkennbar.<br />

Hierzu ein paar Zahlen: Eine Studie<br />

von Bitkom Research, die im August<br />

2018 veröffentlicht wurde, verdeutlicht,<br />

dass Frauen den Männern zahlenmäßig<br />

immer näher kommen. In<br />

Deutschland ist der Anteil der männlichen<br />

Computer- und Videospieler<br />

mit 43% nur noch um 2% höher als<br />

der Anteil der weiblichen, und dennoch<br />

werden Frauen immer noch<br />

hauptsächlich mit mobilen Spielen in<br />

Verbindung gebracht. Eine Erhebung<br />

20<br />

This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming


durch IPSOS MORI aus dem Jahr 2017<br />

hat die Verteilung der NutzerInnen<br />

von Gaming-Apps gemessen, wobei<br />

51% der Männer und 41% der Frauen<br />

Gaming-Apps spielen.<br />

Hahn kommentiert dies so: „Momentan<br />

sagen die Statistiken, dass Frauen<br />

vor allem Casual Games spielen,<br />

seien es Browser Games oder auch<br />

Spiele auf dem Smartphone oder anderen<br />

mobilen Plattformen. Wenn ich<br />

aber zum Beispiel mit Studierenden<br />

rede, sehe ich, dass es diese Unterscheidung<br />

kaum noch gibt. Da spielen<br />

Mädels genauso auf einer Julia Xbox Krutzler oder<br />

Copyright: privat<br />

Playstation, wie das auch die Jungs<br />

machen.“<br />

Aber auch abseits des Geschlechteraspekts<br />

wird über die Breite des Begriffs<br />

diskutiert, wobei die Plattform<br />

oft ein zentrales Thema ist. So gibt es<br />

Stimmen, die die Meinung vertreten,<br />

dass Gaming auf einer Spielekonsole<br />

stattzufinden habe. Mein Bruder, der<br />

sich Jahre nach der Lan-Party immer<br />

noch als Gamer bezeichnet, ist einer<br />

dieser Personen und äußert sich dazu<br />

wie folgt: „Ich unterscheide schon<br />

zwischen Casual Handy Gamern Sabine Hahn und<br />

jenen, die sich für ihr Hobby Copyright: einen privat PC<br />

im Wert von 1.000 Euro zulegen, um<br />

die Games in bester Qualität spielen<br />

zu können.“<br />

Da diesen Diskussionen unterschiedliche<br />

Meinungen zu Grunde liegen und<br />

man sich kaum auf Fakten beziehen<br />

kann, wird es in den nächsten Jahren<br />

wahrscheinlich zu keiner Einigung<br />

kommen. Tatsache ist jedoch leider,<br />

dass sich Gamerinnen Anerkennung<br />

erarbeiten müssen und sich häufig mit<br />

Kritik konfrontiert sehen. „Du spielst<br />

schlechter, weil du eine Frau bist, oder<br />

umgekehrt, wenn sie gut sind, werden<br />

sie beschimpft“, erklärt Krutzler die<br />

Problematik, die vor allem im Core Gaming<br />

auftritt.<br />

Der Kreislauf schließt sich – die Verbindung<br />

zwischen GamedesignerInnen<br />

und GamerInnen<br />

Betrachtet man die gesamte Gaming-Industrie,<br />

ist festzustellen, dass<br />

es immer noch viele Bereiche gibt, in<br />

denen Frauen den Männern zahlenmäßig<br />

unterlegen sind. So sind Frauen<br />

an der Spielentwicklung immer<br />

noch kaum beteiligt, man muss hier<br />

von einer männerdominierten Branche<br />

sprechen. „In Unternehmen der<br />

Spieleindustrie sind – weltweit, sowie<br />

lokal in Deutschland und Österreich<br />

– nach wie vor zu wenig Frauen“, so<br />

Hahn. Im Nachbarland Deutschland<br />

liege die Quote bei 25%, jedoch stelle<br />

man bei näherer Betrachtung fest,<br />

dass diese Frauen eher in Positionen<br />

wie dem Marketing angestellt und<br />

dementsprechend an der Entwicklung<br />

des Produkts eher weniger beteiligt<br />

seien. Würde es anders sein, dabei<br />

sind sich die Interviewpartnerinnen einig,<br />

hätte das positive Auswirkungen<br />

auf die Spiele selbst, sowie auch auf<br />

die Präsenz der Spielerinnen.<br />

Beim Gamedesign ist an zumindest<br />

zwei Punkten noch Platz für Entwicklungen,<br />

einerseits die Darstellung und<br />

andererseits die Rolle der Charaktere<br />

im Spiel betreffend.<br />

Dass Frauen so wenig Einfluss auf die<br />

Entwicklung der Spiele haben, wirke<br />

sich auf die Darstellung der weiblichen<br />

Charaktere aus: „wie Frauen aussehen,<br />

wie sexuell stilisiert sie sind, wie<br />

groß ihre Oberweite ist, oder wie wenig<br />

sie anhaben“, so Hahn. „Männern<br />

ist das nicht bewusst, dass sie die<br />

Charaktere teilweise so unglaublich<br />

überzeichnen und sexistisch darstellen“,<br />

sagt Krutzler, wobei sie betont,<br />

dass auch männliche Charaktere oft<br />

sehr sexistisch dargestellt würden. Im<br />

Laufe der letzten Jahre ist es hier zu<br />

einer Bewusstseinsbildung gekommen.<br />

Die Zahl der Gamedesignerinnen<br />

steigt, wenn auch langsam, und die<br />

Darstellung der Charaktere entwickelt<br />

sich – leider genauso langsam – auch<br />

in eine positive Richtung.<br />

Was die Rolle der weiblichen Charaktere<br />

angeht, sind Fortschritte schon<br />

deutlicher, denn nicht nur sind die<br />

Lead Characters immer öfter weiblich,<br />

sondern auch die weiteren Protagonistinnen<br />

bekommen „differenziertere<br />

Rollen geschrieben“, so Hahn. Darüber<br />

hinaus werde immer öfter die Möglichkeit<br />

geboten, das Geschlecht des<br />

Lead Character zu wählen. Eine Option,<br />

die von Spielerinnen und Spielern<br />

in der Regel als wünschenswert<br />

genannt werde. Es findet demnach<br />

eine Entwicklung statt, bei der „Frauen<br />

nicht nur anständig gekleidet sein<br />

dürfen, sondern sie auch schöne Rollen<br />

geschrieben bekommen“, wie Hahn<br />

feststellt.<br />

Wie so oft greift ein Zahnrad in ein<br />

nächstes: Wären mehr Frauen im<br />

Gamedesign tätig, hätte das positive<br />

Auswirkungen auf die Darstellung<br />

und Rollen der weiblichen Charaktere.<br />

Diese Spiele würden auch vermehrt<br />

weibliche Spielerinnen ansprechen,<br />

was in Folge die Präsenz der Frauen<br />

in der Branche steigern würde. Mehr<br />

Mädchen würden auf das Gaming auf-<br />

This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming<br />

21


merksam werden, und die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass sie entweder beruflich oder<br />

privat Interesse an der Gaming-Branche<br />

zeigen steigt.<br />

Den Kreislauf durchbrechen<br />

„Diese Frauen kenne ich nicht”, war die Reaktion<br />

einer Studienkollegin, nachdem ich<br />

sie darauf hinwies, dass Frauen im Gaming<br />

mittlerweile stark vertreten sind. In ihrem<br />

Freundeskreis wären generell nur wenige,<br />

die sich als Gamer bezeichnen würden, aber<br />

unter den wenigen sei sicher keine Frau<br />

vertreten. „In der Wahrnehmung waren<br />

digitale Spiele lange Zeit sogenannte ‚Boys<br />

Toys‘ und deshalb haftet diesem Medium<br />

immer noch der Ruf an, dass es nur etwas<br />

für Jungs sei“, benennt Hahn die Problematik.<br />

Seit zehn bis 15 Jahren spielen Mädchen<br />

und Frauen genauso digitale Games,<br />

wie es Burschen und Männer tun. Seit drei<br />

bis fünf Jahren wird dem Thema medial<br />

enorm viel Aufmerksamkeit gewidmet, den<br />

Spielen an sich, aber auch der Unterschätzung<br />

der Frauen in der Branche. Aufmerksamkeit<br />

einerseits redaktionell, durch Artikel<br />

bis hin zu Podcasts, andererseits durch<br />

Initiativen wie zum Beispiel „Women in<br />

Games“, die versuchen, weibliche Gesichter<br />

der Branche in den Mittelpunkt zu stellen.<br />

Wie immer bei Veränderungen muss es zu<br />

einer Bewusstseinsbildung kommen, die<br />

in weiterer Folge Wirkung zeigen muss.<br />

„Ich habe gemerkt und mir ist auch bestätigt<br />

worden, dass sich viel tut, aber halt<br />

langsam“, so Krutzler. „Hoffentlich<br />

sind wir in ein paar Jahren so weit, dass<br />

Computerspiele nicht mehr und weniger<br />

stereotyp sind als andere Medien auch“,<br />

wünscht sich Hahn. Ein Wunsch, dem ich<br />

mich offen anschließe.<br />

Infobox<br />

* über: Dr. Sabine Hahn<br />

von Katharina Glück<br />

* tätig in Köln, Bereich „Digital<br />

Leadership Beratung“<br />

* Veröffentlicht 2017: Gender und<br />

Gaming: Frauen im Fokus der<br />

Games-Industrie<br />

* Erfolg 2018: Female Founders in<br />

der Games- und Medienbranche<br />

vom „Handelsblatt“ für eines der<br />

besten Wirtschaftsbüchern von<br />

Frauen<br />

Julia Krutzler<br />

Copyright: privat<br />

Sabine Hahn<br />

Copyright: privat<br />

© Copyright: Pexel/rawpixel<br />

Inserat_PFAD.indd 1 02.01.19 12:<br />

22 Thema This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming


Aktivismus in Sozialen Medien:<br />

Ein Verhängnis für muslimische Frauen?<br />

Die Aussicht auf mehr Freiheiten und Rechte für Frauen sind im arabischen Raum gering. Im Gespräch mit <strong>SUMO</strong> erläutern<br />

„Standard“-Redakteurin Gudrun Harrer und Universitätsprofessor Rüdiger Lohlker die aktuelle Lage und ob es<br />

eine Hoffnung auf Verbesserung gibt.<br />

Die irakische Menschenrechtsaktivistin<br />

Suad al-Ali wird in Basra auf offener<br />

Straße ermordet. Tara Fares, ein „Instagram“-Star,<br />

wird in Bagdad in ihrem Auto<br />

erschossen. Zwei Schönheitschirurginnen<br />

aus dem Irak, Rasha Hassan und Rafifi<br />

Yasiri, werden in ihrer Wohnung tot aufgefunden.<br />

Vier unterschiedliche Frauen,<br />

die drei Sachen gemeinsam haben – den<br />

Wunsch auf Veränderung, ihre offene Einstellung<br />

zu einem westlichen Lebensstil<br />

und ihre Online-Präsenz.<br />

Gerade als sich die Lage in Vorderasien für<br />

Frauen zu verbessern scheint in Form von<br />

Lockerungen der gesellschaftlichen Regeln,<br />

wie zum Beispiel die Aufhebung des<br />

Fahrverbots für Frauen in Saudi-Arabien,<br />

häufen sich die Morde an weiblichen Unschuldigen.<br />

Die religiösen Einschränkungen<br />

sind stark und Frauenrechte Mangelware.<br />

Der Versuch der ermordeten<br />

Aktivistinnen sich durch die Onlinewelt<br />

Gehör zu verschaffen scheiterte. Ihre öffentliche<br />

Präsenz in Sozialen Medien ist<br />

ihnen zum Verhängnis geworden.<br />

Es stellt sich die Frage, was Frauen im<br />

Nahen Osten noch übrigbleibt, um sich<br />

gegen die strikten Regeln der Oberhäupter<br />

zu wehren.<br />

Ein beginnender Wandel?<br />

Um die aktuelle Lage bewerten zu können,<br />

braucht es einen Blick in die Vergangenheit.<br />

Der Arabische Frühling 2011<br />

leitete den Prozess eines politischen<br />

Wandels ein. Getrieben von der jahrzehntelangen<br />

autoritären Herrschaft, starker<br />

Arbeitslosigkeit und den geringen Perspektiven<br />

kam es zu vermehrten Protesten<br />

und Aufständen gegen das Regime im<br />

arabischen Raum. Das zog in einigen Ländern,<br />

wie in Tunesien oder Ägypten, einen<br />

Aufbruch der bislang stabilen autoritären<br />

Strukturen und den Sturz der Herrscher<br />

Ben Ali und Mubarak mit sich. In anderen<br />

Ländern, etwa Marokko, wurden größere<br />

Proteste erfolgreich niedergeschlagen<br />

oder es kam zur Ruhigstellung der Bevölkerung<br />

durch Subventionsprogramme,<br />

vor allem in den reichen Golfstaaten wie<br />

Saudi-Arabien.<br />

Trotz dem eher durchwachsenen Ausgang<br />

der Proteste könne der Arabische Frühling<br />

als eine „Besiegelung eines vorangegangenen<br />

Wandels“ bezeichnet werden,<br />

konstatiert Rüdiger Lohlker, Professor<br />

am Institut für Orientalistik der Universität<br />

Wien. Schon vor den Ausschreitungen<br />

2011 kam es durch den steigenden Anteil<br />

von jungen Menschen und den größeren<br />

Bildungschancen zu einem beginnenden<br />

gesellschaftlichen Wandel. Dieser Wandel<br />

zog auch die Chance nach sich, die starren<br />

Geschlechterverhältnisse aufzubrechen.<br />

Maßgebend für diese Öffnung der Gesellschaften<br />

waren Frauen, die sich an den<br />

Protesten beteiligten und eine bessere<br />

Stellung der Frauen forderten. Themen<br />

wie Sexualität oder Angriffe gegen Frauen<br />

im öffentlichen Raum wurden angesprochen<br />

und bekannt gemacht, resümiert<br />

Lohlker.<br />

Soziale Medien als Chance<br />

Ausschlaggebend war die Vernetzung<br />

durch Soziale Medien. Ein neuer Faktor,<br />

der die Organisation für strukturierte<br />

Bewegungen vereinfachte und ein Ort,<br />

um Unmut mit anderen zu teilen. Soziale<br />

Medien zeigten den Menschen auf, wie<br />

Wohlstand und Freiheit an anderen Orten<br />

der Welt aussehen und umgekehrt<br />

verbreiteten sich die Konflikte des Arabischen<br />

Frühlings online über die Grenzen<br />

Vorderasiens hinaus. Die Möglichkeit der<br />

Vernetzung besteht bis heute und ist Teil<br />

der arabischen Gesellschaften geworden.<br />

Das bestätigt eine Studie von Magdalena<br />

Karolak und Hala Guta aus dem Jahr<br />

2015 („Journal of International Women’s<br />

© Copyright: Pexels/Lum3n<br />

Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängis für muslimische Frauen? Thema<br />

23


Studies“, 2015/2), die sich mit der<br />

Identitätsbildung von saudischen<br />

Frauen über Soziale Medien auseinandersetzt.<br />

Demnach bieten diese<br />

Netzwerke einen Zugang zu Informationen,<br />

die sonst von kulturellen<br />

und politischen Barrieren beschränkt<br />

werden. Es können Diskurse stattfinden,<br />

die öffentlich nicht möglich<br />

sind und geben Frauen eine Chance,<br />

sich von den gesellschaftlichen und<br />

familiären Zwängen zu befreien. Aber<br />

auch die Internetnutzung in arabischen<br />

Ländern ist beeinflusst von<br />

sozialen Regeln. Wer sich in Sozialen<br />

Medien zu einem anderen Lebensstil<br />

oder einen anderen Religion, gar dem<br />

Atheismus, bekennt, wird bestraft.<br />

Lohlker betont, dass kaum eine Frau<br />

unter dem Klarnamen Online-Aktivismus<br />

betreibe, denn das wäre ein<br />

schwerer Verstoß gegen die Gesetze.<br />

Auch in arabischen Ländern, in denen<br />

es nicht verboten ist AtheistIn zu sein,<br />

herrsche eine gewisse Selbstzensur,<br />

um das Lebensumfeld und sich selbst<br />

zu schützen. Andere Taktiken, um<br />

trotzdem seine Meinung öffentlich zu<br />

machen, seien die Verwendung von<br />

zwei Accounts, einen für die Familie<br />

und einen für FreundInnen, sowie<br />

keine Bilder von sich selbst zu posten.<br />

Viele Aktivistinnen und Bloggerinnen<br />

verlassen dafür ihre Heimat,<br />

um im Ausland mit mehr Freiheit und<br />

Sicherheit über Probleme und heikle<br />

Themen zu berichten.<br />

Die Möglichkeiten der Frau in der arabischen<br />

Welt sind begrenzt. Gudrun<br />

Harrer, Nahostexpertin und leitende<br />

Redakteurin beim „Standard“, weist<br />

aber darauf hin, dass Frauen nicht<br />

völlig ohnmächtig seien. Auch in den<br />

islamischen Gesellschaften könnten<br />

Frauen mächtig sein. Seit 2011 dürfen<br />

zum Beispiel weibliche Vertreter,<br />

die vom König ernannt werden, dem<br />

Rat der Schura beisitzen. In der Schura<br />

sitzen die Eliten von Saudi-Arabien<br />

und schlagen dem König Salman ibn<br />

Abd al-Aziz Gesetzesvorhaben vor.<br />

Ein simpleres Beispiel sei in der Ehe<br />

zu finden. Wolle ein Mann in der Gesellschaft<br />

sozial gut dastehen, dann<br />

müsse er freundlich zu seiner Frau<br />

sein. Sonst habe das Auswirkungen<br />

auf seine Stellung in der Familie. Betrachte<br />

man die Seite der Männer,<br />

so stehe fest, dass nicht nur Frauen,<br />

sondern auch Männer in den autoritären<br />

Ländern nicht frei sind. Auch<br />

Männer heirateten nicht freiwillig<br />

eine fremde Frau, mit der sie zuvor<br />

kein Wort gewechselt haben. Aber „je<br />

besser es den Frauen oder den Minderheiten<br />

geht, desto besser geht<br />

es der ganzen Gesellschaft“, erklärt<br />

Harrer.<br />

Vielen Frauen ist es gleichgültig<br />

Umso mehr braucht es starke weibliche<br />

Vorbilder, die für ein freieres<br />

Leben kämpfen und die Schattenseiten<br />

aufzeigen. Suad al-Ali, Tara<br />

Fares und noch viele andere Frauen<br />

haben sich für eine bessere Stellung<br />

der Frau eingesetzt und mussten dafür<br />

ihr Leben geben. Auf die Frage,<br />

wer die Aktivistinnen getötet haben<br />

könnte, wissen weder Lohlker noch<br />

Harrer eine klare Antwort. Die Vermutungen<br />

gehen in Richtung radikal-islamischer<br />

Gruppierungen oder<br />

arabischer Geheimdienste, die weitere<br />

Proteste und Gegenstimmen<br />

beseitigen wollen. Es zeigt, dass das<br />

aktive Auftreten von Frauen einigen<br />

ein Dorn im Auge ist. Vor allem<br />

in patriarchalen Gesellschaften sind<br />

Männer eindeutig negativ gegenüber<br />

Frauen eingestellt und verbannen die<br />

Idee von mehr Rechten für Frauen.<br />

Es gebe wenige bis keine Männer,<br />

die sich für Frauen einsetzen würden,<br />

erläutert Lohlker. Aber auch von Seiten<br />

der Frauen sei die Akzeptanz begrenzt.<br />

Harrer erwähnt, dass es vielen<br />

Frauen gleichgültig sei oder viel<br />

mehr, dass sie Sicherheit und Frieden<br />

wünschten. Die meisten wollen daher<br />

keine Störenfriede, die diese Ruhe<br />

aus dem Gleichgewicht bringen und<br />

akzeptieren die schon erwähnten Bestechungsversuche<br />

der Regime.<br />

Was wie Lockerungen der gesellschaftlichen<br />

Regeln klingt, verbirgt<br />

sich hinter einer Taktik der Oberhäupter.<br />

Ja, Frauen dürfen seit Neustem in<br />

Saudi-Arabien Auto fahren und ja, das<br />

ist ein Schritt in die richtige Richtung.<br />

Allerdings haben diese Reformen wenig<br />

mit Demokratisierung oder politischer<br />

Öffnung zu tun. Gudrun Harrer<br />

betont, dass die Repressionen und<br />

Unterdrückung weiter steigen. Die<br />

arabischen Gesellschaften befänden<br />

sich im Zerfallsprozess und es sei<br />

derzeit nicht klar, wie es weitergehen<br />

wird.<br />

Was bleibt, ist die Hoffnung<br />

Die Chancen auf Veränderungen sind<br />

dürftig, aber sie sind vorhanden. Der<br />

Arabische Frühling hat in Vorderasien<br />

vieles in Bewegung gebracht und das<br />

hält nach wie vor an. Die Potenziale<br />

auf Veränderung reichen von Änderung<br />

der Geschlechterverhältnisse,<br />

24<br />

Aktivismus Thema in Sozialen Medien: Ein Verhängnis für muslimische Frauen?


Öffnung des Meinungsspektrums bis zur<br />

völligen Auflösung von bisherigen Strukturen.<br />

Ob das auch passiert, bleibt noch verborgen.<br />

Die Hoffnung ist das einzige was<br />

bleibt und starke Frauen helfen, diese Bewegung<br />

in die Freiheit weiter voran zu treiben.<br />

Auch wenn Online-Aktivismus Gefahren<br />

bringt, bleibt doch die wichtige Möglichkeit,<br />

Missstände aufzudecken. „Es ist wichtig zu<br />

wissen, dass es nicht immer so war, wie es<br />

jetzt ist. Die Botschaft ist daher, dass es in<br />

Zukunft nicht für immer so sein muss“, resümiert<br />

Gudrun Harrer. Auch Rüdiger Lohlker<br />

weist darauf hin, dass „wir alle Teil einer einzigen<br />

Welt sind. Genauer hinhören und nicht<br />

irgendwelchen Experten das Feld überlassen“,<br />

ist sein Rat.<br />

von Sophie Bezensek<br />

Gudrun Harrer<br />

Copyright: Manfred Weis<br />

Rüdiger Lohlker<br />

Copyright: Sophie Bezensek<br />

Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängnis für muslimische Frauen? Thema<br />

25


„Sex sells“ - nicht immer!<br />

Die Berichterstattung über sexualisierte Gewalt ist ein sensibles, doch wenig<br />

beachtetes Thema. Die Sozialanthropologin Sonja Genner und Anna<br />

Haneder von der Frauenberatung Waldviertel diskutieren mit <strong>SUMO</strong> über<br />

die derzeitigen Missstände und was sie sich in Zukunft von den JournalistInnen<br />

wünschen.<br />

© Copyright: pexels/Pixabay<br />

„Sex sells“ gilt – nicht nur, aber vor allem<br />

– für Boulevardmedien als Aufmerksamkeit<br />

generierende Strategie. Doch sollte<br />

dies in jedem Kontext Gültigkeit haben?<br />

Wie sieht die Situation bei einer medialen<br />

Berichterstattung über sexuelle beziehungsweise<br />

sexualisierte Gewalt aus?<br />

Medien nehmen bei Themen wie diesen<br />

eine große Rolle ein, da sie die nachhaltige<br />

Wahrnehmung der RezipientInnen<br />

und auch deren Einschätzungen<br />

prägen. Genau deswegen werden JournalistInnen<br />

dazu angeregt, sich selbst<br />

zu reflektieren, um eine sensible und<br />

Grenzenbeziehungsweise Normen nicht<br />

außer Acht lassende Berichterstattung<br />

zu manifestieren. In den USA hat sich die<br />

Analyse der Medienberichterstattung<br />

über sexualisierte Gewalt beziehungsweise<br />

Gewalt gegen Frauen schon seit<br />

einiger Zeit als Forschungsbereich etabliert.<br />

Hierbei werden vor allem die Defizite<br />

der Berichterstattung diagnostiziert.<br />

Dies beginnt laut der Studie „Feministische<br />

Kriminologie“ von Michelle L. Meloy<br />

und Susan L. Miller (2009) schon bei der<br />

Festlegung von Normen und Erwartungen<br />

der Gesellschaft, den traditionellen<br />

Rollenbildern einer guten Frau und Mutter<br />

und der eines guten Mannes und Vaters.<br />

Ein weiterer Aspekt ist die Sprache,<br />

denn sie prägt Bewusstsein und Unterbewusstsein<br />

in hohem Ausmaß. Tendenziell<br />

lässt sich sagen, dass im Alltag<br />

die Wortwahl bei sexuellen Straftaten<br />

oft ungenau ist, oder veraltete Begrifflichkeiten<br />

verwendet werden, teilweise<br />

treten auch nachträglich Diskriminierungen<br />

auf. Genauso wie in der medialen<br />

Berichterstattung, die jedoch langfristig<br />

gesehen große Auswirkungen auf RezipientInnen<br />

oder sogar Betroffene haben<br />

kann. Dazu ein kleiner Auszug an Begriffen,<br />

die irreführend sein können – in<br />

Anlehnung an eine Empfehlung an JournalistInnen<br />

des Frauennotrufs Saarland:<br />

Fehlgedeutete Begriffe<br />

„Triebtäter“ – Dieser Begriff suggeriert,<br />

ein Mann gäbe sich seinem natürlichen<br />

Sexualtrieb hin, den er nicht zu beherrschen<br />

weiß. Dieses Wort beinhaltet<br />

aber automatisch die Information, dass<br />

hier der Täter nur Opfer seiner Triebe<br />

ist. Also bekommt er eigentlich die Opferrolle<br />

zugeschrieben.<br />

„Sexverbrechen/Sextäter“ – Da der Terminus<br />

„Sex“ eher mit positiven, intimen<br />

und erotischen Handlungen assoziiert<br />

wird, eignet sich jener Begriff nur dürftig<br />

für die Darstellung des tatsächlichen<br />

Ausmaßes dieser Straftat und trägt zur<br />

Verniedlichung des Begriffs bei. Hierbei<br />

sollte in der Sprache auf das Wort „Sex“<br />

in diesem Kontext verzichtet werden<br />

und stattdessen Begriffe wie „sexualisierte<br />

Gewalt“ angewendet werden.<br />

„Opfer“ – Dieser Begriff wird oft von<br />

Medien aufgegriffen und in Texten<br />

oder Bildunterschriften bei der Berichterstattung<br />

verwendet. Dies kann dazu<br />

führen, dass Betroffene von Sexualstraftaten<br />

ein weiteres Mal gedemütigt<br />

werden, daher sollten stattdessen<br />

Begriffe wie „Betroffene“ oder „Überlebende“<br />

Anwendung finden. Auch<br />

die Untugend, (höchstens verpixelte)<br />

„Facebook“-Profilbilder von Opfern in<br />

der Berichterstattung zu verwenden,<br />

findet immer häufiger Anwendung in<br />

den Medien. Solche bleiben oft ad infinitum<br />

gespeichert.<br />

„Familiendrama“ – In Bezug auf Morde<br />

an Frauen. Hierbei sollten die Berichte<br />

genau diese Umstände auch beim<br />

Namen nennen und nicht verharmlosen.<br />

„Es handelt sich um einen Mord<br />

an einer Frau und nichts entschuldigt<br />

oder begründet diese Tat“, so Expertin<br />

Anna Haneder von der Frauenberatung<br />

Waldviertel im <strong>SUMO</strong>-Interview.<br />

Ergänzend dazu gilt es zu berücksichtigen,<br />

dass Straftaten klar als solche benannt<br />

werden. Die Nationalität oder die<br />

Religionszugehörigkeit von TäterInnen<br />

sollte nicht relevant sein, da sie nichts<br />

am Übergriff ändern: „Eine bewusste<br />

Auseinandersetzung mit den verwendeten<br />

Begriffen ist aus meiner Sicht<br />

immer notwendig, zumal sich Sprache<br />

immer in Veränderung befindet“, postuliert<br />

die Sozialanthropologin Sonja Genner<br />

im Gespräch mit <strong>SUMO</strong>. Inwieweit<br />

26<br />

Thema „Sex sells“ - nicht immer!


