4 <strong>Haltung</strong> Zeigen! VOLKSMUND: Herr Detloff, wann wurde der Plastikmüll im Meer zum ersten Mal als Problem wahrgenommen? KIM DETLOFF: Seit 1973 gibt es das MARPOL-Abkommen. Das verbietet unter anderem, dass Plastikabfälle von Schiffen ins Meer geworfen werden. Man war sich damals bereits der Gefahr bewusst. Aber wahrscheinlich haben sich Wissenschaftler vorher schon Gedanken darüber gemacht. Was für Plastikabfälle kommen denn von Schiffen ins Meer? Beim normalen Schiffsbetrieb fällt Hausmüll an, da wird ja eine Besatzung verpflegt. Zudem gibt es Frachtverpackungen wie Abdeckungen, Planen oder Gurte, die teilweise unbeabsichtigt über Bord gehen, teilweise auch mit Vorsatz. Ist es inzwischen verboten, Schiffsmüll ins Meer zu schmeißen? Bis zu diesem Jahr durfte man nach dem Anhang V des MARPOL-Akommens mit einem bestimmten Abstand zur Küste legal Abfälle ins Meer entsorgen, darunter Lebensmittel, Glas, Holz, Porzellan. Ausgenommen sind seit Unterzeichnung des Anhangs V seit 1988 die Kunststoff-Abfälle, das Plastik. Wieso wird es trotzdem immer mehr? Weil das MARPOL-Abkommen unter unzureichenden Kontrollen und Sanktionen leidet. Ist ein Schiff erst einmal fern der Küste, ist kaum zu kontrollieren, ob Müll ins Meer geworfen wird. In Das Meer, Der Müll unD Der ToD Seit einem halben Jahrhundert wissen wir: Plastik im Meer macht unsere Welt krank. Und doch wird es immer noch mehr. Dabei kann jeder etwas dagegen tun, sagt der Meeresbiologe Kim Detloff INTERVIEW: DORIS KUHN den Häfen muss man für die Abfallentsorgung bezahlen, darum wählen viele Reeder und Kapitäne die große blaue Müllkippe, auch heute noch. Wie geht die Müllentsorgung vor sich? Es ist schwierig, illegale Entsorgung zu kontrollieren, wenn es grundsätzlich erlaubt ist, Müll im Meer über Bord zu werfen. Man hat gesagt, Papier, das sich auflöst, oder Glas, das zum Meeresboden sinkt, seien nicht so schlimm. Aber damit ist auch immer der illegale Abfall entsorgt worden: An Bord der Schiffe befinden sich große Schredder-Anlagen, die zermahlen den Müll, um an Bord Platz zu sparen. Da kann man viel mit hinein geben. Wenn das Gemisch über Bord geworfen wird, ist es zwei Seemeilen später unmöglich, es einem Schiff zuzuordnen. Und selbst wenn, muss man den Matrosen ausfindig machen, der den Müll in der Hand hatte. Haftbar ist nicht der Kapitän oder die Reederei, sondern der jeweilige Matrose. Die Aufklärungsquote liegt fast bei Null. Was ist mit der vielbeschworenen Vernunft? Mit Umweltbewusstsein? Daran appellieren wir gern. Und natürlich muss in die Umweltbildung der Mannschaften und Offiziere investiert werden. Aber Untersuchungen <strong>zeigen</strong>, dass die Schifffahrt regional immer noch eine der Hauptmüllquellen ist. Kommt auch Müll vom Land ins Meer? Unbedingt. Der meiste Müll. Vom Um- weltprogramm der Vereinten Nationen gibt es Schätzungen, die sagen, dass bis zu 80 Prozent des Abfalls im Meer vom Land kommt. Müll, der illegal im Meer verklappt wird, oder er kommt über ungereinigte Abwässer in die Flüsse und dann weiter ins Meer. Dazu gehört aber auch Müll, der verweht und von Touristen am Strand liegen gelassen wird. Was heißt illegal verklappt? Bis vor wenigen Jahren war es im Mittelmeer oder auch in Großbritannien gängig, ganze Schiffsladungen Hausmüll ins Meer zu kippen. Auch heute gibt es das noch, zum Beispiel vor der türkischen Schwarzmeerküste. Der Müll wird an Land abgeholt und mit Schiffen aufs Meer gefahren? Genau. Und dort wird er entsorgt. Das ist inzwischen verboten, aber auch da sind die Kontrollen unzureichend. Was wird noch getan, jenseits von Verboten, die niemand befolgt? Wir bräuchten ein System, das überhaupt keine Müllentsorgung im Meer erlaubt. Und wir bräuchten ein System, das kontrolliert, was genau an Bord geht und wie viel davon an Land wieder abgegeben wird. Das ist natürlich ein riesiger Aufwand, aber anders scheint es nicht möglich zu sein, die Entsorgung über die Schiffe zu verhindern. Kann man schätzen, um wie viel der Plastikmüll anwächst? Die US-Academy of Science hat Ende
5 <strong>Haltung</strong> Zeigen! Lenja Schultze: »Wir ersticken im Plastikmüll.«