28 ZOOM Die Überlebenskünstler Theater trotz(t) Krisen Ein Interview mit Sebastian Seidel und Anne Schuester, Leitung des Sensemble Theaters
ZOOM 29 Das Sensemble ist seit mehr als zwei Jahrzehnten eine absolute Institution in der freien Augsburger Theaterlandschaft und setzt vor allem mit seinen zeitgenössischen Uraufführungen immer wieder kulturelle Akzente. Doch in den aktuellen Dauerkrisenzeiten sieht sich das Theater mit großen wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert. Anne Schuester und Sebastian Seidel berichten uns von der heiklen Lage für die freie <strong>Szene</strong> in Augsburg und verraten, auf welche Theater- und Musik-Highlights sie sich in der neuen Sensemble- Spielzeit besonders freuen. Von Lina Frijus-Plessen Sebastian, wir haben das letzte Mal im Corona-Sommer 2020 miteinander gesprochen, als noch ungewiss war, wie es für euch weitergeht. Damals hast du erzählt, wie sehr du auf die Rückkehr der Normalität im Kulturbetrieb hoffst. Wie sieht das im Rückblick aus, ist man jetzt dankbarer als vor der Pandemie? Sebastian: Unseren Zuschauer:innen merkt man auf jeden Fall die Dankbarkeit und Wertschätzung total an. Unser Stammpublikum ist uns treu geblieben und der Kontakt zu ihnen ist seit der Pandemie intensiver geworden. Allerdings ist es seitdem eine noch größere Herausforderung, diejenigen Menschen anzusprechen, die bisher noch nie bei uns waren. Aber im Großen und Ganzen haben sich die Zuschauerzahlen wieder auf regulärem Niveau eingependelt und wir alle sind einfach froh, dass wir wieder vor Ort aufführen können. Außerdem hat Corona uns gezeigt, dass die politische Arbeit für uns als freies Theater noch viel wichtiger ist als wir bislang dachten. Du meinst in Sachen Kulturförderungen? Sebastian: Genau. Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie viel Nachholbedarf dort in der Politik besteht und wie notwendig es ist, staatliche Förderprogramme zu überarbeiten. Jetzt wo wir die Coronazeit überstanden haben, müssen solche Programme bayern- und bundesweit verstetigt werden, damit wir bei der nächsten Krise nicht wieder komplett von vorne anfangen müssen. Dafür müssen wir sehr viel mehr in die politische Arbeit investieren als früher. Anne: Eine der wenigen positiven Entwicklungen aus der Pandemie ist, dass sich die Politik stärker mit den Bedingungen und Bedürfnissen in der freien Kulturszene auseinandergesetzt hat und der Austausch zwischen beiden Seiten jetzt deutlich enger ist. In Augsburg haben wir als freie Theater einen regelmäßigen Runden Tisch ins Leben gerufen, an dem auch Vertreter der Kommunal- und Landespolitik teilnehmen. Wie vielen andere Kulturstätten machen euch zurzeit vor allem die gestiegenen Energiekosten zu schaffen. Letzten Winter wart ihr auf Spenden von Unterstützer:innen angewiesen, um sie zu stemmen. Warum reichen da die staatlichen Hilfen nicht aus? Sebastian: Wir haben zwar finanzielle Unterstützung erhalten, aber die konnte nur einen kleinen Bruchteil der Energiekosten decken. Wir hatten letztes Jahr eine Nachzahlung von 15.000 Euro zu bewältigen und haben insgesamt ca. 1.500 Euro an Fördergeldern vom Bund und Freistaat erhalten. Noch dazu war die Beantragung ein riesiger bürokratischer Aufwand, sodass sich das Ganze am Ende kaum rentiert hat. Die meisten freien Theater können es sich gar nicht erst leisten, so viel Arbeitszeit in die Beantragung zu investieren und gehen dann komplett leer aus. Anne: Da kommt man sich ehrlich gesagt ein bisschen auf den Arm genommen vor, weil es immer wieder