H Christine & Irene Hohenbüchler - Weltkunst
H Christine & Irene Hohenbüchler - Weltkunst
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die Blätter erinnern an naive Kunst, an Dekor, an Bilderbuchseiten<br />
– oder tatsächlich auch Buchmalerei, die<br />
Bildfindungen und Dekorationen, mit denen im Mittelalter<br />
die Bibeln und Stundenbücher ausgemalt und dekoriert<br />
wurden. Es ist irritierend, diese naiven Bildfindungen auf<br />
solcher Größe ausgeführt zu sehen – fast so, als wüchsen<br />
sich die zitierten Vorbilder ins Monströse aus; und auch,<br />
weil die Qualität der Großformate so bestechend ist. Sie<br />
sind eben keine Tapeten, keine groben Vergrößerungen<br />
– die Künstlerinnen (Zeichnungen entstehen meist zu<br />
zweit) beherrschen die Großformate virtuos und wären<br />
mühelos in der Lage, jedes Format auf Leinwand auszuführen.<br />
Dass sie dennoch darauf beharren, auf Papier zu<br />
arbeiten, erinnert an das manische Festhalten von Art-<br />
Brut-Künstlern an ihrem Material, das keine Entwicklung<br />
zulässt und sich darin erfüllen kann, auch nach Jahren<br />
künstlerischen Arbeitens weiterhin die gleichen vielleicht<br />
nur ins Meterlange ausgewachsenen Papierbahnen vollzukritzeln.<br />
Es gibt auch Leinwände wie Balthus (1995) oder die drei<br />
Jahre später entstandenen Kinderbildnisse (Abb. 14), die<br />
als shaped canvases die Umrisslinien ihrer Motivik – der<br />
einfachen Figurendarstellungen – aufnehmen: Mit den<br />
Konturen der Haare, Jacken, Handschuhe, einer Rückenlinie<br />
oder dem eiförmigen Rand des Schlafsäckchens<br />
endet auch das Kinderbild, das so wirkt, als habe man es<br />
– nicht allzu gekonnt – aus einem größeren Bildzusammenhang<br />
ausgeschnitten. Gleichzeitig erinnert die Form<br />
in ihrer unregelmäßigen Willkür auch an einen Farbklecks<br />
– was wiederum an den Rorschach-Test denken<br />
lässt. Die Wirkung der zuletzt genannten Serie passt sich<br />
in die Installation rätsel(haft) (1998) in der Wiener Galerie<br />
Martin Janda ein, zu der auch Fotografien gehörten, die<br />
ebenfalls ungerahmt direkt auf die Wand gepinnt wurden.<br />
Neben den Fotografien wirkten die Portraits weniger<br />
wie herausragende, solitäre Bildfindungen denn wie<br />
dekorative Elemente einer anderen Ordnung, die sich<br />
nicht allzu kontrastierend unter die Aufnahmen mischte.<br />
Die Farbigkeit nahm die leuchtende Pulverbeschichtung<br />
des „Stellagensystems“ auf, das <strong>Christine</strong> <strong>Hohenbüchler</strong><br />
aus Eisenformrohr entworfen hatte, eine Ansammlung<br />
hochbeiniger Blumentische oder eine Kreuzung aus<br />
4<br />
Künstlerische Projekte, die bewusst außerhalb des<br />
Kunstkontextes stattfinden und es vorziehen, der<br />
Kunst auch ein eigenes Gebäude maßzuschneidern. «<br />
Kleiderständer und Gitterbett. Der Gesamteindruck war<br />
einerseits sehr intim – der klassisch mit Parkettholz ausgelegte<br />
Raum hatte die Anmutung einer bunt möblierten<br />
Altbauwohnung – andererseits ist vor allem Foto-Aufnahmen<br />
der Inszenierung ein bühnenhafter Abstraktionsgrad<br />
zu eigen: Sechs elegant aber nutzlos proportionierte,<br />
hochstelzige Möbel und die wie hingekleckst auf der<br />
Wand sitzenden Gemälde verbinden sich mit den bunten<br />
Fotografien zum kulissenhaften All-over.<br />
Es ist offensichtlich, dass <strong>Irene</strong> <strong>Hohenbüchler</strong> die Ausprägung<br />
von Virtuosität, das Entwickeln einer differenzierten<br />
künstlerischen Handschrift vorsätzlich vermeidet.<br />
Dabei wirkt sie niemals gebremst oder eingeschränkt,<br />
sondern reizt die reiche, motivische Vielfalt und die malerischen<br />
Möglichkeiten einer rohen, naiven, unmittelbaren<br />
Gestaltung aus. Das nicht ganz Gekonnte beherrscht sie<br />
in größter Vollkommenheit.<br />
Möbel und Häuser<br />
Die Bildhauerei von Christiane<br />
<strong>Hohenbüchler</strong> ist dieser Haltung<br />
auf eigene Weise verwand.<br />
Ihre offenen, zumeist einfach kon-struierten Gebilde lehnen<br />
sich sichtbar an die Vorstellung von Mobiliar oder<br />
Architektur an, bleiben jedoch freihändige Übersetzungen<br />
in die Sprache der Kunst: Einfache Haus-Strukturen verweisen<br />
auf die Moderne oder Utopisten wie die Architekten<br />
Schindler, Taut oder Buckingham Fuller. Andere<br />
Arbeiten zitieren vielleicht die Wiener Moderne, die<br />
Möbel eines Josef Hoffmann oder der Wiener Werkstätten.<br />
In der Galerie Stampa in Basel zeigte sie 1995 zwei<br />
Paravents aus lackiertem Holz, die, aus Latten als Gerüste<br />
zusammengesetzt, vorsätzlich dysfunktional blieben.<br />
Sie schirmten als Sichtschutz nichts ab und standen so<br />
frei im Raum, dass sie auch nicht den Weg der Besucher<br />
beeinträchtigten oder lenkten.<br />
Auch die aus lackiertem Eisenformrohr zusammengesetzte<br />
Arbeit Prototypen der Documenta-Stühle – gezeigt<br />
im Jahr 1997 in der Galerie Barbara Weiss in Berlin – hat<br />
sich durch ihre Proportionen von der Funktion des Möbels<br />
entfernt. Zwar ahmt der Aufbau die Form eines Stuhles<br />
nach, allerdings ist der Entwurf viel zu groß und zu hoch,<br />
um einem Menschen einen Platz einzuräumen, schon<br />
weil auf eine Sitzfläche verzichtet wurde. Als Skulptur<br />
kann man den „Prototypen“ als zwei Stühle beschreiben,<br />
die aus schmalen, eisernen Vierkantstangen geschweißt<br />
sind. Während die Sitzfläche in dem rechtwinkligen Entwurf<br />
fehlt, ist die Rückenlehne aus parallel gesetzten