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Braunger Wörtz Architekten

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Wer noch nie laut über Brandschutzanforderungen<br />

geflucht hat, ist kein richtiger Architekt oder keine<br />

richtige Architektin. Denn in Deutschland, der Nation<br />

mit den fettesten Bauvorschriften in der ganzen Welt,<br />

die auch noch in den 16 Bundesländern unterschiedlich<br />

ausfallen, beschäftigt sich bis zu 80 Prozent des<br />

Baurechts mit möglichen Feuern. Dieses massive,<br />

wie manche finden, völlig überproportionierte Sicherheitsdenken<br />

entwickelt sich in vielen Bereichen der<br />

Architektur, der Innovation, aber auch beim nachhaltigen<br />

Bauen oft zu einem lähmenden Einspruch. Unter<br />

anderem hat die zähe Entwicklung der Holzbauweise<br />

als ökologische Alternative zum Stahlbeton in der<br />

BRD damit zu tun, dass Prüfbeamte bei dem Baustoff<br />

gleich an mittelalterliche Stadtbrände denken, und<br />

dann das komplexe Gesetzespapier als Argument<br />

vorschieben.<br />

Aber es gibt eine hervorragende Entspannung<br />

vom Brandschutz‐Ärger: Feuerwehren selber bauen.<br />

Bei diesen Gebäuden ist alles Brandschutz, sogar<br />

die Idee, und deswegen ist es eine vortreffliche<br />

Übung annehmender Gelassenheit, einfach einmal<br />

jede Vorschriften anzunehmen, die unter der Deutschen<br />

Industrienorm „Feuerwehr“ gelistet ist. Das<br />

schützt schon qua Aufgabe vor späteren Enttäuschungen.<br />

Da diese stehenden Löschmaschinerien<br />

durch die deutsche Sicherheitspräferenz so unabkömmlich<br />

sind wie Beerdigungsunternehmen, werden<br />

sie landauf, landab viel neu gebaut – jedenfalls dort,<br />

wo beengte Verhältnisse das Tempo beeinträchtigen.<br />

Wer 112 ruft, will nicht hören, dass die Feuerwehr<br />

leider zu wenige Parkplätze für den Erstabmarsch hat,<br />

um ihren vier Aufgaben „Löschen, Retten, Bergen,<br />

Schützen“ nachzukommen.<br />

So sah es in Ingelheim am Rhein aus. Die Bevölkerung<br />

wuchs im Zuge einiger Eingemeindungen, und der<br />

bisherige Standort platzte aus allen Schläuchen.<br />

Entsprechend wurde 2007 die Machbarkeit für einen<br />

großen Neubau geprüft, der zudem die zahlreichen<br />

Hindernisse und Unbequemlichkeiten des Vorgänger‐Ensembles<br />

vergessen machen sollte – so waren<br />

etwa das Umkleiden zwischen den Fahrzeugen und<br />

die Lagerung der Einsatzteile auf verschiedene<br />

Gerätehäuser verteilt. 2019 konnte mit dem Bau<br />

begonnen werden, und seit 2021 wacht St. Florian<br />

über die Brandhüter am neuen Standort.<br />

Nun denkt der Laie natürlich, wenn es eine DIN<br />

„Feuerwehr“ gibt, dann ist doch alles so geregelt,<br />

dass es gar keine <strong>Architekten</strong> mehr braucht,<br />

sondern nur Ingenieure. Aber so wie man auf einem<br />

DIN A4‐Blatt alles mögliche gestalten kann, so<br />

bietet auch die Effizienz- und Sicherheitsnorm für<br />

Rettungskräfte eine Menge Spielraum für ästhetisches<br />

Wohl. Bei <strong>Braunger</strong> <strong>Wörtz</strong>, wo das brennende<br />

Interesse für diese Herausforderung seit 2006 zu<br />

mittlerweile zehn gebauten Feuerwachen geführt<br />

hat, war die baukulturelle Expertise bereits hoch,<br />

als das Büro 2017 den Wettbewerb am Rhein bei<br />

Mainz gewann.<br />

Das Grundkarma der Feuerwache, dass alle Wege<br />

kurz und alle Geräte schnell zur Hand sein müssen,<br />

gibt zunächst bestimmte organisatorische Figuren<br />

auf. Ein Besuch in der zuletzt fertiggestellten Feuerwache<br />

Illertissen von <strong>Braunger</strong> <strong>Wörtz</strong> oder der<br />

Vergleich mit anderen Projekten im Bereich „Eilige<br />

Hilfe“ zeigt eine konstante Figuration von Großgarage<br />

mit Funktionsräumen im Rücken sowie einem Turm<br />

zum Trocknen der Schläuche, oft genutzt als vertikaler<br />

Parcours für das Klettertraining. Dieser Turm sitzt<br />

manchmal direkt am Gebäude, manchmal steht er<br />

davon abgesetzt – wie eben bei modernen Kirchen<br />

auch. Und je nach Programm befinden sich in den<br />

Komplexen auch noch Atemschutzübungsanlagen<br />

nach DIN 14093 oder Schulungsräume für die vielen<br />

Freiwilligen, die einen spontanen und schnellen<br />

Katastrophenschutz überhaupt erst möglich machen.<br />

Nach der Setzung dieser zentralen organisatorischen<br />

Strukturen beginnt erneut eine gestalterische Suche<br />

innerhalb von zwei weiteren entscheidenden Komponenten,<br />

die von Architektinnen und <strong>Architekten</strong> nun in<br />

gesteigertem Maße beeinflusst werden können:<br />

Die Aufenthaltsqualität und die Fassade. Denn es<br />

fällt nicht schwer, sich trübe Funktionsräume in<br />

abgewetzten Baracken vorzustellen, wo Helfer sich<br />

in Bereitschaft langweilen für die 1 bis 3 Brände,<br />

die es pro Gemeinde im Jahr höchstens gibt (in<br />

Flächengemeinden kommen 250–300 Einsätze von<br />

Kellerauspumpen bis Katzenretten dazu). Da das<br />

Warten zum Feuerwehrleben gehört wie das Wasser<br />

zum Löschen, ist die angenehme Atmosphäre eigentlich<br />

eine Pflichtaufgabe, die aber nicht in der DIN<br />

„Feuerwehr“ steht. In diesem Zusammenhang<br />

sorgt im neuen Ingelheimer Feuerwehrhaus – dem<br />

bekanntesten und mit dem BDA-Preis Rheinland-<br />

Pfalz ausgezeichneten Projekt einer Rettungskirche<br />

von <strong>Braunger</strong> <strong>Wörtz</strong> – zunächst die Architekturnorm<br />

„Licht“ für die ange nehme Gestaltungsregie im<br />

Wartestand.<br />

Dazu wurde zunächst der Schulungs- und Ruhetrakt<br />

in L‐Form von der Großgarage abgesetzt, mit dem<br />

Trockenturm als Kampanile und der Floriansstube als<br />

Terrasse im Erdgeschoss. Ein Shed‐Dach über den<br />

92 Feuerwache Feuerwehren Ingelheim und Rettungswachen

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