Ärzt*in für Wien 2024/01
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COVERSTORY AM PULS<br />
Foto: MedUni <strong>Wien</strong>/Susanne Schwarz.<br />
formationen zu diesen Ressourcen und<br />
vieles mehr finden sich auf der Website<br />
https://toolbox-opferschutz.at.<br />
<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Gerichtsmedizin<br />
und Staatsanwaltschaft arbeiten oftmals<br />
eng zusammen. Wie kann man sich so eine<br />
Zusammenarbeit vorstellen, wie sieht<br />
der Ablauf aus und was sind die wichtigsten<br />
Fragen, die sich hier von beiden<br />
Seiten stellen?<br />
Stolz: Das Kerngebiet der Gerichtsmedizin<br />
ist es, medizinische Sachverhalte<br />
im Rahmen von rechtlichen Fragestellungen<br />
<strong>für</strong> medizinische Laien aufzuarbeiten<br />
und somit die Rechtspflege zu<br />
unterstützen. Staatsanwaltschaften und<br />
Gerichte benötigen in Fällen von Tötungsdelikten,<br />
medizinischen Behandlungsfehlern,<br />
Unfällen, fraglichen Suiziden,<br />
Vergiftungen, Körperverletzungen<br />
und so weiter die fachliche Expertise von<br />
gerichtsmedizinischen Sachverständigen<br />
und beauftragen diese mit einer Gutachtenserstattung.<br />
Die Fälle müssen dann<br />
innerhalb einer bestimmten Frist aufgearbeitet<br />
werden. Bei Obduktionen muss<br />
Art und Ursache des Todes festgestellt<br />
werden, da die Beantwortung dieser Fragen<br />
rechtliche Konsequenzen nach sich<br />
ziehen kann. Zum Beispiel können sich<br />
bei Tötungsdelikten ohne Tatverdächtigen<br />
durch die Obduktion auch wichtige<br />
Erkenntnisse ergeben, die dann in<br />
den weiteren Entscheidungsprozess der<br />
Staatsanwaltschaft und in die Ermittlungsarbeit<br />
der Polizei miteinfließen.<br />
Wir sind es dabei gewohnt, im Rahmen<br />
von Obduktionen immer wieder aufs<br />
Neue überrascht zu werden. Oft werden<br />
zuvor aufgestellten Hypothesen über die<br />
Todesursache auf dem Obduktionstisch<br />
vollkommen über den Haufen geworfen.<br />
Infos <strong>für</strong> forensisch interessierte<br />
Kolleginnen und Kollegen<br />
Katharina Stolz: „Es darf keine Scheu herrschen,<br />
nach erlebter Gewalt zu fragen.“<br />
Das Zentrum <strong>für</strong> Gerichtsmedizin<br />
der Medizinischen Universität <strong>Wien</strong><br />
bietet auch einen 24/7-Rufbereitschaftsdienst<br />
<strong>für</strong> die Hinzuziehung zu<br />
Leichenfundorten, wenn sich vor Ort<br />
bereits der hochgradige Verdacht auf<br />
ein Fremdverschulden ergibt. Im Rahmen<br />
dessen fahren wir zu jeder Tagesund<br />
Nachtzeit im Auftrag der Staatsanwaltschaft<br />
an den Auffindungsort<br />
und erheben dort im Zuge eines Lokalaugenscheines<br />
wichtige Befunde und<br />
führen gemeinsam mit den zuständigen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
des Landeskriminalamtes eine<br />
Spurensicherung durch. Bei Fällen<br />
von Körperverletzung stellt sich <strong>für</strong><br />
die Staatsanwaltschaft die Frage nach<br />
der Art und Schwere, der Dauer der<br />
Gesundheitsschädigung und dem<br />
Entstehungsmechanismus der vorliegenden<br />
Verletzungen.<br />
In diesen Fällen erlangen die oftmals<br />
bereits klinisch erhobenen Befunde<br />
eine besondere Relevanz. Wir untersuchen<br />
die Betroffenen dann auch<br />
– meist jedoch mit einer deutlichen<br />
zeitlichen Verzögerung zu dem gegenständlichen<br />
Vorfall. <br />
Rechtlich relevante Körperverletzungen und in diesem Bereich auch insbesondere<br />
Fälle häuslicher Gewalt bedürfen einer gerichtsverwertbaren<br />
und nachvollziehbaren Dokumentation. Diesbezüglich ist das Zentrum <strong>für</strong><br />
Gerichtsmedizin bestrebt, Gewaltbetroffenen in Zukunft auch in <strong>Wien</strong> die<br />
