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SUMO #36

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Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten<br />

© Copyright: Juliana Steiger<br />

Medienkrisen / Krisenmedien<br />

Ausgabe 36<br />

- März 2021 -


Medienmanagement<br />

studieren heißt die<br />

Zukunft der Medien<br />

mitgestalten.<br />

Wissen, was morgen zählt.<br />

Medienmanagement<br />

· Bachelorstudium: 6 Semester<br />

· Vollzeit<br />

Schwerpunkte<br />

· Content Management<br />

· Marketing und Sales<br />

· Strategisches Management<br />

© Martin Lifka Photography<br />

2<br />

Thema<br />

Jetzt informieren:<br />

fhstp.ac.at/bmm


Inhalt<br />

» Editorial von Roland Steiner 4<br />

» Wenn es wirklich wichtig ist: lieber digital? von Lukas Pleyer 5<br />

» Umweltkrisenberichterstattung - überbewertet oder Zukunft? von Julia Allinger 8<br />

» Das wirtschaftliche Standing professioneller Fotografie von Ida Stabauer 12<br />

» Krisen im Schattendasein der Medien von Karin Pargfrieder 15<br />

» „Reporter ohne Grenzen“ - oder doch mit? von Kristina Petryshche 18<br />

» Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“ von Christiane Fürst 20<br />

» Satire als Gegenmittel in Krisen von Christian Krückel 24<br />

» Auf der Suche nach Schnäppchen über Vergleichsportale von Laura Sophie Maihoffer 27<br />

» Keine Zukunft für Musikmedien? von David Pokes 29<br />

» „Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“ von Alexander Schuster 32<br />

» Auf der Flucht vor der Krise von Christian Krückel 35<br />

» Modern Loneliness: Zwischen Likes und Einsamkeit von Lisa Schinagl 38<br />

» Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder? von Simone Poik 40<br />

» Journalismus heute: Alles geklaut und gelogen? von Matthias Schnabel 43<br />

» Zwischen Liebe und Hass - Das Geschäft mit der Privatsphäre der Stars von Michael Geltner 46<br />

» Close up (or down), Cinema?! von Julia Gstettner 50<br />

» Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Druck? von Annika Schnuntermann 52<br />

» Der Traum der europäischen Datensouveränität von Matthias Schnabel 55<br />

» Steckt der österreichische Film in der Krise? von Raphaela Hotarek 58<br />

» Die Facetten der Angstlust von Viktoria Strobl 62<br />

» Man nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung von Simone Poik 66<br />

» Kaufen oder nicht kaufen? - Testmagazine verraten es uns von Manuela Schiller 70<br />

» GIS Pfui, Pay TV/Streaming Hui?! von Julia Gstettner 72<br />

© Copyright: pexels<br />

Inhalt<br />

3


Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser!<br />

Es begann mit „Asterix“ und Kinderbüchern des<br />

Rowohlt Verlags, ehe den Zwölfjährigen die „Kleine<br />

Zeitung“ und dank einer Mutter als Ordinationsgehilfin<br />

die Wartezimmer-Zeitschriften interessierten<br />

(Adels-Klatsch & Promi-Tratsch, auch der damals<br />

noch nicht ramponierte „Stern“). Schon selbstbestimmter<br />

gesellte sich das Abo der Musikzeitschrift<br />

„Rennbahn-Express“ hinzu, um sich danach zu distinguieren<br />

mittels „SPEX“ und „New Musical Express“.<br />

Vom Bildschirm schimmerten „Die Sendung<br />

mit der Maus“ und echte Tier-Dokus (oder der „Tatort“<br />

dank Opa), später „Zeit im Bild“ und „Ohne Maulkorb“.<br />

Aus dem Radio erklangen die „Ö3-Hitparade“<br />

und Cortis „Schalldämpfer“. Welch Offenbarung an<br />

Welt für ein Kleinstadtkind in den 1980ern, ein Horizont<br />

an Sekundärerfahrungen tat sich auf und der<br />

„Möglichkeitssinn“! 1990 dann, Einführungsvorlesung<br />

am Wiener Publizistik-Institut: Prof. Langenbucher<br />

referiert im mit 1.000 auf den Journalismus-Beruf<br />

erpichten Erstsemestern gefüllten Audimax eine<br />

Statistik u.a. über Sucht- und Scheidungsraten von<br />

JournalistInnen, ökonomische Krisen im Mediensystem.<br />

Und daraus sollten wir Sinn stiften?<br />

Bitte verzeihen Sie mir das persönliche Pathos, aber<br />

Medienkrisen gibt es nicht erst seit dem C-Jahr. Nach<br />

der Revolution 1848 wurden in Österreich-Ungarn<br />

hunderte Zeitungen gegründet – und bald wieder<br />

vom Markt genommen. Zensur und Überwachung<br />

der Medien gibt es heute noch – auch in Demokratien.<br />

Wir Studierenden saßen stundenlang in einem<br />

Kaffeehaus – um für die Nutzung von Zeitungen und<br />

Zeitschriften nichts zu bezahlen. Die Minderbezahlung<br />

von Medienschaffenden erhielt bloß einen neuen<br />

Namen: Prekariat. „Video killed the Radio Star“ –<br />

und Streaming „erledigt“ das Kino?<br />

Die Medienbranche befand sich seit ihrem Entstehen<br />

in einem Wandel. Warum gerade der Journalismus –<br />

insbesondere im Print-Bereich – so krisenanfällig ist,<br />

lässt sich unter anderem so erklären: Informationsmedien<br />

sollen ihre demokratiepolitischen Aufgaben<br />

der Kontrolle und Kritik, Aufklärung und Bildung erfüllen,<br />

was vieler Ressourcen bedarf – die Medienunternehmen<br />

müssen jedoch diese Ressourcen jedoch<br />

erst auftun. Dieser Spagat wird schwieriger<br />

aufgrund veränderter Rezeptionsweisen, aufgrund<br />

hinzugekommener „sozialer Medien“ ohne journalistische<br />

Professionalität und Entlohnung, etc. Obwohl<br />

sich das zeitliche und bisweilen auch finanzielle Budget<br />

gerade im Unterhaltungssegment (z.B. Streaming,<br />

Gaming), welches NutzerInnen für Medien<br />

buchstäblich in Kauf nehmen, erhöht hat, verbleibt<br />

die Gewohnheit an der Gratisnutzung via Internet.<br />

Die <strong>SUMO</strong>-Redaktion hat sich mit dieser Ausgabe<br />

das Ziel gesetzt, Krisen in der Branche multiperspektivisch<br />

zu betrachten und positive Auswege wie<br />

Gegenbeispiele auszuloten. Multiperspektivisch bei<br />

<strong>SUMO</strong> heißt stets: mehrere Mediengattungen abdeckend<br />

und basierend auf Interviews mit ExpertInnen<br />

und Studien. Alle Teams, in denen die Studierenden<br />

der Praxislabore „Journalistische Arbeitsweisen“<br />

bzw. „Medienmanagement“ und jene des Freifachs<br />

„Medien-Fachmagazin <strong>SUMO</strong> (Print und Online)“<br />

tätig waren haben Bravouröses geleistet: Sales, Distribution,<br />

Bildredaktion, Printproduktion, Onlineproduktion,<br />

Unternehmenskommunikation – GRAZIE<br />

MILLE! Und als RedakteurInnen haben sie Ihnen,<br />

werte Leserin und werter Leser, spannende Themen<br />

aufbereitet: Digitale Briefkästen, Religionspropaganda,<br />

Vergleichsportale, Eskapismus und Angstlust,<br />

Krisen im Schattendasein der Medien, Satire als<br />

Antidot zu Krisen, Umweltberichterstattung, Jobunsicherheit<br />

in der Branche, Paparazzi, soziale Medien<br />

zur Einsamkeitsprävention, die Zukunft von Musikmedien,<br />

Film und dessen Selbstregulierung, Kinos<br />

und Fotografie, u.v.m.<br />

Das <strong>SUMO</strong>-Team wünscht Ihnen eine interessante<br />

Lektüre in besser werdenden Zeiten,<br />

FH-Prof. Dr. Johanna Grüblbauer<br />

Studiengangsleiterin<br />

Bachelor Medienmanagement<br />

FH-Prof. Mag. Roland Steiner<br />

Praxislaborleiter Print<br />

Chefredakteur <strong>SUMO</strong><br />

© Copyright: pexels<br />

Copyright: Privat<br />

Copyright: Ulrike Wieser<br />

4<br />

Editorial


Wenn es wirklich wichtig ist:<br />

lieber digital?<br />

Ob als Brief, als E-Mail oder Nachricht in einem Messenger-Dienst.<br />

Brisante Informationen mit den richtigen Personen zu teilen kann wahrlich<br />

Berge versetzen, gewissen CEOs den Tag verderben oder gar Regierungen<br />

in Bedrängnis bringen. Nur wie, ohne dass man selbst dafür zu<br />

Rechenschaft gezogen wird? Zeit für <strong>SUMO</strong>, sich Leaking-Plattformen<br />

bzw. digitalen Briefkästen und deren Bedeutung zu widmen.<br />

© Copyright: adobe stock / Dmitriy<br />

Sonntagmorgen. Heute werden sicherlich<br />

wenig Menschen auf den Straßen<br />

Wiens unterwegs sein, immerhin ist<br />

Lockdown. Gute Bedingungen, nicht gesehen<br />

zu werden. Die Tasche ist gepackt,<br />

die Kaffeetasse leer und die Lichter in der<br />

Wohnung sind abgedreht. Auf zu einem<br />

Postkasten, aber wo findet man einen?<br />

In der Postfiliale in der Weintraubengasse<br />

ist bestimmt einer, allerdings würde<br />

man da auf den Überwachungsaufnahmen<br />

zu sehen sein. Als schon mit Winterjacke<br />

in der Tür Stehender nochmal<br />

das Handy rausgeholt und nachgesehen,<br />

naja, sofern es funktionieren würde.<br />

Der Standortfinder der Post ist nicht auf<br />

Handys abgestimmt – also Laptop nochmal<br />

hochfahren und nachsehen. Aja,<br />

gleich um die Ecke, sehr gut! Dann kann<br />

ja nichts mehr schief gehen. Kurz vor<br />

Verlassen des Hauses läuft einem der<br />

Nachbar über den Weg: man kommt ins<br />

Gespräch und verlässt gemeinsam das<br />

Haus. Man unterhält sich über aktuelle<br />

Themen wie Corona oder die Baustelle<br />

im Haus, die allen auf die Nerven geht.<br />

„Das war ja früher mal ein Puff, bis die<br />

Hausverwaltung sie hat rauswerfen lassen<br />

– kommt davon, wenn man die Miete<br />

nicht bezahlt“, sagt er mit erheitertem<br />

Gemüt. „Ich habe mir einen Coronabart<br />

wachsen lassen“, erklärt der pensionierte<br />

Ur-Wiener und streift sich dabei über<br />

diesen. „Wofür rasieren, man darf ja eh<br />

nichts machen darf. Was für Zeiten! Bin<br />

ich gespannt, wann dieses Lokal endlich<br />

aufsperrt und ob überhaupt. Der Besitzer<br />

meinte, er lädt uns ein, sobald es fertig<br />

ist. Hoffentlich auf mehr als nur ein Achterl“,<br />

fährt er scherzend fort. Das Wetter<br />

ist typisch für Wien: Grau in Grau. Es hat<br />

10 Grad und es riecht nach Herbst, obwohl<br />

es Winter ist. Man geht gemeinsam<br />

Richtung Heinestraße Ecke Mühlfeldgasse,<br />

wo sich der nächstgelegene Briefkasten<br />

befindet. Er ist weniger daran interessiert,<br />

etwas abzusenden, eher etwas<br />

abzustauben; die Sonntagsausgaben<br />

von „Kurier“, „Krone“ und „Österreich“ –<br />

aber ohne Geld einzuwerfen, versteht<br />

sich ja. Der Postkasten ist mit Graffiti beschmiert<br />

und sieht eher danach aus, als<br />

ob er die besten Stunden seines Daseins<br />

schon erlebt hätte. „Entleerung Montag-<br />

Freitag, 16:00“ steht auf einem Zettel<br />

hinter einer kleinen zerbrochenen Scheibe.<br />

Ist der Nachbar schon weg? Sehr gut,<br />

dafür warten einige andere auf die Buslinie<br />

5B. Das Bauchgefühl drängt zum<br />

nächsten Briefkasten. Bei einem deutlich<br />

„gesünder“ aussehenden Postkasten<br />

angekommen, sind Sticker zu erkennen.<br />

„Team Christkind“ steht darauf – hoffentlich<br />

wird Weihnachten noch etwas.<br />

Der Blick auf das Infokärtchen hinter der<br />

intakten Glasscheibe ist zwar möglich,<br />

allerdings etwas verärgernd. Neben der<br />

Tatsache, dass auch dieser Postkasten<br />

erst am Montag um 16:00 entleert wird<br />

steht auch noch daneben mit Edding<br />

draufgeschmiert: „Fuck you“. Ob dies ein<br />

Zeichen ist? Ist der Postkasten direkt<br />

in der Filiale vielleicht doch die bessere<br />

Option oder soll ich es über digitalem<br />

Wege versuchen? Immerhin sollten die<br />

Dokumente so schnell wie möglich die<br />

richtigen Menschen erreichen und das so<br />

anonym wie es nur geht!<br />

Um sich ein Bild über digitale und anonyme<br />

Kontaktaufnahmemöglichkeiten zu<br />

verschaffen, sprach <strong>SUMO</strong> mit Hannes<br />

Munzinger, Digitalinvestigativ- und Datenjournalist<br />

bei der „Süddeutschen Zeitung“,<br />

und Markus Sulzbacher, Projektleiter<br />

des anonymen Briefkastens sowie<br />

Web-Ressortleiter bei „DER STANDARD“.<br />

EU-Angriff auf verschlüsselte<br />

Kommunikation<br />

Kurz nach dem Terroranschlag auf das<br />

Herz Wiens äußerte sich Gilles de Kerchove,<br />

Leiter der Anti-Terror-Koordination<br />

der EU, in der „ZiB“ gegenüber den<br />

Datenschutzbestimmungen der EU. Seiner<br />

Meinung nach erschweren diese es<br />

deutlich, in Ermittlungen auf Handydaten<br />

und E-Mails Verdächtiger zuzugreifen.<br />

Dem wolle die EU nun entgegentreten:<br />

Schwache Verschlüsselung, ein Generalschlüssel<br />

oder eine Hintertür soll es den<br />

Sicherheitsbehörden ermöglichen, leichter<br />

auf Handydaten zugreifen zu können.<br />

Martin Blatter, Chef des Schweizer Messenger-Dienstes<br />

„Threema“, steht dem<br />

sehr kritisch gegenüber – er ist nicht der<br />

Wenn es wirklich wichtig ist: lieber digital?<br />

5


© Copyright: adobe stock / Andrey Popov<br />

einzige. In der am 29.11.2020 erschienenen<br />

„Welt am Sonntag“ äußerte er<br />

sich wie folgt: „Diese Forderungen nach<br />

einem Generalschlüssel zeugen von der<br />

Unbedarftheit der Behörden. Wir haben<br />

gar keinen Generalschlüssel, den wir hinterlegen<br />

könnten. Die Verschlüsselung<br />

wird von den Nutzern vorgenommen<br />

und nicht von uns.“ Der Eingriff in die Verschlüsselung<br />

soll sich dabei nicht nur auf<br />

Messenger-Dienste beschränken, sondern<br />

auch auf E-Mails und Play-Chats<br />

von Videokonsolen abzielen, vermutet<br />

„STANDARD“-Webressortleiter Sulzbacher.<br />

Ein Zugriff auf das Smartphone geht allerdings<br />

auch anders, nämlich mit einem<br />

sogenannten Bundestrojaner. Der Verfassungsgerichtshof<br />

hat 2019 die Vorlage<br />

von Türkis-Blau abgelehnt, dennoch<br />

möchte man laut Regierungsprogramm<br />

diesen „verfassungskonform“ umsetzen.<br />

„Wie der nun, obwohl der erste Entwurf<br />

schon einmal abgeschmettert wurde,<br />

verfassungskonform sein soll, ist eine<br />

gute Frage. Mein Eindruck ist bei so etwas<br />

immer, dass hier viel von Menschen<br />

geredet wird, die keine Ahnung von der<br />

Technik haben und sich das alles immer<br />

sehr einfach vorstellen, um es nett zu<br />

formulieren“, ärgert sich Sulzbacher. Laut<br />

dem Projekt- und Ressortleiter wurden<br />

während dem Tierschützer-Prozess<br />

und jenem gegen den Islamisten Mohamed<br />

Mahmoud ein Bundestrojaner verwendet.<br />

„Die Strafverfolger haben sich<br />

damals so geholfen, indem sie gesagt<br />

haben, dass es kein Bundestrojaner sei,<br />

sondern irgendwie eine Software, die<br />

alle zwei Sekunden Screenshots macht<br />

und wohin schickt“, fährt er fort. Also ein<br />

Bundestrojaner? „Genau.“<br />

Der Weg zum sicheren Hafen<br />

Im Falle der Panama-Papers, bei denen<br />

ca. 11,5 Millionen Dokumente geleakt<br />

wurden, wäre der klassische postalische<br />

Weg undenkbar gewesen. Gab es damals<br />

den digitalen Briefkasten der „Süddeutschen<br />

Zeitung“ schon und wurde der<br />

hierfür genutzt? Laut Munzinger wurde<br />

der Briefkasten erst 2018 mit den „Implant<br />

Files“ ins Leben gerufen, demnach<br />

nein. Wie die Dokumente ihren Weg zum<br />

Investigativ-Team gefunden haben, darf<br />

der Journalist nicht verraten, auch wenn<br />

die Story über verschlüsseltem Weg begann.<br />

„Wenn wir über die Vermögensverhältnisse<br />

von Vladimir Putin schreiben,<br />

dann müssen wir damit rechnen, dass<br />

ein russischer Geheimdienst versucht,<br />

Kommunikationswege nachzuverfolgen,<br />

eben um zu der Quelle zu kommen“, fährt<br />

Munzinger fort. Bei Geschichten, die über<br />

den Briefkasten kommen und der Pfad<br />

demnach nicht nachvollzogen werden<br />

kann ist man etwas offener. Nicht um die<br />

Quelle offenzulegen, sondern weil man<br />

als „Süddeutsche Zeitung“ möchte, dass<br />

der digitale Briefkasten genutzt wird.<br />

Auch beim „STANDARD“ möchte man die<br />

Nutzung des Briefkastens anregen, über<br />

den, laut Sulzbacher, mehr eintrudle als<br />

mit der Post. „Man sollte nicht unterschätzen,<br />

was alles über den Briefkasten<br />

kommt.“ Der anonyme Briefkasten hält<br />

dennoch Überraschungen bereit. „Da gab<br />

es diesen Hackerangriff auf die ÖVP und<br />

da wurde bei uns quasi die ÖVP-Buchhaltung<br />

in den Briefkasten eingeworfen.<br />

Wir wussten zu dem Zeitpunkt noch<br />

nicht, dass diese Infos über einen Hack<br />

beschafft wurden“, erinnert sich der Projektleiter<br />

im Gespräch mit <strong>SUMO</strong>.<br />

Digital vs. Analog<br />

Im Falle der ÖVP-Spenderlisten, die<br />

durch einen Hack beschafft wurden, ist<br />

es für die jeweiligen Personen von oberster<br />

Priorität anonym zu bleiben. Welche<br />

Variante ist nun zu empfehlen, die Post<br />

oder doch lieber digital? „Ich finde beides<br />

gut. Aber für die LeserInnen ist die digitale<br />

Version um etliches einfacher“, meint<br />

der Projektleiter des digitalen „STAN-<br />

DARD“-Briefkastens. Munzinger sieht<br />

dies ähnlich. Laut dem Investigativjournalisten<br />

sollte man sich aber dennoch<br />

fragen, ob der digitale Weg, den man<br />

geht, Metadaten produziere oder nicht.<br />

In autokratischen Staaten beispielsweise<br />

sei das einfache Absenden eines Briefes<br />

ohne Absender/in meist nicht möglich.<br />

„Wenn man wirklich Grund zur Annahme<br />

hat, dass man mit sehr aufwendigen<br />

Mitteln verfolgt wird, zum Beispiel als<br />

Whistleblower in autokratischen Staaten<br />

oder als Whistleblower aus der Geheimdienstwelt,<br />

dann würde man natürlich<br />

empfehlen, dass man den möglichst<br />

sichersten Weg geht“, so Munzinger im<br />

<strong>SUMO</strong>-Interview. Er sei der Meinung,<br />

dass die Kontaktaufnahme über das<br />

Smartphone (außer bei zentralverwalteten<br />

Diensthandys) und einem verschlüsselten<br />

Messenger-Dienst in vielen Fällen<br />

ausreiche. Wenn es um Webbrowser am<br />

Computer geht, meint Sulzbacher: „Der<br />

Tor Browser ist bei unserem Briefkasten<br />

nicht zwingend notwendig, um anonym<br />

zu bleiben. Es ist möglich, den Briefkasten<br />

mit einem normalen Browser zu<br />

verwenden, wir raten dennoch zum Tor<br />

Browser.“<br />

Varianten digitaler Briefkästen<br />

Die vollanonyme digitale Kontaktaufnahme<br />

verkompliziere für die weitere Recherche<br />

einiges, beispielsweise falls man<br />

Rückfragen hat. „Eigentlich ist der Briefkasten<br />

für die meisten NutzerInnen eine<br />

Einbahnstraße, die werfen etwas ein und<br />

das war es dann“, konstatiert Sulzbacher.<br />

Man sorge für Anonymität, indem man<br />

unter anderem nicht mitlogge; es gebe<br />

keine Logdateien. Logdateien sind Auf-<br />

6<br />

Wenn es wirklich wichtig ist: lieber digital?


zeichnungen von Aktionsmeldungen,<br />

wie z.B. dem Hochladen von Dateien.<br />

Demnach sei es für das Team von „DER<br />

STANDARD“ nicht möglich, nachträglich<br />

mit den WhistleblowerInnen in Kontakt<br />

zu treten, außer sie würden eine Nachricht<br />

dazulegen. Die Technik hinter dem<br />

digitalen Briefkasten wurde mit Hilfe von<br />

Open-Source-Komponenten im Hause<br />

selbst aufgebaut. Ein Hausgeheimnis, so<br />

der Projektleiter. „Wir hatten es am Anfang<br />

auch mit ‚Signal‘ und ‚WhatsApp“<br />

versucht, aber das hat leider nicht so<br />

funktioniert, wie wir uns das vorgestellt<br />

haben. Es ist scheinbar für unsere LeserInnen<br />

einfacher, und es geht viel um<br />

Einfachheit, das ganz normal über einen<br />

Webbrowser hochladen zu können“, erläutert<br />

Sulzbacher weiter.<br />

Bei der „Süddeutschen Zeitung“ hingegen<br />

setzte man auf die Vielfalt an Möglichkeiten,<br />

denn jede Quelle habe unterschiedliche<br />

Fähigkeiten in der Nutzung.<br />

Eine All-in-One-Lösung gäbe es laut<br />

Munzinger nicht. Auf Sicherheit setzte<br />

man mit „Secure Drop“, einer Plattform<br />

zum anonymen und verschlüsselten<br />

Austausch von Dokumenten, Videos<br />

oder Bildern. „Natürlich ist ‚Secure Drop‘<br />

eine besonders sichere und viele sagen<br />

die beste Lösung. Allerdings muss man<br />

dafür natürlich erstmal den Tor Browser<br />

haben und unsere Adresse dazu finden“,<br />

fährt der Investigativjournalist fort. Laut<br />

ihm sei das schon eine Hürde, die manche<br />

gar nicht überspringen können oder<br />

wollen, und deswegen biete die „Süddeutsche<br />

Zeitung“ auch sehr einfache<br />

Möglichkeiten an, wie auch zum Beispiel<br />

„ProtonMail“, ein verschlüsselter<br />

E-Mail-Dienst. Ebenfalls findet man auf<br />

der Kontaktseite des Investigativ-Teams<br />

der „Süddeutschen Zeitung“ die IDs der<br />

Redakteure für den verschlüsselten<br />

Messenger-Dienst „Threema“. „Wir bieten<br />

eigentlich alles an, damit jede Quelle<br />

die uns erreichen will einen Weg nutzen<br />

kann, der ihr gerecht wird und sich mit<br />

dem dann auch wohlfühlt“, so Munzinger<br />

zur Vielfalt bei der deutschen Tageszeitung.<br />

Viel hilft viel<br />

Ob jedes Medienunternehmen einen digitalen<br />

Briefkasten anbieten sollte, das<br />

liege laut Munzinger im Ermessen der<br />

jeweiligen Handelnden. In Deutschland<br />

bieten neben der „Süddeutschen Zeitung“<br />

auch noch der „SPIEGEL“ und „ZEIT<br />

Online“ eine Leaking-Plattform an. Laut<br />

dem Journalisten sei nicht der Briefkasten<br />

entscheidend, sondern vor allem die<br />

handelnden AkteurInnen dahinter, die<br />

JournalistInnen, denn die sorgen dafür,<br />

ob eine Quelle Vertrauen in ein Medium<br />

habe oder nicht. „Warum kommt Material<br />

bei uns an? Weil man uns vertraut,<br />

weil wir Historie haben, weil wir die‚‚Panama<br />

Papers‘ bekommen haben und die<br />

Quelle bis heute nicht offengelegt wurde<br />

und nicht in Gefahr ist, wie das in anderen<br />

Fällen geschehen ist. Ich glaube, es<br />

ist wichtiger, dass man vertrauenswürdige<br />

JournalistInnen präsentieren kann,<br />

als dass man jetzt eine digitale Plattform<br />

hat“, konstatiert Munzinger.<br />

Markus Sulzbacher sieht dies anders.<br />

Seiner Meinung nach sei es wirklich<br />

wichtig, dass jedes Medienhaus in Österreich<br />

einen digitalen Briefkasten zu<br />

Verfügung stelle, sofern man es schaffe,<br />

diesen halbwegs sicher (Betonung<br />

auf halbwegs) hinzubekommen, sodass<br />

die InformantInnen dementsprechend<br />

geschützt sind. Dies sei unabhängig davon<br />

ob im Print-Bereich oder Fernsehen,<br />

denn auch die „ZiB 2“ oder „PULS4“<br />

könnten aus den eingeworfenen Informationen<br />

gute Storys machen. Die Kosten<br />

seien im Vergleich zu anderen Dingen<br />

minimal, man benötige lediglich die technische<br />

Infrastruktur und laut Sulzbacher<br />

am wichtigsten: eigene Rechner, die<br />

durch Verschlüsselung gut abgesichert<br />

sind.<br />

von Lukas Pleyer<br />

Wenn es wirklich wichtig ist: lieber digital?<br />

7


Umweltkrisenberichterstattung<br />

– überbewertet<br />

oder Zukunft?<br />

Die einen finden es durchaus berechtigt, die anderen können es kaum<br />

noch hören: Klimawandel, Umweltkrisen, „Fridays for Future“ und Co.<br />

<strong>SUMO</strong> diskutiert mit Journalist, Autor und Referent Prof. Claus Reitan,<br />

und Viktoria Auer, Pressesprecherin von GLOBAL 2000, über die Relevanz<br />

und Herausforderungen von Umweltkrisenberichterstattung für Medien<br />

und Gesellschaft.<br />

© Copyright: adobe stock / piyaset<br />

Fast bedächtig fließt das Gewässer<br />

der Donau, sanfte Wellen schlagen ans<br />

seichte Ufer. Der Wasserstand ist relativ<br />

niedrig und lässt auf wenig regnerische<br />

Tage in den letzten Wochen schließen.<br />

In den ersten Augustwochen des Jahres<br />

2002 hätte sich wohl niemand nach<br />

Krems Stein getraut, geschweige denn<br />

am Rathausplatz flaniert. Dauerregen<br />

und starke Niederschlagsmengen ließen<br />

zuerst das Wasser von Kamp und<br />

Kremsfluss überschwappen, ehe auch<br />

die Wassermassen der Donau über die<br />

Ufer traten. Was blieb, war eine Spur<br />

der Verwüstung. Von der schönen blauen<br />

Donau zur Jahrhundertflut – ganz zu<br />

schweigen vom entstandenen Schaden,<br />

der auf knapp eine halbe Mio. Euro geschätzt<br />

wurde. Etwa zwei Meter über<br />

dem Boden erinnert eine steinerne Tafel<br />

an der Ecke zum Rathaus mit den Worten<br />

„Hochwasser 14. August 2002“ an<br />

das Ausmaß der Katastrophe. Das Hochwasser<br />

blieb unzweifelhaft in den Köpfen<br />

vieler Menschen hängen und hatte<br />

neben einer gestärkten Gemeinschaft<br />

auch zahlreiche Hochwasserschutzmaßnahmen<br />

und große -investitionen zur<br />

Folge. So wurde entlang der Donau ein<br />

auf einer Höhe von elf Metern errichteter<br />

mobiler Hochwasserschutzwall geschaffen.<br />

Doch das nächste „Jahrhunderthochwasser“<br />

trat bereits im Jahr 2013<br />

ein. Noch heute (Stand November 2020)<br />

lässt sich an dem abgebröckelten Putz<br />

der Wände eines Gebäudes entlang der<br />

Steiner Donaulände auf die Folgen, die<br />

das verheerende Hochwasser hinterlassen<br />

hat, schließen.<br />

Dass für die effiziente Vermittlung von<br />

Umweltkrisen die persönliche Betroffenheit<br />

besonders wichtig ist, um Umweltthemen<br />

effektiv zu kommunizieren,<br />

unterstreicht auch Viktoria Auer. Für viele<br />

ÖsterreicherInnen sei beispielsweise<br />

das große Thema Klimakrise zu fern von<br />

der eigenen Lebenswelt. Daher sei die<br />

Schaffung eines persönlichen Bezugs<br />

wichtig, um die Folgen auch im direkten<br />

Umfeld aufzuzeigen. Das Bild der Meeresschildkröte,<br />

die im Plastikmeer ums<br />

Leben kommt, ist zwar den meisten<br />

Menschen bekannt, aber erst die unmittelbare<br />

Nähe, zum Beispiel das Aufzeigen<br />

der Konsequenzen der Vermüllung<br />

auf den Feldern der Bauern und Bäuerinnen,<br />

mache die Dynamik greifbar. Diese<br />

Thematik wurde auch 2018 im Rahmen<br />

des „Kongresses zu Klimawandel,<br />

Kommunikation und Gesellschaft“ von<br />

Isabella Uhl-Hädicke näher behandelt.<br />

Dabei wurden unerwünschte Nebenwirkungen<br />

der Klimawandelkommunikation<br />

ins Auge gefasst. Aufgrund von Erkenntnissen<br />

der sozialwissenschaftlichen Bedrohungsforschung<br />

konnten zwei Reaktionen<br />

auf existentielle Bedrohungen<br />

wie den Klimawandel erkannt werden:<br />

direktes Lösungsverhalten oder symbolisches<br />

Verteidigungsverhalten. Ersteres<br />

bezieht sich auf die Bedrohungsquelle<br />

(zum Beispiel Klimawandelinformation)<br />

und trägt zur Reduktion des Problems<br />

bei (zum Beispiel durch klimafreundliches<br />

Verhalten). Im Gegensatz dazu<br />

fehlt bei symbolischem Verteidigungsverhalten<br />

der Bezug zur Bedrohungsquelle<br />

und ist somit kontraproduktiv für<br />

das Finden von Lösungen. Symbolische<br />

Verteidigungsreaktionen dienen der<br />

Aufrechterhaltung eigener gesellschaftlicher<br />

Werte und Weltanschauungen sowie<br />

der Angstreduktion. Wird beispielsweise<br />

über die negativen Folgen des<br />

Klimawandels berichtet, kommt es zum<br />

Gefühl der Machtlosigkeit und damit zu<br />

keiner erhöhten bzw. gar verringerter<br />

Bereitschaft, klimafreundlich zu agieren<br />

und kann etwa zu Ethnozentrismus<br />

führen. Der Klimawandelreduktion kann<br />

laut der Studie daher nur durch direktes<br />

Lösungsverhalten beigetragen werden.<br />

Für die Medien selbst lasse sich bezüglich<br />

der Verantwortung, wie Reitan beschreibt,<br />

zwar eine gewisse Bringschuld<br />

unterzeichnen, die Holschuld, die publizierten<br />

Inhalte aufzunehmen, liege aber<br />

bei den StaatsbürgerInnen. „Diejenigen<br />

KollegInnen, die die Massenmedien inhaltlich<br />

gestalten, haben sicherlich eine<br />

8<br />

Umweltkrisenberichterstattung - überbewertet oder Zukunft?


Verantwortung, allerdings eine beschränkte<br />

– lediglich eine Mitverantwortung<br />

– und keine vollständige“, erläutert<br />

Reitan, der sich stark mit Nachhaltigkeitskommunikation<br />

beschäftigt.<br />

Lösungsorientiert statt<br />

angstschürend<br />

Bei GLOBAL 2000 sei das richtige Framing<br />

ein häufig diskutierter Aspekt, damit<br />

die Themen auch wirklich bei den<br />

Menschen ankommen. Die ökosoziale<br />

Steuerreform, welche klimaschädliches<br />

Verhalten besteuert, lasse sich durch<br />

das negativ behaftete Wort „Steuern“<br />

nur schwierig kommunizieren. Daher<br />

sei es essentiell, in diesem Zusammenhang<br />

den Ökobonus als Bonus für klimafreundliches<br />

Handeln zu nennen. Es gehe<br />

nicht darum, Themen herunterzuspielen,<br />

sondern diese beim Namen zu nennen.<br />

„Wir verwenden das Wort ‚‚Klimawandel‘<br />

nicht mehr, sondern‚‚Klimakrise‘, weil es<br />

ist eine Krise und so muss sie behandelt<br />

und kommuniziert werden“, veranschaulicht<br />

Viktoria Auer. Ebenso wichtig sei<br />

das lösungsorientierte Kommunizieren<br />

in Richtung einer positiven Zukunft,<br />

merkt sie an: „Ich finde, es könnte da<br />

mehr positiv kommuniziert werden, dass<br />

klimafreundliche Maßnahmen nicht immer<br />

gleich Verzicht sind und nicht immer<br />

gleich negativ.“ Bezugnehmend auf die<br />

Mediatisierung von Umweltkrisen schildert<br />

Auer, dass punktuelle Umweltkrisen<br />

wie Fukushima oder die Deepwater Horizon-Ölkatastrophe<br />

in den Medien stark<br />

kommuniziert werden und das Bewusstsein<br />

für das Krisenausmaß hier auch bei<br />

der Bevölkerung bestehe. Schwierig zu<br />

kommunizieren, aber umso wichtiger,<br />

seien die langfristigen Umweltkrisen<br />

wie die Klima- oder Biodiversitätskrise.<br />

„Langfristig gesehen sind das die zwei<br />

großen Krisen, die uns als Menschheit<br />

beschäftigen müssen, weil sie uns mehr<br />

bedrohen als die kurzfristigen“, erklärt<br />

Auer. Besonders in diesem Bereich sei<br />

die Mediatisierung und umfassende Berichterstattung<br />

ausschlaggebend, um die<br />

langfristigen, existenzbedrohenden Auswirkungen<br />

zu vermitteln. Gerade in Krisenzeiten,<br />

wie während der Coronakrise,<br />

lasse sich jedoch die ernüchternde Bilanz<br />

ziehen, dass Umweltthemen kurzfristig<br />

untergehen.<br />

Claus Reitan betrachtet die „massenmedial<br />

vermittelte Auswahl und Verbreitung<br />

umweltbezogener Themen“ als<br />

durchaus berechtigte und wesentliche<br />

Aufgabe der klassischen Massenmedien.<br />

„Das kann man aus der Sicht des Themas,<br />

des Problems heraus, egal welcher<br />

Weltanschauung man ist, für angemessen<br />

und sachlich richtig erachten“, betont<br />

Reitan. Insbesondere seit den 1980er<br />

Jahren gebe es eine intensive Ausein-<br />

andersetzung mit Umweltthemen in<br />

Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik.<br />

Von einer intensiven und umfangreichen<br />

Gesetzgebung, konkreten Initiativen aus<br />

Unternehmenskreisen und der Industrie,<br />

Initiativen direkt aus der Zivilgesellschaft<br />

über verschiedenste Auszeichnungen,<br />

Zertifikate oder einschlägige Literatur<br />

wie den CSR-Report mangele es nicht<br />

an Bemühungen in Richtung mehr Nachhaltigkeit.<br />

Entscheidend sei aber, diese<br />

Maßnahmen anhand von Maßstäben<br />

zu betrachten, um die unterschiedlichen<br />

Themen konkret beurteilen zu können<br />

und gegebenenfalls weitere Schritte zu<br />

setzen. Im Zusammenhang mit der Mediatisierung<br />

von Umweltkrisen sind auch<br />

ethische Fragestellungen und die Emotionalisierung<br />

der RezipientInnen ein nicht<br />

zu übersehender Aspekt. Das Paradebeispiel<br />

schlechthin sei Greta Thunberg mit<br />

ihrer „Fridays for future“-Bewegung, die<br />

das große Thema Klimakrise mit einer<br />

enormen Wirksamkeit in Medien und Gesellschaft<br />

einbringen konnte. Zuvor seien<br />

lange Zeit keine Gegenmaßnahmen gesetzt<br />

und die Klimakrise eher zugespitzt<br />

worden, obwohl es in keinster Weise an<br />

wissenschaftlichen Erkenntnissen zu<br />

den negativen Folgen mangelte. Erst als<br />

das Thema mehr Anklang in den Medien<br />

fand, sei es zu einer stärkeren Lösungsorientierung<br />

gekommen. „Wie wir<br />

wissen, sind Menschen keine rational<br />

denkenden und handelnden Lebewesen“,<br />

untermauert Auer die Bedeutsamkeit<br />

der Emotionalisierung. Kontraproduktiv<br />

sei es aber, in Richtung Angst zu kommunizieren,<br />

da das nur zum Abblocken<br />

der Menschen führt. Der Aufmerksamkeitswettbewerb<br />

stehe bezüglich der<br />

Ausrichtung der verschiedenen Medienangebote<br />

und -produkte an erster Stelle<br />

und führe teilweise dazu, dass zu drastischen<br />

und nach ethischen Grundsätzen<br />

unzulässigen Mitteln gegriffen werde,<br />

erklärt Reitan. Die Aufgabe der Medien<br />

bestehe aber darin, die Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge<br />

der Umweltkrisen<br />

zu recherchieren, dabei aber nicht<br />

über das Ziel hinauszuschießen und zu<br />

überzogenen Darstellungen zu greifen.<br />

„Hochwasserschutz“ im Journalismus<br />

Mit der journalistischen Funktion, Wirklichkeit<br />

zu erkennen und zu vermitteln,<br />

seien auch in Österreich viele JournalistInnen<br />

intensiv betraut, weiß Reitan:<br />

„Hier wird sehr viel an Initiativen, an Berichterstattung<br />

gesetzt. Druck zu machen<br />

ist nicht vorrangige Aufgabe des<br />

unabhängigen Journalismus, sondern die<br />

Erste ist, eine tatsächliche Wirklichkeit<br />

objektivierbar zu erkennen und getreulich<br />

zu vermitteln, sprich eine Berichterstattung<br />

zu betreiben.“ Von der rein<br />

sachlichen Berichterstattung zu unterscheiden<br />

seien Kommentare, wobei Rei-<br />

Umweltkrisenberichterstattung - überbewertet oder Zukunft?<br />

9


tan hierbei „zu wenig an Einordnung, an<br />

Erläuterung, an Kommentierung, an Ausleuchten,<br />

Beleuchten von Hintergründen<br />

und von Zusammenhängen, insbesondere<br />

an den Wirtschafts- und Politikseiten<br />

und -ressorts“ erkennt. Je nach<br />

Medium seien einerseits gattungsspezifische<br />

Unterschiede und andererseits<br />

Differenzen bezüglich der inhaltlichen<br />

Fokussierung und Themenschwerpunkte<br />

bei Umwelt- und Nachhaltigkeitsthematiken<br />

zu erkennen. Hierbei lasse sich<br />

das Symbolbild des Dreiecks, in welchem<br />

sich alle Medien bewegen, anwenden,<br />

welches sich aus den Eckpunkten der<br />

grundlegenden Richtung, dem Nachrichtenaufkommen<br />

sowie der Zielgruppe<br />

des Mediums zusammensetzt. So werde<br />

in Boulevardtiteln wie „Österreich“ die<br />

Themenauswahl eher ereignisbezogen<br />

und in Richtung der klassischen Katastrophenberichterstattung<br />

getroffen,<br />

während sich in der „Furche“ vergleichsweise<br />

hintergründigere, tiefergehende<br />

Texte fänden. Mit dem Gebot der Objektivität<br />

werde es begründet, wenn etwa<br />

in Studiodiskussionen zum Klimawandel<br />

zwei Stimmen vertreten sind: die des/<br />

der Klimawandelbefürworters/in und die<br />

des/der Klimawandelleugners/in. Das<br />

Problem hierbei sei aber, dass das objektive<br />

Verhältnis von BefürworterInnen<br />

und LeugnerInnen nicht 1:1 sei, sondern<br />

Claus Reitan / Copyright: Formanek, Wien<br />

unter WissenschaftlerInnen eher 97:3,<br />

da es mehr Klimawandelbefürworter-<br />

Innen als -gegnerInnen gäbe. Dieses<br />

Phänomen lasse sich auch als „Balance<br />

as Bias“ bezeichnen, wie das Problem<br />

in der Darstellung und Vermittlung von<br />

Umwelthemen, und insbesondere des<br />

Klimawandels, subsummiert werde.<br />

Gerade deshalb ist für Reitan eine differenzierte<br />

Betrachtungsweise ausschlaggebend.<br />

„Die Thematik der Nachhaltigkeit JournalistInnen<br />

nahe zu bringen, stößt auf ein<br />

generelles Thema, nämlich die Aus- und<br />

Fortbildung im Journalismus in Österreich“,<br />

erläutert Reitan und betont, dass<br />

ein inhaltlicher Bedarf an Aus- und Fortbildungsangeboten<br />

bestehe. „Das ist insofern<br />

schwierig, als zum Teil zu wenig<br />

Geld zur Verfügung steht, die öffentliche<br />

Hand ist hier nachlässig, die Budgets<br />

sind unzureichend. Zum Teil steht zu<br />

wenig Zeit zur Verfügung für die KollegInnen<br />

in den Medienunternehmen, und<br />

freiberufliche JournalistInnen haben aus<br />

eigenem weder die Zeit noch das Geld.“<br />

Konkret seien sowohl der Bundeshaushalt<br />

und die Bundesregierung als auch<br />

die Medienunternehmen gefordert,<br />

JournalistInnen mehr Möglichkeiten der<br />

Fortbildung in jeweils neuen Themenfeldern<br />

zu bieten. „In Österreich geht<br />

Viktoria Auer / Copyright: Stefan Wyckoff<br />

gerade viel mehr voran als in den letzten<br />

paar Jahren, gar Jahrzehnten, zum Glück,<br />

und das ist natürlich auch teilweise auf<br />

den medialen Druck hinzuführen“, erklärt<br />

sich Auer die Fortschritte in der Nachhaltigkeitsthematisierung.<br />

Wenig Verbesserungsbedarf<br />

erkenne Reitan allerdings<br />

betreffend das breit gefächerte Angebot<br />

an Wissen, Informationen sowie einschlägigen<br />

Instituten und Studiengängen.<br />

Eine grüne Zukunft?<br />

Zukünftig sieht Viktoria Auer den Umwelt(krisen)journalismus<br />

vor allem in<br />

der Herausforderung, alle Bevölkerungsschichten<br />

zu erreichen und diverse Medien<br />

mit seinen Inhalten zu bespielen. Für<br />

Umweltschutzorganisationen wie GLO-<br />

BAL 2000 stelle die Zusammenarbeit mit<br />

verschiedenen Medien wie Bezirks- oder<br />

Bauernzeitungen eine Möglichkeit dar,<br />

„auch in anderen Medien die Bevölkerung<br />

zu erreichen, die nicht spezifisch<br />

immer Umweltkrisenberichterstattung<br />

bringen“, merkt Auer an. Besonders in<br />

Bezirkszeitungen sei die Kommunikation<br />

eines positiven Bildes in Bezug auf<br />

Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen,<br />

vor allem in der eigenen Region, beliebt,<br />

und werde von diesen dementsprechend<br />

angenommen. Aufgrund eigener Beobachtungen<br />

kann Reitan sagen, dass die<br />

Umweltthematiken „zunehmend stärker<br />

ins Blickfeld geraten“ und auch in die<br />

Unternehmen bis zur Geschäftsführung<br />

voranschreiten. Als erschöpft sieht der<br />

Journalist die Zukunft für diverse Umweltsonderseiten<br />

bzw. -sendungen an.<br />

Ein Umdenken sei allerdings bei vielen<br />

JournalistInnen in den Redaktionen zu<br />

erkennen, Umwelt- und Ökologiethemen<br />

auch stärker in Politik- und Wirtschaftsberichterstattung<br />

miteinzubeziehen.<br />

Reitan hält fest: „Journalismus zum Thema<br />

Umwelt, zu Themen der Nachhaltigkeit<br />

hat nicht nur objektivierbar seine Berechtigung,<br />

sondern auch eine Zukunft<br />

und findet zunehmend ein breiteres Betätigungsfeld<br />

vor.“<br />

von Julia Allinger<br />

© Copyright: adobe stock / DisobeyArt<br />

10<br />

Umweltkrisenberichterstattung - überbewertet oder Zukunft?


