2024-03_RegioBusiness
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März <strong>2024</strong> I Jahrgang 23 I Nr. 258<br />
Blickpunkt 07<br />
„Prognosen? Politisches Druckmittel!“<br />
Ist die wirtschaftliche Lage wirklich so dramatisch? Warum fallen so viele Jahresberichte trotzdem positiv aus? Unternehmer aus der<br />
Region beziehen Stellung zu den Ergebnissen der jüngsten Konjunkturumfrage der IHK Heilbronn-Franken. VON ANTONIO DE MITRI<br />
Auf der einen Seite steht das<br />
düstere Stimmungsbild<br />
der regionalen Wirtschaft.<br />
Gleichzeitig melden viele Betriebe<br />
gute Zahlen für das Geschäftsjahr<br />
2023 und blicken positiv nach<br />
vorne. Wie passt das zusammen?<br />
Elke Döring, Hauptgeschäftsführerin<br />
der IHK Heilbronn-Franken,<br />
sieht darin auf Anfrage dieser Zeitung<br />
„keinen Widerspruch“.<br />
Selbst bei einem Wirtschaftswachstum<br />
von nur noch 0,2 Prozent<br />
gebe es Unternehmen, die<br />
gute Geschäfte machten. „Aber“,<br />
fügt Döring hinzu: „Das reicht<br />
eben nicht.“ Natürlich bewerteten<br />
Unternehmen ihre Geschäftslage<br />
auch als gut, doch das sei gerade<br />
einmal ein Viertel. Döring:<br />
„Entscheidend und besorgniserregend<br />
ist der Trend.“<br />
Die großen Unternehmen<br />
haben’s leichter<br />
Freilich: Gerade bei den größeren<br />
Betrieben in der Region<br />
ist die Stimmungslage tendenziell<br />
besser. So sieht das auch<br />
die IHK-Hauptgeschäftsführerin.<br />
„Sie können Investitionen leichter<br />
an Standorte im Ausland verlagern<br />
– und das tun sie auch.“<br />
Bei den Geschäftserwartungen<br />
gebe es hier dementsprechend<br />
wieder mehr Optimisten. „Da lassen<br />
Zinspolitik, Inflationsentwicklung<br />
und verbesserte Exporterwartungen<br />
auf bessere Geschäfte<br />
hoffen.“ Allerdings weist Döring<br />
darauf hin, dass die aktuelle geschäftliche<br />
Situation in der jüngsten<br />
IHK-Konjunkturumfrage sowohl<br />
bei den Firmen mit mehr als<br />
auch mit weniger als 250 Beschäftigten<br />
schlechter bewertet werde.<br />
Jan Willem Jongert, Geschäftsführer<br />
der Bott-Gruppe mit Sitz in<br />
Gaildorf, kann der Argumentation<br />
nicht folgen. Seine Einschätzung<br />
gegenüber dem Stimmungsbild<br />
der IHK-Umfrage fällt klar aus:<br />
„Viele Prognosen werden als politisches<br />
Druckmittel missbraucht<br />
und spiegeln nicht die momentane<br />
Lage und Stimmung wieder“,<br />
findet er. Allerdings teilt er gegenüber<br />
dieser Zeitung die Kritik der<br />
IHK-Konjunkturprognose an der<br />
Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.<br />
Vor allem bemängelt<br />
Jongert, dass „eine klare Marschrichtung“<br />
fehle. Entscheidungen<br />
seien oft nicht durchdacht und<br />
würden kurze Zeit später wieder<br />
revidiert, so der Bott-Chef. „Außerdem<br />
besteht eine Angstkultur,<br />
die sich davor scheut, wichtige<br />
Themen beim Namen zu nennen.“<br />
Sein Urteil über die Bundesregierung:<br />
„Ein Unternehmen mit einer<br />
derartigen Führung würde nicht<br />
überleben.“ Aber was muss aus<br />
Geschäftslage<br />
der Konjunktur<br />
in den Kreisen<br />
der Region<br />
in Prozent<br />
25<br />
58<br />
17<br />
Region<br />
Heilbronn-Franken<br />
19<br />
seiner Sicht in der Wirtschaftspolitik<br />
des Bundes anders laufen?<br />
Jongert: „Wir brauchen weniger<br />
Bürokratie sowie mehr unternehmerischen<br />
