download-pdf - Deutsch-Rumänische Gesellschaft
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Kommen wir zum Grundsätzlicheren:<br />
Das geschriebene Recht ist in Rumänien<br />
sehr wichtig. Deshalb gibt es auch so<br />
viel davon. Es gibt meistens nicht nur<br />
für jedes noch so abgelegene Problem,<br />
das in <strong>Deutsch</strong>land vielleicht von der<br />
Rechtsprechung,,freihändig" nach gesundem<br />
Menschenverstand gelöst würde,<br />
ein eigenes Gesetz, sondern hierzu<br />
auch mehrere Durchführungsvorschr<br />
iften der Regierung mit Unter-Durchf<br />
ührungsvorschriften der Ministerien<br />
und Unter-Unter-Durchführungsvors<br />
chriften der Behörden. Obwohl diese<br />
Bestimmungen, die poetische Namen<br />
wie,,methodologische Normen" tragen,<br />
oft nur das Gesetz wortwörtlich wiederholen,<br />
ist es für einen Beamten in der<br />
Regel undenkbar, ein Gesetz anzuwenden,<br />
wenn es nicht auch alle Stufen<br />
von Durchführungsvorschriften<br />
gibt.<br />
So kommt es dazu, dass es viele gut<br />
klingende Gesetze gibt (von denen das<br />
Ausland dann auch sehr beeindruckt<br />
ist), die von der Verwaltung aber monate-<br />
oder jahrelang nicht umgesetzt<br />
werden, weil eben so lange noch keine<br />
Durchführungsvorschriften erlassen<br />
worden sind. Die hohe Wertschätzung,<br />
der sich geschriebene Rechtstexte erfreuen,<br />
führt ferner auch dazu, dass<br />
Richter sich hieran genauestens gebunden<br />
fühlen. Wenn etwa eine 100<br />
Jahre alte gesetzliche Regelung besagt,<br />
dass bei Verträgen in einem Wert von<br />
über 250 Lei (das war damals viel<br />
Geld, entspricht heute aber nur noch<br />
1 Cent) der Beweis nur durch schriftlichen<br />
Vertrag erbracht werden kann,<br />
so kommt kein Richter auf die Idee,<br />
diesen Betrag im Wege der richterlichen<br />
Rechtsfortbildung anzupassen.<br />
Das wäre aus seiner Sicht ein Eingriff<br />
in das souveräne Recht des Parlaments<br />
zur Anderung von Gesetzen und hat<br />
daher zu unterbleiben, sei das Ergebnis<br />
auch noch so sinnlos.<br />
Das Problem, dass man oft zu lange<br />
auf Durchführungsvorschriften, auf<br />
Antworten von Behörden, auf Zai:.l:ungen<br />
oder andere juristisch relevante<br />
Vorgänge warten muss, wurde in Rumänien<br />
durchaus erkannt. Deshalb ist<br />
es üblich, in Gesetzerr, Yorschriften,<br />
Verträgen usw. am Ende stets Sätze<br />
DR'J 3-4/2OO2<br />
der Art einzufügen: ,,Innerhalb von 20<br />
Tagen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes<br />
erlässt die Regierung Ausführungsvorschriften"<br />
oder,,Alle nach diesem<br />
Gesetz gestellten Anträge werden<br />
von den Behörden innerhalb von drei<br />
Tagen beantwortet". Leider wird jedoch<br />
fast ausnahmslos ,yergessen", auch<br />
ll.inzuzufügen, was passiert, wenn sich<br />
die Regierung, die Verwaltung oder wer<br />
auch immer nicht an diese Frist hält<br />
(wie z.B. ,,Wenn binnen drei Tagen keine<br />
Antwort eingeht, gilt der Antrag als<br />
befürwortet"). Tatsache ist nämlich bedauerlicherweise,<br />
dass derartige Fristen<br />
so ernst genommen wie in NeaPel<br />
das Verbot, bei Rot über die Straße zu<br />
gehen, nämlich im besten Falle als grobe<br />
Orientierungshilfe, im schlechtesten<br />
als Witz. Merke daher: Wer sich auf gut<br />
klingende Fristen verlässt, der ist meistens<br />
verlassen.<br />
Dies bedeutet aber nicht, dass in<br />
Rumänien alles langsam geht. Im<br />
Gegenteil. Man wundert sich immer<br />
wieder, wie zum Beispiel grundlegende<br />
Gesetzesreformen (wie ein<br />
neues Steuersystem, für das in<br />
<strong>Deutsch</strong>land zunächst fünfzehn Jahre<br />
Vorfelddiskussionen geführt werden<br />
und dann Bundestag und Bundesrat<br />
drei Jahre beraten) in drei Monaten<br />
über die Bühne gehen oder wenn das<br />
Verfassungsgericht in Bukarest heikle<br />
Fragen der Verfassungsmäßigkeit von<br />
Gesetzen, die in Karlsruhe mindestens<br />
ein Jahr geprüft würden, binnen 48<br />
Stunden restlos klärt. Das ist einerseits<br />
erfrischend und ein Beweis dafür,<br />
dass die,,deutsche Gründlichkeit" (oder<br />
Reformuntähigkeit) nicht das Maß aller<br />
Dinge ist, aber es lässt sich nicht leugnen,<br />
dass andererseits in Rumänien<br />
auch auf höchster Ebene viele unüberlegte,<br />
oberflächliche Schnellschüsse<br />
vorkommen, die dann dazu führen,<br />
dass hektisch nachgebessert wird oder<br />
dass es schlicht Unmengen von nicht<br />
richtig funktionierenden, widersprüchlichen,<br />
überflüssigen, verfassungswidrigen<br />
und sonst misslungenen<br />
Rechtsvorschriften gibt, mit denen man<br />
dann irgendwie,,fertigwerden" muss.<br />
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