MEHR ALS<br />

IRGENDWAS<br />

MIT MEDIEN.<br />

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stetige Erweiterung um neue innovative Produkte machen uns zu einem<br />

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11


Das wirtschaftliche<br />

Standing professioneller<br />

Fotografie<br />

Die professionelle Fotografie steht unter Druck. Technologische Neuheiten,<br />

die Allgegenwärtigkeit der Smartphones und die dazugehörigen Fotofilter<br />

ermöglichen es auf simple Weise professionell aussehende Fotos zu<br />

schießen. Doch wie rechtfertigt die Berufsfotografie ihr Dasein und wie<br />

kann man mit den heutigen Herausforderungen umgehen? <strong>SUMO</strong> sprach<br />

mit Univ.-Prof.in Maria Ziegelböck, Leiterin der Abteilung „Angewandte<br />

Fotografie und zeitbasierte Medien“ an der Universität für angewandte<br />

Kunst Wien, und mit Anna Obermeier, selbstständige Meisterfotografin<br />

aus Wien, über Chancen, Gefahren und mögliche Todesstöße.<br />

Das Fenster zur Welt<br />

November in Wien. Einer der ersten Sonnentage<br />

seit langem. Der Park ist gut<br />

besucht, vor allem Pärchen flanieren gemächlich<br />

die Wege entlang. Immer wieder<br />

bleiben sie stehen, einer zückt das<br />

Smartphone, der oder die Andere wirft<br />

sich in Pose. Das Licht ist gut, das Outfit<br />

durchdacht und das Lächeln geübt.<br />

Mit Blick auf den Bildschirm nimmt der<br />

oder die Andere verschiedene Winkel ein,<br />

einmal seitlich, einmal von unten, einmal<br />

Nahaufnahme. Die Models scheinen zufrieden,<br />

doch nur bis zum nächsten Objekt,<br />

das etwas herzugeben verspricht.<br />

Szenen wie diese erinnern an die klassischen<br />

Fotoshootings, für die früher viel<br />

Aufwand betrieben wurde. Doch statt<br />

FotografInnen sind es PartnerInnen –<br />

und statt Kameras sind es Smartphones.<br />

Der Wunsch nach dem eigenen Abbild<br />

ist seit Menschengedenken vorhanden.<br />

Bereits vor dem Aufkommen der Fotografie<br />

war es der Job von MalerInnen<br />

Personen zu verewigen. Doch erst dank<br />

der Fotografie war es zum ersten Mal<br />

möglich, Menschen so abzubilden, wie<br />

sie tatsächlich aussahen. Diese Entwicklung<br />

hat die Welt nachhaltig verändert.<br />

1888 kam die Kodak Nr. 1 auf den Markt,<br />

sie galt als handlich, bedienerfreundlich<br />

und leistbar. Bis heute wird diesem<br />

Modell nachgesagt, sie habe den Beginn<br />

der Amateurfotografie eingeleitet. Sie<br />

ermöglichte den Menschen einen Blick<br />

in weit entfernte Gegenden und Gesellschaften<br />

und ließ räumliche und zeitliche<br />

Grenzen verschwinden. Seitdem hat<br />

sich die Fotografie in viele verschiedene<br />

Richtungen entwickelt. Dank der technologischen<br />

Fortschritte der letzten Jahre<br />

ist es beinahe jedem Menschen möglich,<br />

beliebig viele Fotos zu schießen, deren<br />

Qualität einst undenkbar gewesen wäre.<br />

Auch für Univ.-Prof.in Maria Ziegelböck<br />

ist klar, dass mit der digitalen Wende das<br />

Medium Fotografie völlig demokratisiert<br />

worden sei. Fotografie sei für viele zugänglich<br />

und die technische Hürde gebe<br />

es nicht mehr, welche bis in die 1990er<br />

Jahre jedoch als eine Kernkompetenz der<br />

FotografInnen gegolten hatte. Laut Ziegelböck<br />

habe man in den 1980ern schon<br />

von einer Bilderflut geredet, doch mittlerweile<br />

sei daraus eine eigene Sprache<br />

geworden. Man könne nichts mehr ohne<br />

Bild kommunizieren, daher sei die Fotografie<br />

eine eigene Art der Kommunikation<br />

geworden, erklärt sie.<br />

Herausforderungen an die Professionalität<br />

– oder Todesstoß?<br />

Doch genau diese neuen Entwicklungen<br />

könnten sich als Gefahr für professionelle<br />

BerufsfotografInnen herausstellen, denn<br />

© Copyright: adobe stock / lassedesignen<br />

12<br />

Das wirtschaftliche Standing professioneller Fotografie


die Tatsache, dass Smartphones bereits<br />

Kameras mit beachtlicher Qualität standardmäßig<br />

eingebaut haben führt zu<br />

einer überwältigenden Anzahl an „schönen“<br />

Bildern und lässt die Frage aufkommen,<br />

ob der Beruf des/der Fotografen/<br />

in noch zeitgemäß ist. Das Smartphone<br />

sei laut Ziegelböck nicht mehr nur eine<br />

zusätzliche Kamera, sondern ein ganzes<br />

Editing-Programm. Dadurch sei es leichter<br />

geworden, ein – zumindest an der<br />

Oberfläche – gut funktionierendes Foto<br />

herzustellen. Zusätzlich könne jedes Bild<br />

entweder dem Mainstream oder dem<br />

eigenen persönlichen Geschmack angepasst<br />

werden. Die Nachbearbeitung sei<br />

jetzt schon von großer Bedeutung und<br />

werde in Zukunft noch steigen.<br />

Die Bearbeitung von Fotos ist keineswegs<br />

ein neues Phänomen, man könnte<br />

sagen die Fotobearbeitung ist genauso<br />

alt wie die Fotografie selbst, jedoch hat<br />

sich die Komplexität, und somit auch<br />

der Aufwand, der Bearbeitung so stark<br />

reduziert, dass mittlerweile kein Fachwissen<br />

mehr dafür nötig ist. Adobe Photoshop,<br />

der Klassiker unter den Fotobearbeitungs-Programmen,<br />

geht bei seiner<br />

letzten Version noch einen Schritt weiter.<br />

Angeboten wird ein neuer Filter namens<br />

Neuralfilter, welcher mittels künstlicher<br />

Intelligenz die Mimik einer Person verändern<br />

kann. Somit habe das resultierende<br />

Foto nicht mehr viel mit dem ursprünglichen<br />

Entstehungsprozess zu tun. Laut<br />

Ziegelböck sehe das Ganze jetzt noch<br />

sehr „Frankenstein“-mäßig aus, aber<br />

wenn sich solche Filter weiter in diese<br />

Richtung entwickeln, falle ein ganz wesentlicher<br />

Aspekt des Fotografierens<br />

weg, nämlich einen guten Moment und<br />

die Ausstrahlung einer Person festzuhalten,<br />

denn diese ließen sich dadurch auch<br />

eventuell nachkonstruieren. Sie bezeichnet<br />

diese Art von Filtern als möglichen<br />

„Todesstoß“ für PortraitfotografInnen,<br />

die im Dienstleistungssektor tätig sind.<br />

Denn wenn die Kamera bereits den<br />

Großteil der Arbeit übernimmt, und Bilder<br />

dank Filter und leicht handzuhabenden<br />

Bearbeitungsprogrammen dann<br />

auch noch nach den eigenen Wünschen<br />

nachbearbeitet werden können – warum<br />

dann noch eine externe Person für diese<br />

Tätigkeit bezahlen?<br />

Opfer der Technologie<br />

Man sagt der Berufsfotografie schon<br />

lange nach, sie liege im Sterben. Profifotografin<br />

Anna Obermeier erinnert sich<br />

selbst noch an Aussagen, die sie während<br />

ihrer Fotografie-Ausbildung oft<br />

aufgeschnappt habe, dass der Beruf der<br />

Fotografin ein brotloser sei. Selbst stimme<br />

sie dieser Haltung aber nicht zu. Sie<br />

betont, dass es immer darauf ankäme,<br />

was man mache. Die Berufsfotografie im<br />

Bereich Portrait, Hochzeit etc. empfinde<br />

Das wirtschaftliche Standing professioneller Fotografie 13


© Copyright: adobe stock / Drobot Dean<br />

sie als nicht in der Krise. Ihren KundInnen<br />

sei es wichtig, qualitativ hochwertige<br />

Fotos, vor allem von einmaligen Ereignissen,<br />

zu erhalten und sich darauf verlassen<br />

zu können, dass jemand am Werk<br />

ist, die/der das Beste aus den Situationen<br />

raushole.<br />

Auch Ziegelböck betont, dass nur gewisse<br />

Bereiche der Fotografie den neuen<br />

Technologien zum Opfer fielen. Die Produktfotografie<br />

zum Beispiel sei ein Feld,<br />

bei dem die Kameras bereits jegliche<br />

Arbeit übernehmen. Der Beruf Fotograf/<br />

in sei dadurch um einiges elitärer geworden.<br />

Heute sei es wichtiger denn je,<br />

eine eigene Meinung zu kommunizieren<br />

und eine visuelle und wiedererkennbare<br />

Bildsprache zu haben. Ebenso solle<br />

man die subjektive Sicht präsentieren,<br />

nur so könne man sich noch als originär<br />

behaupten, denn fotografisch gebe es<br />

kaum noch etwas zu erfinden.<br />

Man kann tatsächlich nicht behaupten,<br />

dass das Fotografieren heutzutage an<br />

Stellenwert verloren hat. Dank Social<br />

Media-Plattformen wie „Instagram“,<br />

deren Inhalte aus Bildern und Videos<br />

bestehen, ist ein schönes und eindrucksvolles<br />

Bild für viele UserInnen von hoher<br />

Bedeutung. Obermeier sieht diese Entwicklung<br />

durchaus als Vorteil für Berufs-<br />

fotografInnen, denn die Zahl der Aufträge<br />

könne so steigen, da mehr Personen<br />

Wert auf qualitative, ansprechende Fotos<br />

legen. Von großer Bedeutung bei der<br />

Verbreitung über Social Media sei jedoch<br />

das Copyright der jeweiligen FotografInnen,<br />

für dessen Notwendigkeit es in der<br />

Gesellschaft teilweise noch an Bewusstsein<br />

fehle.<br />

Mehr als das Werkzeug<br />

Bei professioneller Portraitfotografie<br />

geht es darum, das Wesen der Menschen<br />

festzuhalten, einen Moment zu<br />

erwischen, der die Person zeigt, wie sie<br />

ist. Hier stehen zumeist Emotionen im<br />

Vordergrund. Nun ist es möglich Emotionen<br />

mittels Smartphones festzuhalten,<br />

für Obermeier ist jedoch klar, dass<br />

vielen Leuten bewusst sei, dass es für<br />

ein schönes Foto mehr brauche als ein<br />

gutes Smartphone. „Man darf nicht vergessen,<br />

dass es nicht nur das Werkzeug<br />

ist, das das Foto macht, sondern auch<br />

der- oder diejenige, der/die dahintersteht“.<br />

Es müsse mehr dahinterstecken<br />

als eine Person, die in die Kamera lächle,<br />

während eine andere abdrücke. Es gehe<br />

darum, Emotionen zu zeigen und sich<br />

auf zwischenmenschlicher Ebene auszutauschen.<br />

Auch in Zukunft verlasse sich<br />

Obermeier auf den zwischenmenschlichen<br />

Aspekt der Portraitfotografie<br />

– etwa beim Shooting eine gute Atmosphäre<br />

zu schaffen und es dadurch als<br />

Event zu begreifen, für das sich die KundInnen<br />

Zeit nehmen, auf das sie sich vorbereiten<br />

und freuen können. Außerdem<br />

– fügt sie hinzu – beim Shooting Momente<br />

abzulichten, die echt und natürlich<br />

und eben z.B. kein automatisiertes<br />

Lächeln sind. Das bedeute, Seiten und<br />

Aspekte des Gegenübers als „Zwischenmenschlichkeit“<br />

zu entdecken, die nichts<br />

Eingelerntes haben, sondern den Menschen<br />

in seiner Echtheit und Persönlichkeit<br />

zeigen. Dass der Beruf eines Tages<br />

zum größten Teil von automatischen<br />

Kameras oder Robotern übernommen<br />

werde, könne Obermeier aber nicht ausschließen.<br />

Und einige Menschen würden<br />

diese Dienste auch annehmen, aber<br />

wahrscheinlich nicht die Masse. Denn es<br />

gebe genauso Leute, die gerne auf das<br />

„Traditionelle“ zurückgreifen. Es könne<br />

schon sein, dass die Nachfrage etwas<br />

abnehmen könnte, aber „ich glaube, das<br />

ist etwas, mit dem ich mich nicht in naher<br />

Zukunft beschäftigen müsste, eher vielleicht,<br />

wenn ich in Pension bin.“<br />

von Ida Stabauer<br />

Anna Obermeier / Copyright: Kerstin Jahn<br />

© Copyright: adobe stick / Drobot Dean<br />

Maria Ziegelböck / Copyright: Sophie Kirchner<br />

14<br />

Das wirtschaftliche Standing professioneller Fotografie


Krisen im Schattendasein der Medien<br />

Im größten Flüchtlingslager der Welt Kutupalong sitzen 860.000 Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch fest<br />

(Stand 23.10.2020, UNHCR). Seit Jahren bombardiert Saudi-Arabien jemenitische Schulen und Krankenhäuser,<br />

während die jemenitische Regierung im Exil sitzt. Warum werden diese Krisen in den Massenmedien kaum<br />

behandelt und welche Folgen ergeben sich daraus? <strong>SUMO</strong> versucht Licht auf diesen unbeachteten Schatten zu<br />

werfen und sprach dazu mit Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger und „Südwind“-Chefredakteur Richard<br />

Solder.<br />

© Copyright: Karin Pargfrieder<br />

Es ist stockfinster. Durch den Stromausfall<br />

erhoffen sich Behörden ein Ende der<br />

Proteste gegen die Regierung. Plötzlich<br />

beginnen Menschen in die Hände zu<br />

klatschen. Junge Menschen schaffen<br />

mit ihren Mobiltelefonen das einzige<br />

Licht im Vorort Khartums, der Hauptstadt<br />

des Sudans. In ihrer Mitte rezitiert<br />

und improvisiert ein junger Mann Protestgedichte,<br />

während er von den Mobiltelefonen<br />

beleuchtet wird. Yasuyoshi<br />

Chiba, ein japanischer „Agence France<br />

Press“-Fotograf, hält diesen Moment<br />

des friedlichen Protests mit seiner Kamera<br />

fest. 16 Monate später hängt dieser<br />

Moment als „World Press“-Siegerfoto<br />

im „Westlicht-Museum“ in Wien.<br />

Die Kühlanlage läuft im Hintergrund des<br />

offenen Ausstellungsraumes, in dem<br />

BesucherInnen fast andächtig von Bild<br />

zu Bild schlendern und angeregt über<br />

die dargestellten Situationen flüstern.<br />

Die Ticketverkäuferinnen kichern und<br />

unterhalten sich, was beinahe zu einer<br />

willkommenen Entspannung der tiefgründigen<br />

Atmosphäre im Raum führt.<br />

Auch Andrea ist mit ihrer Freundin hier.<br />

Sie hat den letzten Tag vor dem zweiten<br />

Lockdown genutzt, um die „World<br />

Press Photo“-Ausstellung zu besuchen.<br />

„Ich mache eigentlich alles immer am<br />

letzten Drücker. Ich bin hier, um mir bewusst<br />

zu machen, was in der Welt sonst<br />

noch so passiert.“ Über die Unruhen im<br />

Sudan, auf die der Fotograf mit seinem<br />

Bild aufmerksam machen wollte, habe<br />

sie noch nie etwas gehört. „Vielleicht<br />

lag es auch an Corona? Vielleicht sind<br />

wir dadurch einfach stumpf geworden<br />

gegenüber anderen Krisen?“<br />

Schauplatz Sudan<br />

Der Berichterstattungsvirus hat die<br />

Massenmedien am Beispiel vom Sudan<br />

nicht langfristig erreicht. Er ist schnell<br />

weitergezogen. Die Anzahl der APA-<br />

Pressemeldungen zeigt ein Bild des<br />

Vergessenwerdens einer Krise, die laut<br />

Thomas Schmidinger (u.a. Univ. Wien)<br />

nach dem Juni 2019 noch lange nicht<br />

vorbei gewesen sei. Dabei zeigen die<br />

Daten im Diagramm nicht nur Meldungen<br />

über Proteste oder Krisenthemen<br />

des nordostafrikanischen Landes, sondern<br />

sämtliche APA-Basisdienst-Meldungen,<br />

die den Suchbegriff „SUDAN“<br />

enthalten.<br />

Im Dezember 2018 beginnen Proteste<br />

gegen die sudanesische Regierung (1).<br />

Als im April 2019 der Präsident Al-Bashir<br />

nach 30 Jahren an der Macht vom<br />

Militär gestürzt wird (2) und 100 der<br />

friedlichen DemonstrantInnen getötet<br />

werden (3), ist das Medienecho groß.<br />

Doch die Krise sei laut Schmidinger<br />

noch lange nicht vorbei. Seit September<br />

2019 ist eine Übergangsregierung<br />

aus Regime, Oppositionsparteien und<br />

Militärregime an der Macht (4). Zen-<br />

trale Ereignisse seien auch die Friedensverhandlungen<br />

mit verschiedenen<br />

Guerillabewegungen (5) im Frühjahr<br />

2020 gewesen. Außerdem ist der Sudan<br />

stark von Corona betroffen (6) und<br />

seit Nilfluten (7) im September 2020<br />

sind zehntausende Menschen obdachlos.<br />

Dazu fliehen seit November 2020<br />

zehntausende Menschen aus dem Norden<br />

Äthiopiens vor dem Bürgerkrieg in<br />

Tigray in den Sudan (8), wo die humanitäre<br />

Situation bereits mehr als angespannt<br />

ist. Obwohl zentrale Ereignisse<br />

nach dem Sommer 2019 passierten,<br />

war die Resonanz in den Medien verschwindend<br />

gering.<br />

So nah und doch so fern<br />

In der Nachrichtenwerttheorie werden<br />

verschiedenen Faktoren definiert,<br />

die den Wert und darüber hinaus die<br />

„Wichtigkeit“ der Nachricht bestimmen.<br />

Der Nachrichtenfaktor „Nähe“ bezieht<br />

sich auf die räumliche, politische und<br />

kulturelle Nähe der RezipientInnen zu<br />

einer Nachricht. Wenn der Inhalt nah<br />

Thema<br />

Krisen im Schattendasein der Medien<br />

15


© Copyright: adobe stick / sakura<br />

genug am Leben der RezipientInnen<br />

sei, würde der Wert der Nachricht also<br />

steigen. Geografisch liegt Washington<br />

D.C. mit 7.126 km Luftlinie fast doppelt<br />

so weit entfernt wie die sudanesische<br />

Hauptstadt Khartum mit 3.917<br />

km. Doch in unseren Kinofilmen feiern<br />

James und Mary Thanksgiving in den<br />

USA und nicht Abdul-Aziz und Nemat<br />

Mawlid das Ende des Ramadans – Eid<br />

al Fitr – im Sudan.<br />

„Mit den USA verbindet uns sehr vieles.<br />

Wenn dort bewaffnete DemonstrantInnen<br />

auf die Straße gehen, gibt es eine<br />

gefühlte kulturelle Verbindung. Diese<br />

führt dazu, dass wir Nachrichten darüber<br />

rezipieren. Wenn in einem afrikanischen<br />

Land ein Bürgerkrieg ausbricht,<br />

verbindet man in Österreich sehr wenig<br />

damit und so schafft es dieser überhaupt<br />

nicht in die Schlagzeilen.“ Schmidinger<br />

fügt jedoch hinzu: „Selbst, wenn<br />

wir nie in den USA waren, glauben wir<br />

das Leben dort zu kennen. Real tun wir<br />

das nicht. Ich habe ein Jahr in den Vereinigten<br />

Staaten gelebt und finde die<br />

These, dass die USA uns kulturell näher<br />

sind als Nordafrika mehr als diskussionswürdig.“<br />

Richard Solder, Chefredakteur des von<br />

der gleichnamigen österreichischen<br />

NGO publizierten Magazins „Südwind“<br />

konstatiert, dass die gefühlte Distanz<br />

auch durch die fehlende Berichterstattung<br />

über Themen des globalen<br />

Südens untermauert werden würde.<br />

Man könne das Angebot auch anders<br />

formen, Nachrichtenwerte in Themen<br />

dieser Länder finden und RezipientInnen<br />

darüber informieren. „Da würde<br />

ich schon auch die Massenmedien in<br />

die Verantwortung nehmen, dass man<br />

hier mehr in andere Richtungen blicken<br />

könnte. Das klassische ‚Was ist los in<br />

Washington?‘ wird genug abgedeckt.“<br />

Neben der gefühlten Distanz nennt<br />

Politologe Schmidinger weitere Faktoren,<br />

die es Krisen schwer machen, in<br />

den Massenmedien diskutiert zu werden.<br />

Einerseits sei es von Bedeutung,<br />

ob österreichische JournalistInnen oder<br />

WissenschaftlerInnen eine Expertise zu<br />

betroffenen Gebieten hätten und andererseits,<br />

inwieweit seriöse Quellen<br />

verfügbar oder eine Reise in betroffene<br />

Gebiete möglich sei. „Ich wollte selbst<br />

auch einmal in den Jemen während des<br />

Bürgerkriegs. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.<br />

In Syrien und Libyen war<br />

es kein Ding der Unmöglichkeit. Das ist<br />

dann eine ganz andere Intensität der<br />

Berichterstattung, wenn ich vor Ort<br />

berichten kann.“ Jedoch sei nicht jeder<br />

Journalismus vor Ort tatsächlich gründlich<br />

recherchiert. Er habe es selbst im<br />

Libyenkrieg erlebt, als er sich in Benghazi<br />

in einem kleinen Altstadthotel niederließ,<br />

wohingegen der Großteil der internationalen<br />

JournalistInnen in einem<br />

5-Stern-Hotel untergebracht waren.<br />

Während er mit Menschen auf der Straße<br />

sprach, wurden die Fernsehbeiträge<br />

internationaler TV-Stationen von den<br />

Balkonen des Hotels gefilmt und sogenannte<br />

„Fixer“ bezahlt, um „Betroffene“<br />

in das Hotel zu bringen und Geschichten<br />

zu erzählen. „Das ist dann so ein<br />

Kriegsberichterstatter-Zirkus, der um<br />

die Welt geht. Das meine ich nicht mit<br />

Journalismus vor Ort.“<br />

Folgen des Schattendaseins<br />

Medien tragen durch ihre primäre<br />

Funktion der Information dazu bei, Unkenntnis<br />

zu verringern. Doch was geschieht,<br />

wenn die Unkenntnis bleibt?<br />

„Es ist wichtig, dass berichterstattet<br />

wird, um zu wissen, was passiert und<br />

wie geholfen werden kann. So wird die<br />

Aufmerksamkeit auf die Region gelenkt<br />

und Organisationen können etwa einsteigen,<br />

um Soforthilfe anzubieten“,<br />

fordert Solder. Darüber hinaus würde<br />

weltweite Diplomatie Konflikten entgegenwirken<br />

und bei Menschenrechtsverletzungen<br />

zum Eingreifen des internationalen<br />

Strafgerichtshofs führen.<br />

Solder unterstreicht, dass Medien nicht<br />

nur während der Krise vor Ort sein sollten,<br />

sondern auch den Prozess danach<br />

begleiten müssten. Dabei verweist er<br />

als ein Beispiel auf den Genozid in Ruanda<br />

von 1994. Man solle für die Men-<br />

Richard Solder / Copyright: Südwind<br />

schen vor Ort dranbleiben, um ihnen<br />

durch Aufklärung und Information Perspektiven<br />

zu bieten. In Ruanda habe die<br />

derzeitige politische und gesellschaftliche<br />

Situation immer noch mit den<br />

Ereignissen von 1994 zu tun, es gebe<br />

noch immer Probleme und Herausforderungen,<br />

die auf den Genozid vor mehr<br />

als 25 Jahren zurückzuführen seien.<br />

Wenn Ruanda heute in Wirtschaftsmedien<br />

als afrikanisches Vorzeigeland und<br />

Wirtschaftsmotor der Region bezeichnet<br />

werde, sollte nicht vergessen werden,<br />

dass die Bevölkerung noch immer<br />

nicht in einer Demokratie lebt und die<br />

Folgen der Krisen von einst bis heute<br />

mitschwingen. „Wenn Länder oder Regionen<br />

aus dem Fokus geraten, etwa<br />

wenn eine akute Krise vorüber ist, verliert<br />

man die weitere Entwicklung aus<br />

den Augen“, konstatiert Solder. Wenn<br />

Krisen durch mangelnde Berichterstattung<br />

gar nicht erst in den Fokus geraten,<br />

sei es laut Schmidinger schwierig,<br />

diese plötzlich zum Thema zu machen.<br />

Dann müssten sich JournalistInnen<br />

eingestehen, dass man ein wichtiges<br />

Thema bisher „versemmelt“ habe. Man<br />

müsse den LeserInnen erklären, was<br />

jetzt plötzlich der Nachrichtenwert sei<br />

von einem Konflikt, den es schon jahrelang<br />

gibt und über den bisher nicht<br />

berichtet wurde. Im Nachhinein sei es<br />

fast unmöglich, eine Verbindung herzustellen.<br />

„Wenn jetzt plötzlich 100.000<br />

JemenitInnen nach Europa fliehen,<br />

dann bin ich mir sicher, dass der Jemen<br />

ein Thema werden würde und<br />

dass sich JournalistInnen im Nachhinein<br />

in den Konflikt einlesen würden.“<br />

So würde eine bisher vergessene Krise<br />

in das Scheinwerferlicht gerückt<br />

werden. „Ansonsten plätschert das<br />

einfach vor sich hin. Die Saudis bombardieren<br />

weiter Spitäler und Schulen,<br />

die Huthi-Rebellen kontrollieren weiter<br />

den Norden des Landes und die jemenitische<br />

und international anerkannte<br />

Regierung sitzt weiterhin im saudischen<br />

Exil.“ Solange keine Verbindung<br />

vorhanden sei, wäre für Massenmedien<br />

auch kein Nachrichtenwert vorhanden.<br />

16<br />

Thema Krisen im Schattendasein der Medien


Wo weht der Wind in eine andere<br />

Richtung<br />

Die klassischen Nachrichtenwerte sind<br />

für das „Südwind“-Magazin nicht der<br />

einzige Orientierungspunkt, sagt dessen<br />

Chefredakteur: „Wir versuchen,<br />

Menschen aus dem globalen Süden<br />

eine Stimme zu geben, diese in Szene<br />

zu setzen und zu zeigen, was man<br />

sonst nicht oft sieht“. Das Magazin erscheint<br />

sechsmal im Jahr in Print und<br />

einmal im Monat via E-Mail-Newsletter<br />

aus der Redaktion. Es berichtet über<br />

Themen im Bereich der internationalen<br />

Politik, Kultur und Entwicklung. Auch<br />

wenn „Südwind“ bewusst nicht nur<br />

über Krisen berichten wolle, sehe man<br />

es als Auftrag hinzusehen, wenn der<br />

Fokus der großen Medien weg ist. Auf<br />

die Frage, unter welchen Umständen<br />

„Südwind“ die Berichterstattung auf<br />

Krisen lenke, meint Solder, dass das<br />

immer auch vom Anlassfall abhängig<br />

Thomas Schmidinger / Copyright: Privat<br />

sei. „Wir schauen einerseits, dass wir<br />

jemanden vor Ort oder in der Region<br />

haben und greifen nicht auf Agenturmeldungen<br />

zurück.“ Außerdem würde<br />

man die Themen auch danach aussuchen,<br />

dass sie in den zweimonatlichen<br />

Rhythmus passen. „Mitunter warten<br />

wir bestimmte Themen, etwa sehr<br />

dynamische Entwicklungen, bewusst<br />

ab und befassen uns damit, wenn die<br />

Massenmedien sie nicht mehr im Fokus<br />

haben.“ So blickte „Südwind“ auf<br />

die Waldbrände in Brasilien 2020, als<br />

große Medien sie schon wieder nicht<br />

mehr behandelten. „Südwind“ würde<br />

erst nach dem großen Medienecho<br />

genauer hinsehen: „Wie geht es jetzt<br />

weiter? Was machen die Menschen<br />

vor Ort?“ Dann sei es auch wichtig,<br />

Perspektiven für die Betroffenen zu<br />

schaffen. Die Jänner/Februar-Ausgabe<br />

2021 beschäftigt sich u.a. mit der<br />

Situation der Rohingya-Flüchtlinge, die<br />

zwischen Bangladesch und Myanmar<br />

im größten Flüchtlingslager der Welt<br />

feststecken. „Das ist ein ganz wichtiges<br />

Thema, wo viele Menschen vertrieben<br />

worden sind, das aber bei uns in Österreich<br />

quasi nicht vorkommt. Da sehen<br />

wir es als unseren Auftrag, dort hin zu<br />

schauen.“<br />

Das Europäische Amt für Humanitäre<br />

Hilfe (ECHO) veröffentlicht im jährlich<br />

erscheinenden „Forgotten Crisis<br />

Assessment“ eine Liste vergessener<br />

Krisen. ECHO spricht von einer vergessenen<br />

Krise, wenn die Faktoren<br />

Naturkatastrophe oder kriegerische<br />

Auseinandersetzung, eine besonders<br />

verwundbare Bevölkerung, geringes<br />

Hilfevolumen und wenig mediale Berichterstattung<br />

zutreffen. Im weltweiten<br />

Krisenjahr 2020 fanden sich Afghanistan,<br />

Algerien, Bangladesch, Burundi,<br />

Haiti, Kolumbien, Myanmar, Pakistan,<br />

Philippinen, die Sahelzone, Sudan, Ukraine,<br />

Venezuela, Zentralafrikanische<br />

Republik und Zentralamerika auf der<br />

Liste der „Vergessenen Krisen“ und<br />

NICHT in den Schlagzeilen der globalen<br />

Medienberichterstattung wieder.<br />

von Karin Pargfrieder<br />

© Copyright: adobe stick / Anas alhajj - Yemen<br />

Krisen im Schattendasein der Thema Medien<br />

17


„Reporter ohne Grenzen“ – oder doch mit?<br />

Ob autoritäre Regime, Populismus oder Kriege, Gründe für die weltweite Unterdrückung von Presse- und<br />

Meinungsfreiheit gibt es zur Genüge. Um diese Problematik zu beleuchten und mögliche Lösungen zu finden,<br />

sprach <strong>SUMO</strong> mit Martin Staudinger, Kriegsreporter und ehemaliger Auslandsressortleiter bei „Profil“,<br />

mittlerweile bei der Wochenzeitung „Falter“ angestellt, über seine persönlichen Erfahrungen, sowie mit<br />

Renan Akyavas, der Programmkoordinatorin des International Press Institutes (IPI), zuständig für die Türkei.<br />

Wirft man einen Blick auf die Statistik<br />

von „Reporter ohne Grenzen“ vom Jahr<br />

2020, wird deutlich, dass knapp der<br />

Hälfte der Weltbevölkerung der Zugang<br />

zu objektiver und unabhängiger Information<br />

fehlt. Die Türkei, auf Rang 154<br />

und Syrien, auf 174, sind somit von den<br />

insgesamt 180 aufgelisteten Ländern<br />

Teil des unteren Viertels. Doch was sind<br />

die Gründe dafür? Syrien ist seit langem<br />

gezeichnet von Krieg und Unterdrückung,<br />

und zwar auch die Medienlandschaft.<br />

In den von der syrischen<br />

Regierung kontrollierten Gebieten des<br />

Landes herrscht ein Medienmonopol,<br />

nämlich die Nachrichtenagentur<br />

„SANA“. Auch die neutralste Publikation<br />

von Fakten, beispielsweise die Erhöhung<br />

der Treibstoffpreise, kann zu einer<br />

Haftstrafe führen.<br />

Eine unabhängige, tagesaktuelle Berichterstattung<br />

ist kaum möglich und<br />

deshalb benötigt es AuslandsreporterInnen.<br />

Allerdings mussten sich diese<br />

während des Krieges beim Propagandaministerium<br />

melden, um einen „Minder“,<br />

also eine lokale Kontaktperson,<br />

zugewiesen zu bekommen, laut Staudinger.<br />

Diese sollten als Dolmetscher<br />

fungieren, seien aber eher Aufpasser<br />

der Regierung gewesen und hatten<br />

die Aufgabe, sicherzustellen, dass<br />

man nicht mit den „falschen Personen<br />

spricht“. Trotz dieser Maßnahme sei es<br />

aber dennoch möglich gewesen, sich<br />

mit anderen JournalistInnen vor Ort zusammenzufinden<br />

und auf eigene Faust<br />

zu recherchieren. Es war also „ein Mittelding,<br />

wir waren nicht unter permanenter<br />

Beobachtung, wie man es in autoritären<br />

Regimen immer wieder erlebt,<br />

aber auch nicht ganz frei“, rekapituliert<br />

Staudinger. Um einiges gefährlicher<br />

waren die Rebellengebiete, denn dort<br />

entwickelte sich eine Art „Entführungsindustrie“,<br />

deren Ziel (vor allem) westliche<br />

JournalistInnen waren, weshalb<br />

sich mit der Zeit kaum eine/r dorthin<br />

wagte. Nur in den Kurdengebieten sei<br />

es möglich gewesen, sich einigermaßen<br />

frei und sicher zu bewegen. Das wurde<br />

aber auch sehr stolz angepriesen. Eine<br />

der wenigen Möglichkeiten an Information<br />

zu gelangen, sind „Stringer“: Menschen,<br />

die vor Ort sind, beispielsweise<br />

Martin Staudinger / Copyright: Privat<br />

in Aleppo leben und sowohl Bild- als<br />

auch Videomaterial aufnehmen und an<br />

inländische und ausländische JournalistInnen<br />

schicken – ihr Ziel? Die Missstände<br />

und das Fehlverhalten des Regimes<br />

publik zu machen.<br />

Auch in der Türkei haben JournalistInnen<br />

mit Einschränkungen und Schwierigkeiten<br />

zu kämpfen – und gegen<br />

einen Mann an der Spitze, der darauf<br />

abzielt, auch an der Spitze zu bleiben.<br />

Allerdings unterscheidet sich das Vorgehen<br />

in der Essenz um Einiges, denn in<br />

der Türkei werde laut Staudinger buchstäblich<br />

„die Demokratie mit demokratischen<br />

Mitteln ausgehöhlt“. Gesetzesnovellen,<br />

wie zum Anti-Terror-Gesetz<br />

oder Social Media-Gesetz, tragen dazu<br />

bei, dass die ohnehin schon von Selbstund<br />

Außenzensur geprägte Berichterstattung<br />

nun noch eingeschränkter<br />

ist. Die Medienpolitik in der Türkei ist<br />

stark an den Staat gekoppelt, Radiound<br />

Fernsehsender werden von einer<br />

staatlichen Regulierungsbehörde, dem<br />

Obersten Rundfunk- und Fernsehrat<br />

(RTÜK), kontrolliert und auch sanktioniert.<br />

Der Rat besteht, wenig überraschend,<br />

größtenteils aus AKP-Mitgliedern<br />

(Erdogans Partei), aber auch ein<br />

paar wenige oppositionelle Mitglieder<br />

lassen sich finden. Dieser Rat setze<br />

systematisch Druckmittel gegen ganze<br />

Sender ein, konstatiert Akyavas. Die<br />

Justizbehörden begännen mit gerichtlicher<br />

Einschüchterung, andauernden<br />

Anklagen und Urteilen mit Freiheitsstrafen<br />

gegen einzelne JournalistInnen,<br />

der RTÜK setzt Geldstrafen, die sich<br />

viele Sender irgendwann nicht mehr<br />

leisten könnten. Somit würde man diese,<br />

als ersten Schritt, bereits ausschalten.<br />

Akyavas betont, dass es durch diese<br />

Schikanen gelang, die Selbstzensur<br />

in 90% aller Berichterstattungen zu<br />

etablieren, da die ReporterInnen und<br />

Medienhäuser Sanktionen und Haftstrafen<br />

fürchteten. Der RTÜK hat gerade<br />

die vier einflussreichsten noch<br />

unabhängig und kritisch berichtenden<br />

Fernsehsender in der Türkei im Visier,<br />

jedoch: „the main purpose of this high<br />

council is clearly to shut down these<br />

four TV channels.“<br />

Hilfe in Sicht?<br />

Laut Renan Akyavas habe das IPI 90%<br />

der stattgefundenen Verhandlungen<br />

gegen türkische JournalistInnen beobachtet<br />

und dokumentiert, 75% dieser<br />

Anklagen seien auf das Anti-Terror-Gesetz<br />

zurückzuführen. Die drei Haupttatbestände<br />

seien Verbreitung von<br />

terroristischem Propagandamaterial,<br />

Mitgliedschaft in einer terroristischen<br />

Organisation und Unterstützung einer<br />

Terrororganisation, ohne ein Mitglied<br />

zu sein. Als Beweismittel dienten häufig<br />

nur „Facebook“- oder „Twitter“-<br />

Posts. Oft säßen JournalistInnen monatelang<br />

in Untersuchungshaft, ohne<br />

einen fairen Prozess oder eine Anklage<br />

bekommen zu haben. „If there would<br />

be a guilty verdict at the end of a yearslong<br />

process, it would then be adjusted<br />

in court to reflect the prison sentence<br />

already served”, meint Akyavas. Das ist<br />

einer der Hauptgründe, weshalb viele<br />

internationale Organisationen bei<br />

solchen Gerichtsprozessen dabei sind,<br />

denn allein durch ihre Präsenz schafften<br />

sie es manchmal den Prozess zu<br />

beeinflussen, sodass die JournalistInnen<br />

freigesprochen werden würden<br />

oder zumindest ein faires Verfahren<br />

stattfände. Auch das bereits erwähnte<br />

Social-Media-Gesetz werde von NGOs<br />

stark kritisiert und man versuche, mit<br />

Hilfe der EU, Druck auf die Regierung<br />

in Ankara zur Gesetzesrücknahme<br />

auszuüben, da die Türkei immer noch<br />

als Beitrittskandidat in Frage komme.<br />

Allerdings sei die türkische Regierung<br />

18<br />

Thema „Reporter ohne Grenzen“ - oder doch mit?


starken Willens und strenger Bestimmtheit,<br />

das Gesetz zu implementieren,<br />

um an die Daten der NutzerInnen<br />

zu gelangen, sagt Akyavas. Dies sei gar<br />

nicht so unwahrscheinlich, denn laut ihr<br />

habe „Facebook“ anno 2019 70% der<br />

Tagesinformationsanfragen, also Nutzerdatenfreigaben,<br />

zugestimmt und die<br />

Daten an die Regierung weitergeleitet.<br />

Mit dem neuen Gesetz versuche die<br />

Regierung, die großen Plattformen unter<br />

Druck zu stellen und das habe einen<br />

guten Grund.<br />

Social Media sei Dank<br />

Denn „right now, social media is like<br />

news coverage as well. Other than writing<br />

these in their columns everyday<br />

they still write these opinions in their<br />

tweets.” Kein anderes Medium schaffte<br />

es bis jetzt, eine solche Vernetzung<br />

von Menschen in aller Welt zu gewährleisten<br />

und das kommt natürlich auch<br />

JournalistInnen weltweit zugute. Man<br />

kann zwar Inhalte löschen und Plattformen<br />

sperren, aber man wird immer<br />

einen Weg finden, um die Informationen<br />

an die Außenwelt zu tragen und<br />

das wissen autoritäre Machthaber nur<br />

zu gut. Social Media ist ein „sehr mächtiges<br />

Instrumentarium, an dem nicht so<br />

leicht vorbeizukommen ist“, formuliert<br />

Staudinger treffend. ReporterInnen<br />

zeigten vor allem in den letzten Jahren<br />

eine sehr hohe Courage und einen<br />

Drang nach Gerechtigkeit. Die Globalisierung<br />

ermöglicht die internationale<br />

Zusammenarbeit und Unterstützung<br />

zusätzlich und sie hilft uns, Informationen<br />

aus allen Teilen der Welt zu erlangen.<br />

Somit ist das Handeln von autoritären<br />

Regimen nun nicht mehr zu<br />

verschleiern.<br />

Durch die Verbreitung von faktenbasierter<br />

und unabhängiger Information<br />

ist es für die Bevölkerung vor Ort nun<br />

möglich, sich ein Bild außerhalb der<br />

propagandagesteuerten Medienlandschaft<br />

zu machen und vielleicht könnte<br />

Renan Akyavas / Copyright: IPI<br />

Renan Akyavas/ Copyright: IPI<br />

das zu einem Umbruch führen, wünschenswert<br />

wäre es allemal.<br />

In Anbetracht dessen sollte man eines<br />

immer im Hinterkopf behalten: „Freedom<br />

of information is the freedom that<br />

allows you to verify the existence of all<br />

the other freedoms” (Win Tin, burmesischer<br />

Journalist).<br />

von Kristina Petryshche<br />

© Copyright: adobe stick / intueri<br />

© Copyright: adobe stick / intueri<br />

„Reporter ohne Grenzen“ - oder doch Thema mit?<br />

19


Jobunsicherheit: „Goldene Ära<br />

des Journalismus ist vorbei“<br />

Wirtschaftliche Probleme, Stellenabbau, schlechtere Kollektivverträge,<br />

schwierige Arbeitsbedingungen. Österreichs JournalistInnen kämpfen<br />

schon seit längerem mit den Schwierigkeiten des Marktes. Doch fürchten<br />

sie um ihre Anstellungen und ist ein Berufswechsel notwendig? Darüber<br />

diskutierte <strong>SUMO</strong> mit AJOUR-Geschäftsführerin Lydia Ninz, der Journalistin<br />

