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We 2008/2009 16 - Institut für Rechtsmedizin - Universität Rostock

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<strong>Rechtsmedizin</strong><br />

Forensische Traumatologie1<br />

Teil 1<br />

- Vitale Reaktionen<br />

- Gewaltsamer Tod: Ereigniskategorien<br />

- Grundlegende Rechtsbegriffe, bevorzugt Strafrecht<br />

- Stumpfe Gewalt, Scharfe Gewalt, Schuss<br />

© Prof. Dr. med. Rudolf <strong>We</strong>gener<br />

<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Rechtsmedizin</strong> der <strong>Universität</strong> <strong>Rostock</strong><br />

Hinweise: Sachdarstellung in stark verkürzter Form<br />

<strong>für</strong> Vorlesungszwecke; Änderungen vorbehalten


• Definition<br />

Vitale Reaktionen - Forensische Bedeutung<br />

– Vitale Reaktionen sind mikroskopisch und makroskopisch darstellbare Befunde,<br />

die nach äußeren Einwirkungen nur bei (noch) bestehender Kreislauffunktion<br />

auftreten können und ein Zustandekommen zu Lebzeiten signalisieren<br />

• Problem<br />

– Befunde auch in der Agone auslösbar (Reanimationsfolgen wie<br />

Intubationsverletzungen, Lungenüberblähungen, Rippenfrakturen und<br />

Leberrupturen); Abgrenzung von tatrelevanten Verletzungen ggf. schwierig<br />

– Nach Hirntod (Individualtod) können vital imponierende Verletzungen enstehen<br />

• Klassische Fragestellungen (Auswahl)<br />

– Überrollung einer liegenden Person auf nächtlicher Straße nach vorhergehender<br />

Unfallflucht ?<br />

– Ertrinken oder nach dem Tode ins Wasser verbracht ?<br />

– Eisenbahnüberfahrung zu Lebzeiten ?<br />

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• Kreislauf<br />

– Blutung (letal: > 1,5 l)<br />

Allgemeine Vitalreaktionen<br />

– Embolien (Thromben, Luft,<br />

Fett, Gewebe)<br />

– Verteilung von Toxika und<br />

Metaboliten<br />

• Atmung<br />

– Aspiration (Blut, Speisebrei,<br />

Ruß etc.)<br />

– Cutanes und interstitielles<br />

Emphysem<br />

• Stoffwechsel<br />

– Stoffwechseldysregulation/<br />

Schock<br />

– Resorption<br />

Lokale und (unter bestimmten Voraussetzungen) allgemeine<br />

Vitalreaktionen können aufgrund der fließenden Absterbeordnung von<br />

Geweben/Organen auch nach dem Individualtod ablaufen<br />

– Metabolisierung/Elimination<br />

• Neurohumorale Reaktion*<br />

– Adrenalinausschüttung<br />

– Glykogenolyse<br />

– Lipidmobilisation<br />

– Histamin/Serotonin-<br />

Freisetzung<br />

– *Ständiger Zuwachs von<br />

Transmittern, Mediatoren<br />

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• Definition<br />

Lokale Vitalreaktionen<br />

– Auftreten von Einzelverletzungen nach umschriebener äußerer<br />

Einwirkung.<br />

• Problem<br />

– Anforderungen an die Funktion des Kreislaufes - gegenüber den<br />

allgemeinen Vitalreaktion - reduziert. Sichere Abgrenzungen von<br />

prämortalen und frühen postmortalen Befunden häufig unmöglich.<br />

• Zelluläre entzündliche Reaktionen<br />

– Hoher Beweiszeitwert bei Emigration in Gewebe<br />

– Fehlende Entzündungsreaktionen (Beispiel: areaktive Läsion im<br />

Nervensystem) sprechen nicht gegen eine vitale Enstehung von<br />

Verletzungen<br />

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Histologische Parameter zur Wundaltersschätzung*<br />

