Broschüre: Kulturpreis 2023 Schwarzwald-Baar, Werke der Preisträger 2023 – Literatur und Drama

„Sie können jetzt genau gleich damit verfahren wie in
Google-Maps, der Unterschied ist, dass Sie alles live
beobachten und sehr nahe an die Dinge heranzoomen
können.
Probieren Sie!“ Ich schob ihr den Laptop wieder zu.
Irina zoomte zögernd auf den Eingang der Botschaft,
durch den ich auch gekommen war, dort war Bewegung
zu erkennen,
dort warteten Menschen. Eben fuhr auch ein Auto vorbei.
Sie ging immer näher dran bis das Gesicht eines
Mannes, schräg von oben, deutlich zu erkennen war.
Das Bild war unruhig, weil der Mann sich bewegte und
der Ausschnitt so groß war. Ich wandte mich derweilen
meinem Kaffee zu, lauwarm wie er mittlerweile war,
schob ich ihn von mir.
Irina zoomte sich wieder etwas zurück und ging die
Reihe der Wartenden entlang. Ihre Miene zeigte kaum
Regung. Dann nahm sie das Gebäude der Botschaft in
Augenschein. Erst die Gesamtansicht, dann die verschiedenen
Teile des Gebäudes.
Auf der Seite zur „Unter-den-Linden-Straße“ sah sie sich
die Menschen auf dem Gehweg und die Autos näher
an. Jetzt ging sie wieder ins Große, schwenkte über die
Stadt ans Brandenburger Tor, zum Bundestag und Potsdamer
Platz, ging immer wieder ins Detail. Nach geraumer
Zeit kehrte sie zum Botschaftsgebäude zurück,
ging, mal in groß, mal in klein, rund um das Anwesen
und blieb schließlich bei einer Gesamtansicht stehen.
Mit einem hörbaren Ausatmen lehnte sie sich zurück
und sah mich direkt an. Sie wirkte irgendwie entspannt,
ihre Miene erschien mir zum ersten Mal freundlich.
Ich war erleichtert – und sie schwieg. Ich hatte jetzt
das Gefühl, dass ihr Misstrauen gewichen war, wenigstens
ein Stück weit.
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