Valentina Dirmaier sowie einer weiteren Journalistin.<br />

Dienstag, 4. August 2020. In der APA-<br />

Redaktion in der Wiener Laimgrubengasse<br />

ertönt ein Signalton. Eine<br />

OTS-Meldung ist eingegangen. In einer<br />

Nachrichtenagentur nichts Besonderes.<br />

Aber diese Meldung aus dem Konzern<br />

mit dem roten Bullen verändert Österreichs<br />

Medienlandschaft: Die vom<br />

Gründer finanzierte Rechercheplattform<br />

„Addendum“ wird nach nicht einmal drei<br />

Jahren eingestellt. 57 MitarbeiterInnen<br />

sind plötzlich arbeitslos. Zeitgleich, nur<br />

zehn Gehminuten von der APA entfernt,<br />

findet im aufwendig renovierten Wiener<br />

Büro in der Siebensterngasse eine besondere<br />

Redaktionssitzung statt. In der<br />

sogenannten „All-Star-Sitzung“ werden<br />

Valentina Dirmaier und ihre KollegInnen<br />

davon unterrichtet, dass sie ab Mitte<br />

September ohne Job dastehen werden.<br />

Ein Schlag ins Gesicht. Zwar wurde in der<br />

Branche schon länger darüber gemunkelt,<br />

aber die Belegschaft wog sich in trügerischer<br />

Sicherheit. Fehlende Kurzarbeit<br />

und besonders gute NutzerInnenzahlen,<br />

die auf datenjournalistische Aufbereitungen<br />

wie der ersten österreichischen<br />

Corona-Ampel zurückgehen, machen<br />

den gewählten Zeitpunkt unverständlich.<br />

So ist die kurzfristige Entscheidung ein<br />

Schock. Wie unerwartet das plötzliche<br />

Aus ist, zeigt das Beispiel eines ehemaligen<br />

Mitarbeiters, der sich gerade in einer<br />

heißen Quelle entspannt hat, als ihn die<br />

Nachricht aus der Redaktion erreicht.<br />

BeobachterInnen empfanden die Entscheidung<br />

aufgrund der EigentümerInnenstruktur<br />

nur als eine Frage der Zeit.<br />

Doch auch in anderen Medienunternehmen<br />

werden Stellen abgebaut. Große<br />

österreichische Medienunternehmen<br />

wie der ORF und die APA sehen sich aus<br />

Spargründen dazu gezwungen, MitarbeiterInnen<br />

zu entlassen. Seit 2007<br />

mussten beim ORF 800 Beschäftigte<br />

gehen, bei der APA wird aktuell (Stand<br />

November 2020) geplant, 25 Stellen zu<br />

streichen. Letzteres wird von Protesten<br />

der Belegschaft sowie der JournalistInnengewerkschaft<br />

GPA-djp und der Betriebsräte/-rätinnen<br />

österreichischer<br />

Medien – darunter der Styria Group –<br />

begleitet. Diese Beispiele zeigen einen<br />

Trend, der auch im „Österreichischen<br />

Journalismus-Report“ des Medienhaus<br />

Wien erkennbar ist. Denn vergleicht<br />

man den ersten Report aus dem Jahr<br />

2007 mit den Daten von 2019, ist erkennbar,<br />

dass die Zahl der JournalistInnen<br />

rückläufig ist. So verminderte sich<br />

jene der hauptberuflichen JournalistInnen<br />

von 7.100 auf 5.350. Auch Vollzeitbeschäftigungen<br />

sind seltener geworden:<br />

In der ersten Ausgabe waren<br />

76% aller JournalistInnen in Vollzeit angestellt,<br />

während das 2019 nur noch zu<br />

zwei Drittel der Fall war. Freie Journa-<br />

Lydia Ninz / Copyright: Kasper H.<br />

listInnen hingegen blieben – obwohl<br />

diese Zahl schwer messbar ist – auf<br />

demselben Niveau: ca. 900 Freiberufliche<br />

treffen zwölf Jahre später auf ungefähr<br />

600 bis 900. Diese Entwicklung<br />

beobachtet AJOUR-Geschäftsführerin<br />

Lydia Ninz mit Besorgnis: „Es werden<br />

immer weniger JournalistInnen, die<br />

immer mehr machen und deswegen<br />

passieren auch mehr Fehler. Dann gibt<br />

es mehr Kritik und die Glaubwürdigkeit<br />

der Medien innerhalb der Gesellschaft<br />

wird untergraben.“<br />

AJOUR-Coaching für arbeitslose<br />

JournalistInnen<br />

Solche Veränderungen konnten nicht<br />

nur mit Pensionierungen oder Wechsel<br />

© Copyright: adobe stick / Björn Wylezich<br />

20<br />

Thema Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“


des Berufsfeldes ausgeglichen werden.<br />

Laut AMS ist die Arbeitslosigkeit unter<br />

österreichischen JournalistInnen nach<br />

der Weltwirtschaftskrise 2008 von 410<br />

auf 641 Personen gestiegen. Kontinuierliche<br />

Anstiege, zwischen 2015 und<br />

2017 etwa in Höhe von knapp 10%<br />

folgten, bis 2019 die Zahl sogar bei 773<br />

arbeitslosen JournalistInnen lag. In dieser<br />

Zeit ist auch die Idee für die AMS-<br />

Initiative AJOUR geboren worden. „Es<br />

hat sich schon vor sechs, sieben Jahren<br />

abgezeichnet, dass es im Journalismus<br />

zu Umbrüchen und zu Arbeitslosigkeit<br />

kommt“, erklärt Ninz. Gründe dafür<br />

seien die vielen angehenden JungjournalistInnen<br />

am Markt, der Abbau bei<br />

traditionellen Medien und die Entstehung<br />

neuer Medien, die komplett andere<br />

Qualifikationen voraussetzen. Einer<br />

internen Langzeitstudie zufolge seien<br />

die KundInnen von AJOUR vor allem abgebaute<br />

JournalistInnen. Darunter seien<br />

zwei von vier KundInnen schon seit<br />

mindestens einem Jahr arbeitslos. Die<br />

Personen seien sehr unterschiedlich, es<br />

sei „von allem etwas dabei“. Ein „ziemlich<br />

starker“ Cluster zwischen 40 und<br />

50 sei aber schon bemerkbar. Jüngere<br />

KundInnen möchten sich oft neu orientieren.<br />

Doch was bietet die Einrichtung?<br />

AJOUR ist ein Service, das arbeitslose<br />

JournalistInnen ein halbes Jahr lang<br />

mit einem passenden Coach zur Seite<br />

steht. Es werde versucht, die Situation<br />

der Person zu analysieren und deren<br />

Fähigkeiten und Potentiale zu identifizieren.<br />

Das Ergebnis sei offen, journalistische<br />

Arbeit genauso möglich<br />

wie ein Wechsel in einen ganz anderen<br />

Bereich. Ninz versteht den Fokus von<br />

AJOUR folgendermaßen: „Wir stehen<br />

auf der Seite der Menschen, aber nicht<br />

als FreundInnen oder als Familie, sondern<br />

als professionelle Coaches, die<br />

aus ihnen herausholen, was in ihnen<br />

drinnen steckt.“ Das beinhalte nicht<br />

nur Kurse und Coaching, sondern auch<br />

Hilfe für den Start in die Selbstständigkeit.<br />

Die Wirkung des Konzepts zeigen<br />

beispielsweise die Zahlen des letzten<br />

Durchgangs aus dem Sommer 2020.<br />

Von 80 gecoachten Personen fanden<br />

42 Leute, deren Altersdurchschnitt bei<br />

39 Jahren lag, nach diesem Coaching<br />

einen Job oder in die Selbstständigkeit.<br />

Davon blieben 31% dem Journalismus<br />

treu, der Großteil (57%) wechselte aber<br />

in einen mediennahen Bereich wie zu<br />

PR-Agenturen. Drei weitere Personen<br />

haben eine neue, längere Ausbildung,<br />

beispielsweise ein Doktoratsstudium,<br />

begonnen.<br />

Unsicherheit, aber keine Angst<br />

Angesichts dieser Entwicklungen stellt<br />

sich die Frage, wie Österreichs JournalistInnen<br />

mit den Schwierigkeiten der<br />

Branche umgehen. Lisa (Anm.: Name<br />

geändert) arbeitet in einem Vollzeit-<br />

Beschäftigungsverhältnis für eine Tageszeitung.<br />

Davor war sie auch als freie<br />

Journalistin und bei anderen Medien<br />

tätig. Derzeit sieht sie ihren Job nicht<br />

in Gefahr. „Ich glaube, ich verdiene so<br />

wenig, dass ich nicht wirklich auffalle“,<br />

schmunzelt sie. Trotzdem wisse man<br />

als JournalistIn, dass Medien immer<br />

wenig Geld und Ressourcen haben. Es<br />

handle sich aber immer um eine Frage<br />

der Prioritätensetzung des jeweiligen<br />

Mediums und darum, welche Stellung<br />

man intern habe. Das sei immer sehr<br />

subjektiv. „Von der Chefredaktion und<br />

der Redaktion werde ich sehr wertgeschätzt,<br />

deswegen habe ich nicht so<br />

die Angst, dass ich abgebaut werde“,<br />

konstatiert die Redakteurin. Allerdings<br />

schwinge die Unsicherheit immer ein<br />

Valentina Dirmaier / Copyright: Privat<br />

bisschen mit. Das sei gar nicht so ein<br />

Problem, weil die Branche sehr schnelllebig<br />

sei. Sollte man einmal gefeuert<br />

werden, werde irgendwo anders wieder<br />

eine Stelle frei. Je länger man in der<br />

Branche sei und sich einen Namen gemacht<br />

habe, desto mehr Kontakte habe<br />

man und desto einfacher werde es, eine<br />

Alternative zu finden.<br />

Auch Valentina Dirmaier hatte vor ihrem<br />

„Addendum“-Rausschmiss keine<br />

Angst um ihren Job. Sie habe den Job<br />

mit dem Wissen angenommen, dass es<br />

morgen vorbei sein könnte. „Es ist ein<br />

bisschen ein Spiel mit dem Feuer, weil<br />

jede/r irgendwie weiß, dass es vorbei<br />

sein kann, egal ob jetzt oder später“,<br />

findet sie eine passende Metapher<br />

für die damalige Situation. Zu Beginn<br />

der Covid19-Pandemie habe sie sich<br />

schon Gedanken zur Branchenentwicklung<br />

gemacht und überlegt, ob sie der<br />

Branche den Rücken kehren solle. Sie<br />

glaubt auch, dass einige KollegInnen<br />

schon ähnliche Pläne schmiedeten und<br />

„mit einem Auge zum Stellenmarkt geschielt<br />

haben“. Niemand habe bei „Addendum“<br />

einen Job angenommen und<br />

geglaubt, dass es das Medium in den<br />

nächsten zehn bis 15 Jahren noch gibt.<br />

Valentina Dirmaier und Lisa sind sich<br />

einig, dass bei etablierten Medien wie<br />

dem ORF, dem „STANDARD“ oder der<br />

„Presse“ eine längere Beschäftigung<br />

erwartet werden könne und deswegen<br />

die Angst weniger groß sei. Lisa denkt,<br />

dass die Grundangst bei allen ein bisschen<br />

da sei, deren Ausmaß aber stark<br />

vom Medium abhänge. Denn wisse<br />

man, dass es das Unternehmen in baldiger<br />

Zukunft nicht mehr geben kann<br />

schwinge immer eine Grundangst mit.<br />

Deswegen schaue man sich auch nach<br />

neuen Positionen um und sei die ganze<br />

Zeit „mit einem Zeh schon draußen“.<br />

Das beeinflusse auch die Produktqualität<br />

des Mediums. Dieses Phänomen<br />

fasst Dirmaier wie folgt zusammen:<br />

„Bei neuen Projekten, wo nur ein Geldgeber<br />

dahintersteckt, ist das Risiko<br />

eines schnellen Todes hoch.“<br />

Befristete Verträge und einvernehmliche<br />

Lösungen<br />

Lisa erzählt, dass JungjournalistInnen<br />

meist mit befristeten Verträgen oder<br />

als Karenzvertretung in ein Medium<br />

einsteigen. Diese Zeit nutze das Unternehmen,<br />

um einen besser kennenzulernen.<br />

Das sei für die JournalistInnen mit<br />

viel Druck verbunden, weil man sich in<br />

dieser Zeit beweisen müsse. Dennoch<br />

sei es eine gute Möglichkeit, die viele<br />

Leute auch nutzen würden – jedoch<br />

mit einiger Unsicherheit verbunden.<br />

Für ihre jetzige Stelle hat Lisa sogar<br />

einen anderen Job aufgegeben, bekam<br />

aber bereits zu Beginn gesagt, dass<br />

eine Übernahme „relativ wahrscheinlich“<br />

sei. Einige ihrer jungen KollegInnen<br />

hingegen müssten bei jeder Vertragsverlängerung<br />

teilweise bis zum letzten<br />

Monat „zittern“, weil noch überlegt<br />

werde und Ressourcen herumgeschoben<br />

werden. Meistens finde sich dann<br />

doch noch irgendeine Lösung, weil die<br />

Branche in dem Sinn sehr flexibel sei,<br />

dass andere in Karenz gehen oder sich<br />

umorientieren und beispielsweise in die<br />

PR wechseln. Letztere Entscheidung<br />

hänge häufig mit der hohen Arbeitsbelastung<br />

zusammen. „Wenn man eine<br />

Zeit lang dabei ist, hat man schon das<br />

Gefühl, dass man immer mehr arbeiten<br />

und immer mehr Ergebnis bringen<br />

muss, ohne mehr bezahlt zu bekommen“,<br />

beschreibt Lisa den Druck. In<br />

der PR würden dann bessere Arbeitsbedingungen<br />

und Bezahlung erhofft<br />

werden. Komme es zur Beendigung von<br />

© Copyright: adobe stick / Björn Wylezich<br />

Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“ Thema<br />

21


Beschäftigungsverhältnissen, werde<br />

immer versucht, eine einvernehmliche<br />

Lösung zu finden. Sollte die Zusammenarbeit<br />

nicht passen, werde das<br />

den Personen von den Medien „durch<br />

die Blume“ klargemacht. In diesem Fall<br />

versuche man die Person sanft abzuschieben.<br />

Das sei eher bei langjährigen<br />

MitarbeiterInnen der Fall, ob derer<br />

Verträge hohe Ablösen bezahlt werden<br />

müssten. Meistens stehe aber eine<br />

reine Ressourcenfrage dahinter. Dann<br />

werde häufig versucht, sobald die notwendigen<br />

Ressourcen beschafft sind,<br />

die Person wiedereinzustellen.<br />

Auch die Jobsuche für JournalistInnen<br />

wird durch die Branchenprobleme erschwert.<br />

Praktika wurden 2020 von<br />

vielen Medien nicht besetzt. Valentina<br />

Dirmaier bewerbe sich, wenn der<br />

Markt etwas hergebe. Falls da nichts<br />

„Vernünftiges“ dabei sei, investiere<br />

sie lieber mit einem möglichen<br />

Rechtswissenschafts-Studium in ihre<br />

Bildung, das sich auch gut mit Journalismus<br />

verbinden ließe. Bei einigen<br />

Bewerbungsgesprächen sei ihr aber<br />

schon klar geworden, dass gewisse<br />

Stellen sehr schlecht bezahlt werden<br />

und man ab einem gewissen Alter<br />

nicht mehr so leben möchte. „Die goldene<br />

Ära des Journalismus ist vorbei“,<br />

ist sie sich bewusst und erinnert sich,<br />

dass sie das auch schon in ihrer Ausbildung<br />

zu spüren bekam. In jener Zeit<br />

sei der Kollektivvertrag neu ausgehandelt<br />

worden, folglich sei sie besser eingestuft<br />

worden. Mit einem Fixum von<br />

700 € sei sie in ihr erstes Ausbildungsjahr<br />

gestartet. Gerade am Anfang setze<br />

man sich nicht zur Wehr, weil man<br />

befürchte, sich eine Tür für einen späteren<br />

Job zu versperren.<br />

Alles, nur nicht frei<br />

Derzeit arbeite die ehemalige „Addendum“-Mitarbeiterin<br />

„aus Liebhabertum“<br />

als freie Journalistin. Etwas, das<br />

sie nicht auf Dauer tun möchte. „Als<br />

freie/r Angestellte/r in Österreich ist<br />

es eine Katastrophe. Das Honorar ist<br />

wirklich gering, man wird pro Anschlag<br />

oder pro Zeichen bezahlt. Egal ob man<br />

sich eine Kolumne aus den Fingern<br />

saugt oder ob man auf Reportage<br />

geht“, zeigt Dirmaier Probleme auf.<br />

Auch die Abstimmung mit der Redaktion<br />

und das „ewige Hin und Her“ seien<br />

sehr mühsam. Von den Redaktionen<br />

werde auch oft vergessen, dass vom<br />

Honorar eigentlich eine Versicherung,<br />

eine Pension, eine Wohnung, Zusatzsicherungen<br />

und sonstige Kosten gedeckt<br />

werden müssen. Neben ihrem<br />

Studium könne sie sich so eine Tätigkeit<br />

schon vorstellen, aber nicht mehr<br />

als einzige Beschäftigung. „So kann<br />

man in Österreich kaum überleben.<br />

Man muss PR oder sonst etwas nebenbei<br />

machen. Für eine rein journalistische<br />

Tätigkeit ist die Landschaft zu klein“,<br />

weiß Dirmaier, dass auch die geringe<br />

Marktgröße zur Schwierigkeit beiträgt.<br />

Auch Lisa spricht bei freien Dienstverhältnissen<br />

von „extrem schlechter“<br />

Bezahlung, weswegen viele Aufträge<br />

benötigt werden. Sie könne sich ebenfalls<br />

keine langfristige freie Tätigkeit<br />

vorstellen. Allerdings habe sie in dieser<br />

Zeit viel Organisatorisches und „Outof-the-Box“-Denken<br />

gelernt. Als positiv<br />

merkt sie auch das große Netzwerk<br />

mit Kontakten in der Medienbranche<br />

und möglichen InterviewpartnerInnen<br />

an. Ein Netzwerk mit anderen Freien sei<br />

auch sehr wichtig, damit man auf deren<br />

Erfahrungen zugreifen kann.<br />

In Anbetracht der schrumpfenden Zahl<br />

an fest angestellten Journalistinnen<br />

kann trotzdem nicht von einer Abschiebung<br />

in freie Dienstverhältnisse die<br />

Rede sein. Wenn Personen von einem<br />

Anstellungsverhältnis in jenes als Freie<br />

wechseln, passiere das meistens freiwillig.<br />

Gründe könnten zum Beispiel<br />

der Charakter, fehlende Zustimmung<br />

zur jeweiligen Blattlinie, ein größerer<br />

inhaltlicher Fokus als mediale Ressorts<br />

erlauben und keine Möglichkeiten für<br />

eine Festanstellung sein – oder aber<br />

unfreiwillig, weil ihnen gekündigt wurde.<br />

PR als Rettung?<br />

Ein Wechsel in die PR stellt für viele<br />

JournalistInnen eine Rettung vor all diesen<br />

Problemen dar. Das liege vor allem<br />

daran, dass sich die Berufsfelder nicht<br />

so ungleich sind. Valentina Dirmaier<br />

sieht darin aber keine Lösung und<br />

würde nur „ungern“ in die PR wechseln.<br />

Die einzigen Ausnahmen wären<br />

gewisse Projekte oder Start-Ups mit<br />

guten Ideen, Großkonzerne schließt sie<br />

aus. Eine der vielen JournalistInnen, die<br />

diesen Sprung wagten, ist Lydia Ninz.<br />

Nachdem sie mit 47 Jahren „abgebaut“<br />

wurde, war sie als Pressesprecherin<br />

© Copyright: adobe stick / Pormezz<br />

tätig. „Wenn ich weiß, wie JournalistInnen<br />

ticken, dann kann ich auch viel effizienter<br />

im PR-Bereich arbeiten“, stellt<br />

sie klar. Ein klarer Vorteil sei, dass man<br />

versteht „wie es in einer Redaktion zugeht“.<br />

Dann könne man auf der anderen<br />

Seite viel besser die Botschaften<br />

so entwickeln, dass es JournalistInnen<br />

auch interessiert. Das sieht Lisa auch<br />

so. Sie ist umgekehrt aus der PR in den<br />

Journalismus gewechselt. Die starke<br />

Verbundenheit der Berufe mit der Medienwelt<br />

und dass man die Zusammenarbeit<br />

im Arbeitsalltag schon kenne,<br />

seien ebenfalls positiv zu bewerten.<br />

Momentan könne sich Lisa zwar keinen<br />

erneuten Wechsel vorstellen, aber<br />

wenn sich die Medien in ihrer neuen<br />

Funktion nicht zurechtfinden sollten,<br />

sei die Gefahr schon da, dies tun<br />

zu müssen. Mittelfristig fühle sie ihre<br />

Arbeitsstelle nicht so sehr gefährdet,<br />

aber langfristig sei natürlich jeder Medienjob<br />

ein bisschen bedroht. Dementsprechend<br />

seien die PR oder andere<br />

mediennahe Berufe für JournalistInnen<br />

schon immer alternative Berufe. Es bestünde<br />

immer eine Möglichkeit im Hinterkopf<br />

und in gewisser Weise auch ein<br />

„Sicherheitsnetz“. Dass viele JournalistInnen<br />

ähnlich denken, könne man daran<br />

sehen, dass viele in den PR-Bereich<br />

wechseln. „Vielleicht ist das auch der<br />

Grund, warum ich mir nicht so Sorgen<br />

mache. Es ist nicht so, dass ich nur das<br />

kann und ansonsten aufgeschmissen<br />

wäre“, denkt Lisa laut nach.<br />

von Christiane Fürst<br />

22<br />

Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“


www.ip.at<br />

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XXXXX<br />

23


Satire als Gegenmittel<br />

in Krisen<br />

Satire kennt viele Kanäle und Formen, die neben Unterhaltung auch tiefgründigere<br />

Funktionen haben. Aber welche Rolle spielt Satire in Krisensituationen,<br />

welchen Mehrwert hat sie und wo liegen die Grenzen? <strong>SUMO</strong><br />

sprach darüber mit Florian Scheuba, Schauspieler, Kabarettist, Buchautor,<br />

Kolumnist und Moderator, und Fritz Jergitsch, Kabarettist und Chefredakteur<br />

von „Die Tagespresse”.<br />

© Copyright: adobe stick / photokozyr<br />

Krisensituationen beeinflussen insbesondere<br />

das psychische Wohlergehen<br />

der Menschen und können unter anderem<br />

Angst, Stress und Verzweiflung<br />

verursachen. Im AXA Mental Health<br />

Report 2020 gaben 32% der Befragten<br />

eine Verschlechterung der eigenen<br />

psychischen Verfassung im Verlauf der<br />

Corona-Krise an. Ein Weg, mit einer<br />

solchen Belastung umzugehen, ist – zu<br />

lachen. Laut Fritz Jergitsch haben Satire<br />

und Humor eine psychohygienische<br />

Funktion. Sie könnten angespannte<br />

Situationen entkrampfen und dazu beitragen,<br />

besser mit ihnen umgehen zu<br />

können. „Im Englischen gibt es die Redewendung<br />

‚To make light of a bad situation‘,<br />

wenn man einen Witz über eine<br />

schwierige Situation macht. Ich denke,<br />

das sagt schon sehr viel darüber aus,<br />

was Humor in unserem Gehirn macht.<br />

Er hilft uns, den Alltag besser zu ertragen”.<br />

Die Konfrontation mit Ängsten<br />

ist besonders in Krisensituationen für<br />

viele Menschen ein Problem. Auch hier<br />

kann Humor ein Gegenmittel sein. Florian<br />

Scheuba beschreibt Satire als eine<br />

Notwehr gegen Zumutungen. In Krisensituationen<br />

könne satirischer Humor<br />

eine Methode sein, Angst zu nehmen<br />

und Abstand zu gewinnen. „Angst ist<br />

eine Degeneration der Aufmerksamkeit.<br />

Humor und Satire sind Kraftfutter<br />

für Aufmerksamkeit. Sie können Aufmerksamkeit<br />

wieder auf Dinge lenken<br />

und helfen, sie wieder einzuordnen und<br />

mit etwas weniger Angst auf diese zu<br />

schauen”.<br />

Kritik der Mächtigen<br />

Das Kritisieren von Personen, Ereignissen<br />

oder Zuständen gehört zu den<br />

Grundfunktionen von Satire. Mittels<br />

Stilelementen wie Ironie, Übertreibung<br />

und Spott können Missstände aufgegriffen<br />

und zum Nachdenken und Reflektieren<br />

angeregt werden. Satire ist<br />

daher im Gegensatz zur klassischen<br />

Comedy hochpolitisch. Diese Funktion<br />

ist auch besonders in Krisensituationen<br />

wichtig. Dazu sagt der Chefredakteur<br />

von „Die Tagespresse”: „Es gehört<br />

zur Grundaufgabe der Satire, dass sie<br />

denen da oben den Spiegel vorhält und<br />

durch das Mittel der satirischen Übertreibung<br />

Missstände sichtbarer macht,<br />

indem diese ein bisschen exzessiver<br />

dargestellt werden, als sie sind. So erfüllt<br />

Satire natürlich auch eine Funktion<br />

als Kritik der Politik und der Mächtigen”.<br />

Informationscharakter<br />

Satire hat einen größeren Mehrwert<br />

als die bloße Unterhaltung. Dieser ist<br />

jedoch oft nicht gleich ersichtlich und<br />

nur schwer quantifizierbar. Satire kann<br />

Wahrheiten, Nachrichtenwerte und<br />

Informationsgehalte übermitteln und<br />

dies anders verpacken als gewöhnlich.<br />

Humor und Wahrheit sind zwei eng<br />

miteinander verbundene Dinge. Laut<br />

Jergitsch funktionieren Witze nur mit<br />

einem wahren Kern. Scheuba betont<br />

auch die weitere wichtige Funktion von<br />

Satire, Inhalte zu vermitteln, die medial<br />

zu wenig gewürdigt werden. Damit<br />

sei auch ein gewisser Bildungsauftrag<br />

verbunden. Besonders in Krisenzeiten<br />

gingen oft wichtige Themen unter, auf<br />

die man mittels satirischer Darstellung<br />

Aufmerksamkeit lenken könne. Krisensituationen<br />

würden auch manchmal<br />

bewusst von Menschen genutzt werden,<br />

die darauf hoffen, dass eine Sache<br />

untergehe und medial nicht wahrgenommen<br />

werde. Dabei habe Satire die<br />

Fähigkeit, den Fokus des öffentlichen<br />

Interesses auf solche Themen lenken<br />

zu können.<br />

Wo liegen die Grenzen?<br />

Die Frage, wann Satire zu weit geht<br />

wird seit Ewigkeiten stark debattiert,<br />

aufgrund der potentiellen Reichweite<br />

im Internet noch heftiger. Kontroversen<br />

wie um Jan Böhmermanns Gedicht über<br />

den türkischen Präsidenten Erdoğan<br />

mit dem Titel „Schmähkritik“ sind Auslöser<br />

solcher Diskussionen. Grundsätzlich<br />

wird Satire in Österreich gesetzlich<br />

kraft der Meinungs- und Kunstfreiheit<br />

geschützt, ihre Grenzen liegen bei der<br />

Verletzung der menschlichen Ehre und<br />

der Menschenwürde. Aber nicht nur<br />

gesetzliche Vorschriften, sondern auch<br />

die subjektive Einschätzung darüber,<br />

24<br />

Satire als Gegenmittel in Krisen


wann Satire zu weit geht, spielt eine<br />

Rolle. Diese Grenze verläuft für jeden<br />

Menschen anders. „Wir orientieren<br />

uns eher an unserem Bauchgefühl. Wir<br />

überlegen uns bei jeder Schlagzeile: ‚‚Ist<br />

diese Schlagzeile gerechtfertigt‘? Bei<br />

einem härteren Witz denken wir noch<br />

ein bisschen länger nach und diskutieren<br />

vielleicht auch. Es kommt natürlich<br />

vor, dass dann Leute unter einen Artikel<br />

schreiben, dass dieser Inhalt zu weit<br />

geht”, so Jergitsch über die Abwägung<br />

der Grenzen bei Artikeln von „Die Tagespresse”.<br />

Des Weiteren achte Jergitsch<br />

darauf, keine Witze auf Kosten von<br />

Menschen mit Beeinträchtigungen und<br />

jenen, die es unverschuldet schwieriger<br />

haben zu machen. Rein thematisch<br />

gebe es für Florian Scheuba keine Grenzen:<br />

Es komme immer auf das Wie an.<br />

Ein und derselbe Scherz könne in einer<br />

speziellen Situation sehr unpassend<br />

und in einer anderen sehr passend sein.<br />

„Das Wesen von Humor ist es, dass er<br />

alles umfasst. Darum gibt es auch Phänomene<br />

wie den ‚schwarzen Humor‘,<br />

der auch dazu da ist, schlimme Dinge zu<br />

verarbeiten, weil Humor eine Form der<br />

Distanzierung ermöglicht”, so Scheuba.<br />

Lob und Kritik<br />

Die Wahrnehmung der RezipientInnen<br />

satirischer Inhalte sind bei heiklen Krisenthemen<br />

sehr unterschiedlich. Während<br />

einige den Humor positiv wahrnehmen,<br />

empören sich andere über<br />

dieselben Inhalte. „Nach dem Anschlag<br />

in Wien haben wir uns dazu geäußert<br />

und zu 70% positive Rückmeldungen<br />

bekommen. 30% haben Kommentare<br />

in der Bandbreite von ‚Leute, das ist<br />

zu früh‘ bis hin zu wüsten Beschimpfungen<br />

gepostet. Wenn man über ein<br />

solch extrem aufgeladenes und furchtbares<br />

Thema wie einen Terroranschlag<br />

schreibt, kommt es natürlich vor, dass<br />

es vielen Leuten zu weit geht. Wir sind<br />

der Meinung, dass man sich gerade in<br />

solchen Zeiten nicht durch Terror den<br />

Humor nehmen lassen und sich nicht<br />

zum Schweigen bringen lassen sollte”,<br />

berichtet Fritz Jergitsch.<br />

Zu einem anderen Krisenkontext, jenem<br />

von Corona, konstatiert Florian Scheuba:<br />

„Ich bin noch kurz vor dem Lockdown<br />

mit Florian Klenk, den ‚Staatskünstlern‘<br />

und auch solo aufgetreten<br />

und da hatte ich das Gefühl, dass die<br />

Menschen besonders aufmerksam und<br />

auch dankbar dafür sind, dass etwas<br />

auf der Bühne stattfindet und dabei<br />

Vieles satirisch beleuchtet wird. Ich<br />

glaube, dass dafür ein Bedürfnis da ist<br />

und dass es Menschen fehlt, wenn das<br />

derzeit auf Bühnen nicht möglich ist”.<br />

Sich zu amüsieren – auch über und in<br />

Krisen – ist ein menschliches Bedürfnis.<br />

von Christian Krückel<br />

Florian Scheuba / Copyright: Peter Rigaud<br />

Fritz Jergitsch / Copyright: Markus Wache<br />

Satire als Gegenmittel in Krisen<br />

25


ORF NIEDERÖSTERREICH<br />

DA BIN ICH DAHEIM<br />

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Pressefreiheit Thema - Wahrheit kann bestraft werden


Auf der Suche nach Schnäppchen<br />

über Vergleichsportale<br />

Um die niedrigsten Preise zu finden, konsultieren immer mehr Menschen<br />

das Internet und kommen dabei nicht an diversen Vergleichsportalen<br />

vorbei. <strong>SUMO</strong> sprach darüber mit Reinhold Baudisch, dem<br />

Geschäftsführer von „durchblicker.at“, mit Markus Nigl und Michael<br />

Nikolajuk, dem Geschäftsführer und dem Marketingleiter von „geizhals.<br />

at“, sowie mit Gabi Kreindl, Versicherungsexpertin im Verein für Konsumenteninformation.<br />

„durchblicker.at“ verzeichnet durchschnittlich<br />

bis zu 800.000 Unique User<br />

pro Monat, bei „geizhals.at“ sind es<br />

sogar 3,5 Millionen. An diesen Zahlen<br />

erkennt man, dass Vergleichsportale in<br />

Österreich viel genutzt werden. Es gibt<br />

inzwischen kaum ein Produkt oder eine<br />

Dienstleistung, die durch solche Portale<br />

nicht abgedeckt werden – vom Urlaub<br />

über die Autoversicherung bis hin zur<br />

elektrischen Zahnbürste. Vergleichsportale<br />

entscheiden also inzwischen<br />

bei einer Vielzahl an KonsumentInnen,<br />

bei welchem Händler sie welches Produkt<br />

beziehungsweise welche Dienstleistung<br />

beziehen und zu welchen Konditionen.<br />

Da die Preislisten mehrmals<br />

pro Stunde aktualisiert werden, ist es<br />

möglich, jederzeit den günstigsten<br />

Preis zu finden. „Vergleichsportale werden<br />

von den KonsumentInnen sehr gut<br />

angenommen. Das Problem von Verbraucherschutzseite<br />

ist, dass oft unklar<br />

bleibt, welche Rolle das Portal hat und<br />

welche Anbieter überhaupt verglichen<br />

werden. Oft wird nicht der volle Markt<br />

abgedeckt“, berichtet Kreindl. Laut ihr<br />

sei noch einiges an Verbesserungspotential<br />

möglich, vor allem wenn es um<br />

die Transparenz und das Verständnis<br />

des Modells selbst gehe.<br />

Wer warum gelistet wird<br />

Das Auswahlverfahren variiert je nach<br />

Vergleichsseite, jedoch ist es das Ziel<br />

der meisten Vergleichsportale, dass ein<br />

möglichst breiter Umfang des Marktes<br />

wiedergegeben werden kann. Bei der<br />

Auswahl der gelisteten Unternehmen<br />

läuft es immer ähnlich ab. „Der Händler<br />

meldet sich bei uns oder wir kontaktieren<br />

ihn. Was einmal prinzipiell verlangt<br />

wird, sind grundlegende Fakten<br />

wie ein Handelsregisterauszug und ein<br />

Gewerbeschein. Danach werden die<br />

Preislisten von unserem Supportteam<br />

gecheckt und mit dem des Händlers abgeglichen“,<br />

so Geizhals-Geschäftsführer<br />

Markus Nigl über den Prozess. „Weiters<br />

kontrolliert werden gesetzliche Rahmenbedingungen<br />

wie die Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen, das Impressum<br />

sowie das Einhalten von Widerrufs-<br />

und Fernabsatzrecht“. Im Grunde<br />

genommen würden jedoch die meisten<br />

Unternehmen auf den verschiedenen<br />

Plattformen abgebildet, nur in seltenen<br />

Fällen komme es tatsächlich vor, dass<br />

Unternehmen von dem Vergleich ausgeschlossen<br />

werden. „Ganz selten gibt<br />

es Ausnahmefälle. Aber wenn wir sehr<br />

häufig über einen Anbieter hören, dass<br />

dieser nicht seriös am Markt auftritt,<br />

dann kann es im Einzelfall schon mal<br />

sein, dass wir sagen, es ist besser, wir<br />

listen diesen nicht. Weil das wäre ja kein<br />

guter Rat den NutzerInnen gegenüber“,<br />

erklärt Durchblicker-Geschäftsführer<br />

Baudisch. Auch Schutzmechanismen<br />

wirken gegen unseriöse Händler. So<br />

© Copyright: adobe stock/ Gajus<br />

Auf der Suche nach Schnäppchen über Vergleichsportale<br />

27


© Copyright: adobe stock/ yetronic<br />

gibt es bei einigen Portalen eine Meldung<br />

an das Supportteam, sobald der<br />

Preis zu weit unter dem der anderen<br />

Anbieter fällt. Die Preislisten, welche<br />

ständig automatisiert überprüft werden,<br />

können in diesem Fall vom Supportteam<br />

manuell geprüft werden und<br />

im Falle eines Fehlers schnell korrigiert<br />

werden. Markus Nigl meint, dass weder<br />

KonsumentInnen noch ein Händler in<br />

diesem Fall profitieren würden. Einzig<br />

allein das Vergleichsportal selbst würde<br />

zumindest finanziell profitieren, da<br />

im Falle eines zu niedrigen Preises die<br />

UserInnen durch zahlreiche Klicks den<br />

Umsatz angekurbelt hätten.<br />

Geldfluss an die Portale<br />

Da die Portale nicht nur eine hohe Vergleichsreichweite<br />

bieten, sondern auch<br />

ein Stück vom Umsatz abbekommen<br />

möchten, stellt sich die Frage nach deren<br />

Finanzierung. In der Regel funktioniert<br />

diese entweder auf CPC, also Cost<br />

per Click-Basis oder auf CPO, sprich<br />

Cost per Order. „Aktuell bekommen wir<br />

(Geizhals) für jeden Click so um die 30<br />

Cent von einem Händler. Im Fall eines<br />

CPO-Vertrages bekommen wir einen<br />

gewissen Prozentbetrag als Provision“,<br />

erzählt Nigl. In der Regel komme es vor,<br />

dass sowohl die Händler den Kontakt<br />

zum Unternehmen suchen, als auch<br />

umgekehrt. Michael Nikolajuk, Geizhals-Marketingleiter,<br />

berichtet: „Als wir<br />

gewachsen sind, sind viele Händler auf<br />

uns zugekommen, aber irgendwann<br />

einmal hat man einen großen Händlerstamm.<br />

Dann wird es eher schwierig,<br />

dass diese aktiv auf uns zukommen,<br />

stattdessen versuchen wir aktiv auf die<br />

Händler, die wir noch nicht haben, zuzugehen.“<br />

Einflüsse durch Äußere und Innere<br />

Kaum ein Unternehmen, das Preisvergleiche<br />

durchführt steht alleine da. Zumeist<br />

sind diverse Gesellschafter oder<br />

Investoren an dem Geschäftsmodell<br />

beteiligt. „Wichtig ist, dass du als Vergleichsplattform<br />

niemanden als Eigentümer<br />

hast, der auf der Plattform mit<br />

verglichen wird“, sagt Baudisch. Durchblicker<br />

hat neben seinem Business<br />

Angle Hansi Hansmann auch weitere<br />

Gesellschafter, darunter der amerikanische<br />

Investor White Mountains, der<br />

45% der Anteile hält. White Mountains<br />

ist zwar in der Versicherungsbranche<br />

tätig, jedoch nicht in Österreich und<br />

auch nicht im B2C-Bereich. Geizhals hat<br />

ebenso eine Vielzahl an Gesellschafter,<br />

der weitaus mächtigste mit 90% Anteil<br />

ist der deutsche Medienkonzern Heise<br />

Gruppe. Auch hier wird <strong>SUMO</strong> versichert,<br />

dass die Mediengruppe am operativen<br />

Teil des Unternehmens keinen<br />

Einfluss habe und dass bis auf die Nutzung<br />

von Synergien und diversen Kooperationen<br />

keine weitere Beziehung<br />

bestehe, da die Geschäftsbereiche doch<br />

zu unterschiedlich seien. Da auch der<br />

Werbeanteil nur einen sehr geringen<br />

Anteil des Gesamtumsatzes einer Vergleichsseite<br />

ausmacht, sind auch hier<br />

wenige Einflüsse zu erwarten. Einzig bei<br />

der Gestaltung des Newsletters können<br />

die Portalbetreiber ihren eigenen<br />

Interessen nachgehen. „Wir platzieren<br />

im Newsletter auch neuere, nicht ganz<br />

so bekannte Produkte oder Features.<br />

Der Hintergrund ist natürlich auch der,<br />

dass wir versuchen, auch unsere Breite<br />

darzulegen. Wir werden immer als<br />

sehr techniklastiger Preisvergleich für<br />

Unterhaltungselektronik und Hardware<br />

wahrgenommen. Aber inzwischen kann<br />

man auch andere Dinge bei uns bekommen“,<br />

erzählt Nikolajuk.<br />

Zum Schutz der KonsumentInnen<br />

Aus Sicht des Konsumentenschutzes<br />

sind Vergleichsportale jedoch noch<br />

nicht ganz userfreundlich gestaltet.<br />

So ergab beispielsweise eine Studie<br />

des Europäischen Verbraucherzentrums<br />

Österreich aus dem Jahr 2015,<br />

dass nur 11% der Vergleichsportale in<br />

der EU Kontaktmöglichkeiten angeben<br />

und lediglich 34% aufzeigen, wohin<br />

man sich im Beschwerdefall wenden<br />

kann. Auch Gabi Kreindl meint, dass<br />

fehlende Transparenz noch immer ein<br />

großes Problem sei. Vor allem im Versicherungsbereich<br />

gehe oft nicht klar<br />

für KonsumentInnen hervor, ob es sich<br />

um ein Versicherungsunternehmen im<br />

Vergleich handelt oder einem/r Makler/<br />

in. Auch wenn es für viele Menschen<br />

angenehmer sein mag, sich nicht mit<br />

einem/r Versicherungsberater/in zusammenzusetzten,<br />

da der Druck zum<br />

Abschluss groß ist, so weiß man oft<br />

nicht, wer einen bei einem Schadensfall<br />

beraten wird oder wie lange der Vertrag<br />

gilt. Kreindl empfiehlt sich bei Vergleichsportalen<br />

immer zu fragen: „Sind<br />

alle oder möglichst viele Anbieter gelistet?<br />

Wie ist denn dieses Vergleichsportal<br />

finanziert? Wer zahlt da was wofür?<br />

Dann wird es schon ein bisschen klarer,<br />

was hier Sache ist.“<br />

von Laura Sophie Maihoffer<br />

Michael Nikolajuk / Copyright: Geizhals<br />

Markus Nigl / Copyright: Geizhals<br />

Reinhold Baudisch / Copyright: Sebastian Freiler<br />

Gabi Kreindl / Copyright: VKI<br />

28<br />

Auf der Suche nach Schnäppchen über Vergleichsportale


Keine Zukunft für Musikmedien?<br />

Was haben der einst so populäre Musik-TV-Sender „VIVA“ und die Musik- und Popkulturzeitschrift „SPEX“ gemeinsam?<br />