in Zukunft auf Sensibilisierung zu hoffen ist,<br />

bleibt unklar. 2018 empfahl der Pressesprecher<br />

des österreichischen Innenministeriums<br />

Polizeipressestellen die explizite Nennung<br />

der Staatsbürgerschaft bei Gewaltverbrechen.<br />

Mehr Aufmerksamkeit für Randgruppen<br />

Neben einer bewussten Wortwahl wünscht<br />

sich Sonja Gennerauch mehr mediale Aufmerksamkeit<br />

anderen Gruppen gegenüber,<br />

denn bei genauerer Analyse der Berichterstattungen<br />

falle auf, dass bestimmte Personengruppen<br />

im Vergleich zu anderen kaum<br />

berücksichtigt würden. So könne man beispielsweise<br />

beobachten, dass sexualisierte<br />

Gewalt häufig thematisiert werde, wenn sie<br />

gegen Frauen gerichtet ist. Jedoch bekommen<br />

andere betroffene Gruppen, wie Menschen<br />

mit kognitiven Behinderungen, Transgenderpersonen<br />

oder Buben/Männer in der<br />

Berichterstattung weniger Beachtung. Im<br />

Interview weist Genner darauf hin, dass auch<br />

Opfer-TäterInnen-Konstellationen wie etwa<br />

weibliche, häusliche Gewalt gegen Männer,<br />

oder sexualisierte Gewalt unter Männern eine<br />

zu geringe Beachtung erhielten. „Des Weiteren<br />

bekannt sind Missbrauchsfälle in der katholischen<br />

Kirche, aber im Vergleich zur Berichterstattung<br />

über sexuelle Übergriffe von<br />

Migranten auf in Österreich lebende Frauen<br />

kann ich hier keine solche Konstanz feststellen.<br />

Sexualisierte Gewalt in der katholischen<br />

Kirche wird zwar thematisiert, aber in einem<br />

weitaus geringeren und unregelmäßigeren<br />

Ausmaß“, ergänzt Genner. Laut einer Studienzusammenfassung<br />

des Medienwissenschaftlers<br />

Steffen Burkhardt (2015) zu Medienskandalen<br />

nahm die Berichterstattung<br />

über weitreichende, lang andauernde Fälle<br />

sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen<br />

Kirche in den letzten Jahren jedoch zu.<br />

Dies alles setzt auch auf Seiten der RezipientInnen<br />

ein reflektiertes Verhalten voraus im<br />

Sinne der Quellenkritik.<br />

Die Gefahr der Täter-Opfer-Umkehr<br />

Eine weitere Gefahr ist jene, dass besonders<br />

Personen des öffentlichen Lebens, denen<br />

eine Gewalttat an einer Frau vorgeworfen<br />

wird, in Medien immer wieder eine Plattform<br />

für ihre Darstellung geboten wird. Mutmaßliche<br />

TäterInnen erhalten Raum für ihre Sichtweise,<br />

die viel Spielraum für unterschiedliche<br />

Interpretationen öffnen. In extremen Fällen<br />

(z.B. die Kontroverse um den US-Richterkandidaten<br />

Brett Kavanaugh) werden Frauen<br />

der absichtlichen Lüge bezichtigt, um einem<br />

Mann beruflich zu schaden. „Es kann der Anschein<br />

entstehen, Frauen würden durch ihre<br />

falschen Anschuldigungen das Leben dieser<br />

Männer zerstören, so der Vorwurf. Hier findet<br />

eine Opfer-Täter-Umkehr statt, die bewirken<br />

kann, dass Opfer sexualisierter Gewalt diese<br />

bei der Polizei aus Angst, ihnen würde nicht<br />

geglaubt werden, nicht anzeigen“, bezieht<br />

Genner dazu Stellung.<br />

„Sex sells“ - nicht immer! Thema<br />

27


Ein vor allem in letzter Zeit immer häufiger<br />

zu beobachtendes Problem ist<br />

die Behandlung bestimmter Gewaltthemen<br />

im Kontext eines „Hypes“. Zum<br />

Beispiel wurden aufgrund der „16 Tage<br />

gegen Gewalt“-Aktion – eine Kampagne,<br />

die auf Gewalt gegen Frauen<br />

weltweit durch Podiumsdiskussionen,<br />

Ausstellungen, Straßenaktionen und<br />

Vorlesungen aufmerksam macht - in<br />

dieser Zeit vermehrt Beiträge über<br />

Gewalt an Frauen publiziert. Dennoch<br />

tragen solche Initiativen zu einer positiven<br />

Entwicklung in puncto medialem<br />

Aufzeigen von Missständen bei. „Kampagnen,<br />

wie die ,16 Tage gegen Gewalt‘<br />

bzw. Veranstaltungen zum Thema (sexuelle)<br />

Gewalt werden eher medial verarbeitet,<br />

als früher“, beobachtet auch<br />

Haneder. Hierbei ist zu erkennen, dass<br />

erst gröbere Tabubrüche oder öffentliche<br />

Diskussionen wie #MeToo zu einer<br />

verstärkten medialen Aufmerksamkeit<br />

geführt haben. Jedoch kann dies auch<br />

problematisch sein, da Fälle juristisch<br />

schon verjährt sind – Sensibilität gegenüber<br />

sexualisierter Gewalt können<br />

aber auch sie erzeugen.<br />

Es ist vor allem die Aufgabe und Verantwortung<br />

der JournalistInnen, bei der<br />

Berichterstattung über sexualisierte<br />

Gewalt besonders sensibel in Wortwahl<br />

und Darstellung der Tatsachen zu sein.<br />

Auch TäterInnen keine zu große Plattform<br />

für ihre Sicht der Dinge zu bieten,<br />

ist besonders zu beachten. Doch auch<br />

RezipientInnen sind dazu angehalten,<br />

ihr Verhalten in puncto Wahl der Berichterstattungsquellen,<br />

als auch in<br />

der eigenen Kritik an diesen bewusster<br />

wahrzunehmen.<br />

von Lara Hubmann<br />

© Copyright: pexels/Eng in Akyurt<br />

© Copyright: pexels/Pixabay<br />

© Copyright: pixabay/scottwebb<br />

28<br />

„Sex Thema sells“ - nicht immer


Sexualisierung, des Sportes bester<br />

Freund<br />

Sexualisierung, Trivialisierung und Abwertung – all dies sind Vorgänge, mit denen<br />

SportlerInnen täglich zu kämpfen haben. <strong>SUMO</strong> hat in einem Doppelinterview Johanna<br />

Dorer, Kommunikationswissenschaftlerin mit Schwerpunkt feministische Medienforschung<br />

(Univ. Wien) und Matthias Marschik, Medienwissenschaftler und Sporthistoriker,<br />

zu Theorien, Umständen und Folgen der Sexualisierung im Sport befragt.<br />

Wahrscheinlich wenig überraschend, aber der<br />

Sport bewegt sich noch immer in eine sexistischere<br />

Richtung. Männliche Sportler werden<br />

als die Starken, Mächtigen, Erfolgreichen präsentiert,<br />

wohingegen es weibliche Athletinnen<br />

schwerer haben, sportliche Anerkennung<br />

zu erlangen. Sie stehen mehr für das erotische,<br />

schöne oder oftmals leider auch schwächere<br />

Geschlecht, egal welche Erfolge sie<br />

auch vorweisen können. Um im Sport als Frau<br />

überhaupt Aufmerksamkeit zu erlangen, gilt<br />

es sich zu präsentieren. Sportdressen werden<br />

kürzer, Athletinnen werden lasziv in Szene<br />

gesetzt und der weibliche Körper wird immer<br />

mehr als Objekt gesehen. Nicht im sportlichen<br />

Sinne, sondern im sexuellen. Denn haben hart<br />

trainierende Frauen viele Muskeln, so heißt es<br />

schnell, sie seien „zu“ muskulös und männlich.<br />

Frauen im Sport haben also Imagenachteile<br />

und ständig mit Sexualisierung zu kämpfen.<br />

Es muss einem ja schon allein vor Augen geführt<br />

werden, dass es den Begriff Fußball gibt,<br />

und dann gibt es Frauenfußball. Von Männerfußball<br />

keine Rede, schließlich assoziiert man<br />

mit der Bezeichnung Fußball doch nur die<br />

Männer. Eine Diskrepanz in unserer Gesellschaft.<br />

Doch wie weit geht die Sexualisierung<br />

der Frau im Sport mittlerweile und welche<br />

Folgen hat das?<br />

Wechselwirkung von Medien und<br />

Vereinen<br />

Dass die Medien stets die Schuld für Sexualisierung<br />

tragen und Athletinnen immer in ein<br />

sexistisches Licht rücken, ist so nicht haltbar.<br />

Man muss ebenso die Sportvereine und deren<br />

eigene Imagearbeit in Betracht ziehen, da diese<br />

einen großen Einfluss auf das Sportsystem<br />

und die Repräsentation der Frauen in Medien<br />

haben. Es steht außer Frage, dass sehr häufig<br />

das attraktivste Bild einer Sportlerin für<br />

eine Zeitungsausgabe gewählt wird. Die Bekleidungsvorschriften<br />

der Athletinnen, welche<br />

zum Beispiel beim Beachvolleyball eher<br />

Johanna Dorer<br />

Copyright: privat<br />

Matthias Marschik<br />

Copyright: blokki.blogspot.com<br />

© Copyright: unsplash/Noah Buscher<br />

Sexualisierung, des Sportes bester Thema Freund<br />

29


knapp bemessen sind, werden jedoch<br />

von ManagerInnen im Hintergrund vorgegeben.<br />

„Medien wirken mit ihren Selektionskriterien<br />

zurück auf die Vereine, die sich<br />

neue Strategien überlegen, um wieder<br />

in die Medien zu kommen. Somit ist<br />

nicht von einem einfachen Reaktionsschema<br />

die Rede, sondern von einer<br />

Wechselwirkung“, so Dorer.<br />

Selbstdarstellung im Netz<br />

Eine Veränderung schien das Web<br />

2.0 anzukündigen, denn dort wurde<br />

es SportlerInnen erstmals möglich,<br />

sich eine eigene - digitale - Identität<br />

zu erschaffen und sich selbst zu präsentieren.<br />

Auf den privaten Social Media-Kanälen<br />

ist es den Sportlerinnen<br />

(normalerweise) freigestellt, was, wann<br />

und wieviel sie von sich preisgeben. Dabei<br />

kommt oft auch die Frage auf, ob die<br />

Athletinnen bei freizügigen Posts nicht<br />

indirekt selbst für Sexualisierung verantwortlich<br />

sind. Sexualisierung ist es<br />

jedoch erst, wenn ein Urteil bzw. eine<br />

Beurteilung von externen Personen<br />

stattfindet. Es muss aber auch bedacht<br />

werden, dass heutzutage nicht nur<br />

Frauen sexualisiert werden, sondern<br />

ebenso Männer im Sport. Sie werden<br />

nicht mehr nur als starke Sportler, sondern<br />

immer mehr als schöne dargestellt<br />

und in der Öffentlichkeit und vor<br />

allem in den neuen Medien sexualisiert.<br />

© Copyright: pixabay/scottwebb<br />

Sowohl Medien, als auch die Vereine<br />

ringen um Aufmerksamkeit und stehen<br />

in engem Bezug zueinander. Sexualisierung<br />

kann somit nicht nur einer Partei<br />

vorgeworfen werden.<br />

Marginalisierung und Sexismus in der<br />

Sportberichterstattung<br />

Die feministische Forschung beweist,<br />

dass Sportlerinnen in der Sportberichterstattung<br />

marginalisiert und geschlechter-differenziert<br />

präsentiert<br />

werden. Wirft man einen Blick auf<br />

Längsschnittuntersuchungen, die die<br />

Präsenzzeit der Sportlerinnen im TV betrachten,<br />

so ist eine starke Unterrepräsentation<br />

festzustellen. Im Jahre 1989<br />

kamen lediglich 5% der Sportlerinnen in<br />

TV-Berichten vor. Ende der 1990er-Jahre<br />

gab es einen Aufschwung auf bis zu<br />

9%, jedoch schwächte sich dies 2004<br />

wieder auf lediglich 6% ab, betrachtet<br />

man die gesamte Sportberichterstattung.<br />

Neben der geringen Sendezeit, die<br />

Sportlerinnen zugestanden wird, ist vor<br />

allem die mediale Repräsentation zu<br />

beachten. Begriffe wie Infantilisierung,<br />

Trivialisierung oder Verniedlichung sind<br />

dabei zum Teil auch heute noch angebracht.<br />

Sowohl im Sprachgebrauch, als<br />

auch in der Berichterstattung sportlicher<br />

Leistungen ist dies zu erkennen.<br />

Erfolge werden dabei oftmals als „Zufall“<br />

oder „Glück“ bewertet und Frauen<br />

werden bei weitem nicht so intensiv<br />

gelobt oder wertgeschätzt wie ihre<br />

männlichen Kollegen. Außerdem werden<br />

Athletinnen häufig auf ihr äußeres<br />

Erscheinungsbild reduziert. Das Motto<br />

dabei: Je freizügiger, desto besser.<br />

Ebenen der Sexualisierung<br />

Doch auf welchen Ebenen kann Sexualisierung<br />

wie stattfinden?<br />

1) Gesellschaftliche Diskurse:<br />

Die Ebene befasst sich mit dem Verhalten,<br />

Interessen oder auch Vorlieben.<br />

Was soll einer Frau gefallen, woran<br />

muss sie sich halten, wofür soll sie zuständig<br />

sein. Entspricht man diesen gesellschaftlichen<br />

Vorstellungen nämlich<br />

nicht, so folgen persönliche Sanktionen<br />

oder Frauen werden anders und vor allem<br />

abschätziger wahrgenommen.<br />

2) Institutionelle Ebene:<br />

Geschlechter werden stets verhandelt,<br />

sowohl auf Gesetzesebene, als auch<br />

in Sportvereinen oder internationalen<br />

Sportorganisationen. Dabei werden<br />

beispielsweise Preisgelder verhandelt<br />

in den einzelnen Sportsparten.<br />

3) Selbstkonstruktion:<br />

Dabei geht es darum, wie man sich als<br />

Individuum selbst darstellt und präsentieren<br />

möchte, somit seine eigene Identität<br />

bzw. sein Gender konstruiert.<br />

Dorer erwähnt dabei auch den Ausdruck:<br />

Doing Gender. Jedes Individuum<br />

betreibt dies, wenn auch oft unbewusst.<br />

Die Art wie wir uns kleiden oder<br />

wie die Haare getragen werden, sagt<br />

viel darüber aus, wie wir uns in der Gesellschaft<br />

zu erkennen geben. Dieses<br />

Phänomen betrifft sowohl Männer, als<br />

auch Frauen. Marschik ist sogar der<br />

Meinung, man müsste des Weiteren<br />

die Ebene der Gesellschaft in Betracht<br />

ziehen, da wir als Menschen ebenso<br />

von dieser beeinflusst würden. Werde<br />

ein Austritt aus den vorgegebenen bis<br />

maßgeschneiderten Gendervorgaben<br />

gewagt, so könne es schnell zu einem<br />

weichen bis harten Ausschluss aus der<br />

Gesellschaft kommen.<br />

Does Sex really sell?<br />

Ja leider, so sehr man auch versucht mit<br />

Gegenargumenten zu kontern. Dabei<br />

entstehen jedoch ein doppelter Konflikt<br />

und ein moralischer Angriff. Denn zum<br />

einen verdienen SportlerInnen weniger,<br />

30<br />

Thema Sexualisierung, des Sportes bester Freund


wenn sie auf bestimmte Werbeangebote<br />

nicht eingehen. Des Weiteren wird<br />

ihnen aber auch noch vorgeworfen, sie<br />

seien an ihrer niedrigeren Bezahlung im<br />

Sport selbst schuld. Zum anderen werden<br />

Athletinnen verurteilt und abgewertet<br />

sich zum Beispiel im „Playboy“<br />

ablichten zu lassen, da eine Sportlerin<br />

in diesem Rahmen nichts verloren haben<br />

soll. Eine im Cortex2018 veröffentlichte<br />

Studie beschäftigt sich ebenfalls<br />

mit moralischen Hintergründen und<br />

Wertvorstellungen zu diesem Thema.<br />

Dabei wurde erforscht, dass Menschen<br />

weniger Empathie für leicht bekleidete<br />

Frauen empfinden. Da der hedonistische<br />

Wert bei sexualisierten Darstellungen<br />

von Frauen erhöht wird, sinkt<br />

gleichzeitig die Wertwahrnehmung<br />

über sie. Bei der Sexualisierung kommt<br />

nach außen hin wenig Gefühl von moralischen<br />

Vorstellungen oder Verantwortungsbewusstsein<br />

der Frauen, auch<br />

wenn dies nur im Unterbewusstsein<br />

der BetrachterInnen geschieht.<br />

Sexualisierung auch in der Zukunft?<br />

Das Ungleichgewicht der Frauen und<br />

Männer im Sportsektor wird weiter bestehen<br />

und zu einer Benachteiligung<br />

der Frauen beisteuern. Denn vor allem<br />

der Frauenanteil im Sportjournalismus<br />

beschränkt sich derzeit immer noch<br />

auf lediglich 5-10%, so Dorer. Würde<br />

sich der Prozentsatz kritischer Frauen<br />

in Medienunternehmen vergrößern, so<br />

wären Athletinnen höchstwahrscheinlich<br />

nicht mehr so stark mit Sexismus<br />

konfrontiert. Das Problem der Sexualisierung<br />

liegt vor allem bei fehlenden<br />

Regularien. Im Rundfunk gibt es Kontrollorgane,<br />

für Printmedien gelten<br />

Leitlinien und der Ehrenkodex, sowie<br />

Presserat, im Internet findet man solche<br />

Regulierungsmechanismen jedoch<br />

bislang nicht. Dies hat zur Folge, dass<br />

Geschlechterstereotype weiter in der<br />

Gesellschaft bestärkt werden. Bewegungen<br />

wie anlässlich der #MeToo-Debatte<br />

könnten dabei helfen, Sexismus<br />

und Sexualisierung zu verringern und<br />

feministische Strömungen in den Medien<br />

zu implementieren. Vor allem<br />

im Sportbereich ist es ob seines Vorbildcharakters<br />

von enormer Relevanz<br />

Frauen eine Stimme zu geben und ihre<br />

Erfolge gleichwertig wie die der Männer<br />

anzusehen. Ein Tor bleibt schließlich ein<br />

Tor, sei es geschossen von einem Mann<br />

oder einer Frau.<br />

von Teresa Takacs<br />

Sexualisierung, des Sportes bester Thema Freund<br />

31


Drag Queens<br />

als Content Trend<br />

Sie sind bunt und schrill, tragen einprägsam kreative Namen und<br />

sind beliebter denn je: Drag Queens. Was ihre Faszination ausmacht,<br />

wer tatsächlich dahintersteckt und warum Formate wie „RuPaul’s<br />

Drag Race“ so erfolgreich sind, erläutert <strong>SUMO</strong> anhand von Interviews<br />

