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BB_13_2024_f

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14<br />

Eine sowohl kritische<br />

wie warmherzige Komödie<br />

über das Erwachen der<br />

italienischen Frauen.<br />

VON<br />

MARIO<br />

CORTESI<br />

BIEL BIENNE 26. MÄRZ <strong>2024</strong><br />

Der Film beginnt gleich<br />

mit einem Paukenschlag.<br />

Ein Ehepaar erwacht am<br />

Morgen im Bett, und der<br />

Mann begrüsst seine Frau<br />

mit einer kräftigen Ohrfeige.<br />

Guten Morgen? Ja, wir sind<br />

im Italien der Vierzigerjahre,<br />

die Frauen haben noch kein<br />

Stimm- und kein Scheidungsrecht<br />

(bis 1970) und eigentlich<br />

auch kein Sprache- und<br />

Mitspracherecht. Sie haben<br />

zu schweigen und zu gehorchen.<br />

Und zur Ohrfeige ertönt<br />

das Frühlingslied «Aprite le<br />

finestre, è primavera».<br />

Erduldung und Erniedrigung.<br />

Die 50-jährige vielseitige<br />

römische Schauspielerin<br />

Paola Cortellesi zeigt in ihrem<br />

ersten Spielfilm (gleich als<br />

Regisseurin, Drehbuchautorin<br />

und Schauspielerin), wie<br />

meilenweit entfernt die Italienerinnen<br />

nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg von der Gleichberechtigung<br />

waren. Und welchen<br />

Herausforderungen sie<br />

sich stellen mussten, um in<br />

der männerdominierten Gesellschaft<br />

überhaupt Gehör zu<br />

finden. Delia (Paola Cortellesi)<br />

ist Hausfrau, bringt mit verschiedenen<br />

Hilfsarbeiten Geld<br />

in die Haushaltskasse, versorgt<br />

drei Kinder, einen kränklichen<br />

Schwiegervater und wird von<br />

ihrem gewalttätigen cholerischen<br />

Ehemann Ivano<br />

regelmässig geschlagen, zurechtgewiesen<br />

und angeblich<br />

geliebt. Ein trostloses Leben<br />

AB 4. APRIL <strong>2024</strong><br />

IM KINO<br />

der Erduldung und Erniedrigung.<br />

Und das mitten in<br />

den Kriegsnachwehen, der Befreiung<br />

vom Faschismus und<br />

dem erhofften Aufschwung.<br />

Und dem Tag, an dem die<br />

Frauen abstimmen konnten.<br />

Neorealismus. Es ist ein<br />

langer Weg zur Emanzipation<br />

und zum Erhalt der Rechte, die<br />

den Frauen zustehen. Tyrannische<br />

Männer und gleichgültige<br />

Politiker, die das Patriarchat<br />

verteidigen, machen es den<br />

Frauen schwer. Paola Cortellesi<br />

sagt, dass sie zu ihrem<br />

Film vom Leben der eigenen<br />

Grossmutter und Urgrossmutter<br />

inspiriert worden sei. Ihr<br />

sorgfältig gemachter und aus-<br />

C’è ancora domani HHH<br />

gezeichnet interpretierter Film<br />

mischt während zwei Stunden<br />

Komödie mit Tragödie und<br />

zeigt eine Frau, die den Mut<br />

aufbringt, nicht nur über ihr<br />

bisheriges Leben nachzudenken,<br />

sondern auch für eine<br />

Veränderung zu kämpfen.<br />

Berührend und voller Optimismus.<br />

Und doch müssten<br />

wir uns daran erinnern, dass<br />

die Hälfte der Italienerinnen<br />

noch heute über kein eigenes<br />

Bankkonto verfügt und die<br />

Renten der Frauen noch fast<br />

40 Prozent unter denjenigen<br />

der Männer liegen.<br />

Das in Schwarzweiss gedrehte<br />

Werk erinnert an die<br />

grossen Meisterwerke des italienischen<br />

Neorealismus. n<br />

CINÉMA<br />

PAR<br />

MARIO<br />

CORTESI<br />

DÈS LE 4 AVRIL <strong>2024</strong><br />

AU CINÉMA<br />

Der cholerische<br />

Mann<br />

(Valerio<br />

Mastandrea),<br />

die kämpfende<br />

Ehefrau<br />

(Paola<br />

Cortellesi).<br />

Une comédie<br />

à la fois critique<br />

et chaleureuse<br />

sur l’éveil des<br />

femmes italiennes.<br />

Le film commence d’emblée<br />

par un coup d’éclat. Un<br />

couple se réveille le matin<br />

dans son lit, et l’homme<br />

salue sa femme avec une<br />

Darsteller/Distribution: Paola Cortellesi,<br />

Valerio Mastandrea, Vinicio Marchioni.<br />

Regie/Mise en scène: Paola Corellesi (2023)<br />

Länge/Durée: 118 Minuten/118 minutes<br />

Hauptsitz: Postfach, 3074 Muri b. Bern • Büro: Südstrasse 8, 3250 Lyss • Tel.: 032 387 06 76<br />