Beide haben in den vergangenen drei Jahren ihren Betrieb eingestellt. Heute stellt sich die Frage, ob<br />

im Zeitalter von „YouTube“ und „Spotify“ Musikfernsehen und -magazine überhaupt noch eine Rolle spielen.<br />

<strong>SUMO</strong> sprach daher mit dem Musiksoziologen Michael Huber und Theresa Ziegler, Chefredakteurin des österreichischen<br />

Kulturmagazins „The Gap“, über Musiksozialisation, wirtschaftliche Herausforderungen von Musikmedien<br />

sowie Musikwahrnehmung in der digitalen Ära.<br />

Ein Freitag im November 2013, 14:00<br />

Uhr. Ich eile von der Schule nach Hause,<br />

denn um 15 Uhr beginnen die „VIVA Top<br />

100“. Meine einzige Sorge: die ersten<br />

Musikclips zu verpassen. Mein Bruder<br />

wartet bereits gespannt vor dem Fernseher<br />

und ist bereit für das Highlight<br />

der Woche und den Start in das Wochenende.<br />

Das Leben ist einfach schön<br />

und die Welt in Ordnung.<br />

Die Rolle der Musiksozialisation<br />

So oder ähnlich ging es vielen jungen<br />

Erwachsenen in Deutschland und Österreich,<br />

die in den 1990er und 2000er<br />

Jahren mit „VIVA“ und MTV aufgewachsen<br />

sind. Auch Michael Huber, stellvertretender<br />

Leiter des Instituts für<br />

Musiksoziologie an der Universität für<br />

Musik und darstellende Kunst Wien,<br />

erinnert sich gerne zurück und verdeutlicht<br />

die Rolle der Musiksozialisation.<br />

Die MTV-Sendung „120 Minutes“, eine<br />

Musik-Show, in der die neuesten und<br />

interessantesten Clips gezeigt wurden,<br />

habe er damals mit seinem VHS-Rekorder<br />

aufgenommen, um am nächsten<br />

Tag nachzusehen, ob etwas Spannendes<br />

dabei war. Mit Fragen wie „Hast<br />

du schon das neue Video von ‚Nine<br />

Inch Nails‘ gesehen?“ wurden die Themen<br />

des nächsten Tages durch solche<br />

Sendungen festgelegt, wodurch man<br />

mit der Rezeption dieser Inhalte soziales<br />

Kapital innerhalb einer Gruppe<br />

generieren konnte, so Huber. Für die<br />

gebürtige Bayerin und Chefredakteurin<br />

von „The Gap“, Theresa Ziegler, war der<br />

österreichische Musikfernsehsender<br />

„gotv“ sogar der erste Zugang zu österreichischen<br />

Musikmedien und einer<br />

der ersten Anknüpfungspunkte für ihre<br />

spätere musikjournalistische Karriere.<br />

„Hier habe ich zum ersten Mal ein‚‚Bilderbuch‘-Musikvideo<br />

gesehen“, erzählt<br />

Ziegler.<br />

Geld ist nicht alles<br />

Als Paradebeispiel, dass es bei Musikmedien<br />

nicht ausschließlich um<br />

monetäre, sondern auch um gesellschaftliche<br />

Aspekte geht, dient „The<br />

Gap“. Aus Theresa Zieglers Sicht wäre<br />

ein monatliches Erscheinen des Magazins<br />

durchaus möglich, wobei sich<br />

dabei aber die Frage des Sinnes stellen<br />

würde. „Unter meiner Redaktion habe<br />

ich ‚The Gap‘ als Magazin verstanden,<br />

das in die Tiefe geht, also von AuskennerInnen<br />

für AuskennerInnen“. Dabei<br />

werde auch der Begriff Popkultur weit<br />

gefasst, da es nicht nur um konkrete<br />

Albumveröffentlichungen geht, sondern<br />

auch um „Strukturen und Bewegungen<br />

hinter den Themen“, so Ziegler<br />

weiter. Daher wäre der zweimonatige<br />

Erscheinungsrhythmus sinnvoller, weil<br />

dadurch mehr Zeit für intensivere Recherchen<br />

der Meta-Themen bleibe und<br />

gesellschaftspolitische Hintergründe<br />

besser beleuchtet würden. Mitte April<br />

2020, zur Zeit der ersten Corona-Welle,<br />

hat „The Gap“ beschlossen, Kulturschaffende<br />

in Österreich mit einem<br />

Kulturkalender zu unterstützen, in dem<br />

Online-Veranstaltungen der KünstlerInnen<br />

dort eingetragen wurden. Und<br />

das, obwohl man selbst auch nicht von<br />

der Krise verschont wurde: „Der erste<br />

Lockdown kam gerade bei einer Magazin-Produktion<br />

und das hat uns natürlich<br />

getroffen. Was passiert jetzt? Aber<br />

uns war schnell klar: Wir haben ein gewisses<br />

Verantwortungsgefühl gegenüber<br />

der Szene“, meint Ziegler. Dies sei<br />

etwas sehr österreichspezifisches, da<br />

Österreich zwar ein kleines Land, die<br />

© Copyright: adobe stock / xavier gallego morel<br />

Keine Zukunft für Musikmedien?<br />

29


Szene allerdings groß und divers sei.<br />

Damit hätte man als Musikmedium ein<br />

hohes Verantwortungsbewusstsein.<br />

Ein Mitgrund für die intensive Berichterstattung<br />

während dieser Zeit sei auch<br />

die mangelnde Aufmerksamkeit für die<br />

Beeinträchtigung der österreichischen<br />

Kulturlandschaft gewesen, so Ziegler<br />

weiter.<br />

„gotv“ gibt´s auch noch?<br />

Unverständnis für die immer noch existierenden<br />

Musik-TV-Sender zeigt Huber,<br />

denn für ihn sei es „völlig schleierhaft“,<br />

wie Quoten zustande kämen, die<br />

das Ganze für den Werbemarkt interessant<br />

machen. „Wenn ich durch die<br />

Fernsehsender zappe, denke ich mir:<br />

‚gotv‘ gibt’s auch noch? Und wenn ich<br />

ein Video sehe, das bei mir nostalgische<br />

Gefühle hervorruft, dann bleibe<br />

ich die paar Minuten dran und sehe es<br />

mir an.“ Abgesehen davon könne Huber<br />

den klassischen Musiksendern mittlerweile<br />

nichts mehr abgewinnen und das<br />

trotz der Tatsache, dass MTV während<br />

seiner Studentenzeit sein „täglich Brot“<br />

war. „‚‚YouTube‘ in Kombination mit dem<br />

Smartphone war der Anfang vom Ende<br />

des Musikfernsehens“, meint Huber.<br />

Durch die leichte Verfügbarkeit, überall<br />

und zu jeder Zeit, hätte „YouTube“<br />

den one-to-many-Musiksendern den<br />

Hahn abgedreht. „Musikfernsehen<br />

gibt mir vor, wann ich was zu schauen<br />

habe.“ Sendungen hätten früher den<br />

Tag strukturiert und heute habe man zu<br />

jeder Zeit Zugriff auf Musik. Daher sagt<br />

Huber auch: „Ich sehe keinen Grund,<br />

warum ich Musik-TV schauen sollte.“<br />

Zudem seien junge MusikhörerInnen<br />

Multi-Channel-User und würden daher<br />

oft den Musikclips nicht die volle Aufmerksamkeit<br />

schenken. Huber könne<br />

auch die Kritik am Musikfernsehen verstehen,<br />

die sich zu musikfreien Zonen<br />

entwickelten und statt spannenden<br />

Musikvideos dutzende Reality-,<br />

Fiction- und Spielshow-Formate zeigten,<br />

um die Quoten zu erhöhen. „Um<br />

Reality-Formate zu schauen, brauche<br />

ich keinen Musiksender“, so Huber. Das<br />

Alleinstellungsmerkmal von MTV war<br />

es, innovative Clips zu zeigen, die es nur<br />

dort zu sehen gab. Nur ist dieser Bedarf<br />

verschwunden als, „YouTube“ & Co. aufkamen.<br />

Als Ironie des Schicksals könnte<br />

man es bezeichnen, dass ausgerechnet<br />

„YouTube“-Stars innerhalb der letzten<br />

Sendeminuten von „VIVA“ Lebewohl<br />

sagen, denn gerade diese Video-Plattform<br />

hat dazu beigetragen, dass der<br />

Sender eingestellt wurde.<br />

„Gedruckte Musik“<br />

Andere Meinungen vertreten Huber<br />

und Ziegler allerdings, wenn es um gedruckte<br />

Musik geht. „Es gibt Dinge, die<br />

haptisch mehr Sinn machen“, erläutert<br />

Ziegler. Daher sei sie auch sehr zuversichtlich,<br />

was die Zukunft von „The Gap“<br />

betrifft, da die Marke sehr gut funktioniere<br />

und Teile der Zielgruppe es eher<br />

als Print-Magazin statt als Online-Medium<br />

kennen. Die Menschen, die in den<br />

1970er bis 1990er ihre Musiksozialisationsphase<br />

hatten, wären auch heute<br />

noch bereit, hohe Preise für Schallplatten<br />

und Special Interest-Magazine zu<br />

bezahlen, erläutert Huber. So lange diese<br />

Zielgruppe groß genug sei, zahle es<br />

sich für einzelne Magazine aus, diese zu<br />

produzieren. Warum „SPEX“ nicht mehr<br />

funktioniere, „The Gap“ aber sehr wohl,<br />

sei laut Ziegler nicht eindeutig zu sagen.<br />

„Der Markt in Deutschland ist anders<br />

als in Österreich, Musikmärkte lassen<br />

sich nicht vergleichen.“ Obwohl es der<br />

gleiche Sprachraum ist, sei die Kultur<br />

eben doch anders. „ ‚SPEX‘ war in den<br />

1980er Jahren ein kritisches Medium“,<br />

für innovative Inhalte sehe man sich<br />

heute jedoch lieber Blogs an, berichtet<br />

Huber und gibt an, dass das Internet<br />

„SPEX“ den Rang abgelaufen habe.<br />

30<br />

Keine Thema Zukunft für Musikmedien?


Musikwahrnehmung heute<br />

Laut dem Musiksoziologen habe die Bedeutung<br />

von Musikrezeption insgesamt<br />

verloren, denn „so intensiv beschäftigt<br />

sich heute niemand mehr mit Musik,<br />

also sich hinzusetzen und anzusehen,<br />

wie ein Cover gestaltet ist, Texte und<br />

Informationen zu KünstlerInnen nachzulesen,<br />

interessiert die Leute nicht<br />

mehr“. Grund dafür sei, dass die Freizeitgestaltung<br />

früher nur beschränkte<br />

Möglichkeiten bot und man heute wesentlich<br />

mehr Möglichkeiten hätte. Dieser<br />

Meinung ist Ziegler nicht, denn zumindest<br />

in ihrem Freundeskreis werde<br />

viel über Popmusik und „Hintergründe<br />

von KünstlerInnen sowie über gesellschaftspolitische<br />

Strömungen, die diese<br />

auslösen“, diskutiert. Doch nicht nur<br />

in ihrem Bekanntenkreis, auch auf Social<br />

Media gebe es viele Diskussionen,<br />

die bei einigen Fans mancher Künstler-<br />

Innen gar als Religionsersatz bezeichnet<br />

werden könnten. Bei der Fanbase<br />

von Taylor Swift etwa gäbe es „ganze<br />

Dissertationen, welche Sexualität und<br />

Hintergründe sie hat“ sowie penibelste<br />

Analysen ihrer Musik. Einig sind sich<br />

die beiden MusikexpertInnen bei der<br />

Überschwemmung des heutigen Musikangebots,<br />

was aber laut Ziegler nicht<br />

unbedingt zu einer verminderten Auseinandersetzung<br />

mit Musik führe, denn<br />

gerade aufgrund des vermehrten Angebots<br />

setzten sich MusikenthusiastInnen<br />

intensiver mit Musik auseinander.<br />

Musikmedien heute müssten daher als<br />

„Meinungsorgan auftreten, das Diskussionen<br />

anstößt und vor allem Kontextwissen<br />

anbietet“, fordert Ziegler. Wenn<br />

etwa die Veröffentlichung eines neuen<br />

Albums anstehe, müsse man laut Ziegler<br />

aufzeigen: „Was passiert dahinter,<br />

daneben, davor, darunter und darüber?“<br />

(Noch) Kein Ende in Sicht<br />

Auf die zukünftige Entwicklung von<br />

Musikmedien angesprochen, meint<br />

Theresa Ziegler, dass vor allem Print-<br />

Magazine sich weg von der Newsorientierung<br />

hin zu meinungs- und kontextbildenden<br />

Inhalten bewegen sollen,<br />

denn für News gebe es ja das Internet<br />

und die jeweiligen Social Media-Kanäle<br />

der KünstlerInnen selbst. In eine ähnliche<br />

Kerbe schlägt auch Michael Huber.<br />

„Es gibt nach wie vor eine kritische<br />

Masse, die gerne etwas in der Hand<br />

hat“ und solange diese Masse groß<br />

genug sei, werde es Musik in gedruckter<br />

Form geben. Dem Musikfernsehen<br />

hingegen beschert der Musiksoziologe<br />

keine Zukunft. „Wenn sie ‚gotv‘ morgen<br />

abdrehen, würde mir das nicht auffallen.“<br />

Dafür würde beispielsweise eine<br />

wöchentliche Sendung wie „Tracks“<br />

auf ARTE völlig ausreichen. Ein eigener,<br />

linearer 24 Stunden-Musiksender<br />

sei aufgrund von „YouTube“ mittlerweile<br />

überflüssig. Bei gedruckten Musikangeboten<br />

sieht er hingegen noch<br />

Potential. Das Magazin für Vinyl-Kultur<br />

„MINT“ etwa würde von Jahr zu Jahr<br />

umfangreicher. Auch Vinyl-Schallplattenspieler<br />

wären bereits out gewesen,<br />

mittlerweile kommen aber viele neue<br />

Einsteigermodelle auf den Markt. Einzig<br />

ein TV-Format, das all diese Interessen<br />

bündle könne funktionieren.<br />

No „VIVA“, no Friday<br />

Ein Freitag im November 2020, 14:00<br />

Uhr. Ich eile nicht von der Fachhochschule<br />

nach Hause, denn dank Corona<br />

und Fernlehre bin ich bereits da. Mein<br />

Bruder wartet nicht vor dem Fernseher,<br />

er ist ausgezogen. Die „VIVA Top 100“<br />

gibt es nicht mehr, da „VIVA“ Ende 2018<br />

eingestellt wurde.<br />

von David Pokes<br />

Michael Huber / Copyright: Daniel Willinger<br />

Theresa Ziegler / Copyright: Alexia Fin<br />

© Copyright: adobe stock / Mizkit<br />

Keine Zukunft für Musikmedien?<br />

31


© Copyright: adobe stock / pusteflower9024<br />

„Propaganda liegt in der Natur<br />

des Missionierens“<br />

Während alte Religionen den digitalen Wandel verschlafen haben, schaffen es andere, Social Media<br />

für ihre Zwecke zu nutzen. <strong>SUMO</strong> sprach mit Gert Pickel, Religionssoziologe an der Universität<br />

Leipzig, Frederik Elwert, „relNet“-Projektkoordinator der Ruhr-Universität Bochum, und Fabian<br />

Reicher, Sozialarbeiter der Extremismus-Beratungsstelle in Wien, über Religionspropaganda und<br />

Extremismus in sozialen Medien.<br />

„Facebook“, „Twitter“, „Instagram“… –<br />

laut „DataReportal“ benützte im Juli<br />

2020 jeder zweite Mensch auf der Welt<br />

Social Media. Obwohl soziale Medien in<br />

den vergangenen Jahren ein zentraler<br />

Bestandteil der postmodernen Kultur<br />

geworden sind, gibt es immer noch<br />

Bereiche, die von der Digitalisierung<br />

diesbezüglich nicht erreicht wurden.<br />

Ein Beispiel dafür ist Religion, allen<br />

voran die großen westlichen Kirchen.<br />

Diese zeigen sich nach wie vor zaghaft<br />

und weisen noch keine fundierte<br />

Social Media-Präsenz auf. „Die klassischen<br />

Kirchen tun sich noch etwas<br />

schwer. Die großen Volkskirchen sind<br />

eher wie Tanker und keine Schnellboote,<br />

sie bewegen sich sehr langsam. In<br />

vielen Gemeinden hängt es dann von<br />

den einzelnen Pfarrern ab“, erläutert<br />

Religionssoziologe Gert Pickel bildhaft.<br />

Es gebe sehr „Instagram“- und<br />

„Twitter“-affine Pfarrer und bestimmt<br />

auch solche, die im Umgang mit Computern<br />

absolut nicht firm seien. Laut<br />

Pickel arbeite man sich stückchenweise<br />

in den Bereich hinein. Vor allem für<br />

Mainstream-Kirchen sei Social Media<br />

schwer handzuhaben. Dies sei darauf<br />

zurückzuführen, dass sowohl die Kernanhängerschaft<br />

der Kirchen nicht mehr<br />

die jüngste sei und nicht unbedingt<br />

sicher betreffs Social Media. Frederik<br />

Elwert, Koordinator des Projektes „rel-<br />

Net“ – „Modellierung von Themen und<br />

Strukturen religiöser Online-Kommunikation“<br />

– sieht das ähnlich: „Die sozialen<br />

Medien fungieren nach einer anderen<br />

Logik, die nicht mit der Logik vieler<br />

Religionsgemeinschaften kompatibel<br />

ist. Bei der Frage wie ein Influencer Gehör<br />

erhält und sich eine Followerschaft<br />

aufbaut, muss das nicht der sein, der<br />

einen theologischen Grad hat und ein<br />

kirchliches Amt bekleidet. Sondern es<br />

sind dann vielleicht gerade eben nicht<br />

diese Personen.“ Obwohl sich die traditionellen<br />

Glaubensgemeinschaften<br />

mit dem Umstieg in soziale Netzwerke<br />

schwertäten, rät Pickel dennoch:<br />

„Man sollte es auf jeden Fall machen,<br />

aber sich auch nicht zu viel davon versprechen.<br />

Religionen sind ein sehr soziales<br />

Geschäft, persönlicher Kontakt<br />

ist dort sehr zentral.“ Es sei eine Möglichkeit<br />

Kontakte herzustellen, die man<br />

anschließend Face-to-Face vertiefen<br />

könne. Laut Pickel liege das Problem<br />

dabei, dass Social Media sehr persönlichkeitsorientiert<br />

seien. Dies würde es<br />

zwar erlauben, einzelnen Pfarrern sehr<br />

gut zu handeln, erschwere es aber einer<br />

riesigen Institution wie einer Kirche. „Da<br />

kommt man dann schnell steif, starr<br />

oder sogar peinlich rüber“, fügt Picke<br />

hinzu.<br />

Ein Beispiel für einen Priester, der einen<br />

modernen Umgang mit Social Media<br />

pflegt und großen Erfolg damit erzielt<br />

ist Reverend Christopher Lee von der<br />

Church of England. Er ist bekannt für<br />

Beiträge auf „YouTube“ und „Instagram“,<br />

wo er über sein Leben und seinen<br />

Glauben spricht. Seit nun über fünf Jahren<br />

hat er seinen „Instagram“-Account<br />

und konnte in der Zeit 177.000 AbonnentInnen<br />

gewinnen. In einem Interview<br />

mit „The Guardian“ (20.06.2020)<br />

erzählte er, was er alles teile: „On Instagram<br />

I share all the things I love –<br />

sport, my family, God – but I don’t do<br />

‘cut-and-paste church’. You won’t find<br />

long sermons from me”. Obwohl man<br />

den Zug bisher verpasst habe, seien die<br />

Kirchen laut Pickel gerade dabei, sich<br />

besser aufzustellen. Ein weiteres positives<br />

Beispiel dafür ist Papst Franziskus<br />

selbst. Neben einem „YouTube“-Kanal<br />

namens „Vatican News“ ist der Vatikan,<br />

insbesondere der Papst selbst, auf<br />

„Instagram“ und „Twitter“ aktiv und hat<br />

auf beiden Plattformen 7,5 Mio. sowie<br />

18,8 Mio. FollowerInnen. Laut dem Artikel<br />

„Kirche 2.0 – Religion im Zeitalter<br />

von Social Media“ von Katrin Lückhoff<br />

(„kingkalli.de“, 03.03.2017) sitze er<br />

zwar nicht persönlich am Smartphone<br />

und schreibt Tweets, sondern er habe<br />

ein Social Media-Team. Er entscheide<br />

jedoch über den Text und die Bilder, die<br />

sein Team ihm vorlege.<br />

Untätig seien beispielsweise die Evangelische<br />

Kirche Deutschlands oder die<br />

Katholische Kirche zwar nicht, jedoch<br />

32<br />

„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“


seien deren Internet-Auftritte nicht<br />

immer gelungen. „Wenn die Kirchen im<br />

Internet pop-mäßig auftreten und beispielsweise<br />

eine junge Frau irgendetwas<br />

rappen lassen, fragt man sich danach<br />

gerne:‚‚Leute, seid ihr noch ganz<br />

dicht?‘ So etwas kommt überhaupt<br />

nicht gut an und ist meistens nur peinlich“,<br />

stellt Pickel klar. Besser als die großen<br />

Religionsgemeinschaften schlügen<br />

sich kleinere, nicht nur traditionelle und<br />

stark auf Jugend ausgerichtete Gemeinschaften,<br />

gerade aus dem evangelikalen<br />

oder freikirchlichen Bereich. Diese<br />

würden oft einen Mix aus größeren<br />

Events und einer begleitenden Social<br />

Media-Strategie entwickeln und seien<br />

ausgesprochen modern aufgebaut.<br />

Im Allgemeinen profitieren kleinere<br />

Religionsgemeinschaften überdurchschnittlich<br />

von sozialen Netzwerken,<br />

da sie sich dadurch besser verknüpfen<br />

können.<br />

In den Tiefen der Online-Foren<br />

Ein Paralleltrend zu Social Media im<br />

religiösen Kontext stellen religiöse Online-Foren<br />

dar. Dort können sich Gläubige<br />

in unterschiedlichsten Räumen austauschen.<br />

Ruft man solch eine Seite auf,<br />

kann man oft nicht anders als schmunzeln<br />

– unabhängig von der eigenen<br />

(Nicht-)Religiosität. In zahlreichen Themenbereichen,<br />

die von „Bibel-Diskussion“<br />

über „Single-Chats für Christen“<br />

bis hin zu „Verschwörungstheorien<br />

und Korruption“ reichen, tauschen sich<br />

tausende Gläubige aus aller Welt aus,<br />

diskutieren oder streiten miteinander.<br />

Manche von ihnen besitzen sogar eine<br />

eigene Chat-App. Wagt man den Schritt<br />

sich diese runter zu laden, taucht man<br />

in eine skurrile Welt ein. Betritt man das<br />

erste Mal den grell-weißen Chatroom<br />

(Anm. der Red.: dieser wird bewusst<br />

nicht genannt), wird man von jeder anderen<br />

Person im Raum begrüßt – von<br />

jeder einzelnen. Nachdem sich die Flut<br />

aus Grußworten und lustigen Katzenbildern<br />

gelegt hat, kommt plötzlich die<br />

erste Nachricht von einer fremden Person,<br />

ohne zuvor ein Wort gewechselt<br />

zu haben, und wünscht mir: „Friede sei<br />

mit dir“. Der danach folgende Austausch<br />

bestehend aus Small-Talk-Floskeln gestaltet<br />

sich als sehr oberflächlich und<br />

oft von kurzer Dauer, da GesprächspartnerInnen<br />

oft spontan den Raum<br />

verlassen oder ihm beitreten.<br />

„Obwohl diese Technologie bereits in<br />

die Jahre und etwas aus der Mode gekommen<br />

ist, erfüllt sie durchaus noch<br />

einen Zweck“, konstatiert Frederik Elwert.<br />

Er war Projektkoordinator des<br />

Projekts „relNet“ und untersuchte dabei<br />

ebensolche Online-Foren. Der zuvor<br />

genannte Zweck könne darin bestehen,<br />

einfach mehr Kontrolle darüber zu haben,<br />

was für eine Art von Netzwerk<br />

man da für andere zugänglich mache.<br />

„Für religiöse Gemeinschaften kann es<br />

nach wie vor relevant sein, sich gegen<br />

eine ‚Facebook‘-Gruppe zu entscheiden<br />

und stattdessen so ein Forum zu<br />

gründen, um eben Einfluss darüber zu<br />

haben, welche Inhalte dort zu sehen<br />

sind“, erklärt Elwert. Diese Foren seien<br />

faszinierend, weil sie in gewisser Weise<br />

in sich abgeschlossene Mikrokosmen<br />

darstellen. Ein spezifisches Thema, für<br />

das sich sein Projekt besonders interessierte,<br />

war die Alltagsdimension der<br />

konservativen Gemeinschaften, die sich<br />

in den Online-Foren aufhielten. Obwohl<br />

es manchmal auch eine politische Diskussion<br />

gebe, habe es dort oft keinen<br />

aktivistischen Impetus und es gehe<br />

häufig darum, wie man bestimmte religiöse<br />

Alltagsregeln unter modernen<br />

Bedingungen anwende, die nicht 1:1<br />

aus der Bibel oder dem Koran ins reelle<br />

Leben übertragbar seien. Auch banale<br />

Themen ohne religiöse Dimension seien<br />

dort üblich, wie beispielsweise der<br />

Austausch von Kochrezepten. Religiöse<br />

Diskussionen mit Mitgliedern anderer<br />

Religionen fänden schwerpunktmäßig<br />

jedoch eher nicht statt. In den islamischen,<br />

stärker salafistisch ausgerichteten<br />

Foren spiele die Diskussion innerhalb<br />

der muslimischen Mission, vor<br />

allem zwischen Schia und Sunna, eine<br />

ganz starke Rolle. In christlichen Foren<br />

seien es meistens Diskussionen mit<br />

AtheistInnen, die sich dann auch zum<br />

Teil aktiv in dieses Forum einbrächten.<br />

Solche Foren würden meist unabhängig<br />

und von Privatpersonen oder christlichen<br />

Verlagen betrieben, anstatt von<br />

Seiten der offiziellen Religionen. Die<br />

großen Glaubensgemeinschaften hätten<br />

zwar Experimente in diese Richtung<br />

gestartet, diese hätten aber auf Dauer<br />

nicht gut funktioniert.<br />

Propaganda auf Social Media<br />

Die Frage was in sozialen Netzwerken<br />

und solchen Online-Foren schlussendlich<br />

unter Religionspropaganda fällt, ist<br />

nicht leicht zu beantworten. „Grundsätzlich<br />

ist Mission ein sehr propagandagesteuertes<br />

Unternehmen. Wenn<br />

man Mission richtig denkt, ist es vor<br />

allem im Christentum und Islam besonders<br />

ausgeprägt und der Gedanke von<br />

Mission und Gläubigen zentral. Dazu<br />

wird eigentlich nichts anderes als Propaganda<br />

verwendet“, erläutert Pickel.<br />

Und dies mache man gar nicht so ungeschickt<br />

an vielen Stellen. War man<br />

beispielsweise einmal in Lourdes, finde<br />

man dort überwiegend eine starke Inszenierung<br />

vor, in der auch Propagandabotschaften<br />

implementiert seien.<br />

Betrachte man Propaganda im klassischen<br />

politischen Verständnis, könne<br />

Gert Pickel / Copyright: Universität Leipzig<br />

Frederik Elwert / Copyright: Matthias Zucker<br />

man es vielleicht nicht als Propaganda<br />

bezeichnen. Der Übergang sei laut Pickel<br />

jedoch fließend, da das Ziel jeder<br />

Religionsgemeinschaft das Gewinnen<br />

und Halten von Mitgliedern sei. Von<br />

einem religiösen Standpunkt aus betrachtet,<br />

sei es schwierig zu sagen, was<br />

erlaubt sei und was nicht. „Das Einzige,<br />

was man als Grenze ziehen kann ist,<br />

was man generell bei Propaganda als<br />

Grenze zieht, sprich was menschenfeindliche<br />

oder antisemitische Inhalte<br />

besitzt“. Vor allem dogmatische religiöse<br />

Gemeinschaften, besonders aus den<br />

USA, weisen eine robuste Mitteilungspolitik<br />

auf, mit der sie Erfolge erzielen<br />

und die durchaus in den Rechtspopulismus<br />

oder sogar -extremismus hineinreiche.<br />

„Ein Missionar-Hintergrund liegt<br />

immer nahe, dass man Propaganda und<br />

Mitgliedergewinnung fährt, aber die<br />

Grenzen kann man nur jenseits eines<br />

Religiösen ziehen. Propaganda liegt<br />

in der Natur des Missionierens“, ergänzt<br />

Pickel. Das sei aber immer eine<br />

begriffsdefinitorische Sache, wofür<br />

Propaganda nun stehe. Verstehe man<br />

Propaganda als etwas, das dabei hilft<br />

meiner Gemeinschaft mehr Mitglieder<br />

„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“<br />

33


zukommen zu lassen, dann sei das was<br />

die Religionen machen Propaganda.<br />

Wenn man den Begriff politisch oder<br />

gar negativ konnotiert, vielleicht von<br />

der Verwendung im Nationalsozialismus<br />

geprägt, betrachtet, dann müsse<br />

man eine solche Übertragung vorsichtiger<br />

sehen. Betrachte man Glauben als<br />

Ideologie und möchte andere von dieser<br />

Ideologie überzeugen, sei man, laut<br />

Pickel, schon recht nahe an der politischen<br />

Propaganda.<br />

Extremismus auf Social Media<br />

In der extremsten Variante religiöser<br />

Propaganda wird Überzeugung schließlich<br />

zu Extremismus. Im Aufsatz „Soziale<br />

Medien und (De-)Radikalisierung“<br />

aus dem Buch „Digitale Polizeiarbeit“<br />

(2018) schrieb Holger Nitsch, dass soziale<br />

Medien heutzutage eine besondere,<br />

immer stärker werdende Rolle bei<br />

der Radikalisierung einnehmen. Laut<br />

Religionssoziologe Pickel finde man<br />

Anknüpfungspunkte zwischen religiöser<br />

und extremistischer Propaganda.<br />

Beispielsweise ließen sich ähnliche<br />

Positionen gegenüber Homosexuellen<br />

und MuslimInnen bei dogmatischen<br />

christlichen Gemeinschaften durchaus<br />

finden. Diese seien also nicht von Natur<br />

aus nur offen und tolerant, sondern auf<br />

dieser Ebene gelegentlich von Vorurteilen<br />

belastet. Hier komme es durchaus<br />

zu Überschneidungen von dogmatischen<br />

bis fundamentalistischen Christ-<br />

Innen mit Argumenten aus extremistischen<br />

Strömungen. In diesem Fall<br />

möchten Rechtsextreme Personen für<br />

sich gewinnen, die mit der modernen<br />

Gesellschaft schlecht zurechtkämen,<br />

die Homosexualität ganz fürchterlich<br />

fänden und vom Gender-Punkt genervt<br />

seien. Auf diese Weise denken sie Menschen<br />

bis in die Gesellschaftsmitte zu<br />

erreichen. Die Religiösen, die sich darauf<br />

einlassen, wollen nicht unbedingt<br />

rechtsextrem sein, fänden aber ein paar<br />

ihrer Argumente gut, wie sie beispielsweise<br />

auf PEGIDA-Versammlungen<br />

oder anderen Kundgebungen kundgetan<br />

würden.<br />

Auch der Islamische Staat (IS) benütze<br />

laut der Studie von Adam Badawy<br />

und Emilio Ferrara „The rise of Jihadist<br />

propaganda on social networks“<br />

(„Journal of Computational Social Science“,<br />

03.04.2018) vorwiegend soziale<br />

Netzwerke, vor allem „Twitter“, um ihre<br />

Propaganda zu verbreiten. Beispielsweise<br />

verbreiten sie ihre theologische<br />

Verteidigung und Rechtfertigungen<br />

online, nachdem sie Gewalt an Minderheiten<br />

ausüben. Diese Gruppierung und<br />

sonstige Extremisten machen sich laut<br />

Nitsch einen offensichtlichen Nachteil<br />

von Social Media zunutze: die schwierige<br />

Überprüfbarkeit der Validität dargebotener<br />

Informationen. Falsche oder<br />

unvollständige Informationen werden<br />

so ungeprüft und nicht widerlegt von<br />

den RezipientInnen übernommen. So<br />

genannte „foreign fighters“ des IS berichteten<br />

beispielsweise öfters über<br />

„Twitter“ über das „gute Leben“ in ihren<br />

Camps. Dabei werden gezielt normale<br />

Bedürfnisse wie Anerkennung,<br />

Selbstdarstellung, Macht oder Ruhm<br />

angesprochen – jedoch auf religiös<br />

verbrämt-machistische Art. Auch Mädchen<br />

und Frauen sind von ähnlicher<br />

Propaganda in sozialen Netzwerken<br />

betroffen. So sei laut Nitsch der Anteil<br />

der nach Syrien ausreisewilligen Frauen<br />

ab 2015 angestiegen. Diese würden<br />

zumeist etwas von dem Ruhm der<br />

„Gotteskrieger“ abhaben wollen. Auch<br />

andere Effekte wie Anonymität und<br />

Nutzerfreundlichkeit machen Social<br />

Media und das Internet generell interessant<br />

für Extremisten. Nitsch fand<br />

weiters heraus, dass der Radikalisierungsprozess<br />

zum Extremisten einen<br />

radikalen Wandel im Leben eines Individuums<br />

darstelle. Dieser Meinung ist<br />

auch Fabian Reicher, Sozialmitarbeiter<br />

der österreichischen Beratungsstelle<br />

für Extremismus: „Wir alle kennen<br />

das, jede/r hat im Leben Momente, in<br />

denen man anfällig ist. Es gibt eine Art<br />

Unmut oder eine Entfremdung von der<br />

Gesellschaft, und wenn dann jemand<br />

kommt, der einem/r eine Lösung anbietet<br />

und eine Erklärung liefert, warum es<br />

einem/r schlecht geht, beispielsweise<br />

weil der Westen MuslimInnen hasse,<br />

kann es zu Radikalisierungsprozessen<br />

kommen.“ Dem würden sich Gruppendynamiken<br />

anschließen, auch im Online-Bereich,<br />

denn einen Gruppenbezug<br />

gebe es immer. Wie Personen in Kontakt<br />

mit Extremisten kämen, sei laut<br />

Reicher sehr unterschiedlich. Manche<br />

hätten in ihrem Umfeld den Erstkontakt,<br />

sie kannten also jemanden persönlich<br />

oder lernten jemanden kennen,<br />

aber oft finde der erste Kontakt mit<br />

einer Ideologie im Internet statt. Gerade<br />

Gruppen wie IS und Al-Quaida finde<br />

man in Messenger-Diensten und Online-Foren.<br />

Gruppierungen, die Reicher<br />

als extremistisch einstufen würde, die<br />

jedoch im legalen Bereich tätig seien<br />

wie beispielsweise manche neo-salafistische<br />

und islamistische Gruppen,<br />

seien hingegen sehr stark auf „Instagram“<br />

vertreten. Diese seien aber etwas<br />

anderes als Jihadisten.<br />

Werbung (oder Propaganda) liegt in der<br />

Natur einer religiösen Gemeinschaft.<br />

Sie ist der Antrieb, der sie am Leben erhält<br />

und neue Mitglieder gewinnt. Soziale<br />

Netzwerke stellen ein mächtiges<br />

Sprachrohr für genau das dar. Manche<br />

haben es geschafft, das Potenzial dieser<br />

Werkzeuge zur Gänze auszunützen,<br />

andere, wie beispielsweise die Großkirchen,<br />

hinken noch hinterher. Letztendlich<br />

muss uns bewusst werden, dass<br />

nicht alle religiösen Gruppierungen auf<br />

Social Media mit ihren Botschaften<br />

immer unser Wohl im Sinn haben, sondern<br />

manchmal ihre eigene, extremere<br />

Agenda verfolgen.<br />

von Alexander Schuster<br />

© Copyright: adobe stock / Robert Przybysz<br />

34<br />

„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“


Auf der Flucht vor der Krise<br />

Krisensituationen können besonders belastend auf die Psyche wirken. Um unangenehmen Gedanken und Gefühlen<br />

aus dem Weg zu gehen, bietet die Rezeption von Medieninhalten viele Möglichkeiten. Dieses Fluchtverhalten<br />

vor der Realität wird mit dem Begriff Eskapismus beschrieben. Aber was genau ist medialer Eskapismus?<br />

Welche Rolle spielt er in Krisensituationen und wie wirkt er sich aus? Diesen Fragen besprach <strong>SUMO</strong> mit<br />

dem Rezeptions- und Wirkungsforscher Univ.-Prof. Jörg Matthes sowie einem anonymen Medienrezipienten.<br />

© Copyright: adobe stock / Alina Rosanova<br />

Der Begriff Eskapismus ist eng verwandt<br />

mit dem englischen Wort „escape” und<br />

beschreibt die Flucht vor der Realität. Er<br />

gilt in der Medienpsychologie als wichtiges<br />

Erklärungsmotiv für die Mediennutzung.<br />

„Es geht dabei um den Gedanken,<br />

dass ich vor den Problemen, die mich in<br />

meinem Leben beschäftigen, in eine andere<br />

Welt fliehe. Beispielsweise in eine<br />

Welt, die ich in den Medien, in Romanen<br />

und Filmen erleben kann. Eskapismus<br />

ist die Flucht vor Problemen in meinem<br />

Alltag”, so Matthes. Christoph Kuhlmann<br />

und Volker Gehrau teilen in „Auf der<br />

Flucht vor dem Tod?” (2011) den Begriff<br />

Eskapismus in die drei Formen Veränderung,<br />

Verschiebung und Verdrängung<br />

ein. Aber in welchen Situationen greifen<br />

Menschen auf Eskapismus zu? Dazu<br />

Matthes, Vorstand des Instituts für Publizistik-<br />

und Kommunikationswissenschaft<br />

Wien: „Wenn ich die Realität nicht<br />

mehr aushalte. Wenn die Gedanken, die<br />

mich in meiner Realität beschäftigen so<br />

belastend sind, dass ich in eine mediale,<br />

meist narrative Welt fliehe. In diese begibt<br />

man sich, fühlt und erlebt dort stellvertretend<br />

mit den AkteurInnen mit, um<br />

dann die eigenen Sorgen und Ängste in<br />

der eigenen Welt zu vergessen und diese<br />

auszublenden.”<br />

Die Differenzierung davon, ab wann<br />

man von Eskapismus spricht und wann<br />

nicht, ist schwer festzulegen. Dies sei<br />

ein Problem der Eskapismus-These.<br />

„Wenn beispielsweise aufgrund der Corona-Krise<br />

mehr Leute Serien schauen<br />

oder mehr Romane lesen, ist das nicht<br />

automatisch gleich mehr Eskapismus.<br />

Wenn ich mir zur Entspannung abends<br />

einen Film anschaue, ist das auch nicht<br />

automatisch Eskapismus. Eskapismus<br />

ist die Realitätsflucht, das Davonlaufen<br />

vor den Sorgen, die man hat und sich in<br />

einer mentalen Scheinwelt zu bewegen”,<br />

so Matthes. Man müsse darauf achten,<br />

das Verhalten der RezipientInnen nicht<br />

zu stark zu psychologisieren.<br />

Auf welche Medien wird zugegriffen?<br />

Für den Eskapismus würden sich laut<br />

Matthes vor allem narrative Medien und<br />

Angebote, die starke Emotionen vermitteln,<br />

eignen. „Das sind Medien, bei<br />

denen mir Geschichten erzählt werden.<br />

Geschichten, auf die ich mich einlassen<br />

kann, weil ich mich dann nicht mehr mit<br />

meinen eigenen Problemen auseinandersetzen<br />

muss, sondern mit den Problemen<br />

des Charakters oder Akteurs, der<br />

mir in den Medien gezeigt wird. In die<br />

ich mich hineinversetze, das Geschehen<br />

miterlebe. Man spricht in der Literatur<br />

auch von Transportation: Man transportiert<br />

sich in die Medienwelt hinein, ist<br />

dort stellvertretend anwesend und erlebt<br />

es mit, als ob man selbst dabei sei”.<br />

Kuhlmann und Gehrau untersuchten<br />

in ihrer Studie, welche Wirkungen die<br />

Mediennutzung auf die Beantwortung<br />

existenzieller Fragen hat. Besonders<br />

die Ergebnisse zum Medium Fernsehen<br />

und zu Computerspielen stechen dabei<br />

heraus. Rund 49% der Befragten gaben<br />

an zur Ablenkung fernzusehen, aber<br />

nur 8% um sich mit wichtigen Fragen zu<br />

beschäftigen. Computerspiele werden<br />

neunmal öfter zur Vermeidung von, als<br />

zur Beschäftigung mit wichtigen Fragen<br />

genutzt. Diese Differenzen weisen darauf<br />

hin, dass die beiden Medien eher zur<br />

Vermeidung taugen und deshalb besonders<br />

für Eskapismus relevant sind.<br />

Eskapismus in Krisensituationen<br />

Krisen können besonders das psychische<br />

Wohlergehen der betroffenen<br />

Personen beeinträchtigen. Dies bestätigt<br />

beispielsweise eine Umfrage<br />

der Donau-Universität Krems und des<br />

österreichischen Bundesverbands für<br />

Psychotherapie. Dabei wurden PsychotherapeutInnen<br />

zu den Auswirkungen<br />

der COVID-19 bedingten Maßnahmen<br />

auf die psychische Gesundheit befragt.<br />

Davon berichten 70% über ausschließlich<br />

negative Auswirkungen. Dies betrifft<br />

vor allem Angst, Einsamkeit und<br />

Beengtheit durch die Familie. „Wenn<br />

ich eine Krise tatsächlich als psychologische<br />

erlebe, steigt natürlich die<br />

Wahrscheinlichkeit für den Eskapismus”,<br />

stellt Matthes fest. Je stärker eine<br />

Krise auftrete, desto höher sei auch die<br />

Wahrscheinlichkeit des Eskapismus.<br />

Aber nicht jede verstärkte Mediennutzung<br />

sei automatisch als Eskapismus zu<br />

verstehen.<br />

Auf der Flucht vor der Krise<br />

35


Gefahren des Eskapismus<br />

„Die Flucht aus meiner Realität ist<br />

wahrscheinlich keine Lösung für die<br />

Probleme, die ich empfinde. Sobald ich<br />

den Fernseher wieder ausschalte, bin<br />

ich wieder zurück in meiner alten Welt<br />

und habe dieselben Probleme wie zuvor.<br />

Ich habe sie nur vertagt”, beschreibt<br />

Matthes. Das Problematische am Eskapismus<br />

sei vor allem die mangelnde<br />

Auseinandersetzung mit den Dingen,<br />

die die betroffene Person belasten. Dabei<br />

gebe es die Gefahr, in eine Spirale<br />

hineinzugelangen und die Kontrolle zu<br />

verlieren. Dieser Kontrollverlust über<br />

das Nutzungsverhalten werde auch exzessive<br />

Mediennutzung genannt.<br />

Wer trägt die Verantwortung?<br />

Bei der Betrachtung möglicher negativer<br />

Konsequenzen kommt die Frage<br />

auf, ob man dafür jemanden verantworten<br />

kann oder ob Eskapismus sogar<br />

gezielt von den Anbietern ausgenutzt<br />

wird. Grundsätzlich sei der/die AkteurIn<br />

selbst verantwortlich für die Entscheidungen,<br />

die er oder sie treffe. „Natürlich<br />

spielt auch die Kultur und der soziale<br />

Kontext, in dem wir uns bewegen eine<br />

Rolle. Man kann aber schwer sagen,<br />

dass die Produktionsfirmen und die<br />

Unterhaltungsindustrie dafür verantwortlich<br />

sind.” Der Versuch, für die produzierten<br />

Inhalte begeistern zu wollen<br />

sei dabei laut Matthes durchaus legitim.<br />

Erfahrungen eines Rezipienten<br />

„Ich bin eher ein extrovertierter Mensch<br />

und ziehe meine Energie aus der Gesellschaft<br />

mit anderen Menschen. Und<br />

wenn diese gesellschaftliche Situation<br />

fehlt, fehlt einem einfach der Ausgleich.<br />

Man sitzt zu Hause, es fehlt einem aufgrund<br />

der Fernlehre die Motivation für<br />

das Studium und man muss sich ständig<br />

vor den Eltern rechtfertigen, die die<br />

Situation nicht verstehen”, beschreibt<br />

der 21-jährige Medienrezipient seine<br />

Problemsituation. „Da ist es natürlich<br />

höchstkonventionell, beispielsweise<br />

das Handy in die Hand zu nehmen, damit<br />

man die Alltagsprobleme vergisst<br />

und ausschalten kann. Dann kann ich<br />

zum Beispiel über Social Media, Games,<br />

Filme oder Serien meine Gedanken vergessen.<br />

Ich würde das als Austausch der<br />

Probleme, die man im Kopf hat mit Content,<br />

den man sich von solchen Medien<br />

holt, beschreiben”. Vor allem Games<br />

würden das Gefühl vermitteln, in einer<br />

anderen Welt zu sein. „Der Grund, warum<br />

für mich Spiele so anziehend sind<br />

ist, dass du dich in eine Welt hineinversetzt,<br />

die du selbst in der Hand hast und<br />

in der du selbst Entscheidungen treffen<br />

kannst. Es werden einem in Spielen Probleme<br />

an den Kopf geworfen, die sich<br />

lösen lassen. Das ist dann Ablenkung,<br />

indem man virtuelle Probleme löst.”<br />

von Christian Krückel<br />

Jörg Matthes / Copyright: Barbara Mair<br />

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Modern Loneliness: Zwischen<br />

