22 ZOOM Wenn Schäfchen Im Gespräch mit Johannes Kopp und Michael Kalb vom Medienforum Augsburg e. V. verloren gehen Im Gespräch mit Helmut Haug, Pfarrer von St. Moritz
ZOOM 23 Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise. Immer mehr Mitglieder in Deutschland entscheiden sich für einen Austritt – 2022 waren es über eine halbe Million Menschen. Die Gründe dafür sind vielfältig, wie uns Pfarrer Helmut Haug im Interview erklärt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was die Kirchen tun könnten, um diesen Abwärtstrend umzukehren und wie St. Moritz mit kulturellen und sozialen Angeboten den Austausch mit der Augsburger Stadtgesellschaft sucht. Von Lina Frijus-Plessen H err Haug, letztes Jahr sind so viele Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten wie noch nie zuvor. Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen? Ein großer Punkt sind sicherlich die Missbrauchsskandale, die in den letzten Jahren ans Licht gekommen und bis heute immer wieder Thema in der Öffentlichkeit sind. Gerade dadurch, dass jede Diözese ihr eigenes Gutachten dazu erstellt, die nach und nach veröffentlicht werden, kann man leicht den Eindruck gewinnen, als würde sich die katholische Kirche in einer Art Endlosschleife befinden und die Missbrauchsfälle gar nicht aufhören. Selbstverständlich müssen die Fälle ordentlich aufgearbeitet werden und wir müssen in der Kirche Konsequenzen daraus ziehen, damit es nicht mehr so weitergeht wie bisher. Wir arbeiten zurzeit sehr viele Themen der Vergangenheit auf, haben dabei aber vielleicht noch nicht den besten Weg gefunden. Was wäre denn aus Ihrer Sicht der richtige Weg, mit dieser Thematik umzugehen? Die Frage stelle ich mir auch. Ich glaube, im Moment können wir nichts anderes tun, als weiter an der Aufarbeitung dranzubleiben. Leider kommt die Kirche mit den von Missbrauch betroffenen Menschen trotz Einrichtungen wie den Runden Tischen oder Betroffenenbeiräten oft noch nicht so richtig zusammen. Andererseits ist in den letzten Jahren schon sehr viel Präventionsarbeit passiert und da müssen wir auch weiterhin geeignete Maßnahmen voranbringen. Was ich mir vorstellen könnte, ist, dass man noch größere Netzwerke bildet und auch stärker mit staatlichen Einrichtungen kooperiert, um zu zeigen: Wir wollen alles dafür tun, dass Missbrauch nicht mehr stattfinden kann. Allerdings muss man sich nicht nur in den Kirchen, sondern auch gesamtgesellschaftlich damit auseinandersetzen, wie man gegen Missbrauch in jeglichem Kontext vorgehen kann. Gibt es abgesehen davon noch weitere Gründe, warum so viele Menschen der Kirche den Rücken zukehren? Die Kirchensteuer wird oft als Argument genannt, aber da bin ich mir nicht so sicher, ob das tatsächlich der eigentliche Grund für den Austritt ist, oder nur ein zusätzlicher Faktor. Ich habe eher den Eindruck, dass eine schleichende Entfremdung zwischen der Kirche und den Menschen stattfindet. Ob das tatsächlich auch ein Glaubensverlust ist, weiß ich nicht. Viele haben vielleicht einfach kein Vertrauen mehr in die Institution Kirche und wollen sich ihren Glauben lieber selbst zurechtlegen. Was mir sehr zu schaffen macht, ist die Tatsache, dass auch immer mehr Menschen aus dem Inner Circle austreten, also Personen, die der Kirche bislang nahegestanden und sich z. B. ehrenamtlich engagiert haben. Da wird als Begründung oft genannt, dass sich die Kirche nicht oder zu schleppend an den gesellschaftlichen Wandel anpasst, unter anderem bei so großen Themen wie Homosexualität oder der Gleichstellung von Frauen. Würden Sie sagen, ist an diesem Vorwurf etwas dran oder sehen Sie tatsächlich auch Wandelprozesse in der katholischen Kirche? Das kann ich nicht für die gesamte katholische Kirche beantworten, weil es da weltweit sehr große Ungleichzeitigkeiten gibt. Was hier in Europa mittlerweile beinahe selbstverständlich ist, wie z.B. Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare, ist in anderen Regionen der Welt bisher quasi undenkbar. Aber in Deutschland habe ich insgesamt große Hoffnungen, dass sich auch strukturell etwas in der Kirche verändert und eine allmähliche Öffnung in Sachen Gleichberechtigung und auch anderen Themenbereichen stattfindet. Was müssten die Kirchen in Ihren Augen tun, um vor allem für junge Menschen wieder attraktiver zu werden? Ich glaube, es wird niemanden überzeugen, wenn ich meine Gottesdienste jetzt im Handstand abhalte oder mit Inlineskates durch die Kirche rausche (lacht). Es gibt ja durchaus solche Versuche, besonders modern zu wirken, aber das kommt mir meistens zu gewollt und anbiedernd rüber. Ich glaube, es würde reichen, wenn wir in der Kirche unsere Botschaft in einer verständlichen, zugänglichen Sprache vermitteln, mit einem bodenständigen Gottesdienst, der nicht überzogen ist. Das zweite ist, dass wir unsere Kirchen als offene, einladende Räume gestalten müssen, in denen sich alle Menschen willkommen fühlen, egal wer sie sind und was sie glauben. Gerade für junge Leute sollten wir mehr Räume eröffnen, wo sie sich begegnen und auch in Eigenorganisation miteinander Themen und Projekte entwickeln können. In der Moritzkirche finden regelmäßig Kunstausstellungen, Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen statt. Warum ist es Ihnen wichtig, Ihre Kirche auch als Kulturort zur Verfügung zu stellen? Dahinter steckt die Überlegung, dass solche kulturellen Projekte und Veranstaltungen großartige Mittel sind, um den Dialog zwischen Kirche und Stadtgesellschaft zu fördern. So entwickeln z. B. die Künstler:innen, die bei uns ausstellen, ihre Werke immer im Zusammenspiel mit dem Kirchenraum, allein das ist schon ein Dialoggeschehen. Und das Ganze wird dann noch erweitert, wenn Menschen in die Kirche kommen, um mit diesen Kunst- und Kulturangeboten zu interagieren. Da ergeben sich einfach spannende Möglichkeiten zur Begegnung und zum Austausch. Daneben ist auch das soziale Engagement ein wichtiger Bestandteil von St. Moritz. Was genau steckt hinter dem Konzept der City- Seelsorge, die sie leiten? Im Grunde geht es bei der City-Seelsorge darum, dass wir als Kirche in der Stadt als Dialogpartner auf Augenhöhe auftreten und Möglichkeiten zur Begegnung schaffen wollen. Wir haben zum Beispiel in der Maxstraße den Moritzpunkt als offenen Gesprächsraum und Begegnungsort für alle aufgebaut. Und auch die Vernetzung und Kooperation mit städtischen Institutionen und sozialen Einrichtungen ist Teil dieses Konzepts. Darüber hinaus bedeutet City-Seelsorge für mich, dass ich als Pfarrer nicht bloß in meiner Kirche sitze, sondern auch in den Augsburger Cafés und Bars anzutreffen bin und dort mit Leuten ins Gespräch komme. Was ist für Sie das Schönste an Ihrem Beruf? Da gibt es ganz viele Aspekte. Mir passiert es oft, wenn ich in der Stadt unterwegs bin, dass ich Menschen aus der Gemeinde über den Weg laufe. Dabei kommt man häufig ganz unkompliziert miteinander in den Austausch und daraus nehme ich immer viel mit, selbst wenn man nur kurz für fünf Minuten miteinander spricht. Auch die Gottesdienste in St. Moritz bereiten mir immer große Freude. Was ich besonders gerne mache, ist taufen, weil die Taufe in der Regel eine kleinere, entspannte Familienfeier ist und sich alle einfach darüber freuen – inklusive mir. (lina)