mit Star-Drag Tamara Mascara, Filmproduzent Taç Romey und<br />

Stephan Jaekel, Director Communications von Stage Entertainment.<br />

In den letzten Jahren mehrte sich das Interesse<br />

nach Travestie nicht nur in kleinen<br />

Bars, wo versucht wird, meist eine<br />

Show-Diva nachzuahmen, es verstärkte<br />

sich das Verlangen nach Kunstfiguren,<br />

die auch ihre oft verletzliche Seite<br />

zeigen. Drag Queens sind Männer, die<br />

eine Kunstfigur mit weiblichen Zügen<br />

erschaffen. Sie geben ihr einen Namen,<br />

verleihen ihr einen unverwechselbaren<br />

Stil und schaffen eine neue Personalität.<br />

„Oft ist es auch eine Identitätssuche,<br />

oder ein Schutzwall. An meinem<br />

eigenen Verhalten, das sich sehr verändert<br />

hat, merke ich erst, wie sehr ich<br />

versucht habe, mich zu schützen durch<br />

ein zickiges Verhalten“, so Drag Queen<br />

Tamara Mascara. Die Verwandlung lässt<br />

augenscheinlich Zweifel und Unsicherheit<br />

hinter dem Make-Up „verstecken“.<br />

Die Inszenierung in bunten, glitzernden<br />

oder aufreizenden Kostümen bedeutet<br />

jedoch nicht automatisch, dass sich<br />

diese Männer als Frauen im Alltag oder<br />

automatisch als homosexuell bezeichnen.<br />

Ihre Auftritte in der Öffentlichkeit<br />

gleichen das ein oder andere Mal Aktivismus.<br />

„Ich habe lange nicht begriffen,<br />

wie viel ich eigentlich bewege, nur weil<br />

ich ‚im Fummel‘ unterwegs bin. Dann<br />

hat mir ein junger Mann erzählt, dass<br />

ihn mein Selbstbewusstsein als Drag<br />

Queen inspiriert hat, sich bei seinen Eltern<br />

zu outen.“ Tamara Mascara sieht<br />

ihre Arbeit auch als Beitrag für mehr<br />

Akzeptanz in der Gesellschaft: „Ich bin<br />

hauptberuflich Drag Queen und immer<br />

wieder für überraschend konservative<br />

Veranstaltungen oder Kunden gebucht.<br />

Das sehe ich auch als gesellschaftliche<br />

Arbeit an.“<br />

Feder, Glitzer und bunte Tränen als<br />

TV-Format<br />

Das Konzept und die Idee einer farbenfrohen,<br />

selbstbewussten, schon gar<br />

furchtlos wirkenden Drag Queen, die<br />

trotzdem ihr oft negatives Schicksal<br />

preisgibt, begeistert den/die ZuschauerIn.<br />

Genau diese Nachfrage bedient das<br />

Erfolgsformat „RuPaul’s Drag Race“<br />

seit 2009, welches nach zehn Staffeln<br />

und vier All-Star-Staffeln im Jahr<br />

2018 bei den Emmy Awards zwei Aus-<br />

© Copyright: unsplash/Artem Gavrysh<br />

32<br />

Thema Drag Queens als Content Trend


Tac Romey<br />

Copyright: HFF München<br />

Tamara Mascara<br />

Copyright: Tamara Mascara<br />

Stephan Jaekel<br />

Copyright: Ingrid Kernbach<br />

zeichnungen abräumte. Das Format ist<br />

ähnlich einer der weltweit beliebten<br />

Modelshows, wo jegliche Auftritte absolviert<br />

werden müssen. Scheinbar<br />

stolzieren weibliche Wesen auf die Sekunden<br />

getaktet über den Laufsteg, die<br />

Mimik scheint bei jedem Blick geplant<br />

zu sein und die Performance übertrifft<br />

die Erwartungen haushoch. Jede Folge<br />

gleicht demselben Schema. Zu Beginn<br />

betrachten alle KandidatInnen die mit<br />

Lippenstift geschriebene Botschaft der<br />

ausgeschiedenen Drag Queen auf dem<br />

Spiegel. Anschließend kommt RuPaul<br />

als Mann in den „Werk Room“, verkündet<br />

die erste Mini-Challenge – ein besonders<br />

ausgefallener Tanz steht hoch<br />

oben auf dem Produktionsplan. Die<br />

Gewinnerin darf, nicht unwesentlich für<br />

die Hauptaufgabe, beispielsweise ihr<br />

Team selbst auswählen. Danach kommt<br />

es zur Verkündung der wöchentlichen,<br />

sehr vielseitigen Challenge. Die KandidatInnen<br />

müssen zum Beispiel aus<br />

allen möglichen Materialien aus einem<br />

„1$-Shop“ das perfekte Show-Kostüm<br />

basteln oder in Gruppen ein Musical<br />

über Medikamente einstudieren. Die<br />

Kandidatin mit der besten Darbietung<br />

darf sich über Preise wie eine Reise<br />

nach Hawaii oder einen 2.000 Dollar<br />

schweren Gutschein für Fake-Wimpern<br />

freuen. Die zwei schlechtesten<br />

KandidatInnen, die von der Jury inklusive<br />

GastjurorIn, der/die oft mit ernster<br />

Miene und herablassenden, spöttischen<br />

Kommentaren am Pult thront,<br />

ausgewählt werden, müssen in einem<br />

„Lipsync-Battle“ um ihren Platz in der<br />

Show kämpfen. Wenige Sekunden nach<br />

dem Ende des Liedes wird sogleich die<br />

Verliererin bekanntgegeben. Meist tränenreich<br />

verlässt die ausscheidende<br />

Drag Queen die Bühne und die Siegerin<br />

fällt in die Arme der anderen KandidatInnen.<br />

Zwischendurch, förmlich<br />

hineingestreut, sieht man die ernsten<br />

Probleme der KünstlerInnen. Das eine<br />

oder andere Mal geschieht eine Offenbarung<br />

nicht vorhersehbar, so gesteht<br />

ein/e KandidatIn, dass ihre/seine Eltern<br />

sie nicht akzeptieren, wie er/sie ist; andere<br />

verkündigen gesundheitliche Probleme<br />

und manche leiden offen unter<br />

dem harten Konkurrenzkampf – diese<br />

rasante Mischung an Darbietungen<br />

funktioniert.<br />

Mittlerweile hat jede Folge eine Millionen<br />

ZuseherInnen – der weltweite<br />

„Netflix“-Stream wird nicht mitgezählt.<br />

Der Erfolg ist nicht unbegründet. „Es<br />

ist eine sehr schnelle, gut produzierte<br />

Serie, die Charaktere sind gut gecastet<br />

und es passiert irrsinnig viel in kurzer<br />

Zeit, was der extrem verkürzten Aufmerksamkeitsspanne<br />

der jungen Generation<br />

entgegenkommt“, konstatiert<br />

Tamara Mascara, die Drag Queen-Ikone<br />

Österreichs.<br />

„RuPaul’s Drag Race Germany“<br />

Dass es von diesem Format auch eine<br />

deutsche Version geben sollte, dieser<br />

Meinung ist Taç Romey. Der Geschäftsführer<br />

des deutschen Produktionsunternehmens<br />

„Phantomfilm GmbH“<br />

beschreibt den Erfolg dieser Castingshow<br />

aufgrund wichtiger Unterhaltungsfaktoren:<br />

„Es hat ein extrem hohes<br />

Entertainmentniveau, es ist voller<br />

Drama, es hat sehr viel Comedy und es<br />

ist künstlerisch in dem, was die einzelnen<br />

Aufgaben erfordern auf höchstem<br />

Niveau. Das sind richtige KünstlerInnen.“<br />

Seine Überzeugung von diesem<br />

Format brachte ihn so weit, dass die<br />

Phantomfilm GmbH bereits die Rechte<br />

an der TV-Show für eine deutsche Version<br />

optioniert hatte. Im Interview mit<br />

<strong>SUMO</strong> sprach Romey über die bereits<br />

gelaufenen Verhandlungen in Los Angeles<br />

mit den Machern von „RuPaul’s<br />

Drag Race“. Er betont, dass „RuPaul’s<br />

Drag Race Germany“ sehr nahe am<br />

amerikanischen Original geplant war.<br />

Die Show habe sich über die Jahre verändert<br />

und sei daran gewachsen. Eine<br />

ähnliche Entwicklung wäre auch für<br />

das Projekt in Europa geplant gewesen.<br />

Doch die deutsche Produktion lief nicht<br />

so an, wie geplant. „Wir haben damals<br />

leider keinen einzigen Sender gefunden,<br />

der sie machen wollte. Kurzzeitig hatte<br />

‚ZDFneo‘ Interesse, hätte es sehr, sehr<br />

gerne mit uns gemacht. Eine der Bedingungen<br />

war damals, dass Conchita<br />

Wurst die Rolle von RuPaul übernimmt,<br />

dann hätten wir tatsächlich eine gute<br />

Chance gehabt. Aber damals [2014]<br />

wollte Conchita das nicht und so ist das<br />

Projekt in den letzten Metern tatsächlich<br />

abgesagt worden“, erläutert Romey.<br />

Die Arbeit an dem Programm lief zeitgleich<br />

mit der Austragung des Eurovision<br />

Song Contest in Kopenhagen, bei<br />

dem Conchita Wurst den ersten Platz<br />

für Österreich erreichte. Die Kontaktaufnahme<br />

zu Conchita lief über Agenturen,<br />

ihren Fokus wollte sie nach dem<br />

Sieg auf ihre Musikkarriere legen. „Wir<br />

sind leider damals nicht zusammengekommen“,<br />

beteuert Romey.<br />

Der Geschäftsführer sieht sich selbst<br />

in erster Linie als Entertainer und will<br />

für Entertainment sorgen. Es freue ihn<br />

jedoch, wenn seine Arbeit auch eine<br />

Botschaft trägt und dadurch eine größere<br />

Akzeptanz für LGBT zu erleben ist.<br />

In erster Linie geht es jedoch um die<br />

Kunstform, dies war auch die Einstellung<br />

zu „RuPaul’s Drag Race Germany“.<br />

Romey bezeichnet die Show als „Cinderella-/Aschenputtel-Geschichte“:<br />

„Aus<br />

dem Nichts entsteht plötzlich eine unglaubliche<br />

magische Figur. Zu sehen,<br />

unter welchen Voraussetzungen das<br />

hergestellt wird, wenn man unter Zeitdruck<br />

arbeitet und sich Mühe gibt und<br />

kreativ ist und was man daraus schaffen<br />

kann: Das hat eine unwahrscheinlich<br />

positive Message.“ In vielen Fällen<br />

gehe es um junge Männer, die von ihren<br />

Eltern verstoßen wurden, unter der<br />

Brücke leben und durch „RuPaul’s Drag<br />

Race“ eine Transformation erleben, dies<br />

zeige eine positive Message, etwas<br />

meistern zu können und glücklich zu<br />

sein, so Romey. Seine Motivation: „Das<br />

sind ein paar Werte, die man durch die<br />

Qualität des Produkts auch vermittelt,<br />

und das sind Elemente, die uns natür-<br />

Drag Queens als Content Thema Trend<br />

33


© Copyright: pexels/Layton Findlater<br />

lich auch gereizt haben an der ganzen<br />

Geschichte.“<br />

Ob „RuPaul’s Drag Race Germany“<br />

seinen Weg in die deutschsprachigen<br />

Wohnzimmer bahnen wird, ist ungewiss.<br />

Taç Romey glaubt weiterhin<br />

an den möglichen Erfolg der Show im<br />

deutschsprachigen Raum. Die Rechte<br />

habe mittlerweile jemand anderer, so<br />

Romey: „Wir waren, wie ich es so oft erlebt<br />

habe, einfach zu früh mit dem Stoff.<br />

Ich wünsche den Machern Erfolg und<br />

hoffentlich stoßen sie auf offene Ohren<br />

bei den Sendern oder Plattformen, dass<br />

es ihnen gelingt.“<br />

Angebot, doch zu wenig Nachfrage<br />

Nicht nur im Fernsehen faszinieren<br />

Drags die ZuschauerInnen, auch ganze<br />

Theatersäle werden jeden Abend gefüllt.<br />

Das Musical „Kinky Boots“, welches<br />

mit der Musik von Cindy Lauper<br />

und dem Buch von Harvey Fierstein<br />

dramaturgisch ähnlich wie „RuPaul’s<br />

Drag Race“ an kritische Themen in<br />

einem bunten Mantel herangeht, ist<br />

ein großer Erfolg am Broadway in New<br />

York City und am Londoner Westend.<br />

Das Musical gewann sowohl bei den<br />

Tony Awards (6 Awards, insgesamt<br />

13 Nominierungen), bei den Grammys<br />

und beim Londoner Olivier Awards (3<br />

Awards, weitere 4 Nominierungen) die<br />

Auszeichnung in der Kategorie „Bestes<br />

Musical“. Musikalisch erreichte das Album<br />

mit allen Songs des Musical Platz<br />

1 in den Billboard Cast Album Charts.<br />

Der Inhalt spiegelt die Beziehung zweier<br />

Söhne zu deren Vätern wider. Beide<br />

werden von ihren Vätern nicht akzeptiert,<br />

denn der eine fühlt sich als Drag<br />

Queen, der andere junge Mann möchte<br />

nicht die Schuhfabrik seines Vaters<br />

übernehmen. Um seinen Vater nicht<br />

gänzlich zu enttäuschen, übernimmt er<br />

die Fabrik und beginnt ein neues Unternehmenskonzept:<br />

er produziert mit Hilfe<br />

der Show-Diva Lola Schuhe für Drag<br />

Queens.<br />

Stage Entertainment wollte von dem<br />

immensen Erfolg profitieren und holte<br />

das Erfolgsmusical in die deutsche<br />

Musicalstadt Hamburg. Dort lief es von<br />

Dezember 2017 bis September 2018,<br />

jedoch ohne großen Erfolg. „Ganz so<br />

massentauglich, wie wir es als Thema<br />

angenommen haben, noch dazu am ohnehin<br />

von Glitzer und Drag nicht armen<br />

Reeperbahn Strip in Hamburg, ist das<br />

Thema in Deutschland doch nicht. Wir<br />

haben es nicht geschafft, dieses Musical<br />

mit so vielen Gästen zu füllen, wie<br />

viele andere konventionellere Stücke“,<br />

so Stephan Jaekel, Director Communications<br />

von „Stage Entertainment“.<br />

Jaekel erläuterte, dass die eigenen<br />

kommerziellen Ziele von „Stage Entertainment“<br />

nicht erreicht wurden, jedoch<br />

sei es ein gesellschaftspolitischer Erfolg,<br />

wenn die ZuschauerInnen nach<br />

drei Stunden ein klein wenig toleranter<br />

© Copyright: pexels/Layton Findlater<br />

34<br />

Drag Queens als Content Trend


das Musical-Theater verlassen. „Stage<br />

Entertainment“ ist der erfolgreichste<br />

Betreiber von Bühnenproduktionen in<br />

Deutschland und gehört zu dem gleichnamigen<br />

internationalen Konzern. Der<br />

Aufgabenbereich umfasst die Vermarktung,<br />

die Produktion und Entwicklung<br />

von Stücken im Unterhaltungstheater,<br />

sowie das Betreiben von eigenen<br />

Theaterhäusern mit insgesamt 1.700<br />

MitarbeiterInnen in Deutschland. Das<br />

Stück „Kinky Boots“ erreichte 250.000<br />

ZuschauerInnen, im Vergleich dazu begrüßte<br />

das Musical „König der Löwen“<br />

bis 800.000 Gäste; seit 2001 haben bereits<br />

mehr als 13 Millionen Menschen<br />

das Ausnahmemusical in Hamburg gesehen.<br />

Die, die das Drag-Musical besuchten<br />

zeigten sich jedoch fasziniert.<br />

Eine Bewertung, die auf der Skala 5,0<br />

von 5,0 zeigt, stellt alle von „Stage“ in<br />

den letzten Jahren gezeigten Musicals<br />

in den Schatten. Trotzdem ist die Idee<br />

des Stücks in der Gesellschaft nicht<br />

so angenommen worden wie erhofft,<br />

so Jaekel: „Es wirkt nicht so, als wäre<br />

Drag in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“<br />

Auch seitens von „Hubert<br />

Burda Media“ erfuhr Stage Entertainment<br />

einen Dämpfer. So plante der Musicalproduzent<br />

und -veranstalter einen<br />

musikalischen Showbeitrag von „Kinky<br />

Boots“, passend zu einem möglichen<br />

Sonderpreis für Cindy Lauper bei der<br />

Bambi-Preisverleihung 2017. Die Idee<br />

erfuhr von jeder Instanz Ablehnung,<br />

bis eine eindeutige Antwort vom „Burda“-Verlagschef<br />

höchstpersönlich kam:<br />

„Herr Jaekel, das ist uns zu schwul, das<br />

ist uns zu jenseits der Gesellschaft,<br />

damit gefährde ich die Quote, sowas<br />

zeig’ ich nicht.“ Trotz des negativen<br />

Gegenwinds steht „Stage“ weiterhin<br />

zu der Botschaft des Stücks und stellt<br />

Überlegungen an, ob die Show auf Tour<br />

durch Deutschland, Österreich und die<br />

Schweiz gehen soll.<br />

Gesellschaftlich umstritten<br />

Wie sich der wachsende Drag-Content<br />

auf die Gesellschaft ausgewirkt hat,<br />

lässt sich nicht klar beantworten. Auch<br />

die ExpertInnen sind sich uneinig. Taç<br />

Romey sieht eine steigende Akzeptanz<br />

vor allem bei jungen Menschen, andererseits<br />

merke man in der Gesellschaft<br />

auch einen „weltweiten Ruck Richtung<br />

Konservatismus“, sodass auch LGBTs<br />

unterdrückt werden – die Entwicklungen<br />

gingen komplett konträr: „Je mehr<br />

Akzeptanz da ist, desto größere Reaktionen<br />

scheint diese Aktion auszulösen,<br />

was ich mit Bedauern weltweit<br />

beobachte.“ Musicals mit Drag-Inhalten<br />

begeisterten das Publikum, konnten<br />

jedoch anscheinend die Gesellschaft<br />

nicht nachhaltig mitreißen. „Wir haben<br />

es nur teilweise geschafft“, resümiert<br />

Jaekel.<br />

Einer anderen gelingt es jedoch sehr<br />

wohl. „Ich glaube, es ist gerade eine<br />

Zeit, in der genau das Thema Drag mit<br />

all seinen Facetten und Hintergründen<br />

sehr spannend für die Gesellschaft ist.<br />

Natürlich hat es auch etwas damit zu<br />

tun, was in der breiten Masse noch nicht<br />

vollkommen abgelutscht ist.“ Denn, so<br />

die Gallionsfigur der Drag-Szene Tamara<br />

Mascara pointiert: „Heute kannst du<br />

deinen Punk Style komplett bei H&M<br />

shoppen, schwul zu sein ist so gut wie<br />

normal, Drag Queens sind irgendwie<br />

noch geheimnisvoll und faszinierend“.<br />

Droht uns Biedermeier als neuer Punk?<br />

von Nicolas Hofbauer<br />

Drag Queens als Content Trend<br />

35


Kinderfilme als Geburtsstätten<br />

von Stereotypen<br />

Sie sind entweder die schlanken Prinzessinnen mit den langen Haaren,<br />

die darauf warten von ihren Prinzen gerettet zu werden, oder die<br />

tollkühnen Helden, deren Mut sie Unglaubliches tun lässt: die Vorbilder<br />

in Kinderfilmen. Wie weibliche und männliche Charaktere dargestellt<br />

werden und wie dies durch Kinder wahrgenommen wird,<br />

erläutert <strong>SUMO</strong> im Interview mit Raphaela Kohout vom Verein jugendkulturforschung.de<br />

und Wolfgang B. Ruge, Experte für Medienpädagogik.<br />

© Copyright: pexelsW/Susanne Jutzeler<br />

Die Prinzessinnen-Filme von Disney<br />

werden in 3 Abschnitte eingeteilt: die<br />

klassische Ära (1937-1959), die Renaissance-Ära<br />

(1989-1999) und die<br />

Neuzeit-Ära (ab 2009). In einer quantitativen<br />

Studie von Carmen Fought<br />

(Pitzer College, Kalifornien) und Karen<br />

Eisenhauer (North Carolina State University)<br />

aus dem Jahr 2016 wurden<br />

diese Filme linguistisch auf ihre Geschlechterdarstellungen<br />

und historischen<br />

Unterschiede hin analysiert. Obwohl<br />

bei allen Filmen der Neuzeit-Ära<br />

die HauptprotagonistInnen weiblich<br />

sind, ist der Großteil der Charaktere<br />

männlich. Weiters wurde festgestellt,<br />

dass Frauen in den Filmen überwiegend<br />

Komplimente für ihr Aussehen,<br />

aber nicht etwa für ihre Stärken oder<br />

herausragenden Eigenschaften bekommen.<br />

„Weibliche Filmfiguren werden<br />

heutzutage noch lange nicht so vielfältig<br />

dargestellt, wie es bei männlichen<br />

der Fall ist“, erläutert Raphaela Kohout,<br />

Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

bei jugendkulturforschung.<br />

de. Ginge es um männliche Darsteller,<br />

so würden diesen oftmals eine breite<br />

Palette an heldenhaften Charaktereigenschaften<br />

zugeschrieben, während<br />

sich die weiblichen Heldinnen immer<br />

mehr mit der Rolle in einer Romanze<br />

abfinden müssen. Dies lässt sich auch<br />

durch die Ergebnisse einer Studie von<br />

Fought und Eisenhauer aus dem Jahr<br />

2011 („Gender Role Portrayal and the<br />

Disney Princesses“) bestätigen. Doch<br />

man dürfe auch Disney-Filme nicht als<br />

die alleinigen „Bösen“ darstellen, da es<br />

auch hier schon Tendenzen gegen diese<br />

typischen „Disney-Stereotype“ gebe.<br />

Der Film „Mulan“ etwa stellt die Hauptfigur<br />

als eine mutige Kämpferin dar, deren<br />

Handlungsdrang und Hauptaugenmerk<br />

nicht durch eine Liebesgeschichte<br />

geprägt wird. Eine weitere Erkenntnis<br />

betrifft die Darstellung von HeldInnen<br />

und AntiheldInnen in Disney-Filmen.<br />

Während die HeldInnen, egal welches<br />

Geschlechts, immer als schön und begehrenswert<br />

beschrieben werden, sind<br />

die AntiheldInnen oftmals hässlich repräsentiert.<br />

Für Raphaela Kohout ist<br />

dies ein zwiespältiges Thema: „Solche<br />

Darstellungen helfen den Kindern, zwischen<br />

‚Gut’ und ‚Böse’ zu unterscheiden.<br />

Gut steht für schön, während hässlich<br />

mit Böse assoziiert wird. Jedoch gibt<br />

es in der Realität weit mehr Kriterien,<br />

welche über Gut und Böse entscheiden<br />

als das Aussehen.“ Auch was die Berufe<br />

der Charaktere betrifft, gebe es Unterschiede.<br />

So würden die Erwerbstätigkeiten<br />

der männlichen Charaktere viel<br />

ausführlicher dargestellt, während die<br />

Berufe der weiblichen Darsteller kaum<br />

genannt würden. „Die Genderrollen und<br />

Stereotype sind heutzutage anders als<br />

in den 50er- und 60er-Jahren. Der sorgende<br />

Hausmann und die erfolgreiche<br />

Karrierefrau sind hierbei relativ neu.“<br />

Filme seien laut Wolfgang B. Ruge, der<br />

sich in seinem Dissertationsprojekt<br />

mit Bildungspotenzialen im Kinderfilm<br />

auseinandersetzt, der Zeit voraus und<br />

könnten schnell die gesellschaftlichen<br />

Genderrollen widerspiegeln. Gehe es<br />

um die Charaktere, ist sich Ruge sicher,<br />

dass Hauptcharaktere immer etwas<br />

schematisch gezeigt würden, daher<br />

neigten sie auch dazu Stereotype abzubilden.<br />

Die Begründung hierfür findet<br />

er in der Dauer des Filmes. Da dessen<br />

Handlung in rund eineinhalb Stunden<br />

abgeschlossen sei, ginge es nicht, die<br />

Rollen so vielfältig und komplex zu gestalten,<br />

wie es zum Beispiel bei Serien<br />

möglich sei. Bei Familienbildern werde<br />

jedoch nicht immer nur der „Standard“<br />

gezeigt, in klassischen Märchen und<br />

Kinderfilmen würden Scheidungen und<br />

Patchwork-Familien thematisiert.<br />

Auf der Suche nach Vorbildern<br />

Besonders für Kinder bieten die für ihre<br />

Altersgruppen ausgerichteten Filme ein<br />

hohes Potenzial, Identifikationsrollen<br />

zu erzeugen. „Kinder probieren sich in<br />

den Rollen aus, die sie sehen und wollen<br />

das Geschlecht, mit dem sie sich<br />

selber identifizieren, so verkörpern, wie<br />

es ihnen übermittelt wird“, so Kohout.<br />

Da Kinderfilme einen wichtigen Teil für<br />

die Moralbildung ihrer Zielgruppe dar-<br />

36<br />

Kinderfilme Thema als Geburtsstätten von Stereotypen


stellen, wäre es wichtig, reale Bilder auf den<br />

Leinwänden zu sehen, bei denen die Charaktere<br />

vielfältiger präsentiert werden, und nicht<br />

nur in Form von Stereotypen. Jedoch könne<br />

man Kinderfilme nicht als einzigen Maßstab<br />

nehmen, wenn es um Vorbilder geht. „Kinderfilme<br />

können die Richtung vorgeben, sind jedoch<br />

nicht die alleinige Orientierung, denn sie<br />

spiegeln Gesellschaften wider“, so Wolfgang<br />

B. Ruge. Dies sehe man daran, wie Frauen in<br />

unserer Gesellschaft als die „Sozialen“ dargestellt<br />

werden, Männer als die Techniker.<br />

Raphaela Kohout<br />

Copyright: Elisabeth Hornberger<br />

Die Produktion von Stereotypen<br />

Es wäre also falsch zu sagen, dass Kinderfilme<br />

der Ursprung von Stereotypen sind.<br />

Doch auch Spielzeughersteller gehen gezielter<br />

als früher bei der Differenzierung vor und<br />

dies wirke sich auch auf die Medienwelt aus.<br />

„Wenn man heute in ein Spielzeuggeschäft<br />

geht, ist klar gekennzeichnet, was für Mädchen<br />

und was für Buben gedacht ist. Selbst<br />

Lego hat nun eine eigene Reihe für Mädchen<br />

kreiert“, konstatiert Raphaela Kohout. Da sie<br />

besonders bei Mädchenspielzeug bemerke,<br />

wie Spielzeuge auf Mädchen ausgerichtet<br />

sind, nämlich auf „Haushalt führen“ und „sich<br />

hübsch herzurichten“, sieht sie Parallelen zu<br />

Kinderfilmen. „Mädchen bekommen vorwiegend<br />

Pflegeaufgaben vorgeschrieben. In Filmen<br />

sieht man oftmals die fürsorgliche Mutter,<br />

die ihren Alltag im Haushalt bestreitet.<br />

Dies wird wiederum auf den weiblichen Nachwuchs<br />

übergetragen“. Wolfgang B. Ruge sieht<br />

auch noch andere Faktoren, die die Bildung<br />

typischer Geschlechterrollen beeinflussen:<br />

„Einer davon ist alles, was Medien betrifft,<br />

zum Beispiel Film oder ‚YouTube’-Stars. Was<br />

typische Geschlechterrollen sind, wird durch<br />

die große Anzahl an medialen Angeboten geprägt.“<br />

Da Medien überwiegend kommerzielle<br />

Angebote sind, schaffe Werbung einen Bedarf,<br />

der eigentlich nicht existiere. Es scheint<br />

erfolgreicher zu sein, genderspezifische Angebote<br />

zu schaffen als genderneutrale.<br />

Film und Medien generell spiegeln nur die<br />

Vorstellungen und Wahrnehmungen der Gesellschaft<br />

wider und wollen diese als Tatsachen<br />

repräsentieren. „In unserer Gesellschaft<br />

wird viel von Kindern und Jugendlichen erwartet.<br />

Das Mädchen soll die Rolle der selbstbewussten<br />

Frau schon früh an sich nehmen und<br />

Buben müssen stark sein“, erläutert Raphaela<br />

Kohout. Sie schließt mit einer provokanten<br />

These: Am besten wäre es, schon im Kindergartenalter<br />

jedem Geschlecht Klischees vom<br />

anderen Geschlecht zu übertragen. Was ist<br />

gegen blau gekleidete Technikerinnen zu sagen?<br />

von Stefanie Brandstetter<br />

Wolfgang B. Ruge<br />

Copyright: privat<br />

Kinderfilme als Geburtsstätten von Stereotypen Thema<br />

37


Superheldinnen in Film und<br />

Comic als Ausnahme der Norm<br />

Warum sehen wir in Filmen kaum Superheldinnen? <strong>SUMO</strong> diskutierte darüber<br />