Likes und Einsamkeit<br />

Likes, Klicks, Follower zur Einsamkeitsreduktion? Die sozialen Medien<br />

werden immer wieder als Grund für, aber auch gegen die Einsamkeit<br />

junger Menschen dargestellt. Die Validität dieser Aussagen bleibt bis lang<br />

unbestätigt. <strong>SUMO</strong> diskutierte mit der Forscherin Univ.-Prof. Sonja Utz<br />

vom Leibniz-Institut für Wissensmedien und Dr. Rebecca Nowland, Psychologin<br />

sowie Forscherin an der University of Central Lancashire, über<br />

den Zusammenhang von Einsamkeit und Social Media.<br />

© Copyright: adobe stock / rodikovay<br />

„Ich finde es eigentlich interessant, dass<br />

diese Frage immer wieder gestellt wird“,<br />

beginnt Sonja Utz ihre Antwort hinsichtlich<br />

der Assoziation von Einsamkeit mit<br />

Social Media. Und auch Psychologin Rebecca<br />

Nowland zeigt sich über diese Ansicht<br />

„frustriert“. Eine deutliche Aussage<br />

über den Einfluss der sozialen Medien<br />

auf die Einsamkeit der Menschen könne<br />

nicht gemacht werden, zahlreiche<br />

Studien seien widersprüchlich und die<br />

allfällig gefundenen Effekte dann sehr<br />

klein, so Utz. Selbst wenn ein negativer<br />

Zusammenhang gefunden werde,<br />

handle es sich oft um Querschnittsstudien.<br />

Man wisse daher nicht, ob die<br />

Nutzung sozialer Medien einsam mache<br />

oder ob einsame Menschen eher soziale<br />

Medien nutzen. Zudem müsse zwischen<br />

bloßem „Alleinsein“ und der „Einsamkeit“<br />

unterschieden werden.<br />

Die Einsamkeit sei ein subjektives Gefühl,<br />

das zeigt, deine Beziehungen treffen<br />

nicht deine Erwartungen, erläutert<br />

Rebecca Nowland. Einsam fühle man<br />

sich nicht nur, wenn man auch tatsächlich<br />

allein ist, denn auch in einem<br />

Raum voller Menschen könne dieses<br />

Gefühl aufkommen. Aber auch ältere<br />

Menschen, die womöglich wirklich allein<br />

sind, fühlen sich mit der Einsamkeit<br />

konfrontiert. Alleinsein hingegen sei, so<br />

Nowland, ein Zustand.<br />

Laut einer Umfrage der BBC aus dem<br />

Jahr 2018, an der rund 55.000 Menschen<br />

teilnahmen, sind besonders junge<br />

Menschen vom Einsamkeitsgefühl<br />

geplagt. Unter den sich in der Alterskohorte<br />

16 bis 24 Jahren befindlichen TeilnehmerInnen<br />

gaben knapp 40% an, mit<br />

dem Gefühl der Einsamkeit vertraut zu<br />

sein. Ob einer der Gründe dafür die sozialen<br />

Medien sind, bringt die BBC-Umfrage<br />

nicht hervor.<br />

Einsam durch den täglichen<br />

Wegbegleiter?<br />

Rebecca Nowland hat eine Antwort auf<br />

die Einsamkeit bei jungen Menschen:<br />

Sie sehe ein Problem, das in dieser<br />

Alterskohorte nicht unüblich sei. Heranwachsende<br />

befinden sich in einer<br />

Selbstfindungsphase, weshalb viele mit<br />

Depressionen und mentalen Problemen<br />

konfrontiert sind. Das Einsamkeitsgefühl<br />

basiere darüber hinaus auch auf<br />

Veränderungen in der Lebenssituation,<br />

erklärt Sonja Utz. Als Beispiel nennt sie<br />

besonders die StudentInnen, welche in<br />

eine neue Stadt ziehen und dort erstmal<br />

weniger Kontakte hätten. Hier scheinen<br />

soziale Medien eine eher nebensächliche<br />

Rolle zu spielen.<br />

Jedoch sei die Einsamkeit mit unseren<br />

Beziehungen in Verbindung zu bringen<br />

und ein Teil unserer Beziehungen im<br />

modernen Leben werden mit Social Media<br />

ergänzt, so Nowland. Die sozialen<br />

Medien tragen zur vermehrten Einsamkeit<br />

bei, seien aber nicht der ultimative<br />

Grund dafür, wie es gerne in den klassischen<br />

Medien dargestellt werde.<br />

Nowland beschreibt die sozialen Medien<br />

daher als „social snacking“, was<br />

so viel bedeutet: wir snacken ständig,<br />

brauchen aber eigentlich den ganzen<br />

Schokokuchen, alias physische Beziehungen.<br />

Die sozialen Medien fungieren<br />

also tadellos als Snack, aber das Völlegefühl<br />

wird nicht erreicht. Vor dem Hintergrund<br />

dessen sollte aber besonders<br />

auf eine angemessene Nutzung geachtet<br />

werden. Zwei Stunden pro Tag auf<br />

„Facebook“ und Co. machen uns nicht<br />

unbedingt einsam, aber wir verlieren<br />

zwei Stunden unseres Tages, sagt Nowland.<br />

Dies könne folglich ungesund sein.<br />

Demnach ist es unser gesundheitsschädigender<br />

Umgang mit den Plattformen,<br />

woraus Isolation resultieren könne.<br />

Aber auch die unzureichende Kontrolle<br />

und Beobachtung der sozialen Medien<br />

sowie die mangelhafte Befassung mit<br />

diesem Thema seien, laut Nowland, relevante<br />

Faktoren. Insofern sollten die<br />

sozialen Medien mehr überprüft werden,<br />

da sie einem nur das zeigen, was<br />

der Mensch davor wirklich sehen möchte<br />

(oder eben genau das Gegenteil). Die<br />

Folge sei die Sucht, die uns vier Stunden<br />

pro Tag davorsitzen lässt.<br />

Die Wirkung der sozialen Medien kann<br />

aber auch von Plattform zu Plattform<br />

38<br />

Modern Thema loneliness: Zwischen Likes und Einsamkeit


variieren. Die möglichen divergenten<br />

Effekte der Plattformen erklärt sich<br />

Sonja Utz aus den unterschiedlichen<br />

Reaktionen darauf. „Facebook“ und<br />

„Instagram“ beispielsweise hätten eine<br />

starke Positivitätsnorm: Menschen<br />

posten die positiven Ausschnitte ihres<br />

Lebens und verwenden dann die Filter,<br />

um diese noch schöner zu machen. Das<br />

Social Media-Phänomen „TikTok“ gebe<br />

stattdessen immer weniger gestylten<br />

und attraktiven Menschen eine Bühne.<br />

„Twitter“ halte eher den Status des<br />

Nachrichten- und Informationstools.<br />

„WhatsApp“ schneide in manchen Studien<br />

besonders gut als Einsamkeitsbekämpfer<br />

ab, welches besonders auf<br />

die zweiseitige Kommunikationsform<br />

zurückzuführen sei, so Utz.<br />

Virtuelle oder reale Freundschaften<br />

Die BBC-Umfrage wirft überdies auf,<br />

dass einsame Menschen eher auf<br />

Online-Freundschaften zurückgreifen.<br />

<strong>SUMO</strong> stellte sich nun die Frage, ob online<br />

überhaupt reale Freundschaften<br />

geschlossen werden können. Sonja Utz<br />

zeigt sich hierbei bedenklich. Die Standard-Nutzung<br />

umfasse eher den Kontakt<br />

mit Menschen, die einem bereits<br />

bekannt sind. Dennoch merkt sie an,<br />

dass „Facebook“-Gruppen, beispielsweise<br />

Gruppen für Mütter, zu einem<br />

themenfokussierten Austausch führen<br />

können. In Bezug auf Online-Freundschaften<br />

wird oftmals der Terminus<br />

„Fake Friends“ aufgeworfen. Rebecca<br />

Nowland beschmunzelt diesen Begriff.<br />

Er implementiere bereits, dass junge<br />

Menschen sich der Unechtheit mancher<br />

Freundschaften und Personen im World<br />

Wide Web sowie der Gefahren bewusst<br />

seien. Unter Gefahren verstehe sie hier<br />

keinesfalls die Einsamkeit, sondern eher<br />

den Promi-Status mancher Adoleszenten,<br />

die sich mit der Fülle an Aufmerksamkeit<br />

sichtlich überfordert fühlen.<br />

Hinsichtlich des Freundschaften-Schließens<br />

erwähnt Utz auch eher ältere<br />

Theorien, und zwar die „Social Compensation“-<br />

und die „Rich get Richer“-Idee.<br />

Letztere bezieht sich auf die ohnehin<br />

schon an Freundschaften „reichen“<br />

Menschen, die soziale Medien zur Gewinnung<br />

neuer FreundInnen benutzen.<br />

Das Konzept „Social Compensation“<br />

bezieht sich in diesem Zusammenhang<br />

eher auf diejenigen, die Schwierigkeiten<br />

haben offline Freunde zu finden. Sie<br />

können diesen Mangel mittels Online-<br />

Freundschaften kompensieren.<br />

#KeinerBleibtAllein<br />

Aber zurück zum Kuchen. Für viele ist die<br />

Verwendung von Social Media-Plattformen<br />

der einzige Weg vom Schokokuchen<br />

zu snacken. So kann man auch<br />

mit einer Freundin in Amerika sprechen,<br />

auch wenn man nicht den ganzen<br />

Schokokuchen für sich beanspruchen<br />

vermag. Hier stehen die sozialen Plattformen<br />

eher als Klatsch- und Tratsch-<br />

Tool zur Verwendung, aber auch wenn<br />

es um ernstere Themen geht, kann das<br />

Netzwerk hilfreich sein. Obendrein ermöglicht<br />

das Mitmach-Web auch zu<br />

inspirieren, sprich Ideen zu sammeln<br />

und zu unterhalten, wenn es stressig<br />

ist. Jedoch sei dieser Erholungseffekt<br />

nur gegeben, wenn man sich nicht zu<br />

lange im Web bewege, konstatiert Utz.<br />

Die sozialen Medien etablieren außerdem<br />

eine neue Form der Informationsaufnahme,<br />

und zwar die der „Ambient<br />

Awareness“. Man liest demnach Dinge<br />

nicht mehr so genau, sondern überfliegt<br />

sie nur oberflächlich, weshalb man so<br />

ungefähr über das Tagesgeschehen in<br />

seinem Netzwerk Bescheid weiß, merkt<br />

Utz an. Auch der berühmt-berüchtigte<br />

Hashtag hat sich in der Etablierung<br />

eines Gemeinsamkeitsgefühl bewährt.<br />

Auf „Instagram“ oder „Twitter“ kann<br />

man nach Hashtags sortieren, welche<br />

oftmals mit Aktionen verbunden sind,<br />

durch die man sich mit Menschen in<br />

Verbindung setzen kann.<br />

Unsere soziale Gesundheit als<br />

Schlüssel<br />

Nun stellt sich die Frage, ob wir gegen<br />

das vorkommende Isolationsgefühl<br />

präventiv vorgehen können. Sonja<br />

Utz rät Social Media aktiv zu nutzen,<br />

sprich selbst Fotos zu posten oder zu<br />

kommentieren, anstelle rein passiv auf<br />

Postings oder Stories zu reagieren. Rebecca<br />

Nowland blickt hier noch etwas<br />

weiter und appelliert auf das Achten<br />

unserer sozialen Gesundheit, wie wir es<br />

mit unserer mentalen und physischen<br />

Gesundheit auch tun würden. Wenn<br />

unsere soziale Gesundheit schwach<br />

sei, habe dies auch Effekte auf unsere<br />

physische und mentale Gesundheit<br />

und in weitere Folge sei dies auch ein<br />

Grund für frühe Sterblichkeit. Um dem<br />

gekonnt aus dem Weg zu gehen, gibt<br />

sie einen simplen Tipp: „Get balanced!“<br />

Sie erwähnt hier wieder die Wichtigkeit,<br />

die sozialen Medien schlicht als<br />

Ergänzung der physischen Beziehungen<br />

zu nutzen. Obwohl Social Media seine<br />

Tragweite besonders dann zeige, wenn<br />

man voneinander entfernt ist, könnten<br />

sie nie der Schokokuchen sein, den man<br />

brauche, stellt Nowland fest. Ferner<br />

müssten wir uns deutlich machen, dass<br />

wir alle verschiedene Persönlichkeiten<br />

haben. Nowland unterscheidet hier<br />

einerseits zwischen „Social Butterfly“,<br />

sprich derjenige/diejenige, der/die sich<br />

inmitten des Geschehens am wohlsten<br />

fühlt und deshalb viele Interaktionen<br />

benötigt. Andererseits und konträr zum<br />

„Social Butterfly“ erwähnt sie den/die<br />

„bei Partys in der Küche Sitzende/n“,<br />

der/die bedeutsame und tiefgreifende<br />

Unterhaltungen braucht. Dies seien<br />

Dinge, die wir nicht genug ansprechen,<br />

so Nowland. Man zeige mit den Fingern<br />

der Einfachheit halber auf „Instagram“,<br />

„Facebook“ und Co. Ob die sozialen Medien<br />

nun zu positiven oder negativen<br />

Effekten tendieren, sieht Sonja Utz als<br />

schwierig zu beantworten an, jedoch<br />

sieht sie eher die positiven Wirkungen<br />

deutlicher.<br />

von Lisa Schinagl<br />

Sonja Utz / Copyright: IWM Tübingen/Paavo Ruch<br />

Rebecca Nowland / Copyright: University of Lancashire<br />

Modern loneliness: Zwischen Likes und Einsamkeit Thema<br />

39


Filmregulierung: Zum Wohle<br />

der Kinder?<br />

„Aber Mama, ich bin doch schon alt genug!“ Viele Eltern verweisen dann<br />

möglicherweise auf die Altersfreigaben der Selbstregulation. Zurecht,<br />

und: Was steckt hinter diesen? <strong>SUMO</strong> diskutierte darüber mit Stefan Linz,<br />

Geschäftsführer der FSK GmbH, dem Filmjournalisten Daniel Schröckert<br />

– sowie einer Mutter.<br />

© Copyright: adobe stock / RATOCA<br />

Laut der Oberösterreichischen Kinder-Medien-Studie<br />

2020 (EduGroup)<br />

nutzen Kinder im Volksschulalter im<br />

Durchschnitt täglich circa 116 Minuten<br />

Fernsehen, „YouTube“ usw., Jugendliche<br />

im Alter von elf bis 18 Jahren 173 Minuten<br />

laut der Oberösterreichischen Jugend-Medien-Studie<br />

2019 (EduGroup).<br />

Welche Inhalte billigen ihnen Eltern zu<br />

– wo wäre warum einzugreifen?<br />

Nehmen wir einen x-beliebigen Film,<br />

etwa „Loro – Die Verführten“ des Oscar-prämierten<br />

Regisseurs Paolo Sorrentino<br />

über Silvio Berlusconi: Laut DVD<br />

freigegeben ab 12 Jahren enthält er<br />

über weite Teile Szenen exzessiver Sexualität<br />

und Drogenkonsumation. Die<br />

auf einem Jugendbuch basierte Serie<br />

„Maze Runner“ erhielt eine Freigabe für<br />

12-Jährige in Deutschland, für 14-Jährige<br />

in Österreich. Sind Film und Serie<br />

altersgerecht – und wer prüft das?<br />

Selbstregulative können dabei Abhilfe<br />

schaffen. Doch dringt dies auch in das<br />

heimische Wohnzimmer vor? Und was<br />

sind Selbstregulative überhaupt?<br />

Selbstregulative in Deutschland und<br />

Österreich<br />

In Deutschland existieren unter anderem<br />

die Freiwillige Selbstkontrolle<br />

Fernsehen (FSF) sowie den jene für<br />

den Online-Sektor. Darunter fallen die<br />

Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia<br />

(FSM), FSK.online und USK.online. Dabei<br />

handle es sich um Organisationen,<br />

welche auf Grundlage des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages<br />

agieren nach<br />

dem „Modell der regulierten Selbstregulierung“,<br />

erklärt Stefan Linz. Wobei<br />

„die Rechtsaufsicht die Möglichkeit<br />

hat, im Nachhinein Entscheidungen zu<br />

überprüfen“. Im Gegensatz dazu handle<br />

die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle<br />

(USK) sowie die Freiwillige Selbstkontrolle<br />

der Filmwirtschaft (FSK) auf<br />

Basis des Jugendschutzgesetzes, „nach<br />

dem Filme und Spiele eine gesetzliche<br />

Altersfreigabe brauchen, damit sie<br />

Kindern und Jugendlichen zugänglich<br />

gemacht werden können.“ Die beiden<br />

Selbstregulative würden hierbei durch<br />

eine Kooperation von staatlichen und<br />

wirtschaftlichen Akteuren handeln,<br />

eine sogenannte „Co-Regulierung“, erläutert<br />

er. Ein Austausch finde auf Tätigkeitslevel<br />

statt, sowie komme es zu<br />

einigen Kontaktpunkten zwischen den<br />

unterschiedlich regulierten Bereichen,<br />

führt Linz weiter aus. Zum Beispiel können<br />

Alterseinschätzungen der FSF nach<br />

einer Bestätigung durch die Rechtsaufsicht,<br />

die auf Grund der gesetzlichen<br />

Grundlagen notwendig ist, von der FSK<br />

übernommen werden, erzählt Linz.<br />

Stellvertretend für die zahlreichen<br />

Selbstregulative in Deutschland wird<br />

auf den Prüfvorgang der FSK näher<br />

eingegangen. Laut „fsk.de“ werden<br />

die Altersbeschränkungen in Prüfauschüssen<br />

– u.a. Arbeitsausschuss,<br />

Hauptausschuss und Appellationsausschuss<br />

– getroffen. Die ehrenamtlichen<br />

Mitglieder dieser Gremien bilden<br />

unterschiedliche Berufsfelder sowie<br />

verschiedene gesellschaftlich relevante<br />

Bereiche ab, dürfen hauptberuflich<br />

jedoch nicht in der Film- und Videowirtschaft<br />

tätig sein, um eine unabhängige<br />

Beurteilung sicherzustellen. und es finden<br />

laufend Schulungen statt. Die FSK<br />

klassifiziert Filme in die Altersstufen:<br />

ab 0, 6, 12, 16 und 18 Jahre. Linz führt<br />

aus, dass ausschließlich eine Beeinträchtigung<br />

von Heranwachsenden begutachtet<br />

wird und keine pädagogische<br />

Einordnung herausgegeben wird. Als<br />

Faktoren für die Entscheidung nennt<br />

Linz beispielhaft die Bereiche „Diskriminierung“,<br />

„Sexualität“ und „Gewalt“, die<br />

Einstufung werde aber für jeden Film<br />

individuell getroffen.<br />

In Österreich ist die Jugendmedienkommission<br />

(JMK) dafür zuständig,<br />

die im Bundesministerium für Bildung,<br />

Wissenschaft und Forschung angesiedelt<br />

ist. Laut deren Website deckt das<br />

Zuständigkeitsgebiet alle Bewegtbild-<br />

40<br />

Thema Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder?


medien ab, sorgt für eine entsprechende<br />

Einteilung in Altersschranken und<br />

streicht Filme auch lobend hervor. Die<br />

Entscheidungen werden durch Gremien,<br />

welche sich aus Personen aus<br />

den Bereichen „Soziales“ und der Erziehungswissenschaften<br />

zusammensetzen<br />

anhand definierter Merkmale,<br />

zum Beispiel die Beeinträchtigung von<br />

„Körperlicher Gesundheit“ und „Religiösem<br />

Empfinden“, getroffen. Im Gegensatz<br />

zur FSK werden durch die JMK<br />

Einschätzungen ausgesprochen, die<br />

tatsächlichen Beschränkungen könnten<br />

anschließend von den Bundesländern<br />

unabhängig davon definiert werden und<br />

die bereits erwähnten Altersschranken<br />

starten bei Null und gehen ab sechs in<br />

zwei Jahresschritten bis 16 Jahre. Darüber<br />

hinaus werden in Österreich etwa<br />

bei Computerspielen die PEGI-Altersbeschränkungen<br />

verwendet (vgl. <strong>SUMO</strong><br />

Nr. 34).<br />

Die Alternativen<br />

Doch sind Selbstregulative die einzige<br />

Instanz? Laut der Kinder-Medien-Studie<br />

(Edugroup, 2020) rezipieren Kinder<br />

Videos mit geringer Dauer aus dem<br />

Netz öfters ohne Begleitung als TV oder<br />

Streaming-Angebote. Dies bietet den<br />

Anlass, auch andere Möglichkeiten zu<br />

betrachten. Linz sagt zu Plattformen<br />

wie „YouTube Kids“, dass unterschiedliche<br />

Angebotstypen auch verschiedene<br />

Einordnungssysteme notwendig machen<br />

würden, da es sich auf „YouTube“<br />

auch um von RezipientInnen erstellte<br />

Videos handle, sogenannte „Prosumer“.<br />

Hierbei kann der/die ErstellerIn<br />

für den Content eine Alterseinstufung<br />

vornehmen und der/die BetreiberIn der<br />

Plattform greife bei Hinweisen oder<br />

Beschwerden ein. Schröckert erläutert<br />

hinsichtlich der Erklärungen der FSK<br />

über Freigaben, dass es darüber hinaus<br />

noch mehrere Sites gebe, die aufklären,<br />

wieso bestimmte Filme für eine Altersgruppe<br />

zulässig seien. Als Beispiele<br />

führt er hier „kinderfilmblog.de“ sowie<br />

„kinderfilmwelt.de“ an.<br />

Der Zweck der Selbstregulative<br />

Linz betont hierbei, dass Selbstregulative<br />

vor allem in einem dynamischen<br />

Medienumfeld sinnvoll sind. Selbstkontrolleinrichtungen<br />

können agiler reagieren,<br />

da „die Wirtschaft als Träger einer<br />

solchen Institution tätig ist“. Wenn nur<br />

der Staat als regulativer Akteur beteiligt<br />

ist, wäre dies nicht in gleicher Form umsetzbar.<br />

Ein nächster großer Pluspunkt<br />

mitunter der FSK, der eben durch das<br />

Zusammenspiel von staatlichen sowie<br />

wirtschaftlichen Akteuren möglich ist,<br />

sei das Verhindern einer staatlichen<br />

Zensur sowie die „Rechts- und Vertriebssicherheit“,<br />

welche den HerstellerInnen<br />

in Verbindung mit den FSK-<br />

Altersfreigaben gewährt wird, so Linz.<br />

Schröckert sieht unter anderem positiv,<br />

„dass sich da so gesehen die Branche<br />

auch raushält oder beziehungsweise<br />

nicht mitinvolviert ist“. Es sei von Vorteil,<br />

dass die Altersfreigabe unabhängig<br />

vom Vertreiber getroffen werde, da dieser<br />

den „Film an ein möglichst breites<br />

Publikum bringen“ wolle. Ebenso sieht<br />

er es als positiv an, dass Personen von<br />

unterschiedlichen Feldern beteiligt<br />

sind, da somit etwa auch unterschiedliche<br />

religiöse Blickwinkel mitbedacht<br />

werden könnten.<br />

Die kritischen Stimmen<br />

Altersfreigaben erzeugen unterschiedliche<br />

Meinungen. Bei Kritiken abseits<br />

von möglichen Falscheinschätzungen,<br />

nennt Filmjournalist Schröckert<br />

die nicht mehr der heutigen Zeit entsprechenden<br />

deutschen Altersstufen:<br />

gewisse Abstände seien zu weit,<br />

andere zu klein. Kritik hinsichtlich der<br />

Festlegung der Schranken kann FSK-<br />

Geschäftsführer Linz nachvollziehen,<br />

setzt dem allerdings mehrere Argumente<br />

entgegen. Unter anderem seien<br />

die Freigabestufen in den Köpfen der<br />

Bevölkerung verankert, sowie durch<br />

die größeren Spannen etwa bei der Beurteilung<br />

des Alters im Kino von Vorteil.<br />

Schröckert jedoch wendet ein, möglicherweise<br />

noch eine darüberliegende<br />

Altersklasse zum Beispiel „ab 25“ einzuführen,<br />

da unter anderem manche<br />

Inhalte vielleicht erst mit reiferem Alter<br />

verstanden werden können. Als zweiten<br />

Punkt nannte Schröckert eine fehlende<br />

Klarheit bei der Urteilsfindung der<br />

FSK: Einige RezipientInnen würden sich<br />

Informationen über die Arbeitsweise<br />

der FSK anhand von Interviews wünschen.<br />

Ebenso, dass sich diese heute<br />

Wissen gerne ohne viel Aufwand aneignen<br />

würden, vor allem aus sozialen<br />

Netzwerken und dass gerade da noch<br />

nicht viel an Informationsvermittlung<br />

geschehe. Linz betont jedoch, dass in<br />

der kostenlosen FSK-App oder auf der<br />

Website Kurzbegründungen zu den<br />

Freigaben aller aktuellen Filme im Kino<br />

veröffentlicht würden und darüber hinaus,<br />

dass Beschwerden und Kritik immer<br />

gewissenhaft bearbeitet und beantwortet<br />

werden.<br />

Die Sichtweise der Eltern<br />

Doch was sagen Eltern dazu: Beachten<br />

sie Altersfreigaben und können<br />

so Selbstregulative Kindern helfen?<br />

Um die Frage zu beantworten, sprach<br />

<strong>SUMO</strong> mit einer Mutter von zwei Kindern<br />

im Alter von zwei und sieben Jahren.<br />

Sie gab an, bei der Auswahl von<br />

Filmen und Serien die Einschätzungen<br />

grundsätzlich zu beachten. Zusätzlich<br />

Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder?<br />

41


evorzuge sie es, die Filme vorab anzusehen<br />

oder auf ihre Intuition zu vertrauen.<br />

Dabei achte sie auf Kriterien, ob<br />

etwa Kriminalität vorkomme oder wie<br />

die Figuren in Filmen oder Serien dargestellt<br />

würden. Auch im Bereich der<br />

Spiele für Konsolen sei es ihr wichtig,<br />

jene auszuwählen, die im Inhalt sowie<br />

in der Aufbereitung fürKinder geeignet<br />

seien. Auch Schröckert, Vater von zwei<br />

Kindern, gibt an, bei der Auswahl die<br />

FSK-Einschränkungen zu achten. Ebenso<br />

sollte man aber trotzdem ein Auge<br />

auf den gezeigten Inhalt haben und<br />

welchen Lerneffekt die Kinder haben<br />

könnten.<br />

Ein Blick in die Zukunft<br />

Die FSK plane in Zukunft auf vordefinierte<br />

inhaltliche Kriterien zu setzen,<br />

die auf bisherigen Erfahrungen beruhen.<br />

Im Zuge dessen wurde ein sogenanntes<br />

„Klassifizierungs-Tool“ kreiert.<br />

Stefan Linz ist im <strong>SUMO</strong>-Interview<br />

näher darauf eingegangen. Dieses Tool<br />

bildet sogenannte „Risikodimensionen“<br />

ab, welche sich in „Gewalt und Bedrohung,<br />

Verletzung und Leiden, Sexualität<br />

und Nacktheit, Drogenkonsum, Sprache<br />

und schädigendem Verhalten“ gliedern.<br />

Pro Risikodimension würden zahlreiche<br />

Unterkategorien ausgemacht,<br />

„und auch dort werden auch verstärkende<br />

und relativierende Faktoren berücksichtigt.“<br />

Er betont ebenso, dass<br />

nur geschulte Personen mit dem Tool<br />

arbeiten und Ergebnisse in Prüfausschüssen<br />

überprüft und die Spruchpraxis<br />

auch angepasst werden kann, da es<br />

sich beim Jugendschutz um „kein starres<br />

Konstrukt“ handle. Daniel Schröckert<br />

äußert sich kritisch gegenüber<br />

einer alleinigen Einschätzung durch ein<br />

System. Er stellt fest, dass Technologie<br />

bislang nicht in der Lage wäre, die emotionale<br />

Komplexität von Bewegtbild<br />

aufzufassen. Ebenso würden viel mehr<br />

Aspekte einen Einfluss darauf haben,<br />

wie Kinder einen Film wahrnehmen<br />

– etwa die Stärke des Einsatzes von<br />

Musik. Er bezweifelt, ob das Tool dies<br />

aufgreifen könnte. Ein Tool könne als<br />

ein Anhaltspunkt verwendet werden,<br />

welcher nach bestimmten Aspekten<br />

eine Einschätzung abgeben kann, dennoch<br />

sollten die endgültigen Freigaben<br />

von einer Person getroffen werden, so<br />

Schröckert.<br />

Abseits der Tricks zur Umgehung der<br />

Freigabe werden sich Kinder wohl weiterhin<br />

Filme ansehen wie…. (ohne Empfehlung).<br />

von Simone Poik<br />

Daniel Schröckert /<br />

Copyright: Rocket Beans Entertainment GmbH<br />

Stefan Linz / Copyright: FSK GmbH<br />

© Copyright: adobe stock / PixieMe<br />

© Copyright: adobe stock / vulkanov<br />

42<br />

Thema Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder?


Journalismus heute: Alles<br />

geklaut und gelogen?<br />

Immer öfter kommt ans Tageslicht, dass JournalistInnen Inhalte frei erfinden<br />

oder gar klauen. <strong>SUMO</strong> sprach mit Stefan Schoeller, Rechtsanwalt<br />

für Medien- und Urheberrecht, sowie mit Benjamin Fredrich, Chefredakteur<br />

des deutschen populärwissenschaftlichen Magazins „Katapult“, über<br />

diese Entwicklung und versucht Licht ins Dunkel zu bringen.<br />

Es ist der 3. Dezember 2018, 03:05 Uhr.<br />

Der digitale Postkasten von Claas Relotius<br />

gibt einen Benachrichtigungston<br />

von sich: eine neue Mail. Die Pressebeauftragte<br />

einer Bürgerwehr in Arizona<br />

fragt, wie Relotius eine Reportage über<br />

ihre Gruppe und ihre Situation schreiben<br />

konnte, ohne je für ein Interview<br />

vorbeigekommen zu sein? Der Anfang<br />

vom Ende – Claas Relotius hat den<br />

Bogen überspannt. Am 17. Dezember<br />

reicht der vielfach ausgezeichnete Reporter<br />

beim „Spiegel“ seine Kündigung<br />

ein. Am 19. Dezember geht der „SPIE-<br />

GEL“ an die Öffentlichkeit. Relotius Texte<br />

– großteils gefälscht. Die Reportage<br />

– in der Kritik.<br />

Der Journalismus in einer Krise<br />

Claas Relotius hat den deutschsprachigen<br />

Journalismus endgültig in eine<br />

Krise gezogen. Nicht nur die Reportage<br />

selbst steht, aufgrund ihrer besonderen<br />

Anfälligkeit für fiktive Ergänzungen, besonders<br />

in der Kritik, der gesamte Journalismus<br />

ist in eine Krise geschlittert.<br />

Ein Fall wie dieser rüttelt an den Grundsätzen<br />

des Journalismus. An der Wahrhaftigkeit,<br />

an der journalistischen Sorgfalt.<br />

Die strukturellen Probleme mögen<br />

nicht so ausgeprägt sein, wie es der Fall<br />

Relotius impliziert, hingegen sind sie<br />

weitreichender als oft angenommen.<br />

Copy and Paste, Abschreiben, Plagiieren.<br />

Ungern wird darüber gesprochen,<br />

dennoch sind dies grundsätzliche Probleme<br />

im heutigen Journalismus. In<br />

einem Journalismus, welcher von Zeitdruck<br />

und Clickbaiting unterwandert<br />

wurde. Die Frage ist, woher rührt dies?<br />

Fredrich unterstreicht in seinem Interview,<br />

dass dies unter anderem dem<br />

steigenden Druck auf die Zeitungen<br />

geschuldet ist. Bringt eine Zeitung eine<br />

Story, so fühlen alle anderen den Drang<br />

diese auch drucken zu müssen. Dennoch<br />

spiegele sich dieser Trend eher bei<br />

regionalen Zeitungen wider – sie müssen<br />

unter enormem Zeitdruck arbeiten<br />

und haben weitläufig Personalmangel.<br />

So passiere es schnell, dass eine Meldung<br />

ident übernommen oder maximal<br />

der Satzbau leicht verändert werde.<br />

Genau dort lässt sich das strukturelle<br />

Problem erkennen: steigender Druck,<br />

einerseits durch Konkurrenz, andererseits<br />

durch einen schnell verfallenden<br />

Nachrichtenwert, sowie ein Mangel an<br />

– kompetentem – Personal. Die „Neue<br />

Zürcher Zeitung“ erklärte im September<br />

2014, dass Nachrichtendienste aufgrund<br />

einer endlos ausufernden Informationswelt<br />

besonders unter Druck<br />

stünden, es jedoch der falsche Weg<br />

wäre, den ambitionierten, hochwertigen<br />

Journalismus zu vernachlässigen.<br />

Leider lässt sich genau dies vielerorts<br />

beobachten. Obwohl profilierte Recherche<br />

an Relevanz und neuer Bedeutung<br />

gewinnt, im Gegensatz zu beinahe<br />

identen Artikeln, welche auf zehn unterschiedlichen<br />

Nachrichtenportalen zu<br />

lesen sind.<br />

Eine rechtliche Machtlosigkeit<br />

Es lässt sich folglich kaum anzweifeln:<br />

Ideen werden im Journalismus ohne<br />

weitere Recherche übernommen. Eine<br />

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43


Studie von „news aktuell“ hat 2017<br />

erhoben, dass das Übernehmen von<br />

Inhalten anderer Medien, sowie von<br />

Unternehmen bzw. PR-Agenturen, zu<br />

den größten Fehlern gehört, welche<br />

JournalistInnen heute begehen. Dennoch<br />

wird es gemacht. Da stellt sich<br />

die Frage: Warum unternimmt niemand<br />

etwas dagegen? Schoeller erklärt im Interview,<br />

dass hier geklärt werden müsse,<br />

ob es sich um ein Werk im Sinne des<br />

Urheberrechtsgesetzes handle. Dieses<br />

umfasst geistige und eigentümliche<br />

Schöpfungen auf dem Gebiet der Literatur,<br />

bildenden Kunst, Ton- und Filmkunst.<br />

Banale Arbeiten, wie etwa kurze<br />

Nachrichten, stellen laut ihm in diesem<br />

Sinne hingegen kein Werk im Sinne des<br />

Urheberrechts dar. Dies zeigt folglich,<br />

dass Inhalte erst dann geschützt sind,<br />

wenn sie eine eigentümliche Schöpfung<br />

darstellen. Eine Idee bzw. ein Inhalt<br />

selbst sind somit urheberrechtlich nicht<br />

geschützt, weil sie „keine konkrete Ausformung<br />

und Niederlegung haben“. Für<br />

Rechtsanwalt Schoeller ist die Situation<br />

klar: „Eine Gesellschaft funktioniert<br />

grundsätzlich nur, wenn in irgendeiner<br />

Form eine Weiterentwicklung zugänglich<br />

ist. Eine Weiterentwicklung findet<br />

nur statt, wenn auf dem momentanen<br />

Stand des Wissens aufgebaut werden<br />

kann.“ Somit sind Ideen nicht geschützt,<br />

um diese gesellschaftliche Weiterentwicklung<br />

zu gewährleisten. Benjamin<br />

Fredrich sieht das teilweise problematisch:<br />

„Bei Ideen und Konzepten ist das<br />

schwer. Wenn da jemand in Einzelfällen<br />

etwas macht, kann man tatsächlich nur<br />

zusehen. Da kann man nur warten und<br />

schauen, was die machen.“ Allerdings<br />

ist entscheidend, dass es rechtliche<br />

Möglichkeiten gibt, sobald es zur wiederholten,<br />

systematischen Übernahme<br />

von Inhalten kommt. Schoeller und<br />

Fredrich sind sich hier einig: „Wenn das<br />

häufiger passiert und man eine Systematik<br />

dahinter erkennt, dann kann<br />

man vom Urheberrecht weggehen und<br />

ins Wettbewerbsrecht gehen. Hier gibt<br />

es schon ein paar Spielregeln, so verstößt<br />

eine systematische Ausbeutung<br />

einer anderen Redaktion gegen diese<br />

Spielregeln“, so Fredrich im Interview.<br />

Schoeller stimmt zu: „Man spricht dann<br />

von einem Konglomerat an Einzelfällen.<br />

Wenn hier geschickt einzelne ungeschützte<br />

Elemente übernommen werden,<br />

wird, ab einer gewissen Intensität,<br />

das Wettbewerbsrecht verletzt.“ So gesehen<br />

ist eine Idee, ein Konzept, selbst<br />

ungeschützt und frei verwertbar. Erst<br />

durch eine konkrete Ausformung, durch<br />

das Erreichen des Schöpfungswertes,<br />

greift das Urheberrecht. Es sei denn, es<br />

findet eine systematische Ausbeutung<br />

eines anderen statt, dann eröffnet das<br />

Wettbewerbsrecht neue Möglichkeiten.<br />

Alles kopiert und geklaut?<br />

Im Folgenden hat <strong>SUMO</strong> einen konkreten<br />

Fall einer möglichen Rechtsverletzung<br />

betrachtet. Gemeinsam mit<br />

dem Verlag Hoffmann und Campe hat<br />

„Katapult“ ein Buch über „Karten, die<br />

deine Sicht auf die Welt verändern“<br />

verlegt. Die Idee, redaktionelle und<br />

kreative Arbeit, wie auch grafische Aufbereitung<br />

und Layouting lagen hier bei<br />

„Katapult“. Nach Veröffentlichung des<br />

© Copyright: adobe stock / zenzen<br />

44<br />

Thema<br />

Journalismus heute: Alles geklaut und gelogen?