Le mari<br />

colérique<br />

(Valerio<br />

Mastandrea),<br />

l’épouse<br />

combattive<br />

(Paola<br />

Cortellesi).<br />

bonne gifle. Bonjour à tous?<br />

Oui, nous sommes dans l’Italie<br />

des années quarante, les<br />

femmes n’ont pas encore le<br />

droit de vote ni de divorcer<br />

(jusqu’en 1970) et, à vrai dire,<br />

elles n’ont pas non plus le<br />

droit de parler et de s’exprimer.<br />

Elles doivent se taire et<br />

obéir. Et pour accompagner<br />

la gifle, on entend la chanson<br />

printanière «Aprite le<br />

finestre, è primavera».<br />

Souffrance et humiliation.<br />

L’actrice romaine aux multiples<br />

talents Paola Cortellesi,<br />

50 ans, montre dans son premier<br />

long métrage (en tant<br />

que réalisatrice, scénariste et<br />

actrice) à quel point les Italiennes<br />

étaient à mille lieues<br />

de l’égalité des droits après la<br />

Seconde Guerre mondiale.<br />

Et quels défis elles devaient<br />

relever pour se faire entendre<br />

dans une société dominée par<br />

les hommes. Delia (Paola Cortellesi)<br />

est femme au foyer, apporte<br />

de l’argent à la caisse du<br />

ménage en effectuant divers<br />

travaux auxiliaires, s’occupe<br />

de trois enfants, d’un beau-<br />

père malade et est régulièrement<br />

battue, réprimandée<br />

et prétendument aimée par<br />

son mari Ivano, un homme<br />

violent et colérique. Une<br />

vie morne de souffrance et<br />

d’humiliation. Et cela en<br />

plein milieu des lendemains<br />

de guerre, de la libération<br />

du fascisme et de l’essor espéré.<br />

Et du jour où les femmes<br />

ont pu voter.<br />

Néoréalisme. Le chemin<br />

est long vers l’émancipation<br />

et l’obtention des droits qui<br />

reviennent aux femmes.<br />

Des hommes tyranniques et<br />

des politiciens indifférents<br />

qui défendent le patriarcat<br />

rendent la tâche difficile aux<br />

femmes. Paola Cortellesi dit<br />

que son film lui a été inspiré<br />

par la vie de sa grand-mère<br />

et de son arrière-grand-mère.<br />

Son film, soigneusement réalisé<br />

et remarquablement interprété,<br />

mêle pendant deux<br />

heures comédie et tragédie<br />

et montre une femme qui<br />

a le courage non seulement<br />

de réfléchir à sa vie passée,<br />

mais aussi de se battre pour<br />

un changement. Touchant et<br />

plein d’optimisme. Et pourtant,<br />

nous devrions nous rappeler<br />

qu’aujourd’hui encore,<br />

la moitié des Italiennes ne<br />

disposent pas de leur propre<br />

compte en banque et que<br />

les retraites des femmes<br />

sont encore inférieures de<br />

près de 40% à celles des<br />

hommes.<br />

L’œuvre, tournée en noir<br />

et blanc, rappelle les grands<br />

chefs-d’œuvre du néoréalisme<br />

italien.<br />

n<br />

Kleine böse Briefe<br />

bringen ein<br />

englisches<br />

Städtchen<br />

in Aufruhr:<br />

eine schwarze<br />

Krimikomödie.<br />

VON LUDWIG HERMANN<br />

Der Küstenort Littlehampton<br />

im Süden Englands steht<br />

unter Schock: Ehrsame Bürger<br />

erhalten skandalöse, obszöne<br />

Briefe, in denen so «nette»<br />

Worte stehen wie: «Du alter,<br />

geiler Bock», «Du verklemmter<br />

Wixer», «Du nimmersatte,<br />

schmutzige Hure». «Wicked<br />

Little Letters» basiert auf einer<br />

wahren Begebenheit aus den<br />

Zwanzigerjahren. Ein Jahrhundert<br />

später sorgt die damalige<br />

Aufregung im Ort für eine typisch<br />

britische Krimikomödie.<br />

Verdächtige. «Wer unter<br />

uns», so rätseln die braven<br />

Leute von Littlehampton,<br />

«wer nur kann so verwerflich<br />

sein und uns etwas so Wüstes<br />

