26 Wofür stehst du? Der Schweizer Ernst Bromeis, 44, will im Rhein von der Quelle bis zur Mündung schwimmen. Die größten Schweizer Seen hat er schon durchquert. „Mit 20 spielte ich leidenschaftlich Klavier. Viele dachten: Der Ernst, der geht ans Konservatorium. Aber ich habe einen anderen Weg eingeschlagen. Ich schwimme gern gegen den Strom, ich mag die Challenge. Vor vier Jahren habe ich 200 Bündner Bergseen durchschwommen. Die ersten fünf Minuten im eiskalten Wasser sind höllisch, aber dann hört der Schmerz auf, und der Körper stellt auf die extreme Belastung um. Der See gehört ganz dir, und irgendwann schwimmst du im Einklang mit der Natur. Als Sportwissenschaftler und ehemaliger Triathlontrainer weiss ich, was ich meinem Körper zumuten kann. Trotzdem stoße ich unterwegs an meine Grenzen. Beim Bündner-Seen-Projekt musste ich eine Nacht lang erbrechen. Einmal, als ich ohne Begleitung war, hatte ich mitten im Lago di Poschiavo Krämpfe, das war extrem unangenehm. Das Scheitern ist immer implizit. Vor zwei Jahren, als ich die grössten Schweizer Seen durchschwamm, musste ich zehn Kilometer vor dem Ziel aufgeben. Ich saß am Ufer des Neuenburgersees und heulte nur noch. Ich hatte Angst zu versagen. Denn ich wusste: Jetzt kommen noch der Zürichsee, der Genfersee und einige kleinere Seen. Im Genfersee war es am schlimmsten. Er schien mir endlos. Ich sah nur Wasser und Himmel, stundenlang. Das Schwierigste war, die Stille auszuhalten. Bei aller mentalen Vorbereitung – irgendwann fühlst du dich wie ausgewaschen. Du hast physisch nichts in der Hand, das Wasser gleitet weg, es fehlt der Halt. Und immer denkst du: Was sage ich den Leuten, wenn ich es nicht schaffe? Wenn ich mich verletze, ist das eine andere Sache. Aber verzweifeln an der Einsamkeit? Schiefgehen kann immer etwas. Im Mai will ich von der Rheinquelle bis zur Nordsee schwimmen. Am heikelsten ist die Strecke bis zum Bodensee, da schwimme ich mit Helm und Rückenprotektoren. Ich könnte mir den Kopf anschlagen, ein Bein brechen. Ertrinken nur in extremis, aber dann habe ich etwas völlig falsch gemacht. Immerhin werde ich über weite Strecken von einem Lebensretter in einem Boot begleitet. Ich muss den Fluss lesen können, jede schwierige Stelle kennen. Zur Vorbereitung bin ich oft im Rhein geschwommen. Nur, der Fluss ist jeden Tag anders. Je nachdem, wie viel Wasser er führt, ob es oben regnet oder schneit. Vom Bodensee bis Basel ist er fast schon lieblich. Ausser beim Rheinfall. Den kannst du nicht schwimmen, da kommst du ums Leben. Ab Basel wird der Fluss stark genutzt. Da kommen Schiffe, Brücken, Schleusen und nach 1100 Kilometern der 30 Kilometer lange Hafen von Rotterdam. Da gibt es Bereiche, wo du nicht hindarfst, weil es lebensgefährlich wäre, wo der Mensch ganz klein ist und die Irgendwann schwImmst du Im eInklang mIt der natur Technik ganz groß. Ich weiss nicht, wie ich auf den permanenten Schiffslärm reagieren werde. Und wie viel Rheinwasser mein Körper verträgt, ohne dass ich die ganze Nacht erbrechen muss. Ich werde es herausfinden. Den Verlockungen der schönen Lorelei auf ihrem Felsen zu widerstehen ist das kleinste Problem. Da schaue ich einfach nicht hin, atme beim Crawlen auf die andere Seite. Und wenn ich eine Krise kriege, sage ich mir: Der Rhein ist endlich, und irgendwann bin ich im Meer. Wieder und wieder. Wie ein Mantra. Warum ich das auf mich nehme? Die Frage habe ich mir noch nie gestellt. Ich verstehe mich als Botschafter, als Grenzkünstler. Ich will <strong>zeigen</strong>, dass Wasser eine wichtige Ressource ist, ohne die es kein Leben auf diesem Planeten gäbe. Und sie ist begrenzt. Das Problem ist, dass wir uns Endlichkeit nur schwer vorstellen können. Bei möglichst vielen Menschen ein Sensorium dafür zu wecken, das ist meine Mission. Ich arbeite an einem Projekt für ein Kompetenzzentrum im Engadin, wo ein verantwortungsvoller Umgang mit Wasser vermittelt werden soll. Im Wasserschloss Europas zu leben bringt eine Verpflichtung mit sich. Besser gefällt mir das Bild der Schweiz als großer See. Die Alpen als Quelle Europas.“ Aus Beobachter Natur, Mai 2012, Schweiz. Protokoll: Tatjana Stocker.
Ursula Maria Burkhart: »Ich muß schwimmen.« 27 Wofür stehst du?