Buches gab es allerdings Differenzen<br />

zwischen Verlag und Redaktion und das<br />

Magazin „Katapult“ entschloss sich, ein<br />

ursprünglich geplantes zweites Buch<br />

nicht mit Hoffmann und Campe zu<br />

verlegen. Die Überraschung kam, als<br />

der Verlag die Fortsetzung des Buches<br />

angekündigt hatte – ohne „Katapult“,<br />

stattdessen mit AutorInnen der „ZEIT“.<br />

Für Chefredakteur Fredrich unerwartet,<br />

jedoch müsse man das so hinnehmen:<br />

„Wenn sie das Buch nun mit der<br />

‚ZEIT‘, im Stil der ‚ZEIT‘, machen, dann<br />

ist das okay.“ „Katapult“ erlitt jedoch<br />

einen Schock, als bekannt wurde, dass<br />

sowohl Titel als auch zahlreiche Inhalte<br />

übernommen wurden. Für das Magazin<br />

keine leichte Situation. Der Titel musste<br />

zwar nach einer Unterlassungserklärung<br />

verändert werden, doch bezüglich<br />

der Inhalte und des Aufbaus ist die<br />

Lage komplizierter. Medienrechtsexperte<br />

Schoeller weist hier wieder darauf<br />

hin, dass zu untersuchen sei, ob<br />

ein Ausbeuten fremder Leistung stattfinde:<br />

„Wenn die Gesamtbetrachtung<br />

ergibt, dass hier so viele Elemente<br />

schmarotzerisch übernommen wurde,<br />

dass es ein wettbewerbsrechtliches<br />

Thema wird, so kann eine Klage Erfolg<br />

haben. Wenn die Gesamtbetrachtung<br />

allerdings ergibt, dass nur ungeschützte<br />

Elemente übernommen wurden, die<br />

es in ähnlicher Art und Weise schon<br />

gegeben hat, ist das aus rechtlicher<br />

Sicht in Ordnung.“ Für „Katapult“ galt<br />

es also zu entscheiden, eine Klage mit<br />

unsicherem Ausgang und möglicherweise<br />

enormen Kosten zu wagen oder<br />

den Vorgang öffentlich wirksam zu<br />

machen. Wie Benjamin Fredrich erzählt,<br />

war das keine leichte Abwägung,<br />

doch die Entscheidung, das gesamte<br />

Geschehen an die Öffentlichkeit zu<br />

bringen, sei im Nachhinein die richtige<br />

gewesen. Es tue ihm auch heute noch<br />

weh, wenn er daran denkt. Doch fest<br />

steht, dass dem Magazin dieser Vorfall<br />

zu enormem Wachstum verholfen<br />

hat und das hätte kein Gericht erwirken<br />

können. Folglich lässt sich festhalten,<br />

dass es schwierig ist, das Übernehmen<br />

von Inhalten oder Ideen zu unterbinden.<br />

Doch gerade das Magazin „Katapult“<br />

hat der Verlagsbranche und dem<br />

Journalismus gezeigt, dass man durch<br />

ein medienwirksames Auftreten und<br />

eine ausgeklügelte PR-Strategie aus<br />

einer Misere stärker hervortreten kann.<br />

Folgen für eine ganze Branche<br />

Die Krise nach dem Auffliegen der Affäre<br />

Claas Relotius war weitaus schwächer<br />

als befürchtet, jedenfalls für den<br />

Journalismus als Ganzem. Die Reportage<br />

aber gilt nach wie vor als problembehaftet.<br />

Auch wenn Aufklärungsarbeit<br />

geleistet wurde, wenn neue Systeme<br />

zu Verifikation eingeführt wurden,<br />

bleibt die Kritik bestehen. Selbst Diskussionen,<br />

welche aufgezeigt haben,<br />

dass sich das Problem Relotius auf<br />

den gesamten Journalismus umlegen<br />

lässt, blieben beinahe ohne Folgen.<br />

Verschiedene kritische Medienhäuser<br />

beschäftigen sich jedoch weiterhin mit<br />

der Thematik und versuchen dem Trend<br />

des Copy and Paste-Journalismus auf<br />

den Grund zu gehen. By the way: Franziska<br />

Wenger, Redakteurin von <strong>SUMO</strong>’s<br />

Online-Schwesternmagazin „sumomag.at“<br />

untersucht, passend zur Causa<br />

Relotius, die Gründe, warum JournalistInnen<br />

dazu verleitet werden Artikel zu<br />

fälschen.<br />

von Matthias Schnabel<br />

Benjamin Fredrich / Copyright: Katapult<br />

Stefan Schoeller / Copyright: Daniela Jakob<br />

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45


Zwischen Liebe und Hass –<br />

Das Geschäft mit der Privatsphäre<br />

der Stars<br />

Es ist eine Beziehung im ständigen Wandel zwischen Liebe und Hass, die<br />

auf der internationalen Bühne zum Alltag von KünstlerInnen und anderen<br />

Personen des öffentlichen Lebens dazu gehört: Paparazzi. Sensationsberichterstattung,<br />

die auch für den Boulevard in Österreich wie ein gefundenes<br />

Fressen scheint, hierzulande aber kaum diskutiert wird. Warum, das<br />

besprach <strong>SUMO</strong> mit dem ehemaligen Paparazzo Edwin Walter und der<br />

Chefredakteurin der ORF-„Seitenblicke“, Ines Schwandner.<br />

31. August 1997. Schauplatz Paris.<br />

Eine Frau kommt mit ihrem damaligen<br />

Lebensgefährten gegen 0:20 Uhr<br />

aus einem Nobelrestaurant und steigt<br />

in einen Wagen. Die Frau, Mutter von<br />

zwei Söhnen (William und Harry), gilt zu<br />

diesem Zeitpunkt als die berühmteste<br />

Frau der Welt. Unter einem Blitzlichtgewitter,<br />

verursacht durch zahlreiche<br />

FotografInnen, fährt das Paar los in<br />

Richtung ihres Apartments. Dort sollten<br />

die beiden jedoch nie ankommen.<br />

Es ist jene Geschichte von Prinzessin<br />

Diana und der tödlichen Verfolgungsjagd<br />

mit einem Paparazzo, die bis dato<br />

den traurigen Tiefpunkt in einem Katzund<br />

Mausspiel zwischen Promis und<br />

der Profitgier sogenannter Sensationsmedien<br />

darstellt. Ein schrecklicher Unfall,<br />

dessen Auslöser ein einziges Foto<br />

sein sollte, das demjenigen eine irrsinnige<br />

Summe Geld bescheren würde, der<br />

es schießt. In vielen Fällen endete diese<br />

Jagd nach dem perfekten Schnappschuss<br />

schon vor Gericht, manche in<br />

jahrelangen Depressionen oder Krankheiten,<br />

in Extremfällen wie jenem von<br />

Lady Di sogar mit dem Tod für eine/n<br />

der Betroffenen. „Menschen wollen<br />

immer so nah wie möglich an die Stars<br />

herankommen. Von Medien werden<br />

daher Unsummen für das richtige Foto<br />

bezahlt. Dadurch kommt es zu solchen<br />

Extremfällen, bei denen leider immer<br />

wieder etwas passiert!“ Diese gesellschaftliche<br />

Frage immer überall dabei<br />

sein zu wollen sei es, die Fotografen wie<br />

den Wiener Edwin Walter auf die Lauer<br />

nach pikanten Foto- und Videoaufnahmen<br />

legen ließen. „In vielen anderen<br />

Bereichen verdienst du als Fotograf<br />

einfach kein Geld“, spricht der ehemalige<br />

Paparazzo offen über das oftmals so<br />

verpönte Geschäft mit der Privatsphäre<br />

anderer, das er selbst viele Jahre in den<br />

USA und Europa miterlebte.<br />

Regeln, aber kaum Grenzen<br />

International und vor allem in Hollywood<br />

kenne der Medientrubel um<br />

prominente Menschen nur selten irgendwelche<br />

Grenzen. Hunderte FotografInnen<br />

alleine im Raum Los Angeles<br />

würden dabei auf Tipps von InformantInnen<br />

die Hotspots bekannter Gesichter<br />

belagern. In abgesprochenen Teams<br />

aus mindestens zwei FotografInnen<br />

© Copyright: adobe stock / Konstantin Yuganov<br />

46<br />

Thema Zwischen Liebe und Hass - Das Geschäft mit der Privatsphäre der Stars


würden sich Massen an Kameras an<br />

den Vorder- und Hintereingängen von<br />

Hotels, Restaurants oder Geschäften<br />

positionieren.<br />

Warum in Zweierteams? Weil oftmals<br />

eben nicht nur zu Fuß, sondern wie vor<br />

23 Jahren bei Lady Di, auch auf dem<br />

Motorrad oder mit dem Auto die Verfolgung<br />

aufgenommen werde. Durch die<br />

aggressive Herangehensweise vieler<br />

KollegInnen, aber auch durch angriffslustige<br />

Bodyguards auf Seiten der Prominenten<br />

würden sich viele Begegnungen<br />

schnell hochschaukeln und nicht<br />

selten in körperlichen Auseinandersetzungen<br />

enden. „Wenn du sofort von<br />

den Begleitern der Stars beleidigt wirst,<br />

sobald sie dich sehen, bist du natürlich<br />

noch einmal extra motiviert und lässt<br />

nicht locker“. Umgekehrt würden jene<br />

sofort in Ruhe gelassen werden, die<br />

sich der Kamera stellen und respektvoll<br />

ihren Auftritt hinter sich bringen, anstatt<br />

ihm aus dem Weg zu gehen, beschreibt<br />

Walter den Umgang. Für den<br />

jetzigen Leiter einer Fotoagentur gebe<br />

es sehr wohl auch für Paparazzi Regeln,<br />

an die es sich zu halten gebe. Fotografieren<br />

hinein in private Räumlichkeiten<br />

wäre für ihn tabu.<br />

Jede/r kennt jede/n<br />

Ausartende Konfrontationen sind in<br />

Übersee dennoch häufige Szenen, die<br />

in Österreich aber nur in besonders<br />

tragischen Fällen Schlagzeilen machen<br />

und dabei Kopfschütteln hinterlassen.<br />

Denn hierzulande sei eine solche Vorgehensweise<br />

absolut kein Thema. Gezielte<br />

Skandale in der heimischen Starund<br />

Lifestyleberichterstattung wären<br />

wenig lukrativ und würden schlichtweg<br />

auch Wenige interessieren, wie Ines<br />

Schwandner, Chefredakteurin der ORF-<br />

Sendung „Seitenblicke“, anmerkt: „Bei<br />

uns reicht es schon, bei besonderen<br />

Veranstaltungen gesehen zu werden.<br />

Da braucht man nicht durch irgendeine<br />

Inszenierung von skandalösem Verhalten<br />

auffallen.“ Einerseits würden aufgrund<br />

der fehlenden Internationalität<br />

der heimischen Stars und Sternchen<br />

diverse Intrigen kaum für ein großes<br />

Publikum interessant sein. Auf der anderen<br />

Seite sei die gemeinsame Zusammenarbeit<br />

zwischen Prominenten<br />

und Medien viel wichtiger, als sich gegenseitig<br />

bloßzustellen. „In Österreich<br />

passieren die meisten Stories nach Einladung<br />

zu den jeweiligen Events. Dabei<br />

kennt jede/r jede/n. Wenn also ein<br />

Medium schlecht über eine Person berichtet,<br />

wird es beim nächsten Mal einfach<br />

nicht mehr eingeladen“, resümiert<br />

Schwandner.<br />

Dieses Risiko auf Seiten der Medien<br />

eben nicht mehr dabei zu sein, wäre<br />

den meisten deshalb zu groß, wie auch<br />

Edwin Walter bestätigt: „Du willst es dir<br />

in Österreich mit niemanden verscherzen.<br />

Der Markt ist sehr klein, dadurch<br />

fehlt die Anonymität.“ Etwaige Folgen<br />

durch die Betroffenen nach einer Verunglimpfung<br />

würden nicht lange auf<br />

sich warten lassen. Folgen, die auch der<br />

ehemalige Paparazzo am eigenen Leib<br />

zu spüren bekam. Nach der Veröffentlichung<br />

eines Fotos von Ex-Finanzminister<br />

Karl-Heinz Grasser aus dessen<br />

Privaturlaub folgte kurz danach eine<br />

Finanzprüfung für Walters Agentur.<br />

Zwar würden auch in Österreich private<br />

Medienhäuser aus dem Boulevardbereich<br />

diverse gerichtliche Nachwehen<br />

weniger fürchten, dennoch baue auch<br />

für diese die Branche auf Respekt. Laut<br />

Schwandner herrsche eine „kulturelle<br />

Sperre“, die vor unkonventionellen<br />

Methoden zurückschrecken ließe. Vielmehr<br />

überwiege ein gegenseitiges Ge-<br />

hidden champions<br />

mit weitsicht.<br />

Wir haben uns als E-Commerce Agentur einen Namen gemacht und sind überwiegend in Österreich sowie<br />

Deutschland tätig. Zu unseren Kunden zählen auch namhafte Unternehmen wie der renommierte<br />

Juwelier „Dorotheum“, „Lexis Nexis“ – ein führender Anbieter von Lösungen für die Rechts-, Steuern<br />

und Wirtschaftspraxis mit 2 Mio. Produkten im Shop, bis hin zu den Duftpionieren im Online-Handel:<br />

„Aus Liebe zum Duft“. Auch für Projekte wie die Effie-prämierte „Manner, meine Schnitte“-Kampagne und<br />

den Relaunch des brandneuen Dr. Oetker Online-Shops auf Shopware-Basis dürfen wir uns verantwortlich<br />

zeichnen. Wir leben nachhaltige Kundenbeziehungen mit Best-Practice Erfahrungsaustausch.<br />

www.mstage.at<br />

Die (Ohn-)Macht des Presserats Thema<br />

47


en und Nehmen, das immer wieder<br />

auch Freundschaften zwischen Promis<br />

und JournalistInnen entstehen ließe.<br />

„Es passiert nicht selten, dass man vorher<br />

versucht, jemanden vor die Kamera<br />

zu bekommen und später dann gemeinsam<br />

essen geht“, so Walter.<br />

Smartphone und Social Media – der<br />

neumoderne Paparazzo<br />

Hierzulande also ein Geschäft mit<br />

Handschlagqualität – ganz anders als<br />

wie im so glitzernden Hollywood oder<br />

auch in Großbritannien und Deutschland.<br />

Besonders in großen Ländern sei<br />

der Druck viel größer, sich von anderen<br />

abheben zu müssen und sich mit erniedrigendem<br />

Verhalten ins Gespräch<br />

zu bringen. Druck, der durch die schnelllebige<br />

Zeit mit Smartphones und Social<br />

Media noch einmal massiv zugenommen<br />

habe. So könne heutzutage jede/r<br />

mit einem fotofähigen Handy selbst<br />

zum Paparazzo werden. Ein Phänomen,<br />

das sich allerdings weniger beim Filmen<br />

von Stars und Sternchen, sondern vielmehr<br />

beim „Gaffen“ von Unfällen in der<br />

Gesellschaft etablierte. Auf der anderen<br />

Seite haben Prominente durch „Facebook“,<br />

„Instagram“ und ähnliche Kanäle<br />

selbst die Kontrolle übernommen, um<br />

zu entscheiden, welche privaten Einblicke<br />

sie der Öffentlichkeit gewähren.<br />

Anstatt FotografInnen auf die Lauer zu<br />

schicken, durchstöbern Klatsch- und<br />

Tratsch-Magazine die sozialen Netzwerke<br />

und verwerten die selbsterstellten<br />

Inhalte der Stars weiter. Ein Trend,<br />

der laut Ines Schwandner journalistisch<br />

noch weniger Wert hätte als das Erspähen<br />

von pikanten Aufnahmen durch<br />

zumindest kritische FotografInnen. „Als<br />

Medium sollte es das Ziel sein, selbst<br />

die Inhalte zu kreieren und nicht einfach<br />

nur den Computerbildschirm abzufilmen<br />

mit den Postings der Stars“,<br />

kritisiert die Chefredakteurin das Vorgehen<br />

zahlreicher Onlineportale wie<br />

„Promiflash“.<br />

Egal, ob durch die Begleitung von Fotografenlinsen<br />

oder durch Millionen Kameras<br />

von Smartphones: Gerade als<br />

Person des öffentlichen Lebens gebe<br />

es heutzutage „kein Entkommen vor einem<br />

Foto“, wie beide InterviewpartnerInnen<br />

bekräftigen. Paparazzi würden<br />

sich in den meisten Fällen jedoch zufriedengeben,<br />

wenn die Stars sie nicht<br />

ignorieren, sondern sich einfach einem<br />

Foto stellen würden. Ein Argument, das<br />

die traurige Geschichte von Prinzessin<br />

Diana vielleicht umgeschrieben hätte,<br />

beteuert Walter jene Nacht in Paris und<br />

fügt abschließend hinzu: „Die meisten<br />

Stars wissen sehr wohl auch, dass sie<br />

Paparazzi brauchen, um relevant zu<br />

bleiben.“ Ein (oft gefährliches) Spiel zwischen<br />

Liebe und Hass eben, das wie in<br />

allen Beziehungen nur durch gegenseitigen<br />

Respekt funktionieren kann.<br />

Edwin Walter / Copyright: Privat<br />

von Michael Geltner<br />

Ines Schwandner / Copyright: Babara Wirl<br />

© Copyright: adobe stock / Robert Daly/KOTO<br />

48<br />

Thema Zwischen Liebe und Hass - Das Geschäft mit der Privatsphäre der Stars


© Werner Jäger<br />

mstage wurde 2012 gegründet und ist eine zertifizierte E-Commerce Agentur mit einem großartigen<br />

Team, bestehend aus 15 festangestellten MitarbeiterInnen, mit Sitz im Herzen der St. Pöltner Innenstadt.<br />

Unsere Spezialisierung liegt in der Erstellung und Betreuung erfolgreicher Onlineshops, für sowohl<br />

nationale als auch internationale Projekte. Unsere Leistungen werden zur gesamtheitlichen Shoplösung,<br />

inklusive Konzept & Beratung, Design, Entwicklung des Themes sowie auch Individualfunktionen und<br />

Schnittstellen und ganz wichtig: eine nachhaltige Betreuung und Optimierung.<br />

mstage GmbH<br />

www.mstage.at<br />

Die (Ohn-)Macht des Presserates Thema<br />

49


Close up (or down), Cinema?!<br />

Streaming bietet nicht nur eine Vielzahl an verschiedenen Filmen und Serien, sondern ist auf Knopfdruck und<br />

pro Film gesehen günstiger. Aber was bedeutet der Umbruch von Kino auf Streaming und was sind die Geschäftsmodelle<br />

von Streaminganbietern? <strong>SUMO</strong> interviewte dazu den Obmann des Fachverbands für Kino-,<br />

Kultur- und Vergnügungsbetriebe der WKO Christian Dörfler und den Head of Communications von Sky Österreich<br />

Michael Huebner.<br />

Über 14 Millionen KinobesucherInnen<br />

verzeichnete das Kinojahr 2019 laut der<br />

von der AKM durchgeführten Statistik,<br />

was insgesamt ein Plus von knapp 6%<br />

zum Vorjahr ausmachte. Grundsätzlich<br />

schwanken die Besuchszahlen jährlich<br />

zwischen rund 13 bis 18 Millionen. Im<br />

Jahr von 2017 auf 2018 waren es rund<br />

minus 11%, also nur knappe 13 Millionen<br />

BesucherInnen und damit auch<br />

weniger als im Jahr 2017, mit über 15<br />

Millionen. Doch diese Schwankungen<br />

seien laut Christian Dörfler völlig normal.<br />

Vor allem der Rückgang im Jahr<br />

2018 zeichnete sich laut des Filmwirtschaftsberichts,<br />

durchgeführt im<br />

Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich,<br />

durch einen Mangel an Blockbustern<br />

und Komödien aus. Die Besonderheit<br />

an Blockbustern liegt darin,<br />

dass sie auf viele unterschiedliche Zielgruppen<br />

abzielen. Komödien gelten als<br />

das beliebteste Filmgenre und die geringe<br />

Anzahl dieses Genres anno 2018<br />

war auch Ausschlag für den Besucherausblieb.<br />

Aber nicht nur das Genre der<br />

Filme zählt als Besuchermotiv für das<br />

Kino, sondern vielmehr das Kino als gewissermaßen<br />

Eventlocation.<br />

Die Einzigartigkeit des Kinos spiegelt<br />

sich in der Technik, des Erlebnisses von<br />

Bild und Ton wider, mit dem die beste<br />

Heimanlage nicht mithalten kann. Das<br />

Ausgehen, einen Film ungestört sehen<br />

zu können, sowie das anschließende<br />

Austauschen und Diskutieren zählen,<br />

neben dem Film selbst, laut Dörfler zu<br />

den Hauptmotiven für den Gang ins<br />

Kino.<br />

Streamingdienste boomen<br />

Obwohl das letzte Kinojahr nicht<br />

schlecht ausfiel, sind die Geschäftsmodelle<br />

von Film- und Streamingdiensten<br />

erfolgreicher denn je. Doch was ist<br />

Streaming überhaupt? Michael Huebner<br />

klärt auf: „Streaming wird als das<br />

zur Verfügung stellen von Bewegtbild-<br />

Inhalten über digitale Verbreitungswege<br />

definiert. Dies kann sowohl linear<br />

als auch on Demand oder über Video/-<br />

Mediatheken erfolgen. Es ist ein paralleler,<br />

weiterer Verbreitungsweg zu den<br />

schon bekannten Distributionswegen<br />

Satelliten-, Kabel- und terrestrischer,<br />

also Antennen-Empfang.“<br />

Laut der Erhebung über den Einsatz<br />

von Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

in Haushalten 2020,<br />

durchgeführt von Statistik Austria, nutzen<br />

6,6 Mio. ÖsterreicherInnen im Alter<br />

von 16 bis 75 Jahren Video-Streaming-<br />

Dienste. Von den Befragten streamten<br />

rund 64% kostenfreie Videos über<br />

Video-Sharing-Anbieter, 38% TV-Programme<br />

von Fernsehsendern in Echtzeit<br />

oder zeitversetzt und weitere 38%<br />

streamten kostenpflichtige Videos von<br />

kommerziellen Anbietern. Aber was<br />

genau bedeutet der Erfolg von Streaming<br />

für die Kinobranche? Die Frage, ob<br />

es überhaupt zu einem Umbruch von<br />

Streaming auf die Kinobranche kommt<br />

bzw. es einer ist bleibt offen. Dass sich<br />

etwas verändern werde, sei laut Dörfler<br />

natürlich keine Frage, aber wie genau<br />

es sich auswirke, könne man schlecht<br />

sagen. „Der Trend, dass Filme direkt auf<br />

Streaming-Plattformen ausgestrahlt<br />

werden und nicht auf die Leinwand<br />

kommen ist für die Kinos natürlich nicht<br />

positiv, aber wir befinden uns eben in<br />

einer Transformation der Medien.“ Laut<br />

Dörfler wisse man von früher, wenn die<br />

Kinoauswertung gut funktioniert hat,<br />

wird die Streamingauswertung auch<br />

gut funktionieren. Hier könnte es natürlich<br />

auch sein, dass man die Kinos<br />

unbedingt für die Auswertung braucht<br />

und sich deshalb kaum ändert.<br />

Für die Filmschaffenden sei es jedoch<br />

nicht von Vorteil, wenn nur auf Streamingauswertung<br />

ausgelegt wird, da<br />

es die Einnahmen drastisch reduziere.<br />

Ein Beispiel, das Dörfler hierfür nennt,<br />

ist der vor Kurzem erschienene Film<br />

„Mulan“, der direkt auf den Plattformen<br />

angeboten wurde und deshalb auch nur<br />

sehr wenig eingespielt habe.<br />

Umgekehrt ist Michael Huebner der<br />

Ansicht, dass auch Eigenproduktionen<br />

zukünftig vermehrt auf den Kinoleinwänden<br />

zu sehen sein würden. Im Gespräch<br />

mit <strong>SUMO</strong> berichtet er, dass dies<br />

innerhalb der Comcast Gruppe, beim<br />

NBC Universal Animationsfilm „Trolls<br />

World Tour“, schon gemacht wurde.<br />

Hier erfolgte der Kino- und der Streaming-Start<br />

des Filmes in den USA im<br />

April 2020 am selben Tag.<br />

Den besten Content über alle Devices<br />

<strong>SUMO</strong> sprach mit Michael Huebner<br />

auch über die Geschäftsmodelle von<br />

Film- und Serien-Streaminganbietern,<br />

wobei hier der Fokus beim Entertainment-Unternehmen<br />

Sky lag. Laut<br />

Huebner fokussiert sich Sky immer<br />

grundsätzlich darauf, dem TV- und Entertainmentfan<br />

das bestmögliche Angebot<br />

zu präsentieren und ihm dabei die<br />

flexibelste Zeitplanung zu ermöglichen.<br />

Sodass Menschen, die gerne Filme,<br />

Serien, Dokumentationen, Shows oder<br />

Live-Sport sehen, bei Sky die Adresse<br />

haben, auf die sie sich verlassen können<br />

und wo sie sagen: „Das ist für mich die<br />

Nummer eins auf der Fernbedienung.“<br />

Anders ausgedrückt versucht Sky seinen<br />

KundInnen die besten Inhalte über<br />

alle Devices zu jeder Zeit zur Verfügung<br />

zu stellen, um eben möglichst frei zu<br />

sein und sich den Alltag so angenehm<br />

und individuell wie nur möglich zu gestalten.<br />

Es gibt dabei, wie zu Beginn<br />

thematisiert, viele unterschiedliche<br />

Formen von „Streaming-Angeboten“.<br />

Zum einen Video-on-Demand, wo man<br />

Filme und Serien im Einzelabruf oder im<br />

Abonnement online „ausleihen“ kann,<br />

Videoportale, bei denen man kostenlose<br />

Videoclips ansehen, kommentieren<br />

oder selbst erstellen kann und auch<br />

Mediatheken für abrufbare Videoinhalte<br />

aus Programmen eines Senders. Der<br />

Grund, warum die Angebote der Streaminganbieter<br />

immer beliebter werden<br />

50<br />

Close Themaup (or down), Cinema?!


sei laut Huebner die große Freiheit<br />

Content jederzeit und überall verfügbar<br />

zu haben und ansehen zu können. Er<br />

spricht außerdem davon, dass es noch<br />

nie so viele Möglichkeiten gab Content<br />

zu rezipieren. Leute wollen unabhängig<br />

sein und frei entscheiden, welchem<br />

Anbieter sie sich zuwenden, was ebenfalls<br />

ein Teil und Charakteristikum des<br />

Streaming-Marktes sei.<br />

Laut Huebner gebe es bei Streamingmodellen<br />

weniger Risiken als beim<br />

klassischen TV, da es schlicht nur ein Internet-basierter,<br />

neuer Übertragungsweg<br />

sei. Hier überwiegen laut ihm also<br />

definitiv die Chancen. Wie man sich im<br />

Markt positioniere und von anderen abhebe,<br />

sei dann jedoch essenziell. Dabei<br />

werde es aber zukünftig zu einem wesentlich<br />

stärkeren Verdrängungs-Wettbewerb<br />

kommen, weil sich laut Huebner<br />

heutzutage jeder Anbieter inzwischen<br />

als Streamer bezeichne. Da der Markt<br />

relativ überfüllt sei, komme es – wie im<br />

TV-Markt – dazu, dass bestimmte Anbieter<br />

nicht mehr für den Kunden bzw.<br />

die Kundin interessant seien, da sie den<br />

entsprechenden, exklusiven Content<br />

nicht liefern, die Technik (Beispiel Ultra<br />

High Definition) nicht anbieten oder<br />

einen gemeinhin „akzeptablen Preis“<br />

durch ihr Geschäftsmodell nicht refinanzieren<br />

können. Laut Huebner sind<br />

dies die wichtigsten drei Kriterien, aber<br />

trotzdem bleibe das Programm das<br />

entscheidende Entscheidungsmerkmal.<br />

Ein dabei sehr wichtiger Aspekt<br />

im Geschäftsmodell von Streaminganbietern<br />

sind die sogenannten „Originals“,<br />

also deren Eigenproduktionen.<br />

„‚‚Sky Originals‘ seien extrem wichtig,<br />

weil sie damit die Marke Sky positionieren,<br />

das Markenprofil schärfen und<br />

wir dabei nahezu komplette Freiheit<br />

bezüglich der Verwertungs-Rechte haben“,<br />

so Huebner. Auch auf die Kinoleinwand<br />

schafften es zukünftig sicherlich<br />

mehr Originals. Huebners Ansicht nach<br />

würden Kino und Home Entertainment<br />

immer mehr zusammenrücken. „Bevor<br />

man kannibalisiert, arbeitet man besser<br />

zusammen und jeder profitiert von der<br />

Magie der großen Bilder und Geschichten.“<br />

Kinos wird es immer und ewig geben<br />

Laut Christian Dörfler sei der österreichische<br />

Kinomarkt Weltmarktführer,<br />

was Komfort und Technik betreffe.<br />

„Man wird in keinem Land so viele Imax,<br />

Atmos oder andere besondere Kinoformate<br />

in Prozent zur Bevölkerung finden,<br />

wie in Österreich“. Eine Möglichkeit den<br />

Kinobesuch wieder oder, besser gesagt,<br />

noch attraktiver für die BesucherInnen<br />

zu machen sei es laut Dörfler, das<br />

Ausgeherlebnis weiter aufzuwerten.<br />

Ein Beispiel, das er hierfür nennt, wäre<br />

etwa vor dem Ansehen eines französischen<br />

Films eine französische Weinverkostung<br />

zu machen oder ExpertInnen<br />

einzuladen. Bei Actionfilmen könnte es<br />

interessant sein, ExpertInnen einzuladen,<br />

die den ZuschauerInnen erklären,<br />

wie die Actionszenen funktionieren und<br />

gemacht werden.<br />

Auch Michael Huebner ist der Ansicht,<br />

dass man, wenn man vor einer schwierigen<br />

Situation stehe, kreativ und besser<br />

werden muss, als man das vorher<br />

oder je war. Seiner Ansicht nach seien<br />

viele Kinos erpicht darauf, das Entertainment<br />

zu verstärken und spricht<br />

dabei von neuen Audiotechnologien<br />

wie Dolby Atmos. Und: „Was nie sterben<br />

wird, ist das ‚‚Lagerfeuererlebnis‘,<br />

was man gerne hat. Dass man rausgeht<br />

und es auch in der Gruppe und in<br />

einem großen Raum wie dem Kino erleben<br />

möchte, das wird nie aussterben.<br />

Kinos wird es immer und ewig geben,<br />

aber eben parallel zu herausragenden<br />

Entertainment-Anbietern, die alle anderen<br />

Rezeptionswege bespielen und<br />

so die Fans bester Unterhaltung glücklich<br />

machen“, so Huebner.<br />

Eveline Hipeli / Copyright: Luisa Kehl<br />

von Julia Gstettner<br />

Christian Dörfler/ Copyright: fotoweinwurm.at<br />

Michael Huebner/ Copyright: Ana Chumroom<br />

© Copyright: adobe stock / metamorworks<br />

Close up (or down), Cinema?! Thema<br />

51


Wird nur noch bildlich<br />

gesprochen oder ist da doch<br />

zu viel Druck?<br />

Ihr Blick fiel wahrscheinlich als erstes auf das Hintergrundbild. Ohne es<br />

zu bemerken, haben Sie sich in der ersten Zehntelsekunde wortwörtlich<br />

schon ein grobes Bild von diesem Artikel gemacht, ohne zu wissen,<br />

wovon er überhaupt handelt. Fast zeitgleich haben Sie den Titel wahrgenommen<br />

und versuchten, das Bild mit ihm in Einklang zu bringen. Und<br />

nun fragen Sie sich, ob Sie wirklich so vorhersehbar sind.<br />

© Copyright: adobe stock / ardasavasciogullari<br />

<strong>SUMO</strong> hat sich dafür die fachkundige<br />

Meinung von Cornelia Brantner, Expertin<br />

für visuelle Kommunikation und seit<br />

Januar am Institut für Geografie, Medien<br />

und Kommunikation der Universität<br />

Karlstad in Schweden tätig, eingeholt.<br />

(Anm.: Das bereits fixierte zusätzliche<br />

Interview mit Bernhard Leitner, Chefredakteur<br />

des Gastronomie-Fachmagazins<br />

„ROLLING PIN“, konnte zeitbedingt<br />

nicht stattfinden.) Die Frage dieses<br />

Artikels ist nämlich eine der umstrittensten:<br />

Mehr Text oder doch lieber die<br />

derzeit beliebte Variante der Illustrationen?<br />

Denn der Trend der illustrierten<br />

Fachmagazine ist definitiv auf dem Vormarsch,<br />

Bildern wird eine große Bedeutung<br />

zugesprochen.<br />

Sind wir beeinflussbar?<br />

Auf die Frage, was das Auge als Erstes<br />

erkennt, wenn es ein Medium erfasst,<br />

antwortet Brantner ganz klar: das Bild<br />

(falls vorhanden). Studien haben mittels<br />

der Eye-Tracking-Methode belegt,<br />

dass beigefügte Bilder mehr Aufmerksamkeit<br />

erregen, sie sozusagen Einstiegspunkte<br />

darstellen. Auch würden<br />

Bilder laut Brantner besser erinnert<br />

als verbale oder geschriebene Texte<br />

und es bestehe ein höherer Wiedererkennungseffekt.<br />

Besitzt ein Bild mehr<br />

Aussagekraft, hält es mehr an Erzählungen<br />

bereit, als ein Text je vermitteln<br />

könnte? Betrachtet man das Ganze von<br />

außen, bekommen die LeserInnen beim<br />

Betrachten des Bildes eine ganz individuelle<br />

Reizüberflutung. Es kann viel<br />

besser Emotionen transportieren oder<br />

überhaupt emotionalisiert werden, da<br />

es eine sogenannte „Augenzeugenschaft“<br />

herstelle. Bilder seien glaubwürdiger,<br />

da man eher das glaubt, was<br />

man sieht als was man liest, denn „man<br />

vertraut ja seinen eigenen Sinnen.“ Dies<br />

nennt man den oben erwähnten Bildüberlegenheitseffekt.<br />

Durch Bilder bekomme<br />

man also wertvolle eigene Eindrücke,<br />

Emotionen, Assoziationen und<br />

bei manch einem/r wird die Phantasie<br />

angeregt. Auch könne dadurch eine<br />

Meinung transportiert werden oder<br />

eine Tendenz („visual bias“). Sie beeinflussen<br />

sozusagen dadurch, was man<br />

wie wahrnimmt, auch den später gelesenen<br />

Text. Die Textwahrnehmung wird<br />

also „geframed“, sozusagen in einen<br />

vom Journalisten bzw. von der Journalistin<br />

vorgefertigten Rahmen gesteckt.<br />

Wiederum ist es schwierig, den Kontext<br />

eines Artikels zu verstehen, wenn<br />

das angefügte, beschreibende Bild eine<br />

ganz andere Aussage vermittelt wie der<br />

Text. Brantner nennt dies die Bild-Text-<br />

Schere. Denn wenn das Bild nicht wirklich<br />

mit dem dazugehörigen Text übereinstimmt,<br />

ist das Verständnis recht<br />

schwierig. (Diesen Effekt kann man<br />

wahrscheinlich gut wahrnehmen, war<br />

das gewählte, additive Bild zu diesem<br />

Artikel doch ein Foto eines roten Porsches.<br />

Dies ist kein Text über schnelle<br />

Autos, wie man am Anfang hätte vermuten<br />

können, doch man war bis zu<br />

diesem Zeitpunkt dezent verwirrt über<br />

eben diese Bildauswahl.) Ein Bild und<br />

ein Text haben ja eine bestimmte Aussage,<br />

welche sich gegenseitig stützen<br />

soll. Bei der sogenannten Schere würde<br />

dies nicht berücksichtigt werden und<br />

52<br />

Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Druck?


© Copyright: adobe stock / Maksim Kabakou<br />

daher wäre es schwierig, die Botschaft<br />

zu verstehen und sich diese zu merken.<br />

Man könnte als Erklärung hierfür in die<br />

Cue-Summation-Theorie tauchen. „Diese<br />

besagt, dass multimodal präsentierte<br />

Informationen, also Informationen,<br />

bei denen Bild und verbaler (gesprochener<br />

oder geschriebener) Text kombiniert<br />

werden, besser erinnert werden, weil<br />

sie kognitiv besser verarbeitet werden.<br />

Werden etwa zu Texten Bilder hinzugefügt,<br />

haben wir mehr Lernhinweise. Das<br />

gilt aber nur, wenn die Modi aufeinander<br />

abgestimmt sind“, wie Brantner es<br />

beschreibt. Bilder sind assoziativ, man<br />

verbindet schnell das Gesehene mit<br />

dem, was man weiß. Die Kommunikationswissenschaftlerin<br />

bringt dazu ein<br />

treffendes Beispiel: „Angenommen, Sie<br />

sehen ein Foto von einem bestimmten<br />

Auto. Da wissen Sie gleich, dass die<br />

Farbe, die man sieht, ,rot´ heißt und es<br />

sich bei dem Auto um einen Porsche<br />

handelt, weil man das gelernt hat. Man<br />

merkt sich zu dem Foto also auch noch<br />

die Bezeichnungen.“ Eine der Theorien,<br />

mit welcher dieser Vorgang erklärt werden<br />

kann, ist die sogenannte „Dual-Coding-Theorie“.<br />

Diese besagt, dass Bilder<br />

und konkrete Texte doppelt im Gehirn<br />

abgespeichert werden, abstrakte Texte<br />

hingegen nur einmal. Wie das funktioniert,<br />

erklärt die Expertin so: „Ein Bild<br />

wird verbal und visuell abgespeichert.<br />

Die überwiegend duale Codierung von<br />

Bildern im Vergleich zu Worten führt<br />

dann zu besagtem Bildüberlegenheitseffekt,<br />

also dass Bilder einprägsamer<br />

und besser erinnerbar sind.“ Das heißt,<br />

dass man sich von dem Beispiel vorhin<br />

das Bild merkt und die dazugehörigen,<br />

beschreibenden Begriffe. „Man merkt<br />

sich ja nicht, dass man ein rotes Objekt<br />

gesehen hat, sondern dass es ein<br />

Auto der Marke Porsche ist.“ Natürlich<br />

entstünden beim Lesen auch Bilder im<br />

Kopf, bei lebhaften Texten mehr wie<br />

bei abstrakten. Doch diese seien der<br />

eigenen Imagination überlassen, mit<br />

welchen dazugehörigen Details man<br />

sich diese Kopfbilder vorstelle. Da greift<br />

dann aber auch wieder die Dual-Coding-Theorie:<br />

Abstraktes (ob Bild oder<br />

Text) merkt man sich einfach schlechter,<br />

da die erforderlichen Assoziationen<br />

fehlen.<br />

man selten das eine ohne das andere.<br />

Diese beiden treten meist gemeinsam<br />

auf und wirken dementsprechend auch<br />

aufeinander ein. Sie „stützen sich gegenseitig,<br />

machen sich interpretierbar,<br />

eindeutiger und verständlicher.“ Jedoch<br />

ist das Bild in seiner Bedeutung offen<br />

– das Wort hingegen ist festgelegt.<br />

Das Illustrierte wird einem als Amuse-<br />

Gueule serviert, welches einen zu der<br />

konzentrationserforderlichen Hauptspeise<br />

führt. Bilder ergänzen meist den<br />

Text, da die Sprache nicht immer ausreicht,<br />

um einen Sachverhalt korrekt<br />

beschreiben zu können. Jedoch haben<br />

Bilder zwar eine intendierte Bedeutung,<br />

aber das, was man mit dem Bild sagen<br />

will, und das, was der/die Rezipient/<br />

in schlussendlich aus dem Bild herausliest,<br />

sind zwei verschiedene paar<br />

Schuhe. Und auch mit Text kann etwas<br />

zwar beschrieben werden, er überlässt<br />

es aber einem/r selbst und der eigenen<br />

Imagination, sich den Sachverhalt<br />

genau vorzustellen. Man interpretiert<br />

zwar nach dem was man sieht, aber<br />

das, zum Beispiel in einer Bildunterschrift,<br />

additiv Geschriebene gibt vor,<br />

was man sehen soll. Denn erst der Einsatz<br />

von Text reduziert Ambivalenzen.<br />

Medientexte sind nur selten rein visuell,<br />

eher wird sich der Modus Text und das<br />

Modus Bild ergänzen. Somit gewinnt<br />

der multimodale Text die Schlacht.<br />

Alles nur Schein, aber kein Sinn?<br />

Doch ein stilles Bild ist immer noch ein<br />

Bild, welches auf die Darstellung eines<br />

Moments beschränkt ist. Eine Handlungsfolge,<br />

welche im geschriebenen<br />

Zustand eine ganz andere Geschichte<br />

erzählen könnte, kann somit mit Illustrationen<br />

schwer umgesetzt werden,<br />

da eben nur ein bestimmter Moment<br />

erfasst wird. Auch bei der Wahl des<br />

Bildmittels muss bedacht werden, dass<br />

dieses verschiedene Ansichtsweisen<br />

der RezipientInnen erreichen kann.<br />

Der Kampf zwischen Lichtschrift versus<br />

Text<br />

Als ein Synonym für Bild findet man<br />

den Begriff „Lichtschrift“, da durch eine<br />

Kamera sozusagen mit Licht geschrieben<br />

wird. Doch so schön es auch klingt,<br />

es stellt sich immer noch die Frage, ob<br />

lieber vermehrt auf das Bild- oder Textlastige<br />

gesetzt werden soll. Allgemein<br />

könnte man Text und Bild als Konkurrenzmodi<br />

bezeichnen, jedoch findet<br />

Cornelia Brantner / Copyright: Martin Stellnberger<br />

Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Thema Druck?<br />

53


© Copyright: adobe stock / metamorworks<br />

Nehmen wir die Farbstimmung als Beispiel:<br />

Ein Text kann noch so positiv verfasst<br />

sein, wird ein dunkles, mit wenig<br />

Intensität gewähltes Bild verwendet,<br />

mag der eine oder die andere denken,<br />

es handle sich um ein etwas düsteres<br />

Thema. Ginge es mehr ins Blaue,<br />

könnte es aber auch für Ruhe und Entspannung<br />

stehen. Tatsächlich ist unsere<br />

Farbwahrnehmung oftmals bereits<br />

durch unsere Sozialisierung und vor<br />

allem unsere Instinkte vordeterminiert,<br />

sodass wir automatisch verschiedenen<br />

Farbtönen verschiedene Assoziationen<br />

zuordnen. Und genau das macht das<br />

Phänomen Bild auch so eindrucksvoll,<br />

es kann ganz unvermittelt die unterschiedlichsten<br />

Gefühle in uns auslösen<br />

und uns somit unbewusst beeinflussen.<br />

Doch aus diesen Gründen könnte<br />

man auch das Bild als Verleumder und<br />

Lügner darstellen, das sagt jedenfalls<br />

der deutsche Dichter Ferdinand Avenarius,<br />

welcher dies schon bei Kriegsbildern<br />

und -propaganda des Ersten<br />

Weltkrieges bemerkt hatte. Doch das<br />

kann schon lange nicht mehr wirklich<br />

als richtig erachtet werden, lügen doch<br />

Personen – und nicht die Gegenstände.<br />

Lügen sollen eine Täuschung oder Irreführung<br />

einer/s anderen bewirken, so<br />

gesehen ist nicht alles Sein. Das Bild<br />

ist der Schein, aber dieser wird gerne<br />

durch den/die Retuscheur/in verändert,<br />

um den/die Betrachter/in zu täuschen.<br />

Es muss nicht also nicht der ganzen<br />

„Wahrheit“ entsprechen.<br />

„Papier ist geduldig, der Leser nicht“<br />

Man braucht nicht unbedingt Bildung<br />

für Bilder, um diese zu verstehen, wie<br />

es bei der Schrift der Fall ist. Der Zahn<br />

der Zeit nagt am Text und versucht ihn<br />

immer weiter einzukürzen. Plattformen<br />

wie „Facebook“ haben dazu nicht unwesentlich<br />

beigetragen, möchte man<br />

sich heutzutage doch meist sofort,<br />

wenn es einem danach ist, informieren<br />

können. Eine Nachricht muss kurz und<br />

knackig sein, aus einem Artikel soll man<br />

in einem Augenblick das wichtigste herauslesen<br />

können, am besten ein aussagekräftiges<br />

Bild als Unterstützung<br />

mitangeheftet. Doch stellt dies das<br />

Aus für die Printmedien dar? Cornelia<br />

Brantner ist nicht dieser Meinung, laut<br />

ihr werde der Lesemarkt für klassische<br />

Printmedien zwar kleiner und würden<br />

weniger gekauft werden, jedoch sieht<br />

sie Social Media nicht als Gefahr für<br />

journalistische Artikel an. Denn Social<br />

Media-Plattformen sind intermediär,<br />

das heißt, dass dort eine Vermischung<br />

von Öffentlichkeitsebenen passiert, sozusagen<br />

das Journalistische mit dem<br />

Privatem. Als Konkurrenz wäre es vielleicht<br />

in diesem Sinne anzusehen, da<br />

es einen Zeitabzug darstellt, denn „die<br />

Zeit, welche man auf Social Media verbringt,<br />

verbringt man eben nicht damit,<br />

einen Artikel eines Printmediums zu<br />

lesen“, so Brantner. Es zieht also Aufmerksamkeit<br />

auf sich und Nutzungsressourcen<br />

ab, jedoch soll es keine direkte<br />

Gefahr oder Schaden explizit für<br />

Magazine darstellen. Wo gerade von<br />

Magazinen gesprochen wird: Diese machen<br />

sich das Nutzerpotenzial dieser<br />

Plattformen zugunsten, um auch die<br />

jungen NutzerInnen auf sich aufmerksam<br />

zu machen. „Journalismus geht auf<br />

Social Media.“ Durch die entstandene<br />

Gratiskultur im Internet ist zwar eine<br />

Konkurrenz entstanden, da die RezipientInnen<br />

eher die kostenlose Onlineversion<br />

lesen, jedoch werden journalistische<br />

Texte nicht weniger gelesen, das<br />

Geschehen verlagert sich eher. Artikel<br />

auf solchen Plattformen werden meist<br />

mit einem ausdrucksstarken Bild und<br />

kurzen Text angeteasert, welcher auch<br />

den Link zum eigentlichen Medium beinhaltet.<br />

Gekommen, um zu bleiben<br />

Wenn man einen Blick in die Geschichtsbücher<br />

wirft, wird man entdecken,<br />

dass Bilder bereits 35.000 Jahre<br />

vor der Schrift erschienen sind. Man<br />

muss also schon bis zur analphabetischen<br />

Gesellschaft zurückgehen, um<br />

bildliche Darstellungen ganz ohne dazugehörigen<br />

Text in journalistischen<br />

Medien zu finden. „Mit der Digitalisierung<br />

ist auch ein Visualisierungsschub<br />

feststellbar – dies hat auch Auswirkung<br />

auf die journalistische Vorgehensweise.<br />

Studien zeigen, dass klassische Zeitungen<br />

mehr Bilder als früher verwenden“,<br />

konstatiert die Expertin. Sie ist der<br />

Auffassung, dass Bilder zwar auf dem<br />

Vormarsch seien, diese aber äußerst<br />

selten alleine stehen würden, es wird<br />

also immer etwas Multimodales geben.<br />

Der Text kann im Umkehrschluss<br />

auch beeinflussen, wie das Bild gelesen<br />

wird. Durch Bildunterschriften werden<br />

zum Beispiel auf dem Bild zu sehende<br />

Personen und Situationen beschrieben.<br />

Man befindet sich zwar im Zeitalter der<br />

Visualität, jedoch kommt man nicht<br />

ohne Sprache aus, nicht ohne Kontext<br />

und Text, in die die Bilder eingebettet<br />

sind.<br />

von Annika Schuntermann<br />

54<br />

Thema Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Druck?


