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Gekommen,<br />
um zu backen<br />
Fürdie Klima Biennale greift Natalia Montoya auf<br />
Traditionen desAymara-Volkes in Chile zurück und<br />
arbeitet dafür mit Wiener Brotteig.<br />
Text: Daniel Kalt<br />
Fotos: Christine Pichler<br />
Wahrscheinlich habe sie<br />
gerade einen nicht ganz<br />
typisch touristischen Blick<br />
auf Wien, sagt Natalia Montoya,<br />
lacht dabei und beugt<br />
sich über den großen<br />
Arbeitstisch in der Großbäckerei<br />
von Ströck Brot in der Donaustadt. Die chilenische<br />
Künstlerin, die aus der Stadt Iqueque im Norden<br />
des Landes kommt und in Santiago deChile lebt, ist seit<br />
ihrer Ankunft in Wien –sie befindet sich zum ersten Mal<br />
außerhalb Lateinamerikas –nämlich für einige Tage in<br />
diesem auch Ortsansässigen nicht ganz geläufigen Raum<br />
im Dauereinsatz. Montoya wird aber ein paar Wochen in<br />
der Stadt verbringen, um ihren Beitrag für die Gruppenausstellung<br />
„Songs for the Changing Seasons“ als Teil<br />
der Klima Biennale Wien zu finalisieren. Wenn ihre Mission<br />
bei Ströck abgeschlossen ist, sollte also doch noch<br />
Zeit für die Erkundung der Stadt bleiben.<br />
„Aber auch so ist esinteressant für mich, Wien zunächst<br />
durch die Menschen zu entdecken, die hier arbeiten.<br />
Ihre Geschichten und Lebenshintergründe zu erfahren,<br />
zu hören, aus welchen Ländern sie kommen“, erzählt<br />
Montoya, die sich hier dem Entstehen einer zum Zeitpunkt<br />
des Interviews noch unbetitelten Installation widmet.<br />
„Und solche Geschichten, die dadurch wieder in<br />
Zusammenhang mit meiner eigenen stehen, sind ja<br />
wichtig für meine Arbeit.“ Was feststeht, seit sie<br />
von den verantwortlichen Kuratorinnen eingeladen<br />
wurde, nach Wien (und damit zum ersten<br />
Mal nach Europa) zu kommen: Natalia Montoya<br />
wollte mit so wenig Material und Vorgefertigtem<br />
im Gepäck wie möglich anreisen. Ihr Beitrag zur<br />
Biennale, die Positionen der Klimakunst versammelt,<br />
sollte also vor Ort entstehen.<br />
Üblicherweise arbeitet Montoya mit dem Material<br />
Holz, das sie mit Acrylfarben bunt bemalt<br />
oder auch mit bestickten Stoffen überzieht. Als<br />
sie darüber nachdachte, welcher Werkstoff für<br />
ihren Beitrag zur Klima Biennale passen könnte,<br />
kam sie auf Brotteig. Schon in der Vergangenheit hatte<br />
Montoya mit Elementen aus Teig gearbeitet: „Brot ist ein<br />
edles Material, und eines, das den Charakter lokaler<br />
„Brot ist ein<br />
edles Material<br />
und spiegelt<br />
lokale<br />
Traditionen<br />
wider.“<br />
Traditionen widerspiegelt, den Genius Loci in sich<br />
trägt“, unterstreicht sie. 50 Figuren sollen entstehen, die<br />
sie später bunt verzieren wird und am Ende zu einer<br />
großformatigen Altarskulptur auf einer Holzkonstruktion<br />
anordnen möchte. Die formale Bezugsebene, die<br />
Natalia Montoya schon in vergangenen Werken referenziert<br />
hat, sind Traditionen und Kultur des indigenen<br />
Volks der Aymara imNorden Chiles. „Ich habe an den<br />
Día de almas, also Allerheiligen, gedacht. Dagedenken<br />
wir unserer Ahnen, richten alles, was sie mochten, auf<br />
einer Tafel an.“ Auch hier spielen Gebäckfiguren eine<br />
Rolle.<br />
Work in progress. Ganz festgelegt hat sich Natalia Montoya<br />
noch nicht auf die endgültige Gestalt der Altarkonstruktion.<br />
Es handle sich um einen Prozess des Lernens<br />
und Sich-Vertiefens – sie spricht von „involucrar y<br />
aprender“ –, bei dem sie Bezug nehmen möchte auf das,<br />
was sie in Wien umgibt. Der grundlegende Gedanke, mit<br />
dem sie angereist ist, ist jener eines Kreislaufs aus<br />
Leben und Tod: Damit verweist sie zugleich auf den<br />
Aspekt des Zirkulären, der vielen nachhaltigen Gedanken<br />
innewohnt, wie die Klima Biennale sie hochhält.<br />
„Das Gebäck kann gegessen werden, und nach Ende der<br />
Ausstellung werden wir die Skulptur verbrennen, die<br />
Asche verstreuen. So kann der Kreislauf wieder von<br />
vorn beginnen“, sagt Montoya.<br />
Übrigens soll niemand dem Projekt vorwerfen<br />
können, dass es sich um die Verschwendung<br />
von Lebensmitteln in einem Kunstkontext<br />
handle: Verarbeitet wird Überteig, der in der<br />
täglichen Produktion einer Industriebäckerei<br />
nicht zu vermeiden ist. Pierre Reboul, der bei<br />
Ströck als Entwicklungsbäcker tätig und für<br />
Innovationen zuständig ist, überlegt sich ohnehin<br />
ständig, wie mit dem Thema umzugehen ist.<br />
So hat eretwa ein „Wiederbrot“ erfunden und<br />
ein Brioche aus Überteig –beide sollen für das<br />
Engagement gegen Lebensmittelverschwendung<br />
stehen. Reboul, der während des Medientermins<br />
mit Natalia Montoya vorbeischaut und die Gäste<br />
besucht, erzählt außerdem, dass man sich bei Ströck<br />
derzeit überlege, wie Altbrot kompostiert werden und<br />
Schaufenster 9<br />
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