heißt, die Beantragung funktioniert ganz unkompliziert und schnell, aber tatsächlich muss man enorm viel Zeit dafür aufwenden. Wie bewertet ihr denn die aktuelle Situation für das Sensemble und auch die anderen freien Theater in Augsburg? Sebastian: Wir haben letztes Jahr ein Drittel an Energiekosten einsparen können und versuchen weiterhin, so wenig wie möglich zu verbrauchen. Im Moment bin ich optimistisch, dass wir gut durch den Winter kommen, weil der Gaspreis aktuell relativ niedrig ist, aber es könnte natürlich jederzeit sein, dass er doch wieder ansteigt. Anne: Für die freie Theaterszene ist die Lage aktuell etwas angespannt. 2017 haben wir uns mit zehn anderen freien Augsburger Theatern zusammengeschlossen und gemeinsam eine Förderung von der Stadt erhalten. All diese Förderverträge laufen jedoch nächstes Jahr aus und wir sind momentan in der nächsten Verhandlungsrunde, um ab 2025 höhere Förderbeträge zu erhalten, mit denen wir die Teuerung der letzten Jahre ausgleichen können. Sebastian: Eine weitere Herausforderung ist der Generationenwechsel, der für viele freie Theater deutschlandweit gerade ein großes Thema ist. Viele wurden in den 70er und 80er Jahren gegründet und jetzt gilt es, junge Nachfolger:innen zu finden, die diese Einrichtungen weiterführen. Lasst uns mal über eure neue Spielzeit sprechen. Die nächste Premiere steht im November mit dem Stück „Räuberleiter“ an, das in Kooperation mit dem Akustik-Duo Rainer von Vielen entstanden ist. Worum geht es dabei? Sebastian: Das Stück erzählt nicht nur die Gründungsgeschichte der Band, von ihrer Motivation, Musik zu machen und dem Arbeitsalltag als Musiker. Es geht auch um das Hinterfragen des Status Quo und um ganz existenzielle Fragen, etwa ob man sich traut, seinen eigenen Weg einzuschlagen und was es überhaupt bedeutet, sein Leben als Künstler zu bestreiten. Natürlich ist das Stück sehr musikalisch geprägt und es gibt auch viele neue Rainer von Vielen-Songs zu hören. Musik spielt generell nicht nur eine Nebenrolle für euch. Ende Oktober gab es im Sensemble z.B. wieder einen tollen Konzertabend mit dem Klub der Idealisten zu erleben. Sebastian: Wir freuen uns immer sehr, wenn Christopher Kochs mit dem Klub der Idealisten etablierten und neuen Talenten eine Bühne bei uns im Sensemble bietet. Überhaupt sind wir diesen Herbst besonders musikalisch unterwegs mit unserem Spielplan. Angefangen mit dem Stück „Novecento“, das von Wolfgang Lackerschmid am Vibraphon begleitet wird, oder auch mit dem Liederabend „Made in West Germany“ zur Deutschen Einheit. Im November gibt es außerdem noch ein Live-Konzert der Wolfgang Lackerschmid Connection, das wir aus dem Jazzclub zu uns verlegt haben. Euer Anspruch als zeitgenössisches Theater ist es, euch auf der Bühne mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinanderzusetzen. Was bewegt euch denn da zurzeit besonders? Sebastian: Oft sind das Themen, die einem im Alltagsleben begegnen. Unsere im Februar startende Uraufführung namens „Zimmer/ Kotze/Bad“ zeigt zum Beispiel den Missstand auf, wie schwierig es heutzutage für junge Familien ist, ein Leben in der Großstadt zu finanzieren. Also eine ganz konkrete aktuelle Problematik, die viele aus eigener Erfahrung kennen dürften. Anne: Ein weiteres Thema, das uns schon seit längerem beschäftigt, aber gerade jetzt nach der Landtagswahl besonders auf der Hand liegt, ist der Rechtsruck in der Gesellschaft und die Krise der Demokratie. Genau damit setzt sich das Stück „Furor“ auseinander, das im April Premiere feiert. (lina)