Möglichkeit einer verfahrensunabhängigen forensischen Verletzungsdokumentation<br />
zu bieten. Es gibt dahingehend Überlegungen, das Team um engagierte<br />
Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner zu erweitern. Forensisch<br />
interessierte Kolleginnen und Kollegen, die sich einer neuen Herausforderung<br />
stellen möchten, können sich nähere Informationen dazu im Sekretariat des<br />
Zentrums <strong>für</strong> Gerichtsmedizin (gerichtsmedizin@meduniwien.ac.at) einholen.<br />
die Tat etwa zu wiederholen droht, muss trotzdem angezeigt<br />
werden. Fazit: Es ist kompliziert.<br />
Erkennen und helfen<br />
Welche Aufgaben rund um den Gewaltschutz <strong>für</strong> Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter im Gesundheitswesen bestehen,<br />
lässt sich kurz und knapp zusammenfassen, so die<br />
Psychologin Michaela Pichler von der Gesundheit Österreich<br />
GmbH (GÖG): Erkennen, ansprechen, dokumentieren<br />
und weitervermitteln. Ein großes und wichtiges Thema<br />
sei dabei die Scham der Opfer, so gingen nach wie vor<br />
die meisten von sexueller Gewalt betroffenen Frauen nicht<br />
zur Polizei. „Allerdings sucht ein Drittel dieser Frauen<br />
nach solchen Vorfällen Gesundheitseinrichtungen auf“,<br />
so Pichler. Hier läge eine große Chance zu erkennen und<br />
zu helfen, vor allem im niedergelassenen Bereich, wo die<br />
Ärztinnen und Ärzte oftmals eine jahrelange Beziehung<br />
zu den betroffenen Personen - meistens Frauen - gepflegt<br />
haben.<br />
Eben das ist aber auch die Herausforderung, denn dieses<br />
Beziehungsgeflecht „macht das Ganze so komplex“, erklärt<br />
Pichler. Deswegen gelte es, die Ärztinnen und Ärzte hier zu<br />
unterstützen, um handlungsfähig zu bleiben. Die Rolle der<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitsbereich<br />
müsse ganz klar definiert werden, keineswegs „geht es darum,<br />
selbst alles abzudecken, was auch gar nicht möglich<br />
ist, sondern genau hinzuschauen, einen Verdacht sensibel<br />
anzusprechen und Betroffene an die spezialisierten Einrichtungen<br />
weiterzuvermitteln.“ Vernetzung sei hier das A<br />
und O.<br />
Neuer Leitfaden<br />
Ein Werkzeug, um Ärztinnen und Ärzte in der praktischen<br />
Arbeit bei der Versorgung von gewaltbetroffenen<br />
Personen zu unterstützen, wurde kürzlich vorgestellt: Der<br />
Leitfaden „Gewaltschutz im niedergelassenen Bereich“.<br />
Unter anderem waren daran auch Vertretende der Bundeskurie<br />
niedergelassene Ärzte (Österreichische Ärztekammer)<br />
sowie Expertinnen und Experten des Österreichischen<br />
Dachverbands der Opferschutzgruppen im<br />
Gesundheits- und Sozialbereich beteiligt. Dieser ist unter<br />
https://toolbox-opferschutz.at/ downloadbar.<br />
Red Flags<br />
Klassische „Red flags“ <strong>für</strong> häusliche Gewalt, bei denen<br />
man als Ärztin oder Arzt hellhörig werden sollte, sind etwa<br />
chronische Beschwerden, die keine offensichtlichen physischen<br />
Ursachen haben, Verletzungen, die nicht mit der<br />
Erklärung, wie sie entstanden sein sollen, übereinstimmen<br />
oder ein Partner, der übermäßig aufmerksam ist, kontrollierend<br />
handelt und nicht von der Seite der Frau weichen<br />
will. Ebenfalls aufmerksam werden sollte man bei einem<br />
späteren Beginn der Schwangerschaftsvorsorge oder einer<br />
auffälligen Verzögerung zwischen Zeitpunkt der Verletzung<br />
und Aufsuchen der Behandlung.<br />
Laut WHO sterben Frauen eher durch die Hand des eigenen<br />
Partners oder Ex-Partners als durch Krieg, Unfall oder<br />
Krankheit. Umso wichtiger ist es, potenzielle Zeichen <strong>für</strong><br />
Gewalt frühzeitig und zuverlässig zu erkennen und die Informationen<br />
zielgerichtet weitergeben zu können. <br />
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