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Was soll man sich eigentlich unter<br />

einem Klassik-DJ-Set vorstellen?<br />

Zunächst so wie jedes andere<br />

DJ-Set: Mittels ineinander<br />

gemischter Übergänge entsteht<br />

ein durchgehender Klangteppich,<br />

der die herrschende Atmosphäre<br />

in Richtung des angestrebten<br />

Ideals manipuliert. Ein gelungenes<br />

Set zeichnet sich durch stimmige<br />

Übergänge, musikalische<br />

Originalität und eine dramaturgische<br />

Entwicklung aus.<br />

Keine kleine Aufgabe, wenn<br />

es statt Barjazz oder Trip-Hop um<br />

Bach und Beethoven geht und<br />

man auf dem schmalen Grad zwischen<br />

atmosphärischer Stimmigkeit<br />

inmitten von schummrigem<br />

Licht, Stimmengewirr und Drinks<br />

an der Bar einerseits und positiver<br />

Wahrnehmung der Musik<br />

als das, was sie ist, andererseits<br />

wandelt. Doch es funktioniert und<br />

wer schon einmal dabei war, der<br />

weiß: So ein Abend kann ziemlich<br />

sexy und magisch werden.<br />

Und Rufus Wainwright? Wenn<br />

es einen aktuellen Popkünstler<br />

gibt, der für einen solchen Ausflug<br />

in die Klassik der richtige ist,<br />

dann ist er das. Seine vier bisher<br />

veröffentlichten Singer/Songwriter-Alben<br />

bereicherte der 33-Jährige<br />

stets mit direkten Zitaten aus<br />

klassischen Werken. Die meisten<br />

seiner oft melancholischen Songs<br />

folgen komplexen Strukturen und<br />

geradezu klassisch anmutenden<br />

Harmonien. Oftmals experimen-<br />

tiert Wainwright mit Arrangements<br />

für Chor und großes Orchester.<br />

Der gebürtige Kanadier<br />

hat klassische Musik im Elternhaus,<br />

sozusagen mit der Muttermilch,<br />

aufgesogen und er betrachtet<br />

sich als fest verwurzelt in<br />

der westlichen musikalischen Tradition.<br />

Kein Wunder, gelten seine<br />

frühesten musikalischen Erinnerungen<br />

doch Bachs h-Moll-Messe<br />

und Jussi Björling. Die Oper<br />

hat er erst mit vierzehn entdeckt,<br />

aber dann zehn Jahre lang praktisch<br />

nichts anderes gehört. Es<br />

folgten zwei Jahre auf dem Konservatorium<br />

in seiner damaligen<br />

Heimat Montreal, wo er Klavier<br />

und Komposition studierte. Aber<br />

dafür war er dann doch zu rebellisch<br />

und, wie er freimütig bekennt,<br />

auf dem Klavier auch nicht<br />

talentiert genug. Doch auch ohne<br />

fertige Ausbildung – seine Songtexte<br />

stecken voller Anspielungen<br />

auf Oper und Literatur, und<br />

mit David Byrne hat der stimmlich<br />

hochbegabte Wainwright ein<br />

Duett für Tenor und Bariton von<br />

Bizet aufgenommen.<br />

Was hat Rufus Wainwright<br />

nun „gemixt“, was für Musik erwartet<br />

uns auf Yellow Lounge<br />

Vol. 4? Natürlich hat ein DJ-Mix<br />

für eine CD, im Gegensatz zur<br />

Clubsituation, erstmal die uneingeschränkte<br />

Aufmerksamkeit<br />

eines Zuhörers, man kann also<br />

mehr experimentieren und extremere<br />

Passagen auswählen. Das<br />

Yellow Lounge<br />

Compiled by Rufus Wainwright<br />

Deutsche Grammophon<br />

CD 442 9153<br />

Fauré Quartett u.a.<br />

Veröffentlichung: Mai 2007<br />

DA DRAUSSEN IST EIN PUBLIKUM,<br />

MIT DEM MAN FLIRTEN MUSS<br />

In der Yellow Lounge legen DJs live im Club klassische Musik auf – die Deutsche Grammophon veröffentlicht diese<br />