Parameter Stunden Parameter Tage<br />

Fibronectin (i) ca. 0,3 h Fibroblasten 1 d<br />

erste neutrophile Granulozyten ca. 0,5 h typ. Granulationsgewebe ab 2 d<br />

unspezifische Esterase (e) 1 h Lipophagen, Erythrophagen ab 3 d<br />

saure Phosphatase (e) 2 h Siderophagen/Hämosiderin ab 3 d<br />

erste Makrophagen 3 h Kollagenfasern Typ III,V,VI (i) 3 d<br />

ATPase/alk. Phosphatase (e) 4 h Kollagenfasern 4-6 d<br />

deutliche<br />

Granulozyteninfiltrate<br />

mehrere h Hämatoidin/fleckige<br />

Lymphozyteninfiltrate<br />

ca. 7 d<br />

Makrophagen ab 12 h Reepithelisation ab 5 d<br />

Kapillarsprossung <strong>16</strong> h vollständige Basalmembran (i) 8 d<br />

Makrophagen>Granulozyten ab 20 h Keratin-5-Färbbarkeit der<br />

Basalzellschicht<br />

e= enzymhistochemisch i= immunologisch<br />

13 d<br />

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Gewaltsamer Tod - Ereigniskategorien (I)<br />

• Suizid, Suizidversuch, Selbstbeschädigung<br />

– Vollendeter Suizid [Termini: Freitod und Selbstmord fragwürdig]<br />

– Suizidversuch [Parasuizid]<br />

– Erweiterter Suizid [Mitnehmen in den Tod]<br />

– Gemeinsamer Suizid [<strong>We</strong>rtung problematisch]<br />

• Unfall, Unglücksfall<br />

– Unfall als versicherungsrechtliches Ereignis<br />

– Unglücksfall als Ereignis im strafrechtlichen Sinne<br />

• Körperverletzungs- und Tötungsdelikte (Straftaten)<br />

– Zahlreiche Tatbestände<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 6


Suizid<br />

• Phänomenologie<br />

– 20 pro 100.000 Einwohner im Jahr (abnehmende Tendenz<br />

abschwächend)<br />

– Verhältnis männlich/weiblich ca. 2,5 : 1<br />

– Suizidankündigungen mit zunehmendem Alter abnehmend<br />

• Rechtliche Einordnung<br />

– Suizid und Suizidversuch straffrei<br />

– Beihilfe zum Suizid straffrei, solange Willensfähigkeit erhalten (ggf.<br />

Vorwurf der Unterlassenen Hilfeleistung)<br />

– Tötung auf Verlangen gemäß § 2<strong>16</strong> StGB strafbar<br />

• Problemfälle<br />

– Gemeinsamer Suizid: Abgrenzung des aktiv handelnden Suizidanten<br />

– Erweiterter Suizid (Mitnahmesuizid: Auto- und Heteroaggression)<br />

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Gewaltsamer Tod - Ereigniskategorien (II)<br />

• Unfall gemäß Allg. Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2000)<br />

– Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzliches von außen<br />

auf seinen Körper wirkendes Ereignis eine Gesundheitsschädigung<br />

erleidet (Ausschluss von Krankheit und Suizid*)<br />

– Ein Unfall liegt auch bei indirekten Verletzungen vor (Muskelfaserriss oder<br />

Luxation bei erhöhter Kraftanstrengung.<br />

– Ein Unfall liegt auch vor, wenn eine Verletzung bei einer Schlägerei<br />

gesetzt wurde, in die der Versicherte nicht schuldhaft verwickelt wurde.<br />

• Unglücksfall gemäß § 323c StGB (Hilfspflicht)<br />

– Ein Unglücksfall ist eine Notsituation in hilfloser Lage (auch: eine sich<br />