Freiraum und Verantwortung<br />
bei den Firmen.“<br />
„Lindner hat Recht: Es ist<br />
wirklich peinlich“<br />
66<br />
15<br />
Stadt Heilbronn<br />
Landkreis<br />
Heilbronn<br />
59<br />
25<br />
16<br />
19<br />
54<br />
32<br />
27<br />
Hohenlohekreis<br />
52<br />
16<br />
Main-Tauber-Kreis<br />
31<br />
gut<br />
befriedigend<br />
schlecht<br />
56<br />
13<br />
Landkreis Schwäbisch Hall<br />
RB Grafik: Achim Köpf, Quellen: Konjunktur-Pressegespräch IHK Heilbronn-Franken, 4. Quartal <strong>2024</strong><br />
Ausufernde Bürokratie, hohe<br />
Energiekosten und langwierige<br />
Planungs- und Genehmigungsverfahren<br />
– dies sind auch aus Sicht<br />
von Kärcher die Hauptkritikpunkte<br />
in Richtung Berlin. „Das drückt<br />
natürlich auf die Stimmung“, betont<br />
Vorstandsvorsitzender Hartmut<br />
Jenner. Mit der Wirtschaftspolitik,<br />
ergänzt er auf Anfrage,<br />
„kann man schlicht und ergreifend<br />
nicht zufrieden sein.“<br />
Bei voraussichtlich nur noch 0,2<br />
Prozent Wachstum <strong>2024</strong> lande<br />
Deutschland in der Schlussgruppe<br />
der Industriestaaten. „Da<br />
kann ich dem Bundesfinanzminister<br />
nur beipflichten, der das<br />
als peinlich bezeichnet hat.“ Anfang<br />
Februar hatten die Winnender<br />
für 2023 einen Umsatzrekord<br />
gemeldet. „Wir haben Marktanteile<br />
gewonnen und einen neuen<br />
Umsatzrekord aufgestellt.“ Aber:<br />
„Dass wir es geschafft haben, unter<br />
den verschärften Marktbedingungen<br />
Kurs zu halten, ist nicht<br />
selbstverständlich“, räumt Jenner<br />
ein. Seine Forderung an die Bundesregierung:<br />
Als allererstes müsse<br />
die Wirtschaft von den bremsenden<br />
und lähmenden Fesseln<br />
befreit werden. „Es braucht insgesamt<br />
eine Entlastung, vor allem<br />
bei den Steuern und Abgaben“,<br />
beklagt der Kärcher-Chef. „Wir<br />
liegen mit insgesamt fast 30 Prozent<br />
weltweit an der Spitze. Damit<br />
sind wir nicht wettbewerbsfähig.“<br />
Hinzu kämen die wachsenden<br />
Kosten bei Löhnen, Rohstoffen<br />
und Energie. Ähnlich klingt es aus<br />
dem Hause Würth: Auch die Künzelsauer<br />
fordern im Gespräch mit<br />
dieser Zeitung „klare und vorhersehbare<br />
Entscheidungen, damit<br />
Unternehmen ihre Zukunft wieder<br />
verlässlich planen können.“ Aktuell<br />
seien Verbraucher wie Unternehmen<br />
verunsichert, was zur Zurückhaltung<br />
bei Investitionen führe<br />
und das Wachstum beeinträchtige.<br />
Es sei unerlässlich, mehr<br />
Anreize für Erwerbstätigkeit zu<br />
schaffen, die Entbürokratisierung<br />
voranzutreiben sowie Innovationen<br />
wie Künstliche Intelligenz zu<br />
fördern“, erklärt Robert Friedmann,<br />
Sprecher der Konzernführung<br />
der Würth-Gruppe. Allerdings<br />
zeigt er auch Verständnis für<br />
die aktuellen Schwierigkeiten: Die<br />
Regierung stehe unter enormem<br />
gesellschaftlichem Druck. Diesen<br />
durchzuhalten und die Verbraucher<br />
sowie Unternehmen durch<br />
die verschiedenen Krisenherde<br />
zu steuern, sei eine große Aufgabe.<br />
Auch beim Weltmarktführer<br />
wirkten sich die erschwerten<br />
Rahmenbedingungen auf das Betriebsergebnis<br />
aus. Dass der Konzern<br />
trotzdem eine Umsatzmarke<br />
von mehr als 20 Milliarden Euro<br />
schaffte, führt Friedmann auf die<br />
heterogene Struktur des Familienunternehmens<br />
mit mehr als vier<br />
