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H Christine & Irene Hohenbüchler - Weltkunst

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schlag für eine Notunterkunft vor dem Hintergrund des<br />

Kosovo-Krieges, der auf der anderen Seite der Adria tausende<br />

von Familien heimatlos machte. Das Material des<br />

Mutter-Kind(er)-Hauses, rohe Holzbretter, erinnerte an<br />

das Holzhaus ihrer Großmutter – während das Gebäude<br />

selbst modern gedacht war und sich aus wabenförmigen<br />

Zellen zusammensetzte, eine große Wohn-Eßküche mit<br />

Badezimmer stand im Zentrum, eine Treppe führte zum<br />

Kinderzimmer, das sich wie ein Baumhaus oder die Kanzel<br />

eines Wachturms über den Hauptbau erhob und die<br />

darunterliegende Fläche als Spielplatz gegen schlechtes<br />

Wetter verteidigte.<br />

Vergessene Bedürfnisse<br />

Ein Haus zu bauen ist eine unauffällige Weise, sich an größeren<br />

Dimensionen zu erproben, ohne monumental zu<br />

werden. Zumal der funktionale Anspruch eines so großen<br />

Werkes wie des Mutter-Kind(er)-Hauses jede Diskussion<br />

über die Form in die Sphäre der angenommenen Bedürftigkeit<br />

anderer verweist. Auch damit erinnert es an das<br />

„Haus für Schweine und Menschen“, das Rosemarie Trockel<br />

zwei Jahre zuvor als Ko-Teilnehmerin der documenta<br />

in Kassels Parkanlagen errichtete: Damals ein strenger<br />

Betonkubus, in dem eine halb verspiegelte Scheibe<br />

Schweinestall und Zuschauerparkett voneinander trennte.<br />

Sowohl Trockel als auch die <strong>Hohenbüchler</strong>s stellten mit<br />

ihren Architekturen etwas anderes aus: Übersehene Not<br />

und vergessene Bedürfnisse von Familien im Krieg oder<br />

unser Verhältnisse zu Nutztieren wurden so gerahmt und<br />

der kontemplativen Kunstbetrachtung – versuchsweise<br />

– angeboten.<br />

Als Thomas Hirschhorn – bei der documenta 11 im Jahr<br />

2002 – sein „Bataille-Monument“ in einen sozialen<br />

Brennpunkt an der Peripherie Kassels pflanzte, entwarf<br />

er mit dem provisorischen Bau ein Gegenbild als „Kritik<br />

zum bestehenden Monument... Das Bataille Monument<br />

kommt von unten, es will niemanden einschüchtern,<br />

es ist nicht unzerstörbar, und es ist nicht für die Ewigkeit<br />

bestimmt und für ein nicht-exklusives Publikum<br />

gemacht“, sagte der Künstler über seinen mit einer<br />

Bibliothek ausgestatteten Kiosk. Der provisorische, von<br />

Graffiti überzogene Bau, wurde von Klebeband zusam-<br />

6<br />

Es ist deutlich, dass die Künstlerinnen verstanden<br />

werden möchten in ihren Anliegen, auch wenn es dafür<br />

notwendig ist, auf verschiedenen Ebenen zu kommunizieren.«<br />

mengehalten, war mit bunten Lichterketten geschmückt<br />

und wirkte wie eine verlassene, von Jugendlichen selbst<br />

dekorierte Gartenlaube. Sowohl die niedrig-schwellige<br />

Gestaltung, die sich leicht mit billigen Baumarkt-Materialien<br />

hätte ausbauen lassen können, wie auch die Verbindung<br />

mit Text, die Verweise auf Literatur und vor allem<br />

die Erklärung Hirschhorns erinnern frappant an die<br />

künstlerischen Techniken und Anliegen der <strong>Hohenbüchler</strong>-Schwestern.<br />

Für ihre Zusammenarbeit haben die Zwillinge den Begriff<br />

„Multiple Autorschaft“ geprägt, eine Wort-Koppelung, die<br />

auf die Begrifflichkeit der Psychologie anspielt: Eine Multiple<br />

Persönlichkeit ist eine<br />

Seele, die in viele zerfällt.<br />

Wo zwei Künstlerinnen<br />

ausschließlich gemeinsam<br />

auftreten, leben zwei<br />

Menschen in einem Werk<br />

– das kann man additiv<br />

beschreiben, oder eben als Bruchrechnung. Ihr Begriff<br />

von Zusammenarbeit meint dabei weniger gemeinsame<br />

Kreativität als einander verantwortliches Handeln. „Bei<br />

Kooperationen wird zumeist mehr verworfen als zugelassen.<br />

Das geht ohne Diskussionen“, sagt <strong>Irene</strong> <strong>Hohenbüchler</strong>.<br />

„Wir sprechen nie darüber, wir brauchen einen Dritten,<br />

um über unsere Arbeit zu reden.“<br />

Verweise auf Persönliches<br />

Es ist sicher kein Zufall, dass auch die Zwillinge Gert und<br />

Uwe Tobias, die gemeinsam unter dem Namen Tobias Z.<br />

ihre Karriere begannen, wie die <strong>Hohenbüchler</strong>s einen<br />

offenen Umgang mit der Zusammenarbeit pflegen – jeder<br />

darf wissen, wer gezeichnet, getöpfert oder gebaut hat,<br />

dennoch gehen die Resultate in die gemeinsame Arbeit<br />

über. Und wie die Schwestern <strong>Hohenbüchler</strong> spielen auch<br />

bei den Brüdern Tobias Herkunft und Familie in der Arbeit<br />

eine Rolle: Orte und Personen, die aufgrund der gemeinsamen<br />

Biographie zu verbindenden, gedoppelten Anknüpfungspunkten<br />

werden, können diese Zwillings-Künstler<br />

mit größerer Selbstverständlichkeit in ihre Arbeiten<br />

als Motive aufnehmen. Ob es das Haus der Großmutter<br />

ist (<strong>Hohenbüchler</strong>) oder ein Dorf in Siebenbürgen (Tobias),<br />

aus dem man stammt und das als Sehnsuchtsraum<br />

gezeigt wird – dem gemeinsamen Werk wird eine soziale,<br />

psychische, genetische Herkunft eingepflanzt. Wo sonst<br />

vor allem nach kunsthistorischen Verwandtschaftslinien<br />

geforscht wird, entsteht ein Geflecht aus Verweisen auf<br />

Persönliches.

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