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THEATERBALL 2012 „WIENER BLUT“ - KR-ONE

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Titelthema //<br />

Geometrie und Zeit fühlbar gemacht<br />

Flugzeug selber steuern wird, so fliegt er doch gerne<br />

mit einem befreundeten Piloten in einer kleinen Propellermaschine.<br />

Freddy genießt das Gefühl der Freiheit.<br />

Wenn er an einen Baum denkt, dann hat er kein Bild<br />

vor seinem geistigen Auge. An die kurze Zeit, in der<br />

er sehen konnte, kann er sich beim besten Willen nicht<br />

mehr erinnern: Er war gerade drei Jahre alt. Bei ihm<br />

werden andere Areale im Gehirn aktiviert. „Zuerst<br />

erinnere ich mich an das Gefühl der Rinde und der<br />

Blätter, dann denke ich an das Geräusch, das durch<br />

den Wind entsteht“, erklärt Frederik. Auch wenn er<br />

die Welt auf seine ganz eigene Weise begreift, nimmt<br />

er vollständig an ihr Teil. Er meidet das Vokabular der<br />

Sehenden nicht und spricht oft davon, dass er Fußball<br />

schaue oder jemanden gesehen habe. Tatsächlich<br />

guckt er Fußball am liebsten im Fernsehen und muss<br />

dabei viele wichtige Informationen des Spieles zwischen<br />

den Zeilen lesen. Seit Jahren hält er die Treue zu<br />

Borussia Dortmund, darauf pocht er. Ein Mode-Fan<br />

wegen der Erfolge der vergangenen Saison sei er<br />

gewiss nicht. Er kennt auch die schweren Zeiten –<br />

nicht nur die seiner Lieblingsmannschaft.<br />

Denn beschwerlich ist vor allem sein schulischer Werdegang,<br />

dessen erfolgreicher Abschluss breites Medieninteresse<br />

in Krefeld erregt, weil Freddy an einem ganz<br />

normalen Gymnasium sein Abitur macht. Viele Jahre<br />

ist Frederik auf die Hilfe zahlreicher Zivis angewiesen,<br />

die für ihn Texte abtippen und damit für seinen Computer<br />

und die angeschlossene Blindenschrift-Tastatur lesbar<br />

machen. Viele technische Hilfsmittel ermöglichen ihm<br />

die Teilnahme am Unterricht des Stadtpark Gymnasiums,<br />

aber eben auch viele Menschen, die die Herausforderung<br />

annehmen, den jungen Mann in den Klassenverband<br />

zu integrieren. Noch heute ist Frederik der Schule,<br />

ihrem Direktor und den zahlreichen Lehrern dankbar,<br />

die mit ihm zusammen das Schiff „Abitur“ gemeinsam<br />

„ICH DENKE, DASS ICH MIT MEINEM SEHR<br />

GUTEN TASTSINN ALS PHYSIOTHERAPEUT<br />

WIRKLICH HELFEN KANN, VIELLEICHT<br />

SOGAR BESSER ALS SEHENDE MENSCHEN.“<br />

schaukelten, wie er selbst in einer Rede an seine Wegbegleiter in<br />

maritimen Analogien zum Besten gibt. Am Ende steht eine 2,4 als<br />

Durchschnitts-Note auf dem Zeugnis.<br />

Freddys unvergleichliche Art, sein Schicksal anzunehmen, das Leben<br />

zu leben und seine Mitmenschen zu begeistern, hat besonders bei<br />

seinen Eltern Spuren hinterlassen. „Wenn ich Frederik so sehe“, sagt<br />

sein Vater, „dann hinterfrage ich mich tatsächlich selbst, wenn ich<br />

wieder einmal dazu neige, die Dinge zu schwarz zu sehen. Er mahnt<br />

mich stillschweigend dazu, mein Leben neu zu bewerten.“ Dass Freddy<br />

inzwischen ein starker, erwachsener Mann geworden ist, hat sein Vater<br />

längst festgestellt. Dass Freddy überdies wahre Entertainer-Qualitäten<br />

zu bieten hat, ist ihm neu. Spätestens mit seinem Auftritt in der Talk-<br />

Show „Zug um Zug“ im Krefelder Nordbahnhof stellt Freddy diese<br />

unter Beweis. Er witzelt sich innerhalb von wenigen Minuten in die<br />

Herzen des Publikums, reagiert souverän auf die Fragen der Moderatorin<br />

Int-Veens und verlässt das ausverkaufte Lokal unter stehenden Ovationen.<br />

Freddy kommt im Bahnhof gut an, aber bleibt nicht lange. Nächster<br />

Halt: Zukunft.<br />

Inzwischen ist der einst hilfsbedürftige Junge flügge geworden. Freddy<br />

lebt nun in Dormagen und absolviert dort eine Ausbildung zum Physiotherapeuten.<br />

Wie es für ihn typisch ist, macht er auch hier aus der<br />

Not eine Tugend. „Ich denke“, erklärt er, „dass ich mit meinem sehr<br />

guten Tastsinn als Physiotherapeut wirklich helfen kann, vielleicht sogar<br />

besser als sehende Menschen.“<br />

„Manchmal“, räumt Freddy ein, „ja, manchmal ist es wirklich schade,<br />

dass ich nicht sehen kann. Zum Beispiel dann, wenn Urlaubsbilder<br />

angesehen werden, die mir nur erklärt werden können. Oder wenn<br />

alle etwas beobachten, das ich eben nicht sehen kann.“ Diese Momente<br />

des Haderns mit dem eigenen Schicksal sind jedoch rar gesät, versichert<br />

Freddy, und er schiebt diese schnell beiseite, denn er richtet seinen<br />

Blick nach vorne, auch wenn er nichts sieht.<br />

„Freddy“, ruft sein Vater kurz, als ich ihm zum Abschied die Hand entgegentrecke.<br />

„Ach, so“, sagt er kurz und reicht mir seine, weil er genau<br />

weiß, was sein Vater meint. Ich hoffe, wir sehen uns noch mal, sage<br />

ich. Da muss Freddy lachen: „Ja, das hoffe ich auch.“ //kor<br />

<strong>KR</strong>-<strong>ONE</strong> // 8 <strong>KR</strong>-<strong>ONE</strong> // 9<br />

Titelthema //

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