antun?» Bald kursieren Verdächtigungen:<br />

Edith Swan<br />

könnte die Täterin sein (Olivia<br />

Colman, unvergesslich<br />

an der Seite von Anthony<br />

Hopkins in «The Father»).<br />

Edith ist eine verbitterte,<br />

frömmelnde ältere Frau mit<br />

bösen Augen – eine Spionin,<br />

die gerne hinter dem Vorhang<br />

am Fenster steht und<br />

auf die Strasse äugt.<br />

Die Verdächtigte Nummer<br />

zwei wohnt Tür an Tür mit<br />

Edith und ist – menschlich gesehen<br />

– das pure Gegenteil: Rose<br />

Gooding (spassig: Jessie Buckley),<br />

eine junge, lebensfrohe<br />

Unangepasste mit Kind – ein<br />

Bürgerschreck. Ihre Markenzeichen:<br />

ein ironisches Lächeln,<br />

wechselnde Bekanntschaften<br />

und – lautes Fluchen. Einmal,<br />

als Rose vor der Polizei davonrennt,<br />

hebt sie den Rock und<br />

zeigt den Uniformierten ihren<br />

blanken Hintern. Also: Edith<br />

oder Rose? Wer ist die obskure<br />

Briefschreiberin?<br />

Wicked Little Letters HHH<br />

Die Verdächtigten:<br />

Edith Swan (Olivia<br />

Colman, links)<br />

und Rose Gooding<br />

(Jessie Buckley).<br />

gestopft mit Vorurteilen und<br />

vorschnellen Verdächtigungen.<br />

So unterhält das Lustspiel<br />

«Wicked Little Letters» zwar<br />

gut, nimmt aber gleichzeitig<br />

das Spiessertum schonungslos<br />

aufs Korn, rechnet ab mit seiner<br />

perfiden Selbstgerechtigkeit.<br />

Stellvertretend für sämtliche<br />

Einheimischen: Edith Swans<br />

despotischer Vater Edward<br />

Swan, der alles Widerliche seiner<br />

Mitmenschen in einer Person<br />

vereinigt. Timothy Spall («The<br />

Last Bus») spielt den Kerl derart<br />

echt, dass man neidlos sagen<br />

muss: «Bravo, Mister Spall, richtig<br />

gekonnt widerlich!» n<br />

Darsteller/Distribution: Olivia Colman,<br />

Jessie Buckley, Anjana Vasan, Timothy Spall<br />

Regie/Réalisation: Thea Sharrrock (2023)<br />

Dauer/Durée: 101 Minuten/101 minutes<br />

Im Kino/Au cinéma: BELUGA<br />

Suspectes: Edith Swan<br />

(Olivia Colman, à gauche) et<br />

Rose Gooding (Jessie Buckley).<br />

De petites lettres<br />

malveillantes<br />

mettent en émoi<br />

une bourgade<br />

anglaise:<br />

une comédie<br />

policière noire.<br />

PAR LUDWIG HERMANN<br />

La ville côtière de Littlehampton,<br />

dans le sud de l’Angleterre,<br />

est sous le choc: d’honorables<br />

citoyens reçoivent des lettres<br />

anonymes scandaleusement<br />

obscènes dans lesquelles on peut<br />

lire des mots aussi «vertueux»<br />

que: «vieux bouc lubrique»,<br />

«branleur coincé», «sale pute<br />

insatisfaite». La comédie noire,<br />

«Wicked Little Letters», s’inspire<br />

d’un fait réel survenu dans les<br />

années vingt. Un siècle plus tard,<br />

l’agitation locale de l’époque<br />

donne lieu à une transgression<br />

typiquement britannique.<br />

Suspects. «Qui parmi<br />

nous», se demandent les braves<br />

gens de Littlehampton, «qui<br />

peut être à ce point immoral<br />

pour nous plonger dans la<br />

fange?» Bientôt les soupçons<br />

vont bon train: Edith Swan<br />

pourrait être la coupable (Olivia<br />

Colman, inoubliable aux côtés<br />

d’Anthony Hopkins dans «The<br />

Father»). Edith est une femme<br />

âgée, amère et bigote, aux yeux<br />

malicieux, une voyeuse qui aime<br />

se tenir à la fenêtre, derrière le<br />

rideau, pour mater la rue.<br />

La suspecte numéro deux<br />

habite à côté d’Edith, elle est,<br />

humainement parlant, l’exact<br />

contraire: Rose Gooding (amu-<br />

sante: Jessie Buckley), une<br />

jeune anticonformiste pleine<br />

de vie, mère d’un enfant. Dans<br />

