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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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26 Walther Dieckmann<br />

der Aufstieg der Linguistik überhaupt, neuere Tendenzen in der<br />

Kommunikationswissenschaft, in Betriebspsychologie und Betriebssoziologie<br />

und manches andere erklärt worden. Warum aber gerade<br />

die Renaissance der Rhetorik? Zu ihrer Erklärung muß man wohl<br />

sekundär auch andere Gesichtspunkte berücksichtigen, die mehr auf<br />

der Oberfläche liegen: Die Rhetorik ist nämlich z. T. auch ein erneuter<br />

Anlauf der Sprach- und Literaturwissenschaften, den Anforderungen<br />

der Lehrerausbildung im Sinne einer berufsrelevanten, gesellschaftsbezogenen<br />

und kritisch-emanzipativ gemeinten Wissenschaftlichkeit<br />

gerecht zu werden; und sie ist speziell auch ein Versuch<br />

der Literaturwissenschaft, der Linguistik temporär verlorengegangenes<br />

Terrain wieder abzujagen. Wenn Dyck im Gegenteil behauptet,<br />

die Rhetorik würde heute „im wesentlichen unter linguistischen Vorzeichen"<br />

betrieben (30), so gelingt ihm der Nachweis <strong>für</strong> seine Behauptung<br />

nur, indem er alles, was ihm an der Rhetorik-Welle mißliebig<br />

ist und gefährlich erscheint, der Linguistik zuschustert, auch<br />

wenn es von Literaturwissenschaftlern betrieben wird.<br />

II-<br />

In der Literaturwissenschaft verknüpfen sich mit der Rhetorik in<br />

der gegenwärtigen fachinternen Diskussion verschiedene und leicht<br />

nachvollziehbare Hoffnungen: (a) Die Rhetorik ist von ihrem Ursprung<br />

her nicht auf literarische Texte im engeren Sinne beschränkt<br />

gewesen und bietet somit die Aussicht auf eine allgemeine textanalytische<br />

<strong>Theorie</strong> und Methode, die auch auf nicht-literarische, d. h. die<br />

sogenannten Gebrauchstexte, anwendbar ist. (b) Die Rhetorik hat<br />

sich, gleichfalls von ihrem Ursprung her, als eine „wirkungsbezogene"<br />

Wissenschaft verstanden. Sie bietet somit eventuell die Möglichkeit,<br />

den Text in seinem vielberufenen pragmatischen Kontext zu<br />

erfassen, ohne daß sie, und <strong>das</strong> scheint <strong>für</strong> <strong>das</strong> Selbstverständnis der<br />

betreffenden Literaturwissenschaftler wichtig, aufhören würde, eine<br />

„Textwissenschaft" zu bleiben. In, der Hoffnung, mit Hilfe der Rhetorik<br />

die Wirkungsmittel im Text selbst aufspüren zu können, versucht<br />

der Literaturwissenschaftler, sein Schiff zwischen den Gestaden<br />

der Werkimmanenten (mit denen zusammen er nicht mehr gesehen<br />

werden will) und denen der Literatursoziologen oder gar der literaturwissenschaftlichen<br />

„Sozialgeschichtler" (die er nicht recht leiden<br />

mag) auf <strong>das</strong> Eiland der Rhetorik zuzusteuern, ohne doch schon<br />

sicher ausmachen zu können, ob er dort nicht vielleicht die längste<br />

Zeit mit der künstlichen Bewässerung zu tun haben wird, (c) Eine<br />

dritte Hoffnung besteht darin, daß die Rhetorik es ihm erlauben<br />

wird, sich von der Einschüchterung durch die Linguistik zu befreien,<br />

kann er doch voll Stolz auf <strong>das</strong> tradierte System der rhetorischen<br />

Figuren als eine Möglichkeit verweisen, mit eigenen Mitteln sprachliche<br />

Phänomene zu identifizieren, zu klassifizieren und — so <strong>das</strong><br />

Zauberwort — zu formalisieren. Er wird dabei — mit oder ohne Rhetorik<br />

— davon unterstützt, daß die Linguistik nach ihrem stürmischen<br />

Ausbau zu Beginn der 70er Jahre inzwischen ohnehin, nicht<br />

zuletzt im Zeichen des negativ besetzten Schlagwortes von der<br />

DAS ARGUMENT 95/1976 ©

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