mit der Comic-, Medien-und Gender-Forscherin Véronique Sina (Universität<br />

zu Köln) und mit einem weiblichen Fan.<br />

Krach. Der Hubschrauber fliegt gegen<br />

eine Stromleitung und stürzt in die Tiefe.<br />

Die Frau fällt aus dem Hubschrauber.<br />

Sie schafft es noch, sich mit all ihren<br />

Kräften an den Kufen festzuhalten. Ihre<br />

Füße baumeln in der Luft, ihr Griff wird<br />

immer schwächer, sie kann sich nicht<br />

mehr halten, sie gibt der Schwerkraft<br />

nach, sie fällt. Wie aus dem Nichts fliegt<br />

ihr „Superman“ entgegen und bewahrt<br />

sie vor dem sicheren Tod.<br />

Lena (23, Name geändert) zuckt zusammen<br />

und atmet dann erleichtert auf. Ein<br />

Grinsen macht sich auf ihrem Gesicht<br />

breit. „Eine meiner Lieblingsszenen von<br />

allen Superhelden-Filmen“, schwärmt<br />

sie, als wir uns gerade die Schlüsselszene<br />

von „Superman the Movie“ aus dem<br />

1978 ansehen. Der Raum ist dunkel, es<br />

riecht nach Popcorn, die einzige Lichtquelle<br />

ist der Fernseher, aus dem uns<br />

ein perfekt gestylter Mann mit blauen<br />

Augen, rotem Cape und ausgestreckten<br />

Händen entgegenfliegt. Superman. Der<br />

Mann als Retter, die Frau als Opfer.<br />

Vom Stillstand zur Bewegung<br />

Comics und Filme weisen einige Gemeinsamkeiten<br />

auf. Aus dem Artikel<br />

„Comics Journalism“ von Florian Hohmann<br />

und Filiz Erkal geht hervor, dass<br />

sowohl der Comic als auch der Film vereint<br />

sind unter dem Begriff „Sequenzielle<br />

Kunst“, den der Comic-Künstler<br />

Will Eisner geprägt hat. Denn für beide<br />

Medien sind Sequenzen konstitutiv, die<br />

durch das Prinzip der Induktion verbunden<br />

werden. Ein Comic besteht nicht<br />

nur aus einem Bild wie ein Cartoon oder<br />

eine Karikatur, sondern aus einer Aneinanderreihung<br />

von Bildern, die eine<br />

gewisse Zeitspanne beschreiben sollen.<br />

Die besagte Induktion bei Comics ist<br />

der Prozess der Wissensproduktion der<br />

LeserInnen, die den Leerraum zwischen<br />

den Bildern auf Basis ihres Vorwissens<br />

füllen. Wolfgang B. Ruge und Christian<br />

Swertzerklären in ihrem Aufsatz „Film“<br />

(Sammelband „Grundbegriffe Medienpädagogik“),<br />

dass der Film aus einer<br />

Aneinanderreihung von Einzelbildern<br />

besteht, der aus 16 bzw. 24 Bilder pro<br />

Sekunde wiedergegeben wird. Beim<br />

Film kann unter Induktion folgendes<br />

verstanden werden: Es werden verschiedene<br />

Szenen nacheinander abgespielt<br />

und der/die ZuseherIn erkennt<br />

die Nachricht, die die/der Filmschaffende<br />

übermitteln möchte; z.B. ein Messer,<br />

eine schreiende Frau und Blut bedeuten,<br />

dass ein Mord begangen wurde.<br />

Wie kommt man nun vom Comic zum<br />

Film? Schon seit geraumer Zeit werden<br />

literarische Werke filmisch adaptiert.<br />

Mit „The Green Hornet“ wurde der erste<br />

Comic in die gleichnamige Film-Serie<br />

transferiert. Seitdem wurden unzählige<br />

Superhelden-Filme und -Serien auf Basis<br />

von Comics geschaffen.<br />

© Copyright: pexels/freestocks.org<br />

38<br />

Thema Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm


Faszination Superheld<br />

„Ich habe immer schon Superhelden-Filme<br />

geschaut. Als ich kleiner war,<br />

durfte ich immer heimlich länger munter<br />

bleiben und mit meinem Papa solche<br />

Filme gucken. Mama wusste nie etwas<br />

davon. Da bin ich mir selbst wie einekleine<br />

Superheldin vorgekommen. Und<br />

heute mag ich sie natürlich auch noch<br />

immer und ich werde sie sicher weiterhin<br />

schauen“, erzählt Lena. Auf die Frage,<br />

ob diese Filme nicht nur etwas für<br />

Kinder sind: „Nein, sind sie nicht. Die<br />

meisten Superhelden-Filme,die ich gesehen<br />

habe, sind viel zu brutal und beschäftigen<br />

sich mit Themen, mit denen<br />

Kinder nichts anfangen können.“ Denn<br />

ursprünglich waren Comics für Kinder<br />

gedacht. Robin S. Rosenberg konstatiert<br />

in „Our Superheroes, Ourselves“,<br />

dass erst mit dem Film„Superman“ alle<br />

Altersgruppen angesprochen wurden.<br />

Eine Frau oder ein Mann in einem bunten<br />

Kostüm? Da stellt sich die Frage,<br />

warum sowohl Kinder als auch Erwachsene<br />

sich solche Filme ansehen bzw.<br />

die Comics lesen. Laut Véronique Sina<br />

sei das Superhelden-Genre zwar sehr<br />

speziell, aber es bringe eine sehr große<br />

Vielfalt mit sich. Es besitze eine hohe<br />

Spannbreite, um die verschiedensten<br />

Altersgruppen zu erreichen. Allerdings<br />

gebe es auch Comics, die sich primär<br />

an eine erwachsene Leserinnenschaft<br />

richten, wie z.B. „Watchman“. Auch<br />

Superhelden-Filme werden oft und<br />

gerne von Erwachsenen rezipiert. Diese<br />

wecken oft ein Nostalgiegefühl bei<br />

Menschen, die diese Filme und Comics<br />

schon im jungen Alter rezipiert hatten.<br />

Wenn sie im Kino gesehen werden, ist<br />

der Film die einzige Konzentrationsquelle,<br />

daher kann die Fantasiewelt der<br />

Kindheit wieder erlebt werden.Weiters<br />

sind alle Superhelden-Filme immer<br />

ähnlich, und es ist irrelevant, wie die<br />

Handlung verläuft, die ZuseherInnen<br />

wissen, dass der Superheld wieder alles<br />

in Ordnung bringt. Natürlich passen<br />

sich die Qualität des Films und auch die<br />

Charakteristika der HeldInnen auch an<br />

die Zeit an, sodass diese realistischer<br />

wirken. Damit sich jede Person aus<br />

dem Publikum mit einer Superheldenfigur<br />

identifizieren kann, wurden extrem<br />

viele erschaffen, die unterschiedliche<br />

geschichtliche Hintergründe und moralische<br />

Ansichten haben.<br />

Sexappeal statt Köpfchen<br />

„Ein starker, muskulöser, gutaussehender<br />

Mann, der irgendeine Art übernatürliche<br />

Kraft hat“, schwärmt Lena<br />

auf die Frage, wiedenn ein typischer<br />

Superheld aussehe. „Warum denn nicht<br />

weiblich? Es gibt auch weibliche Superhelden“,<br />

hake ich nach. „Naja, weil du<br />

nach dem typischen Helden gefragt<br />

hast und der ist nun mal männlich, machen<br />

wir uns nichts vor“, antwortet sie<br />

und sie hat Recht. Weibliche Superhelden<br />

sind die Ausnahme statt der Norm.<br />

In welchen Rollen ist dann die Frau zu<br />

finden? Laut einer Studie von Hillary<br />

Pennell und Elizabeth Behm-Morawitz<br />

(„The Empowering (Super) Heroine? The<br />

Effects of Sexualized Female Characters<br />

in Superhero Films on Women“)<br />

werden Frauen –unabhängig von ihrer<br />

Rolle –in Filmen meist extrem sexualisiert<br />

dargestellt. Sogar in jugendfreien<br />

Filmen und Serien steht bei Frauen die<br />

Sexualisierung durch ihre oft kurvigen<br />

Figuren und aufreizende Kleidung<br />

weiter im Vordergrund als deren Charakter.<br />

Véronique Sina konstatiert im<br />

Gespräch mit <strong>SUMO</strong>, dass sich diese<br />

Aussage auch auf Comics übertragen<br />

lasse. Denn Comicsseien schon über<br />

einen langen Zeitraum auf dem Markt<br />

und im Laufe der Jahre hätten sich die<br />

Rollen durch die verschiedenen ZeichnerInnen<br />

und AutorInnen durchaus<br />

verändert. Zu den typischen weiblichen<br />

Rollen zählen laut Sina Nebenrollen wie<br />

z.B. das Opferoder die Schurkin,und die<br />

Liebesbeziehung. Wobei man zwischen<br />

der verführerischen Frau, die Gefahr mit<br />

sich bringt oder der potentiellen Geliebten<br />

unterscheiden müsse. Letzteretreffe<br />

man häufig in Comics an, denn der<br />

scheinbar unnahbare Superheld würde<br />

durch die Beziehung zu einer Frau zwar<br />

einerseits verwundbarer, gleichzeitig<br />

aber auch menschlicher werden. Darüber<br />

hinaus liefert das weibliche Opfer,<br />

welches immer wieder aus lebensbedrohlichen<br />

Situationen gerettet werden<br />

muss, einen wichtige Motivator für die<br />

serielle Narration.<br />

„Wonder Woman“ lebt!<br />

Es begann wie bei fast allen Superhelden-Filmen<br />

mit einer Comicvorlage.<br />

„Wonder Woman“ ist eine Amazonenprinzessin,<br />

die unter Frauen auf der<br />

Insel Themyscira aufgewachsen ist<br />

und in der Zivilisation für Gerechtigkeit<br />

kämpft. Im Artikel „the new wonderwoman“<br />

von Cory Albertson geht hervor,<br />

dass sie die älteste Superheldin und<br />

eine der ältesten SuperheldInnen allgemein<br />

ist. 1941 wurde sie von dem<br />

Psychologen William Moulton Marston<br />

ins Leben gerufen. Als „stark wie Herkules“,<br />

„weise wie Athene“ und „schön<br />

wie Aphrodite“ wird sie im Comic beschrieben.<br />

Sie stand schon immer für<br />

starke, freie und mutige Weiblichkeit.<br />

In den Comics wurde besonders durch<br />

Symbole wie Fesseln oder Schlägen die<br />

ungleiche Behandlung von Frauen und<br />

Männern in der Gesellschaft ausgedrückt.<br />

Die Szenen nahmen allerdings<br />

überhand, sodass der Co-Autor Marston<br />

eine Nachricht schicken musste,<br />

in der er bat, die Fesselszenen um 50-<br />

70% zu reduzieren. In den 1990er-Jah-<br />

Der fliegende Star<br />

Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Thema Norm<br />

Ihrer Veranstaltung! 39


en jedoch hatte „Wonder Woman“ laut<br />

Sina eine große Oberweite, lange Beine<br />

und eine schmale Taille. Daraus wird<br />

ersichtlich, dass die ZeichnerInnen die<br />

Darstellungsformen, wie zuvor erwähnt,<br />

oft geändert haben. Ihre ersten richtigen<br />

Filmauftrittehatte sie in „Batman<br />

vs. Superman –Dawn of Justice“ (2016),<br />

ehe sie 2017 ihren eigenen Film bekam.<br />

Es hätte ewig gedauert, bis endlich eine<br />

weibliche Protagonistin einen eigenen<br />

Blockbuster bekommen hat, obwohl der<br />

Comic gleich erfolgreich war wie Batmanund<br />

Co., erklärt Sina. Nicht nur die Figur<br />

„Wonder Woman“ selbst zeigt, dass<br />

Frauen mindestens genauso viel auf<br />

dem Kasten haben wie Männer, sondern<br />

auch hinter der Kamera hält das erste<br />

Mal eine Frau –Patty Jenkins –das Ruder<br />

bei der Verfilmung einer Comicadaption.<br />

Für Sina spiegeln sich im Film die klassischen<br />

„Wonder Woman“-Comics des<br />

Golden Ageswider. Denn die Protagonistin<br />

trete für Liebe und Empathie ein,<br />

was wiederum stereotypische weibliche<br />

Eigenschaften seien. Außerdem möchte<br />

sie alle Menschen zum Guten bekehren<br />

und zu besseren Menschen machen,<br />

was dieses Statement wiederum unterstreicht.<br />

Weiters meint Sina, dass „Wonder<br />

Woman“ den typischen Schönheitsidealen<br />

entspreche, kurze Kleidung und<br />

sogar hohe Absätze trage. „Es gibt keinen<br />

Grund, warum diese Amazonenprinzessin<br />

Absätze braucht, aber sie trägt sie<br />

trotzdem“, stellt sie fest.<br />

Das Publikum sagt...<br />

Auch Lena war eine der begeisterten<br />

Fans, die sich um eine Kartefür die Kinopremiere<br />

bemühten. Mit drei anderen<br />

FreundInnen sah sie sich im Juni 2017<br />

den Film an und wurde in ihren Erwartungen<br />

nicht enttäuscht. Sie erinnert<br />

sich: „Ich bin immer noch begeistert.<br />

Der Film war super. Nachdem ich diesen<br />

Film gesehen habe, dachte ich, dass ich<br />

einfach alles machen kann.“ Das Publikum<br />

von Superhelden-Comics und -Filmen<br />

besteht jedoch zum größten Teil<br />

aus männlichen Zuschauern. Dies ist<br />

ein Grund, warum Superhelden männlich<br />

sind und Frauen so schön wie möglich<br />

dargestellt werden. Allerdings sei<br />

das nicht der Hauptgrund, so Sina. „Es<br />

werden Stereotype und Darstellungsklischees<br />

aufgegriffen, die in unserer<br />

Gesellschaft schon ewig kursieren.“ Das<br />

Bild „Mann tritt eine Heldenreise an und<br />

wird mit Liebe von Frau belohnt“ gebe es<br />

schon seit Odysseus. Außerdem werde<br />

dem Zielpublikum auch immer das Gleiche<br />

vorgesetzt, so hätte es auch keine<br />

Chance,sich etwas anderes zu wünschen.<br />

Doch wie reagieren Männer darauf,<br />

wenn plötzlich eine Frau als Superheldin<br />

im Mittelpunkt steht? Es wird von<br />

den Produzenten natürlich erhofft, dass<br />

auch das männliche Publikum mit dem<br />

Film „Wonder Woman“ erreicht wird,<br />

weil sie hübsch anzusehen ist. Sina erklärt<br />

an dem Beispiel „Ghost Busters“,<br />

dass es nach dem Kinostart negative<br />

Kritiken hagelte, denn männliche Fans<br />

meinten, dass ihnen ihre Kindheitshelden<br />

genommen wurden. Das kippe<br />

ganzschnell in eine antifeministische<br />

Haltung, die gefährlich sein könne. Auch<br />

in der Comic-Kultur ist das schon lange<br />

gang und gebe. Wenn Zeichnerinnen gewisse<br />

Dinge ändern oder neue weibliche<br />

Charaktere hinzufügen, werden sie dafür<br />

oft von ihren Lesern angefeindet. Trotzdem<br />

konnte „Wonder Woman“ überzeugen<br />

und ProduzentInnen in Hollywood<br />

sahen, dass auch Filme mit Frauen in der<br />

Hauptrolle hervorragend beim Publikum<br />

ankommen. Nicht zuletzt deshalb wurde<br />

„Captain Marvel“ mit einer Superheldin<br />

an vorderster Front gedreht, im März<br />

2019 soll er Premiere feiern –und Zuseher<br />

wie Zuseherinnen anlocken.<br />

Véronique Sina<br />

Copyright: Michael Sina<br />

von Kristina Wagner<br />

© Copyright: pexels/freestocks.org<br />

40<br />

Thema Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm


Geschlechterbilder religiöser Printmedien<br />

Religion gilt oft als konservativ – so auch religiöse Medien. <strong>SUMO</strong> blickt hinter dieses Klischee und interviewte Matthäus<br />

Fellinger, Chefredakteur der „Kirchen Zeitung”, und Christine Haiden, Chefredakteurin der Monatszeitschrift<br />

„Welt der Frauen”.<br />

„Religion ist veraltet“, lautet eine vor allem<br />

bei jungen Menschen weit verbreitete<br />

Ansicht. Mit „veraltet“ ist hierbei auch<br />

das Geschlechterverhältnis gemeint. Ob<br />

mangelnder Gleichberechtigung könnte<br />

man oberflächlichauch darauf schließen,<br />

dass religiöse oder von religiösen Institutionen<br />

herausgegebene Medien der<br />

Frau weniger Beachtung schenken als<br />

dem Mann.<br />

Rolle der Frau in der Religionsgeschichte<br />

Um sich diesem Thema fundiert zu nähern,<br />

ist ein Blick auf genderbasierte<br />

Analysen von Religion unerlässlich. Laut<br />

dem „Handbuch Religionssoziologie“<br />

(Pollack et al. 2018) seien Religionen in<br />

ihren Ansichten lange Zeit als unantastbare<br />

Ideale gehalten worden, dementsprechend<br />

wurde auch die Geschlechterungleichheit<br />

in allen Bereichen des<br />

gesellschaftlichen Lebens durchgesetzt.<br />

Das typische Bild der Frau bis etwa<br />

1800 sei von Ehe und Haushalt geprägt<br />

geworden, bevor die Geschlechterungleichheit<br />

neu gerahmt wurde. Frauen<br />

versuchten sich religiös zu engagieren<br />

und suchten in der Religion nach Erfüllung<br />

neben dem Haushalt. So entstanden<br />

im 19. Jahrhundert religiöse Frauenbewegungen,<br />

man spreche gar von der<br />

Feminisierung von Religion. Gleichzeitig<br />

jedoch setzte der Bedeutungsrückgang<br />

der Religion ein. Frauen stellten sogar<br />

weltweit die Mehrheit in Missionsbewegungen,<br />

aber die Kirche wurde dadurch<br />

nicht weiblicher. Es bildete sich vielmehr<br />

ein Ort maskuliner Domäne. Auch wenn<br />

mehr Frauen mitwirkten als zuvor, blieben<br />

ihnen Machtpositionen verwehrt,<br />

teilweise sogar bis heute. Im 20. Jahrhundert<br />

forderten Frauen den Zugang<br />

zu religiöser Bildung und auch berufliche<br />

Teilhabe in der Religionsgemeinschaft.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in<br />

der katholischen Kirche die Debatte zur<br />

geschlechtlichen Teilung in der kirchlichen<br />

Organisation erneut entfacht,<br />

wodurch Frauen Zugang zu gewissen<br />

geistlichen Ämtern gewährt wurde. Im<br />

evangelischen Kontext sei man einen<br />

Schritt voraus, hier sind Frauen den<br />

Männern auf allen Ebenen des kirchlichen<br />

Lebens gleichgestellt. Der Wandel<br />

religiöser Geschlechterverhältnisse<br />

werde allerdings noch unterschätzt, da<br />

einerseits die Geschlechterforschung die<br />

Religion ausklammere und die Religionssoziologie<br />

die Geschlechterforschung<br />

ausblende. Durch religiöse Symbolisierung<br />

und kulturelle Bräuche sei ein sehr<br />

konservatives Geschlechterbild trotzdem<br />

noch in den Köpfen vieler BürgerInnen.<br />

Laut M. J. Neitz könne Religion aber<br />

nur verstanden werden, wenn man sie<br />

als orts-und zeitabhängig betrachte. Die<br />

geschlechtlichen Ansichten in der Religion<br />

variieren also.<br />

Was zählt,<br />

sind die Menschen.<br />

Entweder, oder? Ich will alles.<br />

Johannes, 24 Jahre<br />

Teile deinen persönlichen #glaubandich Moment auf:<br />

Geschlechterbilder regligiöser Printmedien<br />

Thema<br />

41


Vielfalt der religiösen Medien<br />

Mindestens so vielfältig wie die Ansichten<br />

sind, sind es auch die religiösen<br />

Medien in Österreich. Angefangen beim<br />

ORF, der durch einen gesetzlichen Auftrag<br />

über eine eigene „Hauptabteilung<br />

Religion“ sowohl im Radio als auch Fernsehen<br />

verfügt, zeigt sich bereits der nach<br />

wie vor hohe Stellenwert von Religion<br />

im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es<br />

gibt regelmäßige Religionssendungen in<br />

Radio und TV, auch eine Vielzahl von Gottesdiensten<br />

wird übertragen. Neben dem<br />

ORF veröffentlichen auch eine große<br />

Menge an katholischen Medien Beiträge.<br />

Neben vielen Zeitungen und Zeitschriften<br />

verbreiten auch die beiden freien<br />

Radiosender „radio klassik Stephansdom“<br />

und „Radio Maria“ den christlichen<br />

Glauben. Auch andere Religionen publizieren<br />

Printmedien in Österreich, wie das<br />

jüdische Stadtmagazin „wina“ oder „Der<br />

Wachtturm“ und „Erwachet!“ der Zeugen<br />

Jehovas zeigen.<br />

„KirchenZeitung“ und ihre Geschlechterbilder<br />

Jedes Bundesland verfügt über eine eigene<br />

katholische Diözese, die jeweils eine<br />

wöchentlich erscheinende Kirchenzeitung<br />

publiziert. Matthäus Fellinger, Chefredakteur<br />

der „KirchenZeitung“ der Diözese<br />

Linz, gibt <strong>SUMO</strong> einen Einblick in die<br />

Geschlechterstruktur der auflagenmäßig<br />

zweitstärksten Kirchenzeitung Österreichs.<br />

Laut Fellinger gab es früher eine<br />

Art von Ressort, das speziell Frauen gewidmet<br />

war, aber nun versuche man als<br />

gendergerechte Zeitung in allen Themen<br />

die Anliegen beider Geschlechter zum<br />

Ausdruck zu bringen. „Ich möchte jetzt<br />

nicht behaupten, dass wir da besonders<br />

gut sind, denn wir sind nach wie vor ein<br />

Abbild der Realität“. Durch die geringe<br />

Zahl an Frauen in verantwortlichen Positionen<br />

sei die katholische Kirche einfach<br />

zu männerlastig. Dieses Problem sei ein<br />

wechselwirkendes. „Die Weltkirche ist<br />

[bei den Ämtern] noch nicht mutig genug.<br />

Wenn aber Beiträge auftreten, die<br />

dies einmahnen, sind die Widersprecher<br />

unter Frauen und Männern gleich zu finden“,<br />

meint Fellinger. Das geschlechtliche<br />

Gleichgewicht in der Redaktion sei auch<br />

ein wichtiges Anliegen der „KirchenZeitung“:<br />

„In der Redaktion sind wir drei<br />

Männer und drei Frauen. Wenn eine Frau<br />

ausscheidet, wird versucht, die Position<br />

wieder mit einer Frau zu besetzen, da<br />

dies enorm wichtig für die Blickwinkel<br />

einer Zeitung ist“.<br />

„Welt der Frauen“ in einer Zeit der<br />

Emanzipation<br />

Die katholische Zeitschriftenlandschaft<br />

in Österreich verfügt über eine enorme<br />

Vielfalt. Neben unterschiedlichsten Kultur-,<br />

Ordens-oder Missionszeitschriften<br />

sticht das Magazin „Welt der Frauen“,<br />

herausgegeben von der katholischen<br />

Frauenbewegung (kfb), hervor mit einer<br />

Auflage von rund 50.000 Exemplaren.<br />

Chefredakteurin Christine Haiden beantwortet<br />

<strong>SUMO</strong> Fragen zum Umgang mit<br />

Geschlechterdifferenzen. Das Monatsmagazin<br />

versuche Frauen als „eigenständige,<br />

selbstbestimmte Menschen zu<br />

sehen, die sich nicht in Abhängigkeit von<br />

jemand anderen definieren“. Die „Welt<br />

der Frauen“ fokussierte zwar schon immer<br />

Frauen, aber die Frau durfte den Titel<br />

des Magazins erst seit 1964 schmücken.<br />

Gegründet 1946 als „Licht des Lebens“<br />

sollten Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

„aus einem kirchlichen Milieu heraus<br />

zu den Trägerinnen einer neuen Wertewelt<br />

gemacht werden“, erklärt Haiden.<br />

Als Erzieherinnen der nächsten Generationen<br />

seien neue Werte abseits des Zerstörerischen<br />

essentiell gewesen. „In den<br />

1960er Jahren sind die Frauen mehr ins<br />

gesellschaftliche Leben integriert worden,<br />

weshalb die Umbenennung auf ‚Welt<br />

der Frau‘ geschah. Die Frauen begannen<br />

sehr stark mit einer eigenen Entwicklung,<br />

auch in der Religion“, führt die Chefredakteurin<br />

aus. Das katholische Milieu habe<br />

sich jedoch sehr spät mit diesen Fragen<br />

Christine Haiden<br />

Copyright: Alexandra Grill<br />

Matthäus Fellinger<br />

Copyright: KirchenZeitung - Franz Litzlbauer<br />

42<br />

Geschlechterbilder Thema<br />

religiöser Printmedien


auseinandergesetzt, da es zu patriarchalisch<br />

geprägt war. Die 2018 erfolgte Umbenennung<br />

auf „Welt der Frauen“ solle die Abgrenzung<br />

von Frauen in einer eigenen Welt<br />

nicht mehr länger suggerieren. „Durch die<br />

Emanzipation ist die Rollenvielfalt von Frauen<br />

sehr groß geworden, weshalb den Frauen<br />

nun ganz viele Welten offen stehen und das<br />

wollten wir mit dem Titel auch vermitteln“,<br />

so Haiden. Beim Umgang mit sensiblen Themen<br />

im Bereich der Geschlechterungleichheit<br />

sei die „Welt der Frauen“ ein Sprachrohr<br />

für Frauen: „Unser erster Zugang ist, dass<br />

die Frauen für sich selbst sprechen können.<br />

Unsere Aufgabe ist noch Unbekanntes, das<br />

vielleicht emotional noch Abwehr auslöst, zu<br />

erzählen.“ Das Ziel sei auch, zögerliche Frauen<br />

zu motivieren, etwas zu tun. Die „Welt der<br />

Frauen“ werde auch von Männern gelesen,<br />

der Anteil betrage rund 25% der LeserInnen.<br />

Hass empfinge die Welt der Frauen kaum,<br />

Kritik sei „immer innerhalb des normalen<br />

Diskussionsrahmen“.<br />

Ausgang der Genderdebatte<br />

Christine Haiden sieht die Genderthematik<br />

in der Medienlandschaft Österreichs nicht<br />

allzu problematisch. „Wie ich das einschätze,<br />

ist die Reflexion über das Genderthema<br />

in Medienbereichen nicht größer wie sonst<br />

irgendwo. Es gibt bei vielen Männern eine<br />

massive emotionale Abwehr gegen dieses<br />

Thema, da Feminismus oft attackierend gesehen<br />

wird. Es ist bei den meisten nicht im<br />

Bewusstsein, dass es auch um die eigene<br />

Rollenfrage geht. Es wird durch Pressure<br />

Groups zu sehr vom Genderwahn gesprochen,<br />

weshalb das Thema für viele ein No-<br />

Go ist“, stellt Haiden ihre Sicht dar. Sie sieht<br />

jedoch eine positive Zukunft: „Es gab noch<br />

keine emanzipatorische Bewegung in der<br />

Geschichte, in der die bedrohte Mehrheit<br />

nicht gegen Veränderung angekämpft hat.“<br />

Es werde also oft das eigentliche Ziel dieser<br />

Debatten verfehlt. Auch religiöse Printmedien<br />

stehen in der Genderfrage mitten im<br />

kirchlichen Veränderungsprozess, sie sind<br />

ein Teil dieses Prozesses. Aber die Religionsgemeinschaften<br />

selbst entwickeln sich mit<br />

den aktuellen Veränderungen, erklärt Fellinger:<br />

„Veränderung ist immer wichtig. Wo keine<br />

Veränderung ist, ist kein Leben. Wenn die<br />

Kirche im Lebensprozess der Menschen eine<br />

Rolle spielen möchte, muss sie sich mitverändern“.<br />

von Jan Müllner<br />

© Copyright: unsplash/IV Horton<br />

Geschlechterbilder religiöser Printmedien Thema<br />

43


Sexualisierte Darstellung von Frauen<br />

in der bildenden Kunst<br />

Ein Fall von #MeToo?<br />

Im Zuge der #MeToo-Bewegung wird auch die bildende Kunst häufig als sexistisch<br />

