30. Jahrgang Nummer 4/5 - 30.07.1989 - der Gruppe Arbeiterpolitik
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dachten nicht nach, sie gehorchten. Die Begriffe Weltrevolu-<br />
tion, die Begriffe Sozialismus, klassenlose Gesellschaft, hat-<br />
ten in ihrem Mund einen an<strong>der</strong>en Klang bekommen. Sie<br />
interessierten sich nur für die Lösung <strong>der</strong> beschränkten Auf-<br />
gaben, die Partei und Regierung ihnen setzten, für den<br />
Kampf gegen politische Abweichungen und für ihr eigenes<br />
Wohlbefinden.«<br />
Säuberung im Militär<br />
Eine wichtige Rolle für die Ausweitung <strong>der</strong> Säuberungen<br />
spielten die Verhaftungen in <strong>der</strong> Militärführung im Früh-<br />
Sommer 1937. Dort mußte sich die Situation des Landes<br />
beson<strong>der</strong>s als Problem darstellen, sowohl hinsichtlich eines<br />
Krieges wie des inneren Kräfteverhältnisses, denn die Armee<br />
bestand vor allem aus Bauern. Zugleich war die Militärfüh-<br />
rung sehr eng mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Partei verbunden, die Komman-<br />
deure waren meist Parteimitglie<strong>der</strong> und in führenden Gre-<br />
mien vertreten.<br />
Die Bedeutung <strong>der</strong> Militärverhaftungen wird aus den<br />
Unterlagen des Smolensker Parteiarchivs deutlich, das 1941<br />
den Nazis in die Hände fiel und nach dem Krieg in die USA<br />
gelangte.'j Es ist das einzige interne Material von nennens-<br />
wertem Ausmaß, das nach 1917 in westliche Hände geriet.<br />
Die Armee war in Territorialeinheiten aufgeteilt. Die Terri-<br />
torialführung war zugleich Mitglied <strong>der</strong> jeweiligen regionalen<br />
Parteileitung. Uborewitsch, <strong>der</strong> Kommandeur des westlichen<br />
Militärdistrikts, war ZK-Kandidat und Mitglied <strong>der</strong> Smolens-<br />
ker Bezirksleitung. Am 11. Juli 1937 meldete die »Prawda«<br />
die Verhaftung Tuchatschewskis und vieler Distriktskom-<br />
mandeure. Eine Woche später kam ein Mitglied des Politbü-<br />
ros, Kaganowitsch, nach Smolensk. Die gesamte Bezirkslei-<br />
tung <strong>der</strong> Partei mit ihrem Vorsitzenden Rumjanzew wurde<br />
wegen Beteiligung an <strong>der</strong> »Verschwörung« verhaftet, wie<br />
mitgeteilt wurde .aufgrund von Aussagen Uborewitsch.<br />
In den folgenden Parteiversammlungen klagte Kagano-<br />
witsch die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> mangelnden Wachsamkeit an:<br />
warum war Rumjanzew in den vorhergenden Parteisäube-<br />
rungen unbehelligt geblieben? Warum habe man Stalins<br />
Warnung vor <strong>der</strong> äußeren Bedrohung vergessen, Smolensk<br />
sei schließlich Grenzbezirk? Die bisberige Parteileitung<br />
wurde nun nicht mehr politischer Fehler, son<strong>der</strong>n - erstmals<br />
- <strong>der</strong> Wirtschafts- und politischen Sabotage beschuldigt,<br />
und <strong>der</strong> wechselseitigen Protektion.<br />
Die neuen Ka<strong>der</strong><br />
Die Suche nach Verschwörern verband sich auf eigenar-<br />
tige Weise mit dem gleichzeitigen Druck auf die Apparate<br />
von Partei, Verwaltung und Wirtschaft, und zwar von oben<br />
wie auch von unten.<br />
Für die Parteiführung war <strong>der</strong> neue, große Apparat einer-<br />
seits notwendiges Instrument zur schnellen Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> gesetzten Ziele. Er war zugleich aber in seiner Größe<br />
kaum noch kontrollierbar, unter den damaligen Bedingungen<br />
zumindest nicht mit regulären Verwaltungsmethoden. Und<br />
für die Arbeiter- und Parteimasse konzentrierten sich im<br />
Apparat alle diejenigen, die Anstrengungen und Entbehrun-<br />
gen abverlangten.<br />
Für die Industrialisierung wurden massenhaft neue Ka<strong>der</strong><br />
gebraucht und herangezogen. Das alte, in <strong>der</strong> Partei zuvor<br />
immer wie<strong>der</strong> diskutierte Problem <strong>der</strong> Bürokratie erhielt<br />
dadurch eine neue Dimension.<br />
Diese Ka<strong>der</strong> waren unentbehrlich, sie hatten um jeden<br />
Preis effektivste Zentralisierung und rascheste Industrialisie-<br />
rung zu gewährleisten. Dafür bekamen sie alle Kompetenzen,<br />
daher wurden sie nahezu unangreifbar. Zum loyalen Funk-<br />
tionieren dieser Neuen wurde die Obergrenze <strong>der</strong> Parteige-<br />
hälter abgeschafft, sie erhielten Privilegien, vor allem durch<br />
den Zugang zu knappen Gütern. In Rybakows »Kin<strong>der</strong> des<br />
Arbatc ist <strong>der</strong> Chef des neuen Stahlzentrums Magnitogorsk<br />
