Dorthin fahren, wo ich will 3 Fragen Dein längstes Rennen? Die Japanese Odyssey mit über 2500 Kilometern in zehn Tagen. Dein liebster Velosong? Umgebungsgeräusche wie plätschernde Flüsse, das Geräusch, wenn man durch eine Regenpfütze fährt oder der Wind einem um die Ohren pfeift. Dein Lieblingsvelogadget? Der Snackbag am Lenker. ELEONORA Balbi besitzt kein E-Bike. Obwohl sie es hier in Evilard, einem kleinen Dorf, das 300 Meter über der Stadt Biel am Südosthang der Jurakette thront, gut gebrauchen könnte. Stattdessen fährt die erprobte Gravelbikerin bei Wind und Wetter mit muskelbetriebenem Lastenrad nach Biel zum Einkaufen oder zur Arbeit ins Coworking- Space. Abwärts dauert es rund zehn Minuten, doch aufwärts braucht sie ohne elektrische Unterstützung fast eine drei viertel Stunde. «Manchmal muss ich auch absteigen», gesteht die 32-Jährige. Das nimmt man ihr fast nicht ab – auch wenn sich die Strasse von Biel in steilen Serpentinen den Hang hinauf windet: Balbi belegte in den vergangenen vier Jahren verschiedene Podestplätze bei Gravelbike-Rennen. Etwa beim Race Around Rwanda, einem der härtesten der Welt, bei dem auf einer Strecke von 1000 Kilometern rund 17 000 Höhenmeter zu bewältigen sind. Der Wetterlage zum Trotz Auf Komfort verzichtet Balbi nicht nur auf ihren täglichen Wegstrecken, sondern ganz generell bei allen Veloabenteuern. Meist reist sie mit zwei kleinen Velotaschen, die knapp drei Kilo wiegen. Darin verstaut sie das Notwendigste: Thermowäsche, drei Shirts, zwei Velohosen, ein kleines Necessaire, Feuchttücher, Ladegeräte fürs Mobile Phone und Veloflickzeug sowie Notnahrung wie Gels oder einen Notfallriegel. Auch ein aufblasbares Kissen kommt nicht ins Gepäck, stattdessen bettet sie sich auf ihre Schuhe. Ebenso viel Improvisation ist bei der Wahl der Übernachtungsstätte gefragt: «In dörflichen Gegenden schlafe ich manchmal in einer Kapelle oder auch in Busstationen. In Japan habe ich auch in öffentlichen Toiletten ein Nickerchen gemacht.» Unannehmlichkeiten nimmt Balbi in Kauf und plant ihre Reisen nicht bis ins Detail: «Ich überlege mir nicht zu viel. Ich möchte frei wählen, wohin ich fahre. Weg von der Zivilisation, mitten durch eine Stadt oder den Berg hinauf.» All das, um neues Terrain zu erkunden und dabei über sich selbst hinauszuwachsen. Nicht immer läuft alles reibungslos. Aus der Ruhe bringt sie das aber nicht: «Bin ich in einer unangenehmen Situation, finde ich auch allein wieder heraus.» Beispielsweise BIOGRAFIE Eleonora Balbis Gravelbike-Karriere beginnt 2018 mit einer verlorenen Wette. Balbis Einsatz? Die Teilnahme am Alpenbrevet, einem der grössten Schweizer Velomarathons. Seither fuhr sie zahlreiche Gravelbike-Rennen. 2019 etwa den Bikingman im Sultanat Oman, die Japanese Odyssey, 2020 das Race Around Rwanda sowie das Further-Rennen (FRTHR). Balbi stand mehrere Male auf dem Podest – unter anderem 2019 beim Bikingman in Korsika. Die 32-Jährige hat einen Master in Psychologie, lebt mit ihrem Lebenspartner sowie ihrer Katze in Evilard bei Biel und arbeitet als Projektmanagerin bei einem Start-up in Zürich. als ihr im Sommer 2019 auf einer mehrmonatigen Fahrradreise zwischen Serbien und Bulgarien das Wasser ausgeht: «Ich hatte mir keines gekauft, weil ich dachte, es reiche bis zum nächsten Laden.» Nach 80 Kilometern ist immer noch keine Einkaufsmöglichkeit in Sicht. Es regnet und ist am Eindunkeln, als Balbi ihr Zelt endlich im Nirgendwo aufschlägt: «Meine Wasserflasche war fast leer, und ich hatte Kopfschmerzen, weil ich zu wenig getrunken hatte.» Am Morgen ist die Welt für sie dennoch fast wieder in Ordnung: «Bin ich in einer unangenehmen Situation, finde ich auch selbst wieder heraus.» Eleonora Balbi, Gravelbikerin Balbi fühlt sich motiviert, packt ihr Zelt und fährt weiter, bis sie auf einen Lastwagenfahrer trifft, der durch ihr Winken auf ihre Notlage aufmerksam wird, anhält und ihre Wasserflasche auffüllt. Abruptes Reiseende Balbis Veloreise endet nicht etwa in Bulgarien, sondern führt zu weiteren Schauplätzen in 6 Im Fokus Text: Corinne Päper Fotografie: Aniela Lea Schafroth Pro Velo Magazin
Frühling 20<strong>24</strong> Eleonora Balbi 7