Christkatholisch_2023-20

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10 Panorama Christkatholisch 20/2023 Niederschwellige Akzente für die Zukunft des ökumenischen Dialogs im lokalen Raum Ökumenisches Podiumsgespräch zur Wanderausstellung in Möhlin Der Kirchenrat der Christkatholischen Landeskirche des Kantons Aargau hat im Rahmen der 150-Jahr-Jubiläumsfeierlichkeiten unserer Kirche am 9. November in Möhlin ein ökume ni sches interaktives Podium gemeinsam mit den Vertretungen der andern beiden Landeskirchen durchgeführt. Möhlin wurde bewusst als Austragungsort gewählt, weil hier vor 150 Jahren unter liberalen Katholiken eine unglaubliche Aufbruchstimmung herrschte. Im unteren Fricktal konvertierten damals zwischen 1872– 1878 praktisch alle Gemeinden zum neuen Glauben. Jubiläen sind in der Regel Anlass für eine Besinnung in Bezug auf die Vergangenheit, die über vierzig Teilnehmenden wurden jedoch eingeladen, offen über die Zukunft der Kirche und des Glaubens zu diskutieren. Die frühzeitige Ankündigung im Programm lautete: Bischof Urs Küry (1901–1976) hat die Christkatholische Kirche immer wieder mit einer «Brückenkirche" verglichen. Es wäre an der Zeit, dieses Bild intensiver und praktischer fruchtbar zu machen! Es ist die Aufgabe aller christlichen Kirchen in visionsarmen Zeiten, noch mehr Brücke zu werden und damit Impulsgeber zu sein für neue Erfahrungen, den Glauben zu leben. Es gehört zum eigentlichen Dienst der Kirchen, sich ohne Berührungsund Selbsterhaltungsangst zu öffnen für neue Kooperationen und ungewöhnliche Koalitionen. Oben: Teilnehmende des interaktiven Workshops in Aktion. Rechts von oben nach unten: Referent Andreas Krebs (Univ. Bonn), Catherine Berger (evang.- ref. Landeskirche Aargau), Markus Wentink (röm.-kath. Pastoralraum Möhlinbach) Foto: Peter Feenstra In dieser Tradition versuchten alle Teilnehmenden an diesem Abend in einem dialogischen und interaktiven Gespräch entsprechende Perspektiven zu entwickeln. Nach der Begrüssung der Anwesenden durch den Gastgeber, Kirchgemeindepräsident Silvio Iotti, erklärte der Organisator Jürg Hagmann im Namen der Mitorganisatoren (die Vertretungen der Landeskirchen sowie Theo Pindl und Hans-Jörg Frank) den geplanten Ablauf, der bewusst den Rahmen eines klassischen Podiums sprengte. Die Zukunft der Kirchen Zum Einstieg hielt Prof. Andreas Krebs von der altkatholischen Fakultät der Universität Bonn ein Impulsreferat über die Zukunft der Kirchen. Andreas Krebs kennt die schweizerischen Verhältnisse gut und ist vielen unter uns bekannt. Basierend auf seinem Input wurden dann die Teilneh-
Christkatholisch 20/2023 Panorama 11 menden aufgefordert, in neun «Murmelgruppen» zu vier bis fünf Personen die aufgeworfenen Themen in vier vorbereiteten Fragen während ca. 20 Minuten zu diskutieren. Die Anwesenden wurden etwas überrumpelt, da alle aktiv einbezogen wurden, was eine sehr lebhafte Workshop-Atmosphäre schuf. An neun Tischen wurde dann die Diskussion bewusst auf vier Fragestellungen fokussiert und die Ergebnisse auf ein paar Post-Its festgehalten. Diese werden als Teil der Wanderausstellung auf den Stelen fixiert und an die Leitung der Wanderausstellung weitergeleitet. 1. Was bedeutet es, Christin oder Christ in einer säkularen Gesellschaft zu sein? 2. Wo erlebe ich meine Kirche schon als Brückenkirche? Wie könnte sie noch mehr zur Brückenkirche werden? 3. Welche Spiritualität kann mich persönlich oder uns als Kirche durch Veränderungsprozesse tragen? 4. Welche Chancen bietet die ökumenische Zusammenarbeit in der Zukunft der Kirchen? Nach der Gruppenphase übernahm der Moderator Bernhard Lindner die Leitung der interaktiven Phase. Er arbeitet als Theologe und Pädagoge in der Fachstelle Bildung der Propstei Wislikofen. Die Rolle der Podiumsvertreter bestand dann darin, im Laufe der Plenumsdiskussion als Impulsgebende und Inspiratoren durch Intervention des Moderators die entsprechenden Fragen und Antworten zu kommentieren. Als Impulsgebende wurden vorgestellt: Catherine Berger, Vize-Präsidentin der evangelisch-reformierten Landeskirche, Markus Wentink, römisch-katholischer Pfarrer des Pastoralraums Möhlinbach sowie Michael Bangert, Pfarrer der christkatholischen Kirchgemeinde Basel-Stadt. Geschickt