Der Traum der europäischen<br />

Datensouveränität<br />

Beinahe jeder Mensch, der einen Computer besitzt, benutzt sie: Clouddienste.<br />

Die erfolgreichsten Anbieter dieser haben ihren Sitz in den USA.<br />

Dies führt nicht nur zu Bedenken bei PrivatverbraucherInnen, sondern vor<br />

allem bei Unternehmen. <strong>SUMO</strong> bat dazu Reinhard Posch, Chief Information<br />

Officer der Bundesregierung, sowie Helmut Leopold, Head of Center<br />

for Digital Safety & Security am Austrian Institute of Technology (AIT), um<br />

Auskünfte.<br />

In der EU wird Datenschutz nunmehr<br />

eine große Bedeutung zugeschrieben.<br />

Ständig aufflammende Diskussionen<br />

zur Thematik zogen auch die Datenschutzgrundverordnung<br />

der EU nach<br />

sich. Diese bedeutete für Nicht-Privatpersonen<br />

vor allen Dingen ein<br />

Überdenken des Schutzes ihrer zu<br />

verarbeitenden Daten. Dank des Safe-<br />

Harbour-Abkommens und später des<br />

EU-US-Privacy-Shields war das Speichern<br />

beziehungsweise Verarbeiten<br />

personenbezogener Daten auf Servern<br />

US-amerikanischer Unternehmen –<br />

trotz der sehr differenten Datenschutzrichtlinien<br />

in den USA – soweit kein<br />

Problem.<br />

Regelung für nichtig erklärt<br />

Dies änderte sich allerdings mit dem<br />

Erfolg einer Nichtigkeitsklage der irischen<br />

Datenschutzbehörde vor dem<br />

Europäischen Gerichtshof, ausgelöst<br />

durch den Datenschutzaktivisten Max<br />

Schrems. Helmut Leopold erklärt die<br />

Situation in der EU folgendermaßen:<br />

„Wenn man beliebig unsere personenbezogenen<br />

Daten, also Daten, die einen<br />

Rückschluss auf uns erlauben und uns<br />

negativ einschränken könnten, verwenden<br />

kann, dann ist unsere Freiheit<br />

bedroht. Wir haben uns als Gesellschaft<br />

diesen Wert der Freiheit sehr hoch gelegt<br />

und haben uns dafür die Bürde gegeben,<br />

dass wir vorsichtig sind, wie wir<br />

mit den Daten umgehen und so kommt<br />

es zum Datenschutzgesetz. In Europa<br />

können wir Daten einem Datenanbieter<br />

geben, und weil er dem Gesetz unterliegt,<br />

schaut das Gesetz darauf, dass<br />

meine Daten nicht missbraucht werden.“<br />

Auch für Reinhard Posch machte<br />

diese Entscheidung durchaus Sinn:<br />

„Die US-Gesetzgebung hat in diesem<br />

Zusammenhang nicht den Gedanken<br />

territorial gebunden zu sein. Das heißt,<br />

wenn eine Firma auch in den USA wesentliche<br />

Geschäfte tätigt, geht das<br />

US-Gesetz davon aus, dass diese Firma<br />

von den Gesetzen betroffen ist. Sprich,<br />

wenn Microsoft in Österreich, Amazon<br />

in Irland ein Servicezentrum hat, dann<br />

gehen die US-Gesetze davon aus, dass<br />

der Zugriff, sofern er notwendig ist, gegeben<br />

ist. Und das ist ein beachtliches<br />

Souveränitätsproblem.“ Aus dieser Entscheidung<br />

folgt, dass es nun nicht mehr<br />

legal ist, personenbezogene Daten auf<br />

Servern US-amerikanischer Anbieter zu<br />

speichern, selbst wenn diese ihre Server<br />

in Europa haben. Doch dies bedeutet<br />

in erster Linie nicht, dass das Speichern<br />

auf Servern dieser gar nicht mehr<br />

möglich ist. Leopold beschreibt das wie<br />

folgt: „Somit fällt der Default-Mechanismus<br />

weg, die amerikanischen Anbieter<br />

sind hier erstmal ausgeschlossen<br />

und wir brauchen Alternativlösungen.<br />

Da gibt es zwei Ansätze: Zum einen<br />

muss man verstehen, dass das Datenschutzgesetz<br />

ja nicht prinzipiell verbietet,<br />

Daten im Ausland zu speichern,<br />

nur der Default-Mechanismus gilt nicht<br />

mehr. Es ist nun nur jede/r verpflichtet<br />

dafür Sorge zu tragen, dass sich auch<br />

ausländische Serviceanbieter an unsere<br />

Datenschutzgesetze halten – solange<br />

es dort äquivalente Mechanismen<br />

gibt, die unserem Datenschutzgesetz<br />

entsprechen, können auch im Ausland<br />

Daten gespeichert werden. Zum anderen<br />

stimuliert die neue Regelung natürlich<br />

den Markt für europäische Anbieter.<br />

Dafür braucht es aber nun auch<br />

entsprechende Angebote von europäischen<br />

Serviceanbietern.“<br />

Souveränitätsproblem in Europa<br />

Posch beschreibt dieses Problem folgenderweise:<br />

„Wenn wir etwas auf<br />

die Cloud abbilden, haben wir zwei<br />

wesentliche Aspekte. Der eine ist der,<br />

dass Informationen irgendwo hingehen<br />

könnten. Das ist traurig und das ist für<br />

manche Bereiche auch problematisch.<br />

Das heißt, Inhalt ist das eine, aber was<br />

oft völlig übersehen wird ist die prinzipielle<br />

Bereitstellung. Wenn Sie ein<br />

© Copyright: adobe stock / kras99<br />

Der Traum der europäischen Datensouveränität Thema<br />

55


© Copyright: adobe stock / Bernulius<br />

Service über eine Cloud anbieten, dann<br />

kann der Cloud-Anbieter morgen sagen,<br />

dass er seine Dienste einstellt. Stellen<br />

Sie sich vor, Sie hätten die Einsatzservices<br />

von Polizei- und Gesundheitsdiensten<br />

in der Cloud und der Provider<br />

stellt seinen Dienst ein: Da steht der<br />

österreichische Gesundheitsdienst, die<br />

Exekutive, die Finanzverwaltung. Das<br />

bedeutet ein Souveränitätsproblem des<br />

prinzipiellen Bestandes und das Souveränitätsproblem<br />

der Geheimhaltung.“<br />

Die Revidierung des Privacy Shields<br />

eröffnet nun enorme Chancen für den<br />

europäischen Markt. Blicken wir auf die<br />

weltweiten Marktanteile von Cloudservice-Anbietern,<br />

fällt schnell auf,<br />

dass europäische Anbieter keine Rolle<br />

spielen. Umso dringender wird es, dass<br />

die europäische Wirtschaft Services für<br />

den europäischen Markt anbietet und<br />

die ihr gegebene Chance adäquat nutzt.<br />

Auch der Experte für digitale Sicherheit<br />

Leopold erkennt dieses Problem: „Somit<br />

gibt es den marktwirtschaftlichen<br />

Effekt, dass Anbieter im europäischen<br />

Raum hier keinen Nachteil, oder sogar<br />

einen Vorteil, haben. Weiters gibt es die<br />

Herausforderung für die europäische<br />

Wirtschaft. Es muss natürlich Angebote<br />

geben, sonst kann der/die Kunde/in<br />

diese nicht berücksichtigen. Da gibt es<br />

sicher einen Aufholbedarf Europas, da<br />

haben wir uns zu lange in Sicherheit gewogen.“<br />

Pläne zu genuin europäischen<br />

Clouddiensten<br />

Seit des Kippens des Abkommens zwischen<br />

EU und USA wird das Thema zu<br />

genuin europäischen Clouds brisanter.<br />

Eine datensouveräne Europäische Union<br />

würde viele Vorteile mit sich bringen.<br />

Vor allen Dingen würden die personenbezogenen<br />

Daten, beziehungsweise<br />

die Daten europäischer Personen und<br />

Unternehmen generell, das Hoheitsgebiet<br />

der EU nicht mehr verlassen.<br />

Dennoch stellt sich die Frage, ob eine<br />

Datensouveränität und Datensicherheit<br />

durch das alleinige Bestehen und<br />

Verwenden europäischer Anbieter bestehen<br />

würde? Reinhard Posch, Leiter<br />

der Plattform „Digitales Österreich“,<br />

erklärt am Beispiel von „WhatsApp“,<br />

warum Europa wesentlich abhängiger<br />

von internationalen Anbietern ist, als<br />

es am ersten Blick erscheint: „Möglicherweise<br />

verwenden Sie ‚WhatsApp‘<br />

oder ähnliche Dienste, dann werden<br />

Sie dort extrem hinters Licht geführt.<br />

Sie steigen ein und sehen, es ist Endezu-Ende-verschlüsselt<br />

und dass alles<br />

gewahrt ist. Sie können dann jemanden<br />

zu einem Gespräch auf ‚WhatsApp‘<br />

einladen, aber das macht natürlich die<br />

App und im Hintergrund der Server. Ob<br />

Sie jetzt davon informiert werden, dass<br />

noch jemand zu diesem Gespräch eingeladen<br />

wird, ist einzig und allein Entscheidung<br />

der App bzw. des Servers.<br />

Damit sehen Sie, dass auch bei solchen<br />

Diensten, wo Privacy ‚vorgetäuscht‘<br />

wird, durchaus solche Mechanismen<br />

eingesetzt werden könnten, wenn<br />

sich US-Behörden dazu entscheiden.“<br />

Auch Leopold betont, wie wichtig eine<br />

Datensouveränität wäre: „Darum ist<br />

das Thema digitale Souveränität eine<br />

der wichtigsten Aufgaben für unsere<br />

Grundwerte der Demokratie und für die<br />

wirtschaftliche Überlebensfähigkeit.“<br />

Dieses Phänomen, wie am Beispiel<br />

„WhatsApp“ beschrieben, lässt sich<br />

nun auch auf andere Dienste umlegen.<br />

Vor allem auf Kommunikationsdienste,<br />

aber auch auf andere Softwareprodukte,<br />

wie Betriebssysteme von Smartphone<br />

und Computer. Es ist fraglich, ob<br />

man von einer Datensouveränität sprechen<br />

kann, wenn man dennoch auf diese<br />

Dienste angewiesen ist: „Auf solche<br />

Dienste zu verzichten ist schwer. Können<br />

Sie auf Microsoft Office verzichten?<br />

Es gibt natürlich Papiere, wie man aus<br />

Clouds aussteigen kann, Diskussionen<br />

wie man die Abhängigkeit von Herstellern<br />

beherrschen könnte, aber das<br />

würde im Cloudbereich extreme Investitionen<br />

erfordern. Das würde bedeuten,<br />

dass man nur für die Verwaltung<br />

eine völlig eigene Infrastruktur aufbauen<br />

müsste und dann sind die Vorteile,<br />

welche die Cloud predigt, finanziell<br />

kompensiert. Wir schaffen es nicht,<br />

auf solche Services zu verzichten, wir<br />

müssen mit diesem Dilemma leben und<br />

dagegen kämpfen, vor allem auch auf<br />

europäischer Ebene. Auf europäischer<br />

Ebene haben wir natürlich die Problematik,<br />

dass die Einflussgeber auf Brüssel<br />

zu 50% aus Firmen des US-Bereichs<br />

stammen. Und damit wird es deutlich<br />

schwieriger“, hebt Posch hervor.<br />

Wie soll es weitergehen?<br />

Eine – zumindest gewisse – europäische<br />

Datensouveränität ist ein mehr<br />

als nur anstrebenswertes Ziel. Darin<br />

sind sich auch Leopold und Posch einig.<br />

Doch wie soll die Zukunft aussehen?<br />

Auch in Bezug auf Diskussionen zu Si-<br />

56<br />

Der Thema Traum der europäischen Datensouveränität


cherungsanordnungen, welche es EU-<br />

Behörden erlauben sollen, auf Daten in<br />

Clouds zuzugreifen, insofern eine ausreichende<br />

Begründung vorliegt. Helmut<br />

Leopold meint hierzu, dass die Behörden<br />

in den USA über ihr Ziel hinausgeschossen<br />

hätten, dass es hier in der EU<br />

einer besseren Lösung bedürfe: „Aber<br />

wir sollten in Europa eine vernünftige<br />

Lösung finden, wo einerseits die Behörde<br />

Möglichkeiten bekommt, andererseits<br />

aber nicht unsere Grundrechte<br />

unterbindet.“ Auch Reinhard Posch<br />

weist auf die Dringlichkeit des Datenschutzes<br />

hin: „Wenn die österreichische<br />

Verwaltung eine Cloud verwendet,<br />

muss die österreichische Verwaltung<br />

auch Herr der Identifikationsmechanismen<br />

der Cloud sein. Eine derartige<br />

Cloud gibt es aber nicht. Und genau das<br />

widerspricht der Idee des Cloud Acts,<br />

denn wenn Österreich wieder Herr der<br />

Identitäten ist, kann nicht mehr in die<br />

Daten hineingeschaut werden, kann<br />

z.B. ‚WhatsApp‘ nicht mehr jemanden<br />

einladen. Weil er die Identitäten nicht<br />

mehr managen kann.“ Es fehlt also<br />

noch einiges an Diskussion und Entwicklung<br />

in der EU, bevor die eigenen<br />

Ziele erreicht werden können und von<br />

einer europäischen Datensouveränität<br />

gesprochen werden kann.<br />

von Matthias Schnabel<br />

Reinhard Posch / Copyright: Reinhard Posch<br />

Helmut Leopold / Copyright: Picture-<br />

People-AIT<br />

Der Traum der europäischen Datensouveränität Thema<br />

57


Steckt der österreichische Film<br />

in der Krise?<br />

<strong>SUMO</strong> hat mit Arie Bohrer, Film Commissioner bei Location Austria und<br />

Jakob Pochlatko, Geschäftsführer und Produzent bei epo-film, über die<br />

derzeitige Situation in der österreichischen Filmlandschaft gesprochen.<br />

Thematisiert wurden die Besonderheiten von Österreich, der Förderbedarf<br />

und wie Koproduktionen bzw. Streaming dem österreichischen Markt<br />

helfen könnten.<br />

Philipp H., geboren 1966, beschreibt die<br />

Zeit der heimischen Filmrezeption, als<br />

„Netflix“ und Co. noch nicht mal als Idee<br />

existierten. Damals hätte es nur Fernsehen<br />

zu bestimmten Uhrzeiten gegeben<br />

und nicht rund um die Uhr, wie man es<br />

heute kennt. Filme in Farbe zu sehen<br />

war keine Selbstverständlichkeit. Auch<br />

die Kino-Erfahrung war eine andere.<br />

Besuchte man beispielsweise das Gartenbaukino<br />

in Wien, so kaufte man sich<br />

um 7,50 bis 15 Schilling (0,55 bis 1,10<br />

EUR) ein Kinoticket für beispielsweise<br />

Disney’s „Ein toller Käfer“ oder „James<br />

Bond 007 – Diamantenfieber“ mit Sean<br />

Connory. Zum Ticket kaufte man sich<br />

ein „Kinogramm“: Dadurch konnte man<br />

Informationen bekommen zu der Besetzung<br />

und dem Produktionsteam und<br />

Fotos aus dem Film, sowie zum Inhalt<br />

des Films – bei Filmen wie „James Bond“<br />

auch Auszüge aus einem Interview mit<br />

BBC zum Film. Ehe der Film startete,<br />

gab es auch schon Werbung, allerdings<br />

in einer anderen Form, etwa dass eine<br />

bekannte österreichische Modekette<br />

wie Fürnkranz eine Modeschau mit der<br />

neuesten Kollektion vorführte.<br />

Und heute? <strong>SUMO</strong> hat den Filmproduzenten<br />

und Geschäftsführer von<br />

epo-film Jakob Pochlatko gefragt, wie<br />

es mit der Filmlandschaft in Österreich<br />

momentan aussieht und ob die<br />

großen Hollywood-Filmschaffenden<br />

und Franchises wie Marvel und Disney<br />

ein Grund sein könnten, wieso österreichische<br />

Filme nicht mehr so häufig<br />

rezipiert werden. Es gebe grundsätzlich<br />

eine erkennbare Schere bei den Kinobesucherzahlen.<br />

Sehr viele Menschen<br />

nutzen wenige große Filme und die Zahl<br />

an kleineren Filmen, mit soliden Zuschauerzahlen,<br />

ginge stärker zurück. Der<br />

Hauptanteil der Kinofilmbesucher*innen<br />

beziehe sich auf die wenigen Großen und<br />

man könne bemerken, dass Franchise<br />

und eingeführte Marken gut funktionieren,<br />

erklärt Pochlatko. „Marken und große<br />

Blockbuster-Produktionen mit dem<br />

entsprechenden Werbebudget tun sich<br />

leichter und ziehen einen Großteil der<br />

Zuschaueraufmerksamkeit auf sich. Das<br />

ist im Kino sicherlich so, aber auf der anderen<br />

Seite im linearen Fernsehen etwas<br />

anders, als dass österreichische Inhalte<br />

schon sehr stark nachgefragt werden.<br />

Das sieht man nach wie vor bei den sehr<br />

guten Quoten im ORF oder mittlerweile<br />

auch bei ‚‚Servus TV‘, die sich nach wie<br />

vor auf regionale Inhalte konzentrieren<br />

und das kommt gut bei den Zuschauer*innen<br />

an.“<br />

Österreich hat filmtechnisch viel zu bieten.<br />

Um den (Film)Standort Österreich zu<br />

promoten, gibt es Location Austria. Als<br />

Unterabteilung der ABA (Austrian Business<br />

Agency), der staatlichen Agentur für<br />

Industrieansiedlung- und Wirtschaftswerbung,<br />

ist sie die erste Anlaufstelle<br />

für internationale Filmproduktionen, die<br />

in Österreich drehen wollen. Arie Bohrer,<br />

Film Commissioner bei Location Austria,<br />

erklärt, dass die Kontaktaufnahme telefonisch,<br />

über Mail, die Website sowie<br />

über das vorhandene Netzwerk internationaler<br />

Kontakte erfolgen könne. Die<br />

Kund*innen von Location Austria seien<br />

zahlreiche internationale Produktionen.<br />

Deutsche Produktionsfirmen hätten<br />

aufgrund langjähriger Kooperationen<br />

ohnehin schon Kontakte in Österreich,<br />

daher kämen die meisten internationalen<br />

Kontakte beispielsweise aus Amerika,<br />

Großbritannien, Indien, Ungarn oder<br />

auch Tschechien. Die Kontaktvermittlung<br />

zu den betroffenen Locations laufe<br />

in den meisten Fällen über Location<br />

Austria, aber es sei abhängig, wie viel<br />

die Produzent*innen vorab recherchiert<br />

hätten und ob schon ein Kontakt zu der<br />

Location aufgebaut sei.<br />

Das Besondere an Österreich<br />

Was den (Film)Standort Österreich attraktiv<br />

mache, seien die Infrastruktur,<br />

die Motive bzw. Settings und, neben diversen<br />

anderen Fördereinrichtungen, die<br />

Förderinstitution Filmstandort Austria<br />

(FISA), so Bohrer. Die Förderung durch<br />

FISA biete auch für Produktionen, die<br />

nach Österreich kommen und keine Koproduktionen<br />

sind (wobei auch Letztere<br />

FISA-Förderung erhielten), die Möglichkeit,<br />

dass 30% der in Österreich getätigten<br />

Ausgaben refundiert werden können,<br />

fügt der Film Commissioner hinzu.<br />

Er erzählt, dass Berge häufig nachge-<br />

58<br />

Thema Steckt der österreichische Film in der Krise?


fragt werden würden, genauso wie die<br />

Städte Wien und Salzburg, aber es gebe<br />

keine „Peaks“. Aber wo ein Produktionsteam<br />

letztendlich filmt, sei abhängig<br />

vom Inhalt. Auch der Filmproduzent von<br />

epo-film stimmt zu, dass Österreichs<br />

Landschaft einen Teil beitrage: „Ich glaube,<br />

es ist die Kombination aus Humor,<br />

Landschaft und Schauspieler*innen. Die<br />

Zuschauer*innen sehen gerne Dinge, die<br />

sich in ihren Lebenswelten abspielen. Da<br />

holt man Leute emotional anders ab.“ Die<br />

Identifizierung mit der Lebenswelt sei<br />

sehr relevant: „Wenn das eine Lebenswelt<br />

ist, mit der sie sich identifizieren<br />

können, also eine Kombination von bekannten<br />

Regionen und Schauspieler*innen<br />

mit Wiedererkennungspotential.<br />

Humor ist in jedem Land anders“. Er fügt<br />

hinzu, dass der österreichische Humor<br />

speziell sei, aber natürlich sehr gut beim<br />

österreichischen und erfreulicherweise<br />

auch beim deutschen Publikumankomme.<br />

Dass deutschsprachige Komödien<br />

gerne von österreichischen Zuseher*innen<br />

rezipiert werden, wird von der Statistik<br />

der erfolgreichsten Filme in Österreich<br />

2018 bestätigt. Zieht man alle<br />

deutschsprachigen Filme heran, so sind<br />

vier von sechs Filmen der Kategorie „Comedy“<br />

zugeordnet konstatieren das Österreichische<br />

Filminstitut, Rentrak 2020<br />

bzw. Statistik Austria.<br />

Location-Suche<br />

Um für Filmproduzent*innen eine passende<br />

Location zu finden, werde zuerst<br />

bei Location Austria besprochen, was<br />

nötig sei, dann eingekreist, präzisiert<br />

und definiert, um sich dann auf die Suche<br />

zu machen. Das Team von Location<br />

Austria mache ihren Klient*innen dann<br />

Vorschläge, fertige bei Passung Bilder<br />

an und wenn diese entsprächen, folgen<br />

meist Terminbesichtigungen. Location<br />

Austria vermittle Locationmanager*innen<br />

und Produktionsfirmen. Sollten Probleme<br />

außerhalb der Routine auftauchen,<br />

beispielsweise Genehmigungen<br />

von Filmmotiven wie Transportmittel<br />

oder Schlösser, aber auch schwieriger<br />

erwerbbare, dann schalte sich die Institution<br />

ein. „Wir versuchen, Probleme zu<br />

lösen, die auftauchen könnten im Rahmen<br />

von Motivverträgen und Verhandlungen<br />

bezüglich diverser Filmmotive.<br />

Da gibt es oft hohe Erwartungen und<br />

Behörden oder Privatpersonen als Eigentümer*innen.<br />

Wir schalten uns dann<br />

in die Verhandlungen ein, um zu einem<br />

positiven Ergebnis zu kommen.“<br />

Förderungen<br />

Neben der Vermittlung von Locations<br />

gibt es noch die oben erwähnte Förderung,<br />

die über die Film Commission mit<br />

abgewickelt wird und über die das Austria<br />

Wirtschaftsservice (AWS) beantragt<br />

werden kann. Die FISA-Förderung ist<br />

ein Zuschuss, der nicht zurückgezahlt<br />

werden muss. FISA fördert die Herstel-<br />

Jakob Pochlatko / Copyright: Getty Images<br />

Arie Bohrer/ Copyright: ABA / Julius Silver<br />

FISA Förderungsbeträge:<br />

• Nationale Förderungen: max. 20 %<br />

• Österreich.-ausländische Koproduktionen: max. 25 %<br />

• Internationale Produktionen: max. 30 %<br />

© Copyright: adobe stock / Maksym Yemelyanov<br />

Steckt der österreichische Film in der Thema Krise?<br />

59


lungskosten und je nachdem, ob es sich<br />

um eine nationale, internationale oder<br />

eine Koproduktion handelt, wird mit<br />

einem anderen Zuschussprozentsatz<br />

gerechnet. Als Bemessungsgrundlage<br />

dienen maximal 80% der Herstellungskosten.<br />

Um Fördergelder von FISA zu<br />

bekommen, muss ein/e Förderungswerber*in<br />

Qualifikationskriterien erfüllen.<br />

Die Auswahl der Kriterien werde<br />

von einem Beirat festgelegt und nach<br />

internationalen Maßstäben ausgerichtet.<br />

Eines der Kriterien ist beispielsweise,<br />

dass ein vergleichbarer Referenzfilm<br />

in Österreich oder einem anderen Staat<br />

des Europäischen Wirtschaftsraums<br />

(EWR) hergestellt und kommerziell verwertet<br />

wurde. „Wenn zum Beispiel jemand<br />

im Fernsehfilmbereich aktiv war<br />

und nicht im Kinofilmbereich, aber nachweislich<br />

gute Arbeit geleistet hat, dann<br />

werden selten, aber doch, Ausnahmen<br />

gemacht“, erklärt der Film Commissioner.<br />

Bei einer Sache sind sich Bohrer und<br />

Pochlatko einig und zwar, dass es noch<br />

Förderungsbedarf gebe. „Österreich ist<br />

bei weitem nicht gut aufgestellt. Wir<br />

brauchen mehr für die FISA-Förderung,<br />

für internationale Produktion, und es<br />

wäre gut, wenn man die Bereiche Video<br />

on Demand (Streaming) und Fernsehen<br />

in den Fördergeldern inkludieren könnte.<br />

FISA ist nur zuständig für Kinofilm<br />

und das ist eigentlich zu wenig“, findet<br />

Bohrer. Filmproduzent Pochlatko sieht<br />

das ähnlich: „Wo es auf jeden Fall noch<br />

Bedarf gibt, ist die österreichische Fernsehförderung<br />

in Form des Fernsehfonds<br />

Austria. Es ist ein wirkungsvolles Instrument,<br />

um Österreich als Film- und Wirtschaftsstandort<br />

für Filmproduktionen<br />

attraktiv zu machen. Nun ist es so, dass<br />

momentan einfach mehr im TV-Bereich<br />

produziert wird, und auch mehr PayTV<br />

und Streaming-Anbieter auf den Markt<br />

drängen. Dahingehend gehört der Fernsehfonds<br />

aufgestockt und angepasst.“<br />

Das Budget sei seit Jahren das gleiche<br />

und würde die Entwicklungen und<br />

Fernsehen nicht berücksichtigen. Dies<br />

wird auch von Statistiken des Österreichischen<br />

Filminstituts, des Filmfonds<br />

Wien, der RTR und von FISA bestätigt:<br />

Sieht man sich die Gesamtdotierung an,<br />

so sind die Fördergelder bis zum Jahre<br />

2015 gestiegen und betrugen rund<br />

82 Mio. Euro, im Vergleich dazu lag der<br />

Betrag immer zwischen 72 und 75 Mio.<br />

Euro in den letzten Jahren. Auch bei Kinoproduktionen<br />

sei die Frage, ob sich<br />

Förderungen auf wenige Produktionen<br />

fokussieren sollten und diese mit mehr<br />

Geld ausstatten, oder es so belässt wie<br />

es sei. Grundsätzlich seien höhere Förderungen<br />

wichtig, da die Produktionen<br />

immer teurer werden: „Die Kollektivverträge<br />

steigen, die Teammitglieder*Innen<br />

werden besser bezahlt, Produktionen<br />

werden teurer und dementsprechend<br />

müssen die Förderungen angepasst<br />

werden.“ Man könne sich mit höheren<br />

Fördertöpfen trauen, innovative Projekte<br />

anzugehen. Pochlatko merkt an,<br />

dass mehr Geld nicht das einzige Mittel<br />

sei, damit ein Film erfolgreicher werde:<br />

eine klare Ausrichtung auf ein breites<br />

Publikum oder etwa ein künstlerischanspruchsvoller<br />

Film für Festivals und<br />

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60<br />

Thema Steckt der österreichische Film in der Krise?


© Copyright: adobe stock / zef art<br />

internationale Anerkennung, - „im Idealfall<br />

eine Kombination aus beiden.“ Diese<br />

Grundsatzentscheidung müsse man<br />

sehr früh treffen. „Dann kann man mit<br />

den im Vergleich zu internationalen Studio-Produktionen<br />

budgetär beschränkten<br />

Produktionsmitteln in Österreich<br />

ein größeres Publikum erreichen.“ Der<br />

Produzent fügt hinzu, dass er das Fördersystem<br />

in Österreich als ein sehr gutes<br />

und im internationalen Vergleich gut<br />

ausgestattetes hält. Die relevanteste<br />

Förderung für die Filmherstellung daher<br />

sei laut Pochlatko die Herstellungsförderung:<br />

„In der Regel wird ein Drittel bis<br />

maximal die Hälfte aller Entwicklungen<br />

auch tatsächlich realisiert.“ Die Projektentwicklung<br />

erfolge zu großen Teilen mit<br />

eigenen Finanzierungsmitteln und somit<br />

mit eigenem Risiko. „Da wäre es schon<br />

gut, mit einem höheren Budget zu arbeiten<br />

– also auch höherer Förderung –,<br />

weil im Umkehrschluss dann die Möglichkeit<br />

bestünde, weniger Eigenmittel<br />

in die Produktion zu stecken. Dann hätte<br />

man weniger Druck, jeden Film, der in<br />

der Projektenwicklung steckt auch letztendlich<br />

zu produzieren.“ Deshalb wäre es<br />

wünschenswert, bereits in der Projektentwicklung<br />

die Möglichkeit zu haben,<br />

zumindest kleine Deckungsbeiträge zu<br />

erwirtschaften. Wenn man mehr Fördergeld<br />

für die Entwicklung hätte, so<br />

hätte man mehr Zeit und Ressourcen<br />

für eine ausführlichere Projektentwicklung.<br />

„Wenn man weniger Druck hat, die<br />

hohen Eigeninvestitionen zurückzuverdienen,<br />

hat man grundsätzlich die Möglichkeit,<br />

reifere Projekte zur Herstellungsförderung<br />

einzureichen“, erklärt<br />

Pochlatko. Denn: „Drehbücher brauchen<br />

oft lange.“ Als Beispiel nennt er eines, an<br />

dem sie seit knapp sechs Jahre arbeiteten<br />

und nun inhaltlich zufrieden seien,<br />

um es umzusetzen. Erfolgsrezepte gebe<br />

es keine. Krimis würden stark nachgefragt<br />

werden, aber man könne nicht<br />

immer nach einem „Schema F“ vorgehen:<br />

„Man muss sich da schon immer<br />

behutsam einem gewissen Innovationsprozess<br />

stellen, denn nur auf der Stelle<br />

treten wäre nicht zielführend.“ Bei einem<br />

Krimi müsse man dem Format treu<br />

bleiben, damit Zuseher*innen erkennt,<br />

worum es sich handelt. „Da muss man<br />

schon gewisse inhaltliche Rahmenbedingungen<br />

erfüllen, um dem Sendeplatz<br />

und dem Format gerecht zu werden.“<br />

Koproduktion und Streaming als Lösung<br />

am internationalen Markt<br />

Im Laufe des Gesprächs sind wir auch<br />

auf Koproduktionen eingegangen, beispielsweise<br />

den Film „Narziss und<br />

Goldmund“. „Der Film ist eine deutschösterreichische<br />

Koproduktion, die federführend<br />

aus Deutschland betrieben<br />

wurde und dann hat sich eine österreichische<br />

Produktionsfirma als Partner<br />

involviert.“ In Deutschland werde momentan<br />

viel produziert, sodass deutsche<br />

Anbieter nach Österreich blicken, um auf<br />

dem österreichischen Markt nach talentierten<br />

und etablierten Partnern zu suchen.<br />

Momentan seien österreichische<br />

Filmemacher*innen im Streaming, Pay<br />

TV-Diensten und im klassischen Fernsehen<br />

„hoch im Kurs“, erklärt Pochlatko.<br />

Um die österreichischen Beteiligten<br />

in einer Koproduktion hervorzuheben,<br />

hat der Filmproduzent folgenden Vorschlag:<br />

„Es würde möglicherweise schon<br />

helfen, wenn ein Film der zum größeren<br />

Teil aus Deutschland herausproduziert<br />

wird, man dann bei den Werbeankündigungen<br />

für den österreichischen Markt<br />

dazu sagt: vom österreichischen Filmemacher<br />

X.“ Sowohl im linearen Fernsehen<br />

als auch auf Streaming-Plattformen<br />

finde diese Nennung praktisch<br />

nicht statt. „Es gibt zum Beispiel jetzt die<br />

‚Netflix‘-Serie ‚Barbaren‘, bei der die Österreicherin<br />

Barbara Eder in den ersten<br />

vier Folgen Regie führte.“ Die Serie sei<br />

eine der erfolgreichsten nicht-englischsprachigen<br />

„Netflix“-Serien weltweit.<br />

„Doch es ist nicht Teil des Marketingkonzepts.<br />

In der Branche weiß man es,<br />

im breiten Publikum nicht.“ Die aktuell<br />

rege Produktionstätigkeit weltweit habe<br />

aber auch erschwerende Aspekte für die<br />

Produzent*innen in Österreich. „Es ist<br />

so, dass wir für unsere heimischen Produktionen<br />

österreichische Regisseur*innen<br />

oft nicht bekommen, weil sie schon<br />

bei deutschen Produktionen sind. Da<br />

muss man sehr frühzeitig, fast ein Jahr<br />

im Vorhinein reservieren.“ Global ausgerichtet<br />

sei das Filmgeschäft jedoch sehr<br />

spannend: „Es ist international gesehen<br />

interessant, dass jetzt durch die international<br />

agierenden Streaming-Angebote<br />

die Möglichkeit besteht, dass regionale<br />

Filme nun auch auf der ganzen Welt gesehen<br />

werden. Es gibt eine klare Aufgabenstellung<br />

von ‚Netflix‘, beispielsweise,<br />

dass österreichische Filme und Serien<br />

produziert werden, die auf der ganzen<br />

Welt verstanden werden können.“<br />

von Raphaela Hotarek<br />

Steckt der österreichische Film in der Thema Krise?<br />

61


Die Facetten der Angstlust<br />

Angstlust kann in etlichen Lebenssituationen erlebt werden. Im Zuge<br />

dieses Artikels hat <strong>SUMO</strong> es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl psychologische<br />

als auch kommunikationswissenschaftliche Aspekte dieses<br />

Phänomens zu beleuchten. Dazu wurden Gespräche mit dem Medien-,<br />

Kinder-, und Jugendpsychologen Christian Gutschi und Kommunikationswissenschaftler<br />