les faits, une terreur bourgeoise.<br />

Sa marque de fabrique, un sourire<br />

ironique, des jurons à voix<br />

haute, sans omettre qu’elle<br />

reçoit chez elle des personnes<br />

douteuses parce qu’elles sont<br />

rarement les mêmes. Une fois,<br />

alors que Rose s’enfuit devant<br />

la police, elle soulève sa jupe<br />

et montre ses fesses nues aux<br />

hommes en uniforme. Alors,<br />

qu’en est-il: Edith ou Rose?<br />

Qui est le corbeau?<br />

Chienne de chasse. C’est<br />

la Britannique Thea Sharrock,<br />

48 ans, qui dirige ce joyeux<br />

divertissement provincial. Elle<br />

est issue du théâtre et prouve,<br />

en réalisant son troisième long<br />

métrage, qu’elle maîtrise le<br />

septième art. C’est l’officier<br />

de police Gladys Moss (Anjana<br />

Vasan, à en tomber amoureux)<br />

que la réalisatrice envoie à la<br />

poursuite de la mystérieuse<br />

HHHH ausgezeichnet / excellent<br />

HHH sehr gut / très bon<br />

HH gut / bon<br />

H Durchschnitt / médiocre<br />

– verfehlt / nul<br />

Weiblicher Spürhund.<br />

Regie führt in dem heiteren<br />

Kleinstadtspass die Britin Thea<br />

Sharrock. Sie kommt vom Theater,<br />

und mit ihrem dritten<br />

Spielfilm zeigt die 48-Jährige,<br />

dass sie auch das Filmhandwerk<br />

beherrscht. Auf die Jagd<br />

nach der geheimnisvollen<br />

Übeltäterin schickt Sharrock<br />

nicht die Cops. Den Job übernimmt<br />

Police Officer Gladys<br />

Moss (zum Verlieben: Anjana<br />

Vasan), die eines Tages genug<br />

hat von der selbstgefällig-patriarchischen<br />

Übermacht auf dem<br />

Polizeiposten. Gladys nimmt<br />

eine Auszeit vom Männer-Club<br />

und löst den Fall «schmutzige<br />

Briefe» auf eigene Faust.<br />

Und kämpft gegen eine Stadt<br />

mit bornierten, kleinkarierten<br />

Bewohnern, allesamt vollcoupable.<br />

Un jour, Gladys<br />

en a ras-le-bol de la domination<br />

patriarcale et méprisante<br />

qui est la norme au sein du<br />

poste de police. Elle prend un<br />

congé sabbatique et résout de<br />

son propre chef l’affaire des<br />

«lettres sales».<br />

Et se bat contre une ville<br />

aux habitants étroits d’esprit,<br />

bourrés de préjugés et de soupçons<br />

hâtifs. Ainsi, la comédie<br />

«Wicked Little Letters» est<br />

certes divertissante, mais elle<br />

s’en prend aussi sans ménagement<br />

à la bourgeoisie provinciales<br />

et règle ses comptes avec<br />

la perfidie de son auto-justice.<br />

Edward Swan, le père despotique<br />

d’Edith Swan, symbolise<br />

la bassesse des habitants et réunit<br />

à lui seul tout ce qu’ils ont de<br />

plus répugnant. Timothy Spall<br />

(«The Last Bus») joue ce sale<br />

type avec une telle authenticité<br />

que l’on ne peut s’empêcher de<br />

penser: «Bravo Monsieur Spall,<br />

vous mettez beaucoup d’habilité<br />

à être dégoûtant.» n<br />

AUF EINEN BLICK … EN BREF…<br />

Mario<br />

Cortesi<br />

Ludwig<br />

Hermann<br />

l Oppenheimer (Beluga) HHHH HHHH<br />

l Dune: 2 (Apollo, Rex 1) HHH(H) HHH(H)<br />

l Radical (Rex 2) HHH(H) HHH(H)<br />

l The Zone of Interest (Rex 1) HHH(H) HHH<br />

l Anatomie d’une chute (Apollo, Lido 1) HHH(H) HHH<br />

l Wicked Little Letters (Beluga) HHH HHH<br />

l Die Herrlichkeit des Lebens (Lido 1+2) HHH<br />

l Ghostbusters: Frozen Empire (Lido 2)<br />

HH(H)<br />

l Cocorico (Rex 2)<br />

HH(H)<br />

l Bon Schuur Ticino (Lido 2) HH HH<br />

Biel Bienne-Bewertung / Cote de Biel Bienne: HHHH ausgezeichnet / excellent HHH sehr gut / très bon HH gut / bon H Durchschnitt / médiocre – verfehlt / nul

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