plötzlich verschlimmernde Krankheit oder ein Suizidversuch)<br />

� Bei Suiziden: Versicherungsvertrag beachten<br />

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Rechtsbegriffe<br />

• Verbrechen: Rechtswidrige Tat mit Mindeststrafe > 1 Jahr Freiheitsstrafe<br />

• Vergehen: Rechtswidrige Tat mit Freiheitsstrafe


• Geburt<br />

Zivilrecht (BGB)<br />

– Rechtsfähigkeit<br />

– Erbberechtigung<br />

• 7. Lebensjahr<br />

– beschränkte Geschäftsfähigkeit<br />

• <strong>16</strong>. Lebensjahr<br />

– Testierfähigkeit<br />

– Eidesfähigkeit<br />

• 18. Lebensjahr<br />

– Volle Geschäftsfähigkeit<br />

Altersgrenzen<br />

Strafrecht (StGB, JGG)<br />

• < 14. Lj. (Kind)<br />

– Strafunmündig (§ 19 StGB)<br />

• 14. - 18. Lj. (Jugendlicher)<br />

– bedingt verantwortlich<br />

(§§ 1-3 JGG )<br />

• 18. - 21. Lj. (Heranwachsender)<br />

– grundsätzlich voll verantwortlich,<br />

möglich: Jugendstrafrecht<br />

( § 105 JGG)<br />

• > 21. Lj. (Erwachsener)<br />

– voll verantwortlich<br />

– Ausnahme: bedingt schuldfähig,<br />

schuldunfähig (§§ 20,21 StGB)<br />

BGB: Bürgerliches Gesetzbuch<br />

StGB: Strafgesetzbuch<br />

JGG: Jugendgerichtsgesetz <strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 10


• Definition<br />

Straftat (I)<br />

– Straftat als tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte<br />

Handlung, Tatbestandsmäßigkeit<br />

– Tat zum Zeitpunkt ihrer Begehung bedroht (nullum crimen sine lege)<br />

– Tatbestand <strong>für</strong> Betreffenden erkennbar (kein Verbotsirrtum)<br />

• Rechtswidrigkeit (kein Rechtfertigungsgrund vorliegend)<br />

– Keine Einwilligung bzw. mutmaßliche Einwilligung des Geschädigten<br />

– Keine behördliche Erlaubnis, kein Dienstrecht<br />

– Keine Notwehr, kein Notstand bzw. rechtfertigender Notstand<br />

� Handlung: Tun und Unterlassen<br />

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• Schuldform: Vorsatz<br />

Straftat - Schuld (II)<br />

– Direkter (Unbedingter) Vorsatz: Wissen und Folgen wollend<br />

– Bedingter Vorsatz: Wissen und Folgen billigend in Kauf nehmend<br />

(Dolus eventualis)<br />

• Schuldform: Fahrlässigkeit<br />

– Bewusste Fahrlässigkeit: Wissen aber Folgen nicht wollend<br />

– Unbewusste Fahrlässigkeit: Nichtwissen und Folgen nicht kennend,<br />

obwohl Kenntnisse erlangbar<br />

• Keine Schuldausschließungsgründe<br />

– Strafmündigkeit (> 14 Jahre)<br />

– Zurechnungsfähigkeit<br />

� Nichtwissen schützt vor Strafe nicht<br />

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Straftaten gegen das Leben<br />

§ 211 StGB Mord<br />

§ 212 StGB Totschlag<br />

<strong>We</strong>r einen Menschen tötet, ohne Mörder sein (...)<br />

§ 213 StGB Minder schwere Form des Totschlages:<br />

Wurde zum Totschläger ohne eigene Schuld (...) zum Zorn gereizt und ist<br />

hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden (...)<br />

§ 2<strong>16</strong> StGB Tötung auf Verlangen<br />

Aufforderung zur aktiven direkten Sterbehilfe<br />

§ 217 StGB Kindestötung (weggefallen)<br />

§ 218 StGB Schwangerschaftsabbruch<br />

§ 220a Völkermord<br />

§ 221 Aussetzung<br />

Bei Garantenstellung (Zurücklassen in hilfloser Lage)<br />

§ 222 StGB Fahrlässige Tötung<br />

� Keine Verjährung: Mord und Völkermord<br />

� 30 Jahre: Taten mit Androhung von lebenslanger Freiheitsstrafe<br />

� 20 Jahre: Taten mit Androhung von Freiheitsstrafe > 10 Jahre<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 13


§ 211 StGB - Mord<br />

• I Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft .<br />

• II Mörder ist, wer<br />

– aus Mordlust<br />

– zur Befriedigung des Geschlechtstriebs,<br />

– aus Habgier oder sonst niedrigen Beweggründen,<br />

– heimtückisch oder<br />

– grausam oder<br />

– mit gemeingefährlichen Mitteln oder<br />

– um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken<br />

einen Menschen tötet.<br />

� Mord: Lebenslange Freiheitsstrafe <strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 14


