30. Jahrgang Nummer 4/5 - 30.07.1989 - der Gruppe Arbeiterpolitik
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verschiedenen <strong>Gruppe</strong>n unterscheiden. In Orten wie Xian,<br />
Changsa, aber auch Shanghai spielten die neuen Arbeitslosen<br />
bzw. diejenigen, die sich mit dem Ziel auf eine bessere<br />
Arbeitsplatzperspektive auf die Wan<strong>der</strong>schaft begeben hatten,<br />
eine erhebliche Rolle. In Peking hingegen beteiligten sich<br />
in viel stärkerem Maße einerseits Arbeiter aus großen<br />
(Staats-)Betrieben und an<strong>der</strong>erseits Staatsbedienstete (also<br />
solche mit Festgehalt) an den Demonstrationen.<br />
Selbst bürgerliche Blätter stellten allerdings Ende Mai fest,<br />
daß die Arbeiterbeteiligung sehr beschränkt war: »die Industriearbeiter,<br />
die in <strong>der</strong> Regel nach Schichtende demonstrierten,<br />
mochten sich bei ihren Unterstützungsaktionen nicht<br />
allzuweit aus dem Fenster lehnen« (Süddeutsche Zeitung, 29.<br />
5. 89). Die Arbeiter hätten sich »die meiste Zeit wie passive<br />
Zuschauer verhalten«; in Peking hätte es zwar »sporadische<br />
Unruhen in den Fabriken« gegeben, aber <strong>der</strong> »erwartete<br />
stadtweite Streik trat nicht ein«; <strong>der</strong> 'Unabhängige Arbeiterverband'<br />
sei nur »von wenigen ernstgenommen~ worden, er<br />
hätte nur »wenige Mitglie<strong>der</strong>« gehabt (Far Eastern Economic<br />
Review, 1. 6. 89). Dafür gab es Gründe: .Trotz Inflationw<br />
schlage »<strong>der</strong> materielle Gewinn aus dem reformierten<br />
Betriebssystem -Höhe <strong>der</strong> Bonuszahlungen je nachproduktionsertrag<br />
- ... noch einträglich zu Buche« (Süddeutsche<br />
Zeitung, 29. 5. 89).<br />
Auf <strong>der</strong> Straße waren demnach diejenigen, die sich zur intellektuellen<br />
Elite zählen (Studenten, Professoren, Journalisten)<br />
und seit Einleitung <strong>der</strong> Sparmaßnahmen im Oktober<br />
1988 ihre Hoffnungen schwinden sahen, weiter »Inhaber von<br />
privaten Verkaufsständen~ (The Guardian, 28.5.89), „private<br />
Unternehmer« (Times, 29. 5. 89), also die wirtschaftlichen<br />
Gewinner <strong>der</strong> Reformära, <strong>der</strong>en Einkünfte durch die Austerity-Politik<br />
geschmälert wurden, sowie <strong>Gruppe</strong>n von Arbeitern.<br />
Der Großteil <strong>der</strong> Arbeiterschaft sowie die Masse <strong>der</strong> Bauern<br />
verhielt sich passiv.<br />
Intellektuelle, Akademiker, Studenten gehören sicherlich<br />
nicht zu den Gewinnern <strong>der</strong> Reformära. Zwar gehörten sie zu<br />
<strong>der</strong> immer noch kleinen Zahl von Chinesen, die ins Ausland<br />
reisen konnten, zwar empfanden sie es als Erleichterung, daß<br />
fachliche Leistungen wie<strong>der</strong> einen höheren Stellenwert<br />
bekamen als politische, aber sonst brachte ihnen die Reform<br />
wenig: Meistens gehören sie - sobald sie verdienen - nicht<br />
nur zu den unteren Lohngruppen, son<strong>der</strong>n bekommen den<br />
Lohn als Festbetrag, was sie die Inflation in beson<strong>der</strong>er<br />
Weise spüren läßt. So liegt das Monatsgehalt eines Akade-<br />
mikers durchschnittlich 11,3 % unter dem Lohn eines städti-<br />
schen Arbeiters - und dies, obwohl er im Durchschnitt fast 2<br />
Stunden pro Tag länger arbeitet (China aktuell, Sept. 1988).<br />
Vergleichsweise wenige erhalten einen Job in <strong>der</strong> Wirtschaft<br />
und <strong>der</strong> Verwaltung, <strong>der</strong> sie Zugang zu Prämien und Beste-<br />
chungsgel<strong>der</strong>n finden ließe. Viele Studenten haben „keine<br />
größeren Ambitionen, als ins Ausland zu gehen o<strong>der</strong> minde-<br />
stens für eine Joint-Venture-Firma zu arbeiten rn (The Guar-<br />
dian, 14. 5.89). Es kommt deshalb nicht von ungefähr, wenn<br />
ein Vertreter des neugegründeten unabhängigen Studenten-<br />
verbands ganz zentral eine Erhöhung <strong>der</strong> »Fonds für Erzie-<br />
hung und eine substantielle Verbesserung des Status und <strong>der</strong><br />
Einkommen von Intellektuellen« for<strong>der</strong>t (Liberation, 24. 4.<br />
89). Verständlicherweise ist es ihr Ziel, »ein größeres Stück<br />
vom sozialen Kuchen zu erhalten« (The Guardian, 14.5.89).<br />
Von ihren Ansprüchen her klafft ein tiefer Graben zwi-<br />
schen chinesischen Arbeitern und Bauern einerseits sowie<br />
den Studenten an<strong>der</strong>erseits; die Intellektuellen streben für<br />
sich eine gesellschaftlich führende Rolle an, denn sie haben<br />
ȟber zweitausend Jahre lang das Reich verwaltet und<br />
haben den Anspruch auf politische Mitsprache und verant-<br />
wortliche Mitwirkung nicht aufgeben« (FAZ, 9. 3. 89).<br />
Dementsprechend sieht <strong>der</strong> wohl bekanntes. Dissident<br />
Chinas (siehe Kasten) und das Idol <strong>der</strong> Studenten, <strong>der</strong> Astro-<br />
physiker Fang Lizhi, die Intellektuellen als die natürliche<br />
Führungskraft <strong>der</strong> gesellschaftlichen Rangordnung, den sie<br />
Alltag in einem chinesischen Studentenwohnheim<br />
\<br />
sich auch in China nun erkämpfen müßten (Interview in: Die<br />
Welt, 9.5.89). Deshalb antwortet auch ein in <strong>der</strong> BRD studieren<strong>der</strong><br />
Student auf die Frage des 'Arbeiterkampfes'. ob in<br />
China das „Bündnis« »zwischen Studenten und ~rbeiterna<br />
meine Perspektive für die Zukunft