kritisiert. <strong>SUMO</strong> sprach darüber mit Gabriele Schor, Gründungsdirektorin<br />

der SAMMLUNG VERBUND, und Hanno Rauterberg, Kunstkritiker der deutschen<br />

Wochenzeitung „DIE ZEIT“.<br />

© Copyright: pexels/freestocks.org<br />

Seitdem Menschen Kunst schaffen, wird<br />

über den Umgang mit Sexualität in ihrer<br />

Darstellung diskutiert. Beispiele für Eingriffe<br />

in bildnerische Manifestationen gab<br />

und gibt es viele, über alle Zeiten und Kulturen.<br />

Im Oktober 2017 begann mit einem<br />

„Twitter“-Post der Schauspielerin Alyssa<br />

Milano die #MeToo-Bewegung. Nicht erst,<br />

aber vermehrt anlässlich dieser Initiative<br />

wurde die Aufmerksamkeit auf die Opfer<br />

sexueller Übergriffe und Gewalt auch in<br />

der Kunstwelt gelegt, sowie auf sexuelle<br />

Inhalte. Sexistische Kunstwerke können<br />

nicht mehr vorwurfsfrei betrachtet werden.<br />

Die Kritik daran, dass Frauen in der<br />

bildenden Kunst oft sexualisiert dargestellt<br />

werden, ist keine neue. Die Guerilla<br />

Girls, eine Gruppe feministisch aktivistischer<br />

Künstlerinnen, machten bereits vor<br />

30 Jahren mit ihrer Aktion „Do Women<br />

Have To Be Naked To Get Into The Metropolitan<br />

Museum?“ darauf aufmerksam,<br />

dass nur 5% jener KünstlerInnen,<br />

deren Werkein der Modern Art-Abteilung<br />

des New Yorker Renommee-Museums<br />

ausgestellt wurden, Frauen sind, während<br />

85% der Nackten weiblich sind.<br />

Auch Hanno Rauterberg, promovierter<br />

Kunsthistoriker, sagt: „Die Diskussion<br />

war schon einmal viel weiter. Und es ist<br />

beschämend, wie wenig die Museen und<br />

Kunsthallen aus den Protesten der siebziger<br />

und achtziger Jahre gelernt haben.“<br />

Umso erfreulicher sei es nun, dass durch<br />

die #MeToo-Bewegung das öffentliche<br />

Bewusstsein für Sexismus in der Kunst<br />

wieder geschärft werde. Endlich könne<br />

wieder über solche Fragen mit einem<br />

breiten Publikum diskutiert werden, weil<br />

die Sensibilität insgesamt gewachsen sei.<br />

Wie diese Diskussion rund um diverse Bilder<br />

in Taten umgesetzt werden kann, ist<br />

umstritten. Häufig wird in diesem Zusammenhang<br />

von Zensur gesprochen – und<br />

ebenso gehandelt.<br />

„Hylas und die Nymphen“<br />

In der Manchester Art Gallery wurde zu<br />

Beginn des Jahres 2018 das 1896 entstandene<br />

Gemälde „Hylas und die Nymphen“<br />

von John William Waterhouse abgehängt.<br />

Das Bild stellt eine Szene aus<br />

der antiken Mythologie dar, in der ein<br />

junger Mann von mehreren nackten Nymphen<br />

in einen Teich und sodann in den Tod<br />

gelockt wird. Das Gemälde stelle den Körper<br />

der Frau als passive, dekorative Form<br />

dar, so die Kuratorin Clare Gannaway. Bei<br />

der Aktion handelte es sich jedoch nicht –<br />

wie viele vorschnell urteilten –um Zensur.<br />

Eher ging es dem Museum dabei um den<br />

performativen Akt: Das Bild wurde nur für<br />

eine kurze Zeit abgehängt, damit BesucherInnen<br />

ihre Meinung zu dieser Aktion<br />

an die leere Stelle an der Wand heften<br />

konnten. Die Aktion sollte eine Diskussion<br />

anregen, ob Kunst, die klassische Rollenmuster<br />

zwischen Mann und Frau darstellt,<br />

in Museen ausgestellt werden solle.<br />

In einer im „Guardian“ veröffentlichten<br />

Stellungnahme der an der Aktion beteiligten<br />

Künstlerin Sonia Boyce erklärte sie,<br />

dass jeden Tag weltweit Bilder in Museen<br />

ab-, um- und Neue aufgehängt werden.<br />

Das sei ein kuratorischer Prozess, von<br />

dem die meisten BesucherInnen nichts<br />

mitbekämen und den niemand als Zensur<br />

bezeichnen würde. Hier sollte lediglich<br />

ein größeres Publikum in diesen kuratorischen<br />

Entscheidungsprozess einbezogen<br />

werden. Das Museum wollte dabei„das<br />

Frauenbild des 19. Jahrhunderts befragen,<br />

das Frauen entweder als ‚passive dekorative<br />

Form’ oder als ‚Femme fatale’in<br />

Szene setzt“, so Hanno Rauterberg. Es sei<br />

dem Museum darum gegangen, einem<br />

größeren Publikum vor Augen zu führen,<br />

wie der weibliche Körper von manchen<br />

Künstlern benutzt wurde. Boyce habe<br />

wissen wollen, wie die BesucherInnen das<br />

heute wahrnehmen. „Genau darum muss<br />

es im Museum immer wieder gehen, finde<br />

ich: Den eigenen Blick zu reflektieren und<br />

die Reproduktion von Klischees zu hinterfragen“,<br />

meint Rauterberg.<br />

„Thérèse, träumend”<br />

Die Künstlerin Mia Merril rief im November<br />

2017 in einer Online-Petition das<br />

Metropolitan Museum of Art in New York<br />

dazu auf, das Bild „Thérèse, träumend“<br />

von Balthus nicht mehr auszustellen. Das<br />

Gemälde zeigt ein Mädchen, das entspannt<br />

auf einem Stuhl sitzt. Dabei legt<br />

44<br />

Sexualisierte Thema Darstellung von Frauen in der bildenden Kunst


Gabriele Schor<br />

Copyright: Katharina Gossow<br />

Hanno Rauterberg<br />

Copyright: Privat<br />

sie ihr Bein hoch, sodass ihr Rock nach<br />

oben rutscht und die Unterhose des<br />

Mädchens zu sehen ist. Merril sei beim<br />

Besuch des Museums geschockt gewesen,<br />

ein Bild zu sehen, das ein junges<br />

Mädchen in einer solch „sexuell anzüglichen<br />

Pose“darstelle. Im Zuge der<br />

Auseinandersetzung um sexuelle Gewalt,<br />

die jeden Tag mehr in den Vordergrund<br />

der Öffentlichkeit rücke, würde<br />

das Museum –eventuell unbeabsichtigt<br />

–Voyeurismus und Objektifizierung<br />

von Kindern fördern. In einem späteren<br />

Zusatz stellte Merril klar: Sie wünsche<br />

nicht, das Bild zu zensurieren oder zu<br />

zerstören, sondern fordere das Museum<br />

lediglich dazu auf, die Ausstellungsweise<br />

und den Kontext zu überdenken<br />

bzw. zu ändern. Das könne entweder<br />

durch das Abhängen des Bildes erreicht<br />

werden oder durch das Zurverfügungstellen<br />

von zusätzlichem Kontext, wie<br />

etwa einem Schild mit der Aufschrift:<br />

„Manche Betrachterinnen und Betrachter<br />

empfinden dieses Werk als offensiv<br />

oder störend, berücksichtigt man Balthus‘<br />

Vernarrtheit in junge Mädchen.“<br />

Die Petition wurde zu Redaktionsschluss<br />

von knapp 12.000 Personenunterschrieben.<br />

Laut Schor und Rauterberg<br />

können zusätzliche Informationen<br />

eine Lösung sein. Solche Schilder sind in<br />

den USA häufig zu finden und RezipientInnen<br />

wissen somit, dass sie mit ihren<br />

Gefühlen nicht alleine sind, schreibt<br />

Rauterberg in seinem Buch „Wie frei ist<br />

die Kunst?“, in dem er Fälle wie diesen<br />

analysiert. Für Gabriele Schor, promovierte<br />

Philosophin, international tätige<br />

Kuratorin und Gründungsdirektorin der<br />

SAMMLUNG VERBUND, ist es wichtig,<br />

dass das Bild – z.B. mittels Wandtexten<br />

und Erklärungen – in einen Kontext gesetzt<br />

bzw. auch erörtert wird oder auch<br />

durch andere Bilder von Künstlerinnen<br />

konterkariert wird. Hanno Rauterberg<br />

meint, dass Schilder, die etwas zum<br />

Hintergrund eines Kunstwerks beisteuern<br />

in manchen Fällen sinnvoll seien.<br />

Man müsse aber vorsichtig damit umgehen,<br />

da eine solche „Überpädagogisierung“<br />

dazu führen könne, dass sich<br />

BesucherInnen des Museums bevormundet<br />

fühlten.<br />

Chuck Close<br />

Eine andere Frage, die im Zuge dieser<br />

Kunstdebatte und #MeToo auftaucht,<br />

ist jene nach dem Umgang mit Werken<br />

von Künstlern, die sich sexistisch<br />

verhalten haben oder denen sexuelle<br />

Belästigung vorgeworfen wird. Die National<br />

Gallery of Art in Washington D.C.<br />

sagte Anfang 2018 eine Retrospektive<br />

von Chuck Close ab. Dieser solle anzügliche<br />

bzw. sexistische und erniedrigende<br />

Bemerkungen über die Körper seiner<br />

Modelle gemacht haben. Von sexuellen<br />

Übergriffen sei keine Rede gewesen,<br />

hält Rauterberg in seinem Buch „Wie<br />

frei ist die Kunst?“ fest. Eine inhaltliche<br />

Begründung seitens des Museums<br />

blieb aus. Manche meinen, die Absage<br />

der Ausstellung sei eine gerechtfertigte<br />

Maßnahme, um die Schwere und das<br />

Ausmaß von sexueller Gewalt in der Gesellschaft<br />

deutlich zu machen. Rauterberg<br />

ist diesbezüglich anderer Meinung:<br />

Es sei den Gerichten vorbehalten, diese<br />

Straftaten zu ahnden und entsprechende<br />

Strafen zu verhängen. Es sei daher<br />

falsch bzw. voreilig, Ausstellungen nur<br />

auf Basis eines Verdachts abzusagen.<br />

Gabriele Schor hätte Verständnis für<br />

eine Absage einer Ausstellung, meint<br />

jedoch, es müsse bei jedem Fall erst<br />

sehr genau überprüft werden, ob die<br />

Vorwürfe gerechtfertigt seien.<br />

Zensur von unten<br />

Die Kunst nahm sich bisher –geschützt<br />

durch die Museen –die Freiheit heraus,<br />

nach eigenen Maßstäben beurteilt zu<br />

werden. Kunst habe Aufbruch und Befreiung<br />

bedeutet, beschreibt Rauterberg<br />

in „Wie frei ist die Kunst?“. Wurde<br />

die Kunst bedroht, sei dies meist durch<br />

klerikale Kreise und konservative Parteien<br />

geschehen. Der Protest sei im<br />

Namen der Mehrheit bzw. der Gesellschaft<br />

geschehen. Nun seien es jedoch<br />

nicht Staat und Obrigkeit, die derzeit<br />

Einschränkungen in der Kunst fordern.<br />

Vielmehr seien es Gruppen, die sich<br />

selbst als linksliberal einschätzen und<br />

über Jahrzehnte für die Liberalisierung<br />

der Künste eintraten. Im Namen<br />

benachteiligter Gruppen werde eine<br />

Zensur von unten verlangt. Wichtiger<br />

als der Schutz des künstlerischen<br />

Werkes sei der Schutz des Publikums.<br />

Ein wesentlicher Faktor, der zu diesen<br />

Bewegungen beitrage, sei die Digitalmoderne,<br />

durch die Bilder ihre Ortsansässigkeit<br />

verlieren. Das Smartphone<br />

mache die Bilder beiläufig und mobil.<br />

Der schützende Rahmen des Museums<br />

werde aufgelöst und das Museum als<br />

Ort der Selbstbefragung verliere somit<br />

an Bedeutung. Darüberhinaus könnten<br />

über Soziale Medien allzu leicht<br />

Mob-Dynamiken entstehen, denen sich<br />

die Museen ausgesetzt sehen. Manche<br />

Institutionen fühlten sich gegenüber<br />

solchen machtlos: Sie würden lieber<br />

Ausstellungen absagen, als offensiv zu<br />

zeigen, wo die Grenze zwischen Werk<br />

und Urheber sei. Ohne diese Grenze verschwinde<br />

jedoch die Freiheit der Kunst,<br />

sie verliere an Eigenmächtigkeit der Ästhetik.<br />

„Zensur meint ja eigentlich, dass<br />

eine staatliche Instanz eingreift und ein<br />

Sexualisierte Darstellung von Frauen in der bildenden Thema Kunst<br />

45


© Copyright: pexels/freestocks.org<br />

Kunstwerk unterbindet. Die sozialen<br />

Medien hingegen ermöglichen einen<br />

Protest von unten, der sich manchmal<br />

zu einer Zensur von unten auswachsen<br />

kann, wenn sich Museen gezwungen<br />

sehen, ein umstrittenes Kunstwerk ins<br />

Depot zu verbannen. Vereinzelt hat es<br />

solche Fälle in den letzten Jahren gegeben.<br />

Das kann man einerseits als<br />

demokratischen Prozess verstehen, als<br />

einen Akt der Emanzipation: Das Publikum<br />

ist mündig und verlangt Partizipation.<br />

Allerdings würde eine solche Mündigkeit<br />

auch ein gesteigertes Maß an<br />

Toleranz verlangen und ein geschultes<br />

Verständnis für die Eigenlogik und die<br />

Eigenrechte der Kunst. Dafür, finde ich,<br />

müssen die Museen weit mehr werben<br />

als bislang“, so Hanno Rauter.<br />

Feministische Avantgarde<br />

Während derzeit also der männliche<br />

Blick viel diskutiert wird, stellt Gabriele<br />

Schor in ihrer Ausstellung „Feministische<br />

Avantgarde“ den weiblichen Blick<br />

in den Mittelpunkt. Den Begriff „Feministische<br />

Avantgarde“ schuf Schor, um<br />

die Pionierleistung der Künstlerinnen<br />

dieser Ausstellung hervorzuheben, die<br />

das ‚Bild der Frau, das bis dahin nur<br />

von Männern geprägt worden war, in<br />

den 1970er Jahren neu definierten. Ein<br />

wichtiges Credo dieser Bewegung war,<br />

das Persönliche politisch aufzufassen<br />

-bei Themen wie Mutterschaft, Ehe,<br />

Haushalt, Familie oder auch Gewalt<br />

gegen Frauen. Viele Werke beschäftigen<br />

sich mit der weiblichen Sexualität.<br />

Die Künstlerinnen stellten sich in dieser<br />

Bewegung als selbstbestimmte Subjekte<br />

dar, nicht mehr länger als Objekte.<br />

Dabei machten sie sich einst neue Ausdrucksformen<br />

wie Video, Performance<br />

und Fotografie zu nutze. Auch Gabriele<br />

Schor gegenüber gab es bereits Aufforderungen,<br />

gewisse Bilder nicht mehr<br />

auszustellen, etwa, „wenn sich Hannah<br />

Wilke nach einigen Pin-up Posen<br />

schließlich als Jesus ‚oben ohne zeigt“.<br />

Bei solchen Überlegungen würde aber<br />

weder der ironisch-subversive Sinn der<br />

feministisch orientierten Künstlerinnen<br />

verstanden, noch ihr Anspruch, eine<br />

Befreiung der weiblichen Sexualität<br />

zu demonstrierenund alte, überkommene<br />

Objekt-Subjekt Relation neu zu<br />

definieren. „Diese Künstlerinnen wollten<br />

in ihren Fotografie-Performances,<br />

Filmen, Zeichnungen oder Collagen als<br />

Subjekt, das seine weibliche Sexualität<br />

selbstbestimmt formuliert, wahrgenommen<br />

werden.“ Ein reflektierter<br />

Kontext ist Schor bei ihren Ausstellungen<br />

besonders wichtig. So werden die<br />

Bilder in einem allgemeinen Text und<br />

einem zusätzlichen Wandtext erklärt.<br />

Kritik an manchen Bildern der „Feministischen<br />

Avantgarde“ gab es zuletzt<br />

nicht nur 2017 im MUMOK, wo Gabriele<br />

Schor ihre Wanderausstellung kuratierte,<br />

sondern auch im eigenen Haus,<br />

im Bürogebäude des Energieunternehmens<br />

VERBUND. Dort arbeiten etwa<br />

800 Personen und das achtstöckige<br />

Treppenhaus dient hier als Ausstellungsfläche,<br />

als sogenannte „Vertikale<br />

Galerie“. „Als wir 2016 unsere Ausstellung<br />

zu Renate Bertlmann hatten, gab<br />

es große Aufregung. Verständlich, geht<br />

es doch bei Bertlmann um Sexualität,<br />

Berührung und Verdrängtes.“ Schor suche<br />

aber gerade dann das Gespräch, um<br />

ein Verständnis für solche Kunst zu erwirken:<br />

„Und das gelingt mir auch, mit<br />

zahlreichen ausführlichen Gesprächen“.<br />

Die Kunstvermittlung also ist ihr ein besonderes<br />

Anliegen.<br />

Zeichen in der Kunstwelt im Sinne von<br />

#MeToo–ohne Zensur<br />

Anstatt über Zensur zu diskutieren, gibt<br />

es einige andere Möglichkeiten, Zeichen<br />

im Sinne von #MeToo bzw. Gleichberechtigung<br />

der Geschlechter zu setzen.<br />

„So wird die Royal Academy in London<br />

im Frühjahr 2019 eine Ausstellung über<br />

Aktbilder der Renaissance zeigen und<br />

zwar genauso viele nackte Männer wie<br />

Frauen, was allen vor Augen führen<br />

wird, wie selbstverständlich es weiterhin<br />

ist, dass die Museen vor allem den<br />

weiblichen Körper als Schauobjekte behandeln“,<br />

sagt Rauterberg. Schor gibt<br />

hierbei zu bedenken, dass bei dieser<br />

Ausstellung „wieder einmal der Blick<br />

des Mannes, jener der Künstler Titian,<br />

Raphael, Michelangelo, Leonardo, Dürer<br />

und Cranach gefrönt wird, wohingegen<br />

der Blick der Frau auf die Frau nicht<br />

präsent sein wird. “Schor und Rauterberg<br />

sind sich einig, dass es wichtig sei,<br />

dass in den Gremien der Museen und<br />

Galerien, Kunsthochschulen und Kunstmessen<br />

Geschlechtergerechtigkeit einziehe.<br />

Werke von Künstlerinnen werden<br />

nicht nur seltener ausgestellt, sondern<br />

auch schlechter bezahlt als jene von<br />

Künstlern. Der Kunstbetrieb sei immer<br />

noch sehr patriarchal geprägt und<br />

dies müsse sich dringend ändern, so<br />

Rauterberg. Gabriele Schor sieht die<br />

Museumsdirektorinnen und -direktoren<br />

verantwortlich, für ein Equilibrium<br />

zwischen Künstlerinnen und Künstlern<br />

zu sorgen. So könne man z.B. auch bei<br />

den vielen klassischen Bildern, in denen<br />

Frauen nackt bzw. sexualisiert dargestellt<br />

werden, ein Gegengewicht durch<br />

eine große Ausstellung von Künstlerinnen<br />

bilden oder aus dem Archiv immer<br />

wieder Bilder von Künstlerinnen zeigen.<br />

„Diesen feministischen Blick sollte man<br />

eigentlich – egal, ob Mann oder Frau –<br />

beim Kuratieren einer Ausstellung haben“,<br />

resümiert Schor.<br />

von Sophie-Luise Karson<br />

46<br />

Thema Sexualisierte Darstellung von Frauen in der bildenden Kunst


„Grindr“: Wenn die Dating-App<br />

zum Höchstverrat wird<br />

Dating-Apps sind im 21. Jahrhundert eine gängige Art, neue Leute,<br />

die mögliche große Liebe oder (wie in diesem Fall) Gleichgesinnte<br />

zu finden. Eine solche App für bi-und homosexuelle<br />

Männer ist „Grindr“. Dass die App auch ihre Schattenseiten hat, beweisen<br />

Fälle aus jüngster Vergangenheit. <strong>SUMO</strong> sprach mit Moritz<br />

Yvon, Obmann der HOSI Wien, und Top-Anwalt Helmut Graupner.<br />

Im Jahr 2016 führte das Berliner Marktforschungs-Institut<br />

Dalia Research eine<br />

Umfrage zum Schwerpunkt „Sexualität“<br />

mit 12.000 EU-BürgerInnen durch.<br />

Für Österreicher gab diese Forschung,<br />

dass sich rund 6% als sexuelle Minderheit<br />

ansehen. Trotz einer anonymisierten<br />

Befragung wird die Zahl weitaus<br />

höher geschätzt. „Offizielle Zahlen sind<br />

schwierig, schließlich wird es nicht am<br />

Meldezettel abgefragt“, erläutert der<br />

Obmann der Homosexuellen Initiative<br />

(HOSI) Wien. Viele Personen leben<br />

auch nicht „geoutet“ oder sehen darin<br />

auch keinen Bedarf, so Moritz Yvon: „Da<br />

sind auch schon Leute dabei, die durchaus<br />

regelmäßig Sex mit Menschen des<br />

gleichen Geschlechts haben, sich selbst<br />

aber nicht als schwul, lesbisch oder bisexuell<br />

bezeichnen.“<br />

Ein scheinbarer Schutz<br />

„Grindr“ bietet jedem Mann eine Plattform<br />

andere Männer kennenzulernen,<br />

um so seine Erfahrungen zu erweitern.<br />

Weltweit nutzen – laut eigenen Angaben<br />

– 3 Millionen Männer täglich die<br />

App in 192 Ländern. Für viele (ungeoutete)<br />

Männer ist sie ein Ausweg in ihre<br />

„richtige Welt“. Sie verhilft ihnen den<br />

Kontakt zu jenen zufinden, der auf einem<br />

anderen Weg eventuell nicht möglich<br />

gewesen wäre. „Es ist der Schutz<br />

der Anonymität, der für viele Menschen<br />

sehr wichtig ist“, so Yvon im Gespräch<br />

mit <strong>SUMO</strong>. Der HOSI-Obmann erklärt,<br />

dass es für viele ein „Herantasten“ an<br />

neue sexuelle Erfahrungen sei. Dies<br />

werde, ehe man vor Freunden und<br />

seinem Umfeld als „der Schwule“ abgestempelt<br />

wird, geheim ausgetestet,<br />

ob es tatsächlich so wie in der Fantasie<br />

ablaufe. „Grindr“ löst mit dieser<br />

Plattform und Idee der Anonymität die<br />

herkömmliche schwule Szene als Kontakthersteller<br />

ab. Der Ruf von „Grindr“<br />

ist durchaus vielseitig, obwohl sie oft<br />

als reine „Sex-App“ abgestempelt wird.<br />

Es gibt auch jene, die die App zur Vernetzung<br />

oder zur Beziehungssuche<br />

verwenden. Trotzdem liegt der Hauptgrund<br />

zur Verwendung vieler User<br />

bei der schnellen Suche nach Sexualpartnern.<br />

Dies ist auch ein markanter<br />

Unterschied zu anderen Dating-Apps,<br />

die auch für Homosexuelle ein Angebot<br />

legen. Formalitäten und Floskeln sind in<br />

vielen Chats nicht notwendig, es zählt<br />

„die nackte Wahrheit“. Es ist ein Forum<br />

für unentdeckte Fetische und gleichsam<br />

hoffnungslose Romantiker. Die<br />

Zweiteren sind zwar klar in der Minderheit,<br />

bilden jedoch auch eine typische<br />

Gruppe in der Szene. Sie sind jene, die<br />

anonym auf dieser Plattform jemanden<br />

suchen, der ihr Schicksal teilt, um aus<br />

der oft oberflächlichen, sexualisierten<br />

Gay-Szene zu entfliehen. Beide schätzen<br />

ihre Vorteile auf „Grindr“: nicht wegen<br />

seiner Sexualität angefeindet zu<br />

werden.<br />

Gefahr in Verzug<br />

Doch nicht nur eine Schutzfunktion bildet<br />

dieses kostenlose Programm. Genauso<br />

kann diese „Schutzzone“ zu einer<br />

Gefahr werden, auf unterschiedliche<br />

Art und Weise. „Ich würde nicht grundsätzlich<br />

sagen, dass es ein geschützter<br />

Raum ist, denn es gibt niemanden, der<br />

sich um Schutz bei den dadurch angebahnten<br />

Treffen im echten Leben<br />

bemüht oder kümmert“, so Yvon. Dies<br />

betrifft nicht nur den Bezug auf die Sicherheit<br />

unter den Usern. Auch externe<br />

Gefahren traten in den letzten Monaten<br />

weltweit auf. Ende 2017 erkannte<br />

man, dass die ägyptische Polizei mit<br />

Fake-Profilen eine regelrechte Jagd auf<br />

Homosexuelle im eigenen Land lostrat,<br />

man warf ihnen Prostitution vor. Der<br />

Chat-Verlauf und gesendete Bilder werden<br />

als Beweislast gegen die homosexuellen<br />

Männer verwendet. In diesem<br />

Fall reagiert „Grindr“ und versendet<br />

Sicherheitswarnungen in Gefahrländer<br />

aus. Die Warnungen enthalten Tipps,<br />

zum Beispiel sich nicht mit jemanden<br />

zu treffen, dessen Identität sie nicht mit<br />

Gewissheit kennen. Außerdem haben<br />

User die Wahl, ob sie ihren Standort<br />

angeben (Anm.: in der Standardversion<br />

lässt sichder GPS-Standort nicht<br />

deaktivieren – Entfernungen werden<br />

© Copyright: pexels/freestocks.org<br />

„Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat Thema wird<br />

47


in Meter angegeben). Es sei jedoch<br />

einfacher, größere Gruppen<br />

zu entlarven, da mehrere Profile<br />

denselben Standort besitzen, so<br />

Helmut Graupner, Rechtsanwalt<br />

in Wien und Vorsitzender des<br />

Rechtskomitees Lambda, das sich<br />

für die Rechte homosexueller und<br />

transidenter Menschen einsetzt.<br />

Zu „Recherchezwecken“ nutzt<br />

auch das südkoreanische Militär<br />

die App. Homosexualität ist in<br />

Südkorea offiziell nicht illegal, gesellschaftlich<br />

jedoch nicht akzeptiert.<br />

Das Militär fühlte sich durch<br />

ein Video, welches zwei Rekruten<br />

beim Liebesspiel zeigt verraten<br />

und begann die Mission, durch das<br />

Durchforsten von Dating-Apps<br />

und Abhören von Telefonaten alle<br />

Homosexuellen zu verbannen. Die<br />

indonesische Regierung wiederum<br />

sieht die Liebes-App für Homosexuelle<br />

als „sexuelle Abartigkeit“.<br />

Diese Ablehnung gegenüber<br />

gleichgeschlechtlich Liebenden<br />

führt so weit, dass sie „Grindr“<br />

und weitere 80 LGBTIQ-Applikationen<br />