Univ.-Prof. Jürgen Grimm geführt.<br />

© Copyright: adobe stock / terovesalainen<br />

Das ganze Kino hält den Atem an, die<br />

Spannung steigt ins Unermessliche.<br />

Plötzlich passiert etwas Unerwartetes<br />

und alle schreien auf. Danach tritt<br />

pure Erleichterung ein und die RezipientInnen<br />

fühlen sich befreit. Spannung,<br />

Angst, Erschrecken, Neugierde<br />

oder auch „Thrill“ – dies sind alles Begriffe,<br />

die die Herzen von Horrorfans<br />

oder AnhängerInnen ähnlicher Genres<br />

höherschlagen lassen. Ein zentrales<br />

Element, das zum Genuss solcher<br />

Genres führen kann, ist die Angstlust.<br />

Laut dem „Online Lexikon für Psychologie<br />

und Philosophie“ kann Angstlust<br />

nur dann verspürt werden, wenn sich<br />

Personen freiwillig einer äußeren oder<br />

einer scheinbaren Gefahr aussetzen<br />

und stets die Hoffnung haben, dass es<br />

am Ende einen guten Ausgang geben<br />

würde. Die Kommunikationswissenschafterin<br />

Stefania Voigt beschreibt in<br />

ihrer 2018 erschienenen Studie „Blut<br />

ist süßer als Honig: Angstlust im Horrorfilm<br />

im Kontext von Medientheorie<br />

und Medienpädagogik“ Angstlust als<br />

„komplexe, zugleich antizipierende und<br />

rückbezügliche Bewertungsleistung<br />

mit prophetischer Struktur“. RezipientInnen,<br />

die Angstlust erleben wollen<br />

haben laut Voigt eine gewisse Erwartung<br />

an die Angstlust-Erfahrung. Das<br />

bedeutet, dass sich die RezipientInnen<br />

bewusst seien, dass sie Angst erleben<br />

werden, dies aber bewusst wollen.<br />

Anfänge der Angstlust-Theorie<br />

Der Psychoanalytiker Michael Balint hat<br />

sich bereits Ende der 1950er Jahre mit<br />

dem Phänomen auseinandergesetzt.<br />

Er beschreibt in seinem Werk „Angstlust<br />

und Regression“, dass es zum einen<br />

das oknophile und zum anderen das<br />

philobatische Verhalten bezüglich des<br />

Erlebens von Angstlust gibt. Bei der<br />

oknophilen Verhaltensweise geht es<br />

darum, dass eine Person das Bedürfnis<br />

nach Schutz und Zuneigung hat und<br />

sich an etwas oder jemanden klammert,<br />

was dieses Bedürfnis befriedigen<br />

könne, dennoch ist die permanente<br />

Angst vorhanden, diesen Schutz oder<br />

diese Zuneigung zu verlieren. Bei der<br />

philobatischen Verhaltensweise geht<br />

Balint davon aus, dass Personen darauf<br />

abzielen, sich von einem gewissen<br />

Objekt oder einer Person abzugrenzen.<br />

Sowohl bei der oknophilen als auch bei<br />

der philobatischen Verhaltensweise<br />

sieht Ballint ein und dieselbe Ursache –<br />

die Loslösung des „primären Urobjekts“.<br />

So sollen beide Verhaltensmuster ein<br />

Versuch sein, ein Trauma, das durch die<br />

Loslösung der Mutter in der Kindheit<br />

ausgelöst wurde, zu überwinden.<br />

Psychologische Sichtweise<br />

Der Wiener Kinder-, Jugend-, und<br />

Medienpsychologe Christan Gutschi<br />

unterscheidet im Gespräch mit <strong>SUMO</strong><br />

zwischen zwei Persönlichkeitstypen.<br />

Zum einen gebe es jene Personen, die<br />

bewusst nach angstauslösenden Reizen<br />

suchen würden, zum anderen gebe<br />

es eine Gruppe, die versuchen würde,<br />

Angst zu vermeiden oder diese sogar<br />

leugnen. Es gebe jedoch noch etliche<br />

verschiedene Abstufungen zwischen<br />

diesen Extremata. Es hänge vom jeweiligen<br />

Charakter eines Menschen,<br />

dessen Temperament oder auch von<br />

Vorerfahrungen ab, zu welchem Persönlichkeitstyp<br />

eine Person zuzuordnen<br />

sei. Angst und Lust hätten auf den<br />

ersten Blick eine paradoxe Verbindung,<br />

bei näherer Betrachtung jedoch ließe<br />

sich eine Verbindung erkennen. Angstlust<br />

sei keine neue Erscheinung, denn<br />

bereits in griechischen Mythen, bei<br />

denen beispielsweise die Angst vor den<br />

Göttinnen und Göttern thematisiert<br />

wird, seien Merkmale der Angstlust<br />

vorhanden. Angstlust könne hilfreich<br />

sein und dazu dienen, besser mit tatsächlichen<br />

Ängsten umzugehen und<br />

so eine Angstbewältigungsstrategie<br />

entwickelt werden. Es könne der Fall<br />

sein, dass Personen mit traumatischen<br />

Erlebnissen sich unbewusst ähnlichen<br />

Situationen, wie der erlebten Trauma-<br />

Situation, aussetzen und so versuchen<br />

würden diese Traumata zu bewältigen.<br />

Gutschi betont auch die Grenzen<br />

der Angstlust. So etwa, wenn Angst in<br />

62<br />

Thema Die Facetten der Angstlust


Panik oder Kontrollverlust umschlage<br />

– diese Empfindungen würden jedoch<br />

nicht mehr unter den Begriff der Angstlust<br />

fallen. Christian Gutschi kann bei<br />

der Thematik auch einen Suchtcharakter<br />

feststellen. Dies sei gegeben, wenn<br />

die Dosis immer mehr erhöht werden<br />

müsse und die Angstlust Erlebnissen<br />

eine stetige Steigerung bieten müssten.<br />

Dies vermöge unter anderem sogar<br />

zu einer Selbstgefährdung führen,<br />

wenn kleine angstauslösende Situationen<br />

beispielsweise keine Wirkung<br />

mehr hätten. Es sei außerdem wichtig<br />

zu erwähnen, dass nicht nur Erwachsene,<br />

sondern auch schon Kinder und Jugendliche<br />

Angstlust empfinden können.<br />

So wollen Kinder die Angst ebenfalls<br />

bewusst erleben. Dies sei beispielsweise<br />

der Fall, wenn ein vierjähriges Kind<br />

versuche, über einen Baumstamm zu<br />

klettern, es also lustvoll seine Selbstwirksamkeit<br />

entdecke. Bei Jugendlichen<br />

sei beispielsweise der Drang Mutproben<br />

zu absolvieren groß. Diese Mutproben<br />

ließen sich auch als eine Form<br />

der Angstlust betrachten und können<br />

jedoch bisweilen hilfreich sein, da sie<br />

zur Persönlichkeitsentwicklung beitrügen<br />

und die Jugendlichen so auch ihre<br />

Grenzen erfahren würden.<br />

Kommunikationswissenschaftliche<br />

Sicht<br />

Im Interview mit <strong>SUMO</strong> erläutert Univ.-<br />

Prof. Jürgen Grimm (Institut für Publizistik-<br />

und Kommunikationswissenschaft,<br />

Univ. Wien), welche Besonderheiten<br />

er beim Phänomen der Angstlust aus<br />

kommunikationswissenschaftlicher<br />

Sicht erkennen kann. Betrachte man<br />

beispielsweise RezipientInnen von Horrorfilmen,<br />

erkenne man, dass es weniger<br />

um ein Geborgenheitserlebnis, als<br />

vielmehr um eine Art Mutprobe gehe.<br />

Hierbei gelte die „Angstkontroll-These“.<br />

Diese sei der Angstlust nahe, dennoch<br />

müssten Unterscheidungen getroffen<br />

werden. Es ginge nicht darum, sich in<br />

die Angst fallen zu lassen, wie Balint<br />

dies bereits 1959 skizziert hat, sondern<br />

um die Kontrolle der Angst. Es sei also<br />

nicht die Lust an der Angst, sondern<br />

die Lust an dem Erlebnis, dass man<br />

die Angst kontrollieren kann. Auch aus<br />

kommunikationswissenschaftlicher<br />

Sicht sei laut Grimm das Auftreten von<br />

Suchterscheinungen bei solchen Erlebnissen<br />

möglich. Einzelne könnten in der<br />

Konfrontation mit dem Schrecklichen,<br />

die das Kontrollmotiv bedient, einen<br />

mehr oder weniger starken Drang verspüren,<br />

dieses Erlebnis immer häufiger<br />

durchlaufen zu müssen. Dies sei insbesondere<br />

dann der Fall, wenn die Fähigkeit,<br />

Angst zu kontrollieren, durch Horrorfilme<br />

nicht wirklich steigt. Genau an<br />

diesem Punkt sei der Drang nach einer<br />

Die Facetten der Angstlust Thema<br />

63


höheren Dosis stark. Unter gewissen<br />

Bedingungen kann Horrorfilmkonsum<br />

auch zu einer Gefahr werden, erklärt<br />

Jürgen Grimm. Einige wenige – und<br />

das seien Ausnahmen – werden durch<br />

Horrorfilme tatsächlich zu Gewalttaten<br />

inspiriert. Solche Gewalttaten würden<br />

beispielsweise ausgeübt, wenn es zu<br />

einer Frustration im Bestreben, mit der<br />

eigenen Angst umgehen zu können,<br />

kommt. Es sind also in der Regel keine<br />

Nachahmungstaten, die von Horrorfilmen<br />

inspiriert werden. Vielmehr sind<br />

Fälle von Gewalttaten viel eher darauf<br />

zurückzuführen, dass die TäterInnen<br />

ein Angstproblem haben und dieses<br />

versuchen, mit einer Tat zu lösen. In<br />

erster Linie gehe es laut Grimm darum,<br />

ob RezipientInnen in der Lage sind, mit<br />

der Angst umgehen zu können. Die große<br />

Mehrheit der HorrorfilmseherInnen<br />

leiste das mit großer Souveränität. Er<br />

unterstreicht, dass, wie oben bereits<br />

erwähnt, das Motiv nicht Lust an der<br />

Angst, sondern der Genuss der Angstkontrolle<br />

sei. Vor allem Kinder und<br />

Jugendliche zwischen 12 und 16 rezipierten<br />

besonders häufig Horrorfilme.<br />

Dies könne damit erklärt werden, dass<br />

in diesem Alter Angst und Unsicherheit<br />

größer werden. Daraus ergebe sich ein<br />

Bedarf, sich Angstbewältigungsstrategien<br />

zurechtzulegen. Die Jugendlichen<br />

streben nicht danach Angst zu haben,<br />

sondern diese kontrollieren zu können.<br />

Daher sieht Grimm den Begriff<br />

der Angstlust als problematisch an und<br />

spricht vielmehr von Angstmanagement<br />

und Angstkontrolle.<br />

Ausblick<br />

Die Kommunikationswissenschaft und<br />

die Psychologie haben Erklärungen<br />

geliefert, weshalb es zum Genuss von<br />

Horrorfilmen kommen kann. Ob man<br />

das nun Angstlust nennt oder einen anderen<br />

Begriff verwendet, die dahinterstehenden<br />

Phänomene gibt es schon<br />

seit vielen Jahrhunderten. Mythen und<br />

Sagen über Göttinnen und Götter sind<br />

hierfür ein Beispiel. Doch auch in Zukunft<br />

wird die Faszination von Verbrechen<br />

und anderen angstbetonten Darstellungen<br />

fortbestehen. Das lasse sich<br />

– so erläutert Jürgen Grimm – schon<br />

daran ablesen, dass Crime-Formate im<br />

Fernsehen die größte Unterhaltungssparte<br />

darstellen und die Nachfrage<br />

auch im Netflix-Zeitalter immer weiter<br />

wächst.<br />

von Viktoria Strobl<br />

© Copyright: adobe stock / Mongkolchon<br />

64<br />

Die Thema Facetten der Angstlust


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65


Man nehme einen Goldesel…<br />

oder etwa nicht? Europäische<br />

Filmfinanzierung<br />

„Das wäre der perfekte Inhalt für den nächsten europäischen Blockbuster.“<br />

Das dachten sich möglicherweise bereits viele. Doch wie finanziert<br />

man so ein Vorhaben? <strong>SUMO</strong> diskutierte mit Esther Krausz, österreichische<br />

Ansprechpartnerin für „Creative Europe – MEDIA“, und Paul Clemens<br />

Murschetz, Privatdozent und Medienökonom, über die unterschiedlichen<br />

Varianten.<br />

Wer kennt es nicht – die perfekte Filmidee<br />

spielt sich buchstäblich wie in<br />

einem Film vor dem inneren Auge ab,<br />

zumindest als Traum. Wenn man dann<br />

bedenkt, dass laut einer Studie der<br />

Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle<br />

(2018) für die Herstellung<br />

eines auf europäischer Ebene gezeigten<br />

Kinospielfilms im Jahr 2016 im<br />

Durchschnitt mehr als 3 Millionen Euro<br />

ausgegeben wurden, dann stellen sich<br />

die Fragen: Was tun, um diesen Traum<br />

zu verwirklichen und über die Landesgrenzen<br />

bekannt und erfolgreich zu<br />

machen? Mit den zahlreichen Förderformen<br />

– von direkter und indirekter<br />

Förderung über Product Placement und<br />

Crowdfunding – werden eine Bandbreite<br />

an Wegen geboten, um ein Vorhaben<br />

zu realisieren. Doch wie wichtig sind die<br />

einzelnen?<br />

Bei dem Instrumentarium der Förderung<br />

würden zwei Attribute im Fokus<br />

stehen: Effizienz und Effektivität, so<br />

Murschetz. „Institutionen der öffentlichen<br />

Filmförderung“ würden diese<br />

Prinzipien in die Praxis umsetzen, um<br />

eine Finanzierungsgrundlage für ProduzentInnen<br />

zu schaffen sowie Filmökosysteme<br />

insgesamt zu stärken.<br />

Die direkte, öffentliche Filmförderung<br />

Die „klassische“ Variante ist die direkte,<br />

öffentliche Filmförderung. Auf europäischer<br />

Ebene ist „Creative Europe“<br />

die Ansprechorganisation in solchen<br />

Belangen. Das aktuelle Programm,<br />

welches mit 2020 endet, unterteile<br />

sich in die Unterbereiche „Culture“ und<br />

„MEDIA“, so Esther Krausz. Mit ihrem<br />

umfangreichen Kontingent an 13 Förderschienen<br />

– etwa „TV-Koproduktion“,<br />

„Projektentwicklung“ und „Verleih“ –<br />

würde „Creative Europe – MEDIA“ das<br />

Ziel verfolgen, den europäischen Film<br />

vor allem in Bezug auf die amerikanische<br />

Konkurrenz zu kräftigen, erläutert<br />

Krausz. Darüber hinaus würde „Creative<br />

Europe – MEDIA“ mit Trainingsangeboten<br />

unter anderem die Qualifikationen<br />

der einzelnen AkteurInnen fördern. Bei<br />

der Vergabe der Förderungen werde vor<br />

allem auf die sogenannte „Europäische<br />

Relevanz“ geachtet werden. Krausz erklärt,<br />

dass Gründe aufgezeigt werden<br />

müssen, die unterstreichen, wieso beispielsweise<br />

ein Film „für ein europäisches<br />

Publikum interessant ist“. Dieser<br />

Aspekt müsse inhaltlich, aber auch auf<br />

Arbeitslevel belegt werden, denn es<br />

„muss immer eine Zusammenarbeit<br />

mit Menschen, Firmen oder Organisationen<br />

in anderen europäischen Ländern“<br />

geben. Darüber hinaus solle die Zielsetzung<br />

der Initiative erfüllt werden. Als<br />

Vorteile einer solchen europaweiten<br />

Förderinstitution sieht Krausz mehrere<br />

Aspekte, die ineinandergreifen. Unter<br />

Esther Krausz / Copyright: Privat<br />

Paul Clemens Murschetz / Copyright: Privat<br />

66<br />

Man Thema nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung


© Copyright: adobe stock / photoniko<br />

anderem könne durch ein gemeinsames<br />

Arbeiten der Staaten ein höheres<br />

Kapital generiert werden. Im Zuge dessen<br />

könne der Film wiederum auch an<br />

ein breiteres Publikum vertrieben werden.<br />

Murschetz sieht hierbei die „Europäische<br />

Integration“ und „Europa als<br />

Wertekontinent“ im Vordergrund, um<br />

„sozusagen im Sinne der Integration<br />

die gemeinsamen Werte Europas zu<br />

stärken“. Des Weiteren würde hier ein<br />

höherer Geldbetrag zur Verfügung stehen<br />

und dies sei vorwiegend für eher<br />

größere Projekte von Vorteil. Allerdings<br />

würden aber ebenso „kleinere, künstlerisch<br />

qualitativ wertvolle Produktionen“<br />

realisiert werden.<br />

Ein Programm mit dieser Reichweite<br />

müsse auch zugänglich gegenüber kritischen<br />

Stimmen sein, so Krausz. Sie erläutert,<br />

dass unter anderem der Aspekt<br />

der „Fairness“ genannt werde, sprich<br />

ob alle Staaten dieselben Möglichkeiten<br />

auf finanzielle Unterstützung haben.<br />

Hier habe „Creative Europe – ME-<br />

DIA“ mit einem „System der positiven<br />

Diskriminierung“ entgegengesteuert,<br />

um diese Fairness zu erreichen. „Einen<br />

weiteren Verbesserungsbedarf gibt es<br />

bei der Förderung für Nachwuchs“, da<br />

dieser es schwieriger hätte, Fördermittel<br />

zu erhalten. Da das Programm über<br />

eine Dauer von sieben Jahren verfügt,<br />

stellt sich auch die Frage, wie flexibel es<br />

agieren kann. Krausz erzählt, dass die<br />

Eckpunkte des Programmes definiert<br />

seien, Erfahrungen aber gezeigt hätten,<br />

dass es möglich sein müsse, spontaner<br />

zu reagieren.<br />

Murschetz konstatiert, dass im europäischen<br />

Kontext die positiven klar die<br />

negativen Aspekte dominieren würden.<br />

Darüber hinaus jedoch kristallisierten<br />

sich in seiner Forschungsarbeit „State<br />

Aid for Film and Audiovisual Services.<br />

A Synoptic Review of Key Principles<br />

and Governance Models in Europe and<br />

Abroad“, den Murschetz gemeinsam<br />

mit dem Direktor des Österreichischen<br />

Filminstituts Roland Teichmann (2019,<br />

unter Mithilfe von Sameera Javed) verfasste,<br />

die Nachteile eines direkten Förderungsmodells<br />

heraus. Hierbei liegen<br />

die negativen Argumente unter anderem<br />

bei der bürokratischen Verwaltung,<br />

der zu geringen Innovationsförderung,<br />

zu niedrigen Filmförderbudgets sowie<br />

in der Tatsache begründet, dass direkte<br />

Modelle zu Anpassungen im Sinne des<br />

sich verändernden Marktes nur begrenzte<br />

Wirkung zeigen.<br />

Ein Ausblick auf die nächste „Creative<br />

Europe“-Laufzeit bietet laut „creativeeurope.at“<br />

neue Themenkernpunkte,<br />

wie etwa „Green Filming“, „Innovatives<br />

Storytelling“ oder die Förderung des<br />

Streaming-Bereiches, aber auch bestehende<br />

sollen weitergeführt werden.<br />

Man nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung Thema<br />

67


(Anm.: Ausführlichere Informationen<br />

waren zu Redaktionsschluss noch nicht<br />

verfügbar.)<br />

Die Alternativen<br />

Darüber hinaus gibt es noch andere<br />

Möglichkeiten ein Filmvorhaben in die<br />

Tat umzusetzen. Neben der direkten,<br />

die indirekte Förderung. Neben öffentlicher,<br />

die private. Doch was steckt dahinter?<br />

Bei der indirekten Förderung<br />

handelt es sich um Steuererleichterungen<br />

bei Filmproduktionen sowie<br />

Vergünstigungen im Rahmen dessen<br />

Einzelpersonen oder Unternehmen<br />

in förderfähige Filmproduktionen investieren<br />

und diese Investitionen mit<br />

einer bestehenden Steuerschuld verrechnen<br />

können, erklärt Paul Clemens<br />

Murschetz. So würden Kosten eingespart<br />

werden können. Er führt weiter<br />

aus, dass dieses System ebenso eingesetzt<br />

werden würde, um Investoren<br />

in ein Förderland oder ein Gebiet zu locken.<br />

Beispielsweise kommen indische<br />

Filmproduktionsunternehmen für einen<br />

Dreh in die Schweiz, um das Bergpanorama<br />

einzufangen. Dort würden die<br />

internationalen Zusammenarbeiten<br />

zwischen den indischen und schweizerischen<br />

Unternehmen von der Schweiz<br />

unterstützt werden, so Murschetz. Als<br />

negativen Aspekt sei es allerdings im<br />

Zuge dessen zu einem regelrechten<br />

„Filmproduktionstourismus“ gekommen,<br />

wie beispielsweise in den USA<br />

zu beobachten gewesen sei, erläutert<br />

Murschetz. Dies hätte auch dazu geführt,<br />

dass sich Unternehmen nur für<br />

die Dauer der geförderten Produktion<br />

eben in den Regionen angesiedelt hät-<br />

ten, die diese Erleichterungen vorsehen<br />

und keinen nachhaltigen Aufbau einer<br />

Filminfrastruktur in den Förderregionen<br />

nach sich gezogen hätte.<br />

Bei einer von vielen privaten Investitionsformen<br />

handelt es sich um Product<br />

Placement. Laut dem „Gabler Wirtschaftslexikon“<br />

bezeichnet der Ausdruck<br />

im Generellen ein Instrument der<br />

Werbung, bei dem Waren von Marken<br />

bewusst als Ausstattungsgegenstände<br />

„in die Handlung eines Spielfilms“<br />

integriert werden. In der Medienwirtschaft<br />

wird dies gegen Bezahlung eingesetzt,<br />

um den Verkauf zu steigern, so<br />

das „Gabler Wirtschaftslexikon“. Daraus<br />

lässt sich schlussfolgern, dass neben<br />

den werbenden Unternehmen eben<br />

auch die Filmproduktionsfirmen davon<br />

profitieren. Laut Krausz könne dies ein<br />

bedeutsamer Aspekt der Finanzierung<br />

sein, der in Europa allerdings noch nicht<br />

so präsent sei. Private Investitionen im<br />

Allgemeinen werde in Europa nicht so<br />

sehr genutzt, allerdings sei unter anderem<br />

Frankreich hier ein Vorreiter.<br />

Eine weitere Alternative ist das „Film/<br />

Fernseh-Abkommen“ des ORF. Laut<br />

„filminstitut.at“ wird durch diese Initiative<br />

die Herstellung von österreichischen<br />

Kinofilmen gefördert. Hierbei<br />

handelt es sich um eine „Mit-Finanzierung“,<br />

welche an einige Bedingungen,<br />

beispielsweise der Bestätigung zur<br />

Förderung durch das Österreichische<br />

Filminstitut geknüpft ist. Des Weiteren<br />

muss unter anderem das ORF-Gesetz<br />

eingehalten werden. (vgl. <strong>SUMO</strong> 36:<br />

Steckt der österreichische Film in der<br />

Krise?)<br />

Aber auch Crowdfunding ist eine Mög-<br />

© Copyright: adobe stock / Tomasz Zajda<br />

68<br />

Man Thema nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung


lichkeit, einen Film zu finanzieren.<br />

Krausz sagt diesbezüglich, dass dies<br />

beispielsweise abhängig von der Art,<br />

dem Umfang sowie der Zielsetzung des<br />

Filmes sei. Des Weiteren sagt sie, dass<br />

es vorwiegend als „Marketinginstrument<br />

gut funktioniert“ hätte. Laut Murschetz<br />

eigne sich dies vorwiegend „für<br />

sehr kleine und kleinere Produktionen“,<br />

dabei erfülle privates Crowdfunding<br />

ebenso eine Filmförderungsfunktion.<br />

Es sei zumindest eine gute Strategie,<br />

sie ergänzend zur staatlichen Filmförderung<br />

anzuwenden.<br />

Die Bedeutung der einzelnen Fördermaßnahmen<br />

Die bereits angesprochene Studie der<br />

Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle<br />

(2018) zeigte auf, dass mit<br />

29% die „direkte öffentliche“ Filmförderung<br />

in 2016 die bedeutendste Finanzierungsmöglichkeit<br />

war, dicht gefolgt<br />

von „Investitionen von Rundfunkveranstaltern“<br />

(25 %). Darüber hinaus zählen<br />

zu den Top 5: investiertes Kapital durch<br />

ProduzentInnen, „steuerliche Anreize“<br />

(sprich: indirekte Förderung) sowie sogenannte<br />

„Vorabverkäufe“.<br />

Murschetz konstatiert diesbezüglich,<br />

dass die direkten Förderinstitutionen<br />

auf Grund des geschichtlichen Hintergrunds<br />

sehr bedeutend seien, „vor allem<br />

in den korporatistisch geprägten<br />

Medienlandschaften Europas“. Als Beispiel<br />

führt er Frankreich, Schweden und<br />

Österreich an. Aber auch den indirekten<br />

Förderungen sei ein hoher Stellenwert<br />

zuzuschreiben und habe in „letzter<br />

Zeit“ in der Frage der Relevanz sowie<br />

„mittlerweile“ im Punkt des Umfanges<br />

die direkten Fördermittel überholt.<br />

Insbesondere für größere, länderübergreifende<br />

Projekte sollte es verstärkt<br />

„internationale Kooperationen in Richtung<br />

Anreize und Förderinstrumente<br />

indirekter Natur“ geben, wie sie „Creative<br />

Europe – MEDIA“ betreibt. Des Weiteren<br />

sei es bei der Entscheidung, ob<br />

direkt oder indirekt, wichtig die beiden<br />

Möglichkeiten auf unterschiedlichen<br />

Ebenen zu vergleichen, sowie sich die<br />

Frage zu stellen: „Was sind die Stärken<br />

und Schwächen dieser jeweiligen Instrumente<br />

und Maßnahmen in Bezug auf<br />

den Filmerfolg insgesamt“, erläutert der<br />

Medienökonom.<br />

Laut Esther Krausz gebe es in Europa<br />

vor allem in den privaten Finanzierungsmodellen<br />

„Potential“, welches<br />

noch stärker genutzt werden sollte.<br />

Ebenso sei laut Krausz vor allem durch<br />

Krisensituationen unklar, wie sich die<br />

Finanzierungsmodelle entwickeln werden.<br />

Auch Murschetz betont, dass die<br />

aktuelle Krise möglicherweise „einen<br />

Zündeffekt hat sozusagen, die Filmfördersysteme<br />

insgesamt umzudenken.“<br />

Die Entscheidung der Wahl der Förderinstrumente<br />

werde nicht mehr genug<br />

sein, sondern neue Überlegungen, beispielsweise<br />

„wie messe ich überhaupt<br />

den Erfolg von Filmförderung an sich“,<br />

würden notwendig werden. Der Erfolg<br />

an der Kinokasse allein wird längst<br />

nicht mehr genügen.<br />

von Simone Poik<br />

NeuerJob?<br />

medienjobs.at<br />

die Jobbörse für Medienschaffende<br />

Man nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung Thema<br />

69


Kaufen oder nicht kaufen?<br />

- Testmagazine verraten<br />

es uns<br />

Sich zwischen 300 unterschiedlichen Optionen für das beste Produkt zu<br />

entscheiden, stellt für KäuferInnen oft eine Herausforderung dar. Testungen<br />

durch spezifische Magazine können hier Licht ins Dunkel bringen.<br />

Ob und warum diesen vertraut werden kann und welche Auswirkung<br />

ein Testergebnis auf das Kaufverhalten hat, ging <strong>SUMO</strong> im Interview mit<br />

Christian Kornherr, Bereichsleiter für Untersuchungen beim Testmagazin<br />

„KONSUMENT“, sowie dem deutschen Neuropsychologen Hans-Georg<br />

Häusel auf den Grund.<br />

© Copyright: adobe stock / iracosma<br />

Bei Kaufentscheidungen verlassen wir<br />

uns gerne auf eigene Erfahrungen oder<br />

Empfehlungen. Sind keine vorhanden,<br />

wird der Bewertung eines Testmagazins<br />

umso mehr Beachtung geschenkt. Mit<br />

Fakten, Zahlen und einer Gesamtnote<br />

im Schulnotensystem werden Produkte<br />

in Kategorien wie Sicherheit, Inhaltsstoffe<br />

oder Preis-Leistungs-Verhältnis<br />

getestet und verglichen. VerbraucherInnen<br />

erhalten dadurch einen neutralen<br />

Überblick, welche Dienstleistungen<br />

und Produkte angeboten werden. Dem<br />

Neuromarketing-Experten Häusel zufolge<br />

spielen Testmagazine auch aus<br />

psychologischer Sicht eine wichtige<br />

Rolle, „weil wir bei Kaufentscheidungen<br />

immer in Unsicherheit leben und Unsicherheit<br />

mag unser Gehirn nicht so<br />

gerne. Deswegen sind Testurteile von<br />

so großer Bedeutung für die Leute, weil<br />

sie damit Komplexität und Unsicherheit<br />

reduzieren können.“ Zusätzlich komme<br />

es beim Kauf eines „Testsiegers“ zu<br />

einer Belohnung: Das Gefühl das Beste<br />

gekauft zu haben wirke sich positiv auf<br />

unser Dominanzsystem aus, unser System<br />

für Macht und Selbstachtung.<br />

Was hinter Testmagazinen steckt<br />

Hinter „KONSUMENT“ steht der gemeinnützige<br />

Verein für Konsumenteninformation<br />

(VKI). Seit 60 Jahre veröffentlicht<br />

„KONSUMENT“ an die 1.000<br />

Produkte jährlich. Im Interview erklärt<br />

Kornherr, dass der VKI keineswegs allein<br />

alle veröffentlichten Tests durchführe.<br />

Der Verein gehört zusammen<br />

mit ungefähr 40 weiteren Organisationen<br />

zu einer internationalen Testgemeinschaft<br />

namens International<br />

Consumer Research and Testing (ICRT).<br />

„Es hätte wenig Sinn, wenn wir Smartphones,<br />

Notebooks und alles was globale<br />

Produkte und Produktion betrifft,<br />

als Österreich einzeln testen“, meint<br />

Kornherr. Es sei weder finanziell erschwinglich<br />

noch zielführend, dass 40<br />

Organisationen dasselbe Produkt unter<br />

die Lupe nehmen. Die Zielgruppe von<br />

„KONSUMENT“ sind prinzipiell alle ÖstereicherInnen.<br />

Nach den Bedürfnissen<br />

dieser LeserInnen richtet sich auch die<br />

Auswahl der untersuchten Produkte.<br />

Unterschieden wird nach mehreren<br />

Kategorien wie Gebrauchsgüter (etwa<br />

Waschmaschinen), Mediengeräte wie<br />

Smartphones, Fernseher und Co., sowie<br />

auch Lebensmittel, wo zum einen<br />

Grundnahrungsmittel wie Milch und<br />

Brot und zum anderen aktuelle Trends<br />

wie vegane Burger untersucht werden.<br />

Außerdem getestet wird in den Bereichen<br />

Gesundheit, Beratung und Finanzdienstleistungen.<br />

Der Vorfall Ritter Sport<br />

Die wohlbekannte „Testsieger“-Auszeichnung<br />

der Stiftung Warentest<br />

führt nicht selten zu zweistelligen Zuwachsraten.<br />

Kommt es aber zu einem<br />

schlechten Qualitätsurteil, kann dies<br />

von Umsatzrückgängen über Imageschädigung<br />

bis hin zu einer Krise der<br />

Marke führen. Zu so einem Vorfall kam<br />

es 2014 zwischen der deutschen Stiftung<br />

Warentest und dem Schokoladen-Hersteller<br />

Ritter Sport. Die Sorte<br />

Vollmilch-Nuss wurde mit „mangelhaft“<br />

bewertet, nachdem der chemisch<br />

erzeugte Aromastoff Piperonal darin<br />

gefunden wurde, welcher nicht auf der<br />

Verpackung angeschrieben war. Den<br />

folgenden Rechtsstreit verlor die Stiftung<br />

Warentest gegen Ritter Sport, laut<br />

„Horizont“ (25.9.2014). Daraus lässt<br />

sich schließen, dass auch seriöse Testmagazine<br />

nicht unfehlbar sind.<br />

Um unglückliche Vorfälle dieser Art zu<br />

vermeiden, kommt beim VKI ein Qualitätsmanagementsystem<br />

zum Einsatz.<br />

Kornherr, der Bereichsleiter für Untersuchungen,<br />

erklärt, dass jedes Produkt<br />

eine Nummer erhalte, die vom Einkauf<br />

bis zur Testveröffentlichung dieselbe<br />

70<br />

Thema Kaufen Wenn private oder nicht Daten kaufen? in den - Medien Testmagazine landen verraten es uns


leibe. Damit könne jede Aktion – prüfen,<br />

lagern oder auch nur fotografieren<br />

– dokumentiert werden. Somit sei gut<br />

nachvollziehbar, wie es zu dem Urteil<br />

komme. Doch woran macht man ein<br />

„sehr gutes“ Produkt fest, und welches<br />

ist mit Sicherheit „nicht zufriedenstellend“?<br />

Bei den Testergebnissen handelt<br />

es sich immer um eine vergleichende<br />

Bewertung. Nachdem mehrere ähnliche<br />

Produkte einem Test unterzogen<br />

wurden, erhält man eine Range an<br />

Werten. Für die besseren Werte erfolgt<br />

häufig eine mathematische Aufteilung<br />

auf die Noten. Für eine außerordentlich<br />

schlechte Bewertung wie ein „Nicht zufriedenstellend“<br />

muss es gravierende<br />

Fehler bei einem Testparameter geben.<br />

Entweder wird ein gesetzlicher Grenzwert<br />

missachtet, wie zum Beispiel der<br />

Schadstoffanteil bei Lebensmitteln,<br />

oder das Produkt ist gefährlich, der<br />

Klassiker hier: ein Kindersitz, bei dem<br />

der Gurt reißt. Kornherr betont bezüglich<br />

negativer Testurteile: „Da gehen wir<br />

sehr sensibel damit um und sagen, das<br />

ist wirklich nur wenn es Gesetze verletzt<br />

oder gefährlich ist“.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen,<br />

dass Testmagazine eine wichtige Rolle<br />

einnehmen, da sie die Wahrheit ans<br />

Licht bringen und helfen können, Vertuschungen<br />

oder gar Skandale aufzudecken.<br />

von Manuela Schiller<br />

Hans-Georg Häusel / Copyright: Hans-Georg Häusel<br />

Christian Kornherr / Copyright: Martina Draper<br />

Kaufen oder nicht kaufen? - Testmagazine verraten Thema es uns<br />

71


GIS Pfui, Pay TV/Streaming<br />

Hui?!<br />

Pay TV und Streaming erfreuen sich immer größer werdender Beliebtheit,<br />

aber auch die Haushalte der GIS-Gebührenzahler ließen einen Anstieg vermerken<br />

– wenn gleich die Gebühr stets zur Debatte steht. <strong>SUMO</strong> sprach<br />

darüber mit Konrad Mitschka, Verantwortlicher des Public Value-Berichts<br />

des ORF, sowie Thomas Höffinger, Geschäftsführer der NOGIS Handels<br />

GmbH, und führte eine kleine Umfrage zum Medienbudget von RezipientInnen<br />

durch.<br />

Von 2001 bis Ende 2019 stieg die Anzahl<br />

der GebührenzahlerInnen der GIS<br />

von 2,66 Millionen auf 3,66 Millionen,<br />

296.000 Haushalte sind (Stand: Dezember<br />

2019) von den Gebühren befreit.<br />

Etwa zwei Drittel der Gebühren fließen<br />

als Programmentgelt an den ORF.<br />

Das Programmentgelt entspricht einer<br />

Höhe von 17,21 Euro im Monat plus<br />

10% UST, welche in allen neun Bundesländern<br />

gleich ist. Sieben von den neun<br />

Bundesländern heben allerdings noch<br />

eine zusätzliche Landesabgabe ein, die<br />

überall einen unterschiedlichen Betrag<br />

ausweist. Die GebührenzahlerInnen erhalten<br />

dafür ein vielfältiges Angebot:<br />

die vier Fernsehkanäle ORF 1, ORF 2,<br />

ORF III, ORF SPORT+, drei österreichweite<br />

Radiosender: Ö3, Ö1, FM4; neun<br />

Landesstudios mit eigenen Beiträgen<br />

für TV, neun Regional-Radiosender aus<br />

den Bundesländern; Beteiligung an den<br />

Fernsehkanälen „3sat“ und ARTE; ORF-<br />

TELETEXT , ORF.at, ORF-TVthek.<br />

Doch die GIS hebt nicht nur das Programmentgelt<br />

für den ORF ein, sondern<br />

auch die Radio- und Fernsehgebühren<br />

sowie den Kunstförderungsbeitrag,<br />

die direkt an den Bund fließen. Laut<br />

Mitschka zahle man mit seinen Gebühren<br />

für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen<br />

Auftrags. Dieser bringe<br />

einer Gesellschaft viel, so belegen das<br />

mehrere Studien, unter anderem stärke<br />

das die Demokratie. Er ist ebenfalls davon<br />

überzeugt, dass eine Gemeinschaft<br />

gut daran täte, öffentlich-rechtliche<br />

Medien zu stärken und zu schützen,<br />

weil sie zum Beispiel auch in Krisenzeiten<br />

stark nachgefragt seien und man<br />

nur nachhaltig vielfältigen Aufgaben<br />

und Programmaufträgen gerecht werden<br />

könne.<br />

Wer muss zahlen?<br />

Jeder Haushalt, in dem sich ein Rundfunkgerät<br />

befindet muss laut dem<br />

ORF-Gesetz eine Gebühr entrichten.<br />

Zu den Rundfunkgeräten zählen Fernsehgeräte,<br />

Kabel-TV und Satelliten-TV,<br />

außerdem Computer und Tablets mit<br />

DVB-T-Stick, TV-Karte oder Radio-Karte.<br />

Radiogeräte und sonstige Geräte<br />

mit UKW-Empfang sind ebenfalls gebührenpflichtig.<br />

Die Verbreitung über<br />

das Internet ist seit Juli 2015 laut Beschluss<br />

des Verwaltungsgerichtshofs<br />

nicht als Rundfunk zu deklarieren. Laut<br />

Copyright: adobe stock / Proxima Studio<br />

72<br />

Thema GIS PFUI, Streaming/Pay TV hui!


Mitschka brauchen wir ein Medium<br />

in unserer Gesellschaft, das so aufgestellt<br />

ist, dass es alle erreiche. Für<br />

ihn ist ebenso der Gedanke wichtig,<br />

dass alle MitgliederInnen dieser Gesellschaft<br />

dieses Medium finanzieren.<br />

Seiner Meinung nach müssten wir verhindern,<br />

dass manche Inhalte sozial<br />

exklusiv sind oder in Zukunft werden.<br />

„Ich möchte lieber in einem Land leben,<br />

in dem auch arme Leute Spitzensport<br />

rezipieren können und nicht davon abhängig<br />

sind, ob sie sich Pay-TV oder ein<br />

sonstiges Streamingangebot leisten<br />

können“, so Mitschka. Ein gemeinsam<br />

finanziertes Unternehmen, das alle erreiche,<br />

für alle relevant sei und über alle<br />

relevanten Medienkanäle ausspiele, indem<br />

alle ihren Beitrag leisten, den sie<br />

auch leisten können, sei das Ziel. Wenn<br />

jemand nicht über die entsprechenden<br />

finanziellen Mittel verfügt, wird das bei<br />

den Rundfunkgebühren berücksichtigt,<br />

während bei Streaming-Angeboten die<br />

Preise für alle gleich sind, unabhängig<br />

von sozialer Bedürftigkeit. Konkret:<br />

Wenn jemand alleine lebt und weniger<br />

als 1083,-- € Haushalts-Nettoeinkommen<br />

hat, muss er bzw. sie laut GIS-<br />

Website kein ORF-Teilnahmeentgelt<br />

zahlen.<br />

Pay-TV vs. Streaming<br />

Oft verwenden wir die Worte „Pay-TV“<br />

und „Streaming“ als Synonym. Fakt ist<br />

aber, dass Streaming eine Form von<br />

Pay-TV ist und Pay-TV etwas komplexer<br />

in seiner Systematisierung ist.<br />

Hierbei unterscheidet man zwischen<br />

drei Kategorien. Zum einen haben wir<br />

Entgeltfinanzierung von Programmanbietern<br />

ohne eigene Netzinfrastruktur,<br />

hierein fällt das klassische Pay-TV sowie<br />

der Anbieter Sky. Als nächstes gibt<br />

es Entgeltfinanzierung von Programmprovidern<br />

ohne eigene Netzinfrastruktur,<br />

sogenannte software-getriebene<br />

Video on Demand-Plattformen, wie<br />

„Netflix“ oder „Amazon Prime“. Und als<br />

letztes haben wir Entgeltfinanzierung<br />

von Programmprovidern mit eigener<br />

Netzinfrastruktur, die hardware-getrieben<br />

sind, Beispiele hierfür sind SimpliTV,<br />

A1-TV und Magenta.<br />

GIS umgehen?<br />

Eine Möglichkeit die GIS-Gebühren zu<br />

umgehen, ist unter anderem das Streamen<br />

auf Bildschirmen ohne Tuner und<br />

ohne Antennen. Das war unter anderem<br />

der Beweggrund für die Gründung<br />

der Firma NOGIS Handels GmbH, die<br />

genau solche Geräte herstellt. „Die<br />

Geräte kommen sehr gut bei den RezipientInnen<br />

an“, so Thomas Höffinger.<br />

„Und diese sind sehr durchgemischt.“<br />

Unter anderem befänden sich unter<br />

den NutzerInnen der NOGIS-Geräte<br />

GIS PFUI, Streaming/Pay TV Thema hui!<br />

73


laut Höffinger Menschen, die sich einfach<br />

die GIS sparen wollen, weil sie ihnen<br />

zu teuer sei, weil sie ORF einfach<br />

nicht nutzen oder sie aus Prinzip die GIS<br />

nicht bezahlen wollen.<br />

Die Zukunft liegt in jungen Händen<br />

Die Zahl der StreamerInnen stieg von<br />

2016 bis 2020 laut der Bewegtbildstudie<br />

der RTR und Arbeitsgemeinschaft<br />

Teletest um rund 11%. Bei der<br />

Altersgruppe zwischen 14 und 29<br />

Jahren betrug der Anstieg sogar plus<br />

27,4%, wobei sich deren Nutzung von<br />

linearem Fernsehen sogar halbiert hat.<br />

<strong>SUMO</strong> führte hierzu eine kleine anonyme<br />

– nicht repräsentative – Umfrage<br />

zum Budget der MediennutzerInnen<br />

durch. Hierbei waren sich aber nur vier<br />

der zehn Befragten einig: GIS würde ich<br />

freiwillig nicht bezahlen. Die 21-jährige<br />

Angestellte Katharina R. nutzt „HDAustria“,<br />

„Netflix“ und ist ebenso im Besitz<br />

eines „Amazon Prime“-Accounts. Diese<br />

Plattformen böten ihr eine große Vielfalt<br />

an Filmen und Serien und enthielten<br />

keine Werbeunterbrechungen. Bei<br />

den Angeboten des ORFs hingegen finde<br />

sie kaum Inhalt, der ihren Vorlieben<br />

entspricht und deswegen auch nicht<br />

nutzt. Ihrer Meinung nach sei da für ihr<br />

Alter einfach nichts dabei und sie würde<br />

nicht freiwillig für die GIS-Gebühr aufkommen<br />

wollen. Von den insgesamt<br />

zehn Befragten in der Alterspanne von<br />

20 bis 65 Jahren sind vier Personen bereit,<br />

zwischen 15 und 20 Euro an Medienbudget<br />

auszugeben und bei den<br />

restlichen sechs befragten liegt dieses<br />

zwischen 25 und 50 €. Mitschka ist<br />

aber davon überzeugt, dass vor allem<br />

die Jugendlichen sehr wohl wissen, was<br />

gut für sie sei, und meint, dass es von<br />

der Fragestellung abhänge. Wenn man<br />

Menschen frage, ob sie für etwas zahlen<br />

wollen, komme selten ein „Ja“ heraus.<br />

Jugendliche wollen zum Beispiel<br />

nicht für umweltgerechte Produkte, ein<br />

Bankkonto oder Spiele zahlen. Exemplarisch<br />

gegenteilig sei die Abstimmung<br />

zur Abschaffung der Rundfunkgebühren<br />

in der Schweiz verlaufen, bei der<br />

vor allem die jungen Menschen überproportional<br />

gegen eine Abschaffung<br />

waren. Er setzt Vertrauen in die Jugend,<br />

da sie wüsste, dass es gut sei, ein Medium<br />

zu haben, das unabhängig sei,<br />

vertrauenswürdige Nachrichten liefere<br />

und den öffentlich-rechtlichen Auftrag<br />

erfülle. Es wird sich erweisen, ob er damit<br />

recht hat.<br />

von Julia Gstettner<br />

Konrad Mitschka / Copyright: ORF Hans Leitner<br />

Thomas Höffinger / Copyright: Martin Bäck agoradesign.at<br />

Copyright: adobe stock / 4th Life Photography<br />

Die GIS steht für Gebühren Info Service GmbH und ist<br />

das Bindeglied zwischen GebührenzahlerInnen auf<br />

der einen Seite und ORF, Bund und Ländern auf der<br />

anderen Seite. Die GIS ist für das Einheben und Weiterleiten<br />

von Gebühren sowie Abgaben zuständig,<br />

als auch mit der Abwicklung von Gebührenbefreiung.<br />

74<br />

Thema GIS PFUI, Streaming/Pay TV hui!


Impressum<br />

Medieninhaberin:<br />

Fachhochschule St. Pölten GmbH<br />

c/o <strong>SUMO</strong><br />

Matthias Corvinus-Straße 15<br />

A-3100 St. Pölten<br />

Telefon: +43(2742) 313 228 - 200<br />

www.fhstp.ac.at<br />

Fachliche Leitung:<br />

FH-Prof. Mag. Roland Steiner<br />

E-Mail: roland.steiner@fhstp.ac.at<br />

Telefon: +43/676/847 228 425<br />

www.sumomag.at<br />

facebook.com/sumomag<br />

Copyright: jeweils Privat<br />

Das Team der Ausgabe 36 und des Online-Magazins www.sumomag.at<br />

Julia Allinger, Anja Stojanovic, Christiane Fürst, Michael Geltner, Julia Gstettner, Anna-Lena Horak, Raphaela Hotarek,<br />

Viktoria Strobl, Raphaela Kordovsky, Anna Kowatsch, Christian Krückel, Ndidi Maduba, Laura Sophie Maihoffer, Martin<br />

Möser, Lukas Pleyer, Simone Poik, David Pokes, Sophie Pratschner, Manuela Schiller, Lisa Schinagl, Matthias Schnabel,<br />

Annika Schuntermann, Alexander Schuster, Christopher Sochor, Ida Stabauer, Sebastian Suttner, Karin Pargfrieder,<br />

Kristina Petryshche<br />

BILDREDAKTION: Alexander Schuster (Ltd.), David Pokes (Ltd.), Sebastian Suttner (Ltd.), Raphaela Kordovsky, Annika<br />

Schuntermann, Matthias Schnabel<br />

DISTRIBUTION: Christiane Fürst (Ltd.), Anna Kowatsch, Lisa Schinagl, Kristina Petryshche<br />

PRINTPRODUKTION: Martin Möser (Ltd.), Ida Stabauer (Ltd), Christian Krückel, Christopher Sochor<br />

ONLINEPRODUKTION: Julia Allinger (Ltd.), Sophie Pratschner (Ltd.), Anna-Lena Horak, Laura Sophie Maihoffer<br />

SALES: Karin Pargfrieder (Ltd.) - Alle<br />

TEXTREDAKTION: Michael Geltner (Ltd.), Raphaela Hotarek (Ltd.) - Alle<br />

UNTERNEHMENSKOMMUNIKATION: Anja Stojanovic (Ltd.), Viktoria Strobl (Ltd.), Simone Poik, Ndidi Maduba, Julia Gstettner<br />

Impressum<br />

75


Eine gute<br />

Ausbildung<br />

ist eine, die<br />

mir zeigt,<br />

was noch getan<br />

werden muss.<br />

Wissen, was<br />

morgen zählt.<br />

Eva Milgotin<br />

Studentin Wirtschafts- und<br />

Finanzkommunikation<br />

Christoph Rumpel<br />

Web-Entwickler & Autor (Selbstständig)<br />

Absolvent Medientechnik<br />

Acht Themenbereiche<br />

| Medien<br />

| Digitale Technologien<br />

| Informatik<br />

| Security<br />

| Bahntechnologie<br />

| Wirtschaft<br />

| Gesundheit<br />

| Soziales<br />

Jetzt informieren:<br />

fhstp.ac.at

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