das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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96 Rudi Dutschke<br />
würde, an die Substanz der Zitate, ihre systematische Gliederung von<br />
mir und die dazugehörigen Erklärungen, Entwicklungen usw. heranzugehen.<br />
Es geht nicht nur um die grundlegende Differenz zwischen<br />
dem asiatischen und dem westeuropäischen Feudalismus, sondern<br />
auch um die Frage der Folgen von Eroberungen, vor deren Beantwortung<br />
Schmidt sich drückt. Für Marx und Engels gab es diesbezüglich<br />
immer drei prinzipielle Möglichkeiten:<br />
1. die Einführung einer neuen Produktionsweise durch die Eroberer;<br />
2. die alte Produktionsweise lassen die Eroberer bestehen und stellen<br />
Tributforderungen;<br />
3. oder es kommt zu einer Verquickung der alten und der neuen<br />
Produktionsweise.<br />
Was taten die tatarisch-mongolischen Eroberer? Einigkeit besteht<br />
darüber, daß sie Verwüstungen ungeheuren Ausmaßes anrichteten;<br />
nach Marx waren diese Ausdruck ihrer Produktionsform, der Viehweide.<br />
Die „große Metzgerei" (Marx) wie die Viehweide waren ein<br />
politisch-ökonomisches Prinzip, um russischen Widerstand zu verunmöglichen<br />
und die eigene Produktionsweise angemessen durchzusetzen.<br />
Was konnte also herauskommen? Die Russen zu Nomaden<br />
mongolischen Typus werden zu lassen, ließ die Agrarstruktur der<br />
Dorfgemeinden nicht zu. Mit dem Tribut allein konnten sich die<br />
Mongolen nicht zufriedengeben. Die Beibehaltung der alten Produktionsweise<br />
— und zwar ohne Reduktion — behinderte die politische<br />
Herrschaft und <strong>das</strong> zugrunde liegende Viehweide-System.<br />
Eine widersprüchliche Verquickung von Produktions- und Herrschaftsweisen<br />
setzte sich durch. Natürlich war <strong>das</strong> keine „Paarung"<br />
von Produktionsweisen, und es entstand erst recht nicht eine Zwischenform<br />
eines europäisch-asiatischen Zentralisationstypus. Es entstand<br />
vielmehr über die Tatarisierung die russische Eigenform. Darunter<br />
verstehe ich die durch die Gewalt der Eroberer aufgezwungene,<br />
aufgepfropfte völlig neue Herrschaftsweise. Und die damit<br />
verbundene neue Produktionsweise wurde der alten und dominierenden<br />
Produktionsweise gleichermaßen aufgezwungen. Welcher Begriff<br />
ist nun <strong>für</strong> die in Rußland vorherrschende jener Epoche angemessen?<br />
Eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Und die Sowjetwissenschaft<br />
der letzten „50 Jahre" hat uns bisher nur in die falsche<br />
Richtung geführt. Darum müssen wir die seit Jahrzehnten unbeachteten<br />
oder verleumdeten Analysen von Marx über Rußland so vollständig<br />
wie nur möglich rekonstruieren, weiterentwickeln und politische<br />
Konsequenzen daraus ziehen.<br />
In der Rekonstruktion können wir sagen, daß eine Tendenz Rußlands<br />
Agrikultur und die asiatischen Formen der Produktion schon<br />
vor der Tatarisierung strukturell berührte: es geht um <strong>das</strong>, was<br />
Marx als die „ursprüngliche Einheit zwischen Arbeiter und Arbeitsbedingungen"<br />
in Agrarländern bezeichnet. Diese Einheit hatte nach<br />
ihm „zwei Hauptformen: <strong>das</strong> asiatische Gemeinwesen (naturwüchsi-<br />
DAS ARGUMENT. 95/1976 ©