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Illegal in München - Biss

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Kolumne<br />

In letzter Zeit fahre ich gar nicht mehr<br />

gern mit der U-Bahn. Dauernd steigen<br />

die Preise, und alle paar Tage gibt es bis<br />

zu 15 M<strong>in</strong>uten Verspätung wegen irgende<strong>in</strong>es<br />

Betriebsschadens. Wenn die<br />

U-Bahn dann endlich kommt, drängen<br />

sich die Massen zu den Türen, und ich<br />

mit me<strong>in</strong>em sperrigen Verkaufskoffer,<br />

ich bleibe am Bahnsteig stehen und<br />

warte, warte auf die nächste oder übernächste.<br />

Um mich abzulenken, gehe ich<br />

h<strong>in</strong> und her, sehe mir die Reklame am Info-Screen<br />

an oder fahre noch e<strong>in</strong>mal die<br />

Rolltreppe hoch und betrachte die aushängenden<br />

Plakate. Zum Beispiel „Swan<br />

Lake“ mit den zwei weiß gekleideten Artisten,<br />

wo die Frau, sche<strong>in</strong>bar schwerelos,<br />

auf dem Kopf des Mannes turnt,<br />

vor blauem H<strong>in</strong>tergrund mit zwei herabschwebenden<br />

Schwanenfedern. Das Bild<br />

lässt mich über frühere Zeiten nachdenken,<br />

als ich jünger war. Da b<strong>in</strong> ich noch<br />

öfters zu irgendwelchen Veranstaltungen<br />

gegangen, zu „Holiday on Ice“ zum<br />

Beispiel, manchmal auch zu e<strong>in</strong>em Basketball-Spiel<br />

oder <strong>in</strong>s K<strong>in</strong>o. Die Zeiten<br />

ändern sich. Ich habe gar nicht mehr so<br />

große Lust auszugehen, vielleicht, weil<br />

ich älter geworden b<strong>in</strong>, müde vom Stehen<br />

an me<strong>in</strong>em Verkaufsplatz. Vielleicht wird<br />

auch e<strong>in</strong>fach zu viel Schönes angeboten,<br />

sodass die Auswahl schwer fällt.<br />

Jana bleibt<br />

daheim<br />

Trotzdem hole ich mir gleich am nächsten<br />

Tag bei der Kartenvorverkaufsstelle<br />

am Stachus verschiedene Prospekte. Am<br />

Abend blättere ich sie durch: Residenz-<br />

Serenade mit Schuhbeck und Barock-<br />

musik. Kl<strong>in</strong>gt gut, aber bei der Jubiläumsfeier<br />

von BISS durfte ich erst kürzlich<br />

e<strong>in</strong>em tollen Kammerorchester lauschen.<br />

Dann vielleicht etwas zum Lachen? In der<br />

Kle<strong>in</strong>en Komödie zum Beispiel? Aber Komödien<br />

gibt’s ja im Fernsehen zur Genüge,<br />

und die besten sogar auf der Straße,<br />

wenn wie neulich e<strong>in</strong> riesiger Streit entsteht,<br />

weil e<strong>in</strong> Fußgänger e<strong>in</strong>en anderen<br />

beim Vorbeigehen harmlos angestoßen<br />

hat, oder als e<strong>in</strong> ärgerlicher Mann auf die<br />

Motorhaube e<strong>in</strong>es fremden Fahrzeugs e<strong>in</strong>schlug.<br />

Ich lege die Prospekte beiseite und<br />

sehe mir alles auch noch im Internet an.<br />

Es ist, wie durch die Stadt zu bummeln.<br />

Ich mache den Computer aus, bereite mir<br />

e<strong>in</strong>en heißen Tee zu, schlüpfe <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en<br />

Schlafanzug und lege e<strong>in</strong>e CD mit tibetischer<br />

Meditationsmusik e<strong>in</strong>. Ich kusch-<br />

le mich aufs Sofa und lese <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Roman<br />

weiter, den mir die Autor<strong>in</strong> selber an<br />

me<strong>in</strong>em Standplatz geschenkt hat. Gut,<br />

dass ich heute nicht mehr <strong>in</strong> die Kälte<br />

rausmuss, nicht überlegen, was ziehe ich<br />

an, und nicht nachts durch me<strong>in</strong>e düstere<br />

Straße nach Hause laufen.<br />

Jana Förster/SWS

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