selbstbewußt genug, um eine Kontrolldelegation <strong>der</strong> Mos-<br />
kauer Parteifuhrung einfach nicht zu empfangen, er schickt<br />
sie schlicht wie<strong>der</strong> heim. Von unten waren diese Funktionäre<br />
noch weniger angreifbar.<br />
Das galt für Partei- und Verwaltungska<strong>der</strong> in ländlichen<br />
Gebieten nicht min<strong>der</strong>. Dort mußten sie mit, gemessen an<br />
den Aufgaben, minimalsten Kräften Aufgaben wie Kollekti-<br />
vierung durchführen - auch daher zum großen Teil die<br />
Härte <strong>der</strong> Durchführung - und dann die Kolchosen am<br />
Leben erhalten, sie anleiten und antreiben und kontrollieren.<br />
Der Belji-Bezirk im Gebiet von Smolensk beispielsweise<br />
hatte 91 000 Einwohner, 93 % davon auf dem Land, <strong>der</strong> Rest in<br />
Belji. 1935 gab es dort 355 Parteimitglie<strong>der</strong> und -anwärter,<br />
das waren 0,33% <strong>der</strong> Bevölkerung. Davon lebten nur 144 auf<br />
Kolchosen, <strong>der</strong>er gab es aber etwa 260. In <strong>der</strong> ganzen Smo-<br />
lensker Region gab es 1938 etwa 10 000 Kolchosen, Parteizel-<br />
len aber nur - in 122 von ihnen.<br />
Diese Zahlen veranschaulichen zunächst die praktische<br />
Schwäche <strong>der</strong> Partei, und ihres Apparats gegenüber den<br />
Massen außerhalb <strong>der</strong> Zentren. Allein quantitativ war die<br />
Partei dort überfor<strong>der</strong>t, sie glich es aus durch administrativen<br />
Druck.<br />
Kampf gegen den Bürokratismus<br />
Die Schwere <strong>der</strong> Aufgaben bedeutete aber nach oben wie<br />
unten Macht. Dieser Apparat war für die Zentrale unersetz-<br />
lich, wichtigstes Instrument. Umso wichtiger wurde seine<br />
absolute Zuverlässigkeit.<br />
Die Masseneintritte nach 1929 waren für die Partei kaum<br />
zu bewältigen, sie verlor weitgehend die organisatorische wie<br />
politische Kontrolle über die 3,5 Millionen Mitglie<strong>der</strong>. 1933<br />
wurden die Mitglie<strong>der</strong> in einer regulären Parteisäuberung<br />
überprüft (eine solche Parteisäuberung war nichts Unge-<br />
wöhnliches, hatte es schon mehrfach gegeben). Dabei wur-<br />
den einige Hun<strong>der</strong>ttausend ausgeschlossen, in <strong>der</strong> großen<br />
Mehrzahl wegen Trunksucht, unmoralischen Verhaltens,<br />
krimineller Vergehen usw. Dabei kam es in den öffentlichen<br />
Sitzungen zu umfangreicher Kritik an Parteifunktionären.<br />
Das wie<strong>der</strong>holte sich 1935, obwohl da nur eine formelle<br />
Überprüfung <strong>der</strong> Mitgliedschaft stattfinden sollte (es gibt<br />
massenhaft ktirsierende echte wie falsche Parteiausweise/-<br />
Mitgliedschaften ohne jegliche Registrierung). Hauptvorwurf<br />
war immer wie<strong>der</strong> »Bürokratismus«, »mangelnde Verbin-<br />
dung zur Masse«. In den entsprechenden Parteiversammlun-<br />
gen kam es auch zu Auseinan<strong>der</strong>setzungen und Anklagen '<br />
<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> untereinan<strong>der</strong>, etwa wegen krimineller Ver-<br />
gehen, Verbindung zu Kulaken o<strong>der</strong> Spekulanten, politischer<br />
Vergangenheit.<br />
Betroffen vom Parteiausschluß waren meist einfache Mit-<br />
glie<strong>der</strong>, die jeweiligen Parteifunktionäre blieben ab einer<br />
gewissen Stufe außerhalb des Bereichs von Konsequenzen.<br />
Wurden Funktionäre mal gefeuert, kamen sie schnell wie<strong>der</strong><br />
im Apparat unter, auf Grund ihrer Beziehungen und wegen<br />
des großen Mangels an qualifizierten Kräften. 1935/36<br />
mehrte sich in <strong>der</strong> Parteipresse die Kritik <strong>der</strong> Parteiführung<br />
an schnellen, bürokratischen und oft ungerechtfertigten Par-<br />
teiausschlüssen. Zur gleichen Zeit wurde Jeschow, <strong>der</strong><br />
spätere NKWD-Chef, - er hatte den Ruf eines Spezialisten-<br />
fressers und Antibürokraten - Chef <strong>der</strong> Kontrollkommis-<br />
sion, die Parteivergehen zu untersuchen hat.<br />
Die Kritik an <strong>der</strong> Bürokratie erlebt einen Höhepunkt auf<br />
dem ZK-Plenum im Februar 1937. Dabei kommen zusammen<br />
<strong>der</strong> Unmut <strong>der</strong> Basis, <strong>der</strong> Versuch des Gegensteuerns gegen<br />
Eigenständigkeit und Autokratie des Apparats, so notwendig<br />
er zugleich auch ist, und die Kritik an den neuen Wirtschafts-<br />
leitern durch radikalere Kräfte, die in ihnen die neuen, brem-<br />
senden »Spezialisten< sehen. Das ganze verbindet sich mit<br />
vgl. J. Arch Getty, Origins of the Great Purges, Cambridge 1985