Thomas Loche - Zeit Kunstverlag
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Wie kommt der Text zum Bild?<br />
<strong>Thomas</strong> Wulffen<br />
Die Beantwortung der Titelfrage scheint auf den ersten<br />
Blick keine schwere Aufgabe zu sein. Schließlich wissen<br />
wir, was ein Text und was ein Bild ist. Oder wir können<br />
unterscheiden zwischen einem Bild und einem Text. Das<br />
gilt auch für das Zusammentreffen von Bild und Text.<br />
Aber schon da beginnen sich Probleme abzuzeichnen.<br />
Was passiert denn, wenn aus einem Text ein Textbild<br />
wird? Derartige Verfahren nutzt beispielhaft die zeitgenössische<br />
Werbung. Längst befindet sich die Kategorie<br />
Text in einem Wandel, der gewohnte Trennungen und<br />
Unterscheidungen aufzuheben scheint.<br />
Was für den Text gilt, gilt nicht weniger für das Bild.<br />
Sowohl mit dem Bild als auch dem Text sind spezifische<br />
Erkenntnisweisen verbunden. Wenn deren Formen sich<br />
ändern, dann hat dies auch Einfluss auf die Art und Weise<br />
der Erkenntnis. Der Übergang des Texts in ein Textbild<br />
scheint auf einer formalen Ebene nur ein kleiner Schritt<br />
zu sein. Aber bezogen auf die Form von Erkenntnis ist es<br />
ein gewaltiger Sprung: Das grammatisch-verbale System<br />
Text wird erweitert um das piktural-ikonographische<br />
System Bild. Andererseits muss aber auch zugestanden<br />
werden, dass dieser Übergang nur möglich ist, weil auch<br />
die Grund legenden Prozesse der Wahrnehmung sich<br />
verändert haben. Aus einer Lese-Kultur wird eine Bild-<br />
Kultur. Einen bestimmenden Anteil daran hat die Digitalisierung,<br />
die Text und Bild auf eine Ebene zusammen zu<br />
bringen scheinen.<br />
Auf dieser Folie ist das Werk von <strong>Thomas</strong> <strong>Loche</strong>r zu situieren.<br />
Seit Mitte der achtziger Jahre hat der Künstler ein<br />
Werk entwickelt, dass ebenso Kunst der Reflexion als<br />
auch Reflexion der Kunst ist. Dabei bezieht er sich direkt<br />
auf die sogenannte Konzeptkunst, die im Wesentlichen<br />
eine Kunst der Begriffe ist 1 . Das bedeutet aber auch, dass<br />
sich ihre Formen und Präsentationen als Überlegungen<br />
zum Status des Kunstwerks zeigen. Boris Groys schreibt<br />
dazu: »<strong>Loche</strong>r erfindet seine konzeptualistische Tradition,<br />
indem er mit dieser Tradition bricht – oder sie zumindest<br />
in Frage stellt.« 2<br />
Dematerialisation<br />
Ein auffälliges Merkmal dieser Kunst war ihre zum<br />
Schlagwort gewordene Dematerialisation 3 . Dies und die<br />
Arbeit im und mit dem Begriff kennzeichnet das frühe<br />
Werk von <strong>Thomas</strong> <strong>Loche</strong>r, beispielhaft abzulesen in der<br />
Arbeit 1-32c (Abb. 5) aus dem Jahr 1985. In der Farbfotografie<br />
sind Bestandteile unterschiedlicher Art zu iden-<br />
2<br />
tifizieren, kleine Motoren, Kabel und Schrauben. Dabei<br />
fügen sich diese Bestandteile nicht zu einem Komplex<br />
zusammen, sondern scheinen zu disparaten Maschinen<br />
zu gehören. Jedes einzelne Element trägt eine Nummer<br />
und die Objekte werden von 1 bis 32 durchgezählt. Das<br />
Werk in den Dimensionen 120 cm x 240 cm wirkt wie eine<br />
überdimensionale Lehrtafel. Aber den Betrachter lehrt<br />
sie vor allem nur eines: die Diskrepanz zwischen dem<br />
Objekt und dessen Bezeichnung. Oder handelt es sich<br />
um eine Schautafel für Kinder, auf der die Bezeichnung<br />
durch das Bezeichnete abgelöst wird? Könnte man in diesem<br />
Werk nicht auch so etwas sehen wie einen Abgesang<br />
auf eine konzeptuelle Kunst, die den Begriff zum Fetisch<br />
erhob und dabei den Boden unter den Füßen verloren<br />
hat 4 .<br />
Auf diesem Hintergrund wird dann auch der nächste<br />
Schritt verständlich. Wobei <strong>Thomas</strong> <strong>Loche</strong>rs Schritte<br />
nicht den Anspruch erheben, sich einer Entwicklungslogik<br />
unterordnen zu wollen. Dazu ist dieser Künstler zu<br />
sehr Skeptiker, der die Fallstricke und Fallen, die man<br />
sich selbst stellen kann, genau kennt und analysiert. Im<br />
Jahre 1989 stellte er eine Serie von Farbfeldbildern her,<br />
die einen Abstraktionsschritt weiter gehen. Die Abstraktion<br />
sieht man dem Werk Eins bis vierzehn 5 , Astralon graviert<br />
auf Holz, sofort an. Verschiedene Farben treffen aufeinander,<br />
sie evozieren so etwas wie eine Landschaft und<br />
negieren sie gleichzeitig. Denn jede einzelne Farbfläche<br />
trägt eine Nummer. Die Nummerierung wird dann auch<br />
wieder Titel gebend: Eins bis vierzehn. Wer nachzählt, findet<br />
die Zahl »vierzehn« aber nicht im Bild, sodass man<br />
als Betrachter davon ausgehen muss, dass die Zahl das<br />
Bild in seiner Gesamtheit bezeichnet. Diese Gesamtheit<br />
umfasst eine spezifische Systematik, die einzelne Farben<br />
zusammen führt. So erhält Schwarz die Primzahlen<br />
5 und 7. Das Rot steht an erster Stelle mit der Nummerierung<br />
1 und 2. Die Farbe Gelb lässt sich teilen: 12 durch<br />
3. Das Grau liegt sich sehr nahe: 9 und 8. Eine Beschreibung,<br />
die im Grunde willkürlich ist, und dennoch ist die<br />
Nummerierung ein gewollter Akt. Man kann darin auch<br />
eine ironische Paraphrase auf „Do it yourself“-Gemälde<br />
sehen, die schon Andy Warhol in einem Gemäldezyklus<br />
thematisiert hat 6 . Dennoch ist die Systematik kein reiner<br />
Selbstzweck. Lassen sich doch selbst bei gleichen Farbflächen<br />
und gleicher Verteilung über die Nummerierung<br />
Differenzen erzeugen. Die Indizierung erzeugt darüber<br />
hinaus Korrespondenzen innerhalb des Bildes. Wobei