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Angst<br />
Angst sorgt für Umsatz<br />
Im Interview: Peter Vitouch, 61,<br />
Professor für Medienpsychologie an der Uni Wien<br />
„Angst vor Diox<strong>in</strong>-Fleisch“, „Angst vor<br />
Piraten“, „Angst vor dem Konjunktur-<br />
Crash“ waren Schlagzeilen der letzten<br />
Wochen. Kriegen Sie Angst, wenn Sie Zei-<br />
tung lesen?<br />
Ne<strong>in</strong>, als Leser oder Fernsehzuschauer<br />
muss man sich die abgewöhnen und Nachrichten<br />
filtern. In den meisten Fällen werden<br />
ja ohneh<strong>in</strong> Informationen geliefert,<br />
die e<strong>in</strong>en nicht unmittelbar betreffen.<br />
Das gilt zum Beispiel für „Angst vor Piraten“,<br />
die nur Seeleute und Kreuzfahrtpassagiere<br />
haben müssen. Warum trotzdem<br />
diese Schlagzeile?<br />
Weil solche Bedrohungsszenarien kurzfristig<br />
unsere Aufmerksamkeit erregen<br />
und zugleich den angenehmen Aspekt<br />
haben, dass sie nicht wirklich gefährlich<br />
für uns s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong>teressiert uns<br />
das, und andererseits s<strong>in</strong>d wir sehr froh,<br />
dass uns dieses Problem im Grunde genommen<br />
nicht behelligt. H<strong>in</strong>ter solchen<br />
Schlagzeilen stehen deswegen oft ökonomische<br />
Interessen von Verlagen und Sendern.<br />
Inwiefern ökonomisch?<br />
Man weiß, dass e<strong>in</strong>e Bedrohungsnachricht<br />
leichter durchdr<strong>in</strong>gt, und es ist ja<br />
e<strong>in</strong> grundsätzliches Problem, dass unsere<br />
Nachrichten zunehmend zu e<strong>in</strong>er Ware<br />
werden, die an den Mann oder die Frau<br />
gebracht werden. Und mit bedrohlichen<br />
Inhalten steigen Auflagen und E<strong>in</strong>schaltquoten,<br />
während Produkte, die positiv<br />
berichteten, pleitegegangen s<strong>in</strong>d.<br />
„H<strong>in</strong>ter Schlag<br />
zeilen stehen<br />
oft ökonomische<br />
Interessen“<br />
Spiegeln die Medien unsere Wirklichkeit<br />
dann überhaupt noch?<br />
Sie überzeichnen zum<strong>in</strong>dest stark. Evolutionstheoretisch<br />
hat das aber se<strong>in</strong>e Berechtigung,<br />
denn <strong>in</strong> der Entwicklung der<br />
Menschheit haben wir gelernt, auf Bedrohungsreize<br />
zu reagieren. Diejenigen, die<br />
irgendetwas Bedrohliches zu spät wahrgenommen<br />
haben, haben nicht überlebt,<br />
während die Vorsichtigen sich weiter fortpflanzen<br />
konnten. Man vermutet also,<br />
dass wir noch immer darauf ausgerichtet<br />
s<strong>in</strong>d, unser Umfeld ständig auf mögliche<br />
Gefahren abzuchecken.<br />
Wie gehen Leser oder Zuschauer denn<br />
heute mit Nachrichten um, die Angst machen?<br />
Das hängt von ihrem Angstbewältigungsstil<br />
ab, und der wiederum zieht e<strong>in</strong>e bestimmte<br />
Art von Medienkonsum nach<br />
sich. Menschen, die Angst schlecht bewältigen,<br />
werden entweder zu Verdrängern<br />
oder zu Sensibilisierern. Erstere schotten<br />
sich entweder von Angst ab und konsumieren<br />
nur Heile-Welt-Inhalte, oder sie<br />
suchen stark nach Angstreizen, weil sie<br />
von der Gefahr nicht überrascht werden<br />
wollen, verarbeiten die aber nur unzureichend.<br />
Die Sensibilisierer wollen genau<br />
wissen, welches Flugzeug abgestürzt ist,<br />
aber ke<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formation, etwa<br />
ob es schlecht gewartet war. Sie werden<br />
deshalb eher Boulevardmedien konsumieren.<br />
Interview: Christian Siepmann<br />
Foto: privat<br />
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