hat der Moderator die Plenumsdiskussion moderiert, indem die vier Fragen in der Sequenz der an den «Murmel-Tischen» verhandelten Themen im Plenum für alle nachvollziehbar besprochen werden konnten. Das Fazit aus den vier fokussierten Fragen kann hier nur kursorisch wiedergegeben werden. Zur Frage 1 dominierte die Meinung, dass gegenwärtige Gesellschaften eigentlich dauernd überfordert sind, woraus eine allgemeine Ratlosigkeit entstehe angesichts der Probleme in der Welt. Die göttliche Gnade sei zwar hilfreich, könne aber nur bedingt Trost und Hoffnung bieten. Als Impuls wurde betont, dass ein säkularer Christ oder eine säkulare Christin gerade in diesen turbulenten Zeiten die Geringschätzung von Religion aushalten sollte (Resilienz) und umso mehr eine christliche Haltung im Alltag vorleben müsse, was im Sinne einer Brückenbauerin oder eines Brückenbauers sei. Ratlosigkeit verbunden mit Demut sei erlaubt, da man vieles nicht selbst in der Hand habe. Obwohl nun Gott offenbar zur Welterklärung nicht mehr gebraucht werde (das naturwissenschaftliche Weltbild dominiert die heutige Zeit), seien symbolische Akte wie etwa der Wettersegen im Gottesdienst nach wie vor gefragt und populär. Im Kontext des Wettersegens (eigentlich ein Relikt der Volksfrömmigkeit) gab es dann eine lebhafte Diskussion um die Notwendigkeit und Häufigkeit solcher Rituale. Ökumenisches Mitmachen Zur Frage 2 war es wichtig zu betonen, dass das Mitmachen in ökumenischen Funktionen stark von einer Willkommenskultur abhänge. Man müsse sie gut vermitteln können, sei aber heute schon mit Einschränkungen konfrontiert, da man die Leute kaum mehr aktivieren könne, die es braucht. Die Frage blieb im Raum, wohin Jesus gehen würde, wenn er in Möhlin lebte? Wir sind alle gefordert, mehr zu geben als zu nehmen. Das von Michael Bangert vorgetragene Beispiel vom Leimental «Sei du unser Gast» wurde positiv zur Kenntnis genommen. Zur Frage 3 sei es wichtig, Lebendigkeit in der Spiritualität zu bewahren und die Menschen abzuholen. Es gelte, eine individuelle Balance zwischen Gemeinschaft und Gemeinschaftsaktivitäten einerseits und Privatheit andererseits zu finden, so z. B. die Möglichkeit, Meditationsmomente allein in einem sakralen Raum zu erfahren. Als Voraussetzung und Bedingung sei Offenheit dafür unerlässlich. Frohe und lustige Stimmung mit Humor gehörten auch dazu. Schliesslich sei die Sprache der Vermittlung als Verpackung der frohen Botschaft sehr wichtig. Kurt Marti hat einmal gesagt: »Vielleicht hält Gott sich einige Dichter (ich sage mit Bedacht: Dichter!), damit das Reden von ihm jene heilige Unberechenbarkeit bewahre, die den Priestern und Theologen abhandengekommen ist.» Das heisst: Spiritualität schaffen durch mehr Poesie und Sprachkunst in der Liturgie! Zur Frage 4 habe die gute ökumenische Zusammenarbeit schon zum Dorffrieden beigetragen. Dies sei nicht selbstverständlich, müsse aber immer wieder neu aktiviert werden, etwa durch offene ökumenische Arbeitskreise nicht nur unter Geistlichen. Den einstigen ökumenischen Seniorentreff, der sehr beliebt war, gebe es nicht mehr. Die aktiven Freiwilligen fehlen zunehmend. Die Ökumene könnte viel beitragen zur Lebensfreude, wenn sie ansteckender und mutiger wäre. Alle waren sich einig, dass die Zukunft des Christentums im Prinzip nur noch interkonfessionell denkbar ist. Mit der fruchtbaren Diskussion und den diversen Themen hat die Veranstaltung in Möhlin gute niederschwellige Akzente gesetzt für die Zukunft des ökumenischen Dialogs im lokalen Raum. Der Gesprächshorizont hat bewusst konfessionelle Grenzen überschritten und an die offene Kulturtradition des Fricktals angeknüpft. Ein Potential, das inspirieren und Energien freisetzen kann, damit neue Wege und mutige Schritte in die Zukunft gegangen werden können. Die Christkatholische Landeskirche Aargau dankt den Organisatoren der Kirchgemeinde Möhlin für die Vorbereitungen und den anschliessenden Apero, den drei Impulsgebenden der Landeskirchen sowie dem Referenten und insbesondere dem Publikum für ihr Kommen. Jürg Hagmann Das Referat von Andreas Krebs wird in einer Kurzfassung in der Januarausgabe publiziert. Der Volltext ist online verfügbar:
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