Rechtsebenen - Basis der Gutachtenerstattung<br />

Rechtsebenen Klage/ Vorwurf Urteil/ <strong>We</strong>rtung<br />

Zivilrecht<br />

[BGB]<br />

Strafrecht<br />

[StGB]<br />

Arbeitsrecht<br />

[AGB]<br />

Patient (Geschädigter) gegen<br />

Krankenhaus/ Arzt/<br />

Pflegeperson (Verursacher)<br />

Staatsanwalt gegen Arzt/<br />

Pflegeperson (Täter)<br />

Arbeitgeber (Krankenhaus)<br />

gegen Arbeitnehmer (Arzt)/<br />

vice versa<br />

Staatsrecht Patient gegen Gemeinde/<br />

Land/ Bund<br />

Schadensersatz/<br />

Schmerzensgeld<br />

Freiheitsstrafe/<br />

Geldstrafe<br />

Schadensersatz/<br />

Vertragsänderung<br />

Schadensersatz<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 15


Befunddokumentation - Grundlage des Gutachtens<br />

• Zeitpunkt der Untersuchung, Untersucher<br />

• Darstellung des Vorganges<br />

• Darstellung der Informationsquelle<br />

• Objektive Befunde<br />

– Foto<br />

– Schemaskizze<br />

• Subjektive Beschwerden<br />

• Diagnose<br />

• Darstellung der wissenschaftlichen Quellen des Gutachtens<br />

� Diagnose ohne Befundung: Als Beweismittel nahezu ohne <strong>We</strong>rt<br />

� Keine Interpretation aufgrund subjektiver Angaben<br />

� Subjektive Angaben: Als solche dokumentieren<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> <strong>16</strong>


Stumpfe (flächig einwirkende) Gewalt<br />

• Traumatomechanische Variable<br />

– Intensität der Gewalt (Grad der Positiv- oder Negativbeschleunigung)<br />

– Qualität der einwirkenden Gewalt<br />

• Form (flächig, rund, eckig)<br />

• Impulsübertragung (Verformbarkeit, Elastizität etc.)<br />

– Beanspruchungsart<br />

• Druck - Zugmechanismen<br />

• Scher- und Torsionskräfte<br />

• Kombinationseffekte<br />

• Wundmorphologie / Grad der degenerativen Veränderungen<br />

• Trajektorien, Spaltbarkeit der Haut<br />

• Faserverläufe der Gewebe<br />

• Flüssigkeitsgehalt des Gewebes (Schwabbelmasse)<br />

• Gelenke, Bänder und Muskulatur<br />

• Solide Organe oder Hohlorgane (Füllungszustand)<br />

• Röhren- oder platte Knochen (Gefahrenzone: Schädel)<br />

� Direkte Verletzungen<br />

� Indirekte Verletzungen, Dissoziation von<br />

Ort der Gewalt und Ort der Verletzung<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 17


Stumpfe Gewalt - Haut/ Unterhautbindegewebe<br />

• Schürfung (tangentiale Gewalt und/oder raue Oberflächen)<br />

– Exkoration und Hypostase (Schürfrichtung beachten)<br />

– Dehnungseinrisse nach Zugbelastung<br />

• Decollement (Ablederung-Avulsio: Abscherung der Kutis)<br />

– Verletzungshöhlen (Nekrosen, Blutungen, Fettembolie)<br />

– Ggf. Reifenbreite und -profil erkennbar<br />

• Hämatom (Einblutung; herdförmig o. flächig)<br />

– Suggillation (Flächenhafte Blutung der Haut)<br />

– Suffusion (Flächenhafte Blutung der Unterhaut)<br />

– Formung möglich (von innen und außen)<br />

– Abformung von Textilstrukturen, geformten Gegenständen<br />

– Knochenabformung bei massiver <strong>We</strong>ichteilkompression<br />

� Diskrete äußere Verletzungen bei schweren inneren Traumata<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 18


Stumpfe Gewalt - Platzwunde (Riss-/Quetschwunde)<br />

• Morphologie<br />

– Stark modifiziert durch knöchernes Widerlager<br />

– Wundränder unregelmäßig (ausgefranst/ fetzig)<br />

– Randständige Schürfung/Eintrocknung/Hämatomisierung<br />

– Wundränder bei Schädelverletzungen unterminiert<br />

– Kulissenartige Einengung zur Wundtiefe hin - Retraktion<br />

– Gewebsbrücken in der Tiefe (Gewebsstränge - perivasculär bzw.<br />

perineural)<br />

• Kriminalistische Aspekte<br />

– Fremdmaterial: Traumatisiertes Gewebe, Unterminierungszone,<br />

Wundgrund<br />

– Tatwerkzeug: ggf. Herleitung aus Beschaffenheit der Wundränder<br />

– Rekonstruktion: ggf. Täter-Opfer-Postion durch Verletzungsmuster<br />

� Asservierung beachten <strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 19