im ganzen Land verbieten<br />

möchten. Das Gegenarbeiten von<br />

„Grindr“ kommt hier jedoch an<br />

seine Grenzen. „Grindr‘ ist gut,<br />

aber ersetzt keinen Aktivismus.<br />

‚„Grindr“ ersetzt nicht die politische<br />

Diskussion. Grindr‘ ersetzt<br />

nicht den gesellschaftlichen Fortschritt“,<br />

mahnt der Obmann der<br />

HOSI Wien. In welcher Art und<br />

Weise „Grindr“ auf die einzelnen<br />

Fälle reagiert, ist nicht immer<br />

bekannt. Nach der Konfrontation<br />

mit den vergangenen Geschehnissen<br />

konstatiert Moritz Yvon:<br />

„Ich sehe ‚Grindr’ in der Verantwortung,<br />

zu versuchen Lösungen<br />

zu finden. Am Ende der Versuche<br />

könnte aber durchaus das Ergebnis<br />

stehen, dass sie nichts<br />

tun können.“ Yvon erläutert, dass<br />

man technisch aufrüsten könnte,<br />

jedoch müsste man eine Lösung<br />

finden, die nicht statt zu überprüfen<br />

kontrolliere, denn dies<br />

würde die Plattform unattraktiv<br />

machen. Doch durch den Schutz<br />

von „Grindr“ könnten auch genügend<br />

Daten gesammelt werden,<br />

mit verhängnisvollem Ausgang:<br />

„Es braucht ja oft nicht einmal<br />

Hacking, damit mit Daten etwas<br />

passiert, das man gar nicht will.<br />

“Eine Daten betreffende Aktion<br />

brachte „Grindr“ als Unternehmen<br />

im April 2018 in die Schlagzeilen.<br />

Es verkaufte sensible Daten<br />

wie den HIV-Status oder den<br />

Wohnort von Usern an amerikanische<br />

Software-Unternehmen.<br />

„Grindr“-Technologiechef Scott<br />

Chen meinte in einer Aussendung,<br />

dass diese Handlung „branchenüblich“<br />

sei. Anwalt Graupner kommentiert<br />

die Causaso: „Die Daten<br />

wurden an einen Dienstleister<br />

zur Optimierung weitgegeben,<br />

nicht aus Jux und Tollerei. Ob das<br />

wirklich notwendig war, ist aber<br />

die Frage.“ Jene Daten, die weitergeben<br />

wurden sind nach Artikel 9<br />

der Datenschutzgrundverordnung<br />

sogenannte schutzwürdige Daten<br />

und dürfen nicht verarbeitet wer-<br />

© Copyright: pexels/freestocks.org<br />

48<br />

Thema „Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird


den, so Graupner. Nur in Ausnahmefällen<br />

aus dem gleichen Artikel ließe<br />

sich auch die Weitergabe rechtfertigen.<br />

„Einer davon ist die Einwilligung der betreffenden<br />

Personen.Meines Wissens<br />

wurde nach der Einwilligung nicht gefragt,<br />

daher müsste es den einen oder<br />

anderen Punkt geben, der die Verarbeitung<br />

zulässig machen würde.“ Das Problem<br />

mit den Daten liege aber nicht nur<br />

bei Apps für Homosexuelle, es sei ein<br />

Grundproblem aller IT-Unternehmen,<br />

erklärt Yvon.<br />

Angegebener HIV-Status als Filter<br />

Es stellt sich die Frage, warum man<br />

überhaupt seinen HIV-Status in einem<br />

Dating-Profil angibt. Gerade in der Dating-Welt<br />

Homosexueller ist es durchaus<br />

ein Thema und spielt eine Rolle für<br />

zukünftige Dating-und mögliche Sexualpartner.<br />

HIV-Positive erfahren oft<br />

Ablehnung durch ihr Coming-out der<br />

Krankheit. Der junge Chef der Wiener<br />

HOSI beschreibt es wie folgt: „Das ist<br />

für Menschen frustrierend. Ich kann<br />

nachvollziehen, dass sich da manche<br />

denken: ‚Ich schreib das lieber gleich ins<br />

Profil und erspar mir zumindest diese<br />

Zeitverschwendung.‘ “ So sei dies ein<br />

erster Filter, wie jede Angabe, die in<br />

einem Profil angeführt wird. „Grindr“<br />

setzt auch in dieser Thematik eine Innovation:<br />

Man erinnert User regelmäßig<br />

an HIV-Tests. Yvon meint, dass es<br />

mutig sei als Unternehmen, welches<br />

Daten weitergegeben hat, hier noch<br />

zu erinnern, „aber grundsätzlich ist es<br />

richtig und wichtig, regelmäßig einen<br />

HIV-Test zu machen.“ Abschließend<br />

sagt Moritz Yvon: „Die Veränderung<br />

muss eine politische sein, man muss<br />

dafür sorgen, dass die sexuelle Orientierung<br />

kein Thema mehr ist. Dann wird<br />

es auch weniger heikel, was mit einzelnen<br />

Daten passieren kann.“<br />

Moritz Yvon<br />

Copyright: Stephane Magloire<br />

Helmut Graupner<br />

Copyright: Blaschke<br />

von Nicolas Hofbauer<br />

© Copyright: unsplash.com<br />

„Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat Thema wird<br />

49


Männer-Lifestyle-Magazine als<br />

Nischenprodukt<br />

Wie steht es um den Markt dieser Publikationen und wer rezipiert sie?<br />

<strong>SUMO</strong> sprach darüber mit Univ.-Prof. Dr. Jörg Matthes, Vorstand des<br />

Instituts für Publizistik-und Kommunikationswissenschaft der Universität<br />

Wien, und den Herausgebern des „Wiener“ Franz J. Sauer und Gregor Josel.<br />

© Copyright: Pexels/OVAN<br />

Das einzige österreichische Männer-Lifestyle-Magazin<br />

stellt der „Wiener“<br />

dar. Magazine dieser Ausrichtung<br />

ließen sich laut Franz J. Sauer auf<br />

zweierlei Arten identifizieren. Einerseits<br />

gäbe es Magazine, die Themen<br />

wie Männermode und -Pflegeprodukte<br />

behandeln, zu dieser Kategorie zähle<br />

beispielsweise das deutsche „GQ“. Der<br />

„Wiener“ selbst sehe sich hingegen<br />

anders. Man beschäftige sich mit den<br />

„angenehmen, wenn auch nicht lebensnotwendigen<br />

Dingen im Leben eines<br />

Mannes“, es gehe um alle möglichen<br />

Themen von Gadgets über Technik bis<br />

Lifestyle. Sauer sehe den „Wiener“ als<br />

einen Ratgeber, der aber nicht postuliere<br />

„so gehört es gemacht“, sondern<br />

„wir machen es so, mach es doch auch<br />

so“. Ihr Mode-Teil nehme sich in puncto<br />

Trendsetting nicht so todernst, wie das<br />

bei anderen Lifestyle-Publikationen der<br />

Fall sei. Aber auf welchen fruchtbaren<br />

Boden fällt das?<br />

Die heterogene Zielgruppe Männer<br />

Jörg Matthes sieht drei wesentliche<br />

Gründe dafür, dass Männer-Lifestyle-Magazine<br />

nicht so stark von der<br />

Leserschaft angenommen werden.<br />

Männer seien keine homogene Zielgruppe:<br />

„Was den Einen interessiert,<br />

interessiert nicht auch automatisch<br />

auch den Anderen.“ Bei einer Zielgruppe<br />

sei es immer von Nöten, eine gemeinsame<br />

Identität vorzufinden, die dann<br />

eben angesprochen werden könne. Es<br />

gebe kaum ein Merkmal, das alle Männer<br />

kennzeichne, oder ein Interesse, für<br />

das sich alle Männer durch alle Altersgruppen<br />

hindurch begeisterten. Folglich<br />

sei es essentiell, sich mit unterschiedlichsten<br />

Themen im Magazin zu beschäftigen,<br />

um einen möglichst treuen<br />

Kundenstamm aufzubauen.<br />

Diese vielfältigen Interessen in einem<br />

einzigen Medium abzudecken, gestalte<br />

sich vor allem im Printsektor als prekär.<br />

Die zweite Ursache der geringen Leserschaft<br />

sieht Matthes in der Natur<br />

der Männer. Aufgrund ihrer Werte und<br />

Vorstellungen hätten Männer-Lifestyle-Magazine<br />

weniger Bedeutung<br />

aus Sicht der angestrebten Zielgruppe.<br />

Ratschläge, Tipps und aktuelle Themen<br />

seien für die männliche Kohorte zumindest<br />

großteils nicht interessant oder<br />

relevant. Die Online-Konkurrenz definiert<br />

Matthes als dritten Grund. Es ist<br />

keine Schwierigkeit, online Content zu<br />

produzieren, sei dies nun via Social Media<br />

oder auf einer eigenen Website. Es<br />

gebe unzählige Angebote, die ähnliche<br />

Inhalte wie Männer-Lifestyle-Magazine<br />

für viel weniger Geld anbieten. Die Leser<br />

hätten online die Möglichkeit genau zu<br />

entscheiden, was sie rezipieren möchten.<br />

Ein Männermagazin müsse als<br />

Antwort darauf alle möglichen Themen<br />

behandeln, um jeden anzusprechen,<br />

was auch wieder den ersten Grund, den<br />

Matthes benannt hat, aufgreift. Hinzu<br />

komme auch noch die geringe Zahlungsbereitschaft<br />

bei Online-Inhalten.<br />

„Wer ist bereit, Geld für Dinge auszugeben,<br />

die man auf Google innerhalb von<br />

fünf Sekunden auch so finden kann?“,<br />

so Matthes. Auch sei es die junge Leserschaft<br />

schlicht nicht gewohnt, ein<br />

Magazin via Abonnement oder Einzelkauf<br />

regelmäßig zu lesen. Außerdem sei<br />

den Rezipienten egal, von wem der Inhalt<br />

stamme, der gelesen wird, es gehe<br />

nur um den Inhalt selbst, konstatieren<br />

Matthes und Sauer gleichermaßen.<br />

Die USP des „Wiener“<br />

Bei all diesen negativen Aspekten<br />

kommt die Frage auf, wie der „Wiener“<br />

überleben kann, und das schon seit 40<br />

Jahren. Laut Sauer gebe es eine treue<br />

Kernleserschaft, die ihn aus Verbundenheit<br />

lese. Auch wenn der „Wiener“<br />

heute nicht mehr ein Programmheft wie<br />

einst sein könnte, was bekanntlich heute<br />

online stattfinden würde. Zusätzlich<br />

zu der Stammleserschaft gebe es noch<br />

die Leute, die sich für Technik, Motor<br />

und Mode interessieren. Diese würden<br />

es schätzen, dass der „Wiener“ in dieser<br />

Hinsicht kein typisches Fachmagazin<br />

sei. Man würde kein Fachwissen zu<br />

brauchen, um das Magazin zu lesen,<br />

aber trotzdem alle nötigen Neuigkeiten<br />

zu den Themen bekommen. Der „Wiener“<br />

habe auch eine starke Online-Präsenz<br />

und verstehe diese als eigenständiges<br />

Medium. Da man online „um seine<br />

Leser buhlen muss“, müsse man breiter<br />

© Copyright: Unsplash/nordwood themes<br />

50<br />

Thema Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt


und aktueller sein. Die Online-Leserschaft<br />

sei auch jünger, sie beginne hier<br />

bei 19 Jahren. „Diese Leute kaufen den<br />

,Wiener’ aber sicher nicht im Kiosk“, so<br />

Sauer. Man versuche online zwar die<br />

DNA des Magazins zu vermitteln, dies<br />

sei aber nie so stark möglich wie im gedruckten<br />

Heft.<br />

Die Marktchancen in Österreich<br />

Der „Wiener“ hat laut eigenen Angaben<br />

(Mediaanalyse 2016) eine Reichweite<br />

von 2,4% in der Kohorte der Männer von<br />

14-49 Jahren, was eine Leserschaft von<br />

143.000 ergibt. Ein Vergleich zu anderen<br />

gestaltet sich schwierig, da es keine<br />

vergleichbaren Magazine am hiesigen<br />

Markt gibt. Für Sauer und Josel ist es<br />

wichtig, ein eigenständiges Produkt<br />

zu publizieren. Es würde nicht sinnvoll<br />

sein, Zeitschriften wie „GQ“ oder „Men‘s<br />

Health“ zu kopieren. Am Beispiel des<br />

„Seitenblicke Magazins“, das 2016 vom<br />

„Red Bull Media House“ eingestellt<br />

wurde, sei auch ersichtlich, dass ein reines<br />

Society-Magazin in Österreich keine<br />

Zukunftschancen habe. „Deswegen<br />

müssen wir versuchen, unique zu sein<br />

und unsere Marke erwartungsgemäß<br />

aufzuladen und so zu reproduzieren,<br />

dass es den Leuten gefällt.“ Sauer und<br />

Josel haben den „Wiener“ 2015 von der<br />

„Styria“ übernommen, nachdem Pläne<br />

bekannt wurden, das Magazin zu<br />

einer Beilage der „Presse“ zu machen<br />

(was unter anderem mit dem Schwesterntitel<br />

„Sportmagazin“, das heuer<br />

eingestellt wurde, wenig erfolgreich<br />

geschah). Um die Zeitschrift auf einen<br />

guten Weg zu bringen, investierte das<br />

Duo in die Produktion und besonders in<br />

die Druck-und Papierqualität. Laut Josel<br />

zeige sich am Werbemarkt eine positive<br />

Reaktion darauf. Unternehmen würden<br />

eher Anzeigen in qualitativ hochwertig<br />

produzierten Magazinen schalten.<br />

Trotz der erschwerten Bedingungen für<br />

ihre Produkt bleiben Sauer und Josel<br />

positiv gestimmt. „Wir sind der Meinung,<br />

dass man in Zeiten eines rezessiven<br />

Printmarkts, wenn schon, dann<br />

ein gescheites, sich hochwertig anfühlendes<br />

Produkt in der Hand haben will,<br />

wenn man schon Geld für ein Magazin<br />

ausgibt. Insofern sind wir puncto Umfang<br />

und Erscheinungsweise gut für die<br />

Zukunft aufgestellt.“<br />

von Janina Schmid<br />

Jörg Matthes<br />

Copyright: Barbara Mair<br />

Franz Sauer und Gregor Josel<br />

Copyright: Eryk Kepski<br />

© Copyright: Unsplash/nordwood themes<br />

Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt Thema<br />

51


Feministische Medien. Der<br />

Kampf gegen den Malestream<br />

Um den Begriff, Aufgaben und Rezeption feministischer Medien zu klären,<br />

sprach <strong>SUMO</strong> mit der Medienwissenschaftlerin und Gender Studies-Forscherin<br />

Brigitte Geiger und mit Lea Susemichel, Chefredakteurin von<br />

„an.schläge - Das feministische Magazin“.<br />

Feminismus. Viele – nicht bloß Männer<br />

– bekommen schon eine Gänsehaut<br />

beim Begriff. Dieser Terminus ist einer<br />

der am negativsten besetzten, die der<br />

deutsche Sprachgebrauch zu bieten hat.<br />

Männerfeindlich, weltfremd und exzentrisch<br />

sind nur einige Assoziationen.<br />

Was Feminismus wirklich bedeutet<br />

Laut Ursula I. Meyer („Einführung in die<br />

feministische Philosophie“) begann es<br />

im 18. Jahrhundert, als Frauen Gleichberechtigung<br />

in allen Lebensbereichen<br />

forderten. Ein besonders großes Anliegen<br />

war das Wahlrecht für Frauen. Vor<br />

100 Jahren war es in Österreich soweit.<br />

Diese Errungenschaft wurde nicht nur<br />

durch zahlreiche Demonstrationen geprägt,<br />

sondern auch durch die „Zeitschrift<br />

für Frauen-Stimmrecht“. Das<br />

NS-Regime setzte dem Kampf für die<br />

Gleichberechtigung dann aber vorläufig<br />

ein Ende. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

wurde der Widerstand fortgesetzt.<br />

Simone de Beauvoir veröffentlichte<br />

1949 (deutsch: 1951) „Das andere Geschlecht“.<br />

In diesem erklärt sie die Unterdrückung<br />

der Frauen im Patriachat und<br />

legt einen Meilenstein in der Geschichte<br />

des Feminismus. „Man wird nicht als<br />

Frau geboren, man wird es“ – das ist<br />

der Schlüsselsatz des modernen Feminismus.<br />

In den 1980er-Jahren knüpfen<br />

PhilosophInnen an De Beauvoirs Werke<br />

an und entwickelten die Theorie der „Geschlechterdifferenz“.<br />

Biologisches Geschlecht<br />

(„sex“) und soziales Geschlecht<br />

(„gender“) solle getrennt werden. Doch<br />

Feminismus ist nicht gleich Feminismus.<br />

Jede Frau und jeder Mann kann für<br />

sich selbst definieren, was Feminismus<br />

bedeutet. Auch die Interviewpartnerinnen<br />

Lea Susemichel und Brigitte Geiger,<br />

die sich beide schon sehr früh mit der<br />

Thematik auseinandergesetzt haben,<br />

wurden nach ihrer eigenen Definition<br />

von Feminismus befragt. Beide betitelten<br />

die Frage als schwierig.„Für mich<br />

ist Feminismus die Gleichstellung und<br />

Gleichberechtigung von allen Menschen;<br />

alle Menschen auf dieser Welt sollen die<br />

gleichen Rechte haben“, erklärt Susemichel.<br />

Geiger meint: „Ich verstehe darunter<br />

prinzipiell Sensibilität für Hierarchien,<br />

Einschränkungen und Machtverhältnisse,<br />

die mit dem Geschlecht verbunden<br />

sind. Außerdem, dass man sich auch mit<br />

anderen Frauen gemeinsam engagiert.“<br />

Frauen können wählen, sie haben die<br />

gleichen Jobchancen wie Männer und<br />

die Gleichberechtigung sollte somit vollkommen<br />

erreicht sein – so jedenfalls sehen<br />

viele die Gesellschaft. Warum ist der<br />

Feminismus heute noch immer wichtig,<br />

eventuell bedeutsamer denn je? Susemichel<br />

konstatiert, dass zwei große Entwicklungen<br />

aufeinanderstoßen würden:<br />

zum einen ein gewaltiger Rückschritt<br />

durch den Rechtsruck in vielen Ländern<br />

und damit verbunden veränderten Geschlechterbildern,<br />

zum anderen auch ein<br />

Anstieg der feministischen Revolution,<br />

der sich durch #MeToo und die Women‘s<br />

Marches äußert. Gerade diese biete die<br />

Möglich- und Notwendigkeit der Teilnahme<br />

gegen erstere Richtung.<br />

Gegen den Mainstream<br />

Mit der Frauenbewegung Ende der<br />

60er- und Anfang der 70er-Jahre setzte<br />

man sich mit dem Einfluss der Medien<br />

auf die weibliche Identität auseinander.<br />

Es wurden unterschiedlichste Studien<br />

durchgeführt, wie oft und in welchen<br />

Rollen Frauen in den Medien vorkommen.<br />

Sie waren kaum anzutreffen und<br />

falls doch, dann hatten sie eine stereotypische<br />

Rolle inne. Gertrud Koch konstatierte<br />

bereits 1988 („Was ich erbeute,<br />

sind Bilder. Zum Diskurs der Geschlechter<br />

im Film“), dass Frauen ihre Identität<br />

stärker an die Männergesellschaft<br />

anpassen. Bis heute hat sich einiges in<br />

der österreichischen Medienlandschaft<br />

verändert. Trotzdem kann basierend auf<br />

aktuellen Studien wie „Journalismus in<br />

Deutschland“ (Ludwig Maximilian Universität<br />

München, „Publizistik“ 2017)<br />

und „Der Journalisten-Report“ (Medienhaus<br />

Wien, 2012) gesagt werden, dass<br />

die Gleichstellung von Frau und Mann<br />

sowohl in als auch hinter den Medien<br />

noch nicht ausgeglichen ist. Laut Geiger<br />

sei der Beruf JournalistIn zu 40% weiblich<br />

besetzt. In den höheren Etagen jedoch<br />

seien die Ungleichheiten deutlicher<br />

zu spüren. Trotzdem komme es immer<br />

auf das einzelne Medium und auf dessen<br />

Unternehmenspolitik an. Auch in<br />

der Berichterstattung selbst seien viele<br />

Themen unterbelichtet. Susemichel<br />

sieht das ebenso: Themen wie die Gewalt<br />

gegen Frauen, die Gehaltsschere,<br />

aber auch die „gläserne Decke“ sollten<br />

© Copyright: Unsplash/Vlad Tchompalov<br />

52<br />

Thema Feministische Medien. Der Kampf gegen den Malestream


kontinuierlich thematisiert werden. Außerdem<br />

erklärt sie, dass jedes Thema<br />

geschlechterpolitische Aspekte habe,<br />

deshalb sollten MedienmacherInnen<br />

bei der Berichterstattung auch immer<br />

die „frauenpolitische Brille“ aufsetzen,<br />

um den Blick in diese Richtung zu<br />

schärfen.<br />

Feminismus in gedruckter Form<br />

Wie in dem Artikel „Medien der Neuen<br />

Frauenbewegung im Archiv“ von Brigitte<br />

Geiger und Margit Hauser hervorgeht,<br />

wurden in den 1960er-Jahren<br />

mit dem Beginn der neuen Frauenbewegung<br />

weltweit eine große Zahl an<br />

feministischen Zeitschriften und Informationsblättern<br />

publiziert. Diese nutzte<br />

man zum Austausch und zur Auseinandersetzung<br />

mit feministischer Thematik.<br />

Der starke Titelzuwachs wurde<br />

vor allem durch die Informationsblätter<br />

ausgelöst und erreichte 1997 den<br />

Höchstwert, ab der Jahrtausendwende<br />

sank der Anzahl der Titel wieder. Manche<br />

Medien überlebten nur ein paar<br />

Wochen, andere wiederum mehrere<br />

Jahrzehnte. Für letzteres Phänomen<br />

werden folgend zwei der bekanntesten<br />

österreichischen feministischen Zeitschriften<br />

vorgestellt. Eines der wichtigsten<br />

im deutschsprachigen Raum<br />

war „AUF – Eine Frauenzeitschrift“.<br />

1973 als internes Informationsblatt<br />

genutzt, entwickelte sie sich ein Jahr<br />

später zu einer österreichweiten feministischen<br />

Zeitschrift. Finanziell konnte<br />

sie durch Einzelverkauf, Abos, Gelder<br />

der Publizistikförderung, ehrenamtliche<br />

Arbeit und Spenden aufrechterhalten<br />

werden. Bei der Auflösung 2011 war<br />

das Team laut Geiger nicht klein, aber<br />

ihre Vermutung, warum die Zeitschrift<br />

nicht mehr bestehen konnte, liege darin,<br />

dass die Belastung nach jahrelanger<br />

unbezahlter Arbeit zu groß geworden<br />

sei. Auch die geringer gewordene Resonanz<br />

war demotivierend.<br />

Die zweite österreichische Frauenzeitschrift<br />

ist „an.schläge – Das feministische<br />

Magazin“, das 2018 ihren 35.<br />

Geburtstag feierte. Der Name stammt<br />

von den damaligen Produktionsbedingungen,<br />

nämlich von den Anschlägen<br />

auf einer Schreibmaschine. Außerdem<br />

ist es eine Metapher für einen gewaltfreien<br />

Anschlag auf das Patriarchat.<br />

Schon immer war es ein Kampf ums<br />

Weiterbestehen. Fünf Jahre nach der<br />

Gründung erschien die Zeitschrift einmal<br />

monatlich und war somit für lange<br />

Zeit das einzige feministische Magazin<br />

im deutschsprachigen Raum, das so<br />

häufig neue Inhalte produzierte. Trotz<br />

einer zweijährigen Pause kämpfen die<br />

RedakteurInnen noch heute für eine<br />

feministische Berichterstattung, zehn<br />

Mal im Jahr. Aber wer liest sie?<br />

Die LeserInnen<br />

Universitätslektorin Brigitte Geiger<br />

bemerkt, dass junge Menschen eher<br />

wenige feministische Zeitschriften<br />

kennen. Diese würden sich die notwendigen<br />

Informationen zum Thema Feminismus<br />

meist über das Internet besorgen.<br />

Manche der jungen LeserInnen, die<br />

feministische Medien kennen kämen<br />

oft durch ihre Mütter mit diesen in Berührung.<br />

„an.schläge“ hätte im Zuge ihrer<br />

LeserInnenbefragung erkannt, dass<br />

der Hauptteil ihrer LeserInnen trotzdem<br />

aus Mitte 20- bis Mitte 30-Jährigen<br />

bestünden. Zur Freude der Redaktion<br />

nehme auch das männliche Publikum<br />

zu, heute liege der Prozentsatz bei 10%.<br />

Gründe dafür seien, dass sie bei Frauen<br />

mitlesen, engagierte Studenten sind<br />

oder Geschehnisse unter einem anderen<br />

Blickwinkel betrachten möchten.<br />

Ein Blick nach vorne<br />

Und in Zukunft? Laut Geiger würde momentan<br />

an neuen Überlebensstrategien<br />

gefeilt werden, da vielen Medien in<br />

letzter Zeit die Förderungen gestrichen<br />

wurden, betroffen seien besonders gesellschafts-und<br />

politikkritische Zeitschriften.<br />

Auch dem Magazin „an.schläge“<br />

wurden die Fördergelder gekürzt.<br />

Daher wurde der 666-Abo-Aufruf ins<br />

Leben gerufen, der LeserInnen überzeugen<br />

soll, ein neues Abo abzuschließen,<br />

damit sie auch im Jahr 2019 über<br />

die Runden kommen können. Obwohl<br />

es laut Susemichel sehr anstrengend<br />

war, hätte es sich definitiv gelohnt. Sie<br />

haben es 2018 geschafft, doch heuer<br />

beginne das Zittern wieder von vorne.<br />

Auch wenn es diese Medien nicht leicht<br />

haben, glauben sie an sich und kämpfen<br />

weiterhin für eine Berichterstattung mit<br />

feministischer Perspektive. Geiger hierzu:<br />

„Sie sind Kämpfernaturen. Ich hoffe,<br />

dass ein paar überleben werden.“<br />

Brigitte Geiger<br />

Copyright: Mario Lang<br />

von Kristina Wagner<br />

Lea Susemichel<br />

Copyright: Jens Kastner<br />

© Copyright: Unsplash/dorian stokes<br />

Feministische Medien. Der Kampf gegen den Malestream Thema<br />

53


„dieStandard.at“ und ihre männliche<br />

Community<br />

Brauchen wir eine eigene Plattform, die sich auf Frauenpolitik, Geschlechterthemen<br />