Sets auf CD. Die neue Ausgabe hat ein bedeutender Pop-Künstler zusammengestellt: Rufus Wainwright.<br />

tut Wainwright nach Kräften, das<br />

letzte, woran seine Zusammenstellung<br />

denken lässt, ist hintergrundtaugliche<br />

Fahrstuhlmusik.<br />

Seine Bandbreite reicht von Bach<br />

bis Schnittke, er schreckt weder<br />

vor gewaltigen, eruptiven Höhepunkten<br />

noch vor expressiver<br />

Sperrigkeit zurück. Aber, wie er<br />

emphatisch betont, „ich bin zuallererst<br />

Melodiker – einige der ausgewählten<br />

Stücke sind zwar sehr<br />

vielschichtig und manche rühren<br />

an die Grenzen der Tonalität, aber<br />

dennoch sind es alles Stücke mit<br />

Motiven, die man singen oder sogar<br />

beiläufig summen könnte. Ich<br />

habe mich auf das konzentriert,<br />

was ich selber auch am liebsten<br />

mag – Musik, die zwar mit einem<br />

Fuß auf einem sehr komplexen<br />

Spannungsfeld, mit dem anderen<br />

aber auf einer ganz natürlichen<br />

Harmonik steht“.<br />

Diesen Anspruch hört<br />

man auch in zwei von Rufus<br />

Wainwrights eigenen Songs. Als<br />

Auftakt und Ausklang rahmen sie<br />

die klassische DJ-Kompilation<br />

ein. Arrangiert für Klavierquartett,<br />

hat sie das Fauré Quartett<br />

eingespielt. Kleine, ungemein<br />

reizvolle Miniaturen, die für einen<br />

beschwingten Rahmen sorgen.<br />

„Ich war sehr beeindruckt<br />

von ihrer Interpretation, weil sie<br />

einerseits genau den Kern getroffen,<br />

aber andererseits auch etwas<br />

Neues damit gemacht haben“,<br />

gibt Wainwright zu. „Und<br />

der Melodiker in mir hat es natürlich<br />

sehr genossen, die Songs<br />

einmal ohne Worte zu hören.“<br />

Am konzeptionellen Startpunkt<br />

der „Yellow Lounge“ stand<br />

die einfache Überzeugung, dass<br />

sich die Klassik, will sie wieder<br />

mehr junge Menschen begeistern,<br />

nicht weiter allein auf ein Umfeld<br />

aus Konzertsälen, Opernhäusern<br />

und Freilichtbühnen beschränken<br />

darf. In diesem Sinne betrachtet<br />

auch Rufus Wainwright sein Yellow-Lounge-Projekt<br />

als fruchtbares<br />

Experiment, das er demnächst<br />

mit einem Live-Auftritt in<br />

Berlin fortsetzen will: „Wir leben<br />

in einer Zeit der Rückkehr zu traditionellen<br />

Werten, egal ob in der<br />

Musik, in der Malerei oder in der<br />

Architektur. Ich glaube, dass viele<br />

der großen Werke der Vergangenheit<br />

den Schlüssel für unsere<br />

Zukunft beinhalten. Allerdings<br />

wäre es auch an den zeitgenössischen<br />

Komponisten, sich auf etwas<br />

zu besinnen, was den Großen<br />

früherer Tage immer bewusst<br />

war: Die waren auch sehr avantgardistisch,<br />

aber sie haben nie<br />

vergessen, dass es da draußen<br />

ein Publikum gibt, mit dem man<br />

auch flirten muss.“<br />

Genau das tut Rufus Wainwright<br />

– und zwar in Bezug auf<br />

seine eingefleischten Fans ebenso<br />

wie in Bezug auf die offenen<br />

Ohren des Klassikpublikums.<br />

Harald Reiter<br />

KlassikLink: wainwright<br />

www.KlassikAkzente.de 21

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