das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Bedarf an Rhetorik? 41<br />
fortschreitend von der historischen Entwicklung der Rhetorik über<br />
ihre Systematik und ihre logischen, informationspsychologischen,<br />
kommunikationswissenschaftlichen und zeichentheoretischen Grundlagen<br />
zu ihrer Anwendung in der Redepädagogik und der Redeanalyse.<br />
Im Vergleich mit dem Sammelband von Dyck, der ähnliche Funktionen<br />
zu haben scheint, sind die Unterschiede wichtiger als die Gemeinsamkeiten.<br />
Während Dyck den Diskussionsstand dokumentieren<br />
will, um die Möglichkeiten einer <strong>kritische</strong>n Rhetorik auszuloten, ist<br />
<strong>das</strong> Buch von Geißner ein Arbeitsbuch, dessen Inhalt, zusammengehalten<br />
von Geißners eigenem <strong>Theorie</strong>entwurf, ein Programm <strong>für</strong><br />
den Arbeitsbereich „Mündliche und schriftliche Kommunikation"<br />
darstellt. Und in der Tat, was anders als solch ein sprechwissenschaftlich<br />
orientierter Ansatz könnte einem Lernzielkatalog gerecht<br />
werden, wie er, um ein willkürliches Beispiel herauszugreifen, in<br />
Nordrhein-Westfalen <strong>für</strong> die Sekundarstufe I (Gymnasium) empfohlen<br />
wird: „— Sich aktiv, zielbewußt und tolerant an Gesprächen,<br />
Diskussionen, Debatten beteiligen können / — Kleine vorbereitete<br />
Diskussionen eines bekannten Teilnehmerkreises (Klasse) leiten<br />
können / — Einen Vortrag, ein Referat unter Verwendung der entsprechenden<br />
rhetorischen Mittel halten können / — Eigene Gedankengänge<br />
entwickeln, ordnen und schriftlich in einem dem Gegenstand<br />
und der Situation angepaßten Ausdruck niederlegen können /<br />
— Die Formen der schriftlichen Kommunikation (Brief, Bewerbung<br />
etc.) hinreichend beherrschen und sich dabei zwar nicht rollenkonform,<br />
aber doch rollenbewußt verhalten / — Orthographie, Grammatik<br />
und Zeichensetzung entsprechend den <strong>für</strong> die Sprache der Öffentlichkeit<br />
geltenden Normen beherrschen." 23<br />
Der sonst und auch bei Dyck dominierende textanalytische Aspekt<br />
fehlt völlig, entsprechend auch literaturwissenschaftliche Beiträge.<br />
An deren Stelle tritt jedoch nicht die Linguistik, sondern die Sprechwissenschaft,<br />
die auf der Grundlage der eigenen sprechkundlichen<br />
Tradition und in enger Verbindung mit Informations- und Kommunikationspsychologie<br />
ihre Kompetenz <strong>für</strong> die Lehrerbildung dokumentiert<br />
24 . Wenn sie in ihr bisher noch keine große Rolle gespielt<br />
hat und viele Studenten nicht einmal wissen, was Sprechwissenschaft<br />
denn eigentlich ist, und <strong>das</strong> ,e' nur <strong>für</strong> einen Druckfehler halten,<br />
dann deshalb, weil an vielen Universitäten noch Sprechkundler tätig<br />
sind, deren Tätigkeit sich auf Stimm- und Atemübungen, Übungen<br />
in der Hochlautung und im Gedichtvortrag beschränkt, weil außerdem<br />
die universitären und staatlichen Apparate schwerfällig sind<br />
23 Abgedruckt in: Mitteilungen des Deutschen Germanisten-Verbandes<br />
20 (1973), H. 1/2, S. 20. — Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß ich bei<br />
diesem Zufallsbeispiel gerade auf einen Lehrplan gestoßen bin, an dem<br />
Geißner selbst nicht unschuldig ist.<br />
24 Zur Information über die Sprechwissenschaft sei verwiesen auf <strong>das</strong><br />
Handbuch Sprache und Sprechen. Hrsg. v. W. L. Höffe u. H.<br />
Geißner. 3 Bde., Wuppertal 1968 (Bd. 1), 1969 (Bd. 2), 1972 (Bd. 3).<br />
DAS ARGUMENT 95/1976 ©