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POSTSOWJE-<br />
TISCH. Jermolaewa<br />
wurde 1970<br />
im früheren Leningrad<br />
geboren,<br />
Serheieva 1986 im<br />
Kiew der UdSSR.<br />
→<br />
ihre eigene Flucht aus der Sowjetunion im Jahr 1989<br />
erinnert, erzählt Anna Jermolaewa. Sie kam mit ihrem<br />
damaligen Ehemann über Polen nach Wien. Das gelang<br />
dank der Unterstützung einer Frau in Krakau, „einer<br />
Fluchthelferin im allerbesten Sinn“, die all ihren Devisenbesitz<br />
ausgab, umdrei Tickets für eine Einkaufsreise<br />
im Bus nach Wien zu erstehen.<br />
Ein künstlerischer Brückenschlag. „Ich hatte inRussland<br />
Kunst studiert, war akademische Malerin und<br />
machte Kunst im Stil des sozialistischen Realismus“,<br />
erzählt Jermolaewa. „Diese Ausbildung war eine Blockade,<br />
ich musste mich erst darüber hinwegsetzen, um<br />
meine Fantasie freizusetzen und künstlerische Freiheit<br />
zu haben.“ Fünf Mal bewarb sie sich um Aufnahme an<br />
die Akademie der bildenden Künste inWien –erst nach<br />
dem Befreiungsschlag eines Zerstörens alter<br />
Leinwände gelang es. „Auch ich dachte, als<br />
ich nach Wien kam, dass mein Beruflseben<br />
aus der Zeit vor dem Kriegsausbruch nun der<br />
Vergangenheit angehören würde“, hakt<br />
Oksana Serheieva ein. „Darum bin ich umso<br />
glücklicher, dass ich mit Anna nun eine<br />
Arbeit im österreichischen Pavillon auf der<br />
Kunstbiennale zeigen kann.“<br />
Nachdem die beiden einander in Wien kennengelernt<br />
hatten, wirkte Oksana Serheieva in dem Film „Looking<br />
for Work“ von Anna Jermolaewa mit. Hier stellten<br />
Frauen –etwa eine Polizistin, eine Schneiderin, eine<br />
Grafikerin, eine Ballettlehrerin –ihre Berufe ohne Worte<br />
und ohne Gegenüber pantomimisch dar. „Es gab nicht<br />
viele Strukturen, die die geflüchteten Menschen aufnehmen<br />
konnten. Es war –und ist weiterhin –für die meisten<br />
sehr schwierig, sich auf Arbeitssuche zu begeben“,<br />
so Jermolaewa über den Hintergrund dieses Projekts.<br />
Nach dieser ersten Zusammenarbeit waren Jermolaewa<br />
und Serheieva sich sicher, dass sie erneut ein gemeinsames<br />
Projekt umsetzen wollten –die Erarbeitung eines<br />
Konzepts für den möglichen Biennale-Beitrag bot sich<br />
später an. Da sie beide über ihre Sowjetvergangenheit<br />
ODETTE. Oksana<br />
Serheieva<br />
castete Tänzerinnen,<br />
studierte<br />
mit ihnen ausgewählteSzenen<br />
für ein Video ein.<br />
„Wir möchten<br />
mit vielen<br />
Menschen unsere<br />
Hoffnung teilen.“<br />
nachdachten (Serheieva kam 1986 im damals sowjetischen<br />
Kiew auf die Welt, Jermolaewa 1970 imLeningrad<br />
der UdSSR), stießen sie auf Tschaikowskys Ballett. Serheieva<br />
stellte eine Gruppe von Tänzerinnen zusammen<br />
und wählte einzelne Szenen aus –Jermolaewa filmte bei<br />
den Proben mit, und so entstand „Rehearsal for Swan<br />
Lake“, eine zentrale Arbeit in dem von Jermolaewa<br />
gestalteten Pavillon. „Ich wünsche mir, das wir durch<br />
diese Arbeit mit vielen Menschen unsere Hoffnung und<br />
unsere Erwartungen teilen“, sagt Oksana Serheieva.<br />
„Und ihnen zeigen, dass sie nicht allein auf der Welt<br />
sind, wenn sie im heutigen Russland leben. Die Menschen<br />
dort haben große Angst, ihre Gedanken auszusprechen.“<br />
Anna Jermolaewa, die auch erzählt, dass sie<br />
nach dem Tod von Aleksei Nawalny einen Tag lang<br />
geweint habe („Es fühlte sich an, als sei der letzte Hoffnungsschimmer<br />
auf ein demokratisches<br />
Russland in näherer Zukunft erloschen.“),<br />
möchte auch den Brückenschlag von Russland<br />
in die Ukraine hervorheben.<br />
„Man kann gar nicht genug betonen, dass<br />
Oksana aus der Ukraine kommt und ich Russin<br />
bin, dass wir so mit unserer gemeinsamen<br />
Arbeit einen Bogen aus dem einen Land in<br />
das andere spannen. Das im Kontext der<br />
Biennale aufzuzeigen, also dass zwei Künstlerinnen aus<br />
diesen Ländern eine gemeinsame Arbeit in Venedig zeigen,<br />
ist uns unglaublich wichtig.“ Passend ist übrigens<br />
auch das Motto der diesjährigen Kunstbiennale,<br />
„Foreigners Everywhere“, von Kurator Adriano Pedrosa:<br />
Die Zeit verlangt wohl nach Zeichen des politischen<br />
Widerstands und des Zusammenhalts, sei es als<br />
getanzte Dissidenz auf der Ballettbühne. s<br />
Tipp<br />
„SWANLAKE“. Anna Jermolaewa gestaltet 2024den österreichischen Beitrag zur<br />
Kunstbiennale in Venedig, das mit Oksana Serheieva erarbeitete Werk „Rehearsal<br />
forSwan Lake“ist neben anderen Arbeiten Teil der Installation. Serheieva wird zudem<br />
an ausgewählten Terminen vorOrt liveperformen. DieKunstbiennale istab<br />
20.April für das Publikum geöffnet. Siehe auch biennalearte.at<br />
Probenfotos „Rehearsal for Swan Lake“: Anna Jermolaewa.<br />
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