Stumpfe Gewalt - Innere Verletzungen<br />

• Stumpfes Thoraxtrauma<br />

– Contusio cordis (mit und ohne Hämorrhagien)/ Rhythmusstörungen<br />

– Herzrupturen selten (!) bei schwersten Traumata<br />

– Pulmonale Verletzungen häufiger (Rippenanspießungen, Contusionen)<br />

– Dezelerationstraumata (abrupte Verzögerung)<br />

• Komplette und inkomplette Aortenrupturen (A. descendens)<br />

• Hiläre pulmonale Zerrungsverletzungen<br />

• Stumpfes Bauchtrauma<br />

– Organabrisse an den Gefäßpolen, allg. hohe Vulnerabilität<br />

– Zentrale Leber- und Milzzerreißungen (zweizeitige Kapselruptur möglich)<br />

– Mesenterialgefäßverletzungen<br />

– Zwerchfellruptur mit Dislokation von Abdominalorganen in den Thorax<br />

� Entwicklungszeit von tiefliegenden Hämatomen<br />

� Problem der gedeckten und inkompletten Verletzungen:<br />

Schockanalgesie bzw. psychischer Stupor - FREIES INTERVALL !!!<br />

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Direkte und indirekte Leberruptur<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 21


Stumpfe Gewalt - Intrakranielle Blutungen<br />

• Epidurales Hämatom (Raumforderung: ggf. letal ab 100 ml Blut)<br />

• A. meningea media bevorzugt (auch andere Äste)<br />

• Freies Intervall 3 - 24 Std. ! (Problem: Alkohol- und Drogenabusus)<br />

• Subdurales Hämatom ( Rotationsfolge, häufig kombiniert mit<br />

Hirnschäden)<br />

• Meningeale (Brücken- )Venen (sich ausbreitende Sickerblutung)<br />

• Mantelförmige Blutungen mit Kompressionseffekten möglich<br />

• Rezidivblutung (Pachymeningeosis haemorrhagica interna)<br />

• Subarachnoidales Hämatom (Blutung in die Leptomeninx, basale<br />

Zysternen, Kombination mit Ventrikelblutungen möglich)<br />

• Selten als isolierte Traumafolge relevant<br />

• Gutachterproblem: Aneurysmenruptur der A. cerebri spontan o.<br />

posttraumatisch?<br />

� Atonischer Sturz des Alkoholisierten <strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 22


Stumpfe Gewalt - Hirnverletzungen<br />

• Commotio cerebri ( kein morphologischer Befund)*<br />

– Bewusstlosigkeit (ggf. Retro- u. anterograde Amnesie)<br />

– In der Regel < 15 Minuten<br />

– Ggf. passagere klinisch - neurologische Symptomatik<br />

• Contusio cerebri ( Hirnrindenprellungsherde - kleinherdige, gruppierte<br />

Blutungen, Nekrosen, Enzephalorrhagien)<br />

– Initiale Bewusstlosigkeit 1 (-24 Stunden)<br />

– Klinisch-neurologische Befunde reversibel oder irreversibel<br />

• Compressio cerebri ( Erhöhter Hirndruck mit und ohne Läsionen )<br />

– Ggf. ohne initiale Bewusstlosigkeit<br />

– Ggf. ohne freies Intervall<br />

� * MRT (hypotense Bezirke) ggf. der Sektion überlegen<br />

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Stumpfe Gewalt - Kalottenfrakturen<br />

