3 - Kolpingjugend Diözesanverband Paderborn
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Es ist im Moment ein aktuelles Thema<br />
und betrifft viele junge Menschen in<br />
NRW: das Zentralabitur.<br />
Was das genau heißt, welche Vor- und<br />
Nachteile sich dahinter verstecken, sagt<br />
mir Christian Becker, Lehrer für Deutsch,<br />
Musik und Literatur an einem katholischen<br />
privaten Gymnasium in Menden.<br />
Doro: Zentralabitur: Was heißt das genau?<br />
Christian: Das heißt, dass die Abiturklausuren<br />
zentral für alle Schüler gleich<br />
gestellt werden. Die Inhalte sowie der<br />
Erwartungshorizont sind in den einzelnen<br />
Fächern vorgegeben. Dadurch können<br />
natürlich inhaltliche Interessen von<br />
Schülern und Lehrern kaum eingebracht<br />
werden.<br />
Doro: Wird durch das Zentralabitur die<br />
Notenvergabe objektiver?<br />
Christian: Meiner Meinung nach nicht.<br />
Es soll nach außen suggeriert werden,<br />
dass das Verfahren objektiv und vergleichbar<br />
ist. De Facto ist es das nicht. Das<br />
merkt man daran, dass die Zweitkorrektur<br />
vorsieht, dass man auch um drei Notenpunkte<br />
abweichen kann, ohne dass es zu<br />
einer Drittkorrektur kommt.<br />
Doro: Die Punkte, die man für sein Abitur<br />
braucht, resultieren nur zu einem kleinen<br />
Teil aus den Abiturprüfungen. Wird<br />
durch die zentral gestellten Prüfungen<br />
ein Abitur zwischen zwei Schülern unterschiedlicher<br />
Schulen vergleichbarer?<br />
Christian: Nicht wirklich. Die meisten<br />
Punkte sind schon vorher in der Qualifikationsphase<br />
gesammelt. Vergleichbarer<br />
werden nur die Prüfungsklausuren in den<br />
Abiturfächern. Dies aber auch nur indirekt,<br />
weil die Voraussetzungen für eine<br />
Klausur eigentlich der vorher gelaufene<br />
Unterricht ist. Das relativiert natürlich den<br />
Anspruch von Vergleichbarkeit für sämtliche<br />
Fächer.<br />
Doro: Das Zentralabitur ist in NRW als<br />
Reaktion auf schlechte<br />
Ergebnisse im Vergleich<br />
zwischen den Bundesländern<br />
eingeführt worden.<br />
Kann es Unterschiede<br />
zu Bayern oder Baden-<br />
Interview<br />
Württemberg kompensieren? Wird es da- Christian: Eine Gefahr ist, dass die<br />
durch bundesweit höher gestellt?<br />
Christian: Zunächst einmal bin ich der<br />
Meinung, dass Schüler der Schule, an der<br />
ich unterrichte, im Endeffekt vom Zentralabitur<br />
profitieren, weil die Aufgabenstellung<br />
und die Klausuren insgesamt weniger<br />
anspruchsvoll sind als die vorher in-<br />
„Weise wird man<br />
an anderer Stelle“<br />
– Interview<br />
zum Thema<br />
„Zentralabitur“<br />
dividuell gestellten. Darüber hinaus muss<br />
man berücksichtigen, dass die Schulsysteme<br />
prinzipiell nicht deckungsgleich,<br />
dass die Einzugsbereiche nicht wirklich<br />
vergleichbar sind,…Durch länderspezifische<br />
Verfahren werden plötzlich zentrale<br />
Aufgaben gestellt, die sich auf<br />
Länderebene nur bedingt ver-<br />
gleichen lassen.<br />
Doro: Wie sieht das Zentralabitur<br />
organisatorisch aus?<br />
Christian: Der bürokratische<br />
Aufwand ist höher:<br />
Leute müssen dafür bezahlt<br />
werden, dass man die Organisation<br />
des Zentralabiturs<br />
hinbekommt. Das sind neue<br />
Aufgabenfelder, die allerdings<br />
keine inhaltliche Verbesserung<br />
von Schule und<br />
Bildung bringen.<br />
Doro: Welche Vorteile<br />
und Nachteile siehst du in<br />
der Idee des Zentralabiturs?<br />
Christian: Egoistischer Weise dürfte ich<br />
sagen, dass ich in meinen Fächern keine<br />
Vorschläge mehr selbst formulieren muss.<br />
Das spart mir Zeit. Aus Schülersicht ist es<br />
ein Vorteil für Schüler an Schulen, die ein<br />
hohes Niveau haben, weil die sich nun an<br />
geringeren Ansprüchen messen müssen.<br />
Damit hört es dann aber schon fast wieder<br />