und Feminismus konzentriert? Kann sie die Gleichstellung der Geschlechter<br />

positiv verändern? Oder könnte man(n) das sogar als Bedrohung<br />

empfinden? <strong>SUMO</strong> hat mit „dieStandard“-Ressortleiterin Beate Hausbichler<br />

und dem Medienpsychologen Peter Vitouch über das Onlineforum und seine<br />

Community gesprochen.<br />

In der Kommunikationswissenschaft wird<br />

die Repräsentation von Geschlecht in den<br />

Medien schon seit Jahrzehnten diskutiert.<br />

Vor allem die Gender Media Studies haben<br />

dazu wesentlich beigetragen, sind aber<br />

dennoch nicht konsequent in die Wissenschaft<br />

integriert. Das österreichische Medium<br />

„Der Standard“ dagegen hat schon<br />

im Jahr 2000 umgesetzt, was viele dieser<br />

Diskussionen verlangen: Mit „dieStandard“<br />

gibt es eine eigene Plattform für<br />

frauenspezifische Themen. Entstanden ist<br />

das Portal damals auf Initiative von Printund<br />

Onlineredakteurinnen des „Standard“.<br />

Über Geschlechterverhältnisse<br />

Der Frauenanteil unter den LeserInnen<br />

des „Standard“ bewegt sich mittlerweile<br />

knapp unter der Hälfte. Bei denen, die aktiv<br />

posten, ist die Geschlechterlage jedoch<br />

asymmetrischer: Etwa 80% sind Männer<br />

und nur 20% Frauen. Die Verteilung wurde<br />

anhand der früheren Angabe der „Anrede“<br />

bei einer Neuregistrierung festgestellt. Ob<br />

sich hinter den Nicknames aber wirklich<br />

eine Frau oder ein Mann verbirgt, kann<br />

man nicht mit Sicherheit sagen. Dies ist<br />

nur bei verifizierten UserInnen möglich,<br />

also jenen, die unter ihrem realen Namen<br />

posten. Inhaltlich lässt sich dennoch eine<br />

Tendenz feststellen. Unter den Artikeln<br />

auf der frauenspezifischen Plattform wird<br />

nämlich häufig kritisiert, dass die Sicht der<br />

Männer außen vor gelassen werden würde.<br />

„dieStandard“-Ressortleiterin Beate<br />

Hausbichler erläutert dieses Phänomen<br />

am Beispiel Frauen und Gewalt: Unter<br />

Artikeln, die Gewalt gegen Frauen thematisieren,<br />

komme etwa oft reflexhaft die<br />

Frage, warum nicht über häusliche Gewalt<br />

gegen Männer berichtet wird, da ja<br />

Männer hauptsächlich Opfer von Gewalt<br />

würden. Dies sei zwar richtig, beiseite geschoben<br />

werde aber, dass auch die Täterschaft<br />

vorwiegend männlich sei. Bei Artikeln<br />

zu allgemeineren Themen, wie etwa<br />

feministischen Aktivismus, werde oft<br />

argumentiert, dass diese Art der Berichterstattung<br />

„die wahren Probleme“ nicht<br />

treffen würde.<br />

Man versucht also unter frauenspezifischen<br />

Artikeln verstärkt einen Ausgleich<br />

in die andere Richtung zu schaffen. Immer<br />

wieder werde gefragt, warum denn hier<br />

nicht auch die Perspektive der Männer<br />

betrachtet wird, warum diese ausgeblendet<br />

werde. „Dieser Einwand ist insofern<br />

schwierig, weil eine frauenpolitische Perspektive<br />

– wenn man das auf die gesamte<br />

Medienlandschaft umlegt – eine sehr vernachlässigte<br />

Perspektve ist“, meint Hausbichler,<br />

und: Wenn man auf eine frauenpolitische<br />

Seite wie „dieStandard“ geht,<br />

müsse man sich natürlich auch frauenpolitische<br />

Artikel dort erwarten.<br />

Töne treffen im Onlineforum<br />

Onlineportale können durchaus als Ventil<br />

für Meinungen dienen, denen im sozialen<br />

Alltag nicht Ausdruck verliehen werden<br />

kann. Dies bestätigt auch Peter Vitouch.<br />

Der emeritierte Professor am Institut für<br />

Publizistik- und Kommunikationswissenschaft<br />

der Universität Wien hatte dort den<br />

Lehrstuhl für Medienpsychologie inne.<br />

Wenngleich im allgemeinen Konsens eine<br />

Gleichberechtigung der Geschlechter in<br />

der Gesellschaft schon als angekommen<br />

gilt, muss das nicht heißen, dass dem<br />

auch so ist. Im Schutz eines anonymen<br />

Forums werden Meinungen laut Vitouch<br />

ungeschminkter mitgeteilt und auch unqualifizierte<br />

Äußerungen gemacht, die<br />

man im persönlichen Kontakt kaum so<br />

von sich geben würde. Bei „dieStandard“<br />

kümmern sich professionelle Community<br />

ManagerInnen um die Aufrechterhaltung<br />

einer konstruktiven Diskussion. Unterstützt<br />

werden sie dabei vom „Foromat“.<br />

Die hauseigene Software filtert die Postings<br />

vor der Veröffentlichung anhand<br />

formaler Kriterien und den Foren-Regeln,<br />

lernt dabei aber auch laufend von der<br />

manuellen Moderation neue Regeln für<br />

die Bewertung der Postings und vergibt<br />

sogar Karmapunkte. Das bedeutet, dass<br />

vergangene Beiträge der UserInnen beeinflussen,<br />

ob ihre neuen Postings eher<br />

automatisch freigeschalten oder in die<br />

manuelle Moderation geschickt werden.<br />

Die Aufgabe der menschlichen ModeratorInnen<br />

ist es etwa, darauf hinzuweisen,<br />

wenn themenferne Behauptungen<br />

aufgestellt werden oder man sich in eine<br />

unsachliche Argumentation verläuft. So<br />

kann der Diskurs in den Foren laufend optimiert<br />

werden.<br />

54<br />

Thema „dieStandard.at“ und ihre männliche Community


Trotz der Vormoderation bleibt auf „dieStandard.at“<br />

großteils eine abwertende Tonalität<br />

zurück. Hausbichler beschreibt eine verniedlichende<br />

und belehrende Art unter vielen<br />

Artikeln. KritikerInnen würden den Artikeln<br />

auch immer die Objektivität absprechen.<br />

Ganz stark verankert sei auch der Vorwurf<br />

der Ideologie: „Es wird vielfach die Haltung<br />

eingenommen, eine frauenpolitische Perspektive<br />

sei extrem ideologisch, doch diese<br />

Kritik ist selbst alles andere als politisch<br />

neutral. Wir machen transparent, dass wir<br />

entlang des gesellschaftlichen Ziels Gleichberechtigung<br />

eine ansonsten marginalisierte<br />

Perspektive einnehmen, und das ist eine klare<br />

Haltung – nicht mehr und nicht weniger.“<br />

Offen als „frauenfeindlich“ bezeichnen könne<br />

man die Postings aber nicht. Die Stimmung<br />

sei subtiler, das Forum rede eher von „übertriebenen“<br />

Inhalten, als dass direkt sexistische<br />

Äußerungen gemacht würden. Um<br />

zurück zum Beispiel Gewalt gegen Frauen<br />

zu kommen, wo die Grenzüberschreitungen<br />

dennoch deutlicher werden: Hier hat man<br />

sich im Forum beispielsweise darüber unterhalten,<br />

dass die Frauen sich eben den falschen<br />

Partner ausgesucht hätten.<br />

Aber wessen Stimme ist das?<br />

Die Stimme einige weniger – denn die Gruppe,<br />

die wirklich viel postet ist nicht so groß.<br />

Viele posten gar nicht, viele reden hin und<br />

wieder mit und nur eine Minderheit meldet<br />

sich ständig zu Wort. Diese erscheint dann<br />

sehr präsent. Laut Vitouch wirken gesellschaftliche<br />

Meinungen in Onlineforen auch<br />

weniger objektiv als in anderen Medien: „Es<br />

entsteht eine negative Gewichtung hin zu<br />

den Populationen, die sich dort auskotzen.“<br />

Mittlerweile gebe es außerdem einen starken<br />

Fokus der Medien auf Genderthemen, auch<br />

durch die #MeToo-Bewegung. Dies führe<br />

dann eben zu Gegenreaktionen: Bestimmte<br />

Gruppierungen fühlen sich in ihrem Weltbild<br />

angegriffen und reagieren ablehnend: zum<br />

Beispiel Männer, die negativ auf ein Portal<br />

für frauenpolitische Themen reagieren. Aus<br />

dieser Ablehnung wiederum entstehen viele<br />

kritische Kommentare. Besieht man sich im<br />

Selbstversuch auf „Der Standard“ sehr stark<br />

kommentierte Beiträge, fällt auf, dass gerade<br />

bei negativ aufgenommenen Themen die Anzahl<br />

der Postings tendenziell höher ist. Das<br />

Österreichische Forschungsinstitut für Artificial<br />

Intelligence (ÖFAI) hat nun gemeinsam<br />

mit dem „Standard“ ein Projekt gestartet, das<br />

mehr Diversität in die Postings bringen will.<br />

In einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren<br />

sollen die Inhalte dabei hinsichtlich der Geschlechterthemen<br />

analysiert werden. Ziel ist<br />

es, die Ursachen für die Unausgewogenheit<br />

der Geschlechter sowie auch die Einflüsse<br />

darauf zu erforschen. Anschließend soll das<br />

Gleichgewicht der Geschlechter in den Foren<br />

gefördert werden. Die Foren des „Standards“<br />

sollen für Frauen nicht nur attraktiver zum<br />

Posten, sondern auch zum Lesen werden.<br />

„dieStandard“ gegen Diskriminierung<br />

Trägt ein eigenes Portal für frauenspezifische<br />

Themen zur Gleichberechtigung der<br />

Geschlechter bei? Ja, sagt Medienpsychologe<br />

Peter Vitouch. „Es gibt einfach diesen<br />

fixen Raum, der nicht in Frage gestellt wird“,<br />

bekräftigt Hausbichler. Man müsse nirgends<br />

etwas reinreklamieren und habe alle<br />

frauen-und genderspezifischen Meldungen<br />

gebündelt. Dadurch sei „dieStandard“ ein<br />

wichtiges Recherchetool für andere und als<br />

tagesaktuelles feministisches Medium auch<br />

eine starke Marke im deutschsprachigen<br />

Raum. Natürlich bringen auch andere Medien<br />

wie etwa der „Falter“ viele Frauenthemen,<br />

ohne dafür ein eigenes Label zu führen.<br />

Beides legitime Zugänge, meint Hausbichler.<br />

Sie bekomme allerdings auch immer wieder<br />

Beschwerden, man solle die Frauenthemen<br />

doch in den allgemeinen Teil des Mediums<br />

überführen – mit dem Argument, die Inhalte<br />

würden „aufgewertet“, wenn sie im „normalen“<br />

Teil der Zeitung zu finden wären. „Das<br />

finde ich sehr entlarvend. Einer Zeitung wird<br />

die Objektivität nicht so schnell abgesprochen,<br />

nur weil etwa 80% Prozent der Themen<br />

weiße Männer aus der Mittelschicht betreffen,<br />

doch bei einem Medium wie ‚,dieStandard,‘<br />

das die Lebensrealität von Frauen abbilden<br />

will, passiert das dauernd. “<br />

Peter Vitouch<br />

Copyright: Privat<br />

Beate Hausbichler<br />

Copyright: Heidi Seywald<br />

von Magdalena Stocker<br />

© Copyright: pexels.com<br />

„dieStandard.at“ und ihre männliche Community Thema<br />

55


Frauen lesen, Männer schreiben<br />

Auf eine Autorin kommen zwei Autoren. In Verlagen arbeiten mehr Frauen,<br />

doch die Männer haben das Sagen. Beim Lesen von Büchern ist es genau<br />

umgekehrt. Im Gespräch mit <strong>SUMO</strong> klären Gerhard Ruiss, Geschäftsführer<br />

der Interessensgemeinschaft österreichischer Autoren und Autorinnen,<br />

und Buchhändlerin Susanne Sandler diese Ungleichheit am Buchmarkt.<br />

© Copyright: Unsplash/Patrick Tomasso<br />

Laut der Studie „Zur Sichtbarkeit von<br />

Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“<br />

der Universität Rostock aus<br />

dem Jahr 2018 publizieren doppelt so<br />

viele Männer Bücher als Frauen. Gerhard<br />

Ruiss konstatiert innerhalb einer<br />

historischen Rückschau, dass sich das<br />

Geschlechterverhältnis geändert habe.<br />

Noch in den 1970er-und 1980er-Jahren<br />

sei das Verhältnis Autor zu Autorin<br />

bei Dreiviertel zu einem Viertel gelegen,<br />

schließlich bei Zweidrittel zu einem<br />

Drittel und liege heute nur mehr bei<br />

55% männlicher Autoren. Ursache für<br />

diese Ungleichheiten lägen in der Berufsrolle:<br />

„Es hat die Berufsvorstellung<br />

Autorin weniger gegeben als Autor, zur<br />

Wende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert<br />

waren Autorinnen eine Ausnahmeerscheinung.“<br />

Daraus resultierte<br />

ein Nachholprozess, der bis heute<br />

noch erkennbar sei. Dies gilt nicht nur<br />

in Sachen Buchpublikation, auch Buchrezensionen<br />

werden laut Studien öfter<br />

von Männern verfasst. Nicht nur in der<br />

Häufigkeit, auch in der Länge einer Besprechung<br />

sind Rezensenten ihren Kolleginnen<br />

voraus. Auf 4 Kritiker treffen<br />

3 Kritikerinnen, die jedoch beide öfter<br />

über die Werke von männlichen Autoren<br />

schreiben.<br />

Die junge Generation auf der Überholspur<br />

Bei den jüngeren Generationen soll die<br />

Geschlechterverteilung schon ganz anders<br />

aussehen, denn laut Ruiss gebe es<br />

phasenweise bereits mehr Autorinnen<br />

als Autoren. Vor allem bei Debüt-Romanen<br />

hätten Frauen hier die Nase<br />

vorne. Auch die Suche nach Verlagen<br />

falle ihnen nicht mehr so schwer wie<br />

früher, vielmehr entscheide das Alter:<br />

Mit „Jung und begabt“ Kategorisierte<br />

fänden eher einen Verlag als „Länger<br />

da und nicht mehr jung“, das Geschlecht<br />

spiele hierbei weniger eine Rolle. Da<br />

sich die Literaturszene in Richtung<br />

junger AutorInnen bewege, sprechen<br />

manche bereits von Altersdiskriminierung.<br />

Der Buchmarkt sei also in den<br />

letzten Jahren für Frauen durchlässiger<br />

geworden, so Ruiss, doch er gibt<br />

auch zu bedenken, ob dies nicht Folge<br />

von Stereotypen sein könnte. Der Vermarktungsprozess<br />

männlicher Autoren<br />

tendiere zum Jung-Genie und wärme<br />

dieses im generellen Genie-Kult immer<br />

wieder auf. Bei Autorinnen sollen in der<br />

Vermarktung auch die eigene Attraktivität,<br />

Intelligenz und die literarischen<br />

Kenntnisse eine große Rolle spielen,<br />

das sogenannte „Fräulein-Wunder“<br />

der Literatur. Beide Geschlechter betreffend<br />

trete nunmehr auch der „Popsterncheneffekt“<br />

auf: Nach zwei bis drei<br />

Büchern hätten AutorInnen und Autoren<br />

heute bereits Schwierigkeiten, weitere<br />

Werke zu verfassen. Schuld daran<br />

sei der veränderte Schreibrhythmus,<br />

dem sie ausgesetzt sind. „Früher hat<br />

kein Mensch von AutorInnen verlangt,<br />

mindestens jedes zweite Jahr einen<br />

Roman liefern zu müssen“, meint Ruiss.<br />

Während das Lebenswerk früher aus<br />

zehn Romanen bestand, sollte man mit<br />

dem vorgegebenen Tempo heute auf 50<br />

oder gar 100 Bücher kommen.<br />

Krimis sind Männersache, Kinderbücher<br />

sind Frauensache<br />

Zumindest was Rezensionen angeht,<br />

scheint die Welt der Krimis den Männern<br />

zu gehören. Laut einer Studie der<br />

Universität Rostock waren 82% der von<br />

Männern verfassten und 66% der von<br />

Frauen verfassten Kritiken über Krimis<br />

aus Autorenhand. Ruiss ist aber der<br />

Meinung, dass Männer im Unterschied<br />

zu früher nicht mehr Krimis schreiben<br />

als Frauen. Während in der Kriminalliteratur<br />

damals das Verbrechen an<br />

sich im Vordergrund stand, sei sie jetzt<br />

durch detektivische Elemente sowie<br />

von logischen Denkprozessen geprägt<br />

und somit weiter fortgeschritten. So<br />

wie den Männern die Kriminalliteratur<br />

zugeschoben werde, seien Kinder-und<br />

Jugendromane für Frauen typisch. Diese<br />

genrebezogenen Dominanzen sind<br />

laut Ruiss historischen Ursprungs, denn<br />

früher waren es die Männer, die über<br />

Gewalt und Abenteuer und schrieben,<br />

die sanften Themen wie Kinder- und<br />

Jugendliteratur, Lyrik sowie Liebesgeschichten<br />

blieben den Frauen. Diese<br />

Genredominanzen entstünden ob der<br />

verschiedenen Blickwinkel, aber auch<br />

Erfahrungen. „Trotzdem kann nicht gesagt<br />

werden, das eine ist typisch für<br />

Männer und das andere typisch für<br />

Frauen.“<br />

Der Verlegerin und die Lektor<br />

In der Buchbranche arbeiten mehr<br />

Frauen als Männer. Je höher die Posi-<br />

© Copyright: picjumbo/Victor Hanacek<br />

56<br />

Thema Frauen lesen, Männer schreiben


tionen, umso weniger sind Frauen mit<br />

diesen besetzt. Ruiss: „Da gibt es noch<br />

die traditionelle Aufteilung: Männer<br />

sind im Verlagswesen tätig und Frauen<br />

in den Bibliotheken.“ Susanne Sandler,<br />

Inhaberin der Buchhandlung Schubert<br />

in St. Pölten und Wirtschaftspädagogin,<br />

ist der Meinung, dass im Prozess der<br />

Erstellung eines Buchs bis zum Verkauf<br />

im Hintergrund die „Knochenarbeit“ an<br />

Frauen hängen bleibe. Im Buchhandel<br />

habe sich das Blatt bereits gewendet,<br />

war dieser früher von Männern beherrscht,<br />

dominieren diesen heute die<br />

Frauen. „Die Buchhändlerin ist selbstverständlich<br />

geworden, genauso wie<br />

der Bibliothekar“, so Ruiss. Auch in Lektoraten<br />

seien Frauen stärker präsent<br />

als Männer. Aber nur die Präsenz sagt<br />

nichts über die Spitzenpositionen aus,<br />

denn dort werde sich laut Sandler erst<br />

etwas ändern, sobald die Gleichberechtigung<br />

in allen Berufen eintrete. Und im<br />

Einkommen? Hier herrscht sowohl bei<br />

AutorInnen, als auch bei Angestellten<br />

in der Buchbranche ein großes Ungleichgewicht.<br />

Unter den Top Drei der<br />

Bestverdiener weltweit befand sich im<br />

Jahr 2016 mit J. K. Rowling („Harry Potter“)<br />

eine Frau auf dem dritten Platz,<br />

hinter Jeff Kinney („Gregs Tagebuch“)<br />

und James Patterson (div. Kriminalromane).<br />

Nur im Jahr 2013 erklomm E.<br />

L. James mit „Fifty shades of Grey“ als<br />

Frau die Spitze. Dabei geht es nicht rein<br />

um Pflichttantiemen, sondern auch um<br />

ausverhandelten Tantiemen-Vorschuss<br />

und -Satz. Besonders zu spüren bekommen<br />

die Ungerechtigkeit weibliche<br />

Angestellte in Verlagen, sie verdienen<br />

bis zu 30% weniger als ihre Kollegen.<br />

LeserINNEN<br />

Auf die Frage, welches Geschlecht mehr<br />

lesen würde, haben Sandler und Ruissdie<br />

gleiche Antwort: Frauen, und das in<br />

allen Altersgruppen. So erzählt Sandler,<br />

die auch als Lehrerin arbeitet, dass Burschen<br />

die Schulbibliothek meiden, während<br />

die Mädchen durchaus viel und<br />

auch regelmäßig lesen. Laut Ruiss sei<br />

die Bedeutung von Literatur für Frauen<br />

viel höher als die der Männer: „Literatur<br />

spielt für sie einfach eine andere Rolle<br />

im Leben.“ Diese andere Rolle zeigt sich<br />

auch in den Genres, die das jeweilige<br />

Geschlecht präferiert. Während Frauen<br />

Belletristik bevorzugen, seien es bei<br />

Männern Fachzeitschriften, Management-und<br />

Sachbücher, sind sich Sandler<br />

und Ruiss einig. Diese Unterschiede<br />

in Rezeptionsvorlieben sind allesamt<br />

legitim, die Branche jedoch – ob auf<br />

Seiten der AutorInnen oder Angestellten<br />

in der Buchwirtschaft – bedarf einer<br />

Gleichstellung. Der Markt entscheidet,<br />

doch – so Ruiss: „Ohne Frauen gäbe es<br />

keinen Buchmarkt.“<br />

von Theresa Rogl<br />

Gerhard Ruiss<br />

Copyright: Dieter Scherr<br />

© Copyright: Viktor Hanacek.picjumbo<br />

Frauen lesen, Männer schreiben Thema<br />

57


Geschlechterhass im Netz<br />

Verachtung, Diskreditierung, blanker Hass: vor allem Frauen schlagen sie<br />

entgegen. Zum Rückschritt in puncto geschlechtsausgewogener Debatten<br />

bat <strong>SUMO</strong> Lena Jäger, Projektleiterin des Frauenvolksbegehrens 2018,und<br />