aus: Ökologisches Stoffgebiet (<strong>Rechtsmedizin</strong>)<br />

G. Reinhardt, R. Mattern 1995 <strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 24


Stumpfe Gewalt - Schädelfrakturen<br />

• Kalottenfrakturen (Diploe)<br />

– Schussfraktur, Trichtereffekt in Schussrichtung<br />

– Impressionsfraktur (z.B. Hammerbahn senkrecht)<br />

– Terassenfraktur (z.B. Hammerbahn schräge)<br />

– Globusfraktur (z.B. Baseball-Schläger, radiäre und konzentrische<br />

Bruchlinien vom Zentrum ausgehend)<br />

• Mittelgesichtsfrakturen<br />

– Le Fort I (Aussprengung des Kieferfortsatzes)<br />

– Le Fort II (Aussprengung von Kieferfortsatz und Nasenbein)<br />

– Le Fort III (Höher als Le Fort II mit Orbita- u. Jochbeinbeteiligung)<br />

– Blow-out-Frakturen der (hauchdünnen) Orbitawand nach stumpfer Gewalt<br />

• Schädelbasisfrakturen*<br />

– Längs- und Querfrakturen<br />

– Ringfraktur<br />

� Indikatoren <strong>für</strong> Qualität der einwirkenden Gewalt<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 25


Stumpfe Gewalt - Hutkrempenregel<br />

aus: Ökologisches Stoffgebiet (<strong>Rechtsmedizin</strong>)<br />

G. Reinhardt, R. Mattern 1995<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 26


Traumatomechanik der Schädelbasisfraktur<br />

aus: Ökologisches Stoffgebiet<br />

(<strong>Rechtsmedizin</strong>)<br />

G. Reinhardt, R. Mattern 1995<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 27


Scharfe Gewalt - Systematik<br />

• Schnitt/ Stich<br />

– Länge der Hautwunde > Tiefe (bevorzugt tangential)<br />

– Tiefe der Hautwunde > Länge (bevorzugt vertikal)<br />

• Hieb<br />

– Halbscharfe Einwirkung von Beilen und anderen scharfkantigen schweren<br />

Gegenständen (Übergangsformen zur stumpfkantigen Gewalt)<br />

• Pfählungen<br />

– Penetrierende Gewalt durch spitze Gegenstände wie Äste, Eisenstangen,<br />

Besenstiele etc.<br />

• Befunde geformt durch<br />

– <strong>We</strong>rkzeug (Breite u. Länge der Schneide; Schneidigkeit, Heft etc.)<br />

• Kleiner "Schwalbenschwanz" durch Messerrücken<br />

– Anatomie (Spaltbarkeitsrichtung und Fältelung der Haut, Retraktionseffekte der<br />

Muskulatur)<br />

– Bewegungsablauf (Täter und Opfer)<br />

• Großer "Schwalbenschwanz" durch Drehen Messer versus Opfer<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 28


Stich<br />

Stich - Schnitt - Verletzung<br />

aus: <strong>Rechtsmedizin</strong>, W. Schwerd, 1992<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 29


Stich<br />

Eindringtiefe - Schneidenlänge<br />

aus: <strong>Rechtsmedizin</strong>, W. Schwerd, 1992 <strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 30


Scharfe Gewalt - Kriminalistische Aspekte<br />

• Tötungshandlung<br />

– Durchstechen von Kleidung<br />

– Abwehrschutz- und -greifverletzungen<br />

– Unruhige Blutabrinnspuren<br />

– Anordnung der Verletzungen ggf. an unzugänglichen Körperabschnitten<br />

und zueinander winklig<br />

• Suizid<br />

– Unbedeckte Körperabschnitte<br />

– Handgelenk>Ellenbeuge>Hals>Thorax>Bauch<br />

– Parallele und parallel-winklige Ablaufspuren<br />

– Probier- und Nebenschnitte<br />

• Handlungsunfähigkeit spät einsetzend (Auswahl)<br />

– Herzkammereröffnung, Durchtrennung der Aorta/ A. pulmonalis etc.<br />

– Hirnverletzungen<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 31


Schussverletzungen - Schussentfernung<br />

• Absoluter Nahschuss<br />

– Laufmündung aufgesetzt - Distanz wenige Millimeter<br />

• sternförmiges Aufplatzen der Haut,<br />

• Schmauchhöhle (Schmauchbestandteile, CO-Hb, CO-Myoglobin,<br />

thermische Effekte)<br />

• Stanzmarke<br />

• ggf. Schmauchring<br />

• Relativer Nahschuss<br />

– näherer relativer Nahschuss<br />

• Schmauchhof (Auflagerungen von Bestandteilen der Zünd- und<br />

Treibladung)<br />

• Schmauchgase (aus Treibsatz)<br />

• Blei, Barium, Antimon (aus Zündsatz)<br />

– Pulverkörnchen (unverbrannte Pulverreste)<br />

– thermische Effekte (Haarkräuselung)<br />

– weiterer relativer Nahschuss<br />

• Pulverteilchen<br />

• kein Schmauch<br />

� Ereignisortsituation unverändert belassen<br />

� Projektile nicht mit Pinzette berühren<br />

� Nicht rauchen<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 32


Schuss<br />

Geschoss und Deformation<br />

aus: Wundballistik, K. Sellier, B. Kneubuehl, 1994<br />

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Schuss - Schussentfernung<br />

aus: <strong>Rechtsmedizin</strong>, W. Schwerd, 1992<br />

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Schuss - Einschusskriterien<br />