Millionen Kunden in den unterschiedlichsten<br />
Branchen und Regionen<br />
sowie die Vielzahl an Vertriebskanälen<br />
zurück. Dementsprechend<br />
bricht Würth für das<br />
aktuelle Geschäftsjahr zwar nicht<br />
in Jubel aus, aber man blicke „gespannt“<br />
nach vorne. Am geplanten<br />
Stellenaufbau in Vertrieb, IT<br />
und bei den Ingenieuren hält die<br />
Gruppe fest. Auch bei Kärcher dominiert<br />
verhaltener Optimismus.<br />
„Weil wir auch in der Vergangenheit<br />
sämtliche Krisen gemeistert<br />
haben“, so Vorstandschef Jenner.<br />
„Wir investieren weiter auf sehr<br />
hohem Niveau.“ Bott-Geschäftsführer<br />
Jan Willem Jongert schaut<br />
angesichts gut gefüllter Auftragsbücher<br />
ebenfalls positiv auf <strong>2024</strong>.<br />
„Um auf Veränderungen schnell<br />
reagieren zu können, fliegen wir<br />
weiterhin auf Sicht.“<br />
„Wir haben Hausaufgaben zu machen“<br />
Wie ist die aktuelle Lage und vor allem: Was bringt das laufende Jahr? Bei den Konjunkturprognosen der Wirtschaftsjunioren wagen Firmenvertreter<br />
aus der Region einen Ausblick auf die weitere Entwicklung speziell für ihre Branchen. VON ADINA BAUER<br />
Was bringt das Wirtschaftsjahr?<br />
Dieser Frage gehen<br />
traditionell die Konjunkturprognosen<br />
der Wirtschaftsjunioren<br />
zu Beginn eines Jahres<br />
nach. Mitte Februar hatte die Regionalgruppe<br />
Schwäbisch Hall-<br />
Crailsheim daher wieder Branchenvertreter<br />
ins Rathaus nach<br />
Ilshofen eingeladen, um einen<br />
Blick in die Glaskugel zu werfen.<br />
Dabei ergab sich ein einheitliches<br />
Bild: Die heimische Wirtschaft<br />
steht weiterhin vor Herausforderungen.<br />
FINANZEN So betonte Georg<br />
Schubert von der BW Bank:<br />
„Deutschland fällt immer weiter<br />
zurück, wir haben Hausaufgaben<br />
zu machen.“ Zu dieser Einschätzung<br />
führten unter anderem folgende<br />
Punkte: Das Bruttoinlandsprodukt<br />
für das vierte Quartal<br />
liegt nur bei -0,3 Prozent. Die Inflation<br />
bremst die reale Kaufkraft<br />
und anhaltende Unsicherheiten<br />
über die Fiskalpolitik schaffen<br />
zusätzliche Abwärtsrisiken.<br />
Speziell für die Bankenbranche<br />
sah er Problemstellungen im Zusammenhang<br />
mit der zunehmenden<br />
Bürokratie oder verändertem<br />
Kundenverhalten.<br />
ERNÄHRUNG Die Inflation und<br />
das dadurch veränderte Kaufverhalten<br />
der Konsumenten sind<br />
Faktoren, die das Unternehmen<br />
Bürger in Crailsheim beschäftigen.<br />
Geschäftsführer Martin Bihlmaier<br />
erklärte: „Aufgrund der hohen<br />
Preise greifen immer mehr<br />
Kunden zu den Handelsmarken.“<br />
Der nationale Marktführer bei gekühlten<br />
Teigwaren vertreibt seine<br />
Produkte unter der Eigenmarke<br />
„Bürger“, produziert aber auch<br />
für verschiedene Handelsmarken.<br />
Etwa 2,5 Millionen Maultaschen<br />
verlassen täglich die Produktionsstätten.<br />
Damit ist das Limit aber<br />
noch nicht erreicht: Bihlmaier<br />
gab für das laufende Jahr das<br />
Ziel vor, den Umsatz um acht bis<br />
zehn Prozent zu steigern. Das soll<br />
mit neuen Produkten und einem<br />
nachhaltigen Wirtschaften dank<br />
der neuen Kältezentrale gelingen.<br />
PERSONAL Eine positive Grundstimmung<br />
verströmte auch Susanne<br />
Preiß, Geschäftsführerin von<br />
Smart Personnel in Schwäbisch<br />
Hall, in ihrem Vortrag. Sie forderte<br />
die Anwesenden auf: „Auch<br />
