INNOVATIVE 22.indd - Nordelbisches Frauenwerk - Nordkirche
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Fotos: Dagmar Krok, Annette Pawelitzki<br />
7<br />
i n n o v a t i v e<br />
Frauensichten auf die Finanzkrise<br />
Wie geht es anders?<br />
Unter diesem Motto fanden sich im Januar trotz Glatteis und Schnee<br />
90 Frauen und einige Männer in den Räumen der Kieler Landesbibliothek<br />
ein. „Verzockt“, so Heide Simonis, haben sich die<br />
Männer in den Banken. Dass Heide Simonis als eine der wenigen<br />
Frauen in der Männerdomäne des Aufsichtsrats der HSH-Nordbank<br />
nicht viel ausrichten konnte, wunderte die feministische Ethikerin, Ina<br />
Praetorius, nicht.<br />
In ihrem Modell einer ‚Ökonomie der Geburtlichkeit’ würde es so etwas<br />
wie eine Finanzkrise nicht geben. Ihr zufolge liegt der Ursprung<br />
der Fehlentwicklung der Ökonomie in der Antike, bei Aristoteles<br />
und dessen Zweiteilung der Welt in die Sphäre des Haushalts, der<br />
unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung, die den Frauen zugeordnet<br />
wurde und in die Sphäre des außerhäuslichen Bereichs, der Polis,<br />
die den freien Männern für Politik und Theoriebildung vorbehalten<br />
war. Die Folge davon sei, dass es in der Ökonomie von heute nicht<br />
mehr um Bedürfnisse von Menschen gehe, obgleich die Ökonomie<br />
beanspruche, die Lehre der Bedürfnisbefriedigung zu sein. Es gehe<br />
heute nur um Geld, Geldvermehrung, Zins-, Diskontsätze und Profite.<br />
Durch den freien Markt würden menschliche Bedürfnisse angeblich<br />
automatisch befriedigt. Menschen seien aber nicht autonome freie<br />
Markt-AkteurInnen, sondern vor ihrer Geburt abhängig vom Mutterleib<br />
und danach von anderen, von der Natur und ihrer Umwelt. Die<br />
‚Ökonomie der Geburtlichkeit’ jedoch überwinde die Zweiteilung von<br />
Hauhalt und Polis. In ihr dürfe es wieder um die Befriedigung menschlicher<br />
Bedürfnisse gehen. Sie stellt die Abhängigkeit des Menschen<br />
neben dessen Freiheit.<br />
Wenn wir die Sphären des Haushalts und der Polis verbinden wollen<br />
und ein neues Verständnis von Ökonomie suchen, müssen wir uns<br />
mit den Niederungen der heutigen Finanzwirtschaft auseinandersetzen.<br />
Hinsichtlich der Frage, was wir tun können, um der postpatriarchalen<br />
Wirtschaftsordnung ein Stück näher zu kommen, bekamen<br />
wir Hinweise von Heide Simonis, die die Sprache und Glaubwürdigkeit<br />
von BankerInnen und GutachterInnen kritisierte, von deren wahrheitsgemäßen<br />
Informationen sie als Aufsichtsratsmitglied der HSH-<br />
Weitere fotografische Impressionen der Veranstaltung „Frauensichten auf die Finanzkrise – wie geht es<br />
anders?“ finden Sie auf der Rückseite der innovative<br />
P r o j e k t e ı A k t i o n e n<br />
Nordbank abhängig war. Die mit Anglizismen durchsetzte Sprache<br />
der Banker grenze aus und erschwere die Aufsicht. „Wir brauchen<br />
eine verständliche und transparente Sprache“, forderte sie. Die<br />
HSH-Nordbank müsse wieder zu einer Regionalbank werden. Es<br />
müsse aufhören, dass Geld mit Geld erzeugt wird.<br />
Sehr authentisch war Kristina Kirchmann, die aus moralischen<br />
Gründen ihre Arbeit in verantwortlicher Position bei einer Bank<br />
aufgegeben hat und die üblichen Anlageprodukte (Versicherungen,<br />
private Renten, Fondssparen etc.), bei denen es mehr um Provisionen<br />
als um gute Beratung gehe, in Frage stellte.<br />
Die Frage der verantwortungsbewussten Anlageberatung wurde zum<br />
Schluss der Veranstaltung durch Christa Pruessner von Oiko-Credit<br />
gelöst. Bei Oiko-Credit kann Geld ethisch korrekt in sinnvolle<br />
Projekte der Realwirtschaft in der Einen Welt angelegt werden.<br />
Ein Highlight waren die ClowNetten mit drei wunderbaren Szenen<br />
zur Funktionsweise der Finanzmärkte. Kein noch so guter Vortrag<br />
hätte die Hintergründe klarer und anschaulicher vermitteln können.<br />
Angeregt wurde ich intensiver über unser Freiheitsverständnis, unser<br />
Menschenbild und seine philosophische und theologische Begründung<br />
nachzudenken – und gleichzeitig weiter Frauen zu ermutigen,<br />
jeden Tag den Wirtschaftsteil der Tageszeitung zu lesen und<br />
die dort reproduzierten Normen und Werte sowie die Sprache zu hinterfragen<br />
und den Ausverkauf des Gemeinwohls zugunsten der<br />
Misswirtschaft von Bankern zu beenden.<br />
Die Veranstalterinnen (Elisabeth Christa Markert, <strong>Frauenwerk</strong> Altholstein,<br />
Julia Patzke, Ev. Bildungswerk des Kirchenkreises Plön-<br />
Segeberg und Waltraud Waidelich, <strong>Nordelbisches</strong> <strong>Frauenwerk</strong>) regen<br />
an, in den <strong>Frauenwerk</strong>en Runde Tische zum Thema „Frauen<br />
und Geld“ als einen Ort des Nachdenkens zu etablieren und stellen<br />
dafür ihre fachliche Kompetenz zur Verfügung.<br />
Tipp<br />
www.bzw-weiterdenken.de<br />
„beziehungsweise – weiterdenken“<br />
ist ein Internetforum,<br />
das ein philosophisches<br />
und politisches Gespräch<br />
unter Frauen ermöglicht, u.a.<br />
auch über die Finanzkrise.<br />
W a l t r a u d W a i d e l i c h