Christkatholisch_2023-20
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4 Thema<br />
<strong>Christkatholisch</strong> <strong>20</strong>/<strong><strong>20</strong>23</strong><br />
Zivilisationsgrenze zwischen einem<br />
an Russland orientierten Osten und<br />
einem europäisch ausgerichteten<br />
Westen.<br />
Die Ukraine widerlegt Huntingtons<br />
These auf dem Schlachtfeld. Dass<br />
Griechenland, Bulgarien und Rumänien<br />
heute der EU und der NATO angehören,<br />
belegt, dass euro-atlantische<br />
Integration und orthodoxe Kultur<br />
sich nicht grundsätzlich ausschliessen.<br />
Vor allem aber zeigen die Entwicklungen<br />
der letzten Jahre, wie sehr<br />
die orthodoxe Welt in Bewegung geraten<br />
ist. Hier liegen Chancen für EU<br />
und NATO: die Orthodoxie muss<br />
nicht wie bisher stillschweigend dem<br />
Moskauer Einflussbereich zugeordnet<br />
bleiben. Doch müssen sich die säkularen<br />
Eliten darauf einstellen, dass im<br />
Osten unseres Kontinents Christentum<br />
und Kirche keine ‹quantité négligeable›<br />
sind, sondern ein zentraler<br />
Bezugspunkt von Identität und Gesellschaft.<br />
Konflikt um Vorherrschaft<br />
Der Mangel an strategischer Reflexion zur Orthodoxie<br />
steht in eklatantem Gegensatz zu den aufwendigen<br />
und wenig erfolgreichen Versuchen, die Herausbildung<br />
eines europäischen Islams zu fördern.<br />
Seit Jahrhunderten liegen die beiden<br />
wichtigsten Zentren der Orthodoxie,<br />
der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel<br />
und die Kirchenleitung in<br />
Moskau, im Konflikt um die Vorherrschaft<br />
über die orthodoxen Gesellschaften,<br />
besonders um die Ukraine.<br />
<strong>20</strong>16 kam es zum offenen Bruch zwischen<br />
den beiden Zentren. Konstantinopel<br />
unterstützt die kirchliche Eigenständigkeit<br />
der ukrainischen Kirche.<br />
Moskau beharrt darauf, alle<br />
einstigen Sowjetrepubliken unter seiner<br />
kirchlichen Gerichtsbarkeit zu<br />
halten. Dabei geht es nicht um Klerikergezänk,<br />
sondern um Geopolitik.<br />
Denn Konstantinopel hatte schon im<br />
Kalten Krieg den Versuchen Moskaus<br />
Paroli geboten, über die Kirche Einfluss<br />
in der nichtkommunistischen<br />
orthodoxen Welt auszuüben. Nun<br />
stemmt sich der Ökumenische Patriarch<br />
Bartholomäos gegen den Hegemonieanspruch<br />
des putintreuen Patriarchen<br />
von Moskau.<br />
Die ukrainische Orthodoxie befindet<br />
sich derzeit in einem Prozess der<br />
Umorientierung nach Westen. Sollte<br />
die Ukraine dereinst der EU beitreten,<br />
entstünde eine orthodoxe Ländergruppe<br />
mit rund 75 Millionen<br />
Menschen. Sollte auch der Westbalkan<br />
aufgenommen werden, kämen<br />
noch einmal mehr als zehn Millionen<br />
Orthodoxe hinzu. Spätestens dann<br />
sollte die EU darüber nachdenken,<br />
was dies bedeutet.<br />
Der Mangel an strategischer Reflexion<br />
zur Orthodoxie steht dabei in eklatantem<br />
Gegensatz zu den aufwendigen<br />
und durchwegs wenig erfolgreichen<br />
Versuchen, die Herausbildung eines<br />
europäischen Islams zu fördern. Wesentlich<br />
erfolgversprechender wäre<br />
ein genauerer Blick darauf, wie eine<br />
EU-Orthodoxie entstehen könnte, die<br />
sich als demokratisches Gegenmodell<br />
zur Moskauer Kirche versteht, welche<br />
offen Krieg propagiert und mit den<br />
Lehren des Christentums kaum noch<br />
etwas zu tun hat.<br />
Einfach ist so ein Vorhaben nicht: Die<br />
orthodoxen Kirchen Griechenlands,<br />
Bulgariens und Rumäniens haben auf<br />
die euro-atlantische Integration bestenfalls<br />
mit Distanz, oft aber mit<br />
Skepsis reagiert. Die orthodoxen Kirchen<br />
sind Nationalkirchen in dem<br />
Sinne, dass sie sich als Vertreter einer<br />
ethnischen Gruppe empfinden. In der<br />
Regel fällt ihr Machtbereich mit einem<br />
Staatsterritorium zusammen.<br />
Nationale Nabelschau und Abwehr<br />
des Anderen sind mental tief verankert.<br />
Ebenso ist die Tradition der Zusammenarbeit<br />
zwischen den orthodoxen<br />
Kirchen wenig ausgeprägt. Auch<br />
ist nicht zu übersehen, dass in allen<br />
drei Kirchen der EU-Orthodoxie antiwestliche<br />
Strömungen bestehen. Die<br />
EU und die nationalen Regierungen<br />
der drei orthodoxen Länder haben<br />
jahrelang zugesehen, wie Vladimir<br />
Putin sich an symbolischen Orten wie<br />
dem Heiligen Berg Athos in Griechenland<br />
als Schutzherr der orthodoxen<br />
Welt inszenierte.<br />
Die EU-Orthodoxie hat auch unterschiedlich<br />
auf den russischen Überfall<br />
auf die Ukraine und dessen religiöse<br />
Begründung durch den Moskauer<br />
Patriarchen reagiert. Niemand hat so<br />
deutliche Worte der Verurteilung gefunden<br />
wie Patriarch Bartholomäos<br />
von Konstantinopel. Bukarest lehnte<br />
den Krieg in vorsichtigen Worten ab,<br />
Sofia setzte eine bis heute ohne Ergebnis<br />
arbeitende Kommission ein,<br />
Athen unterstützte Konstantinopel.<br />
Vor kurzem aber ist etwas Ungewöhnliches<br />
geschehen: Erstmals seit<br />
dem Sturz der kommunistischen Diktatur<br />
haben sich in Rumänien zahlreiche<br />
der Kirche nahestehende Persönlichkeiten<br />
zu einer Petition zusammengefunden,<br />
die verlangt, Ostern<br />
solle am gleichen Tag wie in den<br />
Westkirchen gefeiert werden. Dies ist<br />
in der Orthodoxie kein kalendertechnisches<br />
Problem, sondern eine Frage<br />
der Identität. Und die Petenten begründeten<br />
ihren Schritt auch politisch.<br />
Sie wollen nicht zulassen, dass<br />
die Kirche weiter in Richtung Moskau<br />
Zum ersten Mal versuchen orthodoxe Intellektuelle<br />
in der EU, die Orthodoxie mit Demokratie und<br />
euro-atlantischer Integration zusammenzudenken.<br />
Sie werden seit rund einem Monat von prorussischen<br />
Traditionalisten heftig attackiert.<br />
driftet. Vielmehr soll sich die Kirche<br />
zur EU bekennen. Zum ersten Mal<br />
versuchen orthodoxe Intellektuelle in<br />
der EU, die Orthodoxie mit Demokratie<br />
und euro-atlantischer Integration<br />
zusammenzudenken. Sie werden<br />
seit rund einem Monat von prorussischen<br />
Traditionalisten heftig attackiert.<br />
Ihre Petition aber weist eine