wenn die Lage aktuell angespannt<br />
ist, müssen wir das Beste daraus<br />
machen und mit dem gut umgehen,<br />
das uns aktuell zur Verfügung<br />
steht.“ So nannte sie denn<br />
auch die Herausforderungen für<br />
den Bereich Personal: An oberster<br />
Stelle stünde der Fachkräftemangel.<br />
Die Digitalisierung böte<br />
hingegen auch Chancen: „Unternehmen<br />
können damit Prozesse<br />
verschlanken, und so mit dem<br />
Aussichten: Die Wirtschaftslage auf dem Bau ist heterogen. Häuslebauer stecken in einer Krise, im Bereich<br />
Infrastruktur gibt es hingegen einen extremen Nachholbedarf, von dem Leonhard Weiss profitiert. Foto: NPG-Archiv<br />
vorhandenen Personal das anfallende<br />
Geschäft bewältigen.“<br />
Großen Handlungsbedarf sieht<br />
die Expertin im Raum Schwäbisch<br />
Hall beim Thema Ausbildung. Im<br />
Rahmen des Projekts„Zukunft<br />
Ausbildung“ will Smart Personnel<br />
gemeinsam mit Betrieben<br />
die idealen Rahmenbedingungen<br />
für Ausbilder und Auszubildende<br />
schaffen, um das Potenzial der<br />
jungen Generationen zu erkennen<br />
und auszuschöpfen.<br />
„Auch wenn die<br />
Lage angespannt<br />
ist, müssen wir<br />
das Beste daraus<br />
machen.“<br />
BAU Eine Einschätzung zur Wirtschaftslage<br />
am Bau gab Volker<br />
Zesch von Leonhard Weiss (LW):<br />
„Die Teuerungen bei Material und<br />
Gehalt sowie die langen Lieferzeiten<br />
von Maschinen prägen unseren<br />
Alltag.“ Zudem mache sich<br />
der Rückgang im Wohnungs- und<br />
Industriebau generell in der Branche<br />
bemerkbar. Zesch betonte<br />
aber auch, dass LW den Fokus auf<br />
den Infrastrukturbau – also Straßen<br />
und Brücken, Leitungen und<br />
Netze oder Gleisanlagen, Bahnhöfe,<br />
Bahntechnik oder Lärmschutzwände<br />
– legt „und hier gibt es einen<br />
extremen Nachholbedarf.“<br />
Zudem legte der Experte noch<br />
dar, welche Megatrends das mittelständisch<br />
geführte Bauunternehmen<br />
künftig weiter beeinflussen<br />
werden: Fachkräftemangel<br />
und Generationenwechsel, die<br />
Digitalisierung und auch Aspekte<br />
der Nachhaltigkeit. Um vor diesem<br />
Hintergrund den Weg erfolgreich<br />
weitergehen zu können, fordert<br />
Zesch von der Politil: „Wir<br />
brauchen verlässliche Rahmenbedingungen<br />
und weniger Einmischung!“<br />
ARBEITSMARKT Zum Schluss<br />
warf Stefan Schubert von der<br />
Agentur für Arbeit noch einen<br />
Blick auf den Arbeitsmarkt. 2023<br />
stieg im Agenturbereich die Arbeitslosigkeit<br />
um 9,8 Prozent,<br />
aber auch die Beschäftigung<br />
nahm um 1,2 Prozent zu. Den<br />
Aufwärtstrend auf beiden Seiten<br />
erklärte Schubert mit einer vermehrten<br />
Zuwanderung in den vergangenen<br />
Jahren vor allem durch<br />
Flüchtlinge aus der Ukraine.<br />
Positive Signale kommen vom regionalen<br />
Ausbildungsmarkt. Hier<br />
hat sich die Zahl der gemeldeten<br />
Bewerber im Vergleich zu 2022<br />
um 13 Prozent erhöht und auch<br />
die Anzahl der gemeldeten Ausbildungsstellen<br />
ist um 6,7 Prozent<br />
gewachsen. Dennoch habe sich<br />
die Entwicklung hin zum Bewerbermarkt<br />
verfestigt.<br />
Schuberts Fazit fällt insgesamt positiv<br />
aus: „Der regionale Arbeitsmarkt<br />
wird aufnahmefähig bleiben.<br />
Beschäftigungsaufbau gelingt<br />
aber nur über Zuwanderung.“<br />
Daher setzt er auch große Hoffnungen<br />
auf das neue Fachkräftezuwanderungsgesetz.