Caroline Kerschbaumer, Leiterin der Beratungsstellen bei „ZARA –Zivilcourage<br />

und Anti-Rassismus-Arbeit“zum Gespräch.<br />

„Ihr habt das falsch verstanden.“ „Nein,<br />

lass mich dir das erklären.“ „Das schaut<br />

so aus.“ Frauen dürfen wählen, arbeiten<br />

und ihre Stimme erheben. Obwohl,<br />

dürfen sie tatsächlich ihre Stimme erheben?<br />

Gerade online werden sieimmer<br />

wieder eines „besseren belehrt“.<br />

Auch ein Fall wie bei Sigi Maurer, der<br />

vormaligen Politikerin der GRÜNEN,<br />

kommt nicht selten vor. Immer wieder<br />

werden speziell Frauen online belästigt<br />

oder verbal angegriffen. Laut Caroline<br />

Kerschbaumer ist Hass –besonders im<br />

Internet–großteils gegen bestimmte<br />

Gruppen gerichtet, egal ob eine religiöse<br />

Gemeinschaftoder einem ganzen<br />

Geschlecht. Die Täter, oder auch Täterinnen,<br />

haben meist eine große Aggression<br />

in sich, für die Web 2.0 eine perfekte<br />

Plattform biete. Denn dort seidie<br />

Hemmschwelle sehr viel geringer als<br />

bei einer Face-To-Face-Situation.<br />

Wenn Männer Frauen die Welt erklären<br />

Aber nicht nur dieaktive Hasseruptionim<br />

Netz ist heutzutage ein großes<br />

Problem.Auch „Mansplaining“ und<br />

„Manterruption“ irritieren Frauen zumindest<br />

im sogenannten westlichen<br />

Kulturkreis. Mansplaining bedeutet, wie<br />

ein Mann einer Frau Themen und Dinge<br />

erklärt, die sie selbst schon längst<br />

weiß. Der Mann tut dies allerdings auch<br />

im Bewusstsein, dass sein Gegenüber<br />

bereits dieses Wissen besitzt, will sich<br />

ihr gegenüber jedoch erheben, da er der<br />

„Klügere“ sein möchte. Manterruption<br />

definiert Situationen, in denen Frauen<br />

immer wieder von Männern mitten im<br />

Satz unterbrochen werden, besonders<br />

in beruflichen Situationen wie Sitzungen<br />

und Meetings. Um aufzuzeigen,wie<br />

häufigFrauen im alltäglichen Leben von<br />

Männern unterbrochen wurden gibt es<br />

eine App namens „womaninterrupted“.<br />

Diese App läuft den ganzen Tag im Hintergrund<br />

mit und zählt, wie oft eine Frau<br />

von einem Mann unterbrochen wird.<br />

Anschließend wertet sie die Unterbrechungen<br />

aus und resultierteine Anzahl,<br />

wie oft die Nutzerindurchschnittlich pro<br />

Minute unterbrochen wurde.<br />

Auf der Website von „WomanInterrupted“<br />

lassen sich 99 Länder vergleichen:<br />

Negativer Spitzenreiter mit 11Unterbrechungen<br />

pro Minute sind die britischen<br />

Jungferninseln, am seltensten<br />

werden Frauen in Luxemburg mit 0,03<br />

Unterbrechungen pro Minute „interrupted“.<br />

Österreich liegt aufPlatz 75, hier<br />

werden Frauen durchschnittlich einmal<br />

pro Minute im Gespräch unterbrochen.<br />

Manspaining und Manterruption sind<br />

zwar seltener online aufzufinden als im<br />

echten Leben – in dem sie wohl noch<br />

häufiger stattfinden –, aber besonders<br />

Mansplaining ist auch virtuellein echtes<br />

Problem. Und oft wird es als ein solches<br />

gar nicht wahrgenommen. Laut Lena<br />

Jäger seidie Gesellschaft noch in alten<br />

Mustern verankert, innert derer eine-<br />

Belehrung als gut gemeint und nicht als<br />

beleidigend betrachtet werde, und zwar<br />

von beiden Seiten.<br />

„Männerrechteforen“als Gegenbewegung<br />

Allerdings wollen viele Männer nicht<br />

nur auf allgemein zugänglichen Social<br />

Media-Plattformen Frauen die „Welt<br />

erklären“, sondern auch ineigenen Männerrechteforen.<br />

„Wikimannia“, „Manndat“<br />

und „Ichhasse.at“ stechen hierbei<br />

heraus. „Wikimannia“ beispielsweise<br />

ist eine Art „Wikipedia“ für Männer, die<br />

gerne Beiträge über Themen wie Abtreibung,<br />

Kopftücher, Feminismus oder<br />

ähnliches lesen bzw. auch schreiben.<br />

Die Themenvielfalt ist besonders auf<br />

„Wikimannia“ sehr breit gefächert und<br />

lässt kaum ein Themengebiet aus. Jedoch<br />

schreiben sie nicht nur über Feminismus<br />

und Männerrechte, sondern<br />

auch über allgemein politische Themen<br />

und auch über Familie bzw. Wissenschaft.<br />

Wie gut recherchiert und<br />

objektiv diese Beiträge dann wirklich<br />

sind, ist allerdings fraglich. „Manndat“<br />

ist im Gegensatz zu Wikimannia kein<br />

Online-Lexikon, sondern eigentlich ein<br />

Verein. Dieser Verein postet auf seiner<br />

Webseite regelmäßig Beiträge zu diversen<br />

„Männerrechte-Themen“, egal<br />

ob Vaterschaft, „Jungen“ oder Feminismus,<br />

hier wird kein Männerrechtethema<br />

ausgelassen. Auf ihrer Seite kritisieren<br />

sie stark radikalen Feminismus,<br />

der nur Rechte fürFrauen einräumt,<br />

allerdings keine für Männer. „Ichhasse.<br />

es.at“ ist im Gegensatz dazu ein reines<br />

Forum, wo es nicht nur um feministische<br />

Themen geht, sondern allgemein<br />

um Hass. In diesem Forum bzw. in<br />

vielen Unterforen kann jeder und jede<br />

©<br />

© Copyright: pexels/freestocks.org<br />

58<br />

Thema Geschlechterhass im Netz


seinen bzw. ihren Hass zu den unterschiedlichsten<br />

Themen freien Lauf lassen.<br />

Hier kommt es letztendlich auch in<br />

manchen Unterforen zu genderspezifischen<br />

Hass und einer allgemeinen Abwertung<br />

von Frauen.<br />

In diesen Foren werden nicht nur ehrenamtliche<br />

Organisationen wie das<br />

„Frauenvolksbegehren 2.0“ in ein sehr<br />

schlechtes Bild gerückt, sondern Frauen<br />

auch dazu aufgefordert, wieder ihren<br />

alten Platz in der Gesellschaft einzunehmen:<br />

Küche und Schlafzimmer. Diese<br />

Foren seien laut Jäger Antworten auf<br />

den Feminismus. Die Betreiber stützten<br />

sich stark auf das Ideal von „Früher war<br />

alles besser“ und hätten letztlich Angst<br />

vor Veränderung. Denn um Frauen zu<br />

stärken, müssen Männer einen gewissen<br />

Anteil an Macht abgeben, und das<br />

wollen viele schlichtweg nicht. Und da<br />

es stark an einem konstruktiven Dialog<br />

mangele, flüchten sich die „verdrängten<br />

Männer“ letztendlich in solche Foren.<br />

Jedoch sind sie nicht alle in einen Topf<br />

zu werfen. Beispielsweise gibt es auch<br />

Väterrechte-Foren, die einen durchaus<br />

positiven Einfluss auf die Gesellschafthaben<br />

können. Einige sprechen sich<br />

beispielsweise positiv in puncto Frauenvolksbegehren<br />

aus, da sie selbst der<br />

Meinung sind, dass nicht die gesamte<br />

finanzielle Verantwortung auf den-<br />

Schultern der Männer lasten sollte und<br />

auch viele Väter für einige Monate zu<br />

Hause bei ihren Kindern bleiben wollen.<br />

Erste Schritte in die richtige Richtung<br />

Laut Jäger und Kerschbaumer könne<br />

man auch als Einzelperson etwas<br />

gegen Hass im Netz tun, wichtig sei jedoch<br />

gleichzeitig die Hilfe und Einsicht<br />

der Regierung. Beispielsweise könne<br />

jedes Individuum bei einem Fall von<br />

Hass im Netz kommentieren und eine<br />

andere Meinung kundtun, um aufzuzeigen,<br />

dass es auch andere Sichtweisen<br />

auf ein Thema gibt. Außerdem ist<br />

es auch möglich Fälle zu Hass im Netz<br />

bei den Plattformen selbst, oder bei der<br />

von ZARA betriebenen Beratungsstelle<br />

#GegenHassimNetz zu melden. Laut<br />

Jäger seies aber trotzdem wichtig, dass<br />

die Regierung einschreite. Und zwar indem<br />

sie das zivile Strafrecht verändere,<br />

damit Frauen, die sich online belästigt<br />

fühlen, auch wirklich die Möglichkeit<br />

zur Klageund möglichst schnell einen<br />

finanziellen und rechtlichen Beistand<br />

bekämen.<br />

Bis zur absoluten Gleichstellung ist<br />

es letztendlich noch ein langer Weg,<br />

jedoch ist die österreichische Gesellschaft<br />

bereits am richtigen Pfad mit<br />

Initiativen wie dem Frauenvolksbegehren<br />

2.0 – welches Aufmerksamkeit für<br />

das Thema schürt –und ZARA– einer<br />

Organisation, die sich speziell für Opfer<br />

von Hass im Netz einsetzt. Letztendlich<br />

liegt der Großteil der Verantwortung,<br />

um Hass im Netz aktiv zu bekämpfen<br />

bei jedem und jeder selbst. Indem man<br />

kontert und Vorfälle tatsächlich meldet.<br />

Nur damit, und mit Unterstützung der<br />

Regierung, kann man gegen Hass im<br />

Netz nachhaltig vorgehen.<br />

Lena Jäger<br />

Copyright: Frauenvolksbegehren<br />

von Denise Docekal<br />

Geschlechterhass im Thema Netz<br />

59


„Revenge Porn“ - Kontrollverlust<br />

der eigenen Identität im Netz<br />

Ein schneller Klick –und ein durch den Ex-Partner gebrochenes Herz, Eifersucht<br />

auf erfolgreiche Personen oder grundlose Willkür lassen intime Fotos<br />

im Netz erscheinen. <strong>SUMO</strong> diskutiert mit der dänischen Online-Menschenrechtsaktivistin<br />

Emma Holten und dem Internet Security-Experten<br />

Matthias Jax (ÖIAT) über die Ernsthaftigkeit und die verheerenden Auswirkungen<br />

eines zerstörerischen Phänomens.<br />

© Copyright: pexels/stokpic<br />

Von Revenge Porn spricht man, wenn<br />

intime Bilder oder Videos ohne Einwilligung<br />

der gezeigten Person im Internet<br />

veröffentlicht werden. Täter sind meist<br />

Ex-Partner, die diese Bilder oder Videos<br />

während der Beziehung erhalten oder<br />

erstellt haben, oder Hacker, die sich illegal<br />

privater Dateien bemächtigen. Dies<br />

geschieht aus rachsüchtiger, unterhaltender<br />

oder politischer Intention. Laut<br />

Matthias Jax – Projektleiter Digitale<br />

Medien am Österreichischen Institut für<br />

angewandte Telekommunikation (ÖIAT)<br />

– besteht, wie bei Cyber-Mobbing, eine<br />

große Gefahr darin, dass durch digitale<br />

Medien diese Fotos sehr breit gefächert<br />

viele Leute über einen langen Zeitraum<br />

erreichen. Sobald diese Bilder oder Videos<br />

online sind, werden sie das erfahrungsgemäß<br />

auch für immer sein. Es<br />

bleibt nicht bei einem Nacktfoto, dieses<br />

verbreitet sich rasch über verschiedenste<br />

(Soziale Medien-) Kanäle, es<br />

wird kommentiert, private Details werden<br />

öffentlich gestellt. Die ursprüngliche<br />

Quelle des Bildes verschwindet<br />

häufig in der Komplexität des Internet.<br />

Die Weiterverbreitung scheint nicht<br />

mehr aufhaltbar und darüber hinaus<br />

erhält das Opfer Hassbotschaften und<br />

Drohungen von Unbekannten und nicht<br />

immer anonymen Absendern. Diese<br />

Online-Zurschaustellung führt bei Opfern<br />

oftmals zu Vertrauensproblemen,<br />

posttraumatischer Belastungsstörung,<br />

Angstzuständen, Depressionen oder<br />

Selbstmordgedanken.<br />

Wenn man plötzlich die Kontrolle verliert<br />

Die Dänin Emma Holten musste 2011<br />

diese Art von „Non-consensual Pornography“<br />

am eigenen Leib erfahren. Weil<br />

sie sich nicht mehr in ihre Accounts einloggen<br />

konnte, dachte sie zuerst, sie<br />

hätte die Passwörter vergessen. Doch<br />

wie aus dem Nichts kamen unzählige<br />

E-Mails von unbekannten Absendern.<br />

Die Nachrichten enthielten Nacktfotos<br />

oder Links zu den Webpages, auf denen<br />

die Fotos veröffentlicht wurden. Diese<br />

Bilder hatte sie einige Zeit zuvor ihrem<br />

damaligen Freund geschickt und nicht<br />

mehr weiter darüber nachgedacht.<br />

Ihr Ex-Freund war auch nicht der Täter,<br />

sondern eine – noch immer – unbekannte<br />

Person, die ihre Online-Accounts<br />

gehackt hatte. Als sie den Links<br />

zu den Webpages folgte, musste sie<br />

feststellen, dass nicht nur ihre Nacktfotos<br />

gepostet wurden, sondern darüber<br />

hinaus ihre Passwörter, ihre Adresse,<br />

ihre Handynummer, die Namen<br />

ihrer Familienmitglieder – „Almost all<br />

the identifying information of me was<br />

out there“, so Holten. Die Dänin rief bei<br />

der Polizei an, die Antwort war ernüchternd:<br />

„,We are pretty sure that something<br />

illegal is happening here and you<br />

can make a report but if I were you, I<br />

wouldn’t waste my time doing that because<br />

we are not going to do anything.’”<br />

Holten versuchte, die Betreiber der<br />

Webpages zu kontaktieren mit der Aufforderung,<br />

ihre Bilder zu löschen. Doch<br />

dieser wurde nur selten stattgegeben.<br />

Die Betreiber verlangten Beweise, dass<br />

die Bilder ohne ihre Zustimmung gepostet<br />

wurden. Das einzige Argument,<br />

dem stattgegeben wurde war, dass<br />

sie auf einigen Bildern noch minderjährig<br />

war. Beim Zugänglichmachen<br />

von pornographischen Darstellungen<br />

einer minderjährigen Person sind die<br />

Gesetze hart – vor allem in den USA.<br />

Das schreckte zwar Betreiber ab, war<br />

jedochder einzige Grund, einen Teil der<br />

Bilder von der Seite zu nehmen. Ansonsten<br />

gab man ihr selbst die Schuld,<br />

für solche Fotos überhaupt zu posieren.<br />

Ob dieser Demütigung und Stigmatisierung<br />

versuchte sie, die gehackten<br />

Nacktfotos vorerst geheim zu halten,<br />

damit keiner in ihrem persönlichen<br />

Umkreis davon erfuhr. Aber natürlich<br />

musste sie herausfinden, dass dies unmöglich<br />

war. Sie wurde online bloßgestellt,<br />

erniedrigt und erpresst. Die Fotos<br />

wurden an Familie, FreundInnen und<br />

ArbeitskollegInnen gesendet. Das Ganze<br />

hatte Dimensionen angenommen,<br />

die nicht mehr kontrollierbar waren. „I<br />

felt an extreme sense of a loss of control.<br />

And since then I couldn’t decide who<br />

I was anymore or what my name meant<br />

or what a picture of me was supposed<br />

to mean.”<br />

60<br />

Thema „Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz


Perfekte Profilbilder verstecken häufig<br />

unehrenhafte Gesichter<br />

Obwohl Holten auf ihren Profilen regelmäßig<br />

belästigt wurde, nützte sie Soziale<br />

Medien nach wie vor. Einerseits,<br />

damit nicht alles hinter ihrem Rücken<br />

geschah und sie ein Gefühl hatte zu<br />

wissen, was los war. Andererseits um<br />

zu versuchen, eine andere Geschichte<br />

über sich selbst zu präsentierenund<br />

den Bildern nicht die Macht zu geben,<br />

das Einzige zu sein, was von ihr im Netz<br />

zu finden war. Auf die Frage, warum<br />

sich UserInnenan der Weiterverbreitung<br />

dieser Bilder beteiligen, meint sie:<br />

„I think obviously there are a lot of people<br />

who look at those pictures for sexual<br />

use. It is my impression that the people<br />

who go so far as to harass, threaten<br />

or blackmail others – they definitely do<br />

it because it makes them powerful. It<br />

makes them feel that there is someone<br />

below them and it gives them a sense<br />

of controlling and using another person<br />

for their game.” Und diese Taten führten<br />

NutzerInnen von Sozialen Medien<br />

in Holtens Fall mit ihren persönlichen,<br />

nicht anonymen Accounts aus. Mit<br />

Profilbildern, von denen eine sympathische<br />

Familie herunter lächelte. Denn,<br />

so Holten, sie würden denken, dass<br />

sich die Opfer für die Inhalte schämen<br />

und somit sie selbst keine Konsequenz<br />

zu befürchten hätten.<br />

Internet Security-Experte Matthias<br />

Jax sieht genau darin ein großes Problem.<br />

Viele Soziale Medien-NutzerInnen<br />

glauben, sie befänden sich online<br />

in scheinbarer Anonymität und ließen<br />

sich dadurch, anders als auf offener<br />

Straße, schneller auf Beleidigungen<br />

und andere Taten ein.<br />

Herrscht im Internet ein Zustand der<br />

gesetzlosen Anarchie?<br />

Jax betont jedoch, dass es sich im Internet<br />

nicht um einen gesetzlosen Raum<br />

handelt. „Gesetz ist Gesetz. Revenge<br />

Porn ist ja nichts anderes als die Verletzung<br />

von ureigenen Urheber-und Persönlichkeitsrechten.<br />

In dem Moment,<br />

wo es passiert, gegen mich selber –und<br />

ich bin Österreichische/rStaatsbürger/<br />

in–sind die Gesetze auch anwendbar.<br />

Es hat gar nichts damit zu tun, ob das<br />

von einer ausländischen oder inländischen<br />

IP-Adresse oder sonst woher<br />

gekommen ist.“ Neben Cybermobbing<br />

und pornografischer Darstellung Minderjähriger<br />

könnten auch Straftaten<br />

wie Verleumdung und üble Nachrede<br />

im Rahmen von Revenge Porn geschehen.<br />

Eine Schwierigkeit in Fällen von<br />

Revenge Porn läge jedoch darin, herauszufinden,<br />

wer der/die Anschlussinhaber/in<br />

sei, um in weiterer Folge den/<br />

die Täter/in zu identifizieren. Hier werde<br />

es komplexer, wenn der/die Täter/<br />

in beispielsweise IP-Adresse und den<br />

Standort des Computers verschlüsselt.<br />

Außerdem würden Opfer oft aus Angst<br />

und Scham keine rechtlichen Schritte<br />

einleiten.<br />

Bei Sozialen Medien wie „Facebook“<br />

und „Instagram“ können Opfer die<br />

Fotos sofort melden, damit diese gesperrt<br />

und nicht mehr gepostet werden<br />

können. Bei anderen Websites rät<br />

Matthias Jax mit dem „Internet Ombudsmann“<br />

in Kontakt zu treten. Dabei<br />

handelt es sich um eine kostenlose<br />

Rechtsberatungs- und Schlichtungsstelle<br />

vom ÖIAT. Über den „Internet<br />

Ombudsmann“ können die Fotos auf<br />

den Plattformen durch ein spezielles<br />

Programm direkt gemeldet und dadurch<br />

schneller gelöscht werden.<br />

Den Tätern zuvorkommen – das<br />

Pro-Active Reporting Tool von „Facebook“<br />

„Facebook“ sorgte im Mai 2018 für Aufsehen,<br />

als ein Testlauf für das „Facebook<br />

Pro-Active Reporting Tool“ in<br />

Großbritannien, Kanada, den USA und<br />

Australien durchgeführt wurde. Es sei<br />

laut Konzern speziell entwickelt worden<br />

für UserInnen, die Angst hätten,<br />

dass Nacktbilder von ihnen zukünftig<br />

auf „Facebook“ veröffentlicht werden<br />

könnten. Dabei sollten jene die sensiblen<br />

Fotos vorab „Facebook“ zusenden.<br />

Diese würden von einem speziell ausgebildeten<br />

„Community Operations<br />

Safety Team“ geprüft, daraufhin ein<br />

„Hash Code“ erzeugt werden und die<br />

Fotos wären nach einer Woche wieder<br />

von den „Facebook“-Servern gelöscht.<br />

Der „Hash Code“ sei nach wie vor abgespeichert,<br />

um das zukünftige Posten<br />

dieser Bilder zu verhindern. Man sendet<br />

also höchst vertrauliche Fotos an<br />

ein US-amerikanisches Unternehmen,<br />

das allzu oft durch schwerwiegende<br />

Verstöße gegen die Privatsphäre auffällt?<br />

Matthias Jax jedenfalls würde<br />

dringend davon abraten, „Facebook“<br />

eigene Nacktbilder vorab zur Verfügung<br />

zu stellen. Auch Emma Holten ist<br />

skeptisch und sieht es nicht als Verantwortung<br />

von mächtigen Social Media-Konzernen,<br />

sich durch solche Kampagnen<br />

um die Rechte der UserInnen<br />

zu kümmern. Proaktiv würde sie das<br />

Tool nicht verwenden.<br />

Was tun gegen Revenge Porn?<br />

Das Erstellen und Versenden von eigenen<br />

Nacktbildern sei ein persönliches<br />

Recht, das nicht eingeschränkt werden<br />

dürfe, so Holten. Sie findet es außerdem<br />

wichtig, keine Angst zu schüren.<br />

Es existiere sehr viel Solidarität und<br />

Anstand auf der Welt. Täglich werden<br />

unzählige Nacktfotos untereinander<br />

versendet und nicht publiziert, sondern<br />

gelöscht, wenn Beziehungen auseinander<br />

gehen.<br />

Auch Matthias Jax ist der Meinung,<br />

dass „nichts gegen diese Art von Kommunikationen<br />

spricht. Es geht nur darum,<br />

dass man sich dessen bewusst<br />

ist, dass online gestellte Inhalte auch<br />

gegen einen verwendet werden können.“<br />

Daher sei es wichtig, mit der Zielgruppe<br />

regelmäßig über diese Themen<br />

zu sprechen und mit Nachdruck darauf<br />

aufmerksam zu machen, dass es sich<br />

um extrem intime Fotos und bei der<br />

unerlaubten Weiterleitung um einen<br />

absoluten Eingriff in die Privatsphä-<br />

„Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Thema Netz<br />

61


e handelt. Banale Tipps wären, darauf zu<br />

achten, dass Gesicht und Hintergrund nicht<br />

erkennbar sind und diese Fotos durch Passwörter<br />

schwerer zugänglich zu machen.<br />

Holten meint, es müsse eine Sensibilisierung<br />

in der Gesellschaft stattfinden und<br />

eine Umsetzung klarer Gesetze gegen Gewalt<br />

im Netz seitens der Staaten erfolgen.<br />

Emma Holton<br />

Copyright: Peter Stanners<br />

Mathias Jax<br />

Copyright: ÖIAT<br />

Vox populi – die öffentlich gebilligte Meinung<br />

in Medien und Politik<br />

Die öffentliche Meinung vom starken Täter<br />

und dem schwachen Opfer scheint zu<br />

bröckeln. Bestärkt durch die #MeToo-Bewegung<br />

des letzten Jahres. Bestärkt durch<br />

Menschen wie Emma Holten, die sich von<br />

solchen Missbräuchen nicht unterkriegen<br />

lassen, öffentlich über das Thema sprechen<br />

und Opfern ein Gesicht geben. Holten<br />

hat auf ihre Geschichte 2014 in besonderer<br />

Weise aufmerksam gemacht und die Kontrolle<br />

über die Situation teilweise zurückgewonnen.<br />

Vor der Linse der dänischen Fotografin<br />

Cecilie Bødkerstellte sie fast nackt<br />

Alltagssituationen dar. Dieses Mal auf keine<br />

pornografische Weise. Sondern beim Buchlesen<br />

oder Zähneputzen. Dann stellte SIE<br />

diese Fotos FREIWILLIG online, mit einem<br />

Video über ihre Geschichte. Dadurch brachte<br />

sie auch außerhalb von Dänemark einen<br />

Stein ins Rollen. Laut der Menschenrechtsaktivistin<br />

sei die Gesellschaft in den letzten<br />

Jahren bereits viel offener und zuvorkommender<br />

geworden. „When this happened to<br />

me in 2011, I didn’t meet any people except<br />

for feminists who didn’t say it was my own<br />

fault. And that is a much rarer thing now.“<br />

Wo der Fortschritt noch stark gebremst<br />

wird, sei die Politik. „I think it is very telling<br />

that types of violence that mostly hit teenagers,<br />

young women or gay men – that that<br />

type of crime is not seen as serious and as<br />

important. It is my understanding that if the<br />

majority of victims of Revenge Porn were<br />

extremely rich, powerful men who are 50<br />

years old, there would be laws.” Und sie fügt<br />

an: „If thousands of people in your country<br />

are getting their privacy violated you are<br />

failing as a government to protect their human<br />

rights.“<br />

© Copyright: pixabay<br />

Medien tragen durch ihre Funktion der Information<br />

dazu bei, Unkenntnis zu verringern.<br />

Die Scheinwerfer müssen daher auch<br />

auf Randthemen wie „Revenge Porn“ gerichtet<br />

werden,umein Umdenkenin der gesamten<br />

Struktur der Gesellschaft voranzutreiben.Bei<br />

Rachepornografie gehtes nicht<br />

um die Nacktheit oder Sexualität der Person<br />

auf den Bildern. Durch die Tat wird das<br />

Recht auf Einverständnis ignoriert und die<br />

Kontrolle der eigenen Intimsphäre entzogen.<br />

Diese Tatsache darf nicht durch dominierende<br />

Unwahrheiten Unwissender oder<br />

MittäterInnenin den Tiefeneiner Schweigespirale<br />

verloren gehen.<br />

von Karin Pargfrieder<br />

62<br />

Thema „Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz


Impressum<br />

Medieninhaberin:<br />

Fachhochschule St. Pölten GmbH<br />

Matthias Corvinus-Straße 15<br />

A-3100 St. Pölten<br />

Telefon: +43(2742) 313 228<br />

www.fhstp.ac.at<br />

Fachliche Leitung:<br />

FH-Prof. Mag. Roland Steiner<br />

E-Mail: roland.steiner@fhstp.ac.at<br />

Telefon: +43(2742) 313 228 -425<br />

Fax: +43(2742) 313 228 -409<br />

www.sumomag.at<br />

Copyright: Claudia Mann<br />

Das Team der Ausgabe 32 und des Onlinemagazins www.sumomag.at<br />

von links nach rechts: Hannah Schreier, Roland Steiner, Anna Putz, Magdalena Stocker, Karin Pargfrieder, Christiane<br />

Fürst, Denise Docekal, Katharina Samsula, Sophie Bezensek, Kristina Wagner, Alice Meuer, Lisa Wögerbauer, Sophie-Luise<br />

Karson, Sabrina Bichler, Janina Schmid, Stefanie Brandstetter, Lukas Pleyer, Johanna Aigenberger, Natascha<br />

Schäffer, Kathrin Weinkogl, Nadja Malinowsky, Nicolas Hofbauer, Jan Müllner, Lara Hubmann, Theresa Rogl<br />

Nicht am Bild: Katharina Glück, Teresa Takacs, Bettina Berger, Anastasia Malyavko, Christian Woltran, Johanna Schrey,<br />

Katharina Arbeithuber, Manfred Binder<br />

TEAMLEADERS<br />

REDAKTION: Putz<br />

PRODUKTION: Glück, Takacs<br />

BILDREDAKTION: Berger, Schreier<br />

VERTRIEB: Malyavko, Woltran<br />

KOMMUNIKATION RELEASE: Schrey<br />

SALES: Arbeithuber, Weinkogl<br />

<strong>SUMO</strong>MAG: Binder<br />

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63


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