auf. Für nachteilig halte ich die Tatsache<br />
des festgelegten Kanons von Werken.<br />
Dass man festlegt, was gelesen werden<br />
muss, halte ich für einen Rückschritt,<br />
den ich nur schwer verkraften kann und<br />
der das Lernen entindividualisiert. Die<br />
Schülerbeteiligung an der Unterrichtsgestaltung,<br />
eben auch an der Auswahl von<br />
Inhalten, nimmt ganz enorm ab. Das war<br />
vorher insbesondere in meinem Fach Musik<br />
in hervorragender Weise möglich.<br />
Doro: Wie bewertest du insgesamt die<br />
Veränderungen hin zum Zentralabitur?<br />
Christian: Es wird ein Bildungsideal widergespiegelt,<br />
das ich für problematisch<br />
halte, das sich ausschließlich auf abfragbares<br />
Wissen und grundlegende Methodenkenntnisse<br />
beruft.<br />
Darüber hinaus sind meiner Meinung<br />
nach zentral gestellte Aufgaben immer<br />
auf einem banaleren, inhaltlich reduzierten<br />
Niveau formuliert, weil sie sich nicht<br />
konkret auf den tatsächlich erlebten Unterricht<br />
beziehen können.<br />
Doro: Welche Schwierigkeit<br />
siehst du in der Vorbereitung<br />
durch die Lehrer auf<br />
das Zentralabitur?<br />
Lehrer ihre Schüler mit bloßen Fakten<br />
überhäufen. Die zweite Gefahr ist, dass<br />
man sich sklavisch an das hält, was vorgegeben<br />
ist und damit auch den Rest an<br />
Freiräumen, die in den Vorgaben noch<br />
vorgesehen sind, aufgibt, statt sie zu nutzen,<br />
um Verknüpfungen zu anderen Unterrichtsinhalten<br />
zu ermöglichen.<br />
Doro: Wie siehst du den Zusammenhang<br />
zwischen Bildungsniveau und Zentralabitur?<br />
Wird das Niveau dadurch gehoben?<br />
Christian: Zum einen denke ich, dass<br />
die Aufgabenstellungen im Zentralabitur<br />
allgemeiner seien müssen, weil die nicht<br />
mehr den konkreten Zugang eines Fachlehrers<br />
berücksichtigen können und zum<br />
anderen fasse ich unter Bildung auch den<br />
Anspruch an Vielseitigkeit. Ich bin der<br />
Meinung, dass durch eine so enge<br />
Kanonisierung von Inhalten<br />
Bildung vereinheitlicht<br />
und verflacht<br />
wird und dass Schülerinteressen<br />
häufig<br />
unberücksichtigt bleiben.<br />
Doro: Möchtest du<br />
noch etwas ergänzen?<br />
Christian: Ein zentral<br />
gestelltes Abitur enthält<br />
immer auch ein<br />
gewisses Misstrauen<br />
gegenüber sämtlichen<br />
Lehrern und Lehrerinnen.<br />
Das heißt immer,<br />
dass eine Landesregierung<br />
sämtlichen<br />
Gymnasiallehrern und -lehrerinnen sagt,<br />
ihr seid nicht in der Lage, die Aufgaben<br />
selber individuell und anspruchsvoll zu<br />
gestalten.<br />
Doro: Wenn du Minister für Schule und<br />
Weiterbildung, also Frau Sommer wärst,<br />
was würdest du in NRW am Abitur ändern?<br />
Christian: Ich würde eine große Anzahl<br />
von Kollegen fragen, ob das alte<br />
Verfahren nicht schülerfreundlicher und<br />
effektiver gewesen sei. Vor allen Dingen,<br />
wenn es um die eigentliche Substanz von<br />
Bildungsinhalten geht. Wenn die Mehrheit<br />
sagen würde „lasst uns das mal so<br />
machen, wie wir das vorher gemacht haben“,<br />
würde ich zum vorherigen Verfahren<br />
zurückkehren.<br />
Doro: Was rätst du eigentlich deinen<br />
Schülern zur Vorbereitung auf das Abitur?<br />
Christian: Sich möglichst pragmatisch<br />
vorzubereiten und darüber nicht zu vergessen,<br />
dass abfragbares Wissen und<br />
Wiederkäuen von Inhalten eigentlich nicht<br />
das ist, was man bei gymnasialer Bildung<br />
als Ideal im Kopf haben sollte. Man muss,<br />
glaube ich, wissen, dass es ein zentrales<br />
Abitur gibt, das ganz klar auf vereinbarte<br />
Inhalte abzielt, aber man sollte das dann<br />
nicht gleich automatisch für Bildung halten.<br />
Es ist eine Prüfungsleistung. Weise<br />
wird man an anderer Stelle.<br />
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