Fernschuss: Einschuss ohne Nahschusszeichen<br />

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Schussverletzungen - Schussrichtung<br />

• Einschuss<br />

– rundlicher zentraler Defekt (bei Substanzverlust nicht adaptierbar)<br />

• Ausnahme: "mattes" Geschoss ggf. mit schlitzartigem Defekt<br />

– schwärzlicher Abstreifring (Rückschluss aufs Kaliber)<br />

– bräunlicher Schürfsaum<br />

– bräunlich-rötlicher Kontusionsring<br />

• Ausschuss<br />

– In der Regel größer als Einschuss<br />

• Ausnahme: mattes Geschoss mit schlitzartigem Defekt<br />

– unregelmäßig gestaltet (auch: mitgeführte "Sekundärgeschosse)<br />

• Schusskanal<br />

– Zerstörungszone zwischen Ein- und Ausschuss (ggf. Abknickung des<br />

Verlaufes bei geringer Rasanz)<br />

– platte Knochen (insbesondere Schädelknochen der Kalotte)<br />

• Einschuss: trichterförmige Erweiterung nach innen<br />

• Ausschuss: trichterförmige Erweiterung nach außen<br />

Insbesondere bei matten Geschossen überraschende Kanalverläufe<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 36


Wundballistik<br />

• Aufprallgeschwindigkeiten (Rasanz)<br />

– Niedrige Geschwindigkeit (< 330 m/sec) - Pistolen, Revolver, Kleinkaliber<br />

• Geschossbedingte Verletzungen (auch Deformierung der Geschosse)<br />

– Mittlere Geschwindigkeit (800 m/sec)<br />

• Temporäre Wundhöhle bis zu 10 cm<br />

• Druckwelleneffekte - Fernverletzungen<br />

• Verletzungseffekte<br />

– bleibender Schusskanal (ohne Knochenbeteiligung ggf.< Kaliber)<br />

– Kontusionszone (Blutungs- Nekrosemantel, ggf. hydrodynamische<br />

Sprengwirkung)<br />

– Kommotionszone (reversibler Schädigungsbezirk)<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 37


Schuss - Besondere Verletzungsformen<br />

• Steckschuss (nur Einschusszeichen)<br />

• Mundschuss (nur Ausschusszeichen)<br />

• Durchschuss (Ein - und Ausschuss)<br />

• Tangentialschuss (Kontusion bzw. Hämatom als Verletzung)<br />

• Gellerschuss (Schwere Gewebszerreißungen bei Rikochett /<br />

Querschläger)<br />

• Krönlein-Schuss (Schädelsprengung - ggf. bei suizidalem<br />

Mundschuss)<br />

• Ringelschuss (Schädelsteckschuss, ermattetes Projektil<br />

"folgt der Kalotte")<br />

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Schussverletzungen: Unfall - Suizid - Homizid<br />

• Unfall<br />

– Fernschüsse<br />

• Waffenreinigung<br />

• Spielunfall bei Zugang <strong>für</strong> Kinder<br />

• "Russisches Roulett"<br />

• Jagd- und Schießstandunfälle<br />

• Suizid<br />

– Einschuss: Schläfe, Stirn (eher: Kurzwaffe)<br />

– Einschuss: Mund und Thorax (eher: Langwaffe)<br />

– Schusshand mit Blut und Schmauch<br />

– Handverletzungen durch Abzug (Kurzwaffen)<br />

– Schuss nicht durch Kleidung<br />

• Tötung<br />

– Fernschüsse, Mehrfachschüsse<br />

– Schusswaffe in der Hand<br />

Fehlen der Schusswaffe oder Auffinden in Distanz<br />

zur Leiche beweist nicht Fremdeinwirkung<br